Georg Simmel:
Philosophie
des Geldes
Duncker & Humblot
Verlag, Berlin 1900 (1. Auflage)
6. Kapitel: Der Stil des Lebens
- Teil III (S. 534-585)
Die Änderungen der Distanz zwischen
dem Ich und den Dingen als Ausdruck für die Stilverschiedenheiten des
Lebens
Moderne Tendenzen auf
Distanz-Vergrößerung und -Verkleinerung
Rolle des Geldes in diesem
Doppelprozeß
Der Kredit
Die Herrschaft der Technik.
- Die Rhythmik oder Symmetrie der Lebensinhalte und ihr
Gegenteil
Das Nacheinander und das
Nebeneinander beider Tendenzen, die Entwicklungen des Geldes als Analogie
und als Träger derselben. - Das Tempo des Lebens, seine
Veränderungen und die des Geldbestandes
Die Konzentration des
Geldverkehrs
Die Mobilisierung der Werte
Beharrung und Bewegung als
Kategorien des Weltverständnisses, ihre Synthese in dem
Relativitätscharakter des Seins, das Geld als historisches Symbol
desselben
Man macht sich selten klar, in welchem Umfang unsere Vorstellungen von
den seelischen Prozessen bloß symbolische Bedeutung besitzen.
Die primitive Not des Lebens hat uns gezwungen, die räumliche
Außenwelt zum ersten Objekt unserer Aufmerksamkeit zu machen; für ihre
Inhalte und Verhältnisse gelten deshalb zunächst die Begriffe, durch die
wir ein beobachtetes Dasein außerhalb des beobachtenden Subjekts
vorstellen; sie ist der Typus des Objekts überhaupt und ihren Formen muß
sich jede Vorstellung fügen, die für uns Objekt werden soll.
Diese Forderung ergreift die Seele selbst, die sich zum Gegenstand
ihrer eigenen Beobachtung macht.
Vorher allerdings scheint sich noch die Beobachtung des Du
einzustellen, ersichtlich das dringendste Erfordernis des
Gemeinschaftslebens und der individuellen Selbstbehauptung.
Allein da wir die Seele des Anderen niemals unmittelbar beobachten
können, da er unserer Wahrnehmung niemals mehr, als Eindrücke äußerer
Sinne gewährt, so ist alle psychologische Kenntnis seiner ausschließlich
eine Hineindeutung von Bewußtseinsvorgängen, die wir in unserer Seele
wahrnehmen und auf jenen übertragen, wenn physische Eindrücke von ihm
her uns dazu anregen - so wenig diese Übertragung, ausschließlich für
ihren Zielpunkt interessiert, sich von ihrem Ausgangspunkt Rechenschaft
ablegen mag.
Sobald die Seele sich selbst zum Objekt ihres Vorstellens macht, kann
sie es nur unter dem Bilde räumlicher Vorgänge.
Wenn wir von Vorstellungen sprechen und ihrer Verbindung, von ihrem
Aufsteigen in das Bewußtsein und ihrem Sinken unter die Schwelle
desselben, von inneren Neigungen und Widerständen, von der Stimmung mit
ihren Erhebungen und Tief ständen, so ist jeder dieser und unzähliger
Ausdrücke des gleichen Gebietes ersichtlich äußerlichen
Wahrnehmbarkeiten entnommen.
Wir mögen davon durchdrungen sein, daß die Gesetzlichkeit unseres
Seelenlebens völlig anderen Wesens ist, als die eines äußeren
Mechanismus - vor allem, weil jenem die feste Umschriebenheit und sichere
Wiedererkennbarkeit (> 535) der einzelnen Elemente fehlt - so stellen
wir uns doch unvermeidlich die »Vorstellungen« als eine Art Wesen vor,
die miteinander in die mechanischen Beziehungen des Verbindens und
Trennens, des Hebens und Herabdrückens treten.
Wir sind dabei überzeugt - und die Praxis gibt uns recht -, daß
diese, nach dem Typus anschaulicher Vorgänge geschehende Deutung des
Inneren die Wirklichkeit dieses letzteren gültig vertritt, gerade wie dem
Astronomen die Rechnung auf dem Papiere die Bewegungen der Gestirne so
erfolgreich repräsentiert, daß das Resultat jener durchaus das Bild
darstellt, das von dem Resultat der realen Kräfte bewahrheitet wird.
Dieses Verhältnis aber wird nun auch rückläufig gültig als Deutung
des äußeren Geschehens nach den Inhalten des Innenlebens.
Ich meine hier nicht, daß ja auch jenes von vornherein nur eine Welt von
Vorstellungen ist, sondern, nachdem einmal auf dieser oder einer anderen
erkenntnistheoretischen Basis ein relatives Außen einem relativen Innern
gegenübergestellt ist, dienen die spezifischen Erscheinungen des
letzteren dazu, das erstere zu einem verständlichen Bilde zu gestalten.
So kommt wohl der einheitliche Gegenstand aus der Summe seiner
Eigenschaften, die allein er uns doch darbietet, nur so zustande, daß wir
ihm die Einheitsform unseres Ich leihen, an der wir im tiefsten erfahren,
wie eine Fülle von Bestimmungen und Schicksalen an einer beharrenden
Einheit haften kann.
Nicht anders dürfte es sich, wie man oft betont hat, mit der Kraft und
der Ursächlichkeit äußerer Dinge verhalten: die Gefühle der
physisch-psychischen Spannung, des Impulses, der Willenshandlung
projizieren wir in die Dinge hinein, und wenn wir hinter ihre unmittelbare
Wahrnehmbarkeit jene deutenden Kategorien setzen, so orientieren wir uns
eben in ihnen nach den Gefühlserfahrungen unserer Innerlichkeit.
Und so stößt man vielleicht, sobald man unter jener ersten
Symbolisierung des Innern durch das Körperhafte eine tiefere Schicht
aufgräbt, auf den entgegengesetzten Zusammenhang.
Wenn wir einen seelischen Vorgang als Verbindung von Vorstellungen
bezeichnen, so war dies allerdings eine Erkenntnis seiner nach räumlichen
Kategorien; aber diese Kategorie der Verbindung selbst hat vielleicht
ihren Sinn und ihre Bedeutung in einem bloß innerlichen, gar nicht
anschaulichen Vorgang.
Was wir als in der Außenwelt verbunden, d. h. doch, irgendwie
vereinheitlicht und ineinander seiend, bezeichnen, bleibt doch in der
Außenwelt ewig nebeneinander, und mit seinem Verbundensein meinen wir
etwas, was nur aus unserem Inneren, allem Äußeren unvergleichbar, in die
Dinge hineingefühlt werden kann: jenes also das Symbol für das, was uns
an diesen nicht (> 536) festzustellen und unmittelbar überhaupt nicht
aus7udrücken ist.
So besteht ein Relativismus, gleichsam ein unendlicher Prozeß zwischen
dem Inneren und dem Äußeren: eines, als das Symbol des anderen, dieses
zur Vorstellbarkeit und Darstellbarkeit bringend, keines das erste, keines
das zweite, sondern in ihrem Aufeinander-Angewiesensein die Einheit ihres,
d. h. unseres Wesens verwirklichend.
Dieser gegenseitigen symbolisierenden Deutung sind die seelischen und
die körperhaften Daseinsinhalte um so unbedenklicher zugängig, je
einfacher sie sind.
Bei den einfachen Prozessen der Verbindung, Verschmelzung, Reproduktion
der Vorstellungen können wir noch einigermaßen die Idee einer
allgemeinen Formgesetzlichkeit festhalten, die der inneren wie der
äußeren Welt ein analoges Verhalten vorschreibt und so die eine zur
Stellvertretung der anderen geeignet macht.
Bei komplizierteren und eigenartigeren seelischen Gebilden wird die
Bezeichnung nach Analogien der räumlichen Anschaulichkeit immer
diffiziler; immer dringender ist sie auf die Anwendbarkeit in einer
Vielheit von Fällen angewiesen, um nicht zufällig und spielerisch zu
erscheinen und um eine feste, wenn auch nur symbolische Beziehung zu der
seelischen Wirklichkeit zu besitzen.
Und von sich selbst ausgehend wird diese letztere den Weg in die Dinge,
deren Sinn und Bedeutung nach sich interpretierend, um so schwerer und
unsicherer finden, je spezieller oder zusammengesetzter die Vorgänge auf
beiden Seiten sind; denn um so unwahrscheinlicher und schwerer
herausfühlbar wird jene geheimnisvolle Formgleichheit innerer und
äußerer Erscheinungen, die der Seele eine Brücke von den einen in die
anderen baut.
- Hiermit sollen Erwägungen eingeleitet werden, die eine Reihe
mannigfaltiger innerer Kulturerscheinungen zusammenfassen und dadurch,
daß diese alle die Deutung nach je einer und derselben anschaulichen
Analogie gestatten, einleuchtend machen sollen, daß sie alle einem und
demselben Stil des Lebens angehören.
Eines der häufigsten Bilder, unter denen man sich die Organisation der
Lebensinhalte deutlich zu machen pflegt, ist ihre Anordnung zu einem
Kreise, in dessen Zentrum das eigentliche Ich sieht.
Es gibt einen Modus des Verhältnisses zwischen diesem Ich und den
Dingen, Menschen, Ideen, Interessen, den wir nur als Distanz zwischen
beiden bezeichnen können.
Was uns zum Objekt wird, das kann, inhaltlich ungeändert bleibend,
nahe an das Zentrum heran- oder bis zur Peripherie unseres Blick- und
Interessenkreises abrücken; aber dies bewirkt nicht etwa, daß unser
inneres Verhältnis zu diesem Objekt sich ändere, sondern umgekehrt, wir
können gewisse Verhältnisse des Ich zu seinen Inhalten nur durch das
anschauliche
(> 537) Symbol einer bestimmten oder sich ändernden Distanz
zwischen beiden bezeichnen.
Es ist von vornherein schon ein symbolischer Ausdruck für einen an
sich unsagbaren Sachverhalt, wenn wir unser inneres Dasein in ein
zentrales Ich und darumgelagerte Inhalte scheiden; und angesichts der
ungeheueren Unterschiede der sinnlich-äußerlichen Eindrücke von den
Dingen je nach ihrem Abstand von unseren Organen - Unterschiede, nicht nur
der Deutlichkeit, sondern der Qualität und des ganzen Charakters der
empfangenen Bilder - liegt es nahe, jene Symbolisierung dahin auszudehnen,
daß die Verschiedenheit auch der innerlichsten Verhältnisse zu den
Dingen als Verschiedenheit der Distanz zu ihnen gedeutet werde.
Von den Erscheinungen, die von hier aus gesehen eine einheitliche Reihe
bilden, hebe ich zunächst die künstlerischen hervor.
Die innere Bedeutsamkeit der Kunststile läßt sich als eine Folge der
verschiedenen Distanz auslegen, die sie zwischen uns und den Dingen
herstellen.
Alle Kunst verändert die Blickweite, in die wir uns ursprünglich und
natürlich zu der Wirklichkeit stellen.
Sie bringt sie uns einerseits näher, zu ihrem eigentlichen und
innersten Sinn setzt sie uns in ein unmittelbareres Verhältnis, hinter
der kühlen Fremdheit der Außenwelt verrät sie uns die Beseeltheit des
Seins, durch die es uns verwandt und verständlich ist.
Daneben aber stiftet jede Kunst eine Entfernung von der Unmittelbarkeit
der Dinge, sie läßt die Konkretheit der Reize zurücktreten und spannt
einen Schleier zwischen uns und sie, gleich dem feinen bläulichen Duft,
der sich um ferne Berge legt.
An beide Seiten dieses Gegensatzes knüpfen sich gleich starke Reize;
die Spannung zwischen ihnen, ihre Verteilung auf die Mannigfaltigkeit der
Ansprüche an das Kunstwerk, gibt jedem Kunststil sein eigenes Gepräge.
Ja, die bloße Tatsache des Stiles ist an sich schon einer der
bedeutsamsten Fälle von Distanzierung.
Der Stil in der Äußerung unserer inneren Vorgänge besagt, daß diese
nicht mehr unmittelbar hervorsprudeln, sondern in dem Augenblick ihres
Offenbarwerdens ein Gewand umtun.
Der Stil, als generelle Formung des Individuellen, ist für dieses eine
Hülle, die eine Schranke und Distanzierung gegen den anderen, der die
Äußerung aufnimmt, errichtet.
Diesem Lebensprinzip aller Kunst: uns den Dingen dadurch näher zu
bringen, daß sie uns in eine Distanz von ihnen stellt, entzieht sich auch
die naturalistische Kunst nicht, deren Sinn doch ausschließlich auf
Überwindung der Distanz zwischen uns und der Wirklichkeit gerichtet
scheint.
Denn nur eine Selbsttäuschung kann den Naturalismus verkennen lassen,
daß auch er ein Stil ist, d. h. daß auch er die Unmittelbarkeit des
Eindrucks von ganz (> 538) bestimmten Voraussetzungen und Forderungen
her gliedert und umbildet - unwiderleglich durch die kunstgeschichtliche
Entwicklung bewiesen, in der alles das, was eine Epoche für das wörtlich
treue und genau realistische Bild der Wirklichkeit hielt, durch eine
spätere als vorurteilsvoll und verfälscht erkannt worden ist, während
sie ,nun erst die Dinge, wie sie wirklich sind, darstelle.
Der künstlerische Realismus verfällt demselben Fehler wie der
wissenschaftliche, wenn er meint, ohne ein Apriori auszukommen, ohne eine
Form, die, aus den Anlagen und Bedürfnissen unserer Natur quellend, der
sinnlichen Wirklichkeit Gewandung oder Umgestaltung zuwachsen läßt.
Diese Umformung, die sie auf dem Wege in unser Bewußtsein erleidet,
ist zwar eine Schranke zwischen uns und ihrem unmittelbaren Sein, aber
zugleich die Bedingung, sie vorzustellen und darzustellen.
Ja, in gewissem Sinn mag der Naturalismus eine ganz besondere
Distanzierung den Dingen gegenüber bewirken, wenn wir nämlich auf die
Vorliebe achten, mit der er seine Gegenstände im allertäglichsten Leben,
im Niedrigen und Banalen sucht.
Denn da er eben zweifellos auch eine Stilisierung ist, so wird diese
für ein feineres Empfinden - das im Kunstwerk die Kunst und nicht seinen,
auch auf beliebig andere Weise darstellbaren Gegenstand sieht - um so
fühlbarer, an je näherem, roherem, irdischerem Materiale sie sich
vollzieht.
Im ganzen nun geht das ästhetische Interesse der letzten Zeit auf
Vergrößerung der durch das Kunstwerden der Dinge geschaffenen Distanz
gegen sie.
Ich erinnere an den ungeheueren Reiz, den zeitlich und räumlich weit
entfernte Kunststile für das Kunstgefühl der Gegenwart besitzen.
Das Entfernte erregt sehr viele, lebhaft auf - und abschwingende
Vorstellungen und genügt damit unserem vielseitigen Anregungsbedürfnis;
doch klingt jede dieser fremden und fernen Vorstellungen wegen ihrer
Beziehungslosigkeit zu unseren persönlichsten und unmittelbaren
Interessen nur leise an und mutet deshalb geschwächten Nerven nur eine
behagliche Anregung zu.
Was wir den »historischen Geist« in unserer Zeit nennen, ist
vielleicht nicht nur eine begünstigende Veranlassung dieser Erscheinung,
sondern quillt mit ihr aus der gleichen Ursache.
Und wechselwirkend macht er, mit der Fülle der inneren Beziehungen,
die er uns zu räumlich und zeitlich weit abstehenden Interessen gewährt,
uns immer empfindlicher gegen die Chocs und Wirrnisse, die uns aus der
unmittelbaren Nähe und Berührung mit Menschen und Dingen kommen.
Die Flucht in das Nicht-Gegenwärtige wird erleichtert, verlustloser,
gewissermaßen legitimiert, wenn sie, zu der Vorstellung und dem Genuß
konkreter Wirklichkeiten führt - die aber eben weit entfernte, nur ganz
(> 539) mittelbar zu fühlende sind.
Daher nun auch der jetzt so lebhaft empfundene Reiz des Fragmentes, der
bloßen Andeutung, des Aphorismus, des Symbols, der unentwickelten
Kunststile.
Alle diese Formen, die in allen Künsten heimisch sind, stellen uns in
eine Distanz von dem Ganzen und Vollen der Dinge, sie sprechen zu uns
»wie aus der Ferne«, die Wirklichkeit gibt sich in ihnen nicht mit
gerader Sicherheit, sondern mit gleich zurückgezogenen Fingerspitzen.
Das äußerste Raffinement unseres literarischen Stiles vermeidet die
direkte Bezeichnung der Objekte, streift mit dem Worte nur eine abgelegene
Ecke ihrer, faßt statt der Dinge nur die Schleier, die um die Dinge sind.
Am entschiedensten beweisen wohl die symbolistischen Neigungen in
bildenden und redenden Künsten eben dieses.
Hier wird die Distanz, die die Kunst schon als solche zwischen uns und die
Dinge stellt, noch um eine Station erweitert, indem die Vorstellungen, die
den Inhalt des schließlich zu erregenden Seelenvorganges bilden, in dem
Kunstwerke selbst überhaupt kein sinnliches Gegenbild mehr haben, sondern
erst durch Wahrnehmbarkeiten ganz anderen Inhaltes, zum Anklingen gebracht
werden.
In alledem zeigt sich ein Zug des Empfindens wirksam, dessen
pathologische Ausartung die sogenannte »Berührungsangst« ist: die
Furcht, in allzu nahe Berührung mit den Objekten zu kommen, ein Resultat
der Hyperästhesie, der jede unmittelbare und energische Berührung ein
Schmerz ist.
Daher äußert sich auch die Feinsinnigkeit, Geistigkeit,
differenzierte Empfindlichkeit so überwiegend vieler moderner Menschen im
negativen Geschmack, d. h. in der leichten Verletzbarkeit durch
Nicht-Zusagendes, in dem bestimmten Ausschließen des Unsympathischen, in
der Repulsion durch Vieles, ja oft durch das Meiste des gebotenen Kreises
von Reizen, während der positive Geschmack, das energische ja-Sagen, das
freudige und rückhaltlose Ergreifen des Gefallenden, kurz die aktiv
aneignenden Energien große Fehlbeträge aufweisen.
Es erstreckt sich aber jene innere Tendenz, die wir unter dem Symbol
der Distanz betrachten, weit über das ästhetische Gebiet hinaus.
So muß der philosophische Materialismus, der die Wirklichkeit
unmittelbar zu fassen glaubte, auch heute wieder vor subjektivistischen
oder neukantischen Theorien zurückweichen, die die Dinge erst durch das
Medium der Seele brechen oder destillieren lassen, ehe sie sie zu
Erkenntnissen werden lassen.
Der Subjektivismus der neueren Zeit hat dasselbe Grundmotiv, von dem uns
die Kunst getragen schien: ein innigeres und wahreres Verhältnis zu den
Dingen dadurch zu gewinnen, daß wir, uns in uns selbst zurück-ziehend,
von ihnen abrücken, oder die immer bestehende Distanz (> 540) gegen
sie nun bewußt anerkennen.
Und wenn dieser Subjektivismus unvermeidlicher Weise mit dem stärkeren
Selbstbewußtsein unserer Innerlichkeit diese auch häufiger betonen und
besprechen läßt, so ist doch andrerseits mit ihm eine neue, tiefere,
bewußtere Scham verbunden, eine zarte Scheu, das Letzte auszusprechen
oder auch einem Verhältnis die naturalistische Form zu geben, die sein
innerstes Fundament fortwährend sichtbar machte.
Und auf weiteren wissenschaftlichen Gebieten: innerhalb der ethischen
Überlegungen tritt die platte Nützlichkeit als Wertmaßstab des Wollens
immer weiter zurück, man sieht, daß dieser Charakter des Handelns eben
nur dessen Beziehung zu dem aber nächstliegenden betrifft und daß es
deshalb seine eigentümliche Direktive, die es über seine bloße Tech-nik
als Mittel heraushebe, von höher aufblickenden, oft religiösen, der
sinnlichen Unmittelbarkeit kaum verwandten Prinzipien erhalten muß.
Endlich: über der spezialistischen Detailarbeit erhebt sich von allen
Seiten her der Ruf nach Zusammenfassung und Verallgemeinerung, also nach
einer überschauenden Distanz von allen konkreten Einzelheiten, nach einem
Fernbild, in dem alle Unruhe des Nahe-wirkenden aufgehoben und das bisher
nur Greifbare nun auch begreifbar würde.
Diese Tendenz würde vielleicht nicht so wirksam und merkbar sein, wenn
ihr nicht die entgegengesetzte zur Seite ginge.
Das geistige Verhältnis zur Welt, das die moderne Wissenschaft
stiftet, ist tatsächlich nach beiden Seiten hin auszudeuten.
Gewiß sind schon allein durch Mikroskop und Teleskop unendliche Distanzen
zwischen uns und den Dingen überwunden worden; aber sie sind doch für
das Bewußtsein erst in dem Augenblick entstanden, in dem es sie auch
überwand.
Nimmt man hinzu, daß jedes gelöste Rätsel mehr als ein neues aufgibt
und das Näher-Herankommen an die Dinge uns sehr oft erst zeigt, wie fern
sie uns noch sind - so muß man sagen: die Zeiten der Mythologie, der ganz
allgemeinen und oberflächlichen Kenntnisse, der Anthropomorphisierung der
Natur lassen in subjektiver Hinsicht, nach der Seite des Gefühls und des,
wie immer irrigen, Glaubens, eine geringere Distanz zwischen Menschen und
Dingen bestehen, als die jetzige.
Alle raffinierten Methoden, durch die wir in das Innere der Natur
eindringen, ersetzen doch nur sehr langsam und stückweise ihre innig
vertraute Nähe, die die Götter Griechenlands, die Deutung der Welt nach
menschlichen Impulsen und Gefühlen, die Lenkung ihrer durch einen
persönlich eingreifenden Gott, ihre teleologische Einstellung auf das
Wohl des Menschen, der Seele gewährt haben.
Wir können das also zunächst so bezeichnen, daß die Entwicklung auf
eine Überwindung der Distanz in relativ äußerlicher (> 541)
Hinsicht, auf eine Vergrößerung derselben in innerlicher Hinsicht ginge.
Hier kann das Recht dieses symbolischen Ausdrucks sich wieder an seiner
Anwendbarkeit auf einen ganz anderen Inhalt zeigen.
Die Verhältnisse des modernen Menschen zu seinen Umgebungen entwickeln
sich im ganzen so, daß er seinen nächsten Kreisen ferner rückt, um sich
den ferneren mehr zu nähern.
Die wachsende Lockerung des Familienzusammenhanges, das Gefühl
unerträglicher Enge im Gebundensein an den nächsten Kreis, dem
gegenüber Hingebung oft ebenso tragisch verläuft wie Befreiung, die
steigende Betonung der Individualität, die sich gerade von der
unmittelbaren Umgebung am schärfsten abhebt - diese ganze Distanzierung
geht Hand in Hand mit der Knüpfung von Beziehungen zu dem Fernsten, mit
dem Interessiertsein für weit Entlegenes, mit der Gedankengemeinschaft
mit Kreisen, deren Verbindungen alle räumliche Nähe ersetzen.
Das Gesamtbild aus alledem bedeutet doch ein Distanznehmen in den
eigentlich innerlichen Beziehungen, ein Distanzverringern in den mehr
äußerlichen.
Wie die kulturelle Entwicklung bewirkt, daß das früher unbewußt und
instinktiv Geschehende später mit klarer Rechenschaft und zerlegendem
Bewußtsein geschieht, während andrerseits vieles, wozu es sonst
angespannter Aufmerksamkeit und bewußter Mühe bedurfte, zu mechanischer
Gewöhnung und instinktmäßiger Selbstverständlichkeit wird - so wird
hier, entsprechend, das Entfernteste näher, um den Preis, die Distanz zum
Näheren zu erweitern.
Der Umfang und die Intensität der Rolle, die das Geld in diesem
Doppelprozeß spielt, ist zunächst als Überwindung der Distanz sichtbar.
Es bedarf keiner Ausführung, daß allein die Übersetzung der Werte in
die Geldform jene Interessenverknüpfungen ermöglicht, die nach dem
räumlichen Abstand der Interessenten überhaupt nicht mehr fragen; erst
durch sie kann, um ein Beispiel aus hunderten zu nennen, ein deutscher
Kapitalist, aber auch ein deutscher Arbeiter an einem spanischen
Ministerwechsel, an dem Ertrage afrikanischer Goldfelder, an dem Ausgange
einer südamerikanischen Revolution real beteiligt sein.
Bedeutsamer aber erscheint mir das Geld als Träger der
entgegengesetzten Tendenz.
Jene Lockerung des Familienzusammenhanges geht doch von der
wirtschaftlichen Sonder-Interessiertheit der einzelnen Mitglieder aus, die
nur in der Geldwirtschaft möglich ist.
Sie bewirkt vor allem, daß die Existenz auf die ganz individuelle
Begabung gestellt werden kann; denn nur die Geldform des Äquivalents
gestattet die Verwertung sehr spezialisierter Leistungen, die ohne diese
Umsetzung in einen allgemeinen Wert kaum zu gegenseitigem Austausch
gelangen könnten.
Indem sie nun weiter auch die individuelle Anknüpfung nach außen erleichtert,
(> 542) den Eintritt in fremde Kreise, die nur nach der
geldwerten Leistung oder dem Geldbeitrag ihrer Mitglieder fragen, - formt
sie die Familie zum äußersten Gegensatz der Struktur, die der mehr
kollektive Besitz, insbesondere als Grundeigentum, ihr verlieh.
Dieser schuf eine Solidarität der Interessen, die sich soziologisch
als eine Kontinuität im Zusammenhang der Familienmitglieder darstellte,
während die Geldwirtschaft diesen eine gegenseitige Distanzierung
ermöglicht, ja sogar aufdrängt.
Über das Familienleben hinaus ruhen gewisse weitere Formen des
modernen Daseins gerade auf der Distanzierung durch den Geldverkehr.
Denn er legt eine Barriere zwischen die Personen, indem immer nur der
eine von zwei Kontrahenten das bekommt, was er eigentlich will, was seine
spezifischen Empfindungen auslöst, während der andere, der zunächst nur
Geld bekommen hat, eben jenes erst bei einem Dritten suchen muß.
Daß jeder von beiden mit einer ganz anderen Art von Interesse an die
Transaktion herangeht, fügt dem Antagonismus, den schon die
Entgegengesetztheit der Interessen von vornherein bewirkt, eine neue
Fremdheit hinzu.
In demselben Sinne wirkt die früher behandelte Tatsache, daß das Geld
eine durchgängige Objektivierung des Verkehrs mit sich bringt, ein
Ausschalten aller personalen Färbung und Richtung - im Verein mit der
anderen, daß die Zahl der auf Geld gestellten Verhältnisse stetig
zunimmt und die Bedeutung des Menschen für den Menschen mehr und mehr,
wenn auch oft in sehr versteckter Form, auf geldmäßige Interessen
zurückgeht.
Auf diese Weise entsteht wie gesagt eine innere Schranke zwischen den
Menschen, die aber allein die moderne Lebensform möglich macht.
Denn das Aneinander-Gedrängtsein und das bunte Durcheinander des
großstädtischen Verkehrs wären ohne jene psychologische Distanzierung
einfach unerträglich.
Daß man sich mit einer so ungeheuren Zahl von Menschen so nahe auf den
Leib rückt, wie die jetzige Stadtkultur mit ihrem kommerziellen,
fachlichen, geselligen Verkehr es bewirkt, würde den modernen, sensibeln
und nervösen Menschen völlig verzweifeln lassen, wenn nicht jene
Objektivierung des Verkehrscharakters eine innere Grenze und Reserve mit
sich brächte.
Die entweder offenbare oder in tausend Gestalten verkleidete
Geldhaftigkeit der Beziehungen schiebt eine unsichtbare, funktionelle
Distanz zwischen die Menschen, die ein innerer Schutz und Ausgleichung
gegen die allzu gedrängte Nähe und Reibung unseres Kulturlebens ist.
Die gleiche Funktion des Geldes für den Lebensstil steigt nun noch
tiefer in das Einzelsubjekt selbst hinab, als Distanzierung nicht gegen
andere Personen, sondern gegen die Sachgehalte des Lebens. (> 543)
Schon daß ein Vermögen heute aus Produktionsmitteln, statt wie in
primitiven Epochen aus Konsumtionsmitteln besteht, ist eine enorme
Distanzierung.
Wie sich in die Herstellung der Kulturobjekte selbst immer mehr und
mehr Stationen einschieben - indem das Produkt immer weiter vom Rohstoff
abliegt , so stellt die jetzige Art des Vermögensbesitzes den Eigentümer
technisch und infolgedessen auch innerlich in eine viel weitere Entfernung
von dem definitiven Zwecke alles Vermögens, als zu den Zeiten, wo
Vermögen nur die Fülle unmittelbarer Konsumtionsmöglichkeiten
bedeutete.
Auf dem Gebiet der Produktion wird der gleiche innere Erfolg durch die
Arbeitsteilung begünstigt, die durch das Geldwesen wechselwirkend bedingt
ist.
Je weniger jeder Einzelne ein Ganzes schafft, desto durchgehender
erscheint sein Tun als bloßes Vorstadium, desto weiter scheint die Quelle
seiner Wirksamkeiten von deren Mündung, dem Sinn und Zweck der Arbeit,
abgerückt.
Und nun unmittelbar: wie sich das Geld zwischen Mensch und Mensch
schiebt, so zwischen Mensch und Ware.
Seit der Geldwirtschaft stehen uns die Gegenstände des
wirtschaftlichen Verkehrs nicht mehr unmittelbar gegenüber, unser
Interesse an ihnen wird erst durch das Medium des Geldes gebrochen, ihre
eigene sachliche Bedeutung rückt dem Bewußtsein ferner, weil ihr
Geldwert diese aus ihrer Stelle in unseren Interessen zusammenhängen mehr
oder weniger herausdrängt.
Erinnern wir uns der früheren Ausmachungen, wie oft das
Zweckbewußtsein auf der Stufe des Geldes halt macht, so zeigt sich, daß
das Geld uns mit der Verrößerung seiner Rolle in immer weitere
psychische Distanz zu den Objekten stellt, oft in eine solche, daß ihr
qualitatives Wesen uns davor ganz außer Sehweite rückt und die innere
Berührung mit ihrem vollen, eigenen Sein durchbrochen wird.
Und das gilt nicht nur für die Kulturobjekte.
Unser ganzes Leben wird durch die Entfernung auch von der Natur
gefärbt, die das geldwirtschaftliche und das davon abhängige städtische
Leben erzwingt.
Allerdings wird vielleicht erst durch sie die eigentlich ästhetische
und romantische Empfindung der Natur möglich.
Wer es nicht anders kennt, als in unmittelbarer Berührung mit der
Natur zu leben, der mag ihre Reize wohl subjektiv genießen, aber ihm
fehlt die Distanz zu ihr, aus der allein ein eigentlich ästhetisches
Betrachten ihrer möglich ist, und durch die außerdem jene stille Trauer,
jenes Gefühl sehnsüchtigen Fremdseins und verlorener Paradiese entsteht,
wie sie das romantische Naturgefühl charakterisieren.
Wenn der moderne Mensch seine höchsten Naturgenüsse in den
Schneeregionen der Alpen und an der Nordsee zu finden pflegt, so ist das
wohl nicht allein durch das gesteigerte Aufregungsbedürfnis zu erklären;
sondern auch so, daß diese unzugängige, (> 544) uns eigentlich
zurückstoßende Welt die äußerste Steigerung und Stilisierung dessen
darstellt, was uns Natur überhaupt noch ist: ein seelisches Fernbild, das
selbst in den Augenblicken körperlicher Nähe wie ein innerlich
Unerreichbares, ein nie ganz eingelöstes Versprechen vor uns steht und
selbst unsere leidenschaftlichste Hingabe mit einer leisen Abwehr und
Fremdheit erwidert.
Daß erst die moderne Zeit die Landschaftsmalerei ausgebildet hat -
die, als Kunst, nur in einem Abstand vom Objekte und im Bruch der
natürlichen Einheit mit ihm leben kann - und daß auch erst sie das
romantische Naturgefühl kennt, das sind die Folgen jener Distanzierung
von der Natur, jener eigentlich abstrakten Existenz, zu der das auf die
Geldwirtschaft gebaute Stadtleben uns gebracht hat.
Und dem widerspricht nicht, daß gerade der Geldbesitz uns die Flucht
in die Natur gestattet.
Denn gerade daß sie für den Stadtmenschen nur unter dieser Bedingung
zu genießen ist, das schiebt - in wie vielen Umsetzungen und bloßen
Nachklängen auch immer zwischen ihn und sie jene Instanz ein, die nur
verbindet, indem sie zugleich trennt.
Im weiteren Maße tritt diese Bedeutung des Geldwesens an seiner
Steigerung, dem Kredite, hervor.
Der Kredit spannt die Vorstellungsreihen noch mehr und mit einem
entschiedeneren Bewußtsein ihrer unverkürzlichen Weite aus, als die
Zwischeninstanz des baren Geldes es für sich tut.
Der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer ist
gleichsam aus der gradlinigen Verbindung ihrer hinaus und in einer weiten
Distanz von ihnen fest gelegt: die Tätigkeit des Einzelnen wie der
Verkehr bekommt dadurch den Charakter der Langsichtigkeit und den der
gesteigerten Symbolik.
Indem der Wechsel oder überhaupt der Begriff der Geldschuld die Werte
weit abliegender Objekte vertritt, verdichtet er sie ebenso in sich, wie
der Blick über eine räumliche Entfernung hin die Inhalte der Strecke in
perspektivischer Verkürzung zusammendrängt.
Und wie uns das Geld von den Dingen entfernt, aber auch - in diesen
gegensätzlichen Wirkungen seine spezifische Indifferenz zeigend - sie uns
näher bringt, so hat die Kreditanweisung ein doppeltes Verhältnis zu
unserem Vermögensbestande.
Vom Checkverkehr ist einerseits hervorgehoben worden, daß er ein
Palliativmittel gegen Verschwendungen bilde; manche Individuen ließen
sich angesichts ihres Kassenbarbestandes leichter zu unnützen Ausgaben
verleiten, als wenn sie denselben im Depot eines Dritten haben und erst
durch eine Anweisung darüber verfügen müssen.
Andrerseits aber scheint nur die Versuchung zum Leichtsinn gerade
besonders verführerisch, wenn man das viele wegzugebende Geld nicht vor
sich sieht, sondern (> 545) nur mit einem Federzug darüber verfügt.
Die Form des Scheckverkehrs rückt uns einerseits durch den
mehrgliedrigen Mechanismus zwischen uns und dem Gelde, den wir immer erst
in Bewegung zu setzen haben, von diesem ab, andrerseits aber erleichtert
sie uns die Aktion damit, nicht nur wegen der technischen Bequemlichkeit,
sondern auch psychologisch, weil das bare Geld uns seinen Wert sinnlicher
vor Augen stellt und uns damit die Trennung von ihm erschwert.
Von den einschlägigen Bedeutungen des Kreditcharakters des Verkehrs
greife ich nur eine heraus, welche zwar nicht durchgehend, aber sehr
bezeichnend ist.
Ein Reisender erzählt, ein englischer Kaufmann habe ihm einmal
definiert: »ein gewöhnlicher Mann ist, wer Waren gegen bare Zahlung
kauft, ein Gentleman der, dem ich Kredit gebe und der mich alle sechs
Monate mit einem Scheck bezahlt«.
Hier ist zunächst die Grundempfindung bemerkenswert: daß nicht ein
Gentleman vorausgesetzt wird, der dann als solcher Kredit erhält, sondern
daß derjenige, der Kredit beansprucht, eben ein Gentleman ist.
Daß so der Kreditverkehr als der vornehmere erscheint, geht wohl auf
zweierlei Empfindungsrichtungen zurück.
Zunächst darauf, daß er Vertrauen fordert.
Es ist das Wesen der Vornehmheit, ihre Gesinnung und deren Wert nicht
sowohl vorzudemonstrieren, als den Glauben daran einfach vorauszusetzen -
weshalb denn auch, entsprechend, alles ostentative Hervorkehren des
Reichtums so spezifisch unvornehm ist.
Gewiß enthält jedes Vertrauen eine Gefahr; der vornehme Mensch
verlangt, daß man im Verkehr mit ihm diese Gefahr auf sich nehme, und
zwar mit der Nüance, daß er, in der absoluten Sicherheit über sich
selbst, dies gar nicht als eine Gefahr anerkennt und deshalb sozusagen
keine Risikoprämie dafür gewährt: aus eben dieser Grundempfindung
heraus sagt das Schillersche Epigramm, daß adlige Naturen nicht mit dem,
was sie tun, sondern nur mit dem, was sie sind, zahlen.
Es ist begreiflich, wie die bare, Zug um Zug erfolgende Zahlung für
jenen Kaufmann etwas kleinbürgerliches hatte, sie rückt die Momente der
wirtschaftlichen Reihe in ängstliche Enge zusammen, während der Kredit
eine Distanz zwischen ihnen ausspannt, die er vermittels des Vertrauens
beherrscht.
Es ist allenthalben das Schema höherer Entwicklungsstufen, daß das
ursprüngliche Aneinander und die unmittelbare Einheit der Elemente
aufgelöst wird, damit sie, verselbständigt und voneinander abgerückt,
nun in eine neue, geistigere, umfassendere Synthese vereinheitlicht
werden.
Im Kreditverkehr wird statt der Unmittelbarkeit der Wertausgleichung
eine Distanz gesetzt, deren Pole durch den Glauben zusammengehalten
werden; wie Religiosität um (> 546) so höher steht, eine je
unermeßlichere Distanz sie - im Gegensatz zu allem Anthropomorphismus und
allen sinnlichen Erweisen -zwischen Gott und der Einzelseele bestehen
läßt, um gerade damit das äußerste Maß des Glaubens hervorzurufen,
das jene Distanz überbrücke.
Daß bei dem größeren Verkehr innerhalb der Kaufmannschaft das
Vornehmheitsmoment beim Kredite nicht mehr fühlbar wird, liegt daran,
daß er hier eine unpersönliche Organisation geworden ist und das
Vertrauen den eigentlich persönlichen Charakter - ohne den die Kategorie
der Vornehmheit nicht anwendbar ist -verloren hat: der Kredit ist eine
technische Verkehrsform ohne, oder mit sehr herabgestimmten,
psychologischen Obertönen geworden.- Und zweitens: jene Aufhäufung der
kleinen Schulden bis zu der schließlichen Bezahlung mit dem Scheck
bewirkt eine gewisse Reserve des Abnehmers gegenüber dem Kaufmann, die
fortwährende und unmittelbare Wechselwirkung, die bei jedesmaligem barem
Bezahlen eintritt, wird aufgehoben, die Lieferung des Kaufmanns hat,
äußerlich angesehen, sozusagen ästhetisch, die Form eines Tributes,
einer Darbringung an einen Mächtigen, die dieser, wenigstens in dein
einzelnen Falle, ohne Gegenleistung hinnimmt.
Indem nun auch am Ende der Kreditperiode die Auszahlung nicht von
Person zu Person erfolgt, sondern auch durch ein Kreditpapier, durch die
Anweisung auf das gleichsam objektive Depot bei der Scheckbank, wird diese
Reserve des Subjekts fortgesetzt und so von allen Seiten her die Distanz
zwischen dem »Gentleman« und dem Krämer betont, die den Begriff des
ersteren entstehen läßt und für die diese Art des Verkehrs allerdings
der adäquate Ausdruck ist.
Ich begnüge mich mit diesem singulären Beispiel für die
distanzierende Wirkung des Kredites auf den Lebensstil und schildere nur
noch einen sehr allgemeinen, auf die Bedeutung des Geldes
zurück-weisenden Zug des letzteren.
Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es scheint, durch die
neueste, geht ein Gefühl von Spannung, Erwartung, ungelöstem Drängen -
als sollte die Hauptsache erst kommen, das Definitive, der eigentliche
Sinn und Zentralpunkt des Lebens und der Dinge.
Dies hängt ersichtlich von dem hier oft hervorgehobenen Übergewicht ab,
das mit gewachsener Kultur die Mittel über die Zwecke des Lebens
gewinnen.
Neben dem Gelde ist hierfür vielleicht der Militarismus das
schlagendste Beispiel.
Das stehende Heer ist bloße Vorbereitung, latente Energie,
Eventualität, deren Definitivum und Zweck nicht nur jetzt
verhältnismäßig selten eintritt, sondern auch mit allen Kräften zu
vermeiden gesucht wird; ja, die äußerste Anspannung der militärischen
Kräfte wird als das einzige Mittel gepriesen, ihre eigene Entladung zu
verhindern.
An (> 547) diesem teleologischen Gewebe haben wir also den
Widerspruch der Übertönung des Zwecks durch das Mittel zu absoluter
Höhe gehoben: indem der wachsenden Bedeutung des Mittels eine gerade in
demselben Maß wachsende Perhorreszierung und Verneinung seines Zwecks
entspricht.
Und dieses Gebilde durchdringt das Volksleben mehr und mehr, greift in den
weitesten Umkreis personaler, inner-politischer und
Produktionsverhältnisse ein, gibt gewissen Altersstufen und gewissen
sozialen Kreisen direkt und indirekt ihre Färbung!
Weniger kraß, aber gefährlicher und schleichender tritt diese
Richtung auf das Illusorisch-Werden der Endzwecke vermittels der
Fortschritte und der Bewertung der Technik auf.
Wenn die Leistungen derselben in Wirklichkeit zu demjenigen, worauf es
im Leben eigentlich und schließlich ankommt, eben doch höchstens im
Verhältnis von Mittel oder Werkzeug, sehr oft aber in gar keinem stehen -
so hebe ich von den mancherlei Veranlassungen, diese Rolle der Technik zu
verkennen, nur die Großartigkeit hervor, zu der sie sich in sich
entwickelt hat.
Es ist einer der verbreitetsten und fast unvermeidlichen menschlichen
Züge, daß die Höhe, Größe und Vollendung, welche ein Gebiet innerhalb
seiner Grenzen und unter den ihm eignen Voraussetzungen erlangt hat, mit
der Bedeutsamkeit dieses Gebietes als ganzen verwechselt wird; der
Reichtum und die Vollkommenheit der einzelnen Teile, das Maß, in dem das
Gebiet sich seinem eignen immanenten Ideale nähert, gilt gar zu leicht
als Wert und Würde desselben überhaupt und in seinem Verhältnis zu den
anderen Lebensinhalten.
Die Erkenntnis, daß etwas in seinem Genre und gemessen an den
Forderungen seines Typus sehr hervorragend sei, während dieses Genre und
Typus selbst weniges und niedriges bedeute - diese Erkenntnis setzt in
jedem einzelnen Falle ein sehr geschärftes Denken und differenziertes
Wertempfinden voraus.
Wie häufig unterliegen wir der Versuchung, die Bedeutung der eignen
Leistung dadurch zu exaggerieren, daß wir der ganzen Provinz, der sie
angehört, übertriebene Bedeutung beilegen! - indem wir ihre relative
Höhe auf jenes Ganze überfließen lassen und sie dadurch zu einer
absoluten steigern.
Wie oft verleitet der Besitz einer hervorragenden Einzelheit
irgendeiner Wertart - von den Gegenständen der Sammelmanien anfangend bis
zu den spezialistischen Kenntnissen eines wissenschaftlichen
Sondergebietes - dazu, eben diese Wertart als ganze im Zusammenhange des
Wertkosmos so hoch zu schätzen, wie jene Einzelheit es innerhalb ihrer
verdient!
Es ist, im Grunde genommen, immer der alte metaphysische Fehler: die
Bestimmungen, welche die Elemente eines Ganzen untereinander, also
relativerweise, aufzeigen, auf das Ganze zu übertragen - der Fehler, aus
dem heraus (> 548) z. B. die Forderung ursächlicher Begründung, die
für alle Teile der Welt und für deren Verhältnis untereinander gilt,
auch dem Ganzen der Welt gegenüber erhoben wird.
Den Enthusiasten für die moderne Technik würde es wahrscheinlich sehr
wunderlich vorkommen, daß ihr inneres Verhalten demselben Formfehler
unterliegen soll, wie das der spekulierenden Metaphysiker.
Und doch ist es so: die relativen Höhe, welche die technischen
Fortschritte der Gegenwart gegenüber den früheren Zuständen und unter
vorausgesetzter Anerkennung gewisser Ziele erreicht haben, wächst ihnen
zu einer absoluten Bedeutung dieser Ziele und also jener Fortschritte aus.
Gewiß haben wir jetzt statt der Tranlampen Azetylen und elektrisches
Licht; allein der Enthusiasmus über die Fortschritte der Beleuchtung
vergißt manchmal, daß das Wesentliche doch nicht sie, sondern dasjenige
ist, was sie besser sichtbar macht; der förmliche Rausch, in den die
Triumphe von Telegraphie und Telephonie die Menschen versetzt haben,
läßt sie oft übersehen, daß es doch wohl auf den Wert dessen ankommt,
was man mitzuteilen hat, und daß dem gegenüber die Schnelligkeit oder
Langsamkeit des Beförderungsmittels sehr oft eine Angelegenheit ist, die
ihren jetzigen Rang nur durch Usurpation erlangen konnte.
Und so auf unzähligen Gebieten.
Dieses Übergewicht der Mittel über die Zwecke findet seine
Zu-sammenfassung und Aufgipfelung in der Tatsache, daß die Peripherie des
Lebens, die Dinge außerhalb seiner Geistigkeit, zu Herren über sein
Zentrum geworden sind, über uns selbst.
Es ist schon richtig, daß wir die Natur damit beherrschen, daß wir ihr
dienen; aber in dem herkömmlichen Sinne doch nur für die Außenwerke es
Lebens richtig.
Sehen wir auf dessen Ganzheit und Tiefe, so kostet jenes
Verfügenkönnen über die äußere Natur, das die Technik uns einträgt,
den Preis, in ihr befangen zu sein und auf die Zentrierung des Lebens in
der Geistigkeit zu verzichten.
Die Illusionen dieses Gebietes zeichnen sich deutlich an den
Ausdrücken, die ihm dienen und mit denen eine auf ihre Objektivität und
Mythenfreiheit stolze Anschauungsweise das direkte Gegenteil dieser
Vorzüge verrät.
Daß wir die Natur besiegen oder beherrschen, ist ein ganz kindlicher
Begriff, da er irgendeinen Widerstand, ein teleologisches Moment n der
Natur selbst voraussetzt, eine Feindseligkeit gegen uns, da sie doch nur
gleichgültig ist, und alle ihre Dienstbarkeit ihre eigene
Gesetzmässigkeit nicht abbiegt - während alle Vorstellungen von
Herrschaft und Gehorsam, Sieg und Unterworfensein nur darin Sinn haben,
daß ein entgegenstehender Wille gebrochen ist.
Dies ist freilich nur das Gegenstück zu der Ausdrucksweise, daß die
Wirksamkeit der Naturgesetze den Dingen einen unentrinnbaren Zwang auferlege.
(> 549)
Denn zunächst wirken Naturgesetze überhaupt nicht, da sie nur die
Formeln für die allein möglichen Wirksamkeiten: der einzelnen Stoffe und
Energien, sind.
Die Naivität einer mißverstandenen Naturwissenschaftlichkeit: als ob
die Naturgesetze als reale Mächte die Wirklichkeit lenkten, wie ein
Herrscher sein Reich, steht insofern auf einem Blatt mit der unmittelbaren
Lenkung der irdischen Dinge durch den Finger Gottes.
Und nicht weniger irreführend ist der vorgebliche Zwang, das Müssen,
dem das Naturgeschehen unterliegen soll.
Unter diesen Kategorien empfindet nur die menschliche Seele das
Gebundensein an Gesetze, weil solchem in ihr Regungen entgegenstehen, die
uns in andere Richtungen führen möchten.
Das natürliche Geschehen als solches aber steht ganz jenseits der
Alter-native von Freiheit und Zwang, und mit dem »Müssen« wird in das
einfache Sein der Dinge ein Dualismus hineingefühlt, der nur für
bewußte Seelen einen Sinn hat.
Wären dies alles auch nur Fragen des Ausdrucks, so leitet dieser doch
alle oberflächlicher Denkenden auf anthropomorphistische Irrwege, und
zeigt, daß die mythologische Denkweise auch innerhalb der
naturwissenschaftlichen Weltanschauung ein Unterkommen findet.
Jener Begriff einer Herrschaft des Menschen über die Natur erleichtert
die selbstschmeichlerische Verblendung über unser Verhältnis zu ihr, die
doch selbst auf dem Boden dieses Gleichnisses nicht unvermeidlich wäre.
Der äußerlichen Objektivität und Sichtbarkeit nach ist allerdings
die wachsende Herrschaft auf der Seite des Menschen; aber damit ist noch
gar nicht entschieden, daß der subjektive Reflex, die nach innen
schlagende Bedeutung dieser historischen Tatsache nicht im
entgegengesetzten Sinn verlaufen könne.
Man lasse sich nicht durch das ungeheure Maß von Intelligenz beirren,
vermöge dessen die theoretischen Grundlagen jener Technik hervorgebracht
sind und das allerdings den Traum Platos: die Wissenschaft zur Herrscherin
des Lebens zu machen, - zu verwirklichen scheint.
Aber die Fäden, an denen die Technik die Kräfte und Stoffe der Natur
in unser Leben hineinzieht, sind ebenso viele Fesseln, die uns binden und
uns unendlich Vieles unentbehrlich machen, was doch für die Hauptsache
des Lebens gar sehr entbehrt werden könnte, ja müßte.
Wenn man schon auf dem Gebiet der Produktion behauptet, daß die
Maschine, die den Menschen doch die Sklavenarbeit an der Natur abnehmen
sollte, sie zu Sklaven eben an der Maschine selbst herabgedrückt hat, -
so gilt es für feinere und umfassendere innerliche Beziehungen erst recht
der Satz, daß wir die Natur beherrschen, indem wir ihr dienen, hat den
fürchterlichen Revers, daß wir ihr dienen, indem wir sie beherrschen.
Es ist sehr mißverständlich, daß die Bedeutsamkeit und (> 550)
geistige Potenz des modernen Lebens aus der Form des Individuums in die
der Massen übergegangen wäre; viel eher ist sie in die Form der Sachen
übergegangen, lebt sich aus in der unübersehbaren Fülle, wunderbaren
Zweckmäßigkeit, komplizierten Feinheit der Maschinen, der Produkte, der
überindividuellen Organisationen der jetzigen Kultur.
Und entsprechend ist der »Sklavenaufstand«, der die
Selbstherrlichkeit und den normgebenden Charakter des starken Einzelnen zu
entthronen droht ' nicht der Aufstand der Massen, sondern der der Sachen.
Wie wir einerseits die Sklaven des Produktionsprozesses geworden sind,
so andrerseits die Sklaven der Produkte: d. h., was uns die Natur vermöge
der Technik von außen liefert, ist durch tausend Gewöhnungen, tausend
Zerstreuungen, tausend Bedürfnisse äußerlicher Art über das
Sich-Selbst-Gehören, über die geistige Zentripetalität des Lebens Herr
geworden.
Damit hat das Dominieren der Mittel nicht nur einzelne Zwecke, sondern
den Sitz der Zwecke überhaupt ergriffen, den Punkt, in dem alle Zwecke
zusammenlaufen, weil sie, soweit sie wirklich Endzwecke sind, nur aus ihm
entspringen können.
So ist der Mensch gleichsam aus sich selbst entfernt, zwischen ihn und
sein Eigentlichstes, Wesentlichstes, hat sich eine Unübersteiglichkeit
von Mittelbarkeiten, technischen Errungenschaften, Fähigkeiten,
Genießbarkeiten geschoben.
Solcher Betonung der Mittelinstanzen des Lebens, gegenüber seinem
zentralen und definitiven Sinne, wüßte ich übrigens keine Zeit, der
dies ganz fremd gewesen wäre, entgegenzustellen.
Vielmehr, da der Mensch ganz auf die Kategorie von Zweck und Mittel
gestellt ist, so ist es wohl sein dauerndes Verhängnis, sich in einem
Widerstreit der Ansprüche zu bewegen, die der Zweck unmittelbar, und die
die Mittel stellen; das Mittel enthält immer die innere Schwierigkeit,
für sich Kraft und Bewußtsein zu verbrauchen, die eigentlich nicht ihm,
sondern einem andern gelten.
Aber es ist ja gar nicht der Sinn des Lebens, die Dauer versöhnter
Zustände, nach der es strebt, auch wirklich zu erlangen.
Es mag sogar für die Schwungkraft unserer Innerlichkeit gerade darauf
ankommen, jenen Widerspruch lebendig zu erhalten, und an seiner
Heftigkeit, an dem Überwiegen der einen oder der anderen Seite, der
psychologischen Form, in der jede von beiden auftritt, dürften sich die
Lebensstil - mit am charakteristischsten unterscheiden.
Für die Gegenwart, in der das Vorwiegen der Technik ersichtlich ein
Überwiegen des klaren, intelligenten Bewußtseins - als Ursache wie als
Folge - bedeutet, habe ich hervorgehoben, daß die Geistigkeit und
Sammlung der Seele, von der lauten Pracht des
naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters übertäubt, sich als ein
dumpfes Gefühl von Spannung und (> 551) unorientierter Sehnsucht
rächt; als ein Gefühl, als läge der ganze Sinn unserer Existenz in
einer so weiten Ferne, daß wir ihn gar nicht lokalisieren können und so
immer in Gefahr sind, uns von ihm fort, statt auf ihn hin zu bewegen - und
dann wieder, als läge er vor unseren Augen, mit einem Ausstrecken der
Hand würden wir ihn greifen, wenn nicht immer gerade ein Geringes von
Mut, von Kraft oder von innerer Sicherheit uns fehlte.
Ich glaube, daß diese heimliche Unruhe, dies ratlose Drängen
unter der Schwelle des Bewußtseins, das den jetzigen Menschen vom
Sozialismus zu Nietzsche, von Böcklin zum Impressionismus, von Hegel zu
Schopenhauer und wieder zurück jagt - nicht nur der äußeren Hast und
Aufgeregtheit des modernen Lebens entstammt, sondern daß umgekehrt diese
vielfach der Ausdruck, die Erscheinung, die Entladung jenes innersten
Zustandes ist.
Der Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele treibt dazu, in immer
neuen Anregungen, Sensationen" äußeren Aktivitäten eine momentane
Befriedigung zu suchen; so verstrickt uns dieser erst seinerseits in die
wirre Halt- und Ratlosigkeit, die sich bald als Tumult der Großstadt,
bald als Reisemanie, bald als die wilde Jagd der Konkurrenz, bald als die
spezifisch moderne Treulosigkeit auf den Gebieten des Geschmacks, der
Stile, der Gesinnungen, der Beziehungen offenbart.
Die Bedeutung des Geldes für diese Verfassung des Lebens ergibt sich
als einfacher Schluß aus den Prämissen, die alle Erörterungen dieses
Buches festgestellt haben.
Es genügt also die bloße Erwähnung seiner Doppelrolle: das Geld
steht einmal in einer Reihe mit all den Mitteln und Werkzeugen, der
Kultur, die sich vor die innerlichen und Endzwecke schieben und diese
schließlich überdecken und verdrängen.
Bei ihm treten, teils wegen der Leidenschaft seines Begehrtwerdens,
teils wegen seiner eigenen Leerheit und bloßen Durchgangscharakters die
Sinnlosigkeit und die Folgen jener teleologischen Verschiebung am
auffälligsten hervor; allein insofern ist es doch nur die graduell
höchste all jener Erscheinungen, es übt die Funktion der Distanzierung
zwischen uns und unseren Zwecken nur reiner und restloser als die anderen
technischen Mittelinstanzen, aber prinzipiell in keiner anderen Weise;
auch hier zeigt es sich als nichts Isoliertes, sondern nur als der
vollkommenste Ausdruck von Tendenzen, die sich auch unterhalb seiner in
einer Stufenfolge von Erscheinungen darstellen.
Nach einer anderen Richtung freilich stellt sich das Geld jenseits
dieser ganzen Reihe, indem es nämlich vielfach der Träger ist, durch den
die einzelnen, jene Umbildung erfahrenden Zweckreihen ihrerseits erst
zustande kommen.
Es durchflicht dieselben als Mittel der Mittel, als die allgemeinste
Technik des äußeren Lebens, ohne die die einzelnen (> 552) Techniken
unserer Kultur unentstanden geblieben wären.
Also auch nach dieser Wirkungsrichtung hin zeigt es die Doppelheit
seiner Funktionen, durch deren Vereinigung es die Form der größten und
tiefsten Lebenspotenzen überhaupt wiederholt: daß es einerseits in den
Reihen der Existenz als ein Gleiches oder allenfalls ein Erstes unter
Gleichen steht, und daß es andrerseits über ihnen steht, als
zusammenfassende, alles Einzelne tragende und durchdringende Macht.
So ist die Religion eine Macht im Leben, neben seinen andern Interessen
und oft gegen sie, einer der Faktoren, deren Gesamtheit das Leben
ausmacht, und andrerseits die Einheit und der Träger des ganzen Daseins
selbst - einerseits, ein Glied des Lebensorganismus, andrerseits diesem
gegenüberstehend, indem sie ihn in der Selbstgenügsamkeit ihrer Höhe
und Innerlichkeit ausdrückt.
Ich komme nun zu einer zweiten Stilbestimmtheit des Lebens, die nicht,
wie die Distanzierung, durch eine räumliche, sondern durch eine zeitliche
Analogie, bezeichnet wird; und zwar, da die Zeit inneres und äußeres
Geschehen gleichmäßig umfaßt, wird die Wirklichkeit damit unmittelbarer
und mit geringerer Inanspruchnahme der Symbolik als in dem früheren Falle
charakterisiert.
Es handelt sich um den Rhythmus, in dem die Lebensinhalte auftreten und
zurücktreten, um die Frage, inwieweit die verschiedenen Kulturepochen
überhaupt die Rhythmik in dem Abrollen derselben begünstigen oder
zerstören, und ob das Geld nicht nur in seinen eigenen Bewegungen daran
teil hat, sondern auch jenes Herrschen oder Sinken der Periodik des Lebens
von sich aus beeinflußt.
Auf den Rhythmus von Hebung und Senkung ist unser Leben in all seinen
Reihen eingestellt; die Wellenbewegung, die wir in der äußeren Natur
unmittelbar und als die zugrunde liegende Form so vieler Erscheinungen
erkennen, beherrscht auch die Seele im weitesten Kreise.
Der Wechsel von Tag und Nacht, der unsere ganze Lebensform bestimmt,
zeichnet uns die Rhythmik als allgemeines Schema vor; wir können nicht
zwei, dem Sinne nach koordinierte Begriffe aussprechen, ohne daß
psychologisch der eine den Akzent der Hebung, der andere den der Senkung
erhielte: so ist z. B. »Wahrheit und Dichtung« etwas ganz anderes als
»Dichtung und Wahrheit«.
Und wo von drei Elementen das dritte dem zweiten koordiniert sein soll,
ist auch dies psychologisch nicht vollkommen zu realisieren, sondern die
Wellenform des Seelischen strebt dem dritten einen dem ersten ähnlichen
Akzent zu geben: z. B. ist das Vermaß gar nicht völlig korrekt
auszusprechen, sondern unvermeidlich wird die dritte Silbe schon wieder
etwas stärker als die zweite betont.
Die Einteilung der Tätigkeitsreihen, im großen wie im kleinen, in
rhythmisch wiederholte Perioden dient (> 553) zunächst der
Kraftersparnis.
Durch den Wechsel innerhalb der einzelnen Periode werden die
Tätigkeitsträger, physischer oder psychischer Art, abwechselnd geschont,
während zugleich die Regelmäßigkeit des Turnus eine Gewöhnung an den
ganzen Bewegungskomplex schafft, deren allmähliches Festerwerden jede
Wiederholung erleichtert.
Der Rhythmus genügt gleichzeitig den Grundbedürfnissen nach
Mannigfaltigkeit und nach Gleichmäßigkeit, nach Abwechslung und nach
Stabilität: indem jede Periode für sich aus differenten Elementen,
Hebung und Senkung, quantitativen oder qualitativen Mannigfaltigkeiten
besteht, die regelmäßige Wiederholung ihrer aber Beruhigung,
Uniformität, Einheitlichkeit im Charakter der Reihe bewirkt.
An der Einfachheit oder der Komplikation der Rhythmik, der Länge oder
Kürze ihrer einzelnen Perioden, ihrer Regelmäßigkeit, ihren
Unterbrechungen, oder auch ihrem Ausbleiben finden die individuellen und
die sozialen, die sachlichen und die historischen Lebensreihen gleichsam
ihre abstrakte Schematik.
Innerhalb der hier fraglichen Kulturentwicklungen begegnen zunächst
eine Reihe von Erscheinungen, die in früheren Stadien rhythmisch, in
späteren aber kontinuierlich oder unregelmäßig verlaufen.
Vielleicht die auffallendste: der Mensch hat keine bestimmte
Paarungszeit mehr, wie sie fast bei allen Tieren besteht, bei denen sich
sexuelle Erregtheit und Gleichgültigkeit scharf gegeneinander absetzen;
unkultivierte Völker weisen mindestens noch Reste dieser Periodik auf.
Die Verschiedenheit in der Brunstzeit der Tiere hängt wesentlich
daran, daß die Geburten zu derjenigen Jahreszeit erfolgen müssen, in der
Nahrungs- und klimatische Verhältnisse für das Aufbringen der jungen am
günstigsten sind; tatsächlich werden auch bei einigen der sehr rohen
Australneger, die keine Haustiere haben und deshalb regemäßigen
Hungersnöten unterliegen, nur zu einer bestimmten Zeit des Jahres Kinder
geboren.
Der Kulturmensch hat sich durch seine Verfügung über Nahrung und
Wetterschutz hiervon unabhängig gemacht, so daß er in dieser Hinsicht
seinen individuellen Impulsen und nicht mehr allgemein, also notwendig
rhythmisch, bestimmten, folgt: die oben genannten Gegensätze der
Sexualität sind bei ihm in ein mehr oder weniger fluktuierendes Kontinuum
übergegangen.
Immerhin ist festgestellt, daß die noch beobachtbare Periodizität des
Geburtenmaximums und -minimums in wesentlich Ackerbau treibenden Gegenden
entschiedener ist als in industriellen, auf dem Lande entschiedener als in
Städten.
Weiter: das Kind unterliegt einem unbezwinglichen Rhythmus von Schlafen
und Wachen, von Betätigungslust und Abgespanntheit, und annähernd ist
das auch noch in ländlichen Verhältnissen zu beobachten - während für
den Stadtmenschen (> 554) diese Regelmäßigkeit der Bedürfnisse
(nicht nur ihrer Befriedigungen!) längst durchbrochen ist.
Und wenn es wahr ist, daß die Frauen die undifferenziertere, der Natur
noch unmittelbarer verbundene Stufe des Menschlichen bezeichnen, so
könnte die Periodik, die ihrem physiologischen Leben einwohnt, als
Bestätigung dafür dienen.
Wo der Mensch noch unmittelbar von der Ernte oder dem Jagdertrag,
weiterhin von dem Eintreffen des umherziehenden Händ-lers oder von dem
periodischen Markte abhängig ist, da muß sich das Leben nach sehr vielen
Richtungen hin in einem Rhythmus von Expansion und Kontraktion bewegen.
Für manche Hirtenvölker, die sogar schon höher stehen wie jene
Australneger, z. B. manche Afrikaner, bedeuten die Zeiten, in denen es an
Weideland fehlt, doch eine jährlich wiederkehrende halbe Hungersnot.
Und selbst wo nicht eine eigentliche Periodik vorliegt, da zeigt doch
die primitive Wirtschaft für den Selbstbedarf in bezug auf die Konsumtion
wenigstens jenes wesentliche Moment ihrer: das unvermittelte Überspringen
der Gegensätze ineinander, von Mangel zu Überfluß, von Überfluß zu
Mangel.
Wie sehr die Kultur hier Ausgleichung bedeutet, ist ersichtlich.
Nicht nur sorgt sie dafür, daß das ganze Jahr über alle erforderlichen
Lebensmittel in ungefähr gleichem Quantum angeboten werden, sondern
vermöge des Geldes setzt sie auch die verschwenderische Konsumtion herab:
denn jetzt kann der zeitweilige Überfluß zu Gelde gemacht und sein
Genuß dadurch gleichmäßig und kontinuierlich über das ganze Jahr
verteilt werden.
Ich erwähne hier endlich, ganz jenseits aller Wirtschaft und nur als
charakteristisches Symbol dieser Entwicklung, daß auch in der Musik das
rhythmische Element das zuerst ausgeprägte und gerade auf ihren
primitivsten Stufen äußerst hervortretende ist.
Ein Missionar ist in Aschanti bei der wirren Disharmonie der dortigen
Musik von dem wunderbaren Takthalten der Musiker überrascht, die
chinesische Theatermusik in Kalifornien soll, obgleich ein
ohrenzerreißender unmelodischer Lärm, doch strenge Taktmäßigkeit
besitzen, von den Festen der Wintunindianer erzählt ein Reisender: »Dann
kommen auch Gesänge, in denen jeder Indianer seine eigenen Gefühle
ausdrückt, wobei sie seltsamerweise vollkommen Takt miteinander halten.«
Tiefer hinabsteigend: gewisse Insekten bringen einen Laut zur Bezauberung
der Weibchen hervor, der in einem und demselben, scharf rhythmisch
wiederholten Ton besteht - im Unterschied gegen die höher entwickelten
Vögel, in deren Liebesgesang die Rhythmik ganz hinter die Melodie
zurücktritt.
Und auf den höchsten Stufen der Musik wird bemerkt, daß neuerdings
die Entwicklung vom Rhythmischen ganz abzuweichen scheine, nicht nur bei
Wagner, sondern auch bei (> 555) gewissen Gegnern von ihm, die in ihren
Texten dem Rhythmischen aus dem Wege gehen und den Korintherbrief und den
Prediger Salomonis komponieren; der scharfe Wechsel von Hebung und Senkung
macht ausgeglichneren oder unregelmäßigeren Formen Platz.
Sehen wir von dieser Analogie wieder auf das wirtschaftliche und
allgemeine Kulturleben zurück, so scheint dasselbe von einer
durchgängigen Vergleichmäßigung ergriffen, seit man für Geld alles zu
jeder Zeit kaufen kann und deshalb die Regungen und Reizungen des
Individuums sich an keinen Rhythmus mehr zu halten brauchen, der, von der
Möglichkeit ihrer Befriedigung aus, sie einer transindividuellen
Periodizität unterwürfe.
Und wenn die Kritiker der jetzigen Wirtschaftsordnung gerade ihr den
regelmäßigen Wechsel zwischen Überproduktion und Krisen vorwerfen, so
wollen sie damit doch gerade das noch Unvollkommene an ihr bezeichnen, das
in eine Kontinuität der Produktion wie des Absatzes überzuführen sei.
Ich erinnere an die Ausdehnung des Transportwesens, das von der
Periodizität der Fahrpost zu den zwischen den wichtigsten Punkten fast
ununterbrochen laufenden Verbindungen und bis zum Telegraphen und Telephon
fortschreitet, die die Kommunikation überhaupt nicht mehr an eine
Zeitbestimmtheit binden; an die Verbesserung der künstlichen Beleuchtung,
die den Wechsel von Tag und Nacht mit seinen, das Leben rhythmisierenden
Folgen immer gründlicher paralysiert; an die gedruckte Literatur, die
uns, unabhängig von dem eigenen organischen Wechsel des Denkprozesses
zwischen Anspannungen und Pausen, in jedem Momente, wo wir es gerade
wünschen, mit Gedanken und Anregungen versorgt.
Kurz, wenn die Kultur, wie man zu sagen pflegt, nicht nur den Raum,
sondern auch die Zeit überwindet, so bedeutet dies, daß die Bestimmtheit
zeitlicher Abteilungen nicht mehr das zwingende Schema für unser Tun und
Genießen bildet, sondern daß dieses nur noch von dem Verhältnis
zwischen unserem Wollen und Können und den rein sachlichen Bedingungen
ihrer Betätigung abhängt.
Also: die generell dargebotenen Bedingungen sind vom Rhythmus befreit,
sind ausgeglichener, um der Individualität Frei-heit und mögliche
Unregelmäßigkeit zu verschaffen; in diese Differenzierung sind die
Elemente von Gleichmäßigkeit und Verschiedenheit, die im Rhythmus
vereint sind, auseinandergegangen.
Es wäre indes ganz irrig, die Entwicklung des Lebensstiles in die
verführerisch einfache Formel zu bannen, daß er von der Rhythmik seiner
Inhalte zu einer von jedem Schema unabhängigen Bewährung derselben
weiterschritte.
Dies gilt vielmehr nur für bestimmte Abschnitte der Entwicklung, deren
Ganzes tiefere und verwickeltere Nachzeichnungen fordert.
Ich untersuche deshalb zunächst (> 556) die
psychologisch-historische Bedeutung jener Rhythmik, wobei ich ihr rein
physiologisch veranlaßtes Auftreten, (las nur die Periodik der äußeren
Natur wiederholt, außer acht lasse.
Man kann den Rhythmus als die auf die Zeit übertragene Symmetrie
bezeichnen, wie die Symmetrie als Rhythmus im Raum.
Wenn man rhythmische Bewegungen in Linien zeichnet, so werden diese
symmetrisch; und umgekehrt: die Betrachtung des Symmetrischen ist ein
rhythmisches Vorstellen.
Beides sind nur verschiedene Formen desselben Grundmotives.
Wie in den Künsten des Ohres der Rhythmus, so ist in denen des Auges die
Symmetrie der Anfang aller Gestaltung des Materiales.
Um überhaupt in die Dinge Idee, Sinn, Harmonie zu bringen, muß man
sie zunächst symmetrisch gestalten, die Teile des Ganzen untereinander
ausgleichen, sie ebenmäßig um einen Mittelpunkt herum ordnen.
Die formgebende Macht des Menschen gegenüber der Zufälligkeit und
Wirrnis der bloß natürlichen Gestaltung wird damit auf die schnellste,
sichtbarste und unmittelbarste Art versinnlicht.
Die Symmetrie ist der erste Kraftbeweis des Rationalismus, mit dem er
uns von der Sinnlosigkeit der Dinge und ihrem einfachen Hinnehmen erlöst.
Deshalb sind auch die Sprachen unkultivierter Völker oft viel
symmetrischer gebaut, als die Kultursprachen, und sogar die soziale
Struktur zeigt z. B. in den «Hundertschaften«, die das
Organisationsprinzip der verschiedensten Völker niederer Stufe bilden,
die symmetrische Einteilung als einen ersten Versuch der Intelligenz, die
Massen in eine überschaubare und lenkbare Form zu bringen.
Die symmetrische Anordnung ist, wie gesagt, durchaus rationalistischen
Wesens, sie erleichtert die Beherrschung des Vielen und der Vielen von
einem Punkte aus.
Die Anstöße setzen sich länger, widerstandsloser, berechenbarer
durch ein symmetrisch angeordnetes Medium fort, als wenn der innere Bau
und die Grenzen der Teile unregelmäßig und fluktuierend sind.
Wenn Dinge und Menschen unter das Joch des Systems gebeugt - d. h.
symmetrisch angeordnet - sind, so wird der Verstand am schnellsten mit
ihnen fertig.
Daher hat sowohl der Despotismus wie der Sozialismus besonders starke
Neigungen zu symmetrischen Konstruktionen der Gesellschaft, beide, weil es
sich für sie um eine starke Zentralisierung der letzteren handelt, um
derentwillen die Individualität der Elemente, die Ungleichmäßigkeit
ihrer Formen und Verhältnisse zur Symmetrie nivelliert werden muß.
In äußerlichem Symbol: Ludwig XIV. soll seine Gesundheit aufs Spiel
gesetzt haben, um Türen und Fenster symmetrisch zu haben.
Und ebenso konstruieren sozialistische Utopien die lokalen Einzelheiten
ihrer Idealstädte oder -staaten immer nach dem Prinzip der Symmetrie:
entweder in Kreisform oder in (> 557) quadratischer Form werden die
Ortschaften oder Gebäude angeordnet.
In Campanellas Sonnenstaat ist der Plan der Reichshauptstadt
mathematisch abgezirkelt, ebenso wie die Tageseinteilung der Bürger und
die Abstufung ihrer Rechte und Pflichten.
Rabelais' Orden der Thelemiten lehrt, in Opposition zu Morus, einen so
absoluten Individualismus, daß es in diesem Utopien keine Uhr geben darf,
sondern alles nach Bedürfnis und Gelegenheit geschehen soll; aber der
Stil der unbedingten Ausgerechnetheit und Rationalisierung des Lebens
verlockt ihn doch, die Gebäulichkeiten seines Idealstaates genau
symmetrisch anzuordnen: ein Riesenbau in Form eines Sechsecks, in jeder
Ecke ein Turm, sechzig Schritt im Durchmesser.
Die »Bauhütte« der mittelalterlichen Baugenossenschaften mit ihrer
stren-gen, abgezirkelten, Alles normierenden Lebensweise und Verfassung
war möglichst in quadratischer Form gebaut.
Dieser allgemeine Zug sozialistischer Pläne zeugt nur in roher Form für
die tiefe Anziehungskraft, die der Gedanke der harmonischen, innerlich
aus-geglichenen, allen Widerstand der irrationalen Individualität
über-windenden Organisation des menschlichen Tuns ausübt.
Die symmetrisch-rhythmische Gestaltung bietet sich so als die erste und
einfachste dar, mit der der Verstand den Stoff des Lebens gleichsam
stilisiert, beherrschbar und assimilierbar macht, als das erste Schema,
vermöge dessen er sich in die Dinge hineinbilden kann.
Aber eben damit ist auch die Grenze für Sinn und Recht dieses
Lebensstiles angedeutet.
Denn nach zwei Seiten hin wirkt er vergewaltigend: einmal auf das
Subjekt, dessen Impulse und Bedürfnisse doch nicht in prästabilierter,
sondern jedesmal nur glücklich-zufälliger Harmonie mit jenem
feststehenden Schema auftreten; und nicht weniger der äußeren
Wirklichkeit gegenüber, deren Kräfte und Verhältnisse zu uns sich nur
gewaltsam in einen so einfachen,
Rahmen fassen lassen.
Unter richtiger Verteilung auf die verschiedenen Geltungsgebiete kann
man dies, mit nur scheinbarer Paradoxie, so aussprechen: die Natur ist
nicht so symmetrisch wie die Seele es fordert, und die Seele nicht so
symmetrisch, wie die Natur es fordert.
Alle Gewalttätigkeiten und Inadäquatheiten, die die Systematik
gegenüber der Wirklichkeit mit sich bringt, kommen auch der
Rhythmisierung und Symmetrie in der Gestaltung der Lebensinhalte zu.
Wie es am Einzelmenschen zwar eine erhebliche Kraft verrät, wenn er
Personen und Dinge sich assimiliert, indem er ihnen die Form und das
Gesetz seines Wesens aufzwingt, wie aber der noch größere Mensch den
Dingen in ihrer Eigenart gerecht wird und sie gerade mit dieser und
gemäß ihrer in den Kreis seiner Zwecke und seiner Macht hineinzieht - so
ist es zwar schon eine Höhe des Menschlichen, (> 558) die
theoretische und praktische Welt in ein Schema von uns aus zu zwingen;
größer aber ist es, die eigenen Gesetze und Forderungen der Dinge
anerkennend und ihnen folgsam, sie erst so in unser Wesen und Wirken
einzubauen.
Denn das beweist nicht nur eine sehr viel größere
Expansionsfähigkeit und Bildsamkeit des letzteren, sondern es kann auch
den Reichtum und die Möglichkeiten der Dinge viel gründlicher
ausschöpfen.
Deshalb sehen wir zwar auf manchen Gebieten den Rhythmus als das
spätere, das rationalistisch-systematische Prinzip als die nicht zu
überwindende Entwicklungsstufe, andere aber lassen diese der Gestaltung
von Fall zu Fall Platz machen und lösen die Vorbestimmtheit des
mitgebrachten Schemas in die wechselnden Ansprüche der Sache selbst auf.
So sehen wir z. B. daß erst in höheren Kulturverhältnissen die
Einrichtung regelmäßiger Mahlzeiten den Tag im allgemeinen rhythmisch
gliedert; eine Mehrzahl fester täglicher Mahlzeiten scheint bei keinem
Naturvolk vorzukommen.
Im Gegensatz dazu haben wir freilich schon oben bemerkt, daß in bezug
auf das Ganze der Ernährung Naturvölker oft einen regelmäßigen
Rhythmus von Entbehrungsperioden und Zeiten schwelgerischen Verjubelns
haben, den die höhere Wirtschaftstechnik völlig beseitigt hat.
Allein jene Gleichmäßigkeit täglicher Mahlzeiten erreicht ihre
große Stabilität zwar auf sehr hohen, vielleicht aber doch nicht auf den
allerhöchsten Stufen der sozialen und geistigen Skala.
In der obersten Gesellschaftsschicht erleidet dieselbe durch den Beruf,
die Geselligkeit und komplizierte Rücksichten vielerlei Art wieder
manchen Abbruch, und zu eben demselben werden den Künstler und den
Gelehrten die wechselnden Anforderungen der Sache wie der Stimmungen des
Tages veranlassen.
Dies weist schon darauf hin, wie sehr der Rhythmus der Mahlzeiten - und
sein Gegenteil - dem der Arbeit entspricht.
Auch hier lassen verschiedene Reihen ganz verschiedene Verhältnisse
erkennen.
Der Naturmensch arbeitet genau so unregelmäßig, wie er ißt.
Auf gewaltige Kraftanstrengungen, zu denen die Not oder Laune ihn treibt,
folgen Zeiten absoluter Faulheit, beides ganz zufällig und prinziplos
abwechselnd.
Wahrscheinlich mit Recht hat man, wenigstens für die nördlicheren
Länder, mit dein pflugmäßigen Ackerbau erst eine feste Ordnung der
Tätigkeiten, einen sinnvollen Rhythmus von Anspannung und Abspannung der
Kräfte beginnen lassen.
Diese Rhythmik erreicht ihren äußersten Grad etwa bei der höheren
Fabrikarbeit und bei der Arbeit in Bureaus jeder Art.
Auf den Gipfeln der kulturellen Tätigkeit, der wissenschaftlichen,
politischen, künstlerischen, kommerziellen, pflegt sie wieder stark
herabzusinken; so daß sogar, wenn wir etwa von einem Schriftsteller
hören, daß er täglich (> 559) zu gleicher Minute die Feder in die
Hand nimmt und sie zu gleicher wieder fortlegt, dieser stationäre
Rhythmus der Produktion uns gegen ihre Inspiration und innere Bedeutung
mißtrauisch macht.
Aber auch innerhalb des Lohnarbeitertums führt die Entwicklung, wenn
auch aus ganz anderen Motiven, zu Ungleichmäßigkeit und
Unberechenbarkeit als der späteren Stufe.
Bei dem Aufkommen der englischen Großindustrie litten die Arbeiter
außerordentlich darunter, daß jede Absatzstockung den Betrieb eines
Großunternehmens viel mehr störte, als sie den vieler kleiner gestört
hatte, schon weil die Zunft die Verluste zu teilen pflegte.
Früher hatten die Meister in schlechten Zeiten auf Vorrat gearbeitet,
jetzt wurden die Arbeiter einfach entlassen; früher waren die Löhne
jahrweise durch die Obrigkeit fixiert worden, jetzt führte jeder
Preisabschlag zu ihrer Herabsetzung.
Unter diesen Umständen, so wird berichtet, zogen viele Arbeiter vor,
unter dem alten System weiterzuarbeiten, statt die höheren Löhne des
neuen mit der größeren Unregelmäßigkeit der Beschäftigung überhaupt
zu bezahlen.
So hat der Kapitalismus und die entsprechende wirtschaftliche
Individualisierung, mindestens strichweise, die Arbeit als Ganzes - darum
auch meist ihre Inhalte! - zu etwas viel Unsichrerem gemacht, viel
zufälligeren Konstellationen unterworfen, als sie zur Zeit der Zünfte
bestanden, wo die größere Stabilität der Arbeitsbedingungen doch auch
den sonstigen Lebensinhalten des Tages und Jahres einen viel festeren
Rhythmus verlieh.
Und was die Gestaltung des Arbeitsinhaltes betrifft, so haben neuere
Untersuchungen nachgewiesen, daß derselbe früher, insbesondere bei dem
primitiven Zusammenarbeiten und der allenthalben vorkommenden
Gesangbegleitung, einen überwiegend rhythmischen Charakter besessen,
denselben aber nachher, mit der Vervollkommnung der Werkzeuge und der
Individualisierung der Arbeit, wieder eingebüßt habe.
Nun enthält zwar gerade der moderne Fabrikbetrieb wieder stark
rhythmische Elemente; allein soweit sie den Arbeiter an die Strenge
gleichmäßig wiederholter Bewegungen binden, haben sie eine ganz andere
subjektive Bedeutung, als jene alte Arbeitsrhythmik.
Denn diese folgte den inneren Forderungen physiologisch-psychologischer
Energetik, die jetzige aber entweder unmittelbar der rücksichtslos
objektiven Maschinenbewegung oder dem Zwange für den einzelnen Arbeiter,
als Glied einer Gruppe von Arbeitern, deren jeder nur einen kleinen
Teilprozeß verrichtet, mit den anderen Schritt zu halten.
Vielleicht erzeugte dies eine Abstumpfung des Gefühls für den
Rhythmus überhaupt, die die folgende Erscheinung deuten könnte.
Die alten Gesellenschaften kämpften wie die heutigen Gewerkvereine um
kürzere Arbeitszeit.
Aber während die Gesellenschaften die Arbeit (> 560) von 5 oder 6
Uhr morgens bis 7 Uhr abends akzeptierten, also eigentlich für den ganzen
Tag bis zur Schlafenszeit und dafür energisch auf einen ganz freien Tag
drangen - kommt es heute auf Kürzung der täglichen Arbeitszeit an.
Die Periode, in der der regelmäßige Wechsel von Arbeit und Erholung
stattfindet, ist also für den modernen Arbeiter kürzer geworden.
Bei den älteren Arbeitern war das rhythmische Gefühl weit und
ausdauernd genug, um sich an der Wochenperiode zu befriedigen.
Jetzt aber bedarf dieses - was vielleicht Folge, vielleicht Ausdruck
gesunkener Nervenkraft ist -häufigerer Reizung, die Alternierung muß
rascher erfolgen, um zu jenem subjektiv erwünschten Erfolge zu kommen.
Die Entwicklung des Geldwesens folgt dem gleichen Schema.
Es zeigt gewisse rhythmische Erscheinungen als eine Art Mittelstufe:
aus der chaotischen Zufälligkeit, in der sein erstes Auftreten sich
bewegt haben muß, gelangt es zu jenen, die doch immerhin ein Prinzip und
eine sinnvolle Gestaltung aufzeigen, bis es auf weiterer Stufe eine
Kontinuität des Sich-Darbietens gewinnt, mit der es sich allen sachlichen
und persönlichen Notwendigkeiten, frei von dem Zwange eines rhythmischen
und in höherem Sinn doch zufälligen Schemas, anschmiegt.
Es genügt für unseren Zweck, den Übergang von der zweiten zur
dritten Stufe an einigen Beispielen zu zeigen.
Noch im 16. Jahrhundert war es selbst an einem Platz so großartigen
Geldverkehrs wie Antwerpen fast unmöglich, außerhalb der regelmäßigen
Wechselmessen eine erheblichere Geldsumme aufzutreiben; die Verbreitung
dieser Möglichkeit auf jeden beliebigen Augenblick, in dem der Einzelne
Geld bedarf, bezeichnet den Übergang zu der vollen Entwicklung der
Geldwirtschaft.
Immerhin ist es für die Fluktuation zwischen rhythmischer und
unrhythmischer Gestaltung des Geldwesens und für das Empfinden derselben
bezeichnend, daß von den an die mittelalterliche Schwierigkeit und
Irrationalität des Geldverkehrs Gewöhnten der Antwerpener Verkehr eine
»unaufhörliche Messe« genannt wurde.
Ferner: solange der einzelne Geschäftsmann alle Zahlungen unmittelbar
aus seiner Kasse leistet, bzw. in dieselbe einnimmt, muß er zu den
Zeiten, wo regelmäßig größere Summen fällig werden, einen erheblichen
Barbestand beschaffen, und andrerseits in den Zeiten überwiegender
Eingänge dieselben sogleich zweckmäßig unterzubringen wissen.
Die Konzentrierung des Geldverkehrs in den großen Banken enthebt ihn
dieses periodischen Zwanges zur Anhäufung und Drainierung; denn nun
werden, indem er und seine Geschäftsfreunde mit derselben Girobank
arbeiten, Aktiva und Passiva einfach durch buchmäßige Übertragung
saldiert, so daß der Kaufmann nur noch eines relativ geringfügigen (>
561) und immer gleichbleibenden Kassenbestandes für die täglichen
Ausgaben bedarf, während die Bank selbst, weil die Ein- und Ausgänge von
den verschiedenen Seiten sich im ganzen paralysieren, einen relativ viel
kleineren Barbestand, als sonst der individuelle Kaufmann, zu halten
braucht.
Endlich ein letztes Beispiel.
Der mehr oder weniger periodische Wechsel von Not und Plethora in
Zeiten un-entwickelter Geldkultur bewirkt einen entsprechend periodischen
Wechsel des Zinsfußes zwischen großer Billigkeit und schwindelhafter
Höhe.
Die Vervollkommnung der Geldwirtschaft hat nun diese Schwankungen
derartig ausgeglichen, daß der Zinsfuß, mit früheren Zeiten verglichen,
kaum noch aus seiner Stabilität weicht und daß eine Änderung des
englischen Bankdiskonts um ein Prozent schon als ein Ereignis von großer
Bedeutsamkeit gilt; wodurch denn der Einzelne in seinen Dispositionen
außerordentlich beweglicher und von der Bedingtheit durch Schwankungen
befreit wird, die oberhalb seiner liegen und deren Rhythmus die
Erfordernisse seines eigenen Geschäftsgebahrens in eine ihnen oft genug
widerstrebende Formung zwang.
Die Gestaltungen, die der Rhythmus oder sein Gegenteil den
Daseinsinhalten verleiht, verlassen nun aber ihre Form als wechselnde
Stadien einer Entwicklung und bieten sich im Zugleich dar.
Das Lebensprinzip, das man mit dem Symbol des Rhythmisch-Symmetrischen,
und dasjenige, das man als das individualistisch-spontane bezeichnen kann,
sind die Formulierungen tiefster Wesensrichtungen, deren Gegensatz nicht
immer, wie in den bisherigen Beispielen, durch Einstellung in
Entwicklungsgänge versöhnbar ist, sondern die dauernden Charaktere von
Individuen und Gruppen abschließend bezeichnet.
Die systematische Lebensform ist nicht nur, wie ich schon hervorhob,
die Technik zentralistischer Tendenzen, mögen sie despotischer oder
sozialistischer Art sein, sondern sie gewinnt außerdem einen Reiz für
sich: die innere Ausgeglichenheit und äußere Geschlossenheit, die
Harmonie der Teile und Berechenbarkeit ihrer Schicksale verleiht allen
symmetrisch-systematischen Organisationen eine Anziehung, deren Wirkungen
weit über alle Politik hinaus an unzähligen öffentlichen und privaten
Interessen gestaltende Macht übt.
Mit ihr sollen die individuellen Zufälligkeiten des Daseins eine
Einheit und Durchsichtigkeit erhalten, die sie zum Kunstwerk macht.
Es handelt sich um den gleichen ästhetischen Reiz, wie ihn die
Maschine auszuüben vermag.
Die absolute Zweckmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Bewegungen, die
äußerste Verminderung der Widerstände und Reibungen, das harmonische
Ineinandergreifen der kleinsten und der größten Bestandteile: das
verleiht der Maschine selbst bei oberflächlicher(> 562) Betrachtung
eine eigenartige Schönheit, die die Organi-sation der Fabrik in
erweitertem Maße wiederholt und die der sozialistische Staat im
allerweitesten wiederholen soll.
Aber diesem Reize liegt, wie allem Ästhetischen, eine
letztinstanzliche Richtung und Bedeutsamkeit des Lebens zum Grunde, eine
elementare Beschaffenheit der Seele, von der auch die ästhetische
Anziehung oder Bewährung nur eine Erscheinung an äußerem Stoffe ist;
wir haben jene nicht eigentlich, wie wir ihre Ausgestaltungen im Material
des Lebens: ästhetische, sittliche, soziale, intellektuelle,
eudämonistische, haben, sondern wir sind sie.
Diese äußersten Entscheidungen der menschlichen Naturen sind mit
Worten nicht zu bezeichnen, sondern sie sind nur aus jenen einzelnen
Darstellungen ihrer als deren letzte Triebkräfte und Direktiven
herauszufühlen.
Darum ist der Reiz der entgegengesetzten Lebensform ebenso
indiskutabel, in dessen Empfinden sich die aristokratischen und die
individualistischen Tendenzen - in welcher Provinz unserer Interessen sie
auch auftreten mögen -- begegnen.
Die historischen Aristokratien vermeiden gern die Systematik, die
generelle Formung, die den Einzelnen in ein ihm äußeres Schema
einstellt, jedes Gebilde - politischer, sozialer, sachlicher, personaler
Art - soll sich gemäß der echt aristokratischen Empfindung als
eigenartiges in sich zusammenschließen und bewähren.
Der aristokratische Liberalismus des englischen Lebens findet deshalb
in der Asymmetrie, in der Befreiung des individuellen Falles von der
Präjudizierung durch sein Pendant, den typischsten und gleichsam
organischsten Ausdruck seiner innersten Motive.
Ganz direkt hebt Macaulay, der begeisterte Liberale, dies als die
eigentliche Stärke des englischen Verfassungslebens hervor.
»Wir denken,« so sagt er, »gar nicht an die Symmetrie, aber sehr an
die Zweckmäßigkeit; wir ent-fernen niemals eine Anomalie, bloß weil sie
eine Anomalie ist; wir stellen keine Normen von weiterem Umfang auf, als
es der besondere Fall., um den es sich gerade handelt, erfordert. Das sind die Regeln, die im ganzen, vom König Johann bis zur Königin
Viktoria, die Erwägungen unserer 250 Parlamente geleitet haben.«
Hier
wird also das Ideal der Symmetrie und logischen Abrundung, die allem
Einzelnen von einem Punkte aus seinen Sinn gibt, zugunsten jenes anderen
verworfen, das jedes Element sich nach seinen eigenen Bedingungen
unabhängig ausleben und so natürlich das Ganze eine regellose und
unausgeglichene Erscheinung darbieten läßt.
Und es ist ersichtlich, wie tief in die persönlichen Lebensstile
dieser Gegensatz heruntersteigt.
Auf der einen Seite die Systematisierung des Lebens: seine einzelnen
Provinzen harmonisch um einen Mittelpunkt geordnet, alle Interessen
sorgfältig abgestuft und jeder Inhalt eines (> 563) solchen nur soweit
zugelassen, wie das ganze System es vorzeichnet; die einzelnen
Betätigungen regelmäßig abwechselnd, zwischen Aktivitäten und Pausen
ein festgestellter Turnus, kurz, im Nebeneinander wie im Nacheinander eine
Rhythmik, die weder der unberechenbaren Fluktuation der Bedürfnisse,
Kraftentladungen und Stimmungen, noch dem Zufall äußerer Anregungen,
Situationen und Chancen Rechnung trägt - dafür aber eine Existenzform
eintauscht, die ihrer selbst dadurch völlig sicher ist, daß sie
überhaupt nichts in das Leben hineinzulassen strebt, was ihr nicht
gemäß ist oder was sie nicht zu ihrem System passend umarbeiten kann.
Auf der anderen Seite: die Formung des Lebens von Fall zu Fall, die
innere Gegebenheit jedes Augenblickes mit den koinzidierenden
Gegebenheiten der Außenwelt in das möglichst günstige Verhältnis
gesetzt, eine ununterbrochene Bereitheit zum Empfinden und Handeln
zugleich mit einem steten Hinhören auf das Eigenleben der Dinge, um ihren
Darbietungen und Forderungen, wann immer sie eintreten, gerecht zu werden.
Damit ist freilich die Berechenbarkeit und sichere Abgewogenheit des
Lebens preisgegeben, sein Stil im engeren Sinne, das Leben wird nicht von
Ideen beherrscht, die in ihrer Anwendung auf sein Material sich immer zu
einer Systematik und festen Rhythmik ausbreiten, sondern von seinen
individuellen Elementen aus wird es gestaltet, unbekümmert um die
Symmetrie seines Gesamtbildes, die hier nur als Zwang, aber nicht als Reiz
empfunden würde.
- Es ist das Wesen der Symmetrie, daß jedes Element eines Ganzen nur
mit der Rücksicht auf ein anderes und auf ein gemeinsames Zentrum seine
Stellung, sein Recht, seinen Sinn erhält; wogegen, sobald jedes Element
nur sich selbst gehorcht und sich nur um seiner selbst willen und aus sich
selbst entwickelt, das Ganze unvermeidlich unsymmetrisch und zufällig
ausfallen wird.
Gerade angesichts seines ästhetischen Reflexes zeigt dieser
Widerstreit sich als das grundlegende Motiv aller Prozesse, die zwischen
einem sozialen Ganzen - politischer, religiöser, familiärer,
wirtschaftlicher, geselliger und sonstiger Art - und seinen Individuen
spielen.
Das Individuum begehrt, ein geschlossenes Ganzes zu sein, eine
Gestaltung mit eigenem Zentrum, von dem aus alle Elemente seines Seins und
Tuns einen einheitlichen, aufeinander bezüglichen Sinn erhalten.
Soll dagegen das überindividuelle Ganze in sich abgerundet sein, soll
es mit selbstgenugsamer Bedeutsamkeit eine eigene objektive Idee
verwirklichen - so kann es jene Abrundung seiner Glieder nicht zulassen: man kann keinen Baum aus Bäumen erwachsen
lassen, sondern nur aus Zellen, kein Gemälde aus Gemälden, sondern aus
Pinselstrichen, deren keiner für sich Fertigkeit, Eigenleben,
ästhetischen Sinn besitzt.
Die Totalität des Ganzen – so (> 564) sehr sie nur in gewissen
Aktionen Einzelner, ja vielleicht innerhalb jedes Einzelnen praktische
Wirklichkeit gewinnt - steht in einem ewigen Kampfe gegen die Totalität
des Individuums.
Das ästhetische Bild desselben ist deshalb so besonders
nachdrücklich, weil sich gerade der Reiz der Schönheit immer nur an ein
Ganzes knüpft - habe es unmittelbare, habe es durch Phantasie ergänzte
Anschaulichkeit, wie das Fragment; es ist der ganze Sinn der Kunst, aus
einem zufälligen Bruchstück der Wirklichkeit, dessen Uhselbständigkeit
durch tausend Fäden mit dieser verbunden ist, eine in sich ruhende
Totalität, einen jedes Außerhalbseiner unbedürftigen Mikrokosmos zu
gestalten.
Der typische Konflikt zwischen dem Individuum und dem
überindividuellen Sein ist darstellbar als das unvereinbare Streben
beider, zu einem ästhetisch befriedigenden Bilde zu werden.
Das Geld scheint zunächst nur der Ausprägung einer dieser
Gegensatzformen zu dienen.
Denn es selbst ist absolut formlos, es enthält in sich nicht den
geringsten Hinweis auf eine regelmäßige Hebung und Senkung der
Lebensinhalte, es bietet sich jeden Augenblick mit der gleichen Frische
und Wirksamkeit dar, es nivelliert durch seine Fernwirkungen wie durch
seine Reduktion der Dinge auf ein und dasselbe Wertmaß unzählige
Schwankungen, gegenseitige Ablösungen von Distanz und Annäherung,
Schwingung und Stillstand, die dem Individuum sonst allgemeingültige
Abwechslungen in seinen Betätigungs- und Empfindungsmöglichkeiten
auferlegten.
Es ist sehr bezeichnend, daß man das kursierende Geld flüssig nennt:
wie einer Flüssigkeit fehlen ihm die inneren Grenzen, und nimmt es die
äußeren widerstandslos von der festen Fassung an, die sich ihm jeweilig
bietet.
So ist es das durchgreifendste, weil für sich völlig indifferente
Mittel für die Überführung eines uns überindividuell zwingenden
Rhythmus von Lebensbedingungen in eine Ausgeglichenheit und
Schwankungslosigkeit derselben, die unseren persönlichen Kräften und
Interessen eine freiere, einerseits individuellere, andrerseits reiner
sachliche Bewährung gestattet.
Dennoch: gerade dieses an sich wesenlose Wesen des Geldes ermöglicht,
daß es sich auch der Systematik und Rhythmik des Lebens leihe, wo das
Entwicklungsstadium der Verhältnisse oder die Tendenz der Persönlichkeit
darauf hindrängt.
Während wir gesehen haben, daß zwischen liberaler Verfassung und
Geldwirtschaft eine enge Korrelation besteht, war doch nicht weniger
bemerkbar, daß der Despotismus im Gelde eine unvergleichlich
zweckmäßige Technik findet, ein Mittel, die räumlich fernsten Punkte
seiner Herrschaft an sich zu binden, die bei Naturalwirtschaft immer zu
Abschnürung und Verselbständigung neigen.
Und während die individualistische Sozialform Englands an der
Ausbildung
(> 565) des Geldwesens groß geworden ist, zeigt sich dasselbe
nicht nur in dem Sinn als Vorläufer sozialistischer Formen, daß es durch
einen dialektischen Prozeß in diese als in seine Negation umschlage,
sondern ganz direkt geben, wie wir an manchen Stellen sahen, spezifisch
geldwirtschaftliche Verhältnisse die Skizze oder den Typus der vom
Sozialismus erstrebten ab.
Hier ordnet sich das Geld einer uns schon früher wichtig gewordenen
Kategorie von Lebensmächten ein, deren sehr eigenartiges Schema es ist,
daß sie ihrem Wesen und ursprünglichen Sinne nach sich über die
Gegensätze erheben, in die die betreffende Interessenprovinz
auseinandergeht, als die ungeteilte Indifferenz derselben jenseits ihrer
stehen - dann oder zugleich aber in den Gegensatz der Einzelheiten
hinuntersteigen: sie werden Partei, wo sie soeben Unbeteiligte oder
Richter gewesen waren.
So zunächst die Religion, die der Mensch braucht, um die Entzweiung
zwischen seinen Bedürfnissen und deren Befriedigung, zwischen seinem
Sollen und seiner Praxis, zwischen seinem Idealbild der Welt und der
Wirklichkeit zu versöhnen.
Hat er sie aber einmal geschaffen, so bleibt sie nicht in der Höhe,
die sie in ihren höchsten Augenblicken erreicht, sondern steigt selbst
auf den Kampfplatz hinunter, wird eine Seite im Dualismus des Daseins, den
sie eben noch in sich vereinheitlichte.
Die Religion steht einerseits dem, was wir als unser ganzes Leben
empfinden, als äquivalente Macht gegenüber, sie ist eine Totalität
jenseits aller Relativitäten unserer sonstigen Menschlichkeit; und
andrerseits steht sie doch wieder im Leben, als eines seiner Elemente und
erst in der Wechselwirkung mit allen anderen die Ganzheit desselben
ausmachend.
So ist sie ein ganzer Organismus und zu-gleich ein Glied, ein Teil des
Daseins und zugleich das Dasein selbst auf einer höheren, verinnerlichten
Stufe.
Die gleiche Form zeigt das Verhalten des Staates.
Sicher ist es dessen Sinn, über den Parteien und den Konflikten ihrer
Interessen zu stehen, und dieser abstrakten Höhe verdankt er seine Macht,
seine Unberührbarkeit, seine Stellung als letzte Instanz der
Gesellschaft.
Mit alledem nun ausgerüstet, pflegt er dennoch in jenen Streit der
partikularen Gesellschaftsmächte einzutreten, die Partei der einen gegen
gewisse andere zu ergreifen, die, obgleich von ihm in seinem weiteren
Sinne mitumfaßt, ihm in seinem engeren Sinne wie Macht zu Macht
gegenüberstehen.
Das ist die Doppelstellung oberster Instanzen, die sich innerhalb der
Metaphysik wiederholt, wenn sie etwa der Gesamtheit des Seins geistiges
Wesen zuschreibt, das Absolute, das alle Erscheinungen trägt oder
ausmacht, für eine geistige Substanz erklärt.
Aber dieses Absolute muß sie zugleich als ein Relatives anerkennen.
(> 566)
Denn in der Wirklichkeit steht dem Geiste nicht nur eine
Körperlichkeit gegenüber, so daß er in diesem Gegensatz erst sein
eigenes Wesen findet, sondern es begegnen geistige Erscheinungen
unterwertiger Art, Böses, Träges, Feindseliges; und eine derartige
Metaphysik wird solches nicht als dem Geiste zugehörig betrachten, der
ihr die absolute Substanz des Seins ist.
Sondern dieser wird als Partei, Ausgleichung, spezifischer Wert allem
ungeistigeren und un-vollkommenen Sein entgegengestellt, das er doch
andrerseits, da er das Absolute ist, soeben noch mitumfaßt hat.
Am durchgreifendsten wird diese Doppelexistenz am Begriff des Ich
wirksam.
Das Ich, dessen Vorstellung die Welt ist, steht jedem einzelnen Inhalt
derselben in gleich beherrschender Höhe gegenüber, jenseits aller
Qualitäten, Unterschiede und Konflikte, die nur innerhalb seiner,
sozusagen als Privatangelegenheiten seiner Inhalte untereinander,
stattfinden.
Aber unser tatsächliches Lebensgefühl läßt das Ich nicht in dieser
Höhe stehen, es identifiziert es mit gewissen seiner Inhalte mehr als mit
anderen - gerade wie die Religiosität Gott an bestimmten Stellen
besonders eingreifen sieht, während er doch an allen anderen nicht
weniger wirksam sein müßte -, das Ich wird zu einem einzelnen Inhalte
seiner selbst, es differenziert sich, freundlich oder feindlich, sich hoch
oder niedrig abmessend, gegen die übrige Welt und ihre Partikularitäten,
während der Sinn seiner es doch oberhalb aller dieser gestellt hatte.
Dies also ist der Formtypus, in dem das Verhältnis des Geldes zu
seinem Herrschaftsgebiete sich mit jenen, inhaltlich ihm so fremden
Mächten begegnet.
Auch sein Wesen liegt in der abstrakten Höhe, mit der es sich über
alle Einzelinteressen und Stilgestaltungen des Lebens erhebt; es gewinnt
seine Bedeutung in und aus den Bewegungen, den Konflikten, den
Ausgleichungen aller dieser, ein parteiloses Allgemeines, das in sich
nicht den geringsten Anhaltspunkt für oder gegen den Dienst eines
spezifischen Interesses enthält.
Und nun, ausgerüstet mit all der unvergleichlichen Fernwirksamkeit,
Konzentriertheit der Kraft, Überall-Eindringlichkeit, wie sie gerade die
Folge seiner Entfernung von allem Partikularen und Einseitigen ist, begibt
es sich in den Dienst der partikularen Begehrung oder Lebensgestaltung.
Und hier tritt, innerhalb der betonten allgemeinen Gleichheit mit
Gebilden wie Religion, Staat, metaphysischer Geistigkeit des Seins -ein
merkwürdiger Unterschied gegen diese hervor.
Sie alle, wenn sie sich auf das Niveau der singulären Interessen und
Standpunkte hinabbegeben, treten im Konflikt je zweier entschieden auf die
Seite des einen, dem Gegner aber entgegen; sie verbünden oder
identifizieren sich mit einer der spezifischen Differenzen, deren
Indifferenz (> 567) sie darstellten, und schließen nun die je andere
von sich aus.
Das Geld aber stellt sich fast jeder Tendenz in dem Umkreis, für den
es gilt, gleichmäßig zur Verfügung, es lebt jedenfalls nicht in der
Form des Antagonismus gegen anderes, die jene anderen Mächte annehmen,
sobald sie sich aus ihrem allgemeinen Sinne in einen partikularen
umsetzen.
Das Geld bewahrt wirklich das Umfassende, das seinen all-gemeinen Sinn
ausmacht, auch in der Gleichmäßigkeit, mit der es sich den
Gegensatzpaaren leiht, wenn sie auseinandertretend ihr all-gemeines
Verhältnis zum Gelde für die Ausgestaltung ihrer Unterschiede und das
Ausfechten ihrer Konflikte benutzen.
Die Objektivität des Geldes ist praktisch kein jenseits der
Gegensätze, das dann nur von einem dieser illegitim gegen den anderen
ausgenutzt würde; sondern diese Objektivität bedeutet von vornherein den
Dienst beider Seiten des Gegensatzes.
Aber damit fällt das Geld nicht etwa in die breite Kategorie, der die
Luft angehört, die die sonst Unterschiedensten doch unterschiedslos
atmen, oder die Waffen, deren Gleichartigkeit sich nicht der Benutzung
durch alle Parteien verweigert.
Das Geld ist zwar das umfassendste Beispiel auch für diese Tatsache:
daß auch die radikalsten Unterschiede und Gegnerschaften in der
Menschenwelt immer noch für Gleichheiten und Gemeinsamkeiten Raum geben -
aber es ist doch noch mehr.
Jener Typus unparteiischer Dinge bleibt den inneren Tendenzen, denen sie
dienen, etwas schlechthin Äußerliches.
Dagegen, so fremd das Geld auch seinem abstrakten Wesen nach allen
Innerlichkeiten und Qualitäten gegenübersteht, so zeigt es, als der
ökonomische Extrakt des Wertkosmos in dessen ganzer Aus-dehnung, doch
sehr häufig die geheimnisvolle Fähigkeit, dem ganzspezifischen Wesen und
Tendenz jeder von zwei entgegengesetzten Einseitigkeiten zu dienen; die
eine entnimmt dem allgemeinen Wertreservoir, das es darstellt gerade die
Kräfte, die Ausdrucksmittel, die Verbindungs- oder
Verselbständigungsmöglichkeiten, die ihrer Eigenart angepaßt sind,
während es der inhaltlich entgegengesetzten nicht weniger biegsame und
schmiegsame, nicht weniger gerade ihrer Innerlichkeit entgegenkommende
Hilfen bietet.
Das ist die Bedeutung des Geldes für den Stil des Lebens, daß es
gerade vermöge seines jenseits aller Einseitigkeit einer jeden solchen
wie ein eigenes Glied ihrer zuwachsen kann.
Es ist das Symbol, im Engen und Empirischen, der unsagbaren Einheit des
Seins, aus der der Welt in ihrer ganzen Breite und all ihren Unterschieden
ihre Energie und Wirklichkeit strömt.
Denn so wird die Metaphysik sich doch wohl die an sich unerkennbare
Struktur der Dinge subjektiv deutend auseinanderlegen müssen: daß die
Inhalte der Welt, einen bloß geistigen (> 568) Zusammenhang bildend,
in bloßer Ideellität bestehen und nun -natürlich nicht in zeitlichem
Prozeß - über sie das Sein kommt; wie man es ausgedrückt hat: daß das
Was sein Daß gewinnt.
Niemand wüßte zu sagen, was dieses Sein denn eigentlich ist, das den
wirklichen Gegenstand von dem qualitativ nicht von ihm unterschiedenen,
aber bloß gültigen, bloß logischen Sachgehalt unterscheidet.
Und dieses Sein, so leer und abstrakt sein reiner Begriff ist,
erscheint als der warme Strom des Lebens, der sich in die Schemata der
Dingbegriffe ergießt, der sie gleichsam aufblühen und ihr Wesen
entfalten läßt, gleichviel wie unterschieden 3der einander feindselig
ihr Inhalt und ihr Verhalten sei.
Aber es ist ihnen doch nichts äußerliches oder fremdes, sondern ihr
eigenes Wesen ist es, das das Sein aufnimmt und in wirksame Wirklichkeit
entwickelt.
Dieser Kraft des Seins nähert sich von allem Äußerlich--Praktischen
- für das jede Analogie mit dem Absoluten immer nur unvollständig gelten
kann - das Geld am meisten.
Wie jene steht es seinem Begriffe nach ganz außerhalb der Dinge und
deshalb gegen ihre Unterschiede völlig gleichgültig, so daß jedes
einzelne es ganz in sich aufnehmen und mit ihm gerade sein spezifisches
Wesen zur vollkommensten Darstellung und Wirksamkeit bringen kann.
Seine Bedeutung für die Entwicklung der Lebensstile, die man als den
rhythmischen und den individuell-sachlichen bezeichnen kann, habe ich
deshalb herausgehoben, weil die unvergleichliche Tiefe ihres Gegensatzes
den Typus dieser Wirksamkeit des Geldes sehr rein her-vorleuchten läßt.
- Endlich gibt es eine dritte Beeinflussung, durch die das Geld den
Inhalten des Lebens ihre Form und Ordnung bestimmen hilft; sie betrifft
das Tempo des Verlaufs derselben, in dem sich die verschiedenen
historischen Epochen, die Zonen der gleichzeitigen Welt, die Individuen
desselben Kreises unterscheiden.
Unsere innere Welt ist gleichsam nach zwei Dimensionen ausgedehnt,
deren Maße über das Lebenstempo bestimmen.
Je tiefer die Unterschiede zwischen den Vorstellungsinhalten - selbst bei
gleicher Zahl der Vorstellungen - in einer Zeiteinheit sind, desto mehr
lebt man, eine desto größere Lebensstrecke gleichsam wird zurückgelegt.
Was wir als das Tempo des Lebens empfinden, ist das Produkt aus der
Summe und der Tiefe seiner Veränderungen.
Die Bedeutung, die dem Gelde für die Herstellung des Lebenstempos
einer gegebenen Epoche zukommt, mag zunächst aus den Folgen
hervorleuchten, die eben die Veränderung der Geldverhältnisse für die
Veränderung jenes Tempos aufweisen.
Man hat behauptet, daß die Vermehrung des Geldquantums, sei (> 569) es
durch Metallimporte, oder durch Verschlechterung des Geldes, durch
positive Handelsbilanzen oder durch Papiergeldausgabe, den inneren Status
des Landes ganz ungeändert lassen müßte.
Denn wenn man von den wenigen Personen absehe, deren Einkommen in nicht
vermehrbaren festen Bezügen besteht, so sei zwar bei Geldvermehrung jede
Ware oder Leistung mehr Geld wert, als vorher, allein da jedermann sowohl
Konsument wie Produzent sei, so nehme er als letzterer nur soviel mehr
ein, wie er als ersterer mehr ausgebe, und alles bleibe beim Alten.
Selbst wenn eine solche proportionale Preissteigerung der objektive
Effekt der Geldvermehrung wäre, so würde sie dennoch sehr wesentliche
psychologische Veränderungserscheinungen mit sich bringen.
Man entschließt sich nicht leicht, einen über dem bisherigen und
gewohnten liegenden Preis für eine Ware anzulegen, selbst wenn das eigene
Einkommen inzwischen gestiegen ist; und man läßt sich andrerseits durch
gewachsenes Einkommen leicht zu allerhand Aufwendungen bestimmen, ohne zu
bedenken, daß jenes Plus durch die Preissteigerung der täglichen
Bedürfnisse ausgeglichen wird.
Die bloße Vermehrung des Geldquantums, das man auf einmal in der Hand
hat, vermehrt, ganz un-abhängig von allen Überlegungen ihrer bloßen
Relativität, die Versuchung zum Geldausgeben und bewirkt damit einen
gesteigerten Warenumsatz, also eine Vermehrung, Beschleunigung und
Vermannigfaltigung der ökonomischen Vorstellungen.
jener Grundzug unseres Wesens: das Relative psychologisch zum Absoluten
auswachsen zu lassen - nimmt der Beziehung zwischen einem Objekte und
einem bestimmten Geldquantum ihren fließenden Charakter und verfestigt
sie zu sachlicher, dauernder Angemessenheit.
Dadurch entsteht nun, sobald das eine Glied des Verhältnisses sich
ändert, eine Erschütterung und Desorientierung.
Die Alterierung in den Aktiven und den Passiven gleicht sich in ihren
psychologischen Wirkungen keineswegs unmittelbar aus, von jeder Seite her
wird das Bewußtsein der ökonomischen Prozesse in der bisherigen
Stetigkeit seines Verlaufs unterbrochen, der Unterschied gegen den vorigen
Stand macht sich auf jeder gesondert geltend.
Solange die neue Anpassung nicht vollzogen ist, wird die gleichmäßige
Vermehrung des Geldes zu fortwährenden Differenzgefühlen und psychischen
Chocs Veranlassung geben, so die Unterschiede, das
Sich-Gegeneinander-Absetzen innerhalb der ablaufenden Vorstellungen
vertiefen und damit das Tempo des Lebens beschleunigen.
Deshalb ist es mindestens mißverständlich, wenn man aus der dauernden
Steigerung der Einkommen auf eine »Konsolidierung der Gesellschaft«
geschlossen hat.
Gerade vermöge der Vermehrung des Geldeinkommens ergreift die (>
570) unteren Stände eine Erregtheit, die, je nach dem Parteistandpunkt,
als Begehrlichkeit und Neuerungssucht, oder als gesunde Entwicklung und
Schwungkraft gedeutet wird, aber bei größerer Stabilität des Einkommens
und der Preise - -die zugleich Stabilität der sozialen Abstände bedeutet
- jedenfalls ausbleibt.
Die beschleunigenden Wirkungen der Geldvermehrung auf den Ablauf der
ökonomisch -psychischen Prozesse verraten sich am ehesten in den
Entwicklungen schlechten Papiergeldes - gerade wie manche Seiten der
normalen Physiologie durch pathologische und Entartungsfälle ihre hellste
Beleuchtung empfangen.
Der un-organische und unfundamentierte Geldzufluß bewirkt zunächst ein
sprunghaftes und der inneren Regulierung entbehrendes Steigen aller
Preise.
Die erste Geldplethora reicht aber immer nur aus, um den Ansprüchen
unteren gewisser Warenkategorien zu genügen.
»Deshalb zieht jede Ausgabe von unsolidem Papiergeld die zweite nach
sich, und die zweite noch weitere. »
Jeder Vorwand - so wird über Rhode--Island vom Anfang des
18.Jahrhunderts berichtet - diente zu weiterer Vermehrung der Noten.
»Und wenn das Papiergeld alle Münze aus dem Lande getrieben hatte,
war die Knappheit des Silbers ein neuer Grund weiterer Emissionen.« Das
ist das Tragische solcher Operationen, daß die zweite Emission nötig
ist, um den Ansprüchen zu genügen, die aus der ersten folgen.
Das wird sich um so umfassender geltend machen, je mehr das Geld selbst
das unmittelbare Zentrum der Bewegungen ist: die Preisrevolutionen infolge
von Papiergeldüberschwemmungen führen zu Spekulationen, die zu ihrer
Abwicklung immer gewachsene Geldvorräte erfordern.
Man kann sagen, daß die Tempo-Beschleunigung des sozialen Lebens durch
Geldvermehrung am sichtbarsten da eintreten wird, wo es sich um Geld
seiner reinen Funktionsbedeutung nach, ohne irgendeinen Substanzwert,
handelt; die Steigerung des gesamten ökonomischen Tempos findet hier
gleichsam noch in einer höheren Potenz statt, weil sie jetzt sogar rein
immanent beginnt, d. h. sich in erster Instanz in der Beschleunigung der
Geldfabrikation selbst offenbart.
Es ist für diesen Zusammenhang beweisend, wenn in Ländern, deren
wirtschaftliches Tempo überhaupt ein rapides ist, das Papiergeld jenem
Anwachsen seiner Quantität ganz besonders schnell unterliegt.
Über Nordamerika sagt ein genauer Kenner in dieser Beziehung: »Man
kann nicht erwarten, daß ein Volk, so ungeduldig gegenüber kleinen
Gewinnen, so durchdrungen davon, daß sich Reichtum aus Nichts oder
wenigstens aus sehr wenig machen läßt - sich die Selbst-beschränkungen
auferlegen wird, die in England oder Deutschland die Gefahren der
Papiergeldemissionen auf ein Minimum reduzieren.« (> 571)
Die
Beschleunigung des Lebenstempos durch die Papiergeldvermehrungen liegt
aber insbesondere in den Umwälzungen des Besitzes, die von ihnen
ausgehen.
So geschah es sehr sichtbar in der nordamerikanischen
Papiergeldwirtschaft bis zum Unabhängigkeitskriege.
Das massenhaft fabrizierte Geld, das am Anfang noch zu höherem Wert
kursiert hatte, erlitt die fürchterlichsten Einbußen.
Dadurch konnte heute arm sein, wer gestern noch reich war; und
umgekehrt, wer dauernde Werte für geliehenes Geld erworben hatte, zahlte
seine Schuld in inzwischen entwertetem Gelde zurück und wurde dadurch
reich.
Dies machte es nicht nur zum dringenden Interesse eines jeden, seine
wirtschaftlichen Operationen mit größter Beschleunigung abzuwickeln,
Abschlüsse auf lange Sicht zu vermeiden und rasch zugreifen zu lernen -
sondern jene Besitzschwankungen erzeugten auch die fortwährenden
Unterschiedsempfindungen, die plötzlichen Risse und Erschütterungen
innerhalb des ökonomischen Weltbildes, die sich in alle möglichen
anderen Provinzen des Lebens fortpflanzen und so als wachsende Intensität
seines Verlaufes oder Steigerung seines Tempos empfunden werden.
Man hat deshalb geradezu dem schlechteren - neben dem besseren - Geld
eine Nützlichkeit zugesprochen: es sei richtig, Schulden mit schlechterem
Gelde abzahlen zu lassen, weil in der Regel die Schuldner die aktiven
wirtschaftlichen Produzenten seien, die Gläubiger dagegen passive
Konsumenten, denen der Verkehr sehr viel weniger Leben als jenen verdanke.
Anfangs des 18. Jahrhunderts wurde in Konnektikut, anfangs des 19. in
England das ungedeckte Papiergeld zwar nicht zum gesetzlichen
Umlaufsmittel gemacht, aber jeder Gläubiger war gezwungen, es als
Schuldzahlung anzunehmen.
Daß nach un-verhältnismäßiger Papierausgabe dann die Krisis das
wirtschaftliche Leben in demselben Verhältnis retardiert und erstarren
läßt, beweist gerade die spezifische Bedeutung des Geldes für sein
Tempo.
Auch hier entspricht seine Rolle für den objektiven Verlauf der
Wirtschaft der des Vermittlers für die subjektive Seite derselben: denn
es ist mit Recht bemerkt worden, daß die Vermehrung der Tauschmittel
über das Bedürfnis hinaus den Tausch verlangsamt, gerade wie die
Vermehrung der Makler zwar bis zu einem gewissen Punkte
verkehrs-erleichternd, über diesen hinaus aber verkehrserschwerend wirke.
Ganz prinzipiell angesehen, ist das Geld freilich um so beweglicher, je
schlechter es ist, denn jeder wird es so schnell wie möglich loszuwerden
suchen.
Der naheliegende Einwurf: daß zu einem Handel doch zwei gehören, und
daß die Leichtigkeit des Weggebens schlechten Geldes durch die
Bedenklichkeit, es anzunehmen, paralysiert werde - ist nicht ganz
zutreffend, weil schlechtes Geld immerhin (> 572) besser ist als gar
keines (was man entsprechend von schlechter Ware nicht immer sagen kann).
Von der Abneigung des Warenbesitzers gegen das schlechte Geld muß also
seine Neigung für Geld überhaupt abgezogen werden; so daß die Neigung
des Käufers und die Abneigung des Verkäufers, das schlechte Geld gegen
Ware zu tauschen, sich nicht ganz die Wage halten, sondern die letztere,
als die schwächere, die durch die erstere nahegelegte
Zirkulationsbeschleunigung nicht entsprechend hemmen kann.
Andrerseits wird der Besitzer eines schlechten oder nur unter bestimmten
Umständen wertvollen Geldes an der Aufrechterhaltung des Zustandes, unter
dem sein Besitz Wert hat, lebhaft interessiert sein.
Als die fürstlichen Schulden von der Mitte des 16. Jahrhunderts an so
gestiegen waren, daß es allenthalben Staatsbankrotte gab, und in
Frankreich das Mittel der Rentenverkäufe bis zum Extrem ausgenutzt wurde,
hob man zur Verteidigung derselben - denn sie waren außerordentlich
unsicher --hervor, daß dadurch die Anhänglichkeit der Bürger als
Rentenbesitzer an den König, und ihr Interesse, ihn zu erhalten, sehr
gestärkt würden.
Es ist bezeichnend, daß das Wort Partisan ursprünglich einen Geldmann
bezeichnet, der an einer Anleihe der Krone (parti) beteiligt war, dann
aber durch die Interessensolidarität zwischen solchen Bankiers und dem
Finanzminister, unter Mazarin und Fouquet, die Bedeutung unbedingter
Anhänger - erwarb und seitdem behielt.
Gerade bei größter Unsolidität des französischen Finanzwesens also
fand dies statt, während bei der Besserung unter Sully die Partisans in
den Hintergrund getreten waren.
Und später betonte Mirabeau bei Einführung der Assignaten, daß
überall, wo ein Stück davon sich befände, auch der Wunsch nach der
Beständigkeit ihres Kredites bestehen mül3te: Vous compterez un
défenseur nécessaire à vos me-sures, un créancier interessé à vos
succès.
So schafft ein derartiges Geld eine besondere Parteiung, und, auf dem
Grunde einer neuen Beharrungstendenz, eine neue Lebhaftigkeit der
Gegensätze. - Solche Erfolge der vermehrten Umlaufsmittel treten nun aber
tatsächlich in um so höherem Maße ein, als die bisherige Voraussetzung:
daß die Verbilligung des Geldes jeden als Konsumenten und Produzenten
gleichmäßig trifft - eine viel zu einfache ist.
In Wirklichkeit ergeben sich viel kompliziertere und bewegtere
Erscheinungen.
Zunächst objektiv: die Geldvermehrung bewirkt anfänglich nur die
Verteuerung einiger Waren und läßt die anderen vorerst auf dem alten
Niveau.
Man hat gemeint feststellen zu können, daß es eine bestimmte und
langsame Reihenfolge war, in der die Preise der europäischen Waren seit
dem 16. Jahrhundert, infolge des einströmenden amerikanischen Metalles,
gestiegen sind.
Die Geldmehrung (> 573) innerhalb eines Landes trifft zunächst
immer nur bestimmte Kreise, die den Strom abfangen.
Es werden also in erster Linie diejenigen Waren im Preise steigen, um
welche nur die Angehörigen dieses Kreises konkurrieren, während andere
Waren, deren Preis durch die große Masse bestimmt wird, noch unverändert
billig -bleiben.
Das allmähliche Eindringen der Geldvermehrung in weitere Kreise führt
zu Ausgleichungsbestrebungen, das bisherige Preisverhältnis der Waren
untereinander wird aus seiner Beständigkeit geworfen, das Budget des
einzelnen Hauses muß durch die Ungleichmäßigkeit, mit der die Höhen
der einzelnen Posten sich ändern, Störungen und Verschiebungen erfahren
- kurz, die Tatsache, daß jede Geldvermehrung in einem Wirtschaftskreise
die Preise der Waren ungleichmäßig beeinflußt, muß eine erregende
Wirkung auf den Vorstellungsverlauf der wirtschaftenden Personen ausüben,
fortwährende Differenzempfindungen, Unterbrechungen der gewohnten
Proportionen, Forderung von Ausgleichungsversuchen zur Folge haben.
Offenbar wird dieser - teils beschleunigende, teils lähmende -
Einfluß nicht nur von der Ungleichmäßigkeit der Preise, sondern auch
von Ungleichmäßigkeit innerhalb der Geldwerte selbst ausgehen: das
heißt also, nicht nur von einem definitiv verschlechterten, sondern
ebenso, oder vielleicht noch mehr, von einem in seinem Werte fortwährend
schwankenden Gelde.
Über die Zeit vor der großen englischen Münzumprägung von 1570 wird
berichtet: »Wären alle Schillinge auf den Wert von Groats herabgesetzt
worden, so hätte sich der Verkehr verhältnismäßig leicht daran
anpassen können.
Was aber jede Zahlung zu einer Kontroverse machte, das war, daß ein
Schilling 12 Pence wert war, ein anderer 10, ein dritter 8, 6, ja 41«
Den Ungleichheitserscheinungen im Preise der Waren entspricht es, daß
von einer Änderung des Geldstandes gewisse Personen und Berufe in ganz
besonderer Weise profitieren, gewisse andere ganz besonders leiden.
In früheren Zeiten traf dies vor allem den Bauern.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der englische Bauer, un-wissend
und hilflos, wie er war, förmlich zerquetscht zwischen den Leuten, die
ihm Geld zu zahlen hatten und es nur nach dem Nennwert taten, und denen,
die von ihm Geld zu bekommen hatten und es nach Gewicht forderten.
Ebenso war es später in Indien bei jeder neuen Verdünnung des Geldes:
wenn der Landmann seine Ernte verkaufte, wußte er nie, ob das erhaltene
Geld ihm dienen würde, wenn er nachher seine Hypothekenzinsen zu zahlen
hatte.
Man hat längst beobachtet, daß eine allgemeine Erhöhung der Preise
sich dem Arbeitslohn am spätesten mitteilt je widerstandsloser eine (>
574) wirtschaftliche Schicht ist, desto langsamer und spärlicher sickert
die Geldvermehrung zu ihr durch, ja sie gelangt häufig erst dann als
Einnahmesteigerung zu ihr, wenn sie sich in den Konsumartikeln ,dieser
Schicht schon lange als Preiserhöhung geltend gemacht hat.
Dadurch entstehen Chocs und Erregungen vielerlei Art, die aufgetretenen
Differenzen zwischen den Schichten fordern fortwährende Anspannung des
Bewußtseins, weil, vermöge des neuen Umstandes der vermehrten
Umlaufsmittel, zur Bewahrung des status quo ante - sowohl was das
Verhältnis der Schichten zueinander, wie was die Lebenshaltung der
einzelnen betrifft - jetzt nicht mehr konservatives oder defensives
Beharren, sondern positiver Kampf und Eroberung erforderlich ist.
Dies ist eine wesentliche Ursache, aus der jede Vermehrung des
Geldquantums so anregend auf das Tempo des sozialen Lebens wirkt: weil sie
über die bereits bestehenden Unterschiede hinaus neue schafft,
Spaltungen, bis hinein in das Budget der Einzelfamilie, an denen das
Bewußtsein fortwährende Beschleunigungen und Vertiefungen seines
Verlaufes finden muß.
Es liegt übrigens auf der Hand, daß ein erheblicher Geldabfluß
ähnliche Erscheinungen, nur gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen,
hervorrufen muß.
Darin aber zeigt sich das enge Verhältnis des Geldes zu dem Tempo des
Lebens, daß ebenso seine Vermehrung wie seine Verminderung, durch ihre
ungleichmäßige Ausbreitung, jene Differenzerscheinungen ergeben, die
sich psychisch als Unterbrechungen, Anreizungen, Zusammendrängungen des
Vorstellungsverlaufes spiegeln.
- Diese Bedeutung der Änderungen des Geldstandes ist nur ein Phänomen
oder eine Akkumulierung der Bedeutung des Geldes für das Verhältnis der
Dinge, d. h. ihrer seelischen Äquivalente.
Das Geld hat eine neue Gleichung zwischen den Dingen gestiftet.
Man vergleicht sie sonst untereinander nach ihrem direkten Nutzungs-,
ihrem ästhetischen, ethischen, Arbeits-, eudämonistischen Wert, nach
hundert Beziehungen der Quantität und Qualität; und ihre Gleichheit in
einer dieser Beziehungen kann unter vollständiger Ungleichheit in anderer
bestehen.
Ihr Geldwert nun schafft eine Gleichung und Vergleichung zwischen
ihnen, die keineswegs eine stetige Funktion der anderen, aber doch immer
der Ausdruck irgendwelcher, aus jenen entstandener bzw. kombinierter
Wertgedanken ist.
Jeder Wertgesichtspunkt, von dem aus die Dinge eine Rangierung,
jenseits der sonstigen und diese durchquerend gewinnen, ist zugleich eine
Lebendigkeit mehr in ihrem Verhältnis, eine Anregung zu vorher
ungekannten Kombinationen und Verdrängungen, Verwandtschafts- und
Differenzstiftungen - denn unsere Seele ist wie in einer dauernden
Bestrebung, Ungleiches gegeneinander auszugleichen, dem Gleichen
Unterschiede (> 575) aufzudrängen.
Indem das Geld nun in einem Umfang, wie kein anderer Wertgesichtspunkt,
den Dingen Gleichheiten und Ungleichheiten verleiht, erregt es unzählige
Bemühungen, diese mit den Rangierungen aus den anderen Werten heraus im
Sinne jener zweifachen Tendenzen zu verbinden.
Abgesehen nun von den Folgen der Veränderungen des Geldbestandes, die
das Tempo des Lebens gleichsam als eine Funktion der Veränderungen jenes
erscheinen lassen, tritt die Zusammendrängung der Lebensinhalte noch in
einer anderen Folge des Geldverkehrs hervor.
Es ist diesem nämlich eigentümlich, daß er zur Konzentration an
verhältnismäßig wenigen Plätzen drängt.
In bezug auf lokale Diffusion kann man eine Skala der ökonomischen
Objekte aufstellen, von der ich hier nur ganz im Rohen einige der
charakteristischsten Stufen andeute.
Sie beginnt mit dem Ackerbau, dessen Natur jeder Zusammenrückung
seiner Gebietsteile widersteht; er schließt sich unabwendbar dem
ursprünglichen Außereinander des Raumes an.
Die industrielle Produktion ist schon komprimierbarer: der
Fabrikbetrieb stellt eine räumliche Kondensierung gegenüber dem Handwerk
und der Hausindustrie dar, das moderne Industriezentrum ist ein
gewerblicher Mikrokosmos, in den jede in der Welt vorhandene Gattung von
Rohstoffen strömt, um zu Formen gestaltet zu werden, deren Ursprünge
weltweit auseinanderliegen.
Das äußerste Glied dieser Stufenleiter bilden die Geldgeschäfte.
Das Geld steht vermöge der Abstraktheit seiner Form jenseits aller
bestimmten Beziehungen zum Raum: es kann seine Wirkungen in die weitesten
Fernen erstrecken, ja es ist gewissermaßen in jedem Augenblick der
Mittelpunkt eines Kreises potenzieller Wirkungen; aber es gestattet auch
umgekehrt, die größte Wertsumme in die kleinste Form zusammenzudrängen
- bis zu dem 10-Millionen-Dollar-Scheck, den Jay Could einmal ausstellte.
Der Komprimierbarkeit der Werte vermöge des Geldes, und des Geldes
vermöge seiner immer abstrakteren Formen entspricht nun die der
Geldgeschäfte.
In dem Maß, in dem die Wirtschaft eines Landes mehr und mehr auf Geld
gestellt wird, schreitet die Konzentrierung seiner Finanzaktionen in
großen Knotenpunkten des Geldverkehrs vor.
Von jeher war die Stadt im Unterschied vom Lande der Sitz der
Geldwirtschaft; dies Verhältnis wiederholt sich zwischen Klein- und
Großstädten, so daß ein englischer Historiker sagen konnte, London
habe, in seiner ganzen Geschichte, niemals als das Herz von England
gehandelt, manchmal als sein Gehirn, aber immer als sein Geldbeutel; und
schon am Ende der römischen Republik heißt es, jeder Pfennig, der in
Gallien aus-gegeben werde, gehe durch die Bücher der Finanziers in
Rom.
An (> 576) dieser Zentripetalkraft der Finanz hängt das Interesse
beider Parteien: der Geldnehmer, weil sie wegen der Konkurrenz der
zusammen-strömenden Kapitalien billig borgen (in Rom stand der Zinsfuß
halb so hoch als sonst durchschnittlich im Altertum), der Geldgeber, weil
sie das Geld zwar nicht so hoch, wie an isolierten Punkten, ausleihen,
aber des Wichtigeren sicher sind, jederzeit überhaupt Verwendung dafür
zu finden; weshalb man denn auch bemerkt hat, daß Kontraktionen des
Geldmarktes im Zentrum desselben immer schneller überwunden werden, als
an den verschiedenen Punkten seiner Peripherie.
Indem das Geld diese, seinem Wesen als Tendenz innewohnende
Zentralisierung gefunden hat, hat es das Präliminarstadium überwunden,
in dem es sich nur in den Händen zerstreuter Einzelpersonen akkumulierte.
Gerade der durch das Geld ausgeübten Übermacht Einzelner hat die
Zentralisierung des Geldverkehrs an den Börsen entgegengewirkt; so sehr
die Börsen von Lyon und Antwerpen im 16. Jahrhundert einzelnen
Geldmagnaten enorme Gewinne ermöglichten, so war doch mit ihnen die Macht
des Geldes in einem Zentralgebilde, objektiviert, dessen Kräfte und
Normen auch dem mächtigsten Einzelnen überlegen waren und es
verhinderten, daß je wieder ein einzelnes Haus den Gang der
Weltgeschichte so bestimmte, wie die Fugger es noch konnten.
Der tiefere Grund für die Bildung von Finanzzentren liegt offenbar in
dem Relativitätscharakter des Geldes: weil es einerseits nur die
Wertverhältnisse der Waren untereinander ausdrückt, weil andrerseits
jedes bestimmte Quantum seiner einen weniger unmittelbar festzustellenden
Wert besitzt, als das irgendeiner anderen Ware, sondern mehr als jede
andere ausschließlich durch Vergleichung mit dem angebotenen
Gesamtquantum überhaupt eine Bedeutung erhält - so wird seine maximale
Konzentrierung auf einen Punkt, das fortwährende Gegeneinanderhalten
möglichst großer Summen, die Ausgleichung eines über-wiegenden Teiles
von Angebot und Nachfrage überhaupt, zu seiner größeren
Wertbestimmtheit und Verwendbarkeit führen.
Ein Scheffel Getreide hat eine gewisse Bedeutung an jedem noch so
isolierten Platze, so große Unterschiede auch sein Geldpreis aufweise.
Ein Geldquantum aber hat seine Bedeutung nur im Zusammentreffen mit
anderen Werten; mit je mehren es zusammentrifft, um so sicherer und
gerechter erlangt es jene; deshalb drängt nicht nur »alles nach Golde«
- die Menschen wie die Dinge - sondern das Geld drängt auch seinerseits
nach »Allem«, es sucht sich mit anderem Gelde, mit allen möglichen
Werten und ihren Besitzern zusammenzubringen.
Und der gleiche Zusammenhang in umgekehrter Richtung: der Konflux
vieler Menschen erzeugt ein besonders starkes Bedürfnis nach (> 577)
Geld.
In Deutschland entstand eine hauptsächliche Nachfrage nach Geld durch
die Jahrmärkte, die die Territorialherren einrichteten, um an Münztausch
und Warenzoll zu profitieren.
Durch diese zwangsweise Konzentrierung des Handelsverkehrs eines
größeren Territoriums an einem Punkte wurde Kauflust und Umsatz sehr
gesteigert, der Gebrauch des Geldes wurde erst dadurch zur allgemeinen
Notwendigkeit.
Wo nur immer viele Menschen zusammenkommen, wird Geld
verhältnismäßig stärker erfordert werden.
Denn wegen seiner an sich indifferenten Natur ist es die geeignetste
Brücke und Verständigungsmittel zwischen vielen und verschiedenen
Persönlichkeiten; je mehre es sind, desto spärlicher werden die Gebiete,
auf denen andere als Geldinteressen die Basis ihres Verkehrs bilden
können.
Aus all diesem ergibt sich, in wie hohem Maße das Geld die Steigerung
des Lebenstempos bezeichnet, wie es sich an der Zahl und Mannigfaltigkeit
der einströmenden und einander ablösenden Eindrücke und Anregungen
mißt.
Die Tendenz des Geldes, zusammenzufließen und sich, wenn auch nicht in
der Hand eines Einzelnen, so doch in lokal engbegrenzten Zentren zu
akkumulieren, die Interessen der Individuen und damit sie selbst an
solchen zusammenzuführen, sie auf einem gemeinsamen Boden in Berührung
zu bringen, und so - wie es auch in der von ihm dargestellten Wertform
liegt das Mannigfaltigste in den kleinsten Umfang zu konzentrieren diese
Tendenz und Fähigkeit des Geldes hat den psychischen Erfolg, die Buntheit
und Fülle des Lebens, das heißt also sein Tempo zu steigern.
Schon sonst ist der Zusammenhang davon betont worden, daß mit dem
aufkommenden Kapitalismus in Deutschland - als im 15. Jahrhundert
einerseits der Welthandel, andrerseits die Finanzzentren mit dem raschen
Umsatz billigen Geldes entstanden - zuerst der moderne Begriff der Zeit
durchdrang, als eines durch Brauchbarkeit und Knappheit bestimmten Wertes.
Damals begannen die Turmuhren die Viertelstunden zu schlagen, und
Sebastian Franck, der mit am frühesten, wenn auch mit am
pessimistischsten, die revolutionierende Bedeutung des Geldes eingesehen
hat, nennt auch zuerst die Zeit ein teures Gut.
Das entschiedenste Symbol für diese ganzen Korrelationen ist die
Börse.
Hier haben die ökonomischen Werte und Interessen, vollständig auf
ihren Geldausdruck reduziert, ihre und ihrer Träger engste lokale
Vereinigung erreicht, uni damit ihre rascheste Ausgleichung, Verteilung,
Abwägung zu gewinnen.
Diese doppelte Kondensiertheit: der Werte in die Geldform und des
Geldverkehrs in die Börsenform - ermöglicht es, daß die Werte in der
kürzesten Zeit durch die größte Zahl von Händen (> 578)
hindurchgejagt werden: an der New Yorker Börse wird jährlich der
fünffache Betrag der Baumwollernte in Spekulationen in Baumwolle
umgesetzt, und schon 1887 verkaufte diese Börse fünfzigmal das
Erträgnis des Jahres in Petroleum: die Häufigkeit der Umsätze steigt in
dem Maße, in dem der Kurs eines Wertes schwankt - ja, die
Kursschwankungen waren es, die im 16. Jahrhundert überhaupt erst ein
regelmäßiges Börsengeschäft in den »Königsbriefen«, den
fürstlichen Schuldverschreibungen, entwickelten.
Denn mit ihnen, die von dem wechselnden Kredit z. B. der französischen
Krone ausgingen, war ein ganz anderer Anstoß zu Kauf und Verkauf gegeben,
als bei Stabilität des Wertes bestanden hatte.
Die Möglichkeit, die das Geld gewährt, jeden Schätzungswechsel
unbedingt nachgiebig auszudrücken, muß diesen selbst unendlich steigern,
ja vielfach erzeugen.
Und davon ist es nun sowohl Ursache wie Wirkung, daß die Börse, das
Zentrum des Geldverkehrs und gleichsam der geometrische Ort all jener
Schätzungswechsel, zugleich der Punkt der größten konstitutionellen
Aufgeregtheit des Wirtschaftslebens ist: ihr sanguinisch-cholerisches
Schwanken zwischen Optimismus und Pessimismus, ihre nervöse Reaktion auf
Ponderabilien und Imponderabilien, die Schnelligkeit, mit der jedes den
Stand verändernde Moment ergriffen, aber auch wieder vor dem nächsten
vergessen wird - alles dies stellt eine extreme Steigerung des
Lebenstempos dar, eine fieberhafte Bewegtheit und Zusammendrängung seiner
Modifikationen, in der der spezifische Einfluß des Geldes auf den Ablauf
des psychischen Lebens seine auffälligste Sichtbarkeit gewinnt.
Endlich muß die Geschwindigkeit, die der Zirkulation des Geldes
gegenüber der aller anderen Objekte eigen ist, das allgemeine Lebenstempo
unmittelbar und in demselben Maße steigern, in dem (las Geld das
allgemeine Interessenzentrum wird.
Die Rundheit der Münzen, infolge deren sie »rollen müssen«,
symbolisiert den Rhythmus der Bewegung, die das Geld dem Verkehr mitteilt:
selbst wo die Münze ursprünglich eckig war, muß der Gebrauch zunächst
die Ecken abgeschliffen und sie der Rundung angenähert haben;
physikalische Notwendigkeiten haben so der Intensität des Verkehrs die
ihm dienlichste Werkzeugsform verschafft.
Vor hundert Jahren gab es in den Nilländern sogar vielfach Kugelgeld,
aus Glas, Holz, Achat -durch die Verschiedenheit der Stoffe beweisend,
daß seine Form der Grund der ihm nachgesagten Beliebtheit war.
So ist es doch mehr als ein zufälliges Zusammentreffen der
Bezeichnungen, wenn ganzen Geldsummen gegenüber das Prinzip der
»Abrundung« auftaucht, und zwar erst mit steigender Geldwirtschaft.
Die Abrundung ist ein relativ moderner Begriff.
Die primitivste Form der Anweisungen auf das (> 579) englische
Schatzamt waren Kerbhölzer, die auf ganz beliebige, un-gleichmäßige
Beträge lauteten und vielfach als Geld kursierten.
Erst im 18. Jahrhundert wurden sie durch indossable Papierscheine ersetzt,
welche bestimmte runde Beträge von 5 Pfund aufwärts darstellten.
Es ist überhaupt auffällig, wie wenig man früher, selbst bei großen
Beträgen, auf Abrundung sah.
Fälle wie die, daß die Fugger 1530 für den Kaiser Ferdinand 275 333
fl. und 2o kr. auszuzahlen übernahmen und daß ihnen 1577 Kaiser
Maximilian II. 22o674 fl. schuldete, sind nicht selten.
Die Entwicklung des Aktienwesens geht denselben Gang.
Das Aktienkapital der Ostindischen Kompanie in den Niederlanden ließ
sich im 17. Jahrhundert in ganz beliebig große Stücke zerlegen.
Erst die Beschleunigung des Verkehrs brachte es dahin, daß
schließlich eine feste Einheit von 5oo Pfund Vlämisch der allein
gehandelte Teilbetrag und »eine Aktie« schlechthin wurde.
Noch heute sind es die Plätze des größeren Geldverkehrs, in denen auch
der Kleinhandel sich nach runden Summen vollzieht, während die Preise an
abgelegenen Orten dem Großstädter merkwürdig wenig abgerundet
vorkommen.
Die schon oben hervorgehobene Entwicklung von unbehilflich großen zu
zerkleinerten Münz- und Anweisungswerten hat offenbar dieselbe Bedeutung
für die Steigerung des Verkehrstempos wie die Abrundung, was schon die
physikalische Analogie nahelegt.
Das Bedürfnis, das Geld klein zu machen, steigt mit der Raschheit des
Verkehrs überhaupt, und es ist für diese Zusammenhänge von Bedeutung,
daß eine Note der englischen Bank 1844 durchschnittlich nach ihrer
Ausgabe 57 Tage lief, bevor sie zur Einlösung präsentiert wurde, 1871
dagegen nur 37 Tage!
Vergleicht man etwa die Zirkulationsfähigkeit von Grund und Boden mit
der des Geldes, so erhellt unmittelbar der Unterschied des Lebenstempos
zwischen Zeiten, wo jener und wo dieses den Angelpunkt der ökonomischen
Bewegungen ausmacht.
Man denke z. B. an den Charakter der Steuerleistungen in Hinsicht auf
äußere und innere Schwankungen, je nachdem sie von dem einen oder von
dem anderen Objekt erhoben werden.
Im angelsächsischen und normannischen England galten alle Auflagen
ausschließlich dem Landbesitz; im 12. Jahrhundert schritt man dazu,
Pachtzinse und Viehbesitz zu belasten; bald nachher wurden bestimmte Teile
des beweglichen Eigentums (der 4., 7-, 13. Teil) als Steuer erhoben.
So wurden die Steuerobjekte immer beweglicher, bis schließlich das
Geldeinkommen als das eigentliche Fundament der Besteuerung auftritt.
Damit erhält diese einen bis dahin unerhörten Grad von Beweglichkeit
und Nüanzierung und bewirkt, bei größerer Sicherheit des
Gesamterträgnisses, doch eine sehr viel grössere Variabilität und
jährliche Schwankung (> 580) in der Leistung des Einzelnen.
- Aus dieser unmittelbaren Bedeutung und Betonung vom Boden oder vom
Geld für das Tempo des Lebens erklärt sich einerseits der große Wert,
den sehr konservative Völker auf den Ackerbau legen.
Die Chinesen sind überzeugt, daß nur dieser die Ruhe und
Beständigkeit der Staaten sichert, und wohl aus diesem Zusammenhange
heraus haben sie auf den Verkauf von Ländereien einen ungeheueren Stempel
gesetzt; so daß die meisten Landkäufe dort nur privatim und unter
Verzicht auf die grundbuchliche Eintragung vollzogen werden.
Wo indes jene durch das Geld getragene Beschleunigung des
wirtschaftlichen Lebens sich durchgesetzt hat, da sucht sie nun,
andrerseits, die ihr widerstrebende Form des Grundbesitzes dennoch nach
sich zu rhythmisieren.
Im 18. Jahrhundert gab der pennsylvanische Staat Hypotheken auf
Privatländereien und ließ die einzelnen Abschnitte derselben als
Papiergeld kursieren: Franklin schrieb darüber, diese Scheine seien in
Wirklichkeit gemünztes Land.
Entsprechend ist bei uns von konservativer Seite hervorgehoben worden,
daß die Hypothekengesetzgebung der letzten Jahrzehnte auf eine
Verflüssigung des Grundbesitzes hinarbeite und diesen in eine Art
Papiergeld verwandle, das man in beliebig vielen Anteilsscheinen weggeben
könne; so daß, wie auch Waldeck sich ausdrückte, der Grundbesitz nur
dazusein scheine, um subhastiert zu werden.
Bezeichnend genug mobilisiert das moderne Leben seine Inhalte auch im
äußerlichsten Sinne und an manchen Punkten außerhalb der allbekannten.
Das Mittelalter und noch die Renaissance hatte das, was uns jetzt
»Mobilien« in engster Bedeutung sind, wenig im Gebrauch.
Schränke, Kredenzen, Sitzbänke waren in die Täfelung eingebaut,
Tische und Stühle so schwer, daß sie oft unbeweglich waren, die kleinen,
hin und her zu schiebenden Einrichtungsgegenstände fehlten fast ganz.
Seitdem erst sind die Möbel gleichsam mobil geworden wie das Kapital.
Und endlich exemplifiziere ich diese Macht der geldwirtschaftlichen
Bewegung, die übrigen Lebensinhalte ihrem Tempo zu unterwerfen, an einer
Rechtsbestimmung.
Es ist ein alter juristischer Grundsatz, daß ein Gegenstand, der
seinem rechtmäßigen Eigentümer entfremdet worden ist, diesem unter
allen Umständen zurückgegeben werden muß, selbst wenn der
augenblickliche Besitzer ihn ehrlich erworben hat.
Nur in bezug auf Geld gilt dies nicht: nach römischem wie nach
modernen Rechten darf eine gestohlene Geldsumme, sobald sie von einer
dritten Person gutgläubig erworben ist, dieser nicht wieder zugunsten des
Bestohlenen abgenommen werden.
Ersichtlich wird diese Ausnahme durch die Praxis des Geschäftsverkehrs
gefordert, der ohne dieselbe außerordentlich erschwert, beunruhigt,
unterbrochen sein würde.
Nun (> 581) hat man aber neuerdings diesen Erlaß der Restitution
auch auf alle übrigen Objekte ausgedehnt, soweit sie im Bereich des
Handelsgesetzbuches stehen.
Das bedeutet also: die Zirkulationsbeschleunigung im Warenverkehr
nähert jede Ware dem Charakter des bloßen Geldes an, läßt sie nur als
Geldwert funktionieren und unterwirft sie deshalb nur den Bestimmungen,
welche das Geld zum Zweck der Leichtigkeit seines Verkehrs fordern muß! -
Wenn man den Beitrag zur Bestimmung des Lebenstempos charakterisieren
will, den das Geld durch seinen eigenen Charakter und abgesehen von seinen
zuerst besprochenen technischen Folgen liefert, so könnte man es mit
folgender Überlegung.
Die genauere Analyse des Beharrungs- und Veränderungsbegriffes zeigt
einen doppelten Gegensatz in der Art, wie er sich verwirklicht.
Sehen wir die Welt auf ihre Substanz hin an, so münden wir leicht auf
der Idee eines ?? x?ì ??v, eines unveränderlichen Seins, das durch den
Ausschluß jeder Vermehrung oder Verminderung den Dingen den Charakter
eines absoluten Beharrens erteilt.
Sieht man andrerseits auf die Formung dieser Substanz, so ist in ihr
die Beharrung absolut aufgehoben, unaufhörlich setzt sich eine Form in
die andere um und die Welt bietet das Schauspiel eines Perpetuum mobile.
Dies ist der kosmologische, oft genug ins Metaphysische hinaus
gedeutete Doppelaspekt des Seienden.
Innerhalb einer tiefer gelegenen Empirie indes verteilt sich der
Gegensatz zwischen Beharrung und Bewegung in anderer Weise.
Wenn wir nämlich das Weltbild, wie es sich un-mittelbar darbietet,
betrachten, so sind es gerade gewisse Formen, die eine Zeit hindurch
beharren, während die realen Elemente, die sie zusammensetzen, in
fortwährender Bewegung befindlich sind.
So beharrt der Regenbogen bei fortwährender Lageveränderung der
Wasserteilchen, die organische Form bei stetem Austausch der sie
erbauenden Stoffe, ja, an jedem unorganischen Ding, das eine Weile als
solches besteht, beharrt doch nur das Verhältnis und die Wechselwirkung
seiner kleinsten Teile, während diese selbst in unaufhörlichen
molekularen Bewegungen, unserem Auge entzogen, begriffen sind.
Hier ist also die Realität selbst in rastlosem Flusse, und wäh-rend
wir diesen, sozusagen wegen mangelnder Sehschärfe, nicht un-mittelbar
konstatieren können, verfestigen sich die Formen und Konstellationen der
Bewegungen zu der Erscheinung des dauernden Objektes.
Neben diesen beiden Gegensätzen in der Anwendung des Be-harrungs- und
Bewegungsbegriffes auf die vorgestellte Welt steht ein dritter.
Die Beharrung kann nämlich einen Sinn haben, der sie jenseits jeder
noch so ausgedehnten Zeitdauer stellt.
Der einfachste, (> 582) aber für uns hier zureichende Fall
derselben ist das Naturgesetz.
Die Gültigkeit des Naturgesetzes beruht darin, daß aus einer gewissen
Konstellation von Elementen eine bestimmte Wirkung sachlich notwendig
erfolgt.
Diese Notwendigkeit ist also ganz unabhängig davon, wann ihre
Bedingungen sich in der Wirklichkeit etwa einstellen; einmal oder
millionenmal, jetzt oder in hunderttausend Jahren; die Gültigkeit des
Gesetzes ist eine ewige im Sinne der Zeitlosigkeit; es schließt seinem
Wesen und Begriffe nach jegliche Veränderung oder Bewegung von sich aus.
Dafür ist es hier un-wesentlich, daß wir keinem einzelnen Naturgesetz
diese unbedingte Gültigkeit mit unbedingter Sicherheit zusprechen
dürfen: und zwar nicht nur wegen der unvermeidlichen Korrigierbarkeit
unseres Er-kennens überhaupt, das die oft wiederholte, aber zufällige
Kombination der Erscheinungen durch kein unfehlbares Kriterium von dem
wirklichen gesetzlichen Zusammenhang unterscheiden kann; sondern vor
allem, weil jedes Naturgesetz doch nur für eine bestimmte geistige
Verfassung gilt, während für eine andere eine abweichende Formulierung
desselben Sachverhaltes Wahrheit bedeuten würde.
Da nun aber der menschliche Geist einer, wie auch langsamen und
unmerkbaren Entwicklung unterliegt, so kann es kein, in einem gegebenen
Augenblick gültiges Gesetz geben, das der Umwandlung im Laufe der Zeiten
entzogen wäre.
Allein dieser Wechsel betrifft nur den jeweils erkennbaren Inhalt der
Naturgesetzlichkeit, nicht den Sinn und Begriff derselben; die Idee des
Gesetzes, die über jeder einzelnen ihrer unvollkommenen Verwirklichungen
steht, aus der diese aber doch ihr ganzes Recht und Bedeutung ziehen -
beruht in jenem jenseits aller Bewegung, jenem Gelten, das von allen
Gegebenheiten, weil sie veränderlich sind, unabhängig ist.
Zu dieser eigentümlichen absoluten Form des Beharrens muß es ein
Seitenstück in einer entsprechenden Form der Bewegung geben.
Wie sich das Beharren über jede noch so weite Zeitstrecke hinaus
steigern läßt, bis in der ewigen Gültigkeit des Naturgesetzes der
der mathematischen Formel jede Beziehung auf einen bestimmten Zeitmoment
schlechthin ausgelöscht ist: so läßt sich die Veränderung und Bewegung
als eine so absolute denken, daß überhaupt ein bestimmtes Zeitmaß
derselben nicht mehr besteht; geht alle Bewegung zwischen einem Hier und
einem Dort vor sich, so ist bei dieser absoluten Veränderung - der
species aeternitatis mit umgekehrtem Vorzeichen - das Hier vollkommen
verschwunden.
Haben jene zeitlosen Objekte ihre Gültigkeit in der Form des
Beharrens, so diese in der Form des Übergangs, der Nicht-Dauer.
Es ist mir nun kein Zweifel, daß auch dieses Gegen-satzpaar weit genug
ist, um ein Weltbild darein zu fassen.
Wenn man, (> 583) einerseits, alle Gesetze kennte, die die
Wirklichkeit beherrschen, so würde diese letztere durch den Komplex jener
tatsächlich auf ihren absoluten Gehalt, ihre zeitlos ewige Bedeutung
zurückgeführt sein - wenngleich sich die Wirklichkeit selbst daraus noch
nicht konstruieren ließe, weil das Gesetz als solches, seinem ideellen
Inhalt nach, sich gegen jeden einzelnen Fall seiner Verwirklichung ganz
gleichgültig verhält.
Gerade weil aber der Inhalt der Wirklichkeit restlos in den Gesetzen
aufgeht, die unaufhörlich Wirkungen aus Ursachen hervortreiben und, was
soeben Wirkung war, im gleichen Augenblick schon als Ursache wirken lassen
- gerade deshalb kann man nun, andrerseits, die Wirklichkeit, die
konkrete, historische, erfahrbare Erscheinung der Welt in jenem absoluten
Flusse erblicken, auf den Heraklits symbolische Äußerungen hindeuten.
Bringt man das Weltbild auf diesen Gegensatz, so ist alles überhaupt
Dauernde, über den Moment Hinausweisende aus der Wirklichkeit
herausgezogen und in jenem ideellen Reich der bloßen Gesetze gesammelt;
in der Wirklichkeit selbst dauern die Dinge überhaupt keine Zeit, durch
die Rastlosigkeit, mit der sie sich in jedem Moment der Anwendung eines
Gesetzes darbieten, wird jede Form schon im Augenblick ihres Entstehens
wieder aufgelöst, sie lebt sozusagen nur in ihrem Zerstörtwerden, jede
Verfestigung ihrer zu dauernden - wenn auch noch so kurz dauernden -
Dingen ist eine unvollkommene Auffassung, die den Bewegungen der
Wirklichkeit nicht in deren eigenem Tempo zu folgen vermag.
So ist es das schlechthin Dauernde und das schlechthin Nicht-Dauernde,
in die und deren Einheit das Ganze des Seins ohne Rest aufgeht.
Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun gibt es sicher kein
deutlicheres Symbol als das Geld.
Die Bedeutung des Geldes liegt darin, daß es fortgegeben wird; sobald
es ruht, ist es nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und Bedeutung
nach.
Die Wirkung, die es unter Umständen im ruhenden Zustand ausübt,
besteht in einer Antizipation seiner Weiterbewegung.
Es ist nichts als der Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht
Bewegung ist, völlig ausgelöscht ist, es ist sozusagen actus purus; es
lebt in kontinuierlicher Selbstentäußerung aus jedem gegebenen Punkt
her-aus und bildet so den Gegenpol und die direkte Verneinung jedes
Fürsichseins.
Aber vielleicht bietet es jener entgegengesetzten Art, die Wirklichkeit
zu formulieren, sich nicht weniger als Symbol dar.
Das einzelne Geldquantum freilich ist seinem Wesen nach in
unablässiger Bewegung; aber gerade nur, weil der von ihm dargestellte
Wert sich zu den einzelnen Wertgegenständen verhält, wie das allgemeine
Gesetz (> 584) zu den konkreten Gestaltungen, in denen es sich
verwirklicht.
Wenn das Gesetz, selbst jenseits aller Bewegungen stehend, doch deren
Form und Grund darstellt, so ist der abstrakte Vermögenswert, der nicht
in Einzelwerte auseinandergegangen ist und als dessen Träger das Geld
subsistiert, gleichsam die Seele und Bestimmung der wirtschaftlichen
Bewegungen.
Während es als greifbare Einzelheit das flüchtigste Ding der
äußerlich-praktischen Welt ist, ist es seinem Inhalte nach das
beständigste, es steht als der Indifferenz- und Ausgleichungspunkt
zwischen all ihren sonstigen Inhalten, sein ideeller Sinn ist, wie der des
Gesetzes, allen Dingen ihr Maß zu geben, ohne sich selbst an ihnen zu
messen, ein Sinn, dessen totale Realisierung freilich erst einer
unendlichen Entwicklung gelänge.
Es drückt das Verhältnis aus, das zwischen den wirtschaftlichen
Gütern besteht und bleibt der Strömung dieser gegenüber so stabil, wie
eine Zahlenproportion es gegenüber den vielfachen und wechselnden
Gegenständen tut, deren Verhältnis sie angibt, und wie die Formel des
Gravitationsgesetzes gegenüber den Materienmassen und ihren unendlich
mannigfaltigen Bewegungen.
Wie der allgemeine Begriff, in seiner logischen Gültigkeit von der Zahl
und Modifikation seiner Verwirklichungen unabhängig, sozusagen das Gesetz
eben dieser angibt, so ist das Geld - d. h. derjenige innere Sinn, durch
den das einzelne Metall- oder Papierstück zum Gelde wird - der
Allgemeinbegriff der Dinge, insofern sie wirtschaftlich sind.
Sie brauchen nicht wirtschaftlich zu sein; wenn sie es aber sollen, so
können sie es nur so, daß sie sich dem Gesetz des Wert-Werdens fügen,
das irn Gelde verdichtet ist.
Die Beobachtung, daß dieses eine Gebilde an jenen beiden Grundformen,
die Wirklichkeit auszudrücken, gleichmäßig teil hat, gibt auf ihren
Zusammenhang Anweisung: ihr Sinn ist tatsächlich ein relativer, d. h.
jede findet ihre logische und psychologische Möglichkeit, die, Welt zu
deuten, an der anderen.
Nur weil die Realität sich in absoluter Bewegtheit befindet, hat es
einen Sinn, ihr gegenüber das ideelle System zeitlos gültiger
Gesetzlichkeiten zu behaupten; umgekehrt: nur weil diese bestehen, ist
jener Strom des Daseins überhaupt bezeichenbar und greifbar, statt in ein
unqualifizierbares Chaos auseinanderzufallen.
Die allgemeine Relativität der Welt, auf den ersten Blick nur auf der
einen Seite dieses Gegensatzes heimisch, zieht in Wirklichkeit auch die
andere, in sich ein und zeigt sich als Herrscherin, wo sie eben nur Partei
zu sein schien - wie das Geld über seine Bedeutung als einzelner
Wirtschaftswert die höhere baut den abstrakten Wirtschaftswert überhaupt
darzustellen, und beide (> 585) Funktionen in unlösliche Korrelation,
in der keine die erste ist, verschlingt.
Indem hier nun ein Gebilde der historischen Welt das sachliche
Verhalten der Dinge symbolisiert, stiftet es zwischen jener und diesem
eine besondere Verbindung.
Je mehr das Leben der Gesellschaft ein geldwirtschaftliches wird, desto
wirksamer und deutlicher prägt sich in dem bewußten Leben der
relativistische Charakter des Seins aus, da das Geld nichts anderes ist,
als die in einem Sondergebilde verkörperte Relativität der
wirtschaftlichen Gegenstände, die ihren Wert bedeutet.
Und wie die absolutistische
Weltansicht eine bestimmte intellektuelle Entwicklungsstufe darstellte,
in Korrelation mit der entsprechenden praktischen, ökonomischen,
gefühlsmäßigen Gestaltung der menschlichen Dinge, - so scheint die
relativistische das augenblickliche Anpassungsverhältnis unseres
Intellekts auszudrücken oder, vielleicht richtiger: zu sein, bestätigt
durch das Gegenbild des sozialen und des subjektiven Lebens, das in dem
Gelde ebenso den real wirksamen Träger wie das abspiegelnde Symbol
seiner Formen und Bewegungen gefunden hat.
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