Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
presents: Georg Simmel Online

  Sociology in Switzerland   Georg Simmel Online G.Simmel: Philosophische Kultur

 

Georg Simmel: Philosophische Kultur 

Alfred Kröner Verlag, Leipzig 1919 (2. Auflage) 

Die Mode (S. 25-57)

(->25) Die Art, wie es uns gegeben ist, die Erscheinungen des Lebens aufzufassen, lässt uns an jedem Punkte des Daseins eine Mehrheit von Kräften fühlen; und zwar so, dass eine jede von diesen eigentlich über die wirkliche Erscheinung hinausstrebt, ihre Unendlichkeit an der andern bricht und in bloße Spannkraft und Sehnsucht umsetzt. 

In jedem Tun, auch dem erschöpfendsten und fruchtbarsten, fühlen wir irgend etwas, was noch nicht ganz zum Ausdruck gekommen ist.

Indem dies durch die gegenseitige Einschränkung der aneinander stoßenden Elemente geschieht, wird an ihrem Dualismus gerade die Einheit des Gesamtlebens offenbar.

Und erst insofern jede innere Energie über das Mass ihrer sichtbaren Äußerung hinausdrängt, gewinnt das Leben jenen Reichtum unausgeschöpfter Möglichkeiten, der seine fragmentarische Wirklichkeit ergänzt, erst damit lassen seine Erscheinungen tiefere Kräfte, ungelöstere Spannungen, Kampf und Frieden umfänglicherer Art ahnen, als ihre unmittelbare Gegebenheit verrät.
Dieser Dualismus kann nicht unmittelbar beschrieben, sondern nur an den einzelnen Gegensätzen, die für unser Dasein typisch sind, als ihre letzte, gestaltende Form gefühlt werden. 

Den ersten Fingerzeig gibt die physiologische Grundlage unseres Wesens: dieses bedarf der Bewegung wie der Ruhe, der Produktivität wie der Rezeptivität. 

Dies in das Leben des Geistes fortsetzend, werden wir einerseits von der Bestrebung nach dem Allgemeinen gelenkt, wie von dem Bedürfnis, das Einzelne zu erfassen; jenes gewährt unserm Geist Ruhe, die Besonderung lässt ihn von Fall zu Fall sich bewegen. 

Und nicht anders im Gefühlsleben; wir suchen nicht weniger die ruhige Hingabe an (->26) Menschen und Dinge, wie die energische Selbstbehauptung beiden gegenüber. 

Die ganze Geschichte der Gesellschaft lässt sich an dem Kampf, dem Kompromiss, den langsam gewonnenen und schnell verlorenen Versöhnungen abrollen, die zwischen der Verschmelzung mit unserer sozialen Gruppe und der individuellen Heraushebung aus ihr auftreten. 

Mag sich die Schwingung unserer Seele zwischen diesen Polen philosophisch verkörpern im Gegensatz der Allgemeinheits-Lehre und dem Dogma von der Unvergleichlichkeit, dem Für-sich-sein jedes Weltelementes, mögen sie sich praktisch bekämpfen als die Parteigegensätze des Sozialismus und des Individualismus, immer ist es eine und dieselbe Grundform der Zweiheit, die sich schließlich im biologischen Bilde als der Gegensatz von Vererbung und Variabilität offenbart - die erste der Träger des Allgemeinen, der Einheit, der beruhigten Gleichheit von Formen und Inhalten des Lebens, die andere die Bewegtheit, die Mannigfaltigkeit gesonderter Elemente, die unruhige Entwicklung eines individuellen Lebensinhaltes zu einem anderen erzeugend. 

Jede wesentliche Lebensform in der Geschichte unserer Gattung stellt auf ihrem Gebiete eine besondere Art dar, das Interesse an der Dauer, der Einheit, der Gleichheit mit dem an der Veränderung, dem Besonderen, dem Einzigartigen zu vereinen.

Innerhalb der sozialen Verkörperung dieser Gegensätze wird die eine Seite derselben meistens von der psychologischen Tendenz zur Nachahmung getragen. 

Die Nachahmung könnte man als eine psychologische Vererbung bezeichnen, als den Übergang des Gruppenlebens in das individuelle Leben. 

Ihr Reiz ist zunächst der, dass sie uns ein zweckmäßiges und sinnvolles Tun auch da ermöglicht, wo nichts Persönliches und Schöpferisches auf den Plan tritt. 
Man möchte sie das Kind des Gedankens mit der Gedankenlosigkeit nennen. 
Sie gibt dem Individuum die Sicherheit, bei seinem Handeln nicht allein zu stehen, sondern erhebt sich über den bisherigen Ausübungen derselben Tätigkeit wie auf einem festen Unterbau, der die jetzige von der Schwierigkeit, sich selbst zu tragen, entlastet. 

Sie gibt im Praktischen die eigenartige Beruhigung, die es uns im Theoretischen gewährt, wenn wir eine Einzelerscheinung einem Allgemeinbegriff (->27) eingeordnet haben. 

Wo wir nachahmen, schieben wir nicht nur die Forderung produktiver Energie von uns auf den andern, sondern zugleich auch die Verantwortung für dieses Tun; so befreit sie das Individuum von der Qual der Wahl und lässt es schlechthin als ein Geschöpf der Gruppe, als ein Gefäß sozialer Inhalte erscheinen. 

Der Nachahmungstrieb als Prinzip charakterisiert eine Entwicklungsstufe, auf der der Wunsch nach zweckmäßiger persönlicher Tätigkeit lebendig, aber die Fähigkeit, individuelle Inhalte für sie oder aus ihr zu gewinnen, nicht vorhanden ist. 

Der Fortschritt über diese Stufe hinaus ist der, dass außer dem Gegebenen, dem Vergangenen, dem Überlieferten die Zukunft das Denken, Handeln und Fühlen bestimmt - der teleologische Mensch ist der Gegenpol des Nachahmenden. 

So entspricht die Nachahmung in all den Erscheinungen, für die sie ein bildender Faktor ist, einer der Grundrichtungen unseres Wesens, derjenigen, die sich an der Einschmelzung des Einzelnen in die Allgemeinheit befriedigt, die das Bleibende im Wechsel betont. 

Wo aber umgekehrt der Wechsel im Bleibenden gesucht wird, die individuelle Differenzierung, das Sich-abheben von der Allgemeinheit, da ist die Nachahmung das negierende und hemmende Prinzip. 

Und gerade weil die Sehnsucht, bei dem Gegebenen zu verharren und, das gleiche zu tun und zu sein wie die anderen, der unversöhnliche Feind jener ist, die zu neuen und eigenen Lebensformen vorschreiten will und weil jedes von beiden Prinzipien für sich ins Unendliche geht, darum wird das gesellschaftliche Leben als der Kampfplatz erscheinen, auf dem jeder Fußbreit von beiden umstritten wird, die gesellschaftlichen Institutionen als die - niemals dauernden - Versöhnungen, in. denen der weiterwirkende Antagonismus beider die äußere Form einer Kooperation angenommen hat.

Die Lebensbedingungen der Mode als einer durchgängigen Erscheinung in der Geschichte unserer Gattung sind hiermit umschrieben. 

Sie ist Nachahmung eines gegebenen Musters und genügt damit dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, sie führt den Einzelnen auf die Bahn, die Alle geben, sie gibt ein Allgemeines, das das Verhalten jedes Einzelnen zu einem bloßen Beispiel macht. 

Nicht weniger aber befriedigt sie das Unterschiedsbedürfnis,  (->28) die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sich-abheben. 

Und dies letztere gelingt ihr einerseits durch den Wechsel der Inhalte, der die Mode von heute individuell prägt gegenüber der von gestern und von morgen, es gelingt ihr noch energischer dadurch, dass Moden immer Klassenmoden sind, dass die Moden der höheren Schicht sich von der der tieferen unterscheiden und in dem Augenblick verlassen werden, in dem diese letztere sie sich anzueignen beginnt. 

So ist die Mode nichts anderes als eine besondere unter den vielen Lebensformen, durch die man die Tendenz nach sozialer Egalisierung mit der nach individueller Unterschiedenheit und Abwechslung in einem einheitlichen Tun zusammenführt. 

Fragt man die Geschichte der Moden, die bisher nur auf die Entwicklung ihrer Inhalte untersucht worden ist, nach ihrer Bedeutung für die Form des gesellschaftlichen Prozesses, so ist sie die Geschichte der Versuche, die Befriedigung dieser beiden Gegentendenzen immer vollkommener dem Stande der jeweiligen individuellen und gesellschaftlichen Kultur anzupassen. 

In dieses Grundwesen der Mode ordnen sich die einzelnen psychologischen Züge ein, die wir an ihr beobachten.

Sie ist, wie ich sagte, ein Produkt klassenmäßiger Scheidung und verhält sich so wie eine Anzahl anderer Gebilde, vor alle wie die Ehre, deren Doppelfunktion es ist, einen Kreis in sich zusammen- und ihn zugleich von anderen abzuschließen. Wie der Rahmen eines Bildes das Kunstwerk als ein einheitliches, in sich zusammengehöriges, als eine Welt für sich charakterisiert und zugleich, nach außen wirkend, alle Beziehungen zu der räumlichen Umgebung abschneidet; wie die einheitliche Energie solcher Gebilde für uns nicht anders ausdrückbar ist, als indem wir sie in die Doppelwirkung nach innen und nach außen zerlegen, - so zieht die Ehre ihren Charakter und vor allem ihre sittlichen Rechte - Rechte, die sehr häufig von dem Standpunkt der außerhalb der Klasse Stehenden als Unrecht empfunden werden - daraus, dass der Einzelne, in seiner Ehre eben zugleich die seines sozialen Kreises, seines Standes, darstellt und bewahrt. 

So bedeutet die Mode einerseits den Anschluss an die Gleichgestellten, die Einheit eines durch sie charakterisierten Kreises, und eben (->29) damit den Abschluss dieser Gruppe gegen die tiefer Stehenden, die Charakterisierung dieser als nicht zu jener gehörig. 

Verbinden und unterscheiden sind die beiden Grundfunktionen, die sich hier untrennbar vereinigen, von denen eines, obgleich oder weil es den logischen Gegensatz zu dem andern bildet, die Bedingung seiner Verwirklichung ist. 

Dass die Mode so ein bloßes Erzeugnis sozialer oder auch: formal psychologischer Bedürfnisse ist, wird vielleicht durch nichts stärker erwiesen als dadurch, dass in sachlicher, ästhetischer oder sonstiger Zweckmäßigkeitsbeziehung unzählige Male nicht der geringste Grund für ihre Gestaltungen auffindbar ist. 

Während im allgemeinen z. B. unsere Kleidung unsern Bedürfnissen sachlich angepasst ist, waltet keine Spur von Zweckmäßigkeit in den Entscheidungen durch die die Mode sie formt: ob weite oder enge Röcke, spitze oder breite Frisuren, bunte oder schwarze Krawatten getragen werden. 

So hässliche und widrige Dinge sind manchmal modern, als wollte die Mode ihre Macht gerade dadurch zeigen, dass wir ihretwegen das Abscheulichste auf uns nehmen; gerade die Zufälligkeit, mit der sie einmal das Zweckmäßige, ein andermal Abstruse, ein drittes Mal das sachlich und ästhetisch ganz anbefiehlt, zeigt ihre völlige Gleichgültigkeit gegen die sachlichen Normen des Lebens, womit sie eben auf andere Motivierungen, nämlich die typisch-sozialen als die einzig übrigbleibenden hinweist. - Diese Abstraktheit der Mode, in ihrem tiefsten Wesen begründet und als "Realitätsfremdheit" ein gewisses ästhetisches Cachet dem Modernen selbst auf ganz ausserästhetischen Gebieten verleihend, entwickelt sich auch in historischen Phänomenen. 

Aus früheren Zeiten wird vielfach berichtet, wie eine Laune oder das besondere Bedürfnis einzelner Persönlichkeiten eine Mode entstehen ließen - so die mittelalterlichen Schnabelschuhe aus dem Wunsch eines vornehmen Herrn, für einen Auswuchs an seinem Fuß eine entsprechende Schuhform zu finden, der Reifenrock aus dem Wunsch einer tonangebenden Frau, ihre Schwangerschaft zu verbergen usw. 

Im Gegensatz zu solchem personalen Ursprung wird auch die Erfindung der Mode in der Gegenwart mehr und mehr in die objektive Arbeitsverfassung der Wirtschaft eingegliedert. 

Es entsteht (-> 30) nicht nur irgendwo ein Artikel, der dann Mode wird, sondern es werden Artikel zu dem Zweck aufgebracht, Mode zu werden. 
In gewissen Zeitintervallen wird eine neue Mode a priori gefordert, und nun gibt es Erfinder und Industrien, die ausschließlich an der Ausfüllung dieses Rahmens arbeiten. 

Die Beziehung zwischen Abstraktheit überhaupt und objektiv-gesellschaftlicher Organisation offenbart sich in der Gleichgültigkeit der Mode als Form gegen jede Bedeutung ihrer besonderen Inhalte - und in ihrem immer entschiedeneren Übergang an sozialproduktive Wirtschaftsgebilde. 

Dass die Überindividualität ihres inneren Wesens auch ihre Inhalte ergreift, kann sich nicht entschiedener ausdrücken, als dass darin die Moden-Creation ein bezahlter Beruf ist, in den großen Betrieben eine "Stellung", die sich von der Personalität so differenziert hat, wie überhaupt ein objektives Amt von seinem subjektiven Inhaber. 

Gewiss mag die Mode gelegentlich sachlich begründete Inhalte aufnehmen, aber als Mode wirkt sie erst, wenn die Unabhängigkeit gegen jede andere Motivierung positiv fühlbar wird, wie unser pflichtmäßiges Tun erst dann als ganz sittlich gilt, wenn nicht sein äußerer Inhalt und Zweck uns dazu bestimmt, sondern ausschließlich die Tatsache, dass es eben Pflicht ist. 

Darum ist die Herrschaft der Mode am unerträglichsten auf den Gebieten, auf denen nur sachliche Entscheidungen gelten sollen: Religiosität, wissenschaftliche Interessen, ja, Sozialismus und Individualismus sind freilich Modesachen gewesen; aber die Motive, aus denen diese Lebensinhalte allein angenommen werden sollten, stehen in absolutem Gegensatz zu der vollkommenen Unsachlichkeit in den Entwicklungen der Mode und ebenso zu jenem ästhetischen Reize, den ihr die Entfernung von den inhaltlichen Bedeutungen der Dinge gibt, und der, als Moment solcher letztinstanzlichen Entscheidungen ganz unangebracht, ihnen einen Zug von Frivolität aufprägt.

Wenn die gesellschaftlichen Formen, die Kleidung, die ästhetischen Beurteilungen, der ganze Stil, in dem der Mensch sich ausdrückt, in fortwährender Umbildung durch die Mode begriffen sind, so kommt die Mode, d. h. die neue Mode, in alledem nur den oberen Ständen zu. 

Sobald die unteren sich die Mode anzueignen beginnen und damit die von den oberen gesetzte Grenzmarkierung überschreiten, die Einheitlichkeit in dem so symbolisierten Zusammengehören jener durchbrechen, wenden sich die oberen Stände von dieser Mode ab und einer neuen zu, durch die sie sich wieder von den breiten Massen differenzieren und mit der das Spiel von neuem beginnt. 

Denn naturgemäß stehen und streben die unteren Stände nach oben und können dies noch am ehesten auf den Gebieten, die der Mode unterworfen sind, weil diese am meisten äußerlicher Nachahmung zugänglich sind. 

Derselbe Prozess spielt - nicht immer so ersichtlich wie etwa zwischen Damen und Dienstmädchen - zwischen den verschiedenen Schichten der höheren Stände. 

Vielfach kann man gerade bemerken, dass, je näher die Kreise auseinandergerückt sind, desto toller unten die Jagd des Nachmachens und oben die Flucht zum Neuen ist; die durchdringende Geldwirtschaft muss diesen Prozess erheblich beschleunigen und sichtbar machen, weil die Gegenstände der Mode, als die Aeußerlichkeiten des Lebens, ganz besonders dem bloßen Geldbesitz zugänglich sind, und in ihnen deshalb die Gleichheit mit der oberen Schicht leichter  herzustellen ist als auf allen Gebieten, die eine individuelle, nicht mit Geld abkaufbare Bewährung fordern.

Wie sehr dieses Abscheidungsmoment - neben dem Nachahmungselement - das Wesen der Mode bildet, zeigen ihre Erscheinungen da, wo die gesellschaftliche Struktur keine übergelagerten Schichten besitzt; dann sind es oft die nebeneinander gelagerten, die sie ergreift. 

Es wird von einigen Naturvölkern berichtet, dass eng benachbarte und unter den genau gleichen Bedingungen lebende Gruppen manchmal scharf gesonderte Moden ausbilden, durch die jede Gruppe den Zusammenschluss nach innen ebenso wie die Differenz nach außen markiert. 

Andrerseits wird die Mode mit besonderer Vorliebe von außen importiert und innerhalb eines Kreises um so mehr geschätzt, wenn sie nicht innerhalb seiner selbst entstanden ist; schon der Prophet Zephanja spricht unwillig von den Vornehmen in ausländischer Kleidung. 

Tatsächlich scheint der exotische Ursprung der Mode den Zusammenschluss der Kreise, auf den sie angelegt ist, mit besonderer Stärke zu begünstigen; gerade dadurch, dass (-> 32) sie von außen kommt, schafft sie jene besondere und bedeutsame Form der Sozialisierung, die durch die gemeinsame Beziehung zu einem außerhalb gelegenen Punkte eintritt. 

Es scheint manchmal, als ob die sozialen Elemente wie die Augenaxen am besten auf einen nicht zu nahe gelegenen Punkt konvergierten. 

So besteht bei Naturvölkern das Geld, also gerade der Gegenstand des lebhaftesten allgemeinen Interesses, oft aus Zeichen, die von auswärts eingeführt werden; so dass es in manchen Gegenden (auf den Salomo-Inseln, in Ibo am Niger.) eine Art Industrie ist, aus Muscheln oder sonst Geldzeichen herzustellen, die nicht am Herstellungsort selbst, sondern in benachbarten Gegenden, wohin sie exportiert werden, als Geld kursieren - gerade wie die Moden in Paris vielfach mit bloßer Rücksicht darauf, dass sie anderswo Mode werden, produziert werden. 

In Paris selbst zeigt die Mode die weiteste Spannung und Versöhnung ihrer dualistischen Elemente. 

Der Individualismus, die Anpassung an das persönlich Kleidsame, ist viel tiefer als in Deutschland, aber dabei wird ein gewisser ganz weiter Rahmen des allgemeinen Stiles, der aktuellen Mode, streng festgehalten, so dass die einzelne Erscheinung nie aus dem Allgemeinen herausfällt, aber sich immer aus ihm heraushebt.

Wo von den beiden sozialen Tendenzen, die zur Bildung der Mode zusammenkommen müssen, nämlich dem Bedürfnis des Zusammenschlusses einerseits und dem Bedürfnis der Absonderung andrerseits, auch nur eines fehlt, wird die Bildung der Mode ausbleiben, wird ihr Reich enden. 

Darum haben die unteren Stände sehr wenige und seltene spezifische Moden, darum sind die Moden der Naturvölker so sehr viel stabiler als die unsrigen. 
Die Gefahr der Vermischung und Verwischung, die die Klassen der Kulturvölker zu den Differenzierungen von Kleidung, Benehmen, Geschmack usw. veranlasst, fehlt häufig bei primitiven sozialen Strukturen, die einerseits kommunistischer sind, andrerseits aber die bestehenden Unterschiede starrer und definitiver festlegen. 

Eben durch jene Differenzierungen werden die an der Absonderung interessierten Gruppenabteilungen zusammengehalten: der Gang, das Tempo, der Rhythmus der Gesten wird zweifellos durch die Kleidung wesentlich bestimmt, (-> 33) gleich gekleidete Menschen benehmen sich relativ gleichartig. 

Hier besteht noch eine besondere Verknüpfung. Der Mensch, der der Mode folgen kann und will, trägt öfters neue Kleider. 

Das neue Kleid aber bestimmt unsere Haltung mehr als das alte, das schließlich ganz in der Richtung unserer individuellen Gesten ausgearbeitet ist, einer jeden widerstandslos nachgibt und oft in kleinsten Besonderheiten unsere Innervationen sich verraten lässt. 

Dass wir uns in einem alten Gewande "behaglicher" fühlen als in einem neuen, bedeutet nichts anderes, als dass dieses uns sein eignes Formgesetz auferlegt, das mit längerem Tragen allmählich in das unserer Bewegungen übergeht.

Darum verleiht das neue Kleid seinen Trägern eine gewisse überindividuelle Gleichmäßigkeit der Haltung, die Prärogative, die das Kleid im Maße seiner Neuheit über die Individualität seines Trägers besitzt, lässt die streng modischen Menschen jeweils relativ uniformiert erscheinen. 

Für das neuzeitliche Leben mit seiner individualistischen Zersplitterung ist dieses Homogenitätsmoment der Mode besonders bedeutsam. 

Und auch darum wird die Mode bei den Naturvölkern geringer, d. h. stabiler sein, weil das Bedürfnis nach Neuheit der Eindrücke und Lebensformen, ganz abgesehen von ihrer sozialen Wirkung, bei ihnen ein sehr viel geringeres ist. 

Der Wechsel der Mode zeigt das Maß der Abstumpfbarkeit der Nervenreize an; je nervöser ein Zeitalter ist, desto rascher werden seine Moden wechseln, weil das Bedürfnis nach Unterschiedsreizen, einer der wesentlichen Träger aller Mode, mit der Erschlaffung der Nervenenergien Hand in Hand geht: Schon dies ist ein Grund, weshalb die höheren Stände den eigentlichen Sitz der Mode ausmachen. 

In bezug auf die rein sozialen Veranlassungen derselben geben zwei einander benachbarte primitive Völker sehr beweisende Beispiele für ihren Zweck der Zusammenschließung und Abschließung. 

Die Kaffern haben eine sehr reich gegliederte soziale Stufenordnung, und bei ihnen findet man, obgleich Kleider und Schmuck gewissen gesetzlichen Einschränkungen unterliegen, ein ziemlich rasches Wechseln der Mode; die Buschmänner dagegen, bei denen eine Klassenbildung überhaupt nicht stattgefunden hat, haben überhaupt keine Mode ausgebildet, d. h. es ist an ihnen, kein Interesse für (->34) den Wechsel von Kleidung und Schmuck festgestellt. 

Eben diese negativen Gründe haben gelegentlich auf den Höhen der Kultur, nun aber mit vollem Bewusstsein, die Ausbildung einer Mode verhindert 
In Florenz soll es um das Jahr 1390 deshalb keine herrschende Mode der männlichen Kleidung gegeben haben, weil jeder sich auf besondere Weise zu tragen suchte. 

Hier fehlt also das eine Moment, das Bedürfnis des Zusammenschlusses, ohne das es zu keiner Mode kommen kann. 

Andrerseits: die venezianischen Nobili, so wird berichtet, hätten keine Mode gehabt, da sie sich alle infolge eines Gesetzes schwarz zu kleiden hatten, um nicht die Kleinheit ihrer Zahl den unteren Massen gar zu anschaulich zu machen. Hier gab es also keine Mode, weil das andere konstitutive Element für sie fehlte, weil die Unterscheidung gegen die Tieferstehenden absichtlich vermieden wurde. 

Und außer diesem nach außen gerichteten negativen Moment sollte die Gleichheit der Kleidung - die ersichtlich nur bei dem invariablen Schwarz zu gewährleisten war - die innere Demokratie dieser aristokratischen Körperschaft symbolisieren: auch innerhalb ihrer sollte es durchaus nicht zu einer Mode kommen, die das Korrelat für die Ausbildung irgendwie differenter Schichten unter den Nobili gewesen wäre. 

Die Trauerkleidung, besonders die weibliche, gehört gleichfalls zu diesen Negationserscheinungen der Mode. Abschluss oder Hervorhebung und Zusammenschluss oder Gleichheit sind zwar auch hier vorhanden. 

Die Symbolik der schwarzen Kleider stellt den Trauernden abseits der bunten Bewegtheit der anderen Menschen, als gehörte er durch sein Verbundenbleiben mit dem Toten in einem gewissen Maße dem Reich des Nicht-Lebendigen an. Indem dies nun für alle Trauernden der Idee nach das gleiche ist, bilden sie in solcher Scheidung von der Welt der sozusagen vollkommen Lebendigen eine ideelle Gemeinschaft. 

Aber da diese nicht sozialer Natur ist - nur Gleichheit, nicht Einheit - so fehlt die Möglichkeit einer Mode. Es bestätigt den sozialen Charakter der Mode, dass sie, wo das Gewand zwar ihre Momente der Trennung und der Verbindung darbietet, der Mangel der sozialen Absicht gerade zu ihrem äusseren Gegenteil, nämlich zu der prinzipiellen Unveränderlichkeit der Trauerkleidung geführt hat. 

(-> 35) Das Wesen der Mode besteht darin, dass immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Wege zu ihr befindet. Sobald sie völlig durchgedrungen ist, d. h. sobald einmal dasjenige, was ursprünglich nur einige taten, wirklich von allen ausnahmslos geübt wird, wie es bei gewissen Elementen der Kleidung und der Umgangsformen der Fall ist, so bezeichnet man es nicht mehr als Mode.

Jedes Wachstum ihrer treibt sie ihrem Ende zu, weil eben dies die Unterschiedlichkeit aufhebt. Sie gehört damit dem Typus von Erscheinungen an, deren Intention auf immer schrankenlosere Verbreitung, immer vollkommenere Realisierung geht - aber mit der Erreichung dieses absoluten Zieles in Selbstwiderspruch und Vernichtung fallen würden. 

So schwebt der sittlichen Bestrebung ein Ziel der Heiligkeit und Unverführbarkeit vor, während alles eigentliche Verdienst der Sittlichkeit vielleicht nur in der Bemühung um dieses Ziel und dem Ringen gegen eine immer noch fühlbare Versuchung wohnt; so geschieht die wirtschaftliche Arbeit oft, um den Genuss von Ruhe und Muße als Dauerzustand zu gewinnen - nach dessen völliger Erreichung aber das Leben oft durch Leerheit und Erstarrung die ganze Bewegung auf ihn hin dementiert, so hört man über die sozialisierenden Tendenzen der Gesellschaftsordnung behaupten: sie seien so lange wertvoll, wie sie sich in einer sonst noch individualistischen Verfassung ausbreiteten, würden dagegen als restlos durchgeführter Sozialismus in Unsinn und Ruin umschlagen. 

Der allgemeinsten Formulierung dieses Typus untersteht auch die Mode. Ihr wohnt von vorn herein der Expansionstrieb inne, als sollte jede jeweilige die Gesamtheit einer Gruppe sich unterjochen; in dem Augenblicke aber, wo ihr dies gelänge, müsste sie als Mode an dem logischen Widerspruch gegen ihr eignes Wesen sterben, weil ihre durchgängige Verbreitung das Abscheidungsmoment in ihr aufhebt.

Dass in der gegenwärtigen Kultur die Mode ungeheuer überhand nimmt - in bisher fremde Provinzen einbrechend, in altbesessenen sich, d. h. das Tempo ihres Wechsels, unaufhörlich steigernd - ist nur die Verdichtung eines zeitpsychologischen Zuges. 

Unsere innere Rhythmik fordert immer kürzere Perioden im Wechsel von Eindrücken; oder, anders ausgedrückt: der Akzent (-> 36) der Reize rückt in steigendem Maß von ihrem -substanziellen Zentrum auf ihren Anfang und ihr Ende. 

Dies beginnt mit den geringfügigsten Symptomen, etwa dem immer ausgedehnteren Ersatz der Zigarre durch die Zigarette, es offenbart sich an der Reisesucht, die das Leben des Jahres möglichst in mehreren kurzen Perioden, mit den starken Akzentuierungen des Abschieds und der Ankunft, schwingen lässt. 

Das spezifisch "ungeduldige" Tempo des modernen Lebens besagt nicht nur die Sehnsucht nach raschem Wechsel der qualitativen Inhalte des Lebens, sondern die Stärke des formalen Reizes der Grenze, des Anfangs und Endes, Kommens und Gehens. 

Im kompendiösesten Sinne solcher Form hat die Mode durch ihr Spiel zwischen der Tendenz auf allgemeine Verbreitung und der Vernichtung ihres Sinnes, die diese Verbreitung gerade herbeiführt, den eigentümlichen Reiz der Grenze, den Reiz gleichzeitigen Anfanges und Endes, den Reiz der Neuheit und gleichzeitig den der Vergänglichkeit. 

Ihre Frage ist nicht Sein oder Nichtsein, sondern sie ist zugleich Sein und Nichtsein, sie steht immer auf der Wasserscheide von Vergangenheit und Zukunft und gibt uns so, solange sie auf ihrer Höhe ist, ein so starkes Gegenwartsgefühl, wie wenige andre Erscheinungen. 

Wenn in der jeweiligen Aufgipfelung des sozialen Bewusstseins auf den Punkt, den sie bezeichnet, auch schon ihr Todeskeim liegt, ihre Bestimmung zum Abgelöst-werden, so deklassiert diese Vergänglichkeit sie im ganzen nicht, sondern fügt ihren Reizen einen neuen hinzu. 

Wenigstens nur dann erfährt ein Gegenstand durch seine Bezeichnung als "Modesache" eine Abwürdigung, wenn man ihn aus anderen, sachlichen Gründen perhorresziert und herabzusetzen wünscht, so dass dann freilich die Mode zum Wertbegriff wird. 

Irgend etwas sonst in gleicher Weise Neues und plötzlich Verbreitetes in der Praxis des Lebens wird man nicht als Mode bezeichnen, wenn man an seinen Weiterbestand und seine sachliche Begründetheit glaubt; nur der wird es so nennen, der von einem ebenso schnellen Verschwinden jener Erscheinung, wie ihr Kommen war, überzeugt ist. 

Deshalb gehört zu den Gründen, aus denen die Mode heute so stark das Bewusstsein beherrscht, auch der, dass die großen, dauernden, unfraglichen Überzeugungen mehr und mehr an Kraft (-> 37) verlieren. 

Die flüchtigen und veränderlichen Elemente des Lebens gewinnen dadurch um so mehr Spielraum. Der Bruch mit der Vergangenheit, den zu vollziehen die Kulturmenschheit seit mehr als hundert Jahren sich unablässig bemüht, spitzt das Bewusstsein mehr und mehr auf die Gegenwart zu. 

Diese Betonung der Gegenwart ist ersichtlich zugleich Betonung des Wechsels, und in demselben Maße, in dem ein Stand Träger der bezeichneten Kulturtendenz ist, in demselben Maße wird er sich der Mode auf allen Gebieten, keineswegs etwa nur auf dem der Kleidung, zuwenden.

Aus jener Tatsache nun, dass die Mode als solche eben noch nicht allgemein verbreitet sein kann, quillt für den Einzelnen die Befriedigung, dass sie an ihm immerhin noch etwas Besonderes und Auffälliges darstellt, während er doch zugleich innerlich sich nicht nur von einer Gesamtheit getragen fühlt, die das Gleiche tut, sondern außerdem auch noch von einer, die nach dem Gleichen strebt. 

Deshalb ist die Gesinnung, der der Modische begegnet, eine offenbar wohltuende Mischung von Billigung und Neid. Man beneidet den Modischen als Individuum, man billigt ihn als Gattungswesen. 

Aber auch jener Neid selbst hat hier eine besondere Färbung. Es gibt eine Nuance des Neides, die eine Art ideellen Anteilhabens an den beneideten Gegenständen einschließt. 

Das Verhalten der Proletarier, wenn sie einen Blick in die Feste der Reichen tun können, ist hierfür ein lehrreiches Beispiel, die Basis solchen Verhaltens ist, dass hier ein angeschauter Inhalt rein als solcher lustvoll wirkt, gelöst von seiner, an das subjektive Haben gebundenen Wirklichkeit - irgendwie dem Kunstwerk vergleichbar, dessen Glücksertrag auch nicht davon abhängt, wer es besitzt. 

Dass solche Trennung des reinen Inhaltes der Dinge von der Besitzfrage überhaupt geschehen kann (entsprechend der Fähigkeit des Erkennens, den Inhalt der Dinge von ihrem Sein zu trennen), dadurch wird jenes Anteilhaben möglich, das der Neid verwirklicht. 

Und vielleicht ist dies nicht einmal eine, besondere Nuance des Neides, sondern lebt als Element überall, wo er vorkommt. 

Indem man einen Gegenstand oder einen Menschen beneidet, ist man schon nicht mehr absolut von ihm ausgeschlossen, man hat irgendeine Beziehung zu jenem (->38) gewonnen, zwischen beiden besteht nun der gleiche seelische Inhalt, wenngleich in ganz verschiedenen Kategorien und Gefühlsformen. Zu dem, was man beneidet, ist man zugleich näher und ferner als zu demjenigen Gut, dessen Nicht-Besitz uns gleichgültig lässt. Durch den Neid wird gleichsam die Distanz messbar, was immer zugleich Entferntheit und Nähe bedeutet - das Gleichgültige steht jenseits dieses Gegensatzes. 

Damit kann der Neid ein leises Sich-Bemächtigen des beneideten Gegenstandes enthalten (wie ein solches, auch das Glück der unglücklichen Liebe ist) und damit eine Art Gegengift, das manchmal die schlimmsten Ausartungen des Neidgefühles verhindert. 

Und gerade die Inhalte der Mode bieten sich, weil sie nicht, wie viele andere Seeleninhalte, irgend jemandem absolut versagt sind, weil eine nie ganz ausgeschlossene Wendung der Geschicke sie auch dem gewähren kann, der vorläufig nur auf das Beneiden ihrer angewiesen ist, ganz besonders die Chance für diese versöhnlichere Färbung des Neides.

Aus dem gleichen Grundgefüge ergibt sich, dass die Mode der eigentliche Tummelplatz für Individuen ist, welche innerlich unselbständig und anlehnungsbedürftig sind, deren Selbstgefühl aber doch zugleich einer gewissen Auszeichnung, Aufmerksamkeit, Besonderung bedarf. 

Es ist schließlich dieselbe Konstellation, aus der diejenigen, von Allen nachgesprochenen Banalitäten das größte Glück machen, deren Nachsprechen jedem dennoch das Gefühl gibt, eine ganz besondere, ihn über die Masse erhebende Klugheit zu äußern - also die Banalitäten kritischer, pessimistischer, paradoxer Art. 

Die Mode erhebt den Unbedeutenden dadurch, dass sie ihn zum Repräsentanten einer Gesamtheit, zur besonderen Verkörperung eines Gesamtgeistes macht. 

Ihr ist es eigen - weil sie ihrem Begriffe nach nur eine niemals von Allen erfüllte Norm sein kann -, dass sie einen sozialen Gehorsam ermöglicht, der zugleich individuelle Differenzierung ist. 

In dem Modenarren erscheinen die gesellschaftlichen Forderungen der Mode auf eine Höhe gesteigert, auf der sie völlig den Anschein des Individualistischen und Besonderen annehmen. 

Ihn bezeichnet es, dass er die Tendenz der Mode über das sonst innegehaltene Maß hinaustreibt: wenn spitze Schuhe Mode sind, lässt er die seinigen in Lanzenspitzen münden, wenn hohe Kragen (-> 39) Mode sind, trägt er sie bis zu den Ohren, wenn es Mode ist, wissenschaftliche Vorträge zu hören, so ist er überhaupt nirgends anders mehr zu finden usw. 

So stellt er ein ganz Individuelles vor, das in der quantitativen Steigerung solcher Elemente besteht, die ihrer Qualität nach eben Gemeingut des betreffenden Kreises sind. Er geht den andern voran - aber genau auf ihrem Wege. 

Indem es die letzterreichten Spitzen des öffentlichen Geschmackes sind, die er darstellt, scheint er an der Tête der Gesamtheit zu marschieren. In Wirklichkeit aber gilt von ihm, was unzählige Male für das Verhältnis zwischen Einzelnen und Gruppen gilt: dass der Führende im Grunde der Geführte ist. 

Demokratische Zeiten begünstigen ersichtlich ganz besonders stark diese Konstellation, so dass sogar Bismarck und sonstige hervorragende Parteiführer konstitutioneller Staaten betont haben,. dass sie, weil sie die Führer einer Gruppe sind, ihr folgen müssen. 

Die Aufgeblasenheit des Modenarren ist so die Karikatur einer durch die Demokratie begünstigten Konstellation des Verhältnisses zwischen dem Einzelnen und der Gesamtheit. 

Unleugbar aber repräsentiert der Modeheld durch die auf rein quantitativem Wege gewonnene und sich in eine Differenz der Qualität verkleidende Auszeichnung ein wirklich originelles Gleichgewichtsverhältnis zwischen dem sozialen und dem individualisierenden Triebe. 

Aus diesem Grunde verstehen wir die äußerlich so abstruse Modetorheit mancher sonst durchaus intelligenter und unkleinlicher Persönlichkeiten. Sie gibt ihnen eine Kombination von Verhältnissen zu Dingen und Menschen, die sonst gesonderter aufzutreten pflegen. 

Es ist nicht nur die Mischung individueller Besonderheit und sozialer Gleichheit, sondern, sozusagen praktischer werdend, ist es die von Herrschergefühl und Unterworfenheit, die hier ihre Wirkungen übt, oder, etwas anders gewendet, eines männlichen und eines weiblichen Prinzips; und gerade dass dies auf den Gebieten der Mode nur wie in einer ideellen Verdünnung vor sich geht, dass gleichsam nur die Form von beiden an einem an sich gleichgültigen Inhalt sich verwirklicht, mag ihr besonders für sensible, mit der robusten Wirklichkeit sich nicht leicht befassende Naturen eine besondere Anziehungskraft verleihen. 

Die Lebensform gemäß der Mode gewinnt ihren Charakter (-> 40) in dem Vernichten je eines früheren Inhaltes und besitzt eine eigentümliche Einheitlichkeit, in der die Befriedigung, des Zerstörungstriebes und des Triebes zu positiven Inhalten nicht mehr voneinander zu trennen sind.

Weil es sich hier nicht um die Bedeutsamkeit eines einzelnen Inhaltes oder einer Einzelbefriedigung, sondern gerade um das Spiel zwischen beiden und ihr gegenseitiges Sichabheben handelt, kann man ersichtlich die gleiche Kombination, die der extreme Gehorsam der Mode gegenüber erreicht, auch gerade durch Opposition ihr gegenüber gewinnen. 

Wer sich bewusst unmodern trägt oder benimmt, erreicht das damit verbundene Individualisierungsgefühl nicht eigentlich durch eigene individuelle Qualifikation, sondern durch blosse Negation des sozialen Beispiels: wenn Modernität Nachahmung dieses letzteren ist, so ist die absichtliche Unmodernität seine Nachahmung mit umgekehrtem Vorzeichen, die aber darum nicht weniger Zeugnis von der Macht der sozialen Tendenz ablegt, die uns in irgendeiner positiven oder negativen Weise von sich abhängig macht. 

Der absichtlich Unmoderne nimmt genau den Inhalt wie der Modenarr auf, nur dass er ihn in eine andere Kategorie formt, jener in die der Steigerung, dieser in die der Verneinung. 

Es kann sogar in ganzen Kreisen innerhalb einer ausgedehnten Gesellschaft Mode werden, sich unmodern zu tragen - eine der merkwürdigsten sozialpsychologischen Komplikationen, in der der Trieb nach individueller Auszeichnung sich erstens mit einer blossen Umkehrung der sozialen Nachahmung begnügt und zweitens seinerseits wieder seine Stärke aus der Anlehnung an einen gleich charakterisierten engeren Kreis zieht; wenn sich ein Verein der Vereinsgegner konstituierte, würde er nicht logisch unmöglicher und psychologisch Möglicher sein als diese Erscheinung. 

Wie man aus dem Atheismus eine Religion gemacht hat, mit ganz demselben Fanatismus, derselben Intoleranz, derselben Befriedigung der Gemütsbedürfnisse, wie die Religion sie enthielt, wie die Freiheit, durch die eine Tyrannei gebrochen wurde, oft nicht weniger tyrannisch und vergewaltigend auftrat als ihr überwundener Feind, so zeigt jene Erscheinung tendenziöser Unmodernität, wie bereit, die Grundformen des menschlichen Wesens sind, die völlige (-> 41) Entgegengesetztheit von Inhalten in sich aufzunehmen und ihre Kraft und ihren Reiz an der Verneinung eben dessen zu zeigen, an dessen Bejahung sie soeben noch unwiderruflich geknüpft schienen. 

Für die Werte, die von den hier fraglichen Charakteren gesucht werden, kommt es ja nur darauf an, - dasselbe zu sein und zu tun wie die Andern und zugleich etwas Anderes - eine Synthese, die sich am leichtesten durch eine der vielfach möglichen formalen Veränderungen des allgemein rezipierten Inhalts erreichen lässt. 

So ist es oft völlig unentwirrbar, ob die Momente persönlicher Stärke oder persönlicher Schwäche das Übergewicht in dem Ursachenkomplex solcher Unmodernität haben. 

Sie kann hervorgehen aus dem Bedürfnis, sich nicht mit der Menge gemein zu machen, ein Bedürfnis, das freilich nicht Unabhängigkeit von der Menge, aber immerhin eine innerlich souveräne Stellung ihr gegenüber zum Grunde hat; sie kann aber auch zu einer schwächlichen Sensibilität gehören, wenn das Individuum fürchtet, sein bisschen Individualität nicht bewahren zu können, falls es sich den Formen, dem Geschmacke, den Gesetzlichkeiten der Allgemeinheit fügt. 

Die Opposition gegen die letztere ist keineswegs immer ein Zeichen persönlicher Stärke, diese vielmehr wird sich ihres einzigartigen und durch keine äussere Konnivenz zerstörbaren Wertes so bewusst sein, dass sie sich nicht nur ohne Besorgnis den allgemeinen Formen bis zur Mode herunter fügt, sondern gerade an diesem Gehorsam sich der Freiwilligkeit ihres Gehorsams und dessen, was jenseits des Gehorsams steht, erst recht bewusst wird.

Wenn die Mode den Egalisierungs- und den Individualisierungstrieb, den Reiz der Nachahmung und den der Auszeichnung zugleich zum Ausdruck bringt und betont, so erklärt dies vielleicht, weshalb die Frauen im allgemeinen der Mode besonders stark anhängen.

Aus der Schwäche der sozialen Position nämlich, zu der die Frauen den weit überwiegenden Teil der Geschichte hindurch verurteilt waren, ergibt sich ihre enge Beziehung zu allem, was "Sitte" ist, zu dem, "was sich ziemt", zu der allgemein gültigen und gebilligten Daseinsform. 

Denn der Schwache vermeidet die Individualisierung, das praktische Auf-sich-ruhen mit seinen Verantwortlichkeiten und seiner Notwendigkeit, (-> 42) sich ganz allein mit eigenen Kräften zu verteidigen. 

Ihm gewährt gerade nur die typische Lebensform Schutz, die den Starken an der Ausnutzung seiner überragenden Kräfte hindert.

Auf diesem festgehaltenen Boden der Sitte aber, des Durchschnittlichen, des allgemeinen Niveaus streben die Frauen nun stark zu der auch so noch möglichen relativen Individualisierung und Auszeichnung der Einzelpersönlichkeit. 

Die Mode bietet ihnen gerade diese Kombination aufs glücklichste: einerseits ein Gebiet allgemeiner Nachahmung, ein Schwimmen im breitesten sozialen Fahrwasser, eine Entlastung des Individuums von der Verantwortlichkeit für seinen Geschmack und sein Tun - andererseits doch eine Auszeichnung, eine Betonung, eine individuelle Geschmücktheit der Persönlichkeit.

Es scheint, dass für jede Klasse von Menschen, ja wahrscheinlich für jedes Individuum ein bestimmtes quantitatives Verhältnis zwischen dem Triebe zur Individualisierung und dem zum Untertauchen in die Kollektivität bestünde, so dass, wenn auf einem bestimmten Lebensgebiete das Ausleben des einen Triebes behindert ist, er sich ein anderes sucht, auf dem er nun das Mass, dessen er bedarf, erfüllt. 

Auch geschichtliche Tatsachen legen es nahe, die Mode gleichsam als das Ventil anzusehen, auf dem das Bedürfnis der Frauen nach irgendeinem Mass von Auszeichnung und persönlicher Hervorgehobenheit ausbricht, wenn ihnen dessen Befriedigung auf anderen Gebieten mehr versagt ist. 

Im 14- und 15- Jahrhundert zeigt Deutschland eine ausserordentlich starke Entwicklung der Individualität. 

Die kollektivistischen Ordnungen des Mittelalters wurden durch die Freiheit der Einzelpersönlichkeit in hohem Masse durchbrochen. 

Innerhalb dieser individualistischen Entwicklung aber fanden die Frauen noch keinen Platz, ihnen wurde noch die Freiheit persönlicher Bewegung und Entfaltung vorenthalten. 

Sie entschädigten sich dafür durch die denkbar extravagantesten und hypertrophischsten Kleidermoden. 

Umgekehrt sehen wir, dass in Italien die gleiche Epoche den Frauen den Spielraum für individuelle Entwicklung gewährt. 

Die Frauen der Renaissance hatten so viele Möglichkeiten der Bildung, der Betätigung nach aussen hin, der persönlichen Differenzierung, wie sie ihnen dann (-> 43) wieder fast Jahrhunderte hindurch nicht gegönnt waren, die Erziehung und die Bewegungsfreiheit waren besonders in den höheren Schichten der Gesellschaft für beide Geschlechter fast die gleiche. 

Aber nun wird auch aus Italien von keinerlei besonderen Extravaganzen der weiblichen Mode aus dieser Zeit berichtet.

Das Bedürfnis, sich auf diesem Gebiete individuell zu bewähren und eine Art von Ausgezeichnetheit zu gewinnen, bleibt aus, weil der hierin sich äussernde Trieb auf anderen Gebieten seine hinreichende Befriedigung gefunden hat.

Im allgemeinen zeigt die Geschichte der Frauen in ihrem äusseren wie inneren Leben, in dem Individuum ebenso wie in ihrer Gesamtheit eine vergleichsweise so grosse Einheitlichkeit, Nivellement, Gleichmässigkeit, dass sie wenigstens auf dem Gebiete der Moden, das das der Abwechslungen schlechthin ist, einer lebhafteren Betätigung bedürfen, um sich und ihrem Leben - sowohl für das eigene Gefühl wie für andere - einen Reiz hinzuzufügen.

Wie zwischen Individualisierung und Kollektivierung, so besteht zwischen Gleichmässigkeit und Abwechslung der Lebensinhalte eine bestimmte Proportion der Bedürfnisse, die auf den verschiedenen Gebieten hin- und hergeschoben wird, die die Versagtheit auf dem einen durch eine irgendwie erzwungene Gewährung auf dem andern auszugleichen sucht.

Im ganzen wird man sagen können, dass die Frau, mit dem Manne verglichen, das treuere Wesen ist; eben die Treue, die die Gleichmässigkeit und Einheitlichkeit des Wesens nach der Seite des Gemütes hin ausdrückt, verlangt doch eben um jener Balancierung der Lebenstendenzen willen irgendeine lebhaftere Abwechslung auf mehr abseits gelegenen Gebieten.

Der Mann umgekehrt, der seiner Natur nach untreuer ist, der die Bindung an das einmal eingegangene Gemütsverhältnis typischerweise nicht mit derselben Unbedingtheit und Konzentrierung aller Lebensinteressen auf dieses eine zu bewahren pflegt, wird infolgedessen weniger jener äusseren Abwechslungsform bedürfen. 

Ja, das Abweisen der Veränderungen auf äusseren Gebieten, die Gleichgültigkeit gegen die Moden der äusseren Erscheinung ist spezifisch männlich - nicht weil er das einheitlichere, sondern gerade weil er im Grunde das vielfältigere Wesen ist und deshalb jener äusseren Abwechslungen (->44) eher entraten mag.

Darum betont die emanzipierte Frau der Gegenwart, die sich dem männlichen Wesen, seiner Differenziertheit, Personalität, Bewegtheit anzunähern sucht, auch gerade ihre Gleichgültigkeit gegen die Mode.

Auch bildete die Mode für die Frauen in gewissem Sinne einen Ersatz für die Stellung innerhalb eines Berufsstandes.

Der Mann, der in einen solchen hineingewachsen ist, hat sich damit freilich in einen Kreis relativen Nivellements begeben, er ist innerhalb dieses Standes vielen anderen gleich, er ist vielfach nur ein Exemplar für den Begriff dieses Standes oder Berufes.

Andrerseits und wie zur Entschädigung hierfür ist er doch nun auch mit der ganzen Bedeutung, mit der sachlichen wie sozialen Kraft dieses Standes geschmückt, seiner individuellen Bedeutung wird die seiner Standeszugehörigkeit hinzugefügt, die oft die Mängel und Unzulänglichkeiten des rein persönlichen Daseins decken kann.

Eben dies nun leistet an so ganz anderen Inhalten die Mode, auch sie ergänzt die Unbedeutendheit der Person, ihre Unfähigkeit, rein aus sich heraus die Existenz zu individualisieren, durch die Zugehörigkeit zu einem durch eben die Mode charakterisierten, herausgehobenen, für das öffentliche Bewusstsein irgendwie zusammengehörigen Kreis. 

Auch hier wird freilich die Persönlichkeit als solche in ein allgemeines Schema eingefügt, allein dieses Schema selbst hat in sozialer Hinsicht eine individuelle Färbung und ersetzt so auf dem sozialen Umwege gerade das, was der Persönlichkeit auf rein individuellem Wege zu erreichen versagt ist.

Dass die Demi-Monde vielfach die Bahnbrecherin für die neue Mode ist, liegt an ihrer eigentümlich entwurzelten Lebensform; das Pariadasein, das die Gesellschaft ihr anweist, erzeugt in ihr einen offenen oder latenten Hass gegen alles bereits Legalisierte, gefestigt Bestehende, einen Hass, der in dem Drängen auf immer neue Erscheinungsformen seinen noch relativ unschuldigsten Ausdruck findet; in dem fortwährenden Streben nach neuen, bisher unerhörten Moden, in der Rücksichtslosigkeit, mit der gerade die der bisherigen entgegengesetzteste leidenschaftlich ergriffen wird, liegt eine ästhetische Form des Zerstörungstriebes, der allen Pariaexistenzen, soweit sie nicht innerlich völlig versklavt sind, eigen zu sein, scheint. - (-> 45) Versuchen wir nun die mit alledem markierten Direktiven der Seele in letzte und subtilste Bewegtheiten ihrer zu verfolgen, so zeigen auch diese jenes antagonistische Spiel vitaler Prinzipien, das deren stets verschobenes Gleichgewicht durch stets neue Proportionen wiederzugewinnen sucht. 

Es ist der Mode zwar wesentlich, dass sie alle Individualitäten über einen Kamm schert; allein doch immer so, dass sie nie den ganzen Menschen ergreift, sie bleibt ihm doch immer etwas Äusserliches, und zwar selbst auf den Gebieten jenseits blosser Kleidemoden; denn die Form der Veränderlichkeit, in der sie sich ihm bietet, ist doch unter allen Umständen ein Gegensatz gegen die Beständigkeit des Ichgefühles, ja dieses letztere muss gerade an diesem Gegensatz sich seiner relativen Dauer bewusst werden; nur an diesem Dauernden kann die Veränderlichkeit jener Inhalte sich überhaupt als Veränderlichkeit zeigen und ihren Reiz entfalten. 

Aber eben deshalb steht sie, wie gesagt, doch immer an der Peripherie der Persönlichkeit, die sich selbst ihr gegenüber als pièce de résistance empfindet oder wenigstens im Notfall empfinden kann. 

Diese Bedeutung der Mode nun ist es, die gerade von feinen und eigenartigen Menschen aufgenommen wird, indem sie sie als eine Art Maske benutzen. 

Der blinde Gehorsam gegen die Normen der Allgemeinheit in allem Äusserlichen ist ihnen gerade das bewusste und gewollte Mittel, ihr persönliches Empfinden und ihren Geschmack zu reservieren, den sie eben wirklich ganz für sich haben wollen, so für sich, dass sie ihn nicht in die Erscheinung treten lassen wollen, die allen zugänglich wäre. 

So ist es gerade eine feine Scham und Scheu, durch die Besonderkeit des äusseren Auftretens vielleicht eine Besonderheit des innerlichsten Wesens zu verraten, was manche Naturen in das verhüllende Nivellement der Mode flüchten lässt. 

Damit ist ein Triumph der Seele über die Gegebenheit des Daseins erreicht, der wenigstens der Form nach zu den höchsten und feinsten gehört: dass nämlich der Feind selbst in einen Diener verwandelt wird, dass gerade dasjenige, was die Persönlichkeit zu vergewaltigen schien, freiwillig ergriffen wird, weil die nivellierende Vergewaltigung hier derartig auf die äusseren Schichten des Lebens zu schieben ist, dass sie einen Schleier und Schutz für alles Innere und nun um so Befreitere (-> 46) abgibt.

Der Kampf zwischen dem Sozialen und dem Individuellen schlichtet sich hier, indem die Schichten für beides sich trennen.

Dies entspricht genau der Trivialität der Äusserung und Unterhaltung, durch die sehr sensible und schamhafte Menschen oft über die individuelle Seele hinter dieser Äusserung zu täuschen wissen.

Alles Schamgefühl beruht auf dem Sich-abheben des Einzelnen. 

Es entsteht, wenn eine Betonung des Ich stattfindet, eine Zuspitzung des Bewusstseins eines Kreises auf diese Persönlichkeit, die doch zugleich als irgendwie unangemessen empfunden wird; darum neigen bescheidene und schwache Persönlichkeiten besonders stark zu Schamgefühlen, bei ihnen tritt, sobald sie irgendwie in das Zentrum einer allgemeinen Aufmerksamkeit, zu einer plötzlichen Akzentuiertheit gelangen, ein peinliches Oszillieren zwischen Betonung und Zurücktreten des Ichgefühles ein.

(Die rein innere Scham über solches, was nie zu sozialer Dokumentierung gelangt, oder die überhaupt jenseits der eigentlich soziologischen Scham steht, verrät, durch nicht schwer einzusehende seelische Motivierungen und Symbolisierungen, die formal gleiche Grundstruktur.) 

Da im übrigen jenes Sich-abheben von einer Allgemeinheit als die Quelle des Schamgefühls von dem besonderen Inhalte ganz unabhängig ist, auf Grund dessen es geschieht, so schämt man sich vielfach auch gerade des Besseren und Edleren. 

Wenn in der "Gesellschaft" im engeren Sinne des Wortes Banalität guter Ton ist, so ist dies nicht nur die Folge gegenseitiger Rücksicht, die es taktlos erscheinen lässt, wenn der eine sich mit irgendeiner individuellen, einzigartigen Äusserung hervortut, die ihm nicht jeder nachmachen kann; sondern es geschieht auch durch die Furcht vor jenem Schamgefühl, das gleichsam die von dem Individuum selbst vollzogene Strafe für sein Sich-herausheben aus dem für alle gleichen, allen gleich zugänglichen Ton und Betätigung bildet. 

Die Mode nun bietet wegen ihrer eigentümlichen inneren Struktur ein Sich- abheben, das immer als angemessen empfunden wird. 

Die noch so extravagante Erscheinungs- oder Äusserungsart ist, insoweit sie Mode ist, vor jenen peinlichen Reflexen geschützt, die das Individuum sonst fühlt, wenn es der Gegenstand der Aufmerksamkeit (->47) anderer ist. 

Alle Massenaktionen. werden durch den Verlust des Schamgefühls charakterisiert. Als Element einer Masse macht das Individuum Unzähliges mit, was ihm, wenn es ihm in der Isolierung zugemutet würde, unüberwindliche Widerstände erwecken würde. 

Es ist eine der merkwürdigsten sozialpsychologischen Erscheinungen, in der sich eben dieser Charakter der Massenaktion zeigt, dass manche Moden Schamlosigkeiten begehen, die als individuelle Zumutung von dem Individuum entrüstet. zurückgewiesen werden würden, aber als Gesetz der Mode bei ihm ohne weiteres Gehorsam finden. 

Das Schamgefühl ist bei ihr, weil sie eben Massenaktion ist, gerade so ausgelöscht wie das Verantwortlichkeitsgefühl bei den Teilnehmern von Massenverbrechen, vor denen der einzelne oft genug, für sich allein vor die Tat gestellt, zurückschrecken würde. 

Sobald das Individuelle der Situation gegenüber ihrem Gesellschaftlich - Modemässigen stärker hervortritt, beginnt sogleich das Schamgefühl zu wirken: viele Frauen würden sich genieren, in ihrem Wohnzimmer und vor einem einzelnen fremden Manne so dekolletiert zu erscheinen, wie sie es in der Gesellschaft, in der als solcher die Mode dominiert, vor dreissigen oder hundert tun.

Die Mode ist auch nur eine der Formen, durch die die Menschen, indem sie das Äussere der Versklavung durch die Allgemeinheit preisgeben, die innere Freiheit um so vollständiger retten wollen. 

Auch Freiheit und Bindung gehört zu jenen Gegensatzpaaren, deren immer erneuter Kampf, deren Hin- und Herschiebung auf den mannigfaltigsten Gebieten dem Leben einen viel frischeren Reiz, eine viel grössere Weite und Entfaltung gestattet, als ein irgendwie gewonnenes dauerndes und nicht mehr verrückbares Gleichgewicht beider gewähren könnte. 

Wie nach Schopenhauer jedem Menschen ein gewisses Quantum von Lust und Leid zugemessen ist, das weder leer bleiben noch überfüllt werden kann und in aller Verschiedenheit und Schwankung innerer und äusserer Verhältnisse nur seine Form wechselt, so könnte man, viel weniger mystisch, entweder eine wirklich dauernde Proportion von Bindung und Freiheit oder wenigstens die Sehnsucht nach einer solchen in jeder Zeit, jeder Klasse, jedem Individuum bemerken, dem gegenüber uns nur die Möglichkeit gegeben ist, (->48) die Gebiete zu wechseln, auf die sie sich verteilen. 

Und die Aufgabe des höheren Lebens ist freilich, diese Verteilung so vorzunehmen, dass die sonstigen, inhaltlichen Werte des Daseins dabei die Möglichkeit günstigster Entfaltung gewinnen. 

Dasselbe Quantum von Bindung und Freiheit kann einmal die sittlichen, die intellektuellen, die ästhetischen Werte aufs höchste steigern helfen und ein andermal, quantitativ ungeändert und nur auf andere Gebiete verteilt, das genaue Gegenteil dieses Erfolges zeitigen. 

Im ganzen wird man sagen können, dass das günstigste Resultat für den Gesamtwert des Lebens sich dann ergeben wird, wenn die unvermeidliche Bindung mehr und mehr an die Peripherie des Lebens, auf seine Äusserlichkeiten geschoben wird. 

Vielleicht ist Goethe in seiner späteren Epoche das leuchtendste Beispiel eines ganz grossen Lebens, das durch die Konnivenz in allem Äusseren, durch die strenge Einhaltung der Form, durch ein williges Sichbeugen unter die Konventionen der Gesellschaft gerade ein Maximum von innerer Freiheit, eine völlige Unberührtheit der Zentren des Lebens durch das unvermeidliche Bindungsquantum erreicht hat. 

Insofern ist die Mode, weil sie eben nur, ,dem Rechte vergleichbar, das Äusserliche des Lebens ergreift, nur diejenigen Seiten, die der Gesellschaft zugewandt sind - eine Sozialform von bewunderungswürdiger Zweckmässigkeit. 

Sie gibt dem Menschen ein Schema, durch das er seine Bindung an das Allgemeine, seinen Gehorsam gegen die Normen, die ihm von seiner Zeit, seinem Stande, seinem engeren Kreise kommen, aufs unzweideutigste dokumentieren kann, und mit dem er es sich so erkauft, die Freiheit, die das Leben überhaupt gewährt, mehr und mehr auf seine Innerlichkeiten und Wesentlichkeiten rückwärts konzentrieren zu dürfen.

Es finden sich nun innerhalb der Einzelseele jene Verhältnisse von egalisierender Vereinheitlichung und individuellem Sich-abheben gewissermassen wiederholt, der Antagonismus der Tendenzen, der die Mode erzeugt, überträgt sich in einer völlig formgleichen Art auch auf diejenigen inneren Verhältnisse mancher Individuen, die mit sozialen Bindungen gar nichts zu tun haben. 

Es zeigt sich an der Erscheinung, die ich hier meine, jener oft hervorgehobene Parallelismus, mit dem die Verhältnisse zwischen (->49) Individuen sich an den Beziehungen der seelischen Elemente des Individuums wiederholen. 

Mit mehr oder weniger Absicht schafft sich oft das Individuum für sich selbst ein Benehmen, einen Stil, der sich durch den Rhythmus seines Auftauchens, Sich-geltend-machens und Abtretens als Mode charakterisiert. - Namentlich junge Menschen zeigen oft eine plötzliche Wunderlichkeit in ihrer Art, sich zu geben, ein unvermutet, sachlich unbegründet, auftretendes Interesse, das ihren ganzen Bewusstseinskreis beherrscht und ebenso irrational wieder verschwindet. 

Man könnte dies als eine Personalmode bezeichnen, die einen Grenzfall der Sozialmode bildet. 

Sie wird einerseits durch das individuelle Unterscheidungsbedürfnis getragen und dokumentiert damit denselben Trieb, der auch an der Sozialmode wirksam wird. 

Das Bedürfnis aber der Nachahmung, der Gleichartigkeit, der Einschmelzung des Einzelnen in ein Allgemeines wird hier rein innerhalb des Individuums selbst befriedigt, nämlich durch die Konzentration des eigenen Bewusstseins auf diese eine Form oder Inhalt, durch die einheitliche Färbung, die das eigene Wesen dadurch erhält, durch die Nachahmung seiner selbst gleichsam, die hier an die Stelle der Nachahmung anderer tritt. 

Ein gewisses Zwischenstadium zwischen Individual- und Personalmode wird innerhalb mancher engerer Kreise verwirklicht.

Banale Menschen adoptieren oft irgendeinen Ausdruck - und zwar meistens viele desselben Kreises eben denselben - den sie nun auf alle passenden und unpassenden Objekte bei jeder Gelegenheit anwenden. 

Dies ist einerseits Gruppenmode, ist andererseits aber doch auch Individualmode, weil der Sinn davon gerade ist, dass der Einzelne die Gesamtheit seines Vorstellungskreises dieser Formel untertänig macht. 

Es wird hiermit der Individualität der Dinge brutale Gewalt angetan, alle Nuancierungen werden verwischt durch die eigentümliche Übermacht dieser einen Bezeichnungskategorie; so, wenn man z. -B. alle aus irgendeinem Motive gefallenden Dinge als "chic' oder als "schneidig" bezeichnet, Dinge, die von dem Gebiete, auf dem jene Ausdrücke ein Heimatrecht haben, aufs weiteste abstehen. 

Auf diese Weise wird die innere Welt des Individuums einer Mode unterworfen und wiederholt so die Form der von der Mode beherrschten (-> 50) Gruppe. 

Und dies gerade auch durch die sachliche Sinnlosigkeit solcher Individualmoden, die die Macht des formalen, unifizierenden Momentes über das sachlich-vernunftmässige zeigen - gerade wie es für so viele Menschen und Kreise nur erforderlich ist, dass sie überhaupt einheitlich beherrscht werden, und die Frage, wie qualifiziert oder wertvoll die Herrschaft ist, erst eine sekundäre Rolle spielt. 

Es ist nicht zu leugnen: indem den Dingen durch jene Bezeichnungsmoden Gewalt angetan wird, indem sie alle gleichmässig in eine von uns an sie herangebrachte Kategorie eingekleidet werden, übt das Individuum einen Machtspruch über sie, es gewinnt ein individuelles Kraftgefühl, eine Betonung des Ich ihnen gegenüber.

Die Erscheinung, die hier als Karikatur auftritt, ist in geringeren Massen allenthalben in dem Verhältnis der Menschen zu den Objekten bemerkbar. 

Es sind nur die ganz hohen Menschen, die die grösste Tiefe und Kraft ihres Ich gerade darin finden, dass sie die eigene Individualität der Dinge respektieren. 

Aus der Feindseligkeit, die die Seele gegenüber der Übermacht, Selbständigkeit, Gleichgültigkeit des Kosmos empfindet, quellen doch neben den erhabensten und wertvollsten Kraftaufwendungen der Menschheit immer wieder die Versuche gleichsam einer äusserlichen Vergewaltigung der Dinge; das Ich setzt sich ihnen gegenüber durch, nicht indem es ihre Kräfte aufnimmt und formt, nicht indem es ihre Individualität erst anerkennt, um sie dann sich dienstbar zu machen, sondern indem es sie äusserlich unter irgendein subjektives Schema beugt, wodurch es denn freilich im letzten Grunde keine Herrschaft über die Dinge, sondern nur über sein eigenes, gefälschtes Phantasiebild ihrer gewonnen hat. 

Aber das Machtgefühl, das daraus stammt, zeigt seine Unbegründetheit, seinen Illusionismus an der Schnelligkeit, mit der derartige Modeausdrücke vorübergehen.

Es hat sich uns ergeben, dass in der Mode sozusagen die verschiedenen Dimensionen des Lebens ein eigenartiges Zusammenfallen gewinnen, dass sie ein komplexes Gebilde ist, in dem alle gegensätzlichen Hauptrichtungen der Seele irgendwie vertreten sind. 

Dadurch wird ohne weiteres begreiflich, dass der (-> 51) Gesamterhythmus, in dem die Individuen und die Gruppen sich bewegen, auch auf ihr Verhältnis zur Mode bestimmend einwirken wird, dass die verschiedenen Schichten einer Gruppe, ganz abgesehen von ihren verschiedenen Lebensinhalten und äusseren Möglichkeiten, schon rein dadurch eine verschiedene Beziehung zur Mode haben werden, dass ihre Lebensinhalte sich entweder in konservativer oder in rasch variierender Form abwickeln. 

Einerseits sind die unteren Massen schwerer beweglich und langsam entwickelbar. Andererseits sind gerade die höchsten Stände bekanntlich die konservativen, ja oft genug archaistisch; sie fürchten oft genug jede Bewegung und Veränderung, nicht weil der Inhalt derselben ihnen antipathisch oder schädlich wäre, sondern weil es überhaupt Veränderung ist, und weil für sie jede Modifikation des Ganzen, das ihnen in seiner augenblicklichen Verfassung eben die vorteilhafteste Stellung einräumt, verdächtig und gefährlich ist; ihnen kann keine Veränderung mehr einen Zuwachs von Macht bringen, sie haben von jeder höchstens etwas zu fürchten, aber von keiner mehr etwas zu hoffen. 

Die eigentliche Variabilität des geschichtlichen Lebens liegt deshalb im Mittelstand, und deshalb hat die Geschichte der sozialen und kulturellen Bewegungen ein ganz anderes Tempo angenommen, seit der tiers etat die Führung übernommen hat. 

Deshalb ist die Mode, die Wechsel- und Gegensatzform des Lebens, seitdem viel breiter und erregter geworden; auch ist der häufige Wechsel der Mode eine ungeheure Knechtung des Individuums und insofern eines der erforderlichen Komplemente der gewachsenen gesellschaftlichen und politischen Freiheit. 

Gerade für eine Lebensform, für deren Inhalte der Augenblick der erreichten Höhe zugleich schon der des Herabsinkens ist, ist ein Stand der eigentlich angewiesene Ort, dessen ganzes Wesen so viel variabler, so viel unruhiger rhythmisiert ist als die untersten Stände mit ihrem dumpfunbewussten und die höchsten Stände mit ihrem bewusst gewollten Konservativismus. 

Klassen und Individuen, die nach fortwährender Abwechslung drängen, weil eben die Raschheit ihrer Entwicklung ihnen den Vorsprung vor anderen gewährt, finden in der Mode das Tempo ihrer eigenen seelischen Bewegungen wieder. 

Und es bedarf in diesem Zusammenhang (-> 52) nur des Hinweises auf die Verknüpftheit unzähliger geschichtlicher und sozialpsychologischer Momente, durch die die Grossstädte im Gegensatz zu allen engeren Milieus zum Nährboden der Mode werden: auf die treulose Schnelligkeit im Wechsel der Eindrücke und Beziehungen, auf die Nivellierung und gleichzeitige Pointierung der Individualitäten, auf die Zusammengedrängtheit und die eben dadurch aufgenötigte Reserve und Distanzierung. 

Vor allem muss die ökonomische Aufwärtsbewegung der unteren Schichten in dem Tempo, das sie in der Grossstadt nimmt, den raschen Wechsel der Mode begünstigen, weil sie die Tieferstehenden soviel schneller zur Nachahmung der höheren befähigt und damit jener oben charakterisierte Prozess, in dem jede höhere Schicht die Mode in dem Augenblick verlässt, in dem die tiefere sich ihrer bemächtigt, eine früher ungeahnte Breite und Lebendigkeit gewonnen hat. 

Auf den Inhalt der Mode hat dies bedeutsam Einflüsse. 

Vor allen Dingen bewirkt es, dass die Moden nicht mehr so kostspielig und deshalb ersichtlich nicht mehr so extravagant sein können, wie sie in früheren Zeiten waren, wo die Kostbarkeit der erstmaligen Anschaffung oder die Mühseligkeit im Umbilden von Benehmen und Geschmack durch eine längere Dauer ihrer Herrschaft ausgeglichen wurde. 

Je mehr ein Artikel raschem Modewechsel unterliegt, desto stärker ist der Bedarf nach billigen Produkten seiner Art. Nicht nur weil die breiteren und also ärmeren Massen doch Kaufkraft genug haben, um die Industrie grossenteils nach sich zu bestimmen, und durchaus Gegenstände fordern, die wenigstens den äusseren und unsoliden Schein des Modernen tragen, sondern auch weil selbst die höheren Schichten der Gesellschaft die Raschheit des Modewechsels, die ihnen durch das Nachdrängen der unteren Schichten oktroyiert wird, nicht leisten könnten, wenn dessen Objekte nicht relativ billig wären. 

Ein eigentümlicher Zirkel also entsteht hier: je rascher die Mode wechselt, desto billiger müssen die Dinge werden; und je billiger sie werden, zu desto rascherem Wechsel der Mode laden sie die Konsumenten ein und zwingen sie die Produzenten. Das Tempo der Entwicklung ist bei den eigentlichen Modeartikeln von solcher Bedeutsamkeit, dass es diese sogar gewissen Fortschritten der Wirtschaft entzieht, (-> 53) die auf anderen Gebieten allmählich erreicht sind. 

Namentlich bei den älteren Produktionszweigen der modernen Industrie hat man bemerkt, dass das spekulative Moment allmählich aufhört, eine massgebende Rolle zu spielen. 

Die Bewegungen des Marktes werden genauer übersehen, die Bedürfnisse können besser vorausberechnet und die Produktion genauer reguliert werden als früher, so dass die Rationalisierung der Produktion immer mehr Boden gegenüber dem Zufall der Konjunkturen, dem planlosen Hin- und Herschwanken von Angebot und Nachfrage gewinnt. 

Nur die reinen Modeartikel scheinen davon ausgenommen zu sein. 

Die polaren Schwankungen, denen die moderne Wirtschaft sich vielfach schon zu entziehen weiss, und von denen fort sie ersichtlich zu ganz neuen wirtschaftlichen Ordnungen und Bildungen strebt, sind auf den der Mode unmittelbar unterworfenen Gebieten doch noch herrschend. 

Die Form eines fieberhaften Wechsels ist hier so wesentlich, dass sie wie in einem logischen Widerspruch gegen die Entwicklungstendenzen der modernen Wirtschaft steht.

Gegenüber diesem Charakter aber zeigt die Mode nun die höchst merkwürdige Eigenschaft, dass jede einzelne Mode doch gewissermassen auftritt, als ob sie ewig leben wollte. 

Wer sich heute ein Mobiliar kauft, das ein Vierteljahrhundert halten soll, kauft es sich unzählige Male nach der neuesten Mode und zieht diejenige, die vor zwei Jahren galt, überhaupt nicht mehr in Betracht. 

Und doch wird offenbar nach ein paar Jahren der Reiz der Mode dieses jetzige genau so verlassen haben, wie er das frühere schon jetzt verlassen hat, und Gefallen oder Missfallen an beiderlei Formen werden dann von andersartigen, sachlichen Kriterien entschieden. 

Eine Abwandlung dieses Motivs zeigt sich in besonderer Weise an den einzelnen Modeinhalten. 

Es kommt der Mode freilich nur auf den Wechsel an; allein sie hat wie jedes Gebilde die Tendenz auf Kraftersparnis, sie sucht ihre Zwecke so reichlich wie möglich, aber dennoch mit den relativ sparsamsten Mitteln zu erreichen. 

Eben deshalb schlägt sie - was besonders an der Kleidermode klar wird - immer wieder auf frühere Formen zurück, so dass man ihren Weg direkt mit einem Kreislauf verglichen hat. 

Sobald eine frühere Mode einigermassen aus dem (-> 54) Gedächtnis geschwunden ist, liegt kein Grund vor, sie nicht wieder zu beleben und vielleicht den Reiz des Unterschiedes, von dem sie lebt, demjenigen Inhalt gegenüber fühlen zu lassen, der seinerseits bei seinem Auftreten eben diesen Reiz aus seinem Gegensatz gegen die frühere und jetzt wieder belebte gezogen hat. 

Übrigens geht die Macht der Bewegungsform, von der die Mode lebt, nicht so weit, jeden Inhalt ganz gleichmässig ihr zu unterwerfen. 

Selbst auf den von der Mode beherrschten Gebieten sind nicht alle Gestaltungen gleichmässig geeignet, Mode zu werden. 

Bei manchen leistet ihr eigentümliches Wesen dem einen gewissen Widerstand. 

Dies ist mit dem ungleichmässigen Verhältnis zu vergleichen, das die Gegenstände der äusseren Anschauung zu der Möglichkeit haben, zu Kunstwerken geformt zu werden. 

Es ist eine sehr bestechende, aber keineswegs tiefgehende und haltbare Meinung, dass jedes Objekt der Wirklichkeit gleichmässig geeignet wäre, das Objekt eines Kunstwerkes zu bilden.

Die Formen der Kunst, wie sie sich historisch, von tausend Zufälligkeiten bestimmt, vielfach einseitig, an technische Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten gebunden, herausgebildet haben, stehen keineswegs in unparteiischer Höhe über allen Inhalten der Wirklichkeit; sie haben vielmehr zu manchen dieser ein engeres Verhältnis als zu anderen, manche gehen leicht, wie von Natur für diese Kunstformen vorgebildet, in sie ein, andere entziehen sich wie eigensinnig und von Natur anders gerichtet, der Umbildung in die gegebenen Kunstformen. 

Die Souveränität der Kunst über die Wirklichkeit bedeutet keineswegs, wie der Naturalismus und viele Theorien des Idealismus meinen, die Fähigkeit, alle Inhalte des Daseins gleichmässig in ihren Bereich zu ziehen. 

Keine der Formungen, mit denen der menschliche Geist den Stoff des Daseins bemeistert und zu seinen Zwecken bildet, ist so allgemein und neutral, dass alle jene Inhalte, gleichgültig gegen ihre eigene Struktur' sich ihr gleichmässig fügten. 

So kann die Mode scheinbar und in abstracto freilich jeden beliebigen Inhalt in sich aufnehmen, jede beliebige gegebene Form der Kleidung, der Kunst, des Benehmens, der Meinungen kann Mode werden. 

Und doch liegt im inneren Wesen mancher Formen eine besondere Disposition dazu, sich gerade als Mode auszuleben, während manche (-> 55) ihr von innen her einen Widerstand leisten. 

So ist z. B. der Modeform alles das relativ fern und fremd, was, man als "klassisch" bezeichnen kann, obgleich es sich natürlich gelegentlich auch ihr nicht entzieht. 

Denn das Wesen des Klassischen ist eine Konzentriertheit der Erscheinung um einen ruhenden Mittelpunkt; die Klassik hat etwas Gesammeltes, das gleichsam nicht so viel Angriffspunkte bietet, an denen Modifikation, Störung der Balance, Vernichtung ansetzen könnte. 

Für die klassische Plastik ist, das Zusammennehmen der Glieder bezeichnend, das Ganze wird von innen her absolut beherrscht, der Geist und das Lebensgefühl des Ganzen ziehen durch die anschauliche Zusammengehaltenheit der Erscheinung jeden einzelnen Teil derselben gleichmässig in sich ein. 

Das ist der Grund, weshalb man von der "klassischen Ruhe" der griechischen Kunst spricht; es ist ausschliesslich die Konzentriertheit der Erscheinung, die keinem Teil ihrer eine Beziehung zu Kräften und Schicksalen ausserhalb eben dieser Erscheinung gestattet und dadurch das Gefühl erregt, dass diese Gestaltung den wechselnden Einflüssen des allgemeinen Lebens entzogen ist - als Mode muss das Klassische :zum Klassizistischen, das Archaische zum Archaistischen umgebildet werden. 

Im Gegensatz dazu wird alles Barocke, Masslose, Extreme von innen her der Mode zugewandt sein, über so charakterisierte Dinge kommt die Mode nicht wie ein äusseres Schicksal, sondern gleichsam wie der geschichtliche Ausdruck ihrer sachlichen Beschaffenheiten. 

Die weit ausladenden Glieder der Barockstatue sind gleichsam immer in Gefahr, abgebrochen, zu werden, das innere Leben der Figur beherrscht sie nicht vollständig, sondern gibt sie der Beziehung zu den Zufälligkeiten des äusseren Seins preis. 

Barocke Gestaltungen, mindestens viele von ihnen, haben in sich schon die Unruhe, den Charakter der Zufälligkeit, die Unterworfenheit unter den momentanen Impuls, die die Mode als Form des sozialen Lebens verwirklicht.

Dazu kommt, dass ausschweifende, individuell sehr zugespitzte, launenhafte Formen sehr leicht ermüdend wirken und darum schon rein physiologisch zu der Abwechslung drängen, für die die Mode das Schema abgibt. 

Hier liegt auch eine der tiefen Beziehungen, die, man zwischen den klassischen und den "natürlichen" (-> 56) Gestaltungen der Dinge aufzufinden meinte. 

So unsicher begrenzt und so irreführend oft der Begriff des Natürlichen überhaupt ist, so kann man doch wenigstens das Negative sagen, dass gewisse Formen, Neigungen, Anschauungen auf diesen Titel keinen Anspruch haben, und eben diese werden es auch sein, die dem modischen Wechsel ganz besonders schnell unterliegen, weil ihnen die Beziehung zu dem beharrenden Zentrum der Dinge und des Lebens fehlt, die den Anspruch dauernden Bestandes rechtfertigte. 

So kam durch eine Schwägerin Ludwigs des Vierzehnten, Elisabeth Charlotte von der Pfalz, die eine völlig maskuline Persönlichkeit war, an dem französischen Hofe die Mode auf, dass Frauen sich wie Männer benahmen und anreden liessen und Männer umgekehrt wie Frauen. 

Es liegt auf der Hand, wie sehr etwas Derartiges schlechthin nur Mode sein kann, weil es sich von derjenigen unverlierbaren Substanz der menschlichen Verhältnisse entfernt, auf die schliesslich die Form des Lebens immer wieder irgendwie zurückkommen muss. 

So wenig man sagen kann, dass alle Mode etwas Unnatürliches ist, - schon deshalb nicht, weil die Lebensform der Mode selbst dem Menschen als gesellschaftlichem Wesen natürlich ist - so wird man umgekehrt doch von dem schlechthin Unnatürlichen sagen können, dass es wenigstens in der Form der Mode bestehen kann.

Es liegt aber, um das Ganze zusammenzufassen, der eigentümlich pikante, anregende Reiz der Mode in dem Kontraste zwischen ihrer ausgedehnten, alles ergreifenden Verbreitung und ihrer schnellen und gründlichen Vergänglichkeit, dem Recht auf Treulosigkeit ihr gegenüber. 

Er liegt nicht weniger in der Enge, mit der sie einen bestimmten Kreis schliesst und dessen Zusammengehörigkeit ebenso als ihre Ursache wie als ihre Wirkung zeigt - wie in der Entschiedenheit, mit der sie ihn gegen andre Kreise abschliesst. 

Er liegt endlich ebenso in dem Getragensein durch einen sozialen Kreis, der seinen Mitgliedern gegenseitige Nachahmung auferlegt und damit den Einzelnen von aller Verantwortlichkeit - der ethischen wie der ästhetischen - entlastet, wie in der Möglichkeit, nun doch innerhalb dieser Schranken originelle Nuancierung, sei es durch Steigerung, sei es sogar (-> 57) durch Ablehnung der Mode zu produzieren. 

So erweist sich die Mode nur als ein einzelnes, besonders charakterisiertes unter jenen mannigfachen Gebilden, in denen die soziale wie die individuelle Zweckmässigkeit die entgegengesetzten Strömungen des Lebens zu gleichen Rechten objektiviert hat. 

 

 


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
Andreasstr. 15 
8050 Zürich 
Tel. ++41 55 2444012