Georg Simmel:
Philosophie
des Geldes
Duncker & Humblot
Verlag, Berlin 1900 (1. Auflage)
5. Kapitel: Das
Geldäquivalent personaler Werte
- Teil I (S. 387-437)
Das Wergeld
Der Übergang von der utilitarischen
zu der objektiven und der absoluten Wertung des Menschen
Die Geldstrafe und die
Kulturstufen
Das Vorschreiten der Differenzierung
des Menschen und der Indifferenz des Geldes als Ursache ihrer wachsenden
Inadäquatheit
Die Kaufehe und der Wert der
Frau
Die Arbeitsteilung zwischen den
Geschlechter und die Mitgift
Die typische Beziehung zwischen Geld
und Prostitution, ihre Entwicklung analog der Mordsühne
Die Geldheirat
Die Bestechung
Das Vornehmheitsideal und das
Geld
Die Bedeutung des Geldes im System der Wertschätzungen ist an der
Entwicklung der Geldstrafe messbar.
Zuerst tritt uns auf diesem Gebiet, als seine auffälligste
Erscheinung, die Sühnung des Totschlags durch Geldzahlung entgegen - eine
in primitiven Kulturen so häufige Tatsache, dass sich, wenigstens für
ihre einfache und direkte Form, einzelne Beispiele erübrigen.
Weniger beachtet indes als ihre Häufigkeit ist die Intensität, mit
der der Zusammenhang von Wert des Menschen und Geldwert oft die
rechtlichen Vorstellungen beherrscht.
Im ältesten angelsächsischen England war auch für die Tötung des
Königs ein Wergeld festgesetzt; ein Gesetz bestimmte es auf 2700 sh.
Nun war eine solche Summe für die damaligen Verhältnisse ganz
imaginär und überhaupt nicht aufzutreiben.
Ihre reale Bedeutung war, dass, um sie einigermassen zu ersetzen, der
Mörder und seine ganze Verwandtschaft in Sklaverei verkauft werden mussten, wenn nicht auch dann noch, wie ein Interpret jenes Gesetzes sagt,
die Differenz so gross blieb, dass sie - als blosse Geldschuld - nur
durch den Tod ausgeglichen werden konnte.
Erst auf dem Umwege über die Geldstrafe also hielt man sich an die
Persönlichkeit, jene erscheint als der ideale Massstab, an dem man die
Grösse des Verbrechens ausdrückt.
Wenn innerhalb desselben Kulturkreises zur Zeit der sieben Königreiche
das typische Wergeld für den gewöhnlichen Freeman 200 sh. betrug und das
für andere Stände, nach Bruchteilen oder Vielfachen dieser Norm
gerechnet wurde, so offenbart dies nur in anderer Weise, eine wie rein
quantitative Vorstellung vom Werte des Menschen das Geld ermöglicht
hatte.
Von eben dieser aus begegnet noch zur Zeit der Magna Charta die
Behauptung, Ritter, Baron und Graf verhielten sich zueinander wie
Schilling, Mark und Pfund - da dies die Proportion ihrer Lehensgefälle
sei; eine Vorstellung, die um so bezeichnender ist, als die Begründung
tatsächlich ganz ungenau war; denn sie beweist die Tendenz, den Wert des
Menschen auf einen geldmässigen Ausdruck (>388) zu bringen, als eine
so kräftige, dass sie sich selbst um den Preis einer sachlichen
Unangemessenheit verwirklicht.
Von ihr aus wird aber nicht nur das Geld zum Mass für den Menschen,
sondern auch der Mensch zum Mass für das Geld.
Die Summe, die für die Tötung eines Menschen gezahlt werden muss,
begegnet uns hier und da als monetarische Einheit.
Nach Grimm bedeutet das Perfektum skillan soviel wie: ich habe getötet
oder verwundet; daher dann: ich bin busspflichtig geworden.
Nun war tatsächlich der Solidus der einfache Strafsatz, nach dem in
den Volksrechten die Bussen berechnet wurden.
Man hat deshalb in der Konsequenz jener Bedeutung von skillan
angenommen, dass das Wort »Schilling« die Bedeutung von »Strafsimplum«
hätte.
Der Wert des Menschen erscheint hier also als Einteilungsgrund des
Geldsystems, als Bestimmungsgrund des Geldwertes.
Eben dies Motiv klingt an, wenn der Normalsatz des Wergeldes bei den
Beduinen, das Mahomed in den Islam aufnahm, hundert Kamele, zugleich als
typisches Lösegeld für den Gefangenen und als Brautgeld auftritt.
Dieselbe Bedeutung des Geldes tritt auch da hervor, wo die Geldstrafe
nicht nur für Mord, sondern für Vergehen überhaupt in Frage kommt. Im
merovingischen Zeitalter wurde der Solidus nicht mehr wie bisher zu 40,
sondern nur zu 12 Denaren gerechnet.
Und zwar wird als Grund dafür vermutet: es sollten damals die nach
Solidi bestimmten Geldstrafen herabgesetzt werden, und hierzu sei
angeordnet, es sollen überall, wo ein Solidus bestimmt sei, nicht mehr
40, sondern nur 12 Denare bezahlt werden.
Es habe sich daraus der Strafsolidus zu 12 Denaren gebildet, der schliesslich der allgemein herrschende geworden sei.
Und von den Palauinseln wird berichtet, dass dort jede Art von
Bezahlung schlechthin Strafgeld heisst.
Es gibt hier also nicht mehr die Bestimmtheit der Münze die Skala an,
an der die relative Schwere des Vergehens sich misst; sondern umgekehrt,
die Taxierung des Vergehens schafft einen Massstab für die Festsetzung
der Geldwerte.
Dieser Vorstellungsweise - soweit sie sich auf die Mordsühne bezieht -
liegt ein Gefühl von prinzipieller Erheblichkeit zum Grunde.
Da das ganze Wesen des Geldes auf der Quantität beruht, Geld an und
für sich ohne Bestimmtheit seines Wieviel ein völlig leerer Begriff ist,
so ist es von grösster Bedeutung und ganz unerlässlich, dass jedes
Geldsystem eine Einheit besitzt, als deren Vielfaches oder deren Teil sich
jeder einzelne Geldwert ergibt.
Diese ursprüngliche Bestimmtheit, ohne die es überhaupt zu keinem
Geldwesen kommen konnte, und die sich dann technisch zum »Münzfuss«
verfeinert, ist gleichsam die absolute Grundlage der quantitativen
Relationen, in denen der Geldverkehr verläuft.
Nun wäre freilich, rein begrifflich (>389) angesehen, die Grösse
dieser Einheit ganz gleichgültig, denn wie sie auch sei, durch Division
oder Multiplikation lassen sich alle erforderlichen Grössen aus ihr
herstellen; über ihre Festsetzung werden denn auch wirklich, namentlich
in späterer Zeit, nur teils historisch-politische, teils münztechnische
Gründe entscheiden.
Dennoch wird dasjenige Geldquantum, das einem als der Massstab aller
anderen vor Augen steht, sobald von Geld geredet wird, und sozusagen der
Repräsentant des Geldes überhaupt ist - das wird wenigstens
ursprünglich auch zu irgendeinem zentralen Wertgefühl des Menschen in
Beziehung stehen müssen, als Äquivalent für irgendein im Vordergrund
des Bewusstseins stehendes Objekt oder Leistung kreiert werden.
Woraus sich übrigens die oft bemerkte Tatsache erklärt, dass in
Ländern mit hoher Münzeinheit die Lebenshaltung teurer ist als in
solchen mit minderer - also, ceteris paribus, in Dollarländern teurer als
in Markländern, in Markländern teurer als in Frankländern.
Vielerlei Lebensbedürfnisse scheinen eben diese Einheit, bzw.
bestimmte Vielfache derselben zu kosten, gleichviel welches deren absolute
Grösse ist.
Die Münzeinheit innerhalb eines sozialen Kreises, so irrelevant sie
vermöge ihrer beliebigen Teilung und Multiplizierung zu sein scheint, hat
dennoch, sowohl als Folge wie als Ursache, sehr tiefe Beziehungen zu dem
ökonomisch ausdeutbaren Typus der Lebenswerte überhaupt. Es war noch ein
Erfolg dieses Zusammenhanges, dass die erste französische Konstitution
von 1791 als Wertmesser den Tagelohn annahm.
Jeder vollberechtigte Bürger musste eine direkte Steuer von mindestens
3 Journées de travail zahlen, um Wähler zu sein, bedurfte es eines
Einkommens von 150-200 Journées.
So ist die werttheoretische Meinung aufgetaucht, die Tagesexigenz, also
dasjenige, was für den Menschen den unumgänglichsten Wert hat, sei der
absolute Wertmesser, dem gegenüber die edlen Metalle und alles Geld
überhaupt als Ware im Preise steigen oder fallen.
Und in derselben Richtung, als die Werteinheit ein zentrales und durch
ein wesentliches menschliches Interesse umgrenztes Objekt zu setzen, liegt
der Vorschlag eines »Arbeitsgeldes«, dessen Grundeinheit gleich dem
Arbeitswerte einer Stunde oder eines Tages sei.
Demgegenüber möchte man es als einen nur quantitativen Unterschied
bezeichnen, wenn das Äquivalent für den ganzen Menschen, das Wergeld,
als das charakteristische Geldquantum überhaupt hervortritt.
Der Ursprung des Wergeldes ist offenbar rein utilitarisch, und wenn
schon nicht rein privatrechtlich, so doch jenem Indifferenzzustand
privaten und öffentlichen Rechtes zugehörig, mit dem allenthalben die
soziale Entwicklung beginnt.
Der Stamm, die Gens, die (>390) Familie forderte einen Ersatz für
den ökonomischen Verlust, den der Tod eines Mitgliedes für sie
bedeutete, und liess sich damit für die impulsiv naheliegende Blutrache
abfinden.
Diese Umwandlung fixiert sich schliesslich in Fällen, wo die
Blutrache, die abgelöst werden soll, selbst unmöglich wäre: bei den
Goajiro-Indianern muss jemand, der sich selbst zufällig verletzt, der
eigenen Familie einen Ersatz leisten, weil er das Blut der Familie
vergossen hat.
Sehr charakteristisch bezeichnet bei einigen Malaienvölkern das Wort
für Blutgeld zugleich: aufstehen, sich aufrichten.
Es gilt also die Vorstellung, dass mit dem erlegten Blutgeld der
Erschlagene für die Seinigen wieder aufersteht, dass die Lücke, die sein
Tod gerissen hat, nun ausgefüllt ist.
Allein ganz abgesehen davon, dass neben der Zahlung an die Verwandten,
wenigstens bei den Germanen, schon sehr früh auch eine besondere Busse
für die Störung des Gemeinfriedens zu erlegen war; dass in einigen
angelsächsischen Königreichen das der Familie zukommende Wergeld für
den König noch einmal seitens des Volkes für das Leben seines Königs
gefordert wird; dass das Wergeld in Indien überhaupt von der Familie auf
die Brahmanen überging - abgesehen von solchen Weiterentwicklungen des
Wergeldes, die es von seinem privatökonomischen Ursprung lösten,
enthält doch schon dieser von vornherein ein objektiv-überindividuelles
Element, indem seine Höhe durch Sitte oder Gesetz fixiert war, wenn auch
für die verschiedenen Stände sehr verschieden hoch.
So war jedem Menschen sein Wert von der Geburt an bestimmt, ganz
gleichgültig, welchen Wert er dann in Wirklichkeit für seine
Angehörigen repräsentierte.
Damit wurde also nicht nur gleichsam der Mensch als Substanz im
Unterschied von der Summe seiner konkreten Leistungen gewertet, sondern
die Vorstellung eingeleitet, dass er an sich und nicht nur für andere so
und so viel wert sei.
Eine bezeichnende Übergangserscheinung von der subjektiv-ökonomischen
zu einer objektiven Wertung ist die folgende.
Im jüdischen Reiche etwa des dritten Jahrhunderts war der Normalpreis
eines Sklaven 50, der einer Sklavin 30 Schekel (ca. 45 bzw. 27 Mark).
Als Schadenersatz für die Tötung eines Sklaven oder einer Sklavin musste man dennoch durchweg 30 Sela (ca. 73 Mark) geben, da man hierfür
den pentateuchischen Ansatz von 30 Schekel festhielt und darin irrtümlich
30 Sela erblickte.
Man hielt sich also nicht an die ganz sicher feststellbare
wirtschaftliche Grösse des zugefügten Schadens, sondern an eine aus ganz
anderen als wirtschaftlichen Quellen stammende Bestimmung, die - sowohl
durch ihre absolute Grösse wie durch den Mangel an Differenzierung - mit
jener in einem auffallenden Gegensatz stand.
So war damit zwar noch nicht die Vorstellung begründet, (>391) dass
dieser Sklave einen ganz bestimmten Wert, abgesehen von seiner
Nützlichkeit für seinen Besitzer, hatte.
Allein der Unterschied zwischen seinem Preise, der diese Nützlichkeit
ausdrückte, und dem Sühnegeld für seine Tötung - wenn auch durch ein
theologisches Missverständnis hervorgerufen - wies doch darauf hin, dass
eine ökonomische Wertbestimmtheit des Menschen aus einer objektiven
Ordnung hervorgehen konnte, die seine Wertung aus der blossen privaten
Nützlichkeit für den Berechtigten durchbrach.
Dieser Übergang wird in dem Masse erleichtert und bezeichnet, in dem
das Wergeld eine rein staatliche Institution wird.
An vielen Stellen wurde das Gewicht des gerichtlichen Eides der Höhe
des Wergeldes proportional eingeschätzt.
Und bezeichnenderweise kommt es vor, dass nur der Freie Wergeld hat,
der Unfreie aber überhaupt nicht.
Im florentiner GeMet finden wir während des Mittelalters eine reiche
Abstufung von Hörigen als coloni, sedentes, quilini, inquilini,
adscripticii, censiti usw. - deren Bindungen wahrscheinlich im umgekehrten
Verhältnis ihres Wergeldes zunahmen, so dass für die gänzlich Unfreien
überhaupt kein Wergeld mehr bestand.
Noch im 13. Jahrhundert wurde dieses an sich damals längst veraltete
und rein formell gewordene Kriterium z.B. vor Gericht festgestellt, um die
Bedeutung der Zeugenaussagen danach zu rangieren.
Vom individualistischen Nützlichkeitsstandpunkte aus müsste umgekehrt
das Wergeld um so entschiedener festgehalten werden, je mehr jemand das
Eigentum eines Dritten ist.
Dass es anders geschah, und dass jene Ordnung als Symbol für das
Gewicht der persönlichen Aussage funktionierte, das zeigt den Punkt an,
auf dem das Wergeld zum Ausdruck des objektiven Persönlichkeitswertes
geworden war.
In der Entwicklung, die so von einer bloss utilitarischen zu einer
sachlichen Preisschätzung des Menschen aufstieg, macht sich ein sehr
allgemeiner Modus des Denkens geltend.
Wenn alle Subjekte von einem Objekt einen und denselben Eindruck
empfangen, so scheint das nicht anders erklärbar, als dass das Subjekt
eben diese bestimmte Qualität, den Inhalt jenes Eindrucks, an sich
besitze; ganz verschiedene Eindrücke mögen in ihrer Verschiedenheit aus
den aufnehmenden Subjekten stammen, ihre Gleichheit aber kann, wenn man
den unwahrscheinlichsten Zufall ausschliessen will, nur daher stammen, dass sich das so qualifizierte Objekt in den Geistern spiegelt - zugegeben
selbst, dass dies nur ein symbolischer und tieferer Ergänzung
bedürftiger Ausdruck ist.
Innerhalb der Wertsetzung wiederholt sich dieser Vorgang.
Wenn dasselbe Objekt in verschiedenen Fällen und von verschiedenen
Personen verschieden gewertet wird, so wird die ganze Schätzung seiner
als ein subjektiver Prozess erscheinen, (>392) der infolgedessen je
nach den persönlichen Umständen und Dispositionen verschieden ausfallen
muss.
Wird es indes von verschiedenen Personen immer genau gleich geschätzt,
so scheint der Schluss unvermeidlich, dass es eben soviel wert ist.
Wenn also etwa die Angehörigen der Erschlagenen ganz verschiedene
Wergelder für sie forderten, war es klar, dass sie damit ihren
persönlichen Verlust deckten; sobald aber die Höhe des Wergeldes für
den bestimmten Stand ein für allemal festgesetzt und dieses bei den
verschiedensten Personen und in den verschiedensten Fällen immer gleich
geleistet wurde, so musste sich daraufhin die Vorstellung ausbilden, der
Mann sei eben an und für sich so und so viel wert.
Diese Gleichgültigkeit gegen personale Unterschiede lässt den Wert
des Menschen überhaupt nicht mehr in demjenigen bestehen, was andere
Subjekte an ihm besitzen und verlieren, sie lässt ihn gleichsam als einen
objektiven, in Geld ausdrückbaren, auf ihn selbst zurückströmen.
Die im Interesse des sozialen Friedens und zur Vermeidung endloser
Zwistigkeiten getroffene Fixierung des Wergeldes erscheint so als die
psychologische Ursache, die die ursprünglich subjektiv-utilitarische
Wertung des Menschenlebens in die objektive Vorstellung überführte, der
Mensch habe eben diesen bestimmten Wert.
Dieser kulturhistorisch so eminent wichtige Gedanke, dass die
Totalität eines Menschen mit Geld aufzuwiegen sei, findet sich
tatsächlich nur in zwei oder drei Erscheinungen verwirklicht: eben im
Blutgeld und in der Sklaverei, vielleicht auch in der Kaufehe, auf die ich
nachher eingehe. Man könnte die ungeheure Differenz der
Anschauungsweisen, die uns die Möglichkeit der Sklaverei und des
Blutgeldes heute so fern rückt, nach rein ökonomischen Begriffen dennoch
als eine bloss graduelle, quantitative bezeichnen.
Denn im Sklaven wird doch nur die Summe derjenigen Arbeitsleistungen
mit Geld bezahlt, die wir in ihrer Vereinzelung auch heute nur mit Geld
bezahlen.
Das Äquivalent für das ausgegebene Geld ist heute wie damals die
Arbeit des Menschen; nur dass sie damals in Bausch und Bogen erworben
wurde und jetzt von Fall zu Fall, und dass sie nicht dem Arbeitenden,
sondern einem anderen bezahlt wurde - von den Fällen freiwilligen
Sich-Verkaufens in die Sklaverei abgesehen.
Und in Hinsicht des Blutgeldes widerspricht es auch heute unseren
Gefühlen nicht, dass eine Geldbusse auf geringere Verletzungen gesetzt
wird, seien es solche körperlicher oder innerer Art, wie Ehrenkränkungen
oder Bruch des Eheversprechens.
Noch neuerdings werden Delikte bis zu recht erheblicher Schwere in
einigen Strafgesetzgebungen nur mit Geld gesühnt: so im Staate New York,
in den Niederlanden, im modernen Japan.
Auf dem bloss ökonomischen (>393) Standpunkte verharrend, kann man die
Tötung des Menschen als eine bloss graduelle Steigerung solcher
partiellen Lahmlegungen und Herabsetzungen seiner Energien und
Bewährungen ansehen, wie man ja auch physiologisch den Tod als eine
Steigerung und Verbreiterung von Prozessen bezeichnet hat, die in
niedrigem oder auf gewisse Körperprovinzen beschränktem Grade auch am
»lebenden« Organismus stattfinden.
Allein diese ökonomische Betrachtungsart ist nicht die geltende.
Tatsächlich ruht die ganze vom Christentum beherrschte Entwicklung der
Lebenswerte auf der Idee, dass der Mensch einen absoluten Wert besitzt;
jenseits aller Einzelheiten, aller Relativitäten, aller besonderen
Kräfte und Äusserungen seines empirischen Wesens steht eben »der
Mensch«, als etwas einheitliches und unteilbares, dessen Wert überhaupt
nicht mit irgendeinem quantitativen Massstab gewogen und deshalb auch
nicht mit einem blossen Mehr oder Weniger eines anderen Wertes aufgewogen
werden kann.
Das ist der Grundgedanke, der das ideelle Fundament des Blutgeldes wie
der Sklaverei verneint, weil diese den ganzen und absoluten Menschen in
ein Gleichungsverhältnis mit einem relativen und bloss quantitativ
bestimmbaren Werte, dem Geld, bringen.
Dass es zu dieser Aufgipfelung des Menschenwertes kam, ist wie gesagt
dem Christentum gutzuschreiben, dessen Gesinnung freilich einerseits in
mancherlei Ansätzen antizipiert worden ist, wie die historische
Entwicklung dieser Konsequenz andrerseits lange auf sich warten liess;
denn die Kirche hat die Sklaverei keineswegs so energisch bekämpft, wie
sie wohl verpflichtet gewesen wäre, und hat (allerdings um des
öffentlichen Friedens willen und um Blutvergiessen zu vermeiden) die
Sühnung des Mordes durch Wergeld geradezu gefordert.
Dass dennoch die Enthebung des Menschenwertes aus jeder blossen
Relation, jeder nur quantitativ bestimmten Reihe in der Denkrichtung des
Christentums liegt, hängt so zusammen.
Was jede höhere Kultur von den niederen scheidet, ist sowohl die
Vielfachheit wie die Länge der teleologischen Reihen.
Die Bedürfnisse des rohen Menschen sind gering an Zahl, und wenn sie
überhaupt erreicht werden, gelingt es durch eine relativ kurze Kette von
Mitteln.
Steigende Kultur vermehrt nicht nur die Wünsche und Bestrebungen der
Menschen, sondern sie führt den Aufbau der Mittel zu jedem einzelnen
dieser Zwecke immer höher, und fordert schon für das blosse Mittel oft
einen vielgliedrigen Mechanismus ineinandergreifender Vorbedingungen.
Auf Grund dieses Verhältnisses wird sich die abstrakte Vorstellung von
Zweck und Mittel erst in einer höheren Kultur erheben; erst in ihr wird
wegen der Fülle der Zweckreihen, die eine Vereinheitlichung suchen, wegen
des (>394) immer weiteren Hinausrückens der eigentlichen Zwecke an
eine immer längere Kette von Mitteln - die Frage nach dem absoluten
Endzweck, der diesem ganzen Treiben Vernunft und Weihe gäbe, nach dem
Wozu des Wozu auftauchen.
Dazu kommt, dass das Leben und Handeln des Kulturmenschen sich durch
eine ungeheure Anzahl von Zwecksystemen hindurchbewegt, von deren jedem er
nur einen geringen Teil beherrschen, ja übersehen kann, und dass so
gegenüber der Einfachheit primitiven Daseins eine beängstigende
Differenziertheit der Lebenselemente entsteht; der Gedanke eines
Endzwecks, in dem alles dies wieder seine Versöhnung fände, dessen es
aber bei undifferenzierten Verhältnissen und Menschen gar nicht bedarf,
steht als Frieden und Erlösung in der Zersplitterung und dem
fragmentarischen Charakter der Kultur.
Und mit je weiteren qualitativen Differenzen die Elemente der Existenz
auseinanderliegen, in desto abstrakterer Höhe über jedem muss
ersichtlich der Endzweck stehen, der das Leben als Einheit zu empfinden
ermöglicht; nach dem die Sehnsucht nun keineswegs immer in bewusster
Formulierung zu bestehen braucht, sondern auch, nicht weniger stark, als
ein dumpfer Trieb, Sehnsucht, Unbefriedigtheit der Massen.
Am Beginn unserer Zeitrechnung war offenbar die griechisch-römische
Kultur auf diesen Punkt gekommen.
Das Leben war ein so vielgliedriges und langsichtiges Zweckgewebe
geworden, dass sich als sein Destillat und focus imaginarius mit
ungeheurer Gewalt das Gefühl erhob: wo liegt nun der definitive Zweck
dieses Ganzen, der endgültige Abschluss, der sich nicht mehr, wie alles,
was wir sonst erstreben, schliesslich als blosses Mittel enthüllt?
Der resignierte oder grollende Pessimismus jener Zeit, ihr
besinnungsloses Geniessen, das freilich in seinem Augenblicksdasein einen
nicht über sich hinausfragenden Zweck fand, auf der einen Seite, ihre
mystisch-asketischen Tendenzen auf der anderen - sie sind der Ausdruck
jenes dunklen Suchens nach einem abschliessenden Sinn des Lebens, jener
Angst um den Endzweck der ganzen Mannigfaltigkeit und Mühsal seines
Apparates von Mitteln.
Diesem Bedürfnis nun brachte das Christentum eine strahlende
Erfüllung.
Zum erstenmal in der abendländischen Geschichte wurde hier den Massen
ein wirklicher Endzweck des Lebens geboten, ein absoluter Wert des Seins,
jenseits alles Einzelnen, Fragmentarischen, Widersinnigen der empirischen
Welt: das Heil der Seele und das Reich Gottes.
Nun war für jede Seele Platz in Gottes Hause, und indem sie der
Träger ihres ewigen Heils war, wurde jede einzelne, die unscheinbarste
und niedrigste wie die des Helden und Weisen, unendlich wertvoll.
Durch ihre Beziehung zu dem einen Gott strahlte alle Bedeutung, alle
Absolutheit, alle Jenseitigkeit seiner auf sie (>395) zurück; so war
sie durch den ungeheuren Machtspruch, der ihr ein ewiges Schicksal und
eine grenzenlose Bedeutung verkündete, mit einem Schlage allem bloss
Relativen, jedem blossen Mehr oder Weniger der Würdigung enthoben.
Nun hat freilich der Endzweck, an den das Christentum den absoluten
Wert der Seele band, eine eigentümliche Entwicklung erfahren.
Wie nämlich jedes Bedürfnis durch die Gewohnheit seiner Befriedigung
fester wird, so hat das Christentum durch das so lange andauernde Bewusstsein eines absoluten Endzweckes das Bedürfnis danach
ausserordentlich fest einwurzeln lassen, so dass es denjenigen Seelen,
denen gegenüber es jetzt versagt, das leere Sehnen nach einem definitiven
Zweck des ganzen Daseins als seine Erbschaft hinterlassen hat: das
Bedürfnis hat seine Erfüllung überlebt.
Indem die Schopenhauersche Metaphysik als die Substanz des Daseins den
Willen verkündete - der notwendig unerfüllt bleiben muss, weil er, als
das Absolute, nichts ausser sich hat, an dem er sich befriedige, sondern
immer und überall nur sich selbst ergreifen kann - ist sie ausschliesslich der Ausdruck dieser Lage der Kultur, die das heftigste
Bedürfnis nach einem absoluten Endzweck überkommen, aber dessen
überzeugenden Inhalt verloren hat.
Die Schwächung des religiösen Empfindens und gleichzeitig das so
lebhaft wiedererwachte Bedürfnis nach einem solchen sind das Korrelat der
Tatsache, dass dem modernen Menschen der Endzweck abhanden gekommen ist.
Aber was dessen Vorstellung für die Wertung der Menschenseele
geleistet hat, ist nicht zugleich verloren gegangen und zählt zu den
Aktiven jener Erbschaft.
Indem das Christentum die Menschenseele für das Gefäss der
göttlichen Gnade erklärte, wurde sie für alle irdischen Massstäbe
völlig inkommensurabel und blieb es; und so fern und fremd diese
Bestimmung eigentlich für den empirischen Menschen mit seinen irdischen
Schicksalen ist, so wenig kann doch eine Rückwirkung ihrer da ausbleiben,
wo der ganze Mensch in Frage steht; sein einzelnes Schicksal mag
gleichgültig sein, die absolute Summe derselben kann es doch nicht
bleiben.
In unmittelbarer Weise hat freilich schon das jüdische Gesetz die
religiöse Bedeutung des Menschen gegen seinen Verkauf als Sklaven
aufgerufen.
Wenn ein Israelit sich wegen Verarmung einem Stammesgenossen in die
Sklaverei verkaufen muss, so soll dieser - so befiehlt Jahve - ihn wie
einen Lohnarbeiter halten und nicht wie einen Sklaven, »denn meine
Knechte sind sie, die ich aus Ägypten weggeführt habe, sie dürfen nicht
verkauft werden, wie man Sklaven verkauft«.
Der Wert der Persönlichkeit aber, der sie durch diese Vermittlung
hindurch aller Vergleichbarkeit mit dem rein quantitativen Massstab des
Geldes entrückt, kann zwei wohl auseinanderzuhaltende Bedeutungen (>396) haben; er kann den Menschen als Menschen überhaupt, und er kann
den Menschen als dieses bestimmte Individuum betreffen.
Sagte man etwa, die menschliche Persönlichkeit besitze den höchsten
Seltenheitswert, weil sie kein irgend vertretbares Gut, sondern in ihrer
Bedeutung schlechthin unersetzbar sei - so bleibt die Frage, gegen welche
anderen Werte man sie auf diese Weise isoliere.
Tragen die Qualitäten des Menschen seinen Wert, so bezieht sich jene
Seltenheit, - da sie bei jedem andere sind - auf den einzelnen Menschen
gegenüber allen anderen.
Diese Anschauung, die teilweise dem Altertum und dem modernsten
Individualismus eigen ist, führt unvermeidlich auf eine Abstufung
innerhalb der Menschenwelt, und nur in dem Mass, in dem die Träger der
niedrigsten Werte sich noch mit denen der höchsten berühren, haben jene
an der Absolutheit des Wertes dieser Teil; daher wiederholt sich die
klassische Überzeugung von der Berechtigung der Sklaverei bei einigen der
neuesten Individualisten. Ganz anders das Christentum, die Aufklärung des
18. Jahrhunderts (einschliesslich Rousseau und Kant) und der ethische
Sozialismus.
Für diese Standpunkte ruht der Wert in dem Menschen, bloss weil er ein
Mensch ist, es bezieht sich also der Seltenheitswert auf die Menschenseele
überhaupt gegenüber dem, was nicht Seele ist; in bezug auf den
entscheidenden, den absoluten Wert ist hier jeder Mensch jedem anderen
gleich.
Das ist also der abstrakte Individualismus - abstrakt, weil er den
ganzen Wert, die ganze absolute Bedeutung an den Allgemeinbegriff Mensch
heftet und ihn erst von diesem auf das einzelne Exemplar der Gattung
überleitet.
Ihm gegenüber hat das 19. Jahrhundert, seit den Romantikern, den
Begriff des Individualismus mit einem ganz andern Inhalt erfüllt;
während der Gegensatz, aus dem das Individuum als solches seine
spezifische Bedeutung zog, im 18. Jahrhundert die staatliche, kirchliche,
gesellschaftliche, zünftige Kollektivität und Bindung war, so dass das
Ideal in dem freien Fürsichsein der Einzelnen bestand - ist der Sinn des
späteren Individualismus der Unterschied zwischen den Einzelnen, ihre
qualitative Besonderung gegeneinander.
An der ersteren Anschauungsweise, auf deren Boden die
»Menschenwürde« und die »Menschenrechte« gewachsen sind, markiert
sich am entschiedensten die Entwicklung, die jeden Verkauf eines Menschen
für Geld und die Sühnung seiner Tötung durch Geld innerlich unmöglich
macht - eine Entwicklung, deren Anfänge da liegen müssen, wo die
kollektivistischen Bande der frühesten Sozialformen sich lockern, wo das
Individuum sich aus der Interessenverschmelzung mit seinen Gruppengenossen
heraushebt und sein Fürsichsein betont.
Die Entwicklung der Mordsühne, die ich verfolgte, mündete an
(>397) dem Punkte, wo aus dem Ersatz des den Hinterbliebenen wirklich
geschehenen Schadens durch die soziale Fixierung desselben hindurch sich
die Vorstellung entwickelt hat, dass der Mensch, der Angehörige dieses
bestimmten Standes, dieses bestimmte Wergeld wert wäre.
Hier setzt nun die weitere Evolution an, infolge deren die
Sühneleistung des Verbrechers nicht als eine Entschädigung für den von
ihm vernichteten Wert, sondern als Strafe auftritt, und zwar nun nicht nur
für den Mord, sondern auch für andere schwere Vergehen.
Alle Strafe, als ein unter der Idee der Zweckmässigkeit zugefügter
Schmerz, kann, soviel ich sehe, nur zwei Ausgangspunkte haben: das
Schutzbedürfnis der Gesellschaft und die Entschädigungspflicht für den
oder die Beschädigten - so sehr ihre später erworbenen ideellen
Bedeutungen sich über diese Ursprünge erheben.
Denn wenn man die Strafe auf den Rachetrieb zurückgeführt hat, so
scheint mir dieser selbst noch der Erklärung bedürftig, und sie darin zu
finden, dass das Schutzbedürfnis die Menschen zwingt, den Schädiger
unschädlich zu machen, was eben oft nur durch Schmerzzufügung oder
Tötung geschehen kann - und dass diese Nützlichkeit und Notwendigkeit zu
einem eigenen Triebe ausgewachsen ist: die Beschädigung des Beschädigers,
ursprünglich ein blosses Mittel, sich vor weiterer Schädigung zu
schützen, hat ein selbständiges Lustgefühl, einen von seinen
utilitarischen Wurzeln gelösten Trieb für sich erworben.
Der Ursprung der Strafe aus der Rache würde also schliesslich auch nur
auf den Schutztrieb zurückgehen.
Grade dieses macht es auch erklärlich, dass sehr zivilisierte Zeiten
auf den Mord völlige Unschädlichmachung des Täters, rohere aber eine
gelinde Abfindung setzen.
Denn heute werden im ganzen doch Morde nur von völlig zuchtlosen und
moralisch depravierten Individuen begangen, in roheren oder heroischeren
Zeiten aber auch von ganz anders qualifizierten, deren Überlegenheit und
Tatkraft die Gesellschaft zu konservieren alles Interesse hatte.
Es ist also die Wesensverschiedenheit der Mörder auf den verschiedenen
historischen Stufen, auf die hin die soziale Selbsterhaltung einmal auf
Vernichtung, ein anderes Mal auf eine den Täter selbst konservierende
Sühne hindrängt.
Hier interessiert uns indes nur der andere Ursprung der Strafe, aus der
Entschädigungspflicht.
Solange oder insoweit die Konsequenz einer schädigenden Handlung für
den Täter selbst von dem Beschädigten vollzogen wird, so wird sie -
abgesehen von jenen Abwehr - und Racheimpulsen - sich auf eine
Schadloshaltung dieses letzteren beschränken; ihn wird der subjektive
Zustand des Täters nicht interessieren, seine Reaktion wird durch die
Nützlichkeit für ihn selbst, nicht durch eine Rücksicht auf jenen
bestimmt werden.
Das (>398) ändert sich, sobald eine objektive Macht, wie der Staat
oder die Kirche, die Sühne der Missetat übernimmt.
Weil nun die Schädigung des Beschädigten nicht mehr als persönliches
Ereignis, sondern als Störung des öffentlichen Friedens oder als
Verletzung eines ethisch-religiösen Gesetzes das Motiv der Reaktion
bildet, so wird der Zustand, den diese in dem Missetäter hervorruft, ihr
definitiver Zweck, während er vorher für denjenigen, der nur seine
Entschädigung suchte, ein gleichgültiges Akzidenz gewesen war; so dass
man erst jetzt von Strafe im eigentlichen Sinne sprechen kann.
Jetzt handelt es sich darum, das Subjekt selbst zu treffen, und alle Busse als
äusserliches Geschehen ist das blosse Mittel dazu.
Die Geldstrafe hat so einen ganz anderen Sinn als jener frühere
Geldersatz für Verwundungen und Tötungen; sie soll nicht den
angerichteten Schaden ausgleichen, sondern dem Täter ein Schmerz sein,
weshalb sie denn auch in modernen Rechten, im Falle der Unbetreibbarkeit,
durch Freiheitsstrafe ersetzt wird, welche dem Staate nicht nur kein Geld
bringt, sondern ihn noch erhebliches kostet.
Indem die Geldstrafe so nur um ihres subjektiven Reflexes willen
gehandhabt wird, mit dem der Missetäter sie empfindet, kann sie
allerdings einen dem Geld als solchem fremden, individuellen Zug erhalten.
Dieser dokumentiert sich in einigen Eigenschaften, die die Geldstrafe
vor anderen Strafen voraus hat: in ihrer grossen Abstufbarkeit, in ihrer
eventuellen völligen Widerruflichkeit, endlich darin, dass sie nicht wie
die Freiheitsstrafen oder gar wie die Verstümmelungsstrafen früherer
Zeiten die Arbeitskraft des Delinquenten lahmlegt oder herabsetzt, sondern
sie umgekehrt wegen des Ersatzes des Dahingegebenen gerade anstachelt.
Dieses personale Moment, das der Geldstrafe zuwächst, wenn sie nicht mehr
äusserlicher Ersatz, sondern subjektive Schmerzzufügung sein soll,
reicht indes nicht sehr tief hinab.
Das zeigt sich z. B. schon darin, dass heutzutage die Verurteilung zur
höchsten Geldstrafe die gesellschaftliche Position des Betroffenen nicht
entfernt so herabsetzt, wie die zur geringsten Gefängnisstrafe; nur wo
das Persönlichkeitsgefühl überhaupt noch nicht sehr stark entwickelt
ist, wie in der russischen Bauernschaft, konnte es vorkommen, dass vom
Missetäter selbst die Prügelstrafe jeder Geldstrafe vorgezogen wird.
Ferner zeigt sich die Schwäche des personalen Momentes in der
Geldstrafe, wie sie wenigstens bis jetzt gehandhabt wird, darin, dass ihre
prinzipielle Abstufbarkeit der wirklichen Individualität der
Verhältnisse keineswegs folgt.
Das Gesetz pflegt, wo es Geldstrafe setzt, dieselbe nach oben wie nach
unten zu begrenzen; es ist aber kein Zweifel, dass selbst das Mindestmass
für den ganz Armen eine härtere Strafe bedeutet, als das Höchstmass
für den (>399) ganz Reichen; während jener wegen einer Mark Strafe
vielleicht einen Tag hungern muss, werden die paar Tausend Mark, zu denen
dieser höchstens verurteilt werden kann, ihm nicht die geringste
Entbehrung auferlegen, so dass der subjektive Strafzweck dort
übertrieben, hier überhaupt nicht durch die Geldstrafe erreicht wird.
Man hat deshalb eine wirkungsvollere Individualisierung durch den
Vorschlag erreichen wollen, das Gesetz solle überhaupt nicht bestimmte
Summen als Strafgrenzen fixieren, sondern prozentuale Quoten vom Einkommen
des Schuldigen.
Dagegen wird indes richtig eingewendet, dass die Strafe einer ganz
geringfügigen Übertretung für einen vielfachen Millionär dann viele
Tausende betragen müsste, was zweifellos als sachlich unangemessen
empfunden wird.
Dieser innere Widerspruch des Versuches, zu einer wirklichen
Individualisierung der Geldstrafe zu gelangen, der bei sehr stark
differenzierten Vermögensverhältnissen unvermeidlich scheint, beweist
wiederum, wieviel geringer deren subjektive Angemessenheit bei einer hoch
entwickelten (d.h. sehr krasse Differenzen enthaltenden) ökonomischen
Kultur ist, als in primitiveren, also nivellierteren Verhältnissen.
Insbesondere aber muss die Geldstrafe sich schliesslich da als ganz
unzutreffend erweisen, wo überhaupt nur die allerinnerlichsten
Beziehungen des Menschen in Frage stehen: bei der Kirchenbusse, die vom 7.
Jahrhundert an durch Geld ersetzt werden konnte.
Die Kirche hatte einen grossen Teil der Strafrechtspflege übernommen,
die eigentlich dem Staate zufiel, und der umherreisende Bischof als
Richter strafte die Sünder vom Gesichtspunkte der verletzten göttlichen
Ordnung aus, so dass ihre sittliche Besserung, die Umkehr der Seele auf
dem Sündenwege, das eigentliche Absehen war, von jener tiefstgelegenen
und wirksamsten Tendenz der religiösen Moral aus: dass die definitive
sittliche Pflicht des Menschen in dem Gewinn des eigenen Heils bestehe -
während die weltliche Moral ihr letztes Ziel gerade aus dem Ich heraus in
den Anderen und seine Zustände verlegt.
Von diesem Gesichtspunkt der Verinnerlichung und Subjektivierung der
Strafe aus wurden selbst Vergehen wie Mord und Meineid mit Fastenbusse
bestraft.
Diese kirchlichen Strafen aber konnten, wie gesagt, sehr bald durch
Geldzahlung abgelöst werden.
Dass dies im Lauf der Zeit als eine ganz unzulängliche und
unzutreffende Busse empfunden wurde, ist kein Zeichen gegen, sondern für
die gewachsene Bedeutung des Geldes; gerade weil es jetzt so sehr viel
mehr Dinge aufwiegt und dadurch um so farb- und charakterloser ist, kann
es nicht zur Ausgleichung in ganz besonderen und ausnahmsweisen
Beziehungen dienen, in denen das Innerste und Wesentliche der
Persönlichkeit getroffen werden soll; und nicht trotzdem man so gut wie
(>400) alles für Geld haben kann, sondern gerade weil man das kann,
hörte es auf, die sittlich-religiösen Anforderungen, auf denen die
Kirchenbusse ruhte, zu begleichen.
Die steigende Wertung der Menschenseele, mit ihrer Unvergleichbarkeit
und Individualisiertheit, trifft auf die entgegengesetzte Richtung in der
Entwicklung des Geldes, wodurch der Erfolg jener für die Aufhebung der
Geldbussen beschleunigt und gesichert wird.
Den Charakter kühler Gleichgültigkeit, völliger Abstraktheit
gegenüber allen spezifischen Werten erhält das Geld doch erst in dem Mass, in dem es zum Äquivalent für immer mehr und mehr Gegenstände und
für immer verschiedenartigere wird.
Solange es, erstens, überhaupt noch nicht so viel Gegenstände gibt,
die eventuell um Geld erworben werden könnten, und solange, zweitens, von
den vorhandenen ökonomischen Werten ein wesentlicher Teil dem Geldkauf
entzogen ist (wie es sehr lange Perioden hindurch z. B. der Grundbesitz
ist) - solange hat das Geld selbst noch einen mehr spezifischen Charakter,
es steht noch nicht so indifferent über den Parteien; sogar das direkt
entgegengesetzte Wesen, sakrale Würde, der Akzent eines Ausnahmewertes
kann ihm in primitiven Verhältnissen zukommen.
Ich erinnere an die früher angeführten strengen Normen, die gewisse
Geldsorten ausschliesslich für wichtige oder feierliche Transaktionen
bestimmten, besonders aber an einen Bericht aus dem Karolinenarchipel.
Die Insulaner, heisst es, bedürfen für den Lebensunterhalt keines
Geldes, denn alle seien Selbstproduzenten.
Dennoch spiele das Geld die Hauptrolle, denn der Erwerb einer Frau, die
Zugehörigkeit zu dem staatlichen Verband, die politische Bedeutung der
Gemeinde hänge ausschliesslich von dem Geldbesitz ab.
Aus solchen Verhältnissen heraus verstehen wir, weshalb das Geld nicht
so gemein ist wie bei uns, wo es gerade die niedrigsten Bedürfnisse
unmittelbarer als jene höheren deckt.
Ja, die bloss quantitative Tatsache, dass es überhaupt noch nicht so
viel Geld gibt und es einem nicht immerfort durch die Finger geht, lässt
es in den Perioden der Eigenbedarfs-Produktion zu jener herabsetzenden
Selbstverständlichkeit und Abgeschliffenheit seiner nicht kommen, so dass
es sich also eher dazu eignet, als befriedigender Ausgleich für
einzigartige Objekte, wie das Menschenleben ist, zu dienen; die
vorschreitende Differenzierung der Menschen und die ebenso vorschreitende
Indifferenz des Geldes begegnen sich, um die Sühnung des Mordes und
schwerer Vergehen überhaupt durch Geld unmöglich zu machen.
Es ist interessant, dass das Gefühl für diese innere Inadäquatheit
des Geldes sehr früh anklingt.
Während schon in der ältesten jüdischen Geschichte Geld als
Zahlmittel für Frauen und für Bussen auftritt, (>401) müssen doch
die Abgaben an den Tempel immer in natura geliefert werden.
So muss z.B. derjenige, der wegen der weiten Entfernung vom Heiligtume
seinen Zehnten in Geld mitbringt, an Ort und Stelle diesen wieder in Waren
umsetzen, und dem entspricht es, dass in Delos, dem altgeweihten
Heiligtum, ganz besonders lange nach dem Ochsen als offizieller
Münzeinheit gerechnet wurde.
Unter den mittelalterlichen Gesellenverbänden setzten die
Bruderschaften, die die älteren waren und kirchliche Zwecke verfolgten,
die Strafen für einzelne Vergehen in Wachs (zu Weihkerzen) fest, die
weltlichen Gesellenschaften dagegen meistens in Geld.
Derselbe Sinn beherrscht die altisraelitische Bestimmung, dass
gestohlene Haustiere doppelt ersetzt werden müssen, aber wenn sie nicht
mehr in natura vorhanden waren, und deshalb Geldzahlung an ihre Stelle
trat, dieselbe den vier-bis fünffachen Wert derselben darstellen musste:
nur eine ganz unverhältnismässig erhöhte Geldbusse konnte die Naturalbusse vertreten.
Als in Italien das Viehgeld, schon längst durch Metallgeld ersetzt
war, wurden doch die Geldstrafen bis in die späteste Zeit hinein
wenigstens formell noch nach Vieh berechnet.
Und nachdem bei den Tschechen das Vieh am Anfang unserer Zeitrechnung
Zahlmittel gewesen war, diente es noch lange nachher als Benennung für
die Mordbusse.
Es gehört derselben Erscheinungsreihe an, wenn bei den kalifornischen
Indianern das Muschelgeld, nachdem es schon aus dem Verkehr verdrängt
war, doch noch die Gabe blieb, die man den Toten für die Jagdgründe des
jenseits ins Grab legte.
In diesen Bestimmungen ist es die religiöse Färbung der Busse oder
Zahlung überhaupt, die, in ihrem archaistischen Wesen, schon auf dieser
Stufe das kurrente Geld als etwas ihrer Weihe Unangemessenes empfinden lässt, so
dass sie auf derselben Deklassierung des Geldes mündet, wie
jene geschilderte Gegenbewegung, die auf der späteren Stufe den Wert des
Menschen und den Wert des Geldes immer weiter auseinandertreibt und so
einen der wichtigsten Entwicklungsmomente in der Bedeutung des Geldes
herbeiführt.
Hier will ich nur noch eine Erscheinung dieser Richtung betonen: die
mittelalterlichen Zinsverbote ruhen auf der Voraussetzung, dass das Geld
keine Ware sei; im Gegensatz zu einer solchen sei es nicht selbst
fruchtbar oder produktiv, und sei es deshalb sündhaft sich für seine
Benutzung wie für die einer Ware eine Vergütung zahlen zu lassen.
Dieselben Epochen aber fanden es gelegentlich nicht im geringsten
gottlos, einen Menschen als Ware zu behandeln.
Vergleicht man dies mit den praktischen und theoretischen Vorstellungen
der modernen Zeit, so mag diese Gegenüberstellung klar machen, wie die
Begriffe des Geldes und des Menschen sich mit weiter vorschreitender
Entwicklung nach direkt entgegengesetzten (>402) Richtungen bewegen -
deren Entgegengesetztheit eben dieselbe bleibt, ob sie sich, in bezug auf
ein einzelnes Problem, aufeinander zu oder voneinander weg entwickeln.
Dem Abrücken des Persönlichkeitswertes vom Geldwert, der sich in dem
Herabsinken der Geldstrafe zum niedrigsten Strafquale ausspricht, steht
indes selbst nun wieder eine Gegenbewegung gegenüber.
Die rechtlich vergeltende Reaktion auf Unrecht und Schädigungen
nämlich, die einer dem anderen antut, beschränkt sich mehr und mehr auf
diejenigen Fälle, in denen das Interesse des Geschädigten in Geld
ausdrückbar ist.
Dies wird, wenn wir die Reihe der Kulturstadien überblicken, bei einer
ganz tiefen Stufe weniger der Fall sein, als bei einer etwas höheren;
hier aber wieder mehr als auf einer noch höheren.
Dies liegt etwa da besonders deutlich vor, wo städtische Verhältnisse
gegenüber ländlichen dem Geld erhebliche Wichtigkeit zuwachsen lassen,
während das Gesamtniveau beider ein relativ niedriges ist: so besteht im
jetzigen Arabien die Blutrache unter den Wüstenbewohnern, während in den
Städten Wergeld gezahlt wird.
In dem wirtschaftlich interessierten städtischen Leben liegt es eben
näher, die Bedeutung eines Menschen durch eine Geldsumme zu interpretieren.
Wie sehr sich das nun dahin zuspitzt, gerade der im Geldwert
abzumessenden Beschädigung einen besonderen Anspruch auf strafrechtliche
Sühne zuzubilligen, das tritt jetzt besonders deutlich an dem Begriffe
des Betruges hervor, den erst eine durchgehends auf Geld gestellte Ordnung
des Lebens ganz eindeutig zu fixieren gestattete.
Das deutsche Strafgesetzbuch lässt nämlich als strafwürdigen Betrug
nur gelten, wenn jemand die Vorspiegelung falscher Tatsachen »in der
Absicht, sich oder einem Anderen einer rechtswidrigen Vorteil zu
verschaffen« begeht.
Die Untersuchung der anderen Fälle, in denen dies Gesetzbuch
betrügerische Vorspiegelungen bestraft, ergibt nur noch zwei, höchstens
drei, in denen die individuelle Schädigung des Betrogenen den Grund der
Bestrafung ausmacht: die Verführung eines Mädchens unter der
Vorspiegelung der Ehe, die Herbeiführung des Eheschlusses unter
betrügerischem Verschweigen von Ehehindernissen, die wissentlich falsche
Denunziation.
Prüft man die übrigen Fälle, in denen betrügerische Vorgaben mit
Strafe bedroht werden, so zeigen sie sich als solche, in denen kein
individuelles, sondern prinzipiell nur das staatliche Interesse
geschädigt wird: Meineid, Wahlfälschungen, falsche Entschuldigungen bei
Schöffen, Zeugen und Geschworenen, Angaben falscher Namen und Titel
zuständigen Beamten gegenüber usw.; ja selbst in diesem Fall des
staatlichen Interesses wird die Strafe überhaupt oder ihre Höhe oft
daran geknüpft, dass ein ökonomisches Interesse den Täter bestimmt
(>403) hat.
So wird die Fälschung von Pässen, Dienstbüchern usw. mit dem Zusatz
unter Strafe gestellt, dass sie »zum Zwecke des besseren Fortkommens«
geschehe; so wird, ganz besonders charakteristisch, die Fälschung des
Personenstandes (Kindesunterschiebung usw.) mit Gefängnis bis zu drei
Jahren bestraft, aber, »wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht
begangen wurde«, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren.
Wie nun eine Kindesunterschiebung zweifellos aus sehr viel
unsittlicheren und verbrecherischeren Motiven als aus Gewinnsucht
geschehen kann und so der schlimmere Verbrecher bloss, weil er kein
Geldinteresse hatte, eine relativ grosse Milde der Bestrafung erfährt -,
so ist es auch im allgemeinen kein Zweifel, dass unzählige betrügerische
Vorspiegelungen das Glück, die Ehre und alle Güter von Menschen
überhaupt vernichten können, ohne Strafe zu finden, es sei denn, dass
der Betrüger dabei einen »Vermögensvorteil« gesucht hat.
Indem das Vermögensinteresse so von vornherein in den Begriff des
Betruges hineingelegt ist, wird zwar für die Kriminalpraxis jene
Einfachheit und Klarheit gewonnen, die der Reduktion auf Geld allenthalben
eigen ist - aber um den Preis, das Rechtsgefühl sehr unbefriedigt zu
lassen.
Aus dem ganzen Umkreis der Beschädigungen, die jemand durch Betrug
erleiden kann, wird gerade nur die in Geld ausdrückbare zu
strafrechtlicher Verfolgung heraus gehoben und dadurch als diejenige
bezeichnet, die allein eine Sühne vom Standpunkt der gesellschaftlichen
Ordnung aus fordere.
Da die Absicht des Gesetzes doch sein muss, alle betrügerische
Vernichtung personaler Werte zu bestrafen, so kann es nur von der
Voraussetzung ausgehen, dass alle auf diese Art zerstörbaren Werte ein
Geldäquivalent besitzen.
Es kommt hier also die Idee des Wergeldes, wenngleich in rudimentärer
Form, wieder zur Geltung.
Wenn dieser Idee gemäss eine Vernichtung personalen Wertes durch
Hingabe von Geld an den Beschädigten ausgeglichen werden konnte, so war
die Voraussetzung, dass dieser Wert eben auf Geld reduzierbar ist.
Das moderne Strafrecht lehnt freilich die Konsequenz ab, dass die
betrügerische Schädigung durch Geldhingabe des Täters an den
Beschädigten hinreichend gesühnt sei; aber an dem Objekte der Tat lässt
sie die Vorstellung haften, dass jeder durch Betrug entreissbare Wert sich
in einer Geldsumme müsse darstellen lassen.
Hat das Bedürfnis nach möglichster Unzweideutigkeit der Rechtsnorm zu
dieser ganz ungeheuerlichen Beschränkung der gegen Betrug zu schützenden
personalen Werte auf die in Geld aus-zudrückenden geführt, und die
anderen zu quantités négligeables herabgedrückt - so führt eben
dasselbe zu entsprechenden Bestimmungen des Zivilrechts.
Wortbruch und Chikane, durch die jemand (>404) in die ärgsten
Unannehmlichkeiten und Verluste verwickelt wird, berechtigen ihn nach
deutschem Recht zu keinerlei Anspruch an den Schädiger, wenn er nicht
imstande ist, den Geldwert der erlittenen Schädigung nachzuweisen.
Ich nenne nur einige von Juristen selbst hervorgehobene Fälle: der
Mieter, dem sein Hauswirt den Garten trotz seines kontraktlichen
Mitbenutzungsrechtes verschliesst, der Reisende, dem der Hotelier das
schriftlich zugesagte Unter-kommen verweigert, der Schulvorsteher, bei dem
der engagierte Lehrer kontraktbrüchig wird, ohne dass er imstande wäre,
gleich Ersatz für ihn zu beschaffen - alle diese Personen werden,
obgleich ihr Recht auf Schadenersatz sonnenklar ist, diesen Anspruch nicht
erheben können, weil ihr Schaden sich nicht einer bestimmten Summe
gleichsetzen lässt. Wer wollte das Geldäquivalent jener inneren und
äusseren
Unannehmlichkeiten und Beeinträchtigungen auf Heller und Pfennig
nachweisen?
Gelingt aber dieser Nachweis nicht, so sind die fraglichen
Beschädigungen für den Richter eben auch quantités négligeables, sie
existieren für ihn nicht.
In einer ungeheueren Zahl von Lebensbeziehungen ist der Geschädigte
schlechthin rechtlos, er hat weder die moralische Genugtuung, den
Schädiger strafrechtlich verfoIgt zu sehen, noch die ökonomische, einen
Ersatz für seine Einbussen und Ärgernisse von ihm zu erlangen.
Da nun aber, wie nochmals betont werden muss, die Präsumtion des
Rechtes doch ist, alle Güter der Individuen gegen unrechtmässige
Beschädigung zu sichern; da diese Sicherung jetzt, wie sich ergibt, eine
grosse Summe von Gütern, sobald ihr Wert nicht in Geld substanziiert
werden kann, nicht umfasst; so folgt als Voraussetzung dieser ganzen
Rechtsanschauung, dass alle personalen Güter ein Geldäquivalent
besitzen, - abgesehen natürlich von der Unverletztheit des Körpers und,
in einigen Beziehungen, der Ehe, die das Recht gleichfalls garantiert.
-Die ausserordentliche Vereinfachung und Vereinheitlichung des
Rechtssysterns, die diese Reduktion auf das Geldinteresse mit sich bringt,
im Verein mit dessen tatsächlicher Herrschaft, hat so zu der Fiktion
seiner Alleinherrschaft geführt, ganz entsprechend der auch auf
anderen Gebieten merkwürdigen praktischen Gleichgültigkeit gegen die
nicht in Geld ausdrückbaren, wenngleich theoretisch als die höchsten
anerkannten Werte.
Es ist interessant zu beobachten, wie entgegengesetzt sich das römische
Recht, in seiner mittleren Periode, in dieser Hinsicht verhält.
Die Geldkondemnation, die dasselbe im Zivilprozess statuierte, war eine
Busse, die über den Wert des Objektes hinaus an den Beschädigten
entrichtet wurde, um denselben für die besondere Hinterlist oder Bosheit
zu entschädigen, unter der der Beklagte ihn hatte (>405) leiden
lassen.
Das böswillig abgeleugnete Depositum, die vom Vormund vorenthaltenen
Mündelgelder und ähnliches wurden nicht einfach ersetzt, sondern ausserdem war der Richter und unter Umständen der Kläger berechtigt,
einen Schadenersatz festzusetzen - nicht für den objektiven, einer
bestimmten Geldsumme unmittelbar äquivalenten Schaden, sondern für die
böswillige Verletzung der persönlichen Rechtssphäre überhaupt.
Es wird hier also einerseits empfunden, die persönlichen Werte, die
das Recht zu schützen hat, sind nicht durch den Geldwert ihres Objektes
begrenzt, sondern ihre Verletzung fordert eine über diesen hinausgehende
Busse; zugleich aber ist diese Busse nun wieder durch die Hingabe einer
bestimmten Geldsumme geleistet: die jenseits des objektiven Geldinteresses
erlittene Schädigung wird doch durch Geld ausgeglichen.
Das Geld spielt hier also einerseits eine geringere, aber andrerseits
eine grössere Rolle als in dem gegenwärtigen Zustand.
Eben deshalb zeigt dieser gegenwärtige Zustand doch eine Kombination
der beiden typischen Richtungen, in die die wachsende Kultur die
Entwicklung des Geldes treibt: sie verleiht ihm einerseits eine
Wichtigkeit, durch die es gleichsam zur Weltseele des sachlichen
Interessenkosmos wird und, den so erhaltenen Anstoss über seine
zukommende Grenze fortsetzend, auch die personalen Werte überwuchert; sie
entfernt es doch aber andrerseits von diesen, macht seine Bedeutung mit
der alles eigentlich Persönlichen immer unvergleichbarer und unterdrückt
eher die Geltendmachung personaler Werte, als dass sie ihnen ein so
inadäquates Äquivalent zuspräche.
Die Unbefriedigtheit des unmittelbaren Rechtsgefühls, durch die das
momentane Resultat des Zusammenwirkens dieser Motive hinter jenem
römischen Zustand zurücksteht, darf doch die Erkenntnis nicht
verhindern, dass es sich hier wirklich um die Kombination weiter
vorgeschrittener Kulturtendenzen handelt, die freilich die
Entgegengesetztheit und Unversöhnlichkeit ihrer Richtungen in der
Unzulänglichkeit und dem Tiefstande mancher Erscheinungen zeigen, in
denen sie beide gleichzeitig zu Worte kommen.
Die Evolution des früheren Zustandes, in dem der ganze Mensch durch
Geld aufgewogen wurde, findet einige Analogien in einer spezielleren, die
sich an den Kauf der Frauen für Geld knüpfte.
Die Kaufehe, ihre ausserordentliche Häufigkeit in der Vergangenheit
vorgeschrittener Völker und in der Gegenwart weniger zivilisierter, die
Fülle ihrer Variationen und Formen sind bekannt genug.
Es handelt sich hier nur um die Rückschlüsse, welche diese Tatsachen
auf das Wesen der gekauften Werte gestatten.
Das Gefühl von Entwürdigung, das der Kauf einer Person für Geld oder
Geldeswert im modernen (>406) Menschen hervorbringt, ist in seiner
Beziehung auf frühere historische Verhältnisse nicht immer
gerechtfertigt.
Wir sahen: solange einerseits die Persönlichkeit noch mehr in den
Gattungstypus eingesenkt ist, andrerseits der Geldwert noch nicht zu
völliger Farblosigkeit verallgemeinert ist, stehen sozusagen beide sich
näher, und die persönliche Würde der alten Germanen hat sicher nicht
darunter gelitten, dass das Wergeld ihren Wert in Geld ausdrücken liess.
Entsprechend liegt die Sache beim Frauenkauf.
Die ethnologischen Tatsachen zeigen nämlich, dass der Frauenkauf sich
keineswegs nur oder vorzugsweise auf den niedrigsten Stufen der
Kulturentwicklung findet.
Einer der besten Kenner dieses Gebietes stellt fest, dass die
unzivilisierten Völker, die die Kaufehe nicht kennen, meistens ausserordentlich rohe Rassen sind.
So erniedrigend der Kauf der Frau in höheren Verhältnissen erscheint,
so erhöhend kann er in niedrigen wirken, und zwar aus zwei Ursachen.
Zunächst findet der Frauenkauf niemals, soviel wir wissen, nach Art
der individualistischen Wirtschaft statt.
Strenge Formen und Formeln, Berücksichtigung der Familieninteressen,
genaue Konventionen über Art und Höhe der Zahlung binden ihn selbst bei
recht tiefstehenden Völkern.
Die ganze Art seines Vollzuges trägt ausgesprochen sozialen Charakter;
ich erwähne nur, dass der Bräutigam vielfach berechtigt ist, von jedem
Stammesgenossen einen Beitrag zum Brautpreise zu fordern, und dass dieser
selbst oft in dem Geschlechte der Braut verteilt wird - gerade wie z. B.
bei den Arabern das Sühnegeld für einen Mord von der ganzen Kabile, dem
Stammverband des Mörders, aufgebracht wurde.
Bei einem indianischen Stamme wird dem Werber, der nur die Hälfte des
geforderten Brautpreises besitzt, die »halbe Heirat« gestattet; d. h.
statt die Frau als Sklavin in sein Haus zu führen, muss er bis zur
Erlegung des ganzen Preises als Sklave in ihrem Hause leben.
Überhaupt begegnet es an vielen Stellen, wo patriarchale und
matriarchale Zustände nebeneinander bestehen (also die Frau in die Sippe
des Mannes, aber auch der Mann in die Sippe der Frau übertritt), dass nur
nach Bezahlung des Brautpreises die patriarchalische Form gilt, der Arme
muss sich der matriarchalischen fügen.
Gewiss wird durch diese Geschäftsmässigkeit die Individualität der
Personen und ihres Verhältnisses völlig vergewaltigt.
Dennoch ist die Organisation der Eheangelegenheiten, wie sie im
Frauenkauf vorliegt, ein ungeheurer Fortschritt gegenüber etwa den
roheren Zuständen der Raubehe oder den ganz primären
Sexualverhältnissen, die zwar wahrscheinlich nicht in völliger
Promiskuität, aber ebenso wahrscheinlich auch ohne jenen festen
normierenden Halt verliefen, den der sozial geregelte Kauf darbietet.
Die Entwicklung der Menschheit gelangt (>407) immer wieder zu
Stadien, wo die Unterdrückung der Individualität der unausbleibliche
Durchgangspunkt für ihre spätere freie Entfaltung, wo die blosse Äusserlichkeit der Lebensbestimmungen die Schule der Innerlichkeit wird,
wo die vergewaltigende Formung eine Aufsammlung der Kräfte bewirkt, die
später alle persönliche Eigenart tragen.
Von dem Ideal der vollentwickelten Individualität aus erscheinen
solche Perioden allerdings roh und würdelos, aber sie legen nicht nur die
positiven Keime der späteren Höherentwicklung, sondern sie sind auch an
und für sich schon Erweisungen des Geistes in seiner organisierenden
Herrschaft über den Rohstoff fluktuierender Impulse, Betätigungen der
spezifisch menschlichen Zweckmässigkeit, die sich die Normen des Lebens -
wie brutal, äusserlich, ja stupid auch immer - eben doch selbst gibt,
statt sie von blossen Naturgewalten zu empfangen.
Es gibt heute extreme Individualisten, welche dennoch praktische
Anhänger des Sozialismus sind, weil sie diesen als die unentbehrliche
Vorbereitung und, wenn auch noch so harte, Schule für einen geläuterten
und gerechten Individualismus ansehen.
So ist jene relativ feste Ordnung und äusserliche Schematik der
Kaufehe ein erster, sehr gewaltsamer, sehr unindividueller Versuch
gewesen, die Eheverhältnisse sozusagen auf einen bestimmten Ausdruck zu
bringen, der für rohe Stufen ebenso angemessen war, wie individuellere
Ehefonnen für höher entwickelte.
Diese Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt zeigt schon der
Frauentausch, den man, als Naturaltausch, eine Vorstufe des Frauenkaufes
nennen könnte.
Bei den australischen Narinyeri findet die eigentliche, legale
Eheschliessung durch Austausch der Schwestern der Männer statt.
Wenn statt dessen ein Mädchen mit ihrem Auserwählten davonläuft, so
gilt sie nicht nur als sozial minderwertig, sondern sie verliert auch den
Anspruch auf Schutz, den ihr im anderen Fall die Horde schuldet, in der
sie geboren ist.
Damit kommt die soziale Bedeutung dieser so eminent unindividuellen Art
der Eheschliessung zu klarem Ausdruck.
Die Horde schützt das Mädchen nicht mehr, bricht ihre Beziehungen zu ihm
ab, weil sie keinen Gegenwert für dasselbe erhalten hat.
Hiermit ist der Übergang zu dem zweiten kulturell erhöhenden Motiv
der Kaufehe gegeben.
Gerade dass die Frauen ein nutzbarer Besitzgegenstand sind, dass Opfer
für ihren Erwerb gebracht sind, lässt sie schliesslich als wertvoll
erscheinen.
Überall, so hat man gesagt, erzeugt der Besitz Liebe zum Besitz.
Man bringt nicht nur Opfer für das, was man gern hat, sondern auch
umgekehrt: man liebt das, wofür man Opfer gebracht hat.
Wenn die Mutterliebe der Grund unzähliger Aufopferungen für die
Kinder ist, so sind doch (>408) auch die Mühen und Sorgen, die die
Mutter für das Kind auf sich nimmt, ein Band, das sie immer fester an
dieses knüpft; woraus man versteht, dass gerade kranke oder sonst zu kurz
gekommene Kinder, die die aufopferndste Hingabe seitens der Mutter
fordern, oft am leidenschaftlichsten von ihr geliebt werden.
Die Kirche hat sich nie gescheut, die schwersten Opfer um der Liebe zu
Gott willen zu verlangen, weil sie wohl wusste, dass wir um so fester und
inniger an ein Prinzip gebunden sind, je grössere Opfer wir dafür
gebracht, ein je grösseres Kapital wir sozusagen darin investiert haben.
So sehr der Frauenkauf also unmittelbar auch die Unterdrückung, die
Ausbeutung, den Sachencharakter der Frau zum Ausdruck brachte, so hat sie
durch ihn doch erstens für ihre elterliche Gruppe, der sie den Kaufpreis
eintrug, und zweitens für den Mann an Wert gewonnen, für den sie ein
relativ hohes Opfer repräsentierte und der sie deshalb im eigenen
Interesse schonend behandeln musste.
Für vorgeschrittene Begriffe ist diese Behandlung noch immer elend
genug, ja die übrigen entwürdigenden Momente, die den Frauenkauf
begleiten, können jenes Bessere so weit paralysieren, dass die Stellung
der Frau die jammervollste und sklavenhafteste wird.
Aber darum bleibt es nicht minder wahr, dass der Frauenkauf es zu
sinnenfälligem und eindringlichem Ausdruck gebracht hat: die Frauen sind
etwas wert - und zwar in dem psychologischen Zusammenhange, dass man nicht
nur für sie bezahlt, weil sie etwas wert sind, sondern dass sie etwas
wert sind, weil man für sie bezahlt hat.
Deshalb ist es verständlich, wenn bei gewissen amerikanischen Stämmen
das Fortgeben eines Mädchens ohne Preis als eine starke Herabminderung
ihrer und ihrer ganzen Familie angesehen wird, so dass selbst ihre Kinder
für nichts Besseres als Bastarde gehalten werden.
Und wenn der Frauenkauf auch immer eine polygamische Tendenz und schon
insoweit eine Deklassierung der Frauen einschliesst, so steckt andrerseits
doch gerade die Notwendigkeit des Geldaufwandes jenen Neigungen
meistenteils eine Grenze.
Von dem heidnischen Dänenkönig Frotho wird berichtet, er habe den
besiegten Ruthenen durch Gesetz jede andere Ehe, als die durch Kauf der
Weiber geschlossene, verboten; damit habe er den herrschenden laxen Sitten
einen Riegel vorschieben wollen, da er in dem Kaufe eine Bürgschaft der
Beständigkeit erblickt habe.
Auf dem Umwege also, dass er die polygynischen Instinkte, denen er
prinzipiell nahesteht, dennoch notgedrungen zurückdämmt, muss der Kauf
zu einer Höherschätzung der einen Frau, die man besitzt, führen.
Denn, wie es entsprechend die Folge des unmittelbaren Kostenaufwandes
ist: die Beständigkeit ist nicht nur die Folge der Schätzung der Frau,
sondern auch umgekehrt (409) diese letztere die Folge einer auf irgend
anderem Wege her-vorgebrachten Beständigkeit.
Es ist dabei von grösster Wichtigkeit, dass die Verschiedenheit der
Preise - sowohl der sozial fixierten wie der durch individuellen Handel
zustande kommenden - zum Ausdruck bringt, dass die Frauen an Wert
verschieden sind. Von den Kafferfrauen wird berichtet, dass sie ihr
Verkauftwerden durchaus nicht als Entwürdigung empfinden, das Mädchen
sei im Gegenteile stolz darauf, und je mehr Ochsen oder Kühe sie gekostet
hat, um so mehr halte sie sich wert.
Man wird vielfach bemerken, dass eine Kategorie von Objekten ein
entschiedeneres Wertbewusstsein dann erwirbt, wenn jedes einzelne
besonders gewertet werden muss und starke Unterschiede des Preises die
Tatsache des Wertes immer neu und scharf empfinden lassen; während
allerdings auf anderen Wertungsstufen, wie sich gelegentlich des Wergeldes
ergab, gerade die Gleichheit der Entschädigung die objektive Bedeutung
des Gegenwertes aufwachsen lässt.
So enthält der Frauenkauf ein erstes, freilich äusserst rohes Mittel,
den individuellen Wert der einzelnen Frau und - vermöge jener
psychologischen Regel der Werte - auch den Wert der Frauen überhaupt
hervortreten zu lassen.
Ja sogar, wo die Frau als Sklavin gekauft wird, ist ein stärkeres
Variieren ihres Preises wahrscheinlich als beim männlichen Sklaven.
Dieser der bloss Arbeitstier ist, hat bei gleichem Alter dauernd
ungefähr den gleichen konventionellen Preis (im alten Griechenland und in
Irland =drei Kühen), während die Sklavin, da sie auch noch
spezifischeren Zwecken, als denen der Arbeit dient, je nach ihren
persönlichen Reizen an Wert wechselt - obgleich man sich den Einfluss
dieses ästhetischen Umstandes bei primitiven Völkern nicht sehr gross
vorstellen darf.
Jedenfalls ist auch innerhalb des Frauenkaufes offenbar diejenige Stufe
die niedrigste, wo der Preis durch Herkommen für alle gleichmässig
fixiert ist, wie bei einigen Afrikanern.
Was sich in diesem Falle mit äusserster Entschiedenheit geltend macht:
dass die Frau als blosses Genus behandelt wird, als ein unpersönliches
Objekt - das ist nun freilich selbst, bei allen obenerwähnten
Einschränkungen, das Kennzeichen der Kaufehe.
Darum wird von einer Reihe von Völkerschaften, besonders in Indien,
der Frauenkauf als etwas Schimpfliches betrachtet, und anderwärts findet
er zwar statt, aber man scheut den Namen und bezeichnet den Preis als ein
freiwilliges Geschenk an die Brauteltern.
Der Unterschied eigentlichen Geldes gegen Leistungen andrer Art macht
sich hier geltend.
Von den Lappländern wird berichtet, dass sie ihre Töchter zwar gegen
Geschenke hingeben, es aber für nicht anständig erklären, (>410)Geld für sie zu nehmen.
Zieht man die übrigen sehr komplizierten Bedingungen in Betracht, von
denen die Stellung der Frauen abhängt, so scheint es, als ob der
eigentliche Geldkauf sie viel tiefer herabdrücke, als die Hingabe gegen
Geschenke oder gegen persönliche Dienstleistungen des Werbers für die
Eltern der Braut.
In dem Geschenke steckt wegen der grösseren Unbestimmtheit seines
Wertes und der - selbst bei sozialer Konvention darüber - individuelleren
Freiheit seiner Auswahl etwas Persönlicheres, als in der dahingegebenen
Geldsumme mit ihrer unbarmherzigen Objektivität.
Zudem baut das Geschenk die Brücke zu jener vorgeschritteneren und zur
Mitgift überführenden Form, bei der die Geschenke des Werbers durch
Geschenke seitens der Brauteltern erwidert werden.
Damit ist prinzipiell die Unbedingtheit der Verfügung über die Frau
gebrochen, denn der Wert, den der Mann angenommen hat, schliesst eine
gewisse Verpflichtung in sich; er ist jetzt nicht mehr der allein
Vorleistende und ein Forderungsrecht liegt auch auf der anderen Seite.
Es ist ferner behauptet worden, dass der Erwerb der Frauen durch
Arbeitsleistungen eine höhere Eheform darstellt als die durch direkten
Kauf.
Es scheint indes, dass dieselbe die ältere und unkultiviertere sei,
was freilich nicht hindern würde, dass sie mit einer besseren Behandlung
der Frauen verbunden ist.
Denn überhaupt hat gerade die vorgeschrittenere und geldmässige
Wirtschaft die Lage dieser wie der Schwächeren überhaupt vielfach
verschlimmert.
Unter den jetzigen Naturvölkern finden wir beide Formen manchmal bei
einem und demselben nebeneinander.
Diese letztere Tatsache beweist, dass ein wesentlicher Unterschied für
die Behandlung der Frauen nicht besteht, wenngleich im grossen und ganzen
das Einsetzen eines so persönlichen Wertes, wie die Dienstleistung ist,
den Erwerb der Frau doch in ganz anderer Weise über den eines Sklaven
stellen muss, wie ihr Kauf für Geld oder substanziellen Geldeswert.
Nun gilt auch hier das allenthalben Hervorzuhebende: dass die
Herabdrückung und Entwürdigung menschlichen Wertes durch solches
Erkauftwerden eine geringere wird, wenn die Kaufsummen sehr gross sind.
Denn in sehr hohen Summen besitzt der Geldeswert eine Seltenheit, die
ihn individueller, unverwechselbarer färbt und ihn dadurch zum
Äquivalent personaler Werte geeigneter macht.
Bei den Griechen der heroischen Zeit finden sich Geschenke des Bräutigams
an den Vater der Braut - die freilich keinen eigentlichen Kauf
darzustellen scheinen - während die Stellung der Frauen eine ganz
besonders gute ist.
Allein es wird hervorgehoben, dass diese Gaben relativ sehr erhebliche
waren.
So herabsetzend es wirkt, wenn entweder die Innerlichkeit oder die
Totalität des Menschen gegen Geld eingesetzt (>411) wird, so kann
doch, wie spätere Beispiele noch stärker beweisen werden, eine
ungewöhnliche Höhe der ins Spiel kommenden Summen eine Art Ausgleichung,
insbesondere in Rücksicht der sozialen Stellung des Betreffenden,
schaffen.
So hören wir, dass Eduard II. und III. ihre Freunde als Geiseln für
die Rückzahlung ihrer Schulden fortgaben und 1340 sollte sogar der
Erzbischof von Canterbury als Pfand - nicht als Bürge - für die Schulden
des Königs nach Brabant verschickt werden.
Die Grösse der Summen, um die es sich hier handelte, wehrte von
vornherein die Deklassierung ab, die durch ein derartiges Einsetzen von
Personen um Geld auf diese, wenn es sich um Lappalien gehandelt hätte,
gefallen wäre.
Der Übergang von dem Prinzip der Kaufehe, das wohl bei der Mehrzahl
der Völker irgendwann geherrscht hat, zu dem entgegengesetzten: dem
Prinzip der Mitgift, ist wahrscheinlich, wie angedeutet, so zustande
gekommen, dass die Gaben des Bräutigams seitens der Eltern an die Braut
weiter gegeben wurden, der man damit eine gewisse ökonomische
Selbständigkeit sichern wollte; die Ausstattung der Frau durch die Eltern
blieb dann bestehen und entwickelte sich weiter, auch nachdem ihr
Ursprung, die vom Manne gezahlte Kaufsumme, in Wegfall gekommen war.
Es interessiert hier nicht, diese sehr ungenau bekannte Evolution zu
verfolgen.
Aber man kann doch wohl behaupten, dass die Verallgemeinerung der
Mitgift mit der steigenden Geldwirtschaft beginnt.
Das mag so zusammenhängen. In den roheren Zuständen, wo der
Frauenkauf herrscht, ist die Frau nicht nur ein Arbeitstier - das ist sie
meistenteils auch noch später -sondern ihre Arbeit ist noch nicht
in dem spezifischen Sinne »häuslich«, wie die der Frau in der
Geldwirtschaft, die wesentlich die Konsumtion des männlichen Erwerbes
innerhalb des Hauses zu leiten hat.
So weit ist in jenen Epochen die Arbeitsteilung noch nicht
vorgeschritten, die Frau beteiligt sich unmittelbarer an der Produktion
und stellt deshalb für ihren Besitzer einen viel greifbareren
wirtschaftlichen Wert dar als später.
Noch aus ganz später Zeit wird dieser Zusammenhang gelegentlich
bestärkt: während Macauley in der Verrichtung der hauptsächlichen
Feldarbeit in Schottland durch Frauen einen barbarischen Tiefstand des
weiblichen Geschlechts erblickte, ist gerade von einem genauen Kenner
betont worden, dass dies ihnen einen gewissen Grad von Unabhängigkeit und
Ansehen bei den Männern gebe.
Dazu kommt, dass in primitiven Verhältnissen die Kinder direkten
wirtschaftlichen Wert für den Vater besitzen, während sie in höheren
oft eine wirtschaftliche Last sind.
Der ursprüngliche Besitzer, der Vater oder der Stamm, hat keinen
Grund, diesen Wert einem anderen ohne Entgelt zu überlassen.
Auf dieser Stufe (>412) erwirbt die Frau nicht nur ihren eigenen
Unterhalt, sondern der Mann kann ihren Kaufpreis aus ihrer Arbeit
unmittelbar herausschlagen.
Das ändert sich, sobald die Wirtschaft ihren familienhaften Charakter
und der Konsum seine Beschränkung auf die Eigenproduktion verliert.
Damit scheiden sich die ökonomischen Interessen, vom Hause aus
betrachtet, in eine zentrifugale und eine zentripetale Richtung.
Die Produktion für den Markt und die Hauswirtschaft beginnen ihre
Gegensätze, durch das Geld ermöglicht, zu entfalten und damit die
schärfere Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern einzuleiten.
Aus sehr naheliegenden Ursachen fällt der Frau die nach innen, dem
Manne die nach aussen gewandte Tätigkeit zu, und die erstere wird mehr
und mehr eine Verwaltung und Verwendung der Erträgnisse der letzteren.
Damit verliert der wirtschaftliche Wert der Frau sozusagen seine
Substanzialität und Sinnenfälligkeit, sie erscheint jetzt als die
Unterhaltene, die von der Arbeit des Mannes lebt.
Es fällt also nicht nur der Grund fort, einen Preis für sie zu
fordern und zu bewilligen, sondern sie ist - wenigstens für die gröbere
Betrachtungsweise - eine Last, die der Mann auf sich nimmt und die er zu
versorgen hat.
So ist das Fundament für die Mitgift geschaffen, die sich demzufolge
immer umfassender ausbilden muss, je mehr die Tätigkeitssphären von Mann
und Frau sich in dem angegebenen Sinne scheiden.
Unter einem Volke wie den Juden, bei denen auf Grund eines unruhigeren
Temperamentes und anderer Ursachen die Männer sehr beweglich und, als
notwendiges Korrelat dazu, die Frauen strenger auf das Haus angewiesen
waren, finden wir die Mitgift als gesetzliche Vorschrift sogar schon vor
ausgebildeter Geldwirtschaft, die sonst ihrerseits auf das gleiche
Resultat führt.
Sie erst ermöglicht der Produktion jene objektive Technik, jene
Ausbreitung, jenen Beziehungsreichtum und zugleich jene arbeitsteilige
Einseitigkeit, durch welche der frühere Indifferenzzustand von
häuslichen Interessen und Erwerbsinteressen gespalten und ein besonderer
Träger für diese, ein besonderer für jene verlangt wird.
Wer das eine und das andere sein soll, kann zwischen Mann und Frau
nicht zweifelhaft sein; und ebensowenig, dass damit der Brautpreis, für
den der Mann die Produktivkraft der Frau gekauft hat, der Mitgift Platz
machen muss, die ihn für den Unterhalt der nicht produzierenden Frau
entschädigt oder die der Frau eine Unabhängigkeit und Sicherheit neben
dem erwerben-den Manne gewähren soll.
Durch diesen engen Zusammenhang, den die Mitgift bei der Geldwirtschaft
mit der ganzen Konstitution des Ehelebens hat - sei es um den Mann, sei es
um die Frau zu sichern - ist es verständlich, dass schliesslich sowohl in
Griechenland wie in Rom die Mitgift (>413) zum Kennzeichen der
legitimen Gattin wurde, in ihrem Gegensatz zur Konkubine, die keinen
weiteren Anspruch an den Mann hat, so dass dieser weder für einen solchen
entschädigt, noch sie selber für den Fall der Nichterfüllung desselben
sichergestellt zu werden braucht.
Und dies leitet zur Prostitution über, die die Bedeutung des Geldes
für das Verhältnis der Geschlechter wieder in ein neues Licht stellt.
Während alle gelegentlich des Eheschlusses erfolgenden Gaben des
Mannes für die Frau oder an die Frau selbst - so auch die Morgengabe und
das pretium virginitatis - ebensogut als Natural- wie als Geldgeschenk
auftreten können und auftreten, entspricht der unehelichen Hingabe, für
die überhaupt ein Preis gezahlt wird, in der Regel die Geldform
desselben.
Nur die Transaktion um Geld trägt jenen Charakter einer ganz
momentanen Beziehung, die keine Spuren hinterlässt, wie er der
Prostitution eigen ist.
Mit der Hingabe von Geld hat man sich vollständiger aus der Beziehung
gelöst, sich radikaler mit ihr abgefunden, als mit der Hingabe
irgendeines qualifizierten Gegenstandes, an dem durch seinen Inhalt, seine
Wahl, seine Benützung leichter ein Hauch der gebenden Persönlichkeit
haften bleibt.
Der momentan aufgegipfelten und ebenso momentan verlöschenden
Begierde, der die Prostitution dient, ist allein das Geldäquivalent
angemessen, das zu nichts verbindet und prinzipiell in jedem Augenblick
zur Hand ist und in jedem Augenblick willkommen ist.
Für ein Verhältnis zwischen Menschen, das seinem Wesen nach auf Dauer
und innere Wahrheit der verbindenden Kräfte angelegt ist - wie das
wirkliche Liebesverhältnis, so schnell es auch abgebrochen werde - ist
das Geld niemals der adäquate Mittler; für den käuflichen Genuss, der
jede über den Augenblick und über den ausschliesslich sinnlichen Trieb
hinausgehende Beziehung ablehnt, leistet das Geld, das sich mit seiner
Hingabe absolut von der Persönlichkeit löst und jede weitere Konsequenz
am gründlichsten abschneidet, den sachlich und symbolisch vollkommensten
Dienst - indem man mit Geld bezahlt hat, ist man mit jeder Sache am
gründlichsten fertig, so gründlich, wie mit der Prostituierten nach
erlangter Befriedigung.
Dadurch, dass die Beziehung der Geschlechter innerhalb der Prostitution
ganz unzweideutig auf den sinnlichen Akt beschränkt ist, wird sie auf
ihren rein gattungsmässigen Inhalt herabgesetzt; sie besteht in
demjenigen, was jedes Exemplar der Gattung leisten und empfinden kann und
worin sich die sonst entgegengesetztesten Persönlichkeiten begegnen und
alle individuellen Differenzen aufgehoben erscheinen.
Das ökonomische Seitenstück für diese Art von Beziehungen ist
deshalb das Geld, das gleichfalls, jenseits aller individuellen
Bestimmtheit stehend, gleichsam den Gattungstypus der ökonomischen
(>414) Werte bedeutet, die Darstellung dessen, was allen einzelnen
Werten gemein ist.
So empfindet man auch umgekehrt am Wesen des Geldes selbst etwas vom
Wesen der Prostitution.
Die Indifferenz, in der es sich jeder Verwendung darbietet, die
Treulosigkeit, mit der es sich von jedem Subjekt löst, weil es mit keinem
eigentlich verbunden war, die jede Herzensbeziehung ausschliessende
Sachlichkeit, die ihm als reinem Mittel eignet - alles dies stiftet eine
verhängnisvolle Analogie zwischen ihm und der Prostitution.
Wenn Kant als Moralgebot aufstellt, man solle niemals einen Menschen
als blosses Mittel gebrauchen, sondern ihn jederzeit zugleich als Zweck
anerkennen und behandeln - so zeigt die Prostitution das absolut
entgegengesetzte Verhalten, und zwar auf beiden beteiligten Seiten.
So ist sie von allen Verhältnissen der Menschen untereinander
vielleicht der prägnanteste Fall einer gegenseitigen Herabdrückung zum
blossen Mittel; und dies mag das stärkste und tiefste Moment sein, das
sie in so enge historische Verbindung mit der Geldwirtschaft, der
Wirtschaft mit »Mitteln« im striktesten Sinne, setzt.
Hierauf gründet es sich, dass die fürchterliche, in der Prostitution
liegende Entwürdigung in ihrem Geldäquivalent den schärfsten Ausdruck
findet.
Sicherlich bezeichnet es den Tiefpunkt der Menschenwürde, wenn eine
Frau das Intimste und Persönlichste, das nur aus einem ganz individuellen
Impuls geopfert und nur mit der gleichen personalen Hingabe des Mannes -
so sehr diese eine andere Bedeutung haben dürfte als die der Frau -
aufgewogen werden sollte, gerade um einer so ganz unpersönlichen, rein
äusserlich-sachlichen Vergeltung willen dahingibt.
Wir empfinden hier die völligste und peinlichste Unangemessenheit
zwischen Leistung und Gegenleistung; oder vielmehr, das eben ist die
Erniedrigung durch die Prostitution, dass sie den persönlichsten und auf
die grösste Reserve angewiesenen Besitz der Frau so herabsetzt, dass der
allerneutralste, allem Persönlichen fernste Wert als angemessenes
Äquivalent für ihn empfunden wird.
Diese Charakterisiertheit der Prostitution durch die Geldentlohnung trifft
indes auf einige gegenteilige Überlegungen, die erörtert werden müssen,
um jene Bedeutung des Geldes ganz scharf hervortreten zu lassen.
Der ganz personale, intim-individuelle Charakter, den die sexuelle
Hingabe der Frau tragen soll, scheint mit der oben betonten Tatsache nicht
recht übereinzustimmen, dass die bloss sinnliche Beziehung zwischen den
Geschlechtern rein generellen Wesens sei, dass in ihr, als dem absolut
Allgemeinen, und uns sogar mit dem Tierreich Gemeinsamen, gerade alle
Personalität und individuelle Innerlichkeit ausgelöscht wäre.
Wenn die Männer so sehr geneigt sind, über die (>415) Frauen »im
Plural« zu sprechen, über sie in Bausch und Bogen und alle gleichsam in
einen Topf werfend zu urteilen, so ist allerdings einer der Gründe dafür
sicherlich auch der, dass dasjenige, was insbesondere die Männer von
roherer Sinnlichkeit an den Frauen interessiert, eben dasselbe an der
Schneiderin wie an der Prinzessin ist.
So scheint es ausgeschlossen, gerade in dieser Funktion einen
eigentlichen Persönlichkeitswert zu finden; alle anderen von ähnlicher
Allgemeinheit: Essen und Trinken, die regulären physiologischen, ja
psychologischen Tätigkeiten, der Trieb der Selbsterhaltung und die
typisch-logischen Funktionen, werden niemals mit der Persönlichkeit als
solcher in solidarische Verbindung gesetzt, niemals empfindet man, dass
jemand gerade in der Ausübung oder Darbietung dessen, was ihm mit allen
Anderen ununterscheidbar gemeinsam ist, sein Innerstes, Wesentliches,
Umfassendstes äussere oder fortgebe.
Dennoch liegt bei der geschlechtlichen Hingabe der Frau diese Anomalie
unleugbar vor: dieser ganz generelle, für alle Schichten der Menschen
gleichmässige Akt wird tatsächlich - wenigstens für die Frau -
zugleich als ein allerpersönlichster, ihr Innerliches einschliessender
empfunden.
Dies kann verständlich werden, wenn man sich der Meinung anschliesst,
dass die Frauen überhaupt noch tiefer in den Gattungstypus eingesenkt
sind als die Männer, von denen sich der Einzelne differenzierter und
individualisierter aus jenem heraushebt.
Daraus würde zunächst folgen, dass bei der Frau das Gattungsmässige
und das Persönliche eher zusammenfallen kann.
Hängen die Frauen wirklich noch enger und tiefer als der Mann mit dem
dunkeln Urgrund der Natur zusammen, so wurzelt ihr Wesentlichstes und
Persönlichstes eben auch noch kräftiger in jenen natürlichsten,
allgemeinsten, die Einheit der Art garantierenden Funktionen.
Und es folgt weiter, dass jene Einheitlichkeit des weiblichen
Geschlechts, die das, was allen gemeinsam ist, weniger scharf von dem, was
jede für sich ist, unterscheidet - dass diese sich in der grösseren
Einheitlichkeit des Wesens jeder einzelnen Frau für sich spiegeln muss.
Die Erfahrung scheint zu bestätigen, dass die einzelnen Kräfte,
Qualitäten, Impulse der Frau psychologisch unmittelbarer und enger
zusammenhängen, als beim Manne, dessen Wesensseiten selbständiger
ausgebildet sind, so dass Entwicklung und Schicksal jeder einzelnen von
dem jeder anderen relativ unabhängig sind.
Das Wesen der Frau aber lebt - so kann man wenigstens die allgemeine
Meinung über sie zusammenfassen - viel mehr unter dem Zeichen des Alles
oder Nichts, ihre Neigungen und Betätigungen stehen in engeren
Assoziationen, und es gelingt leichter bei ihnen als bei Männern, die
Gesamtheit des Wesens mit allen seinen Gefühlen, (>416) Wollungen,
Gedanken von einem Punkte aus aufzuregen.
Wenn sich dies so verhält, so liegt eine gewisse Berechtigung in der
Voraussetzung, dass die Frau mit dieser einen zentralen Funktion, mit der
Hingabe dieses einen Teiles ihres Ich, wirklich ihre ganze Person
vollständiger und unreservierter dahingegeben habe, als der
differenziertere Mann es bei der gleichen Gelegenheit tut.
Schon auf harmloseren Stufen des Verhältnisses zwischen Mann und Frau
macht sich dieser Unterschied seiner Bedeutung für beide geltend; sogar
Naturvölker normieren die Bussen, welche der Bräutigam, bzw. die Braut
bei einseitiger Aufhebung des Verlöbnisses zu zahlen haben für beide
verschieden, und zwar so, dass z.B. bei den Bakaks diese fünf Gulden,
jener aber zehn zu zahlen hat, bei den Bewohnern von Bengkulen der
kontraktbrüchige Bräutigam vierzig, die Braut nur zehn Gulden.
Die Bedeutung und die Folgen, welche die Gesellschaft an die sinnliche
Beziehung zwischen Mann und Weib knüpft, stehen dementsprechend auch
unter der Voraussetzung, dass die Frau ihr ganzes Ich, mit der Gesamtheit
seiner Werte, jener dagegen nur einen Teil seiner Persönlichkeit in den
Tausch gegeben habe.
Sie spricht deshalb einem Mädchen, das sich einmal vergangen hat, die
»Ehre« schlechthin ab, sie verurteilt den Ehebruch der Frau viel härter
als den des Mannes, von dem man anzunehmen scheint, dass sich eine
gelegentliche, rein sinnliche Extravaganz noch mit der Treue gegen seine
Frau in allem Innerlichen und Wesentlichen wenigstens vertragen könne,
sie deklassiert die Prostituierte ganz unrettbar, während der schlimmste
Wüstling sich noch immer gleichsam an den übrigen Seiten seiner
Persönlichkeit aus dem Sumpfe herausziehen und jegliche soziale Stellung
erobern kann.
In den rein sinnlichen Akt also, um den es sich bei der Prostitution
handelt, setzt der Mann nur ein Minimum seines Ich, die Frau aber ein
Maximum ein - freilich nicht in dem einzelnen Fall, wohl aber in allen
Fällen zusammengenommen; ein Verhältnis, aus dem sowohl das Zuhältertum
wie die als häufig angegebenen Fälle der lesbischen Liebe unter den
Prostituierten verständlich werden: weil die Prostituierte aus ihren
Beziehungen zu Männern, in welche diese niemals als wirkliche und ganze
Menschen eintreten, eine fürchterliche Leere und Unbefriedigtheit
davontragen muss, sucht sie eine Ergänzung durch jene Verhältnisse, an
denen doch wenigstens noch einige sonstige Seiten des Menschen beteiligt
sind.
Weder der Gedanke also, dass der Geschlechtsakt etwas Generelles und
Unpersönliches wäre, noch die Tatsache, dass der Mann an demselben, äusserlich betrachtet, ebenso beteiligt ist wie die Frau, kann das
behauptete Verhältnis umstossen: dass der Einsatz der Frau ein unendlich
persönlicherer, wesentlicherer, (>417) das Ich umfassenderer ist, als
der des Mannes, und dass das Geldäquivalent dafür also das denkbar
Ungeeignetste und Unangemessenste ist, dessen Geben und Annehmen die
tiefste Herabdrückung der Persönlichkeit der Frau bedeutet.
Das Entwürdigende der Prostitution für die Frau liegt an und für
sich noch nicht in ihrem polyandrischen Charakter, noch nicht darin, dass
sie sich vielen Männern hingibt; eigentliche Polyandrie verschafft sogar
der Frau oft ein entschiedenes Übergewicht, z.B. bei der relativ
hochstehenden Gruppe der Nairs in Indien.
Allein das hier Wesentliche ist nicht, dass die Prostitution Polyandrie,
sondern dass sie Polygynie bedeutet.
Diese eben setzt allenthalben den Eigenwert der Frau unvergleichlich
herab: sie verliert den Seltenheitswert.
Äusserlich angesehen, vereinigt die Prostitution ja polyandrische mit
polygynischen Verhältnissen.
Allein der Vorsprung, den allenthalben derjenige, der das Geld gibt,
vor demjenigen hat, der die Ware gibt, bewirkt es, dass nur die letzteren,
die dem Manne ein ungeheures Übergewicht verleihen, der Prostitution den
Charakter bestimmen.
Auch in Verhältnissen, die mit Prostitution nicht das geringste zu tun
haben, pflegen Frauen es als peinlich und entwürdigend zu finden, Geld
von ihren Liebhabern anzunehmen, während dieses Gefühl sich oft auf
gegenständliche Geschenke nicht erstreckt; wogegen es ihnen selbst
Vergnügen und Genugtuung ist, jenen ihrerseits Geld zu geben; man sagte
von Marlborough, der Grund seiner Erfolge bei Frauen sei gewesen, dass er
Geld von ihnen angenommen habe.
Die eben hervorgehobene Überlegenheit dessen, der das Geld gibt, über
den, der es nimmt, eine Überlegenheit, die sich im Falle der Prostitution
zu dem fürchterlichsten sozialen Abstand erweitert, bereitet in diesem
umgekehrten Falle der Frau die Genugtuung, denjenigen von sich abhängig
zu sehen, zu dem sie sonst aufzublicken gewohnt ist.
Nun aber begegnet uns die auffällige Tatsache, dass in vielen
primitiveren Kulturen die Prostitution gar nicht als entwürdigend oder
deklassierend empfunden wird.
Es wird ebenso aus dem alten Asien berichtet, dass sich die Mädchen
aller Klassen prostituieren, um eine Aussteuer oder eine Darbringung an
den Tempelschatz zu erwerben, wie wir jetzt von gewissen Negerstämmen
dieselbe Sitte um des ersteren Zweckes willen hören.
Die Mädchen, zu denen in diesem Falle oft auch die Fürstentöchter
gehören, verlieren weder in der öffentlichen Achtung, noch wird ihr
späteres eheliches Leben dadurch in irgendeiner Weise präjudiziert.
Dieser tiefe Unterschied gegen unsere Empfindungsweise bedeutet, dass
die beiden Faktoren: weibliche Sexualehre und Geld - in prinzipiell
verschiedenen Verhältnissen stehen müssen.
Markiert sich die Stellung der Prostitution (>418) bei uns an dem
unüberbrückbaren Abstand, der völligen Inkommensurabilität zwischen
jenen beiden Werten, so müssen dieselben in Verhältnissen, die eine ganz
andere Ansicht von der Prostitution zeitigen, näher aneinander gerückt
sein.
Dies entspricht den Resultaten, zu denen die Entwicklung des Wergeldes,
der Geldbusse für die Tötung eines Menschen, geführt hat.
Die steigende Wertung der Menschenseele und die sinkende Wertung des
Geldes begegneten sich, um das Wergeld unmöglich zu machen.
Ebenderselbe Kulturprozess der Differenzierung, der dem Individuum eine
besondere Betonung, eine relative Unvergleichbarkeit und Unaufwiegbarkeit
verschafft, macht das Geld zum Massstab und Äquivalent so
entgegengesetzter Objekte, dass seine dadurch entstehende Indifferenz und
Objektivität es zum Ausgleich personaler Werte immer ungeeigneter
erscheinen lässt.
Jene Unverhältnismässigkeit zwischen Ware und Preis, die der
Prostitution in unserer Kultur ihren Charakter gibt, besteht in niederen
noch nicht im gleichen Masse.
Wenn Reisende von sehr vielen rohen Stämmen berichten, dass die Frauen
eine auffallende körperliche, oft auch geistige Ähnlichkeit mit den
Männern zeigen, so fehlt ihnen eben jene Differenzierung, die der höher
kultivierten Frau und ihrer Sexualehre selbst dann einen nicht mit Geld
aufzuwiegenden Wert verleiht, wenn sie im Vergleich mit den Männern
desselben Kreises als weniger differenziert und tiefer im Gattungstypus
wurzelnd erscheint.
Die Beurteilung der Prostitution zeigt so genau dieselbe Entwicklung,
die man an der Kirchenbusse und am Blutgeld beobachten kann: die
Totalität des Menschen wie seine inneren Werte sind in primitiven Epochen
relativ unindividuellen Charakters, das Geld dagegen wegen seiner
Seltenheit und geringen Verwendung relativ individueller.
Indem die Entwicklung beides auseinandertreibt, macht sie das Aufwiegen
des einen durch das andere entweder unmöglich oder, wo es doch
weiterbesteht, wie in der Prostitution, führt es zu einer furchtbaren
Herabdrückung des Persönlichkeitswertes.
Von dem weiten Komplex von Erwägungen über die »Geldheirat«, die
sich dem anschliessen, scheinen mir die drei folgenden für die hier
behandelte Bedeutungsentwicklung des Geldes wichtig.
Heiraten, bei denen die ökonomischen Motive die allein wesentlichen
sind, hat es nicht nur zu jeder Zeit und auf jeder Kulturstufe gegeben,
sondern sie sind gerade in primitiveren Gruppen und Verhältnissen ganz
besonders häufig, so dass sie in solchen keinerlei Anstoss zu erregen
pflegen.
Die Herabsetzung der persönlichen Würde, die heute mit jeder nicht
aus individueller Neigung geschlossenen Ehe gegeben ist - so dass die
schamhafte Verhüllung des ökonomischen Motives (>419) als
Anstandspflicht erscheint - wird in jenen einfacheren Kulturverhältnissen
nicht empfunden.
Der Grund dieser Entwicklung ist, dass die steigende Individualisierung
es immer widerspruchsvoller und unwürdiger macht, rein individuelle
Verhältnisse aus anderen als rein individuellen Gründen einzugehen; denn
unter den sozialen Momenten der Ehe steht heute nicht mehr die
Personenwahl (ausser soweit sich der Gedanke der Nachkommenschaft als ein
solches zeigen wird), diese vielmehr gehört ihrer bloss individuellen,
nach innen gerichteten Seite an, soweit die Gesellschaft nicht etwa auf
Standesgleichheit der Gatten hält - was immerhin eine grosse Latitude
gibt und nur selten zu Konflikten zwischen dem individuellen und dem
sozialen Interesse zu führen pflegt.
In einer Gesellschaft mit relativ undifferenzierten Elementen mag es
ebenso relativ gleichgültig sein, welches Paar sich zusammentut -
gleichgültig nicht nur für das Zusammenleben der Gatten selbst, sondern
auch für die Nachkommenschaft: denn wo im ganzen die Konstitutionen, der
Gesundheitszustand, das Temperament, die inneren und äusseren
Lebensformen und -richtungen in der Gruppe übereinstimmen, da wird das
Geraten der Nachkommenschaft nicht von einer so diffizilen Auswahl des
zueinander passenden und einander ergänzenden Elternpaares abhängen, wie
in einer hoch differenzierten Gesellschaft.
Deshalb ist es in jener durchaus natürlich und zweckmässig, die
Ehewahl noch durch andere Gründe, als solche rein individueller
Herzensneigung bestimmen zu lassen.
Wohl aber sollten solche in einer stark individualisierten Gesellschaft
den Ausschlag geben, in der das Zueinanderpassen je zweier Individuen
immer seltener wird: die abnehmende Heiratsfrequenz, die sich allenthalben
in sehr verfeinerten Kulturverhältnissen findet, ist sicher teilweise
dadurch veranlasst, dass äusserst differenzierte Menschen überhaupt
schwer die völlig sympathische Ergänzung ihrer selbst finden.
Nun aber besitzen wir für diese absolut kein anderes Kriterium und
Zeichen als die gegenseitige instinktive Zuneigung.
Da das bloss persönliche Glück ein Interesse ist, das schliesslich
die Ehegatten mit sich allein auszumachen haben, so wäre zu jener streng
durchgeführten offiziellen Erheuchelung des erotischen Motives keine
zwingende Veranlassung, wenn die jetzige Gesellschaft nicht wegen des
Geratens der Nachkommenschaft eigentlich auf der Alleinherrschaft dieses
Motives bestehen müsste.
Denn so häufig dasselbe auch täuschen mag - und zwar besonders in
höheren Verhältnissen, deren Komplikationen gerade die reinsten
Instinkte sich oft nicht gewachsen zeigen - und so sehr ein gedeihlicher
Ausgang noch anderweitige Bedingungen dazu erfordert, so ist es in seinem
Erfolge für die Züchtung jedenfalls dem durch den (>420) Geldbesitz
gegebenen Auswahlmomente unendlich überlegen, ja ihm gegenüber das
schlechthin und einzig richtige.
Die Geldheirat schafft direkt den Zustand der Panmixie - der
auswahllosen, ohne Rücksicht auf die individuellen Qualitäten
stattfindenden Paarung -, den die Biologie als die Veranlassung der
unmittelbarsten und verderblichsten Entartung der Gattungen nachgewiesen
hat.
In der Geldheirat wird die Vereinigung des Paares durch ein Moment
bestimmt, das mit der Rassenzweckmässigkeit absolut nichts zu tun hat -
gerade wie die Rücksicht auf Geld auch die eigentlich zusammengehörigen
Paare oft genug auseinander hält -, und man muss sie in demselben Masse
als ein Degenerationsmoment betrachten, in dem die entschiedenere
Differenziertheit der Individuen gerade die Auswahl nach individuellem
Zusammenpassen immer wichtiger macht.
Es ist also auch in diesem Fall nichts anderes, als die gestiegene
Individualisiertheit innerhalb der Gesellschaft, die das Geld zu einem
immer ungeeigneteren Vermittler rein individueller Beziehungen macht.
Zweitens. Es wiederholt sich hier, in sehr veränderter Form, die
Beobachtung über die Prostitution: dass sie zwar ebenso Polyandrie wie
Polygynie ist, dass aber durch die soziale Übermacht des Mannes ausschliesslich die Folgen des polygynischen, also die Frau
deklassierenden Momentes in ihr wirksam werden.
Es scheint nämlich, als müsste die Geldheirat als eine chronische
Prostituierung, den durch das Geld bewogenen Teil, ob das nun der Mann
oder die Frau ist, immer gleichmässig innerlich entwürdigen.
Allein normalerweise ist das nicht der Fall.
Indem die Frau sich verheiratet, gibt sie allermeistens in dieses
Verhältnis die Gesamtheit ihrer Interessen und Energien hin, sie setzt
ihre Persönlichkeit, Zentrum und Peripherie, restlos ein; während nicht
nur die Sitte auch dem verheirateten Manne eine viel grössere
Bewegungsfreiheit einräumt, sondern er, den wesentlichen Teil seiner
Persönlichkeit, den der Beruf okkupiert, von vornherein nicht in die
eheliche Beziehung hineingibt.
Wie das Verhältnis der Geschlechter in unserer Kultur nun einmal
liegt, verkauft der Mann, der um des Geldes willen heiratet, nicht so viel
von sich, wie die Frau, die es aus demselben Grunde tut.
Da sie mehr dem Manne gehört als er ihr, so ist es für sie
verhängnisvoller, ohne Liebe in die Ehe zu treten.
Ich möchte deshalb glauben - hier muss die psychologische Konstruktion
an die Stelle hinreichender Empirie treten - dass die Geldheirat ihre
tragischsten Folgen im wesentlichen, und besonders, wenn feinere Naturen
in Frage kommen, da entwickelt, wo die Frau die gekaufte ist.
Hier wie in sehr vielen anderen Fällen zeigt es sich als die
Eigentümlichkeit der durch Geld gestifteten (>421) Beziehungen, dass
ein eventuelles Übergewicht der einen Partei zu seiner gründlichsten
Ausnützung, ja Steigerung neigt.
Von vornherein ist dies freilich die Tendenz jeglichen Verhältnisses
dieser Art.
Die Stellung des primus inter pares wird sehr leicht die eines primus
schlechthin, der einmal gewonnene Vorsprung, auf welchem Gebiete immer,
bildet die Stufe zu einem weiteren, den Abstand steigernden, der Gewinn
begünstigter Sonderstellungen ist oft um so leichter, je höher man schon
steht; kurz, Überlegenheitsverhältnisse pflegen sich in wachsenden
Proportionen zu entwickeln, und die »Akkumulation des Kapitals« als
eines Machtmittels ist nur ein einzelner Fall einer sehr umfassenden Norm,
die auch auf allen möglichen, nicht-ökonomischen Machtgebieten gilt.
Nun enthalten diese aber vielfach gewisse Kautelen und Gegengewichte,
welche jener lawinenhaften Entwicklung der Überlegenheiten Schranken
setzen; so die Sitte, die Pietät, das Recht, die mit der inneren Natur
der Interessengebiete gegebenen Grenzen für die Expansion der Macht.
Das Geld aber, mit seiner unbedingten Nachgiebigkeit und
Qualitätlosigkeit, ist am wenigsten geeignet, einer solchen Tendenz
Einhalt zu tun.
Wo ein Verhältnis, in dem Übergewicht und Vorteil von vornherein auf
der einen Seite ist, von einem Geldinteresse ausgeht, wird es deshalb
unter übrigens gleichen Umständen sich viel weitgehender, radikaler,
einschneidender in seiner Richtung weiterentfalten können, als wenn
andere Motive, sachlich bestimmter und bestimmender Art, ihm zugrunde
liegen.
Drittens. Der Charakter der Geldheirat tritt sehr deutlich gelegentlich
einer ganz partikularen Erscheinung: der Heiratsannonce, hervor.
Dass die Heiratsannonce eine so sehr geringe und auf die mittlere
Gesellschaftsschicht beschränkte Anwendung findet, könnte verwunderlich
und bedauerlich erscheinen.
Denn bei aller hervorgehobenen Individualisierung der modernen
Persönlichkeiten und der daraus hervorgehenden Schwierigkeit der
Gattenwahl gibt es doch wohl noch für jeden noch so differenzierten
Menschen einen entsprechenden des anderen Geschlechtes, mit dem er sich
ergänzt, an dem er den »richtigen« Gatten fände.
Die ganze Schwierigkeit liegt nur darin, dass die so gleichsam für
einander Prädestinierten sich zusammenfinden.
Die Sinnlosigkeit von Menschenschicksalen kann sich nicht tragischer
zeigen, als in der Ehelosigkeit oder den unglücklichen Ehen zweier
einander fremder Menschen, die sich nur hätten kennen zu lernen brauchen,
um aneinander jedes mögliche Glück zu gewinnen.
Kein Zweifel, dass die vollendete Ausbildung der Heiratsannonce das
blinde Geratewohl dieser Verhältnisse rationalisieren könnte, wie die
Annonce überhaupt dadurch einer der grössten (>422) Kulturträger
ist, dass sie dem Einzelnen eine unendlich höhere Chance adäquater
Bedürfnisbefriedigung verschafft, als wenn er auf die Zufälligkeit des
direkten Auffindens der Objekte angewiesen wäre.
Gerade die gesteigerte Individualisierung der Bedürfnisse macht die
Annonce, als Erweiterung des Kreises von Angeboten, durchaus erforderlich.
Wenn dennoch gerade in den Schichten der differenzierteren
Persönlichkeiten, die prinzipiell am meisten auf die Heiratsannonce
angewiesen scheinen, dieselbe gar nicht in Frage kommt, so muss diese
Perhorreszierung einen ganz positiven Grund haben.
Verfolgt man nun die tatsächlich erscheinenden Heiratsannoncen so
sieht man, dass darin die Vermögensverhältnisse der Suchenden oder
Gesuchten den eigentlichen, wenn auch manchmal verhüllten Zentralpunkt
des Interesses bilden.
- Und das ist sehr begreiflich.
Alle andern Qualitäten der Persönlichkeit nämlich lassen sich in
einer Annonce nicht mit irgendwelcher genauen oder überzeugenden
Bestimmtheit angeben.
Weder die äussere Erscheinung, noch der Charakter, weder das Mass von
Liebenswürdigkeit, noch von Intellekt können leicht so beschrieben
werden, dass ein unzweideutiges und das individuelle Interesse erregendes
Bild entsteht.
Das Einzige, was in allen Fällen mit völliger Sicherheit bezeichnet
werden kann, ist der Geldbesitz der Personen, und es ist ein
unvermeidlicher Zug des menschlichen Vorstellens, unter mehreren
Bestimmungen eines Objektes diejenige, welche mit der grössten
Genauigkeit und Bestimmtheit anzugeben oder zu erkennen ist, auch für die
sachlich erste und wesentlichste gelten zu lassen.
Dieser eigentümliche, sozusagen methodologische Vorzug des
Geldbesitzes macht die Heiratsannonce gerade für diejenigen Stände,
welche ihrer eigentlich am dringendsten bedürften, dadurch unmöglich, dass er ihr das Eingeständnis des
blossen Geldinteresses aufprägt.
Es macht sich übrigens für die Prostitution auch die Erscheinung
geltend, dass das Geld über eine gewisse Quantität hinaus seine
Würdelosigkeit und Unfähigkeit, individuelle Werte aufzuwiegen,
verliert.
Der Abscheu, den die moderne »gute« Gesellschaft vor der
Prostituierten hegt, ist um so entschiedener, je elender und ärmlicher
diese ist, und mindert sich mit der Höhe des Preises, um welchen sie sich
verkauft, bis sie schliesslich die Schauspielerin, von der jedermann weiss,
dass sie von einem Millionär ausgehalten wird, oft genug in ihre
Salons aufnimmt; während ein solches Frauenzimmer vielleicht viel
blutsaugerischer, betrügerischer, innerlich verkommener ist, als manche
Strassendirne.
Hierzu wirkt schon die allgemeine Tatsache, dass man die grossen Diebe
laufen lässt und die kleinen hängt, und dass der grosse Erfolg als
solcher, relativ unabhängig von seinem (>423) Gebiet und Inhalt, einen
gewissen Respekt erzeugt.
Allein das Wesentliche und der tiefere Grund ist doch, dass der
Verkaufspreis durch seine exorbitante Höhe dem Verkaufsobjekte die
Herabdrückung erspart, die ihm sonst die Tatsache des Verkauftwerdens
überhaupt bereitet.
Zola spricht in einer seiner Schilderungen aus dem zweiten Kaiserreich
von der Frau eines hochgestellten Mannes, die bekanntermassen für
100-200'000 Francs zu haben war.
Er erzählt in dieser Episode, der sicher eine historische Tatsache
zu-grunde liegt, dass diese Frau nicht nur selbst in den vornehmsten
Kreisen verkehrte, sondern dass es ein besonderes Renommee in der
»Gesellschaft« verschafft habe, als ihr Geliebter bekannt zu sein.
Die Kurtisane, die sich für einen sehr hohen Preis verkauft, erhält
damit »Seltenheitswert« - denn nicht nur werden die Dinge hoch bezahlt,
die Seltenheitswert besitzen, sondern auch umgekehrt erhalten ihn
diejenigen Objekte, die aus irgendeinem sonstigen Grunde, sei es auch nur
aus einer Laune der Mode, einen hohen Preis erzielen.
Wie viele andere Gegenstände, ist auch die Gunst mancher Kurtisane nur
deshalb sehr geschätzt und von vielen gesucht worden, weil sie den Mut
hatte, ganz ungewöhnliche Preise zu fordern.
- Von einer entsprechenden Grundlage muss die englische Rechtsprechung
ausgehen, wenn sie dem Ehemann einer verführten Frau eine
Geldentschädigung zuspricht.
Es gibt nichts, was unserem Gefühl mehr widerspräche, als dieses
Verfahren, das den Ehemann zum Zuhälter seiner Frau herabdrückt.
Allein diese Bussen sind ausserordentlich hoch; ich weiss von einem
Fall, in dem die Frau mit mehreren Männern Verhältnisse angeknüpft
hatte, und jeder derselben zu einer Entschädigung von 50'000 Mark an den
Ehemann verurteilt wurde.
Es scheint, dass man auch hier durch die Höhe der Summe die
Niedrigkeit des Prinzips, einen derartigen Wert überhaupt durch Geld
aufwiegen zu lassen, ausgleichen, ja dass man in sehr naiver Weise durch
die Höhe der Summe gerade den Respekt vor dem Ehemann, je nach seiner
sozialen Stellung, ausdrücken wollte: wenigstens wirft der Verfasser der
Juniusbriefe einem Richter heftig vor, dass er in einem solchen Prozess,
der einen Prinzen und eine Lordsgemahlin betraf, bei der Entschädigung
den Rang des verletzten Gemahls ganz ausser acht gelassen habe! - Dieser
Gesichtspunkt zeigt seine Bedeutung am auffälligsten bei dem »Kauf«
eines Menschen im sprachgebräuchlichsten Sinn dieses Wortes: bei der
Bestechung.
Zu der Erörterung derselben, in ihrer spezifisch geldmässigen Form,
gehe ich jetzt über.
Schon der Diebstahl oder der Betrug um kleine Summen ist, nach der
herrschenden sozialen Moral, um vieles verächtlicher als der Diebstahl
grosser. (>424)
Das hat in gewissem Sinne seine Berechtigung, nämlich wenn es sich um
Personen in relativ guter ökonomischer Lage handelt.
Dann schliesst man nämlich, dass die Seele, die nicht einmal einer so
kleinen Versuchung widerstehen kann, eine besonders elende und schwache
sein muss, während einer sehr erheblichen zu unterliegen, immerhin auch
einer stärkeren begegnen möchte! Entsprechend gilt das Bestochenwerden -
der Verkauf der Pflicht oder der Überzeugung - als um so gemeiner, durch
eine je kleinere Summe es geschieht.
So wird die Bestechung tatsächlich als ein Kauf der Persönlichkeit
empfunden, die danach rangiert, ob sie überhaupt »unbezahlbar« ist, ob
sie teuer oder ob sie billig fortgegeben wird.
Die soziale Schätzung erscheint hier in ihrer Richtigkeit dadurch
garantiert, dass sie nur der Reflex der Eigenschätzung des Subjektes ist.
Aus dieser Beziehung der Bestechung zur ganzen Persönlichkeit stammt
jene eigentümliche Würde, die der Bestechliche zu bewahren oder
wenigstens zu markieren pflegt, und die entweder als Unzugänglichkeit
für kleine Summen auftritt, oder, wo nicht einmal diese besteht, als eine
gewisse Grandezza, eine Strenge und Überlegenheit des Benehmens, die den
Geber in die Rolle eines Empfangenden herabzudrücken scheint.
Dieses äussere Gebaren soll die Persönlichkeit als eine
unangreifbare, in ihrem Werte gefestete darstellen, und so sehr es eine
Komödie ist, wirft es doch, insbesondere da die andere Partei wie durch
eine stillschweigende Konvention darauf einzutreten pflegt, einen gewissen
Reflex nach innen und schützt den Bestechlichen vor jener
Selbstvernichtung und Selbstentwertung, die dem Einsatz seines
Persönlichkeitswertes für eine Geldsumme sonst folgen müsste.
Bei den alten Juden und jetzt noch oft im Orient findet Kauf und
Verkauf unter der Höflichkeitsformel statt, dass der Käufer den
Gegenstand als Geschenk annehmen möge.
Also sogar bei so legitimen Transaktionen scheint es, als ob die
eigentümliche Würde des Orientalen auf ein Verstecken des eigentlichen
Geldinteresses hinwirkte.
Das derartige Verhalten des Bestechlichen und die ganze Tatsache der
Bestechlichkeit überhaupt wird durch nichts so erleichtert und
ausgedehnt, als durch die Geldform derselben.
Ganz prinzipiell ermöglicht das Geld eine Heimlichkeit,
Unsichtbarkeit, Lautlosigkeit des Besitzwechsels, wie keine andere
Wertform.
Seine Komprimierbarkeit gestattet, mit einem Stück Papier, das man in
die Hand jemandes gleiten lässt, ihn zum reichen Manne zu machen; seine
Formlosigkeit und Abstraktheit gestattet, es in den mannigfaltigsten und
entferntesten Werten anzulegen und es dadurch dem Auge der nächsten
Umgebung ganz zu entziehen; seine Anonymität und Farblosigkeit rnacht die
Quelle unerkennbar, aus der es dem jetzigen Besitzer (>425) geflossen
ist: es trägt kein Ursprungszeugnis an sich, wie, klarer oder
verhüllter, so viele konkrete Besitzgegenstände es tun.
Während die Ausdrückbarkeit aller Werte in Geld dem Wirtschaftenden
selbst die klarste und unverhüllteste Einsicht in den Stand seines
Besitzes ermöglicht, erlaubt sie Anderen gegenüber eine Verstecktheit
und Unkenntlichkeit des Besitzes und der Transaktionen, wie die Formen des
extensiven Eigentums sie niemals zuliessen.
Die Versteckbarkeit des Geldes ist das Symptom oder die extreme
Ausgestaltung seiner Beziehung zum Privatbesitz.
Dadurch, dass man es von allen Gütern am meisten dem Anderen unsichtbar
und wie nicht vorhanden machen kann, nähert es sich dem geistigen Besitz;
und wie dessen privater, sozusagen solipsistischer Charakter mit dem
Schweigen-Können beginnt und zugleich sich vollendet, so findet das
Private, Individualistische des Geldwesens seinen vollkommenen Ausdruck an
jener Möglichkeit des Verheimlichens.
Darin liegt nun freilich eine grosse Gefahr für diejenigen, welche
Ansprüche und Interessen an einer Wirtschaftsführung haben, ohne sie
selbst und unmittelbar kontrollieren oder beeinflussen zu können.
Wenn die modernen Rechte die Öffentlichkeit für die Finanzgebarungen
der Staaten wie der Aktiengesellschaften vorschreiben, so haben die
Gefahren, die man so vermeiden will, einen ihrer wesentlichen Quellpunkte
in der Geldform des Wirtschaftens, in der ihr eigenen Leichtigkeit des
Verheimlichens, des irreführenden Ansatzes, der illegitimen Verwendung -
Bedenklichkeiten für alle Aussenstehenden, aber daran Interessierten, die
nur durch prinzipielle Offenheit der Geschäftsführung einigermassen zu
paralysieren sind.
Innerhalb und vermittels der Geldverhältnisse offenbart sich so eine
allgemeine kulturelle Differenzierung: das Öffentliche wird immer
öffentlicher, das Private immer privater.
Früheren und engeren Kreisen liegt diese Sonderung ferner; in ihnen
können sich die privaten Verhältnisse des Einzelnen nicht so verbergen,
sich nicht so gegen das Hineinsehen und Sich-Einmischen Anderer schützen,
wie der Stil des modernen Lebens es gestattet, andrerseits ist in solchen
Kreisen den Trägern der öffentlichen Interessen eine mystische
Autorität und Verschleierung eher und zweckmässigererweise eigen als in
weiten Kreisen, wo ihnen schon durch die Ausdehnung ihres
Herrschaftsbezirkes, durch die Objektivität ihrer Technik, durch ihre
Distanz von jeder Einzelperson die Kraft und Würde zuwächst, die sie die
Öffentlichkeit ihres Gebarens vertragen lässt.
So verlieren die Politik, die Verwaltung, das Gericht in demselben Masse ihre Heimlichkeit und Unzugänglichkeit, in dem das Individuum die
Möglichkeit immer vollständigeren Sich-Zurück-ziehens und Abschlusses
seiner Privatangelegenheiten gegen alle (>426) Draussenstehenden
gewinnt; man braucht nur die englische Geschichte mit der deutschen zu
vergleichen, oder die Kulturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte in
grossen Zügen zu durchlaufen, um diese Korrelation zu erkennen.
Ja, auch auf religiösem Gebiet ist dieser Differenzierungsprozess, und
zwar durch die Reformation, hervorgetreten. Während die katholische
Kirche ihre Autorität in eine mystische, in absoluter Höhe über dem
Gläubigen thronende Form hüllt, die diesem jedes Fragen, jede Kritik,
jede Mitwirkung verweigert, gestattet sie ihm doch seinerseits kein
ungestörtes religiöses Fürsichsein, sondern macht sich zur Mitwisserin
und überall eingreifenden Instanz seiner religiösen Verhältnisse.
Die Reformation nun gab der kirchlichen Organisation umgekehrt
Öffentlichkeit, Zugängigkeit, Kontrollierbarkeit und lehnte prinzipiell
alle Verschleierung und Verbarrikadierung vor den Augen des einzelnen
Gläubigen ab.
Dieser hingegen gewann zugleich eine viel ungestörtere Freiheit der
religiösen Innerlichkeit, sein Verhältnis zu seinem Gott wurde ein
privates, das er nur mit sich selbst auszumachen hatte.
Und nun kommen wir von der Privatheit und Heimlichkeit, die den
ökonomischen Verhältnissen, in Übereinstimmung mit den allgemeinen
Kulturtendenzen, durch die Geldwirtschaft zu eigen wird, zu dem Verkauf
des Menschen: der Bestechung zurück, welche in der Geldwirtschaft, eben
durch jene Eigenschaften derselben, ihre höchste Ausbildung erlangt.
Eine Bestechung durch ein Stück Land oder eine Viehherde ist nicht nur
vor den Augen der Umgebung nicht zu verheimlichen, sondern auch der
Bestochene selbst kann sich nicht so scheinbar ignorierend, als ob gar
nichts geschehen wäre, dagegen verhalten, wie die oben charakterisierte
repräsentative Würde der Bestechlichkeit es mit sich bringt.
Mit Geld dagegen kann man jemanden sozusagen hinter seinem eigenen
Rücken bestechen, er braucht sich nichts davon wissen zu machen, weil es
ihm eben nicht spezifisch und persönlich anhaftet.
Die Heimlichkeit, die ungestörte Repräsentation, die Intaktheit aller
sonstigen Lebensbeziehungen kann bei der Bestechung durch Geld noch
vollständiger bestehen, als selbst bei der Bestechung durch Frauengunst.
Denn so völlig und restlos diese sich in ihrem Momente erschöpfen
mag, so dass, äusserlich betrachtet, von ihr noch weniger, als von einem
Geldgeschenk, an der Persönlichkeit haften bleibt - so ist diese
Spurlosigkeit doch insbesondere nach der Seite der inneren Konsequenzen
nicht dieselbe wie bei der Bestechung durch Geld; denn das Bezeichnende
für diese ist, dass mit dem gegebenen und genommenen Geld insoweit
jegliche Beziehung zwischen den handelnden Personen zu Ende ist, während
in (>427) jenem Fall an die Stelle der momentanen Gefühlserregung viel
eher Aversion, Reue oder Hass als blosse Gleichgültigkeit zu treten
pflegt.
Solcher Vorteil der Geldbestechung wird freilich naturgemäss dadurch
aufgewogen, dass, wenn die Verheimlichung nicht gelingt, sie die stärkste
Deklassierung des Betreffenden mit sich bringt.
Auch hier ist die Parallele mit dem Diebstahl bezeichnend.
Dienstboten stehlen sehr viel seltener, d.h. nur bei sehr viel grösserer
moralischer Verkommenheit, Geld, als Esswaren oder eine sonstige
Kleinigkeit.
Die Erfahrungen an manchen zeigen, dass sie davor zurückschrecken,
denselben Wert in Geld zu stehlen, den sie sich als eine Flasche Wein oder
weiblichen Putzgegenstand mit ziemlich ruhigem Gewissen aneignen.
Von dem ganz entsprechenden Standpunkt aus lässt unser Strafgesetzbuch
die Entwendung geringer Mengen von Ess- und Genusswaren zum alsbaldigen
Verbrauch nur als eine ganz leichte Übertretung gelten, während es den
Diebstahl der gleichwertigen Geldsumme unter Umständen recht streng
ahndet.
Es wird offenbar vorausgesetzt, dass bei einem momentanen Bedürfnis
die Aneignungsmöglichkeit seines unmittelbaren Gegenstandes einen so
starken Anreiz bildet, dass ihm zu unterliegen etwas allzu Menschliches
ist, um hart bestraft zu werden.
Je entfernter das Objekt von dieser unmittelbaren Funktion ist, auf
einem je längeren Umweg erst es das Bedürfnis befriedigen kann, um so
schwächer wirkt der Reiz und eine um so stärkere Immoralität beweist
es, ihm nachzugeben.
Deshalb ist nach dem Erkenntnis eines höchsten Gerichtshofes z.B.
Feuerungsmaterial nicht unter die Genussmittel zu rechnen und der
Diebstahl desselben nimmt an der Straferleichterung für den Diebstahl
solcher nicht teil.
Zweifellos ist unter Umständen Feuerung ein ebenso dringendes
Bedürfnis und für die Selbsterhaltung ebenso erforderlich wie Brot.
Allein seine Verwendung ist doch eine mittelbarere als die des Brotes,
sie hat gleichsam mehr Zwischenstationen, und man kann deshalb annehmen,
dass ihm gegenüber der in Versuchung Befindliche mehr Zeit zur Besinnung
hat, die ihm die sinnliche Unmittelbarkeit des Reizes nicht lässt.
Von solcher Gegenwärtigkeit des Geniessens steht das Geld am weitesten
ab, das Bedürfnis knüpft sich immer nur an das, was hinter ihm steht, so
dass die von ihm ausstrahlende Versuchung sozusagen nicht als Naturtrieb
auftritt und nicht die Kraft eines solchen als Entschuldigung des
Unterliegens mit sich trägt.
Deshalb erscheint, wie der Diebstahl von Geld, so die Bestechlichkeit
durch Geld gegenüber der durch einen momentan zu geniessenden Wert, als
das Zeichen der raffinierteren und gründlicher verdorbenen sittlichen
Beschaffenheit, so dass die Heimlichkeit, die das Geldwesen ermöglicht,
als eine Art (>428) von Schutzvorrichtung für das Subjekt wirkt.
Indem sie immerhin einen Tribut an das Schamgefühl darstellt, gehört
sie zu einem verbreiteten Typus: dass ein unsittliches Verhalten sich
einen Beisatz sittlicher Elemente angliedert, nicht um sein
Unsittlichkeitsquantum herabzusetzen, sondern gerade um es realisieren zu
können.
Freilich zeigt sich auch hier, wie die Verhältnisse des Geldes von
einer gewissen Quantitätsgrenze an ihren qualitativen Charakter wechseln.
Es gibt gigantische Bestechungen, die, jene Schutzvorrichtung ebenso
zweckmässig abändernd, auf die Heimlichkeit in demselben Masse zugunsten
eines gleichsam offiziellen Charakters verzichten, in dem sie sie eben
ihres Umfanges wegen technisch gar nicht aufrecht erhalten könnten.
In den zwanzig Jahren zwischen der Zuerteilung der legislativen und
administrativen, Selbständigkeit an Irland und der Union mit England war
den englischen Ministern das eigentlich unlösbare Problem gestellt, zwei
verschiedene Staaten mit einer einheitlichen Politik zu leiten und zwei
selbständige Legislaturen fortwährend in Harmonie zu erhalten.
Sie fanden die Lösung in fort-währender Bestechung: alle die
mannigfaltigen Tendenzen des irischen Parlaments wurden einfach dadurch,
dass man die Stimmen kaufte, in die erwünschte Einheit gebunden.
So konnte von Robert Walpole einer seiner wärmsten Verehrer sagen:
»Er war selbst völlig unbestechlich; aber um seine politischen
Absichten, weise und gerecht wie sie waren, zu erreichen, war er bereit
ein ganzes Unterhaus zu bestechen, und wäre nicht davor
zurückgeschreckt, ein ganzes Volk zu bestechen.«
Ja, wie schon das reinste, seiner Sittlichkeit sich bewusste Gewissen
des Bestechenden sogar mit der leidenschaftlichsten Verdammung der
Bestechlichkeit zusammenbestehen kann, lehrt die Äusserung eines
Florentiner Bischofs auf dem Höhepunkt des mittelalterlichen Kampfes
gegen die Simonie: er möchte den päpstlichen Stuhl erkaufen, und wenn er
ihn tausend Pfund kosten sollte, nur um die verfluchten Simonisten
austreiben zu können!
Und wie es gerade der Riesenmassstab von Geldsummen ist, der der
Bestechung - ähnlich wie der Prostitution - das Brandmal der
Schamlosigkeit und deshalb das der Heimlichkeit erspart, findet vielleicht
sein schlagendstes Beispiel daran: das grösste Finanzgeschäft der
beginnenden Neuzeit war die Aufbringung der Mittel, die Karl V. zu den
für seine Kaiserwahl nötigen Bestechungen brauchte!
Es kommt dazu, dass gerade die ausserordentliche Höhe der Kauf-summe
für Werte, die solchem Handel entzogen sein sollten, oft eine gewisse
Garantie dafür gibt, dass das mit ihm attakierte öffent-liche Interesse
keinen allzugrossen Schaden leidet.
Dass englische Könige die grossen Ämter verkauften, bewirkte doch
mindestens, dass (>429) die Käufer sich gut zu führen bestrebten: ein
Mann, so heisst es, who had paid £ 10'000 for the seals was not likely to
forfeit them for the sake of a petty malversation which many rivals would
be ieady to detect.
Wenn ich die Heimlichkeit der Bestechung oben als eine
Schutz-vorrichtung für das Subjekt bezeichnete, so ist, genau
entsprechend, ihre Öffentlichkeit eine solche für die öffentlichen
Interessen.
Dies ist das Korrektiv, durch das diese gigantischen Korruptionen
gewissermassen legitim waren - sie liessen sich eben nicht verbergen und
so konnte man sich sozusagen mit ihnen einrichten.
Darum sind Bestechungen auch in einfachen Verhältnissen leichter
erträglich.
Von Aristides wird als etwas fast Unerhörtes hervorgehoben, dass er
trotz seiner vielen diskretionären Gewalten arm gestorben ist.
In den kleinen antiken Stadtstaaten erschütterte die Unehrlichkeit
Einzelner noch nicht die Fundamente des Ganzen, weil sie nur zu einem sehr
kleinen Teil geldwirtschaftliche und weil die Verhältnisse durchsichtig
und unkompliziert waren, so dass sie leicht wieder ins Gleichgewicht zu
bringen waren.
Darum hat man mit Recht gesagt, dass sich das Schicksal Athens jeden
Tag auf der Pnyx entschied.
Bei den modernen hoch zusammengesetzten Verhältnissen des
öffentlichen Lebens mit seinen tausend unterirdischen, überall hin
ausstrahlenden, wesentlich geldwirtschaftlichen Kräften wirkt
Beamtenbestechlichkeit sehr viel verderblicher.
In allem hier Erörterten handelte es sich um den Verkauf von Werten, die
zwar personaler, aber doch nicht subjektiver Natur sind, durch deren
Bewahrung die Persönlichkeit - im Gegensatz zu den Werten subjektiven
Geniessens - einen objektiven Wert an sich selbst empfindet.
Dass der Komplex der Lebenskräfte, den man in die Ehe hineingibt,
dabei der Richtung des eigenen Instinktes folge; dass die Frau sich nur da
ganz hingebe, wo der Mann dies mit gleichwertigen Empfindungen erwidert;
dass Worte und Taten der folgsame Ausdruck von Überzeugungen und
Verpflichtungen sind - dies alles bedeutet nicht sowohl einen Wert, den
wir haben, als einen, der wir sind.
Indem man alles dies für Geld aufgibt, hat man sein Sein gegen ein
Haben ausgetauscht.
Gewiss sind beide Begriffe aufeinander zurückführbar.
Denn alle Inhalte unseres Seins bieten sich uns als Besitz jenes an
sich ganz inhaltlosen, rein formalen Zentrums in uns, das wir als unser
gleichsam punktuelles Ich und als das habende Subjekt, gegenüber all
seinen Qualitäten, Interessen, Gefühlen, als gehabten Objekten,
empfinden; und andrerseits ist Besitz, wie wir sahen, ein Ausdehnen
unserer Machtsphäre, ein Verfügenkönnen über Objekte, die eben damit
in den Umkreis unseres Ich hineingezogen werden.
Das Ich, unser Wollen und Fühlen, setzt sich in die Dinge hinein
(>430) fort, die es besitzt: von der einen Seite gesehen hat es auch
sein Innerlichstes, insoweit es nur ein einzelner, angebbarer Inhalt ist,
doch schon ausser sich, als ein objektives, seinem Zentralpunkt erst
zugehöriges Haben, von der anderen her hat es auch sein Äusserlichstes,
insoweit es wirklich sein Besitz ist, in sich; indem es die Dinge hat,
sind sie Kompetenzen seines Seins, das ohne jedes einzelne dieser ein
anderes wäre.
Logisch und psychologisch betrachtet ist es also willkürlich, zwischen
Sein und Haben einen Grenzstrich zu ziehen.
Wenn wir diesen dennoch als sachlich berechtigt empfinden, so ist es, weil
Sein und Haben, auf ihren Unterschied hin angesehen, keine
theoretisch-objektiven, sondern Wertbegriffe sind.
Es ist eine bestimmte Wertart und Wertmass, die wir unseren
Lebensinhalten zusprechen, wenn wir sie als unser Sein, eine andere, wenn
wir sie als unser Haben bezeichnen.
Denn deutet man von diesen Inhalten diejenigen, welche dem
rätselhaften Ich-Mittelpunkt nahe liegen, als unser Sein, die
entfernteren als unser Haben, so ist ihre Rangierung auf dieser - jede
scharfe Abgrenzung offenbar ausschliessenden Reihe doch nur durch die
Verschiedenheit der Wertgefühle lierstellbar, von denen die einen und die
anderen begleitet werden.
Wenn wir an jenen Verkäufen das, was wir fortgeben, unserem Sein, und
das, was wir bekommen, unserem Haben zurechnen, so ist das nur ein
indirekter Ausdruck dafür, dass wir ein intensiveres, dauernderes, den
ganzen Umkreis des Lebens berührendes Wertgefühl für ein
un-mittelbareres, dringlicheres, momentaneres vertauschen.
Ist nun der Verkauf personaler Werte eine Herabminderung des in diesem
Sinn bestimmten Seins, das direkte Gegenteil des »Aufsichhaltens«, so
kann man ein Persönlichkeitsideal nennen, an dem jene Verhaltungsweisen
am entschiedensten messbar werden: die Vornehmheit - und zwar deshalb so
entschieden, weil dieser Wert für das Geldwesen überhaupt das radikalste
Kriterium bedeutet; so dass, an ihm gemessen, Prostitution, Geldheirat,
Bestechung die outrierten Zuspitzungen in einer Reihe sind, die schon mit
den legitimsten Formen des Geldverkehrs beginnt.
Für die Darstellung dieses Sachverhaltes handelt es sich zunächst um
die Bestimmung des Vornehmheitsbegriffes selbst.
Die übliche Aufteilung unserer objektiven Schätzungsnormen in
logische, ethische und ästhetische ist, auf unser wirkliches Urteilen hin
angesehen, ganz unvollständig.
Wir schätzen etwa, um ein sehr augenscheinliches Beispiel zu nennen,
die scharfe Ausbildung der Individualität, die blosse Tatsache, dass eine
Seele eine eigenartige, in sich geschlossene Form und Kraft besitzt; die
Unvergleichbarkeit und Unverwechselbarkeit, mit der eine Person gleichsam
nur ihre (>431) eigene Idee darstellt, empfinden wir als wertvoll, und
zwar oft im Gegensatz zu der ethischen und ästhetischen Minderwertigkeit
des Inhaltes solcher Erscheinung.
Aber nicht um blosse Vervollständigung jenes Systems handelt es sich,
sondern darum, dass das systematische Abschliessen als solches hier ebenso
irrig ist, wie bei den fünf Sinnen oder den zwölf Kantischen
Verstandeskategorien.
Die Entwicklung unserer Art bildet fortwährend neue Möglichkeiten,
die Welt sinnlich und intellektuell aufzunehmen, und ebenso fortwährend
neue Kategorien, sie zu werten.
Und wie wir so stetig neue wirksame Ideale formen, so bringt
vertiefteres Bewusstsein immer weitere ans Licht, die bisher schon
wirksame, aber unbewusste waren. Ich glaube nun, dass unter den
Wertgefühlen, mit denen wir auf die Erscheinungen reagieren, sich auch
eines findet, das man nur als die Wertung der »Vornehmheit« bezeichnen
kann.
Diese Kategorie zeigt ihre Selbständigkeit darin, dass sie sich den
sonst verschieden-artigsten und verschiedenwertigsten Erscheinungen
gegenüber einstellt: Gesinnungen wie Kunstwerke, Abstammung wie
literarischen Stil, einen bestimmt ausgebildeten Geschmack ebenso wie die
ihm zusagenden Gegenstände, ein Benehmen auf der Höhe gesellschaftlicher
Kultur wie ein Tier edler Rasse - alles dies können wir als »vornehm«
bezeichnen; und wenn auch gewisse Beziehungen dieses Wertes zu denen der
Sittlichkeit und der Schönheit stattfinden, so bleibt er doch immer auf
sich ruhen, da der gleiche Grad seiner mit den allermannigfaltigsten
ethischen und ästhetischen Stufen vereint auftritt.
Der soziale Sinn der Vornehmheit: die exzeptionelle Stellung gegenüber
einer Majorität, der Abschluss der Einzelerscheinung in ihrem autonomen
Bezirk, der durch das Eindringen irgendeines heterogenen Elementes sofort
zerstört wäre - gibt offenbar den Typus für alle Anwendungen ihres
Begriffes.
Eine ganz besondere Art des Unterschiedes zwischen den Wesen bildet den
äusseren Träger des Vornehmheitswertes: der Unterschied betont hier
einerseits den posi-tiven Ausschluss des Verwechseltwerdens, der Reduktion
auf einen gleichen Nenner, des »Sichgemeinmachens«; andrerseits darf er
doch nicht so hervortreten, um das Vornehme aus seinem Sich-selbst-
genügen, seiner Reserve und inneren Geschlossenheit herauszulocken und
sein Wesen in eine Relation zu Anderen, und sei es auch nur die Relation
des Unterschiedes, zu verlegen.
Der vornehme Mensch ist der ganz Persönliche, der seine
Persönlichkeit doch ganz reserviert.
Die Vornehmheit repräsentiert eine ganz einzigartige Kombination von
Unterschiedsgefühlen, die auf Vergleichung beruhen, und stolzem Ablehnen
jeder Vergleichung überhaupt.
Als ein völlig erschöpfen-des Beispiel erscheint es mir, dass das
Haus der Lords nicht nur von (>432) jedem seiner Mitglieder als sein
einziger Richter anerkannt wird, sondern im Jahre 1330 die Zumutung
ausdrücklich ablehnt, über andere Leute als die Peers zu Gericht zu
sitzen, - so dass also sogar ein Machtverhältnis zu Personen ausserhalb
des eigenen Ranges als Degradation erscheint je mehr nun das Geld die
Interessen beherrscht und von sich aus Menschen und Dinge in Bewegung
setzt, je mehr die letzteren um seinetwillen hergestellt und nur nach ihm
geschätzt werden, desto weniger kann der so beschriebene Wert der
Vornehmheit seine Verwirklichung an Menschen und Dingen finden.
Mannigfache geschichtliche Erscheinungen legen diese negative
Verbindung nahe.
Die alten Aristokratien Ägyptens und Indiens perhorreszierten den
Seeverkehr und hielten ihn mit der Reinheit der Kasten für
unverträglich.
Das Meer ist eine Vermittlung wie das Geld, es ist das ins
Geographische gewandte Tauschmittel, gleichsam in sich völlig farblos und
deshalb wie das Geld dem Ineinander-übergehen des Verschiedenartigsten
dienstbar.
Seeverkehr und Geldverkehr stehen in enger historischer Verbindung, die
Reserve und scharf geformte Abgeschlossenheit der Aristokratie muss von
beiden her ein Abschleifen und Nivellieren fürchten.
Deshalb war auch dem venetianischen Adel zur guten Zeit der
Aristokratie aller eigene Handel untersagt, und erst 1784 wurden die
Adligen durch ein Gesetz ermächtigt, unter eigenem Namen Handel zu
treiben.
Vorher konnten sie dies nur als stille Teilnehmer an den Geschäften
der cittadini, also nur wie aus der Ferne und unter einer Maske.
In Theben gab es einmal ein Gesetz, dass nur, wer zehn Jahre lang allem
Marktverkehr ferngeblieben war, zu Ämtern wählbar sein sollte; Augustus
untersagte den Senatoren, sich an Zollpachtungen zu beteiligen und
Rhederei zu treiben.
Wenn Ranke das 14. und 15. deutsche Jahrhundert als die plebejischen
unserer Geschichte bezeichnet, so bezieht sich das auf die damals
aufkommenden geldwirtschaftlichen Zustände, deren Träger die der
bisherigen Aristokratie antagonistischen Städte waren.
Schon zu Beginn der Neuzeit empfand man in England, dass die
Reichtumsunterschiede, die in der Stadt galten, durchaus keine so
entschieden abgeschlossene Aristokratie schaffen konnten, wie die auf dem
Lande geltenden Standesgrenzen.
Der ärmste Lehrling konnte die höchste Zukunft erhoffen, wo diese nur im
Geldbesitz lag, während eine völlig unbiegsame Linie die
Landaristokratie von dem yeoman schied. Die unendliche quantitative
Abstufbarkeit des Geldbesitzes lässt die Stufen ineinander übergehen und
verwischt die Formbestimmtheit der vornehmen Klassen, die ohne Festigkeit
der Grenzen nicht bestehen kann.
Dem Vornehmheitsideal ist wie dem ästhetischen, von dem ich (>433)
dies schon früher hervorhob, die Gleichgültigkeit gegen das Wieviel
eigen.
Vor dem abgeschlossenen Insichruhen des Wertes, den es dem an ihm
teilhabenden Wesen gewährt, tritt die Quantitätsfrage ganz zurück; die
rein qualitative Bedeutung, die jenes Ideal meint, wird dadurch
verhältnismässig wenig gehoben, dass mehr Exemplare auf diese Höhe
gelangen.
Das Entscheidende ist, dass sie dem Dasein überhaupt gelungen ist, und
für sich allein der vollgültige Repräsentant davon zu sein, verleiht
dem vornehmen - ob menschlichen, ob untermenschlichen - Wesen seine
spezifische Natur.
In dem Augenblick aber, in dem die Dinge auf ihren Geldwert hin
angesehen und gewertet sind, rücken sie aus dem Bereich dieser Kategorie
fort, ihre Wertqualität ist in ihrem Wertquantum untergegangen und jenes
Sich-selbst-gehören - das geschilderte Doppelverhältnis zu Anderen und
zu sich selbst -, das wir von einem gewissen Grade an als Vornehmheit
empfinden, hat seine Basis verloren.
Das Wesen der Prostitution, das wir am Gelde erkannten, teilt sich den
Gegenständen mit, die nur noch als seine Äquivalente funktionieren, ja,
diesen vielleicht in noch fühlbarerem Masse, weil sie mehr zu verlieren
haben, als das Geld es von vornherein hat. jener äusserste Gegensatz der
Vornehmheitskategorie, das Sich-gemein-machen mit Anderen, wird zum
typischen Verhältnis der Dinge in der Geldwirtschaft, weil sie durch das
Geld, wie durch eine Zentralstation, miteinander verbunden sind, alle mit
gleicher spezifischer Schwere in dem fortwährend bewegten Geldstrom
schwimmen, und so, alle in derselben Ebene liegend, sich nur durch die
Grösse der Stücke unterscheiden, die sie von dieser decken.
Hier macht sich unvermeidlich die tragische Folge jeder Nivellierung
geltend: dass sie das Hohe mehr herunterzieht, als sie das Niedrige
erhöhen kann.
Bei dem Verhältnis von Personen untereinander liegt das auf der Hand.
Wo ein seelischer Bezirk, insbesondere intellektueller Art, sich
bildet, auf dem eine Mehrzahl von Menschen Verständigung und
Gemeinsamkeit findet - da muss derselbe dem Niveau des Tiefststehenden
erheblich näher liegen als dem des Höchststehenden.
Denn immer ist es eher möglich, dass dieser herunter-, als dass jener
heraufsteige.
Der Umkreis von Gedanken, Kenntnissen, Willenskräften,
Gefühlsnuancen, den die unvollkommenere Persönlichkeit mitbringt, wird
von dem gedeckt, der der vollkommeneren eigen ist, aber nicht umgekehrt;
jener also ist beiden gemeinsam, dieser nicht; so dass, gewisse Ausnahmen
vor-behalten, der Boden gemeinsamer Interessen und Aktionen von den
besseren und den niederen Elementen nur unter Verzicht der ersteren auf
ihre individuellen Vorzüge wird innegehalten werden können.
Zu (>434) diesem Resultat führt auch die weitere Tatsache, dass
selbst für gleichmässig hochstehende Persönlichkeiten das Niveau ihrer
Gemeinsamkeit nicht so hoch liegen wird, wie das jedes Einzelnen für
sich.
Denn gerade die höchsten Ausbildungen, die jedem eigen sein mögen,
pflegen nach ganz verschiedenen Seiten differenziert zu sein, und sie
begegnen sich nur auf jenem tieferen generellen Niveau, über das hinweg
die individuellen und gleich bedeutsamen Potenzen oft bis zur
Unmöglichkeit jeder Verständigung überhaupt auseinander führen.
Was den Menschen gemeinsam ist - nach der biologischen Seite hin: die
ältesten und deshalb sichersten Vererbungen - ist im allgemeinen das
gröbere, undifferenzierte, ungeistigere Element ihres Wesens.
Dieses typische Verhältnis, durch das die Lebensinhalte ihre
Gemeinsamkeit, ihre Dienste zur Verständigung und Einheitlichkeit, mit
ihrer relativen Niedrigkeit bezahlen müssen; durch das der Einzelne, auf
dies Gemeinsame sich reduzierend, auf seine individuelle Werthöhe
verzichten muss, sei es, weil der andere tiefer steht als er, sei es, weil
dieser, obgleich ebenso hoch entwickelt, seine Höhe nach einer anderen
Richtung hin hat, - dieses Verhältnis zeigt seine Form an Dingen nicht
weniger als an Personen.
Nur dass, was in diesem Fall ein Prozess an Wirklichkeiten ist, in
jenem nicht eigentlich an den Dingen selbst, sondern an den
Wertvorstellungen von ihnen vorgeht.
Die Tatsache, dass der feinste und aparteste Gegenstand ebenso für
Geld zu haben ist, wie der banalste und roheste, stiftet eine Beziehung
zwischen ihnen, die ihrem qualitativen Inhalt fern liegt und die
gelegentlich dem ersteren eine Trivialisierung und eine Abflachung der
spezifischen Schätzung eintragen kann, während der zweite überhaupt
nichts zu verlieren hat, aber auch nichts gewinnen kann.
Dass der eine viel und der andere wenig Geld kostet, kann dies nicht
immer ausgleichen, namentlich nicht bei generellen, über die
Einzelvergleichung sich erhebenden Wertungen, und ebensowenig gelingt dies
dem nicht abzuleugnenden psychologischen Vorkommnis, dass gerade an der
Gemeinsamkeit des Geldnenners die individuellen Differenzen der Objekte
sich um so schärfer abheben.
Die herstimmende Wirkung des Geldäquivalents tritt unzweideutig
hervor, sobald man mit einem schönen und eigenartigen, aber käuflichen
Objekt ein an sich ungefähr gleich bedeutsames vergleicht, das aber für
Geld nicht zu haben ist; dieses hat von vornherein für unser Gefühl eine
Reserve, ein Auf-sich-ruhen, ein Recht, nur an dem sachlichen Ideal seiner
selbst gemessen zu werden, kurz: eine Vornehm-heit, die dem anderen
versagt bleibt. Der Zug in seinem Bilde, dass (>435) es für Geld zu
haben ist, ist auch für das Beste und Erlesenste ein locus minoris
resistentiae, an dem es sich der Zudringlichkeit des untergeordneten, das
gleichsam eine Berührung mit ihm sucht, nicht erwehren kann.
Denn so sehr das Geld, weil es für sich nichts ist, durch diese
Möglichkeit ein ungeheures Wertplus gewinnt, so erleiden umgekehrt unter
sich gleichwertige, aber verschiedenartige Objekte durch ihre - wenn auch
mittelbare oder ideelle - Austauschbarkeit eine Herabsetzung der Bedeutung
ihrer Individualität.
Immerhin ist -dies wohl auch das tiefer gelegene Motiv, aus dem wir
gewisse Dinge, etwas verächtlich, als »gangbare Münze«
charakterisieren: Redensarten, Modi des Benehmens, musikalische Phrasen
usw.
Hierbei erscheint nun nicht die Gangbarkeit allein als der
Vergleichungspunkt, der die Münze, das gangbarste Objekt überhaupt, als
seinen Ausdruck herzuruft.
Manchmal mindestens kommt noch das Austauschmoment hinzu.
Es nimmt es gewissermassen jeder an und gibt es wieder aus, ohne ein
individuelles Interesse am Inhalt - wie beim Gelde.
Auch hat es jeder in der Tasche, in Vorrat, es bedarf keiner Umformung,
um in jeder Situation seinen Dienst zu tun.
Indem es, gegeben oder empfangen, zu dem Einzelnen in Beziehung tritt,
erhält es doch keine individuelle Färbung oder Hinzufügung, es geht
nicht, wie andere Inhalte des Redens oder Tuns, in den Stil der
Persönlichkeit ein, sondern geht unalteriert durch diese hindurch, wie
Geld durch ein Portemonnaie.
Die Nivellierung erscheint als Ursache wie als Wirkung der
Austauschbarkeit der Dinge - wie gewisse Worte ohne weiteres ausgetauscht
werden können, weil sie trivial sind, und trivial werden, weil man sie
ohne weiteres auszutauschen pflegt.
Die Lieblosigkeit und Frivolität, durch die sich die Behandlung der
Gegenstände in der Gegenwart so sehr von früheren Zeiten unterscheidet,
geht sicher zum Teil auf die gegenseitige Entindividualisierung und
Abflachung, auf Grund des gemeinsamen Geldwertniveaus, zurück.
Die im Gelde ausgedrückte Tauschbarkeit aber muss unvermeidlich eine
Rückwirkung auf die Beschaffenheit der Waren selbst haben, bzw. mit ihr
in Wechselwirkung stehen.
Die Herabsetzung des Interesses für die Individualität der Waren
führt zu einer Herabsetzung dieser Individualität selbst.
Wenn die beiden Seiten der Ware als solcher ihre Qualität und ihr
Preis sind, so scheint es allerdings logisch unmöglich, dass das
Interesse nur an einer dieser Seiten hafte: denn die Billigkeit ist ein
leeres Wort, wenn sie nicht Niedrigkeit des Preises für eine relativ hohe
Qualität bedeutet, und die Höhe der Qualität ist ein ökonomischer Reiz
nur dann, wenn (>436) ihr ein irgend angemessener Preis entspricht.
Dennoch ist jenes begrifflich Unmögliche psychologisch wirklich und
wirksam; das Interesse für die eine Seite kann so steigen, dass das
logisch erforderte Gegenstück derselben ganz herabsinkt.
Der Typus für den einen dieser Fälle ist der »Fünfzig-Pfennig-Bazar«.
In ihm hat das Wertungsprinzip der modernen Geldwirtschaft seinen
restlosen Ausdruck gefunden.
Als das Zentrum des Interesses ist jetzt nicht mehr die Ware, sondern
ihr Preis konstituiert - ein Prinzip, das früheren Zeiten nicht nur
schamlos erschienen, sondern innerlich ganz unmöglich gewesen wäre.
Es ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, dass die
mittelalterliche Stadt trotz aller Fortschritte, die sie verkörperte,
doch noch der ausgedehnten Kapitalwirtschaft ermangelte, und dass dies der
Grund gewesen sei, das Ideal der Wirtschaft nicht sowohl in der Ausdehnung
(die nur durch Billigkeit möglich ist), als vielmehr in der Güte des
Gebotenen zu suchen.
Daher die grossen Leistungen des Kunstgewerbes, die rigorose
Überwachung der Produktion, die strenge Lebensmittelpolizei usw.
Das eben ist der eine äusserste Pol der Reihe, deren anderen das
Schlagwort: »billig und schlecht« bezeichnet - eine Synthese, die nur
dadurch möglich ist, dass das Bewusstsein durch die Billigkeit
hypnotisiert ist und ausser ihr überhaupt nichts wahrnimmt.
Das Nivellement der Objekte auf die Ebene des Geldes setzt zuerst das
subjektive Interesse an ihrer eigenartigen Höhe und Beschaffenheit herab
und, als weitere Folge, diese letztere selbst; die Produktion der billigen
Schundware ist gleichsam die Rache der Objekte dafür, dass sie sich durch
ein blosses indifferentes Mittel aus dem Brennpunkte des Interesses mussten verdrängen lassen.
Durch alles dies ist wohl hinreichend deutlich geworden, in wie
radikalem Gegensatz das Geldwesen und seine Folgen zu den vorhin
skizzierten, Vornehmheitswerten stehen.
Das Geldwesen zerstört am gründlichsten jenes Aufsichhalten, das die
vornehme Persönlichkeit charakterisiert und das von gewissen Objekten und
ihrem Gewertet-werden aufgenommen wird; es drängt den Dingen einen ausser
ihrer selbst liegenden Massstab auf, wie gerade die Vornehmheit ihn
ablehnt; indem es die Dinge in eine Reihe, in der bloss
Quantitätsunter-schiede gelten, einstellt, raubt es ihnen einerseits die
absolute Differenz und Distanz des einen vom andern, andrerseits das
Recht, jedes Verhältnis überhaupt, jede Qualifikation durch die wie auch
ausfallende Vergleichung mit anderen abzulehnen - also die beiden
Be-stimmungen, deren Vereinigung das eigentümliche Ideal der Vor-nehmheit
schafft.
Die Steigerung personaler Werte, die dieses Ideal bezeichnet, erscheint
also selbst in seiner Projizierung in Dinge hinein (>437) so weit
aufgehoben, wie die Wirksamkeit des Geldes reicht, das die Dinge in jedem
Sinne des Wortes »gemein« macht und sie damit schon dem Sprachgebrauch
nach in den absoluten Gegensatz zum Vornehmen stellt.
Gegen diesen Begriff gehalten tritt nun erst an der ganzen Breite
käuflicher Lebensinhalte die Wirkung des Geldes hervor, die die
Prostitution, die Geldheirat und die Bestechung in Personal zugespitzter
Form gezeigt haben.
-> Teil 2
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