Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
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  Sociology in Switzerland   Georg Simmel Online Georg Simmel: Soziologie

 

Georg Simmel: Soziologie
Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung

Duncker & Humblot, Berlin 1908 (1. Auflage) 

Die quantitative Bestimmtheit der Gruppe (S.32-100)

Eine Reihe von Formen des Zusammenlebens, von Vereinheitlichungen und gegenseitigen Einwirkungen der Individuen sollen zunächst auf die Bedeutung hin geprüft werden, die bloße Zahl der so vergesellschafteten Individuen für diese Formen hat. 

Man wird von vornherein und aus den alltäglichen Erfahrungen heraus zugeben, dass eine Gruppe von einem gewissen Umfang an zu ihrer Erhaltung und Förderung Massregeln, Formen und Organe ausbilden muss, deren sie vorher nicht bedarf; und dass andrerseits engere Kreise Qualitäten und Wechselwirkungen aufweisen, die bei ihrer numerischen Erweiterung unvermeidlich verloren gehen. 

Eine doppelte Bedeutsamkeit kommt der quantitativen Bestimmtheit zu: die negative, dass gewisse Formungen, die aus den inhaltlichen oder sonstigen Lebensbedingungen heraus erforderlich oder möglich sind, sich eben nur diesseits oder jenseits einer numerischen Grenze der Elemente verwirklichen können; die positive, dass andere direkt durch bestimmte rein quantitative Modifikationen der Gruppe gefordert werden. 

Selbstverständlich treten auch sie nicht in jedem Falle auf, sondern hängen ihrerseits von den sonstigen Bestimmtheiten der Gruppe ab; aber das Entscheidende ist, dass aus den letzteren die fraglichen Formungen nur unter der Bedingung einer bestimmten numerischen Ausdehnung hervorgehen. 

So lässt sich z. B. feststellen, dass ganz oder annähernd sozialistische Ordnungen bisher nur in ganz kleinen Kreisen durchführbar waren, in großen aber stets gescheitert sind. 

Die innere Tendenz solcher nämlich: die Gerechtigkeit in der Verteilung des Leistens und des Geniessens — kann wohl in einer kleinen Gruppe realisiert und, was sicher ebenso wichtig ist, von den Einzelnen überblickt und kontrolliert werden. 

Was jeder für die Gesamtheit leistet und womit die Gesamtheit es ihn vergilt, das liegt hier ganz nahe beieinander, so dass sich Vergleichung und Ausgleichung leicht ergibt. 

In einem großen Kreise hindert dies insbesondere die in ihm unvermeidliche Differenzierung der Personen, ihrer Funktionen und ihrer Ansprüche. 

Eine sehr grosse Zahl von Menschen kann eine Einheit nur bei entschiedener Arbeitsteilung bilden den; nicht nur aus den auf der Hand liegenden Gründen der wirtschaftlichen Technik, sondern weil erst sie das Ineinandergreifen und Aufeinander-angewiesen-sein erzeugt, dass jeden durch unzählige Mittelglieder hindurch mit jedem in Verbindung setzt, und ohne das eine weit ausgedehnte Gruppe bei jeder Gelegenheit auseinanderbrechen würde. 

Deshalb muss (-> 33) eine je engere Einheit derselben gefordert wird, die Spezialisierung der Individuen eine um so genauere, um so unbedingter also den Einzelnen an das Ganze und das Ganze an den Einzelnen verweisende sein. 

Der Sozialismus eines großen Kreises würde so die schärfste Differenzierung der Persönlichkeiten fordern, die sich natürlich über ihre Arbeit hinaus auf ihr Fühlen und Begehren erstrecken müsste. 

Dies aber erschwert aufs äußerste den Vergleich der Leistungen untereinander, der Entlohnungen untereinander, die Ausgleichungen zwischen beiden, auf denen für kleine, und deshalb undifferenzierte Kreise die Möglichkeit eines annähernden Sozialismus beruht. 

Was derartige Gruppen bei vorgeschrittener Kultur schon sozusagen logisch auf numerische Geringfügigkeit beschränkt, das ist ihre Angewiesenheit auf Güter, die unter ihren eigenen Produktionsbedingungen überhaupt nicht geboten werden können. 

Es gibt meines Wissens im jetzigen Europa nur eine einzige annähernd sozialistische Organisation1) : das Familistère de Guise, eine große Fabrik gusseiserner Waren, die von einem Schüler Fouriers 1880 gegründet ist, nach dem Prinzip vollkommener Fürsorge für jeden Arbeiter und seine Familie, Sicherung des Existenzminimums, der unentgeltlichen Pflege und Erziehung der Kinder, der Kollektivbeschaffung des Lebensunterhaltes. 

Die Genossenschaft beschäftigte in den neunziger Jahren ungefähr 2000 Menschen und schien sich als lebensfähig zu erweisen. 

Dies aber offenbar nur, weil sie von einer unter ganz anderen Lebensbedingungen stehenden Gesamtheit umgeben ist, aus der sie die unvermeidlich in ihrer eigenen Produktion bleibenden Lücken der Bedürfnisbefriedigung decken kann. 

Denn die menschlichen Bedürfnisse sind nicht ebenso zu rationalisieren, wie die Produktion es (-> 34) wäre; sie scheinen vielmehr eine Zufälligkeit oder Unberechenbarkeit zu haben, die ihre Deckung nur um den Preis gestattet, dass nebenbei unzähliges Irrationelles und Unverwendbares hergestellt wird. 

Ein Kreis also, der dies vermeidet und auf völlige Systematisierung und lückenlose Zweckmäßigkeit seiner Tätigkeiten gestellt ist, wird immer nur ein kleiner sein können, weil er nur von einem grossen umgebenden beziehen kann, was er, bei irgend höherer Kultur, zu einer befriedigenden Lebensmöglichkeit bedarf. 

— Es gibt ferner Gruppenbildungen kirchlicher Art, die ihrer soziologischen Struktur nach keine Anwendung auf grosse Mitgliederzahl vertragen: so die Sekten der Waldenser, der Mennoniten, der Herrnhuter. 

Wo das Dogma etwa den Eid, den Kriegsdienst, die Bekleidung von Ämtern verbietet; wo ganz persönliche Angelegenheiten, die Erwerbstätigkeit, die Tageseinteilung, ja die Eheschliessung der Regulierung durch die Gemeinde unterliegen; wo eine besondere Kleidung die Gläubigen von allen anderen abheben und als zusammengehörig anzeigen soll; wo die subjektive Erfahrung von einem unmittelbaren Verhältnis zu Jesus den eigentlichen Kitt der Gemeinde ausmacht — da würde ersichtlich die Ausdehnung auf große Kreise das zusammenhaltende Band sprengen, das zu erheblichem Teile eben in ihrer Ausnahme und Gegensatzstellung gegenüber größeren beruht. 

Mindestens in dieser soziologischen Hinsicht ist der Anspruch dieser Sekten, das ursprüngliche Christentum zu repräsentieren, nicht unberechtigt. 

Denn eben dieses, eine noch undifferenzierte Einheit von Dogma und Lebensform darstellend, war nur in jenen kleinen Gemeinden innerhalb großer umgebender möglich, die ihnen ebenso zur Ergänzung der äußeren Lebenserfordernisse wie zum Gegensatz, an dem sie sich ihres eigentümlichen Wesens bewusst wurden, dienten. 

Deshalb hat die Ausbreitung des Christentums auf den Gesamtstaat seinen soziologischen Charakter nicht weniger als seinen seelisch- inhaltlichen völlig ändern müssen. 

— Dass ferner eine aristokratische Körperschaft nur einen relativ geringen Umfang haben kann, liegt in ihrem Begriff. 

Allein über dieses Selbstverständliche, aus der Herrschaftsstellung gegenüber den Massen folgende hinaus scheint hier eine, wenn auch in weiten Grenzen schwankende, so doch in ihrer Art absolute Zahlbeschränkung vorzuliegen. 

Ich meine also, dass nicht nur eine bestimmte Proportion besteht, die es immerhin gestatten würde, dass bei wachsender Menge der Beherrschten auch die herrschende Aristokratie pro rata ins Unbegrenzte wüchse; sondern dass es für diese eine absolute Grenze gibt, jenseits derer die aristokratische Gruppenform nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. 

Diese Grenze wird durch teils äußere, teils psychologische Umstände bestimmt: eine aristokratische Gruppe, die als Totalität wirksam sein soll, muss für den einzelnen Teilhaber noch übersehbar sein, jeder muss noch mit jedem persönlich bekannt sein können, Verwandtschaften und Verschwägerungen müssen durch die ganze Körperschaft hindurch sich verzweigen und zu verfolgen sein. 

Wenn deshalb die historischen Aristokratien, von Sparta bis Venedig, die Tendenz möglichster numerischer Einschränkung (-> 35) haben, so ist dies nicht nur die egoistische Abneigung gegen das Teilen der Herrschaft, sondern der Instinkt dafür, dass die Lebensbedingungen einer Aristokratie nur bei einer nicht nur relativ, sondern auch absolut geringen Zahl ihrer Elemente erfüllt werden können. 

Das uneingeschränkte Recht der Erstgeburt, das aristokratischer Natur ist, bildet das Mittel zu solcher Verhinderung der Expansion; nur unter seiner Voraussetzung war wohl das alte thebanische Gesetz möglich, dass die Zahl der Landgüter nicht vermehrt werden dürfe, wie das korinthische, dass die Zahl der Familien stets die gleiche bleiben müsse. 

Es ist dafür durchaus charakteristisch, dass Plato einmal, wo er von den herrschenden dlicoi spricht, dieselben auch direkt als die mh polloi bezeichnet. 

Wo eine aristokratische Körperschaft den demokratisch- zentrifugalen Tendenzen Raum gibt, die bei dem Übergang zu sehr großen Gemeinschaften aufzutreten pflegen, verwickelt sie sich in so tödliche Widersprüche gegen ihr eigenes Lebensprinzip, wie es der Adel des ungeteilten Polen tat. 

Im glücklicheren Falle löst sich ein solcher Widerspruch einfach durch Umschlagen in die einheitliche demokratische Sozialform.

Z. B. die altfreie germanische Bauerngemeinde mit ihrer völligen persönlichen Gleichheit der Mitglieder war durchaus aristokratisch und wurde doch in ihrer Fortsetzung in den städtischen Gemeinden der Springquell der Demokratie. 

Soll dies vermieden werden, so bleibt eben nichts übrig, als an einem bestimmten Punkte eine harte Grenze der Vergrößerung zu ziehen und allen von jenseits dieser andrängenden und vielleicht eintrittsberechtigten Elementen die quantitative Geschlossenheit des Gebildes entgegenzusetzen; und oft zeigt sich erst nun dessen aristokratische Natur, sie wird erst an diesem Sicht-Zusammenschliessen gegenüber dem Anspruch der Erweiterung bewusst. 

So scheint die alte Gentilverfassung mehrfach daraufhin in eine eigentliche Aristokratie umgeschlagen zu sein, dass eine neue, den Gentilgenossenschaften fremde Bevölkerung sich herandrängte, die zu zahlreich war, um allmählich in die Verwandtschaftsverbände aufgenommen zu werden. 

Dieser Vermehrung der Gesamtgruppe gegenüber konnten die ihrem ganzen Wesen nach quantitativ begrenzten Gentilgenossenschaften sich eben nur als Aristokratie halten.

Ganz entsprechend bestand die Kölnische Schutzgilde Richerzeche ursprünglich aus der Gesamtheit der freien Bürgerschaft; in dem Maße aber, in dem die Bevölkerung zunahm, wurde sie zu einer aristokratischen Genossenschaft, die sich gegen alle Eindringlinge abschloss. 

— Freilich führt die Tendenz der politischen Aristokratien, nur ja nicht »Viele« zu werden, regelmässig nicht zur Erhaltung des Bestehenden, sondern zu Verminderung und Aussterben. 

Nicht nur wegen physiologischer Veranlassungen; sondern kleine und in sich eng geschlossene Gruppen unterscheiden sich überhaupt von großen darin, dass eben dasselbe Schicksal, das die letzteren oft stärkt und erneuert, die ersteren zerstört. 
Ein unglücklicher Krieg, der einen kleinen Stadtstaat ruiniert, kann einen großen Staat regenerieren. 

Und zwar auch dies nicht aus ohne weiteres ersichtlichen äusseren Gründen, sondern weil das Verhältnis der Kraftreserven zu den Wirksamen (> 36) Energien in beiden Fällen verschieden ist. 

Kleine und zentripetal organisierte Gruppen pflegen die in ihnen vorhandenen Kräfte auch voll aufzurufen und zu gebrauchen; in großen dagegen bleiben sie nicht nur absolut, sondern auch relativ viel mehr in latentem Zustand. 

Der Anspruch des Ganzen ergreift nicht jedes Glied fortwährend und vollständig, sondern kann es sich gestatten, manche Energie sozial unausgenutzt zu lassen, die dann im Notfall herangezogen und aktualisiert werden kann. 

Deshalb können, wo solche Gefahren, die ein unverbrauchtes soziales Energiequantum fordern, durch die Umstände ausgeschlossen sind, sogar Massregeln numerischer Einschränkung, die noch über die Inzucht hinausgehen, durchaus zweckmässig sein. 

In dem Bergland von Tibet herrscht Polyandrie, und zwar, wie sogar die Missionare anerkennen, zum gesellschaftlichen Wohle. 
Denn der Boden ist dort so unfruchtbar, dass ein rasches Anwachsen der Bevölkerung die grösste Not erzeugen würde; um dieses aber zurückzuhalten, ist die Polyandrie ein vorzügliches Mittel. 

Wenn wir hören, dass bei den Buschmännern sich wegen der Sterilität des Bodens manchmal sogar die Familien trennen müssen, so erscheint die Massregel, die die Familien auf einen mit den Ernährungsmöglichkeiten verträglichen Umfang beschränkt, gerade im Interesse ihrer Einheit und ihrer auf diese gebauten sozialen Bedeutung höchst angezeigt. 

Den Gefahren der Quantitätsbeschränkung ist hier durch die äußeren Lebensbedingungen der Gruppe und deren Folgen für ihre innere Struktur vorgebeugt.

Wo der kleine Kreis die Persönlichkeiten in erheblichem Maße in seine Einheit hineinzieht — besonders in politischen Gruppen — da drängt er eben wegen seiner Einheitlichkeit zur Entschiedenheit der Stellung gegenüber Personen, sachlichen Aufgaben und anderen Kreisen; der große, mit der Vielheit und Verschiedenheit seiner Elemente fordert oder verträgt sie viel weniger. 

Die Geschichte der griechischen und der italienischen Städte wie der schweizerischen Kantone zeigt, dass kleine, nahe beieinander gelegene Gemeinwesen, wo sie nicht zur Föderation schreiten, gegeneinander in offenerer oder latenterer Feindschaft zu leben pflegen. 

Auch Kriegführung und Kriegsrecht ist zwischen ihnen viel erbitterter und namentlich radikaler als zwischen großen Staaten. 
Es ist eben jener Mangel an Organen, an Reserven, an unbestimmteren und Übergangselementen, der ihnen Modifikation und Anpassung erschwert und sie so außer durch ihre äußerlichen Bedingungen auch auf Grund ihrer fundamentalen soziologischen Konfiguration viel öfter vor die Frage des Seins oder Nichtseins stellt.

Neben solchen Zügen kleiner Kreise hebe ich mit derselben unvermeidlich willkürlichen Auswahl aus unzähligen die folgenden zu soziologischer Charakterisierung großer Kreise hervor. 

Ich gehe davon aus, dass diese, mit kleineren verglichen, ein geringeres Maß von Radikalismus und Entschiedenheit der Stellungnahme aufzuweisen scheinen. 

Dies bedarf indes einer Einschränkung. 

Gerade wo große Massen in Bewegung gesetzt werden — in politische, soziale, religiöse — zeigen sie einen rücksichtslosen Radikalismus, einen Sieg (> 37) der «extremen Parteien über die vermittelnden. 

Dies liegt zunächst daran, dass große Massen immer nur von einfachen Ideen erfüllt und geleitet werden können: was vielen gemeinsam ist, muss auch dem niedrigsten, primitivsten Geiste unter ihnen zugängig sein können, und selbst höhere und differenziertere Persönlichkeiten werden sich in großer Anzahl nie in den komplizierten und hoch ausgebildeten, sondern nur in den relativ einfachen, allgemeinmenschlichen Vorstellungen und Impulsen begegnen. 

Da nun aber die Wirklichkeiten, in denen die Ideen der Masse praktisch werden sollen, stets sehr mannigfaltig gegliedert und aus einer großen Anzahl sehr divergenter Elemente zusammengesetzt sind — so können einfache Ideen immer nur ganz einseitig, rücksichtslos, radikal wirken. 

Dies wird noch eine Steigerung erfahren, wo das Verhalten einer aktuell zusammenbefindlichen Menge in Frage steht. 

Hier bewirken die unzähligen hin- und hergehenden Suggestionen eine außerordentlich starke nervöse Aufregung, die den Einzelnen oft besinnungslos mitreißt, jeden Impuls lawinenartig anschwellt und die Menge zur Beute der je leidenschaftlichsten Persönlichkeit in ihr werden lässt. 

Man hat es deshalb für ein wesentliches Mittel, die Demokratie zu mässigen, erklärt, dass die Abstimmungen des römischen Volkes nach festen Gruppen geschahen— tributim et centuriatim descriptis ordinibus, classibus, aetatibus usw.—, während die griechischen Demokratien ganz einheitlich, unter dem unmittelbaren Eindruck des Redners, abstimmten. 

Dieses Zusammenschmelzen von Massen in einem Gefühl, in dem alle Eigenart und Vorbehalte der Persönlichkeiten suspendiert sind, ist natürlich seinem Inhalte nach so durchgreifend radikal, jeder Vermittlung und Abwägung fern, dass es zu lauter Undurchführbarkeiten und Zerstörungen fahren würde, wenn es nicht meistens schon an inneren Erschlaffungen und Rückschlägen, den Folgen jener einseitigen Exaggeration, sein Ende fände. 

Dazu kommt noch, dass die Massen  — in dem hier fraglichen Sinne - wenig zu verlieren haben, dagegen sozusagen glauben, alles gewinnen zu können; dies ist die Situation, in der die meisten Hemmungen des Radikalismus hinwegzufallen pflegen. 

Auch vergessen Gruppen häufiger als das Individuum, dass ihre Macht überhaupt Grenzen hat; und zwar übersehen sie diese in dem Maße leichter, in dem die Mitglieder sich gegenseitig unbekannt sind, wie es für eine größere, zufällig zusammengelaufene Menge typisch ist.

Jenseits dieses Radikalismus, der sich durch seinen rein gefühlsmässigen Charakter allerdings gerade an großen kooperierenden Gruppen findet, lässt sich allgemein beobachten, dass kleine Parteien radikaler sind als große — natürlich innerhalb der Grenzen, die der parteibildende Ideengehalt dem steckt. 
Der hier gemeinte Radikalismus ist eben der soziologische, d. h. er wird getragen durch die unreservierte Hingabe des Einzelnen an die Tendenz der Gruppe, durch die zur Selbsterhaltung derselben erforderliche scharfe Begrenzung gegen benachbarte Bildungen, durch die Unmöglichkeit, in den äußerlich engen Rahmen eine Mannigfaltigkeit weit ausladender Bestrebungen und Gedanken aufzunehmen; der eigentliche inhaltliche (> 38) Radikalismus ist davon in ziemlichem Maße unabhängig.

— Man hat bemerkt, dass die konservativ-reaktionären Elemente im gegenwärtigen Deutschland gerade durch ihre numerische Stärke genötigt werden, die Rücksichtslosigkeit ihrer Bestrebungen einzudämmen; sie setzen sich aus so sehr vielen und verschiedenen Gesellschaftsschichten zusammen, dass sie keine ihrer Wegerichtungen geradlinig bis ans Ende verfolgen können, ohne bei je einem Teile ihrer Anhängerschaft Anstoß zu erregen. 

Ebenso ist die sozialdemokratische Partei durch ihre quantitative Ausdehnung gezwungen worden, ihren qualitativen Radikalismus zu verdünnen, dogmatischen Abweichungen einen gewissen Spielraum zu gewähren, ihrer Unversöhnlichkeit, wenn nicht ausdrücklich, so doch mit der Tat hier und da ein Kompromiss zu gestatten. Der unbedingte Zusammenhalt der Elemente, auf dem die Möglichkeit des Radikalismus soziologisch beruht, kann sich um so weniger halten, je mannigfaltigere individuelle Elemente die numerische Steigerung hereinbringt. 

Deshalb wissen professionelle Arbeiterkoalitionen, deren Zweck die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im einzelnen ist, sehr wohl, dass sie mit steigendem Umfang an innerem Zusammenhalt abnehmen. Hier hat aber die numerische Extension andrerseits die ungeheure Bedeutung, dass jedes hinzutretende Mitglied die Koalition von einem sie vielleicht unterbietenden und dadurch in ihrer Existenz bedrohenden Konkurrenten befreit. 

Es treten nämlich ersichtlich ganz besondere Lebensbedingungen für eine Gruppe auf, die sich innerhalb einer größeren unter der Idee bildet und ihren Sinn erst dadurch verwirklicht, dass sie alle Elemente in sich vereinigt, die unter ihre Voraussetzungen fallen. 

In solchen Fällen pflegt das: wer nicht für mich ist, ist gegen mich — Geltung zu haben, und die Persönlichkeit außerhalb der Gruppe, zu der sie dem eben dieser nach sozusagen ideell gehört, tut ihr schon durch die bloße Gleichgültigkeit des einen sehr positiven Abbruch; sei es, wie in dem Falle der Arbeiterkoalitionen, durch Konkurrenz, sei es dadurch, dass es dem Außenstehenden die Machtgrenze der Gruppe dokumentiert, sei es, dass sie nur bei Einbeziehung aller einschlägigen Elemente überhaupt zustande kommt, wie manche industriellen Kartellierungen. 

Wo an eine Gruppe also die — keineswegs auf alle anwendbare — Frage der Vollständigkeit herantritt, die Frage, ob alle Elemente, auf die ihr Prinzip sich erstreckt, auch wirklich in ihr enthalten sind — da müssen die Folgen dieser Vollständigkeit von denen, die ihre Größe hat, noch sorgfältig unterschieden werden. Gewiss wird sie auch größer sein, wenn sie vollständig, als wenn sie unvollständig ist. 

Aber nicht diese Größe als Quantum, sondern das davon erst dependierende Problem, ob sie damit einen vorgezeichneten Rahmen ausfüllt, kann für die Gruppe so wichtig werden, dass, wie in dem Fall der Arbeiterkoalitionen, den aus der bloßen Vergrößerung folgenden Nachteilen an Kohäsion und Einheit die Vorteile der Vollständigkeit direkt antagonistisch und ausgleichend gegenüberstehen. 

Man kann überhaupt die Bildungen, die dem großen Kreise als (->39) solchem eigentümlich sind, zum wesentlichen Teil daraus erklären, dass er sich mit ihnen einen Ersatz für den personalen und unmittelbaren Zusammenhalt schafft, der kleinen Kreisen eigen ist. 

Es handelt sich für ihn um Instanzen, die die Wechselwirkungen der Elemente durch sich hindurchleiten und vermitteln und so als selbständige Träger der gesellschaftlichen Einheit wirken, nachdem diese sich nicht mehr als Beziehung von Person zu Person herstellt.

Zu diesem Zwecke erwachsen Ämter und Vertreter, Gesetze und Symbole des Gruppenlebens, Organisationen und soziale Allgemeinbegriffe. 

Ueber die Formung und Funktionierung derselben handelt dies Buch an so vielen Stellen, dass hier nur ihre Beziehung zu dem numerischen Gesichtspunkt zu betonen ist: sie alle bilden sich der Hauptsache nach nur in großen Kreisen rein und reif aus, als die abstrakte Form des Gruppenzusammenhanges, dessen konkrete bei einer gewissen Ausdehnung nicht mehr bestehen kann: ihre in tausend soziale Qualitäten verzweigte Zweckmäßigkeit ruht im letzten Grunde auf numerischen Voraussetzungen. 

Der Charakter des Überpersönlichen und Objektiven, mit dem solche Verkörperungen der Gruppenkräfte dem Einzelnen gegenübertreten, entstammt gerade der Vielheit der irgendwie wirksamen individuellen Elemente. 

Denn nur durch ihre Vielheit paralysiert sich das Individuelle an ihnen und steigt das Allgemeine in solche Distanz von diesem empor, dass es als ein ganz für sich Existierendes, des Einzelnen nicht Bedürftiges, ja oft genug ihm Antagonistisches erscheint — etwa wie der Begriff, der aus singulären und verschiedenen Erscheinungen das Gemeinsame zusammenfasst, um so höher über jeder einzelnen von diesen steht, je mehr er in sich begreift; so dass gerade die Allgemeinbegriffe, die den allergrössten Kreis von Einzelheiten beherrschen — die Abstraktionen, mit denen die Metaphysik rechnet, ein abgesondertes Leben gewinnen, dessen Normen und Entwicklungen denen des greifbar Einzelnen oft fremd oder feindlich sind. 

Die große Gruppe gewinnt also ihre Einheit sie sich in ihren Organen und in ihrem Recht, in ihren politischen Begriffen und in ihren Idealen ausprägt — nur um den Preis einer weiten Distanz all dieser Gebilde von dem Einzelnen, seinen Anschauungen und Bedürfnissen, die in dem sozialen Leben eines kleinen Kreises unmittelbare Wirksamkeit und Berücksichtigung finden. 

Aus diesem Verhältnis entstehen die häufigen Schwierigkeiten von Organisationen, bei denen eine Reihe kleinerer Verbände von einem großen umfasst werden: dass die Sachlagen nur in der Nähe richtig gesehen und mit Interesse und Sorgfalt behandelt werden, dass dagegen nur aus der Distanz, die die Zentralstelle hat, ein gerechtes und reguläres Verhältnis aller Einzelheiten zueinander herzustellen ist — eine Diskrepanz, die z. B. in der Armenpolitik, im Gewerkschaftswesen, in der Unterrichtsverwaltung, fortwährend hervortritt. 

Die Beziehungen von Person zu Person, die das Lebensprinzip kleiner Kreise bilden, vertragen sich nicht mit der Ferne und Kühle der objektiv-abstrakten Normen, ohne die der große nicht bestehen kann.2)(-> 40)

Noch anschaulicher wird der strukturelle Unterschied, den die bloßen Größenunterschiede der Gruppen erzeugen, an der Rolle gewisser prominenter und wirkungsvoller Elemente. 

Es gilt nämlich nicht nur das Selbstverständliche, dass eine gegebene Anzahl solcher Elemente in einem großen Kreise eine andere Bedeutung hat als in einem kleinen; sondern mit der quantitativen Änderung des Kreises ändert sich die Wirksamkeit jener auch dann, wenn ihre eigene Quantität in genauer Proportion mit der des Kreises steigt oder fällt. 

Wenn in einer Stadt von 10 000 Einwohnern mit ökonomischer Mittellage ein Millionär lebt, so ist dessen Rolle im Stadtleben und die Gesamtphysiognomie, die die Stadt durch diesen Bürger erhält, völlig von der Bedeutung unterschieden, die fünfzig Millionäre, bzw. ein jeder von ihnen, für eine Stadt von 500 000 Einwohnern besitzen - obgleich die numerische Relation zwischen dem Millionär und seinen Mitbürgern, die doch scheinbar jene Bedeutung allein zu bestimmen hat, ungeändert geblieben ist. 

Wenn in einer parlamentarischen Partei von 20 Köpfen sich vier, gegen das Parteiprogramm kritische oder sezessionistische Mitglieder befinden, so wird deren Rolle für die Tendenz und das Verfahren der Partei eine andere sein als wenn die Partei 50 Köpfe stark ist und zehn Rebellen in ihrer Mitte hat: im allgemeinen wird, trotz der gleichgebliebenen Zahlrelation, die Bedeutung der letzteren in der größeren Partei eine größere sein. 

Endlich: man hat hervorgehoben, dass eine Militärtyrannis ceteris paribus um so haltbarer sei, je größer ihr Gebiet sei; denn umfasse das Heer etwa ein Prozent der Bevölkerung, so liesse sich eher eine Bevölkerung von zehn Millionen mit einem Heer von 100 000 Mann im Zaume halten, als eine Stadt von 100 000 Einwohnern mit 100 Soldaten oder ein Dorf von 100 Einwohnern mit einem einzigen. 

Das Eigentümliche ist hier, dass die absoluten Zahlen der Gesamtgruppe und der in ihr einflussreichen Elemente, obgleich ihre Relation als Zahlen die identische bleibt, doch gerade die Relationen innerhalb der Gruppe so merkbar verschieden bestimmen. 

Jene beliebig zu vermehrenden Beispiele zeigen, dass die Relation soziologischer Elemente nicht nur von den relativen (-> 41) sondern zugleich von den absoluten numerischen Quanten dieser Elemente abhängt. 

Bezeichnet man einmal Elemente solcher Art als Partei innerhalb der Gruppe, so verschiebt sich das Verhältnis dieser Partei zur Gesamtheit nicht nur dann, wenn bei gleichbleibendem Maße der letzteren jene numerisch steigt oder fällt, sondern auch, wenn diese Änderung das Ganze und den Teil in völlig gleichem Maße trifft, damit ist die soziologische Bedeutung der Größe oder Kleinheit des Gesamtkreises selbst gegenüber den numerischen Relationen der Elemente aufgezeigt, an die sich auf den ersten Blick die Bedeutung der Zahlen für die inneren Verhältnisse der Gruppe allein zu binden scheint.

Der formale Unterschied in dem gruppenmässigen Verhalten der Individuen, der durch die Quantität der Gruppe bestimmt wird, tritt nun über seine bloße Tatsächlichkeit hinaus auch unter die Kategorie der Norm, des Sollens; am deutlichsten vielleicht als Unterschied von Sitte und Recht. 

Es scheint, als ob bei den arischen Völkern die ersten Bindungen des Einzelnen an eine überindividuelle Lebensordnung von einem ganz allgemeinen Instinkt oder Begriff ausgegangen seien, der die Satzung, das Fügliche, das Seinsollende überhaupt bedeutete; es ist etwa das dharma der Inder, die JemiV  der Griechen, das fas der Lateiner, das diese undifferenzierte »Normierung überhaupt« aussagt.

Die besonderen Regulierungen auf den Gebieten der Religion, der Moral, der Konvention, des Rechtes, sind die Verzweigungen, die in ihm noch ungeschieden ruhen, er ist ihre ursprüngliche, nicht eine nachträglich abstrahierte Einheit. 

Im Gegensatz nun zu der Meinung, nach der sich Moral, Sitte und Recht sozusagen als Pendants aus jenem Keimzustand entwickelt haben, scheint er mir vielmehr in dem, was wir Sitte nennen, noch fortzuleben, und diese den Indifferenzzustand darzustellen, der die Form des Rechtes und der Sittlichkeit nach verschiedenen Seiten hin aus sich entlässt. 

Die Sittlichkeit geht uns hier nur soweit an, wie sie das Verhalten des Individuums zu anderen Individuen oder Gesamtheiten ergibt, also der Art nach gleiche Inhalte hat wie Sitte und Recht. 

Nur dass das zweite Subjekt, mit dessen Gegenüberstehen sich in dem Einzelnen die Verhaltungsform der Moral entwickelt, in diesem selbst gelegen ist; mit derselben Spaltung, durch die das Ich zu sich sagt: ich bin—indem es sich selbst, als ein wissendes Subjekt, sich selbst als einem gewussten Objekt gegenüberstellt—sagt es auch zu sich: ich soll.

Die Relation zweier Subjekte, die als Imperativ auftritt, wiederholt sich vermöge der fundamentalen Fähigkeit unseres Geistes, sich selbst gegenüberzutreten und sich selbst wie einen andern anzuschauen und zu behandeln, innerhalb der individuellen Seele selbst; wobei ich dahingestellt lasse, ob dies eine Übertragung des empirisch vorangehenden interindividuellen Verhältnisses auf die Elemente der individuellen Seele ist oder aus deren reiner Spontaneität quillt. 

Andrerseits nun: haben die Normierungsformen einmal bestimmte Inhalte ergriffen, so emanzipieren sich diese von ihren ursprünglich soziologischen Trägern und steigen zu einer inneren und selbständigen Notwendigkeit auf, (->42) die man als ideal bezeichnen muss; diese Inhalte - Verhaltungsweisen oder Zustände der Subjekte — sind nun an und für sich wertvoll, sie sollen sein, und dass sie sozialer Natur sind oder irgendwie soziale Bedeutung haben, entscheidet jetzt nicht mehr allein ihren imperativischen Akzent, der vielmehr aus ihrem objektiv-idealen Sinn und Wert fließt. 

Allein weder jene personale Gestalt des Sittlichen noch diese Entwicklung der drei Normierungen nach der Seite der objektiven und übersozialen Bedeutung hin, verhindern es, dass ihre Inhalte hier als soziale Zweckmässigkeiten angesehen werden und jene drei Formen als Sicherungen Ihrer Realisierung durch das Individuum. 

Es sind wirklich Formen der innerlichen und äußerlichen Relation des Einzelnen zu einer einzelnen sozialen Gruppe; denn der identische Inhalt dieser Relation hat historisch bald die einen, bald die andern dieser Motivierungen oder Formationen angenommen; was zu einer Zeit oder an einem Orte Sitte war, ist anderswo oder später staatliches Recht gewesen oder ist der persönlichen Moral überlassen worden; was von dem Zwange des Rechtes getragen war, ist zur bloßen guten Sitte geworden; was dem Gewissen des Individuums anheim gegeben war, hat später oft genug der Staat gesetzlich erzwungen usw. 

Die Aussenglieder dieser Reihe sind Recht und Moral, zwischen denen die Sitte, aus der sie beide sich herausentwickelt haben, gewissermassen in der Mitte steht.

Das Recht hat im Gesetz und seinen exekutiven Kräften die differenzierten Organe, durch die es seine Inhalte erstens ganz genau umschreiben und zweitens äußerlich erzwingen kann; darum aber beschränkt es sich zweckmässigerweise auf die ganz unentbehrlichen Voraussetzungen des Gruppenlebens; was die Allgemeinheit vom Einzelnen unbedingt fordern kann; ist nur das, was sie unbedingt fordern muss. 

Die freie Sittlichkeit des Individuums andererseits besitzt kein anderes Gesetz, als das sie sich von innen heraus autonom gibt, und keine andre Exekutive als das Gewissen; darum umfasst ihr Bezirk zwar prinzipiell die Gesamtheit des Handelns, hat aber ersichtlich in der Praxis nach aussen hin in jedem einzelnen Falle besondere, zufällige und schwankende Grenzen.3) ( ->43)

Durch die Sitte nun sichert sich ein Kreis das ihm angemessene Verhalten seiner Mitglieder da, wo der Zwang des Rechtes unzulässig und die individuelle Sittlichkeit unzuverlässig ist. 

So wirkt heute die Sitte als Ergänzung dieser beiden Ordnungen, wie sie die einzige Lebensregulierung zu einer Zeit war, als jene differenzierteren Normierungsformen noch gar nicht oder nur keimhaft bestanden. Damit ist der soziologische Ort der Sitte schon angedeutet: er liegt zwischen dem größten Kreis, als dessen Mitglied der Einzelne dem Recht untersteht, und der absoluten Individualität, die der alleinige Träger der freien Sittlichkeit ist. 

Sie gehört also den engeren Kreisen—den mittleren Gebilden zwischen jenen— an. Fast alle Sitte ist Standes- oder Klassensitte; ihre Äußerungsweisen, als äußeres Benehmen, Mode, Ehre, beherrschen immer nur je eine Unterabteilung des grössten Kreises, dem das Recht gemeinsam ist, und haben in dem benachbarten schon wieder einen andern Inhalt.4)

Auf Verletzungen der guten Sitte reagiert der engere Kreis derer, die irgendwie dadurch betroffen sind oder Zeugen davon sind, während eine Verletzung der Rechtsordnung die Reaktion der Gesamtheit aufruft.

Da die Sitte zu ihrer Exekutive nur die öffentliche Meinung und gewisse, unmittelbar an sie anschließende Reaktionen Einzelner hat, so ist es ausgeschlossen, dass ein großer Kreis als solcher sie verwalte. 

Die keiner Ausführung bedürftige Erfahrung, dass die kaufmännische Sitte als solche andres gestatte oder gebiete als die der Aristokratie, die eines religiösen Kreises andres als die eines literarischen usw. - legt nahe, dass der Inhalt der Sitte aus den besonderen Bedingungen besteht, deren ein engerer Kreis bedarf, dem für die Garantierung derselben weder die Zwangsmacht des staatlichen Rechtes noch ganz zuverlässige autonome sittliche Impulse zur Verfügung stehen. 

Was diesen Kreisen mit den primitiven gemeinsam ist, mit denen für uns die Sozialgeschichte beginnt, ist nichts andres als die numerische Geringfügigkeit. 

Die Lebensformen, die damals dem ganzen zusammengehörigen Kreise genügten, haben sich bei dem Anwachsen dieses auf seine Unterabteilungen zurückgezogen. 

Denn diese enthalten nun diejenigen Möglichkeiten persönlicher Beziehungen, die (-> 44) jenige ungefähre Gleichheit des Niveaus der Mitglieder, diejenigen gemeinsamen Interessen und Ideale, bei denen man einer so prekären und elastischen Normierungsart, wie die Sitte ist, die soziale Regulierung überlassen kann. 

Bei steigendem Quantum der Elemente und der dabei unvermeidlichen Verselbständigung derselben [allen für den Kreis als ganzen diese Bedingungen fort. 

Die eigentümliche Bindungskraft der Sitte wird für den Staat zu wenig und für das Individuum zu viel, ihr Inhalt dagegen für den Staat zu viel und für das Individuum zu wenig. 

Jener verlangt größere Garantien, dieses größere Freiheit, und nur mit denjenigen Seiten, mit denen jedes Element noch mittleren Kreisen angehört, ist es noch durch die Sitte sozial beherrscht.

Dass der große Kreis die strenge und objektive Normierung, die als Recht kristallisiert, fordert und gestattet, hängt mit der grösseren Freiheit, Beweglichkeit, Individualisiertheit seiner Elemente zusammen. 

Wenn dabei auf der einen Seite die sozial erforderlichen Hemmungen genauer fixiert und rigoroser bewacht werden müssen, so ist dies doch auf der andern für die Individuen erträglicher, weil sie nun außerhalb dieser Unnachlässlichkeiten einen desto größeren Freiheitsspielraum haben. 

Dies ist um so anschaulicher, je mehr das Recht oder die zu ihm aufstrebende Norm Hemmung und Verbot ist. Unter den Ureinwohnern Brasiliens ist es im allgemeinen verboten, die eigne Schwester oder die Tochter des Bruders zu ehelichen. 
Dies gilt um so strenger, je größer der Stamm ist, während in kleineren, isolierter wohnenden Horden Bruder und Schwester häufig zusammenleben. 

Der prohibitive Charakter der Norm— der dem Rechte viel mehr als der Sitte eignet—ist in dem größeren Kreise angezeigter, weil dieser dem Einzelnen reichlichere positive Entschädigungen als der kleinere dafür bietet. 

Dass die Vergrößerung der Gruppe den Untergang ihrer Normen in die Rechtsform begünstigt, tritt nun von der andern Seite her daran hervor, dass manche Vereinigung kleiner Gebilde zu einem größeren zunächst oder dauernd. nur um der Rechtspflege willen geschehen ist und ihre Einheit nur in dem Zeichen gleichmässig durchgesetzten Rechtes steht. 

So war die county der Neuengland-Staaten ursprünglich nur an aggregation of towns for judicial purposes. - Von diesem Zusammenhang, der den Unterschied der sozialen Form der Sitte gegen die des Rechtes an die quantitative Verschiedenheit der Kreise heftet, gibt es scheinbare Ausnahmen. 

Die ursprünglichen volksmässigen Einheiten der germanischen Stämme, über die sich die großen Reiche, das fränkische, englische, schwedische erhoben, haben sich gerade die Rechtsprechung oft noch lange zu retten gewusst; gerade diese wurde oft verhältnismässig spät verstaatlicht. 

Und andrerseits: in dem modernen internationalen Verkehr herrschen vielfach Sitten, die noch nicht zum Recht gefestigt sind; innerhalb des einzelnen Staates ist manche Verhaltungsweise als Recht festgelegt, die in den Beziehungen nach außen hin, also innerhalb des allergrössten Kreises, der lockreren Form der Sitte über. lassen werden muss. 

Die Lösung des Widerspruchs ist einfach. Die Größe des Kreises fordert die Rechtsform natürlich nur in dem Verhältnis, (->45) in dem die Vielheit der Elemente zur Einheit zusammengefasst wird. 

Wo statt fester Zentralisierung nur irgendwelche losen Gemeinsamkeiten den Kreis überhaupt als einen bezeichnen lassen, offenbart diese Bezeichnung sehr anschaulich ihren überall relativen Charakter. 

Die soziale Einheit ist ein gradueller Begriff, und wenn eine Regulierungsform durch eine bestimmte Quantität des Kreises gefordert wird, so kann sie bei verschiedener Quantität die gleiche und bei gleicher Quantität eine verschiedene sein, wenn das Maß der Einheit, das sie trägt und von dem sie getragen wird, ein verschiedenes ist. 

Die Bedeutung der numerischen Verhältnisse wird also gar nicht durchbrochen, wenn ein grosser Kreis wegen seiner besonderen Aufgaben auf die Rechtsform seiner Normen ebenso verzichten kann oder muss, wie es sonst nur einem kleinen möglich ist. 

Jene ungefügen Staatsgebilde der germanischen Frühzeit besaßen eben noch nicht die Kohäsion der Elemente, die, an großen Gruppen bestehend, ebenso Ursache wie Wirkung ihrer Rechtsverfassungen ist; und ebenso stellen sich in den kollektiven wie individuellen Beziehungen zwischen den modernen Staaten gewisse Normen in der bloßen Form der Sitte her, weil es hier an der Einheit über den Parteien mangelt, die der Träger einer Rechtsordnung ist, und die in einem kleinen ebenso wie in einem lockreren Kreise durch die unmittelbareren Wechselwirkungen von Element zu Element ersetzt wird; diesen aber gerade entspricht die Sitte als Regulierungsform. 

So also bestätigen gerade die scheinbaren Ausnahmen die Korrelation, die sich zwischen Sitte und Recht auf der einen und den Quantitäten der Kreise auf der andern Seite ergab.

Es liegt nun auf der Hand, dass die Begriffe: grosser und kleiner Kreis — von ausserordentlicher wissenschaftlicher Roheit sind, durchaus unbestimmt und verschwimmend und eigentlich nur anwendbar, um überhaupt die Abhängigkeit des soziologischen Formcharakters einer Gruppe von ihren Quantitätsbestimmungen nahe zu legen — nicht aber, um irgendwie genauer die wirkliche Proportion zu zeigen, die zwischen dem ersteren und den letzteren besteht.

Dennoch ist es vielleicht nicht für alle Falle ausgeschlossen, diese Proportion exakter zu erkennen. In die bisher betrachteten Formungen und Beziehungen freilich genaue Zahlenwerte einzusetzen, wäre ersichtlich für jede absehbare Entwicklung unseres Wissens ein völlig phantastisches Unternehmen; aber in bescheideneren Grenzen lassen sich doch schon jetzt Züge derjenigen Vergesellschaftungen anführen, die zwischen einer begrenzten Zahl von Personen stattfinden und durch diese Begrenzung charakterisiert werden.

Als Uebergänge aus der völligen numerischen Unbestimmtheit zu der völligen numerischen Bestimmtheit erwähne ich einige Fälle, in denen die letztere zwar prinzipiell schon von einiger soziologischer Bedeutung ist, aber ohne dass eine Fixierung derselben im einzelnen erfolgte.

1. Die Zahl wirkt als Einteilungsprinzip der Gruppe, d. h. es werden Teile derselben, die durch Abzählung her. gestellt sind, als relative Einheiten behandelt.

Die besonderen Bedeutungen einzelner Zahlen hierfür erörtere ich später und hebe hier ( ->46) nur das Prinzip hervor. 

Dass eine Gesamtgruppe, die sich irgendwie als eine fühlt, sich überhaupt einteilt, und zwar nicht nur von oben nach unten, nach dem Masse von Herrschen und Beherrschtwerden, sondern auch innerhalb ihrer koordinierten Glieder—das ist einer der ungeheuersten Fortschritte der Menschheit; es ist die anatomische Struktur, mit der die höheren, organisch-sozialen Prozesse fundamentiert werden.

Die Einteilung kann nun von der Abstammung ausgehen oder von gewillkürten Schwurgenossenschaften oder von der Gleichartigkeit der Beschäftigungen oder von der Zusammenfassung nach lokalen Bezirken; diesen Prinzipien schliesst sich das numerische an, das die Masse der vorhandenen Männer oder Familien durch eine bestimmte Zahl dividiert und so lauter quantitativ gleiche Unterabteilungen gewinnt, zu jeder von denen sich das Ganze ungefähr so verhält, wie sie selbst zu ihren Individuen.

Nun ist dies Prinzip freilich so schematisch, dass es sich zu seiner Verwirklichung noch ein konkreteres heranziehen muss: die zahlgleichen Abteilungen waren aus einander irgendwie Nahestehenden: Verwandten, Freunden, Nachbarn zusammengesetzte, aus entweder Gleichen oder durch Ungleichheit sich Ergänzenden.

Das Entscheidende aber ist, dass die numerische Gleichheit das Formprinzip der Einteilung ausmacht —wenngleich es niemals allein entscheidet, sondern nur eine von der grössten bis zur kleinsten wechselnde Rolle spielt.

Nomadische Stämme z. B. haben überhaupt oft mangels sonstiger stabiler Lebensinhalte kaum eine andere Möglichkeit, sich zu organisieren, als nach dem Zahlprinzip; seine Bedeutung für eine auf dem Marsch befindliche Menge bestimmt noch heute den Aufbau des Militärs.

Sie setzt sich naturgemäss darin fort, dass oft bei der Aufteilung eines eroberten oder der Kolonisation eines neu entdeckten Landes—wo es also vorerst noch an sachlichen Massstäben der Organisierung fehlt — das Prinzip der Zusammenschliessung nach zahlgleichen Abteilungen obenan steht; z. B. die älteste Verfassung von Island ist davon beherrscht.

In sehr reiner Art hat die Reform des Kleisthenes mit diesem Prinzip eine der grössten sozialgeschichtlichen Neuerungen vollbracht.

Als er den Rat von 500 Mitgliedern einsetzte, je 50 aus jeder der 10 Phylen, erhielt jeder Demos eine seiner Kopfzahl entsprechende Zahl von Ratsherrnstellen.

Der rationale Gedanke, eine Vertretungskörperschaft aus der Gesamtgruppe rein nach dem Zahlprinzip herzustellen, tritt hier als die höhere Entwicklungsstufe über die typische >Hundertschaft<—von der nachher zu sprechen ist—und benutzt zum ersten Male das Mittel der rein numerischen Einteilung, um die Regierungseinheit als das Symbol der Bevölkerung funktionieren zu lassen.

2. Während es sich bisher um Zahlgleichheit verschiedener Abteilungen handelt, kann die Zahl weiterhin benutzt werden, um aus einer Gesamtgruppe einen einzelnen, und zwar führenden Kreis von Personen zu charakterisieren.

So benannte man vielfach die Zunftvorsteher nach ihrer Zahl: in Frankfurt hiessen sie bei den Wollwebern die Sechse, bei den Bäckern die Achte; im mittelalterlichen Barcelona hiess der Senat die Einhundert usw. Es ist äusserst merkwürdig, ( ->47) wie mit dem an sich Unbezeichnendsten, der gegen jede Qualifikation völlig gleichgültigen Zahl, gerade die hervorragendsten Persönlichkeiten bezeichnet werden.

Die Voraussetzung dafür scheint mir, dass mit einer Zahl, etwa mit sechs, ja nicht 6 einzelne, isoliert nebeneinanderstehende Elemente gemeint sind, sondern eine Synthese dieser; sechs ist nicht 1 und 1 und 1 usw., sondern ein neuer Begriff, der sich aus dem Zusammenkommen dieser Elemente ergibt und nicht pro rata in jedem derselben für sich realisiert ist.

Ich bezeichne in diesem Buche die lebendige, funktionelle Wechselwirkung von Elementen oft als ihre Einheit, die sich über ihrer blossen Summe und im soziologischen Gegensatz zu dieser erhübe.

Hier aber ist bei der Benennung einer Vorsteherschaft, eines Ausschusses u. a. mit der blossen Summe in Wirklichkeit jenes funktionelle Zusammen gemeint, und sie ist als Benennung eben dadurch möglich, dass die Zahl auch schon eine Einheit aus Einheiten bedeutet.

Die Sechse sind in dem angeführten Falle doch nicht durch einen homogenen Kreis hin verstreut, sondern sie bedeuten eine bestimmte und feste Gliederung des Kreises, durch welche sechs Personen aus ihm hervorgehoben werden und zu einer führenden Einheit zusammenwachsen.

Das charakterlos Impersonale der Benennung durch die Zahl ist hier gerade äusserst charakteristisch; denn sie bezeichnet entschiedener, als irgendein weniger formaler Begriff es konnte, dass hiermit keine Individuen als Personen gemeint sind, sondern dass es ein rein soziales Gebilde ist: die Struktur des Kreises fordert eine bestimmte Quote desselben als Führerschaft, in dem rein numerischen Begriff liegt die reine Objektivität der Formung, die gegen alles Persönliche des einzelnen Mitgliedes gleichgültig ist und nur verlangt, dass es eben eines von den Sechsen ist.

Es gibt vielleicht gar keinen wirkungsvolleren Ausdruck, um mit der sozialen Hochstellung von Individuen zugleich die völlige Irrelevanz dessen, was sie als Personen ausserhalb dieser Funktion sind, auszudrücken.

Die Gruppierungseinheit, die sich in der Zusammenfassung von Elementen zu einer höheren Zahl offenbart, wird besonders stark durch eine scheinbare Gegeninstanz betont. Jener Senat von Barcelona, der die Einhundert hiess, hatte schliesslich in Wirklichkeit mehr und bis zu 200 Mitgliedern, ohne darum seinen Namen zu ändern.

Dieselbe Erscheinung tritt auf, wenn die Zahl nicht als Hervorhebungs-, sondern als Einteilungsprinzip wirkt. Wo die nachher zu behandelnde Einteilung der Bevölkerung nach Hundertschaften bestand, wurde wohl nirgends auf genaue Einhaltung dieser Mitgliederzahl der Abteilung gehalten.

Von den altgermanischen Hundertschaften wird dies ausdrücklich berichtet. Die Zahl wird hier also unmittelbar zum Synonym des sozialen Gliedes, das zuerst gerade einen solchen Kreis von Einzelnen einschloss oder einschliessen sollte.

Dies unscheinbare Faktum zeigt die ungeheure Bedeutung der Zahlbestimmtheit für die Struktur der Gruppe. Die Zahl wird sogar von ihrem arithmetischen Inhalt unabhängig, sie zeigt nur, dass die Relation der Glieder zu dem Ganzen eine numerische ist, oder: die stabil gewordene Zahl vertritt dies Relation. ( -> 48)

Es bleibt gleichsam die Idee der Abteilung, aus hundert Elementen zu bestehen, während die empirischen Verhältnisse diese nur mehr oder weniger genau verwirklichen.

Wenn man von den germanischen Hundertschaften gesagt hat, sie sollten eben nur eine unbestimmt grosse Vielheit zwischen den einzelnen und der Allheit der Genossen ausdrücken—so bezeichnet dies gerade den behaupteten soziologischen Typus: das Leben der Gruppe fordert eine Mittelinstanz zwischen dem Einen und den Allen, einen Träger bestimmter Funktionen, die weder jener noch diese leisten können, und das zu diesen Aufgaben designierte Gebilde wird eben nach seiner numerischen Bestimmtheit benannt.

Nicht die Funktionen geben den Namen, weil sie mannigfaltige und abwechselnde sind, das Bleibende ist nur die Zusammengefasstheit eines aliquoten Teiles der Gesamtheit zu einer Einheit. Wie gross dieser Teil jedes Mal ist, mag ungewiss sein; die dauernde Zahlbenennung zeigt, dass das numerische Verhältnis überhaupt als das Wesentliche empfunden wurde.

Es tritt damit auf sozialem Gebiet ein Vorgang auf, dessen psychologische Form sich auch anderwärts zeigt. Die russischen Münztypen sollen von einem alten Gewichtssystem abgeleitet sein, derart, dass jeder höhere Typus das Zehnfache des niederen enthielt.

Tatsächlich aber wechselten häufig nicht nur die absoluten, sondern auch die relativen Metallgehalte der Münzen— wobei aber ihre Wertverhältnisse, nachdem sie einmal in die numerische Ordnung gebracht waren, doch konstant blieben.

Während also die realen Metallwertrelationen sich verschieben, wird der Dienst, den sie dem Verkehr durch die Konstanz dieser Nennwertrelationen zu leisten haben, damit markiert, dass die historisch ersten Gewichtsverhältnisse dauernd Namen und Symbol für diese letzteren abgeben.

Auch sonst wird die Zahl zum Vertreter der Sache, die sie zählt, und dann wird das Wesentliche: dass es sich um eine Relation zwischen dem Ganzen und einem Teile handelt, dadurch bezeichnet, dass der Zahlbegriff der frühesten Relationen alle späteren Änderungen deckt.

So hiess die Steuer von Metallschürfungen in Spanien im 16. Jahrhundert der Quinto, weil sie ein Fünftel des Wertes betrug; und sie behielt diesen Namen später auch bei ganz andren Proportionen.

So kam das Wort Zehnt schon bei den alten Israeliten und sonst vielfach zu der Bedeutung von Abgabe schlechthin — wie Hundertschaft zu der von Abteilung schlechthin.

Dass die quantitative Relation, die ebenso das Wesen der Steuer wie der sozialen Einteilung ist, psychologisch über ihre inhaltliche Besonderheit Herr geworden ist, erweist sich am entschiedensten daran, dass die ursprüngliche numerische Bestimmung zur Bezeichnung aller Modifikationen des Verhältnisses kristallisiert.
3. Die Zahlbestimmtheit als Organisationsform nimmt innerhalb der gesellschaftlichen Entwicklung eine typische Stelle ein.

Es tritt nämlich die numerische Einteilung historisch als Ersatz des Sippschaftsprinzips auf.

Es scheint, dass an vielen Stellen die Gruppen zuerst aus verwandtschaftlich zusammengehaltenen Untergruppen bestanden hätten, deren jede in wirtschaftlicher, strafrechtlicher, ( -> 49) politischer und andrer Hinsicht eine Einheit bildete, dass diese innerlich sehr wohl begründete Organisation durch die Zusammenschweissung von je zehn oder hundert Männern zu eben jenen solidarischen Leistungen ersetzt wurde—kann zuerst als eine wunderliche Veräusserlichung, eine des inneren Lebens ganz entbehrende Schematisierung erscheinen.

Man würde auch in den immanenten zusammenhaltenden Prinzipien dieser Gruppe vergebens nach einer Rechtfertigung dafür suchen, dass jenes wurzelhaft-organische durch dieses mechanisch-formalistische abgelöst wurde.

Der Grund dafür kann vielmehr nur in dem Ganzen liegen, das sich aus solchen Abteilungen zusammensetzt und Forderungen stellt, die den Lebensprinzipien seiner Teile gegenüber selbständig sind.

In dem Mass, in dem das Ganze als Einheit inhaltreicher und kräftiger wird verlieren die Teile — wenigstens zunächst und unterhalb der höchsten Entwicklungsstufe—ihre eigene Bedeutung; sie geben den Sinn, den sie in und für sich selbst besassen, an das Ganze ab und sind jetzt um so zweckmässiger, je weniger eine sich selbst genügende Idee in jedem von ihnen lebt, und je mehr sie als charakterlose Teile nur durch ihren Beitrag zum Ganzen eine Position und Bedeutsamkeit zurückempfangen.5)

Bei gewissen vervollkommnetsten Typen der Entwicklung trifft dies nicht zu. es gibt soziale Gebilde, die gerade bei erheblichster Grösse und vollkommenster Organisation dem individuellen Element die grösste Freiheit gewähren können, sich nach besonderen Normen und in eigensten Formen auszuleben; andrerseits solche, die gerade erst unter der Bedingung des gesteigertsten und differenziertesten Eigenlebens ihrer Elemente die höchste Gesamtkraft erreichen.

Der Uebergang von der Sippschaft zur Hundertschaft aber scheint jenes mittlere Stadium zu bezeichnen, in dem die innere Sinn- und Charakterlosigkeit der Glieder einen Fortschritt für das Ganze bedeutet; denn nur so waren sie unter den gegebenen Umständen leicht überschaubar, nach einfachen Normen lenkbar und ohne jenen Widerstand gegen die Zentralgewalt, der sich bei stärkerer innerer Zusammengehörigkeit jeder Untergruppe gar zu leicht einstellt.

Wo die Verfassung oder Aktion der Gruppe zahlenmässig bestimmt ist — von der alten Hundertschaft bis zu der modernen Herrschaft der Majoritäten—liegt eine Vergewaltigung der Individualität vor; es ist ein Punkt, an dem die tiefe innere Diskrepanz zwischen dem eigentlich demokratischen und dem liberal-individualistischen Gesellschaftsgedanken sehr rein in die Erscheinung tritt.

Dass man mit dieser ohne jede Rücksicht auf die Besonderheiten der darin befassten Individuen operiert; dass man die Stimmen zählt und nicht wägt; dass Einrichtungen, Gebote und Verbote, Leistungen und Gewährungen, von vornherein auf eine bestimmte Anzahl von Personen festgelegt sind—das ist entweder despotisch oder demokratisch, in jedem Fall aber eine Herabsetzung des eigentlichen und ganzen Inhaltes der Einzelpersönlichkeit auf die formale Tatsache, (->50) dass sie eben eine ist; indem sie eine Stelle in einer nur durch die Zahl bestimmten Organisation einnimmt, ist ihr Charakter als Glied der Gruppe völlig Herr über ihren individuell differenzierten Charakter geworden.

Mag die Einteilung in numerisch gleiche Untergruppen nun so roh und in der Praxis fortwährend modifiziert sein wie in den Hundertschaften der Germanen, der Peruaner, der Chinesen, oder so verfeinert, zweckmässig und exakt wie in einer modernen Armee — immer zeigt sie aufs klarste und unbarmherzigste die für sich seiende Formgesetzlichkeit der Gruppe, dort als neu auftauchende Tendenz, die noch mit anders gerichteten in stetem Krampf und Kompromiss stand, hier in absoluter Durchgesetztheit.

Das Ueberindividuelle der Gruppierung, die völlige Verselbständigung ihrer Form gegenüber jedem Inhalt der Einzelexistenz, lebt nirgends absoluter und nachdrücklicher, als in der Reduktion der Organisationsprinzipien auf rein arithmetische Verhältnisse; und das Mass der Annäherung an diese, wie es sehr mannigfaltig in den verschiedensten Gruppen auftritt, ist zugleich das Mass, in dem der Gruppierungsgedanke in seiner abstraktesten Form der Individualität seiner Faktoren aufgesogen hat.

4. Endlich knüpfen sich wichtige soziologische Folgen an numerische Bestimmtheit—wenngleich die wirksamen Quantitäten der Elemente je nach den Umständen ganz verschiedene sein können,—gelegentlich eines Typus, den die "Gesellschaft" im Sinne der modernen Geselligkeit exemplifiziert.

Wie viel Personen muss man einladen, damit es eine "Gesellschaft" sei?

Die qualitativen Beziehungen zwischen Wirt und Gästen entscheiden darüber ersichtlich nicht; und die Einladung von zwei oder drei Personen, die uns völlig formell und innerlich beziehungslos, bringt noch keine »Gesellschaft« zustande—während dies doch geschieht, wenn wir etwa die fünfzehn uns nächstbefreundeten Menschen zusammenladen.
Die Zahl bleibt immer das Entscheidende, obgleich ihre Grosse im einzelnen Falle natürlich von der Art und der Enge der Relationen zwischen den Elementen abhängig ist.

Die drei Umstände: die Beziehungen des Wirtes zu jedem der Gäste für sich, die der Gäste untereinander, die Art, wie jeder Teilnehmer alle diese Beziehungen subjektiv empfindet - —bilden die Basis, auf der nun die Teilnehmerzahl entscheidet, ob eine Gesellschaft oder ein blosses Beisammensein — freundschaftlicher oder sachlich-zweckbestimmter Art — vorliegt.

Es bringt hier also jedesmal eine numerische Modifikation einen sehr sicher empfundenen Umschlag in eine ganz besondere soziologische Kategorie hervor—so wenig das Mass dieser Modifikation mit unseren psychologischen Mitteln festzulegen ist.
Aber wenigstens die qualitativ-soziologischen Folgen der quantitativen Veranlassung sind einigermassen beschreibbar.

Zunächst fordert die »Gesellschaft« einen ganz spezifischen äusseren Apparat. Wer aus einem Bekanntenkreise von etwa 30 Personen immer je einen oder zwei einlädt, mag »gar keine Umstände machen«.

Lädt er aber alle 30 zu gleicher Zeit ein, so entstehen sofort ganz neue Ansprüche in bezug auf Essen, Trinken, ( -> 51) Toilette, Formen des Benehmens, ein ausserordentlich gesteigerter . Aufwand nach der Seite des sinnlich Reizvollen und Geniessbaren.
Dies ist ein sehr reines Beispiel dafür, wie erheblich das blosse Massebilden das Niveau der Persönlichkeiten sinkt.

In einem Zusammensein ganz Weniger ist eine derartige gegenseitige Anpassung möglich, die Gemeinsamkeiten, die den Inhalt ihrer Geselligkeit ausmachen, können so umfassende oder so hoch gelegene Teile ihrer Individualitäten einschliessen, dass das Beisammen den Charakter der Geistigkeit, der differenzierten und höchst entwickelten seelischen Energien trägt.

Je mehr Personen zusammenkommen, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie in jenen wertvolleren und intimeren Wesensseiten koinzidieren, desto tiefer muss der Punkt gesucht werden, der ihren Antrieben und Interessen gemeinsam ist.6)
In demselben Masse aber, in dem die Quantität der Elemente dem höheren Individuell-Seelenhaften keine Stätte mehr gibt, muss man das Manko dieser Reize durch Steigerung der äusserlichen und sinnlichen auszugleichen suchen.

Zwischen der Vielheit festlich zusammenbefindlicher Personen und dem Luxus, der blossen Sinnenfreude ihres Zusammen hat stets ein engster Konnex bestanden; ausgangs des Mittelalters z. B. nahm der Luxus bei Hochzeiten schon nur durch das Gefolge, das die Brautpaare begleitete, so zu, dass die Behörden unter ihren Luxusgesetzen manchmal genau verordneten, aus wie vielen Personen höchstens die Begleitung bestehen dürfte.

Wenn Essen und Trinken von jeher das Vereinigungsmittel weiter Kreise ist, für die eine einheitliche Stimmung und Interessiertheit andrer Richtung schwer erreichbar wäre, so wird nun eine »Gesellschaft« rein wegen ihres Quantitätsmomentes, das die Gemeinsamkeit und Wechselbeziehung der feineren und geistigeren Stimmungen ausschliesst, diese sensuellen und deshalb mit grösserer Sicherheit Allen gemeinsamen Freuden um so stärker betonen müssen.

Eine weitere Charakteristik der »Gesellschaft« auf Grund ihrer numerischen Differenz gegen das Beisammensein Weniger liegt darin, dass eine völlige Einheitlichkeit der Stimmung wie bei den letzteren überhaupt nicht erreicht werden kann und auch nicht soll, dass dagegen, zu weiterem Unterschied, die Bildung von Teilgruppen nahe gelegt ist.

Das Lebensprinzip eines freundschaftlichen Beisammenseins weniger Personen widerstrebt aufs äusserste ( ->52) der Aufteilung etwa in zwei Sonderstimmungen, ja auch nur Sondergespräche, die "Gesellschaft" ist in dem Augenblick da wo statt ihres unbedingt einen Zentrums eine Doppelbett entsteht: einerseits eine allgemeine, aber nur ganz lockere Zentralität, die im wesentlichen nur äusserlich, ja räumlich fundiert ist — weshalb denn Gesellschaften der gleichen sozialen Schicht, je grösser sie sind, um so mehr als Ganze einander gleichen, so mannigfaltig auch ihr Personenwechsel sei; andrerseits spezielle kleine Zentren gemeinsamer Unterhaltung, Stimmung, Interessiertheit, die aber ihre Teilnehmer unaufhörlich austauschen.

Dadurch entsteht jener fortwährende Wechsel von Engagiertheit und Lösung in der grossen Gesellschaft, der je nach dem Naturell des Subjektes bald als die unerträglichste Oberflächlichkeit, bald als ein spielender Rhythmus von hohem ästhetischem Reize empfunden wird.

Diesen formal- soziologischen Typus zeigt der Ball mit der Art des modernen Tanzes in ganz reinem Beispiel: eine momentane Beziehung je eines Paares von eigentlich wunderlicher Enge, zu einem ganz neuen Gebilde durch steten Wechsel unter den Paaren gestaltet; jene physische Enge zwischen einander ganz fremden Personen einerseits dadurch ermöglicht, dass alle die Gäste eines Wirtes sind, der, so locker das Verhältnis zu ihm sein mag, eine gewisse gegenseitige Sicherung und Legitimierung gewährt, andrerseits durch den unpersönlichen, sozusagen anonymen Charakter der Beziehungen, den die Grösse der Gesellschaft und der mit ihr verbundene Formalismus des Benehmens ergibt.

Ersichtlich sind diese Züge der grossen Gesellschaft, die der Ball gleichsam in Sublimierung, ja vielleicht in Karikatur darstellt, an eine bestimmte Mindestzahl von Teilnehmern gebunden; und man kann manchmal die interessante Beobachtung machen, dass ein intimer Kreis weniger Personen durch eine einzige hinzukommende den Charakter der »Gesellschaft« erhält.

In einem Falle, der freilich ein weit weniger kompliziertes Menschenmaterial betrifft, scheint die Zahl, die ein bestimmtes soziologisches Einheitsgebilde erzeugt, etwas fester gelegt.
Die patriarchalische Hausfamilie zählt in den verschiedensten Gegenden immer 20 bis 30 Köpfe, und zwar auch unter ganz ungleichen ökonomischen Bedingungen, so dass diese nicht oder wenigstens nicht ausschliesslich die Zahlgleichheit verursachen können.

Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass die inneren Wechselwirkungen, die das besondere Gebilde der Hausfamilie ausmachen, die für dieses erforderten Proportionen von Enge und Weite nur gerade innerhalb jener Grenze erzeugen. Ueberall war die patriarchalische Familie durch eine grosse Intimität und Solidarität charakterisiert, die in dem pater familias ihr Zentrum hatte, durch die Bevormundung, die dieser sowohl im Interesse des Ganzen wie in seinem egoistischen über die Angelegenheiten jedes einzelnen übte.

Daraus ergab sich die obere Grenze: diese Art des Zusammenhanges und der Kontrolle scheint auf der entsprechenden psychologischen Ausbildungsstufe keine grössere Anzahl von Elementen umfassen zu können.

Die untere Grenze andrerseits folgt daraus, dass eine so auf sich angewiesene Gruppe zu ihrem Sich-selbst-genügen und ihrer Erhaltung (-> 53) gewisse kollektiv-psychische Tatsachen ausbilden muss, die sich nun einmal nur oberhalb einer gewissen Zahlgrenze einzustellen pflegen: die Entschlossenheiten zu Offensive und Defensive, das Vertrauen eines jeden, die ihm nötigen Stützen und Ergänzungen jederzeit zu finden, vor allem: die religiöse Stimmung, deren Erhobenheit und Vergeistigung sich erst aus der Mischung vieler Beiträge, unter gegenseitiger Auslöschung ihres individuellen Sondercharakters, über den Einzelnen—oder: den Einzelnen über sich selbst — erhebt.
Die genannte Zahl hat vielleicht erfahrungsmässig den ungefähren Spielraum angegeben, über den und unter den die Gruppe nicht gehen konnte, wenn sie die Charakterzüge der patriarchalischen Hausfamilie ausbilden wollte.

Es scheint, als ob mit wachsender Individualisierung, jenseits dieser Kulturstufe, jene Intimitäten nur unter einer immer geringeren Personenzahl möglich wären, die Erscheinungen andrerseits, die an die Grösse der Familie appellierten, gerade einen immer wachsenden Kreis erforderten.

Die Bedürfnisse, die sich dort von oben und von unter her gerade an diesem numerischen Material realisierten, haben sich differenziert, ein Teil fordert ein kleineres, ein anderer ein grösseres, so dass sich später kein Gebilde mehr findet, das ihnen in derselben einheitlichen Weise wie jenes genugtun kann.

Abgesehen von solchen singulären Fällen haben alle derartigen Fragen, deren Typus das numerische Erfordernis für eine »Gesellschaft« ist, einen sophistischen Ton: wie viel Soldaten eine Armee ausmachen, wie viel Teilnehmer nötig sind, um eine politische Partei zu bilden, wie viel Mittuende zu einem Auflauf gehören. Sie scheinen die klassische Rätselfrage zu wiederholen: wie viel Weizenkörner einen Haufen geben?

Denn da ein, zwei, drei, vier Körner es noch keineswegs tun, tausend aber jedenfalls, so müsse doch zwischen diesen Zahlen eine Grenze liegen, an der das Hinzufügen eines einzigen Kornes die bisherigen zu einem »Haufen« ergänze; macht man aber diesen Versuch des Weiterzählens, so zeigt sich, dass niemand diese Grenze anzugeben vermag.

Der logische Grund dieser Schwierigkeiten liegt darin, dass eine quantitative Reihe gegeben ist, die wegen der relativen Geringfügigkeit jedes einzelnen Elementes als kontinuierliche, absatzlos aufsteigende erscheint, und dass diese von irgendeinem Punkte an die Anwendung eines qualitativ neuen, gegen den bisher angewandten sich unbedingt scharf absetzenden Begriffes gestatten soll. Dies ist offenbar ein widerspruchsvolles Verlangen: das Kontinuierliche kann eben seinem Begriffe nach nicht rein aus sich heraus einen plötzlichen Absatz und Umschlag rechtfertigen.

Die soziologische Schwierigkeit hat aber noch eine Komplikation, die jener der antiken Sophistik fern liegt. Denn unter dem »Haufen« von Körnern versteht man entweder eine Aufhäufung, und dann ist man zu jener Benennung logisch berechtigt, sobald überhaupt nur eine Schichtung über die unterste Lage hinaus eintritt; oder es soll damit nur ein Quantum bezeichnet werden, dann wird von einem Begriffe wie Haufen, der seinem Wesen nach ganz schwankend und unbestimmt ist, ungerechterweise verlangt, dass er seine Anwendung nur auf ganz bestimmte, (-> 54) unzweideutig begrenzte Realitäten dulden solle.

In jenen soziologischen Fällen aber treten bei gewachsener Quantität spezifisch neue Gesamterscheinungen auf, die bei niedrigerer nicht einmal pro rata vorhanden scheinen: eine politische Partei hat qualitativ andre Bedeutung als eine kleine Clique, einige zusammenstehende Neugierige zeigen andre Züge als ein »Auflauf« usw.

Die Unsicherheit, die diesen Begriffen aus der Unmöglichkeit, die entsprechenden Quanten numerisch festzulegen, kommt, lässt sich vielleicht auf folgende Weise beheben. Jenes Schwanken betrifft ersichtlich nur gewisse mittlere Grössen; gewisse niedere Zahlen bilden sicher noch nicht die fraglichen Kollektivitäten, gewisse ganz hohe bilden sie ganz fraglos.

Nun haben schon jene numerisch geringfügigeren Gebilde soziologische, für sie bezeichnende Qualitäten: die Zusammenkunft, die noch jenseits der »Gesellschaft« steht, der Soldatentrupp, der noch keine Armee ausmacht, die kooperierenden Spitzbuben, die noch keine »Bande« sind. 

Indem diesen Qualitäten nun die andern, für die grosse Gemeinschaft ebenso wenig zweifelhaften gegenüberstehen, lässt sich der Charakter der numerisch Dazwischenstehenden als aus beiden zusammengesetzt deuten—so dass jeder von beiden rudimentär in einzelnen Zügen sich fühlbar macht, bald auftaucht, bald verschwindet oder latent wird.

Indem also derartige, in der mittleren numerischen Zone gelegene Gebilde auch objektiv an dem entschiedenen Charakter der darunter und der darüber gelegenen partiell oder abwechselnd teilhaben, erklärt sich die subjektive Unsicherheit in der Bestimmung darüber, welchen von beiden sie angehören.

Es handelt sich also nicht darum, dass in einem soziologisch qualitätlosen Gebilde plötzlich, wie der Kristall in der Mutterlauge, eine ganz bestimmte soziologische Konstellation anschiessen soll, ohne dass man aber den Moment dieses Umschlages anzugeben wüsste; sondern darum, dass zwei verschiedenartige Formungen, jede aus einer Anzahl von Zügen bestehend und vielfach qualitativ abstufbar, sich unter gewissen quantitativen Bedingungen an einem sozialen Gebilde begegnen und es in mannigfaltigen Massen unter sich aufteilen; so dass die Frage, welcher von beiden es angehört, gar nicht an den Erkenntnisschwierigkeiten kontinuierlicher Reihen leidet, sondern einfach eine sachlich falsch gestellte ist.3)

(->55) Diese Ausmachungen also betrafen soziale Formungen, welche zwar von der Zahl der zusammenwirkenden Elemente abhängen, aber ohne dass unserem Erkennen diese Abhängigkeit hinreichend formulierbar wäre, um aus einzelnen bestimmten Zahlen ihre soziologischen Konsequenzen zu ziehen.
Indes ist dieses letztere nicht schlechthin ausgeschlossen, falls wir nur mit hinreichend einfachen Gebilden vorlieb nehmen. Wenn wir mit der unteren Grenze der Zahlenreihe beginnen, erscheinen arithmetisch bestimmte Grossen als eindeutige Voraussetzungen charakteristischer soziologischer Bildungen.

Die numerisch einfachsten Gestaltungen, die überhaupt noch als soziale Wechselwirkungen bezeichnet werden können, scheinen sich zwischen je zwei Elementen zu ergeben.

Dennoch gibt es ein äusserlich angesehen noch einfacheres Gebilde, das unter soziologische Kategorien gehört; nämlich — so paradox und eigentlich widerspruchsvoll es scheint —den isolierten Einzelmenschen.

Tatsächlich sind indes die Prozesse, die die Zweizahl der Elemente gestalten, oft einfacher, als die für die soziologische Charakterisierung der Einzahl erforderlichen.

Es handelt sich für diese letztere hauptsächlich um zwei hierher gehörige Erscheinungen: die Einsamkeit und die Freiheit.
Die blosse Tatsache, dass ein Individuum in keinerlei Wechselwirkung mit andren Individuen steht, ist freilich keine soziologische, aber sie erfüllt auch noch nicht den ganzen Begriff der Einsamkeit.

Dieser vielmehr, soweit er betont und innerlich bedeutsam ist, meint keineswegs nur die Abwesenheit jeder Gesellschaft, sondern gerade ihr irgendwie vorgestelltes und dann erst verneintes Dasein.

Ihren unzweideutig positiven Sinn erhält die Einsamkeit als Fernwirkung der Gesellschaft—sei es als Nachhallen vergangener oder Antizipation künftiger Beziehungen, sei es als Sehnsucht oder als gewollte Abwendung.

Der einsame Mensch ist nicht so charakterisiert, wie wenn er von jeher der einzige Erdbewohner wäre; sondern auch seinen Zustand bestimmt die Vergesellschaftung, wenn auch die mit negativem Vorzeichen versehene.

Das ganze Glück wie die ganze Bitternis der Einsamkeit sind doch nur verschiedenartige Reaktionen auf sozial erfahrene Einflüsse, sie ist eine Wechselwirkung, aus der das eine Glied nach Ausübung bestimmter Einflüsse real ausgeschieden ist (-> 56) und nur noch ideell im Geiste des andren Subjektes weiter lebt und weiter wirkt.

Sehr bezeichnend ist hierfür die bekannte psychologische Tatsache, dass das Einsamkeitsgefühl selten bei wirklichem physischem Alleinsein so entschieden und eindringlich auftritt, wie wenn man sich unter vielen physisch ganz nahen Menschen—in einer Gesellschaft, in der Eisenbahn, im grossstädtischen Strassengewühl—fremd und beziehungslos weiss.

Es ist für die Konfiguration einer Gruppe durchaus wesentlich, ob sie so beschaffene Einsamkeiten in ihrer Mitte begünstigt oder überhaupt ermöglicht Enge und intime Gemeinschaften gestatten oft keine derartigen, gleichsam luftleeren Interzellularräume in ihrer Struktur.

Wie man aber von einem sozialen Defizit spricht, das sich in bestimmten Proportionen zu den gesellschaftlichen Bedingungen erzeugt: die antisozialen Erscheinungen der Verkümmerten, der Verbrecher, der Prostituierten, der Selbstmörder—so erzeugt eine gegebene Quantität und Qualität des gesellschaftlichen Lebens eine gewisse Zahl von zeitweise oder chronisch einsamen Existenzen, die nur freilich die Statistik nicht so wie jene zahlenmässig feststellen kann.

In anderer Weise wird die Einsamkeit soziologisch bedeutsam, sobald sie nicht mehr aus einer in einem Individuum sich abspielenden Beziehung zwischen ihm und einer bestimmten Gruppe oder dem Gruppenleben im allgemeinen besteht, sondern als Pause oder periodische Differenzierung innerhalb eines und desselben Verhältnisses auftritt.

Dies wird an solchen wichtig, die ihrem Grundgedanken nach gerade auf dauernde Verneinung der Einsamkeit gerichtet sind, wie also vor allem die monogamische Ehe.

Soweit sich in dem Bau derselben die feinsten innerlichen Nuancen ausdrücken, ist es ein wesentlicher Unterschied, ob Mann und Frau bei dem vollkommenen Glück des Zusammenlebens sich doch noch die Freude an der Einsamkeit bewahrt haben, oder ob ihr Verhältnis niemals durch die Hingabe an diese unterbrochen wird—sei es, weil die Gewöhnung des Zusammenseins ihr den Reiz genommen hat, sei es, weil ein Mangel an innerer Sicherheit der Liebe derartige Unterbrechungen als Treulosigkeiten oder, schlimmer, als Gefahren für die Treue fürchten lässt.

So ist also die Einsamkeit, scheinbar eine auf das Einzelsubjekt beschränkte, in der Verneinung der Sozialität bestehende Erscheinung, doch von sehr positiv- soziolgischer Bedeutung: nicht nur von der Seite des Subjektes her, in dem sie als bewusste Empfindung ein ganz bestimmtes Verhältnis zur Gesellschaft darstellt, sondern auch durch die entschiedene Charakteristik, die ihr Vorkommen als Ursache wie als Wirkung sowohl umfänglichen Gruppen wie intimsten Verhältnissen verleiht.

Auch die Freiheit hat unter der Vielheit ihrer soziologischen Bedeutungen eine hierher gehörige Seite. Auch sie erscheint zunächst als die blosse Verneinung gesellschaftlicher Verbindung; denn jede Verbindung ist eine Bindung.

Der Freie bildet eben nicht mit andren zusammen eine Einheit, sondern ist eine solche für sich selbst. Nun mag es eine Freiheit geben, die in dieser blossen Beziehungslosigkeit, in der blossen Abwesenheit jeder Beschränkung durch andre Wesen besteht: ein christlicher oder indischer Eremit, (-> 57) ein einsamer Siedler im germanischen oder amerikanischen Walde mag eine Freiheit in dem Sinne geniessen, dass seine Existenz durchgehends von andren als sozialen Inhalten ausgefüllt ist; ebenso etwa ein Kollektivgebilde, eine Hausgemeinschaft oder ein Staatswesen, das völlig inselhaft existiert, ohne Nachbarn und ohne Beziehung zu andren Gebilden.

Für ein Wesen indes, das mit andren in Verbindung steht, hat Freiheit eine viel positivere Bedeutung. Sie ist eine bestimmte Art der Beziehung zu der Umgebung, eine Korrelationserscheinung, die ihren Sinn verliert, wenn kein Gegenpart da ist. Sie hat diesem gegenüber zwei für die tiefere Struktur der Gesellschaft äusserst wichtige Bedeutungen.

1. Für den sozialen Menschen ist Freiheit weder ein von vornherein gegebener, selbstverständlicher Zustand, noch ein ein für allemal erworbenes Eigentum von gleichsam substanzieller Festigkeit.

Schon deshalb nicht, weil jeder einzelne prinzipielle Anspruch, der überhaupt die Kraft des Individuums nach einer bestimmten Richtung hin engagiert, eigentlich die Tendenz hat, ins Unbegrenzte zu gehen; fast alle Beziehungen—staatliche, parteiliche, familiäre, freundschaftliche, erotische — stehen wie von selbst auf einer schiefen Ebene und spinnen ihre Forderungen, wenn man sie sich selbst überlässt, über den ganzen Menschen hin, sie werden, für das Gefühl oft unheimlich, von einer ideellen Sphäre umgeben, von der man eine Reserve ihnen entzogener Kräfte, Hingaben, Interessen erst ausdrücklich abgrenzen muss.

Es ist aber nicht nur die Extensität der Ansprüche, durch die der soziale Egoismus jeder Vergesellschaftung die Freiheit ihrer Elemente bedroht, sondern schon die Rücksichtslosigkeit, mit der auch der ganz einseitige und eingeschränkte Anspruch einmal bestehender Verbindungen auftritt.

Jede solche pflegt ihre Rechte mit voller Unbarmherzigkeit und Gleichgültigkeit gegen sonstige Interessen und Pflichten—mögen sie mit ihr harmonisch oder völlig unverträglich sein—geltend zu machen und beschränkt durch diesen Charakter ihres Auftretens die Freiheit des Individuums nicht minder als durch ihre quantitative Erstreckung.

Dieser Form unsrer Verhältnisse gegenüber zeigt sich Freiheit als ein fortwährender Befreiungsprozess, als ein Kampf nicht nur um die Unabhängigkeit des Ich, sondern auch um das Recht, selbst in der Abhängigkeit in jedem Augenblick mit freiem Willen zu beharren —als ein Kampf, der nach jedem Siege erneuert werden muss.

Die Ungebundenheit als negativ-soziales Verhalten ist also in Wirklichkeit fast niemals ein ruhender Besitz, sondern ein unaufhörliches Sichlösen aus Bindungen, die unaufhörlich das Fürsichsein des Individuums entweder real einschränken oder ideell einzuschränken streben, die Freiheit ist kein solipsistisches Sein, sondern ein soziologisches Tun, kein auf die Einzahl des Subjektes beschränkter Zustand, sondern ein Verhältnis, wenn auch freilich vom Standpunkt des einen Subjekts aus betrachtet.

2. Wie nach ihrer funktionellen, so ist die Freiheit auch nach ihrer inhaltlichen Seite hin etwas ganz andres als die Ablehnung von Beziehungen, als die Unberührtheit der individuellen Sphäre durch daneben gelegene. Das folgt aus dem sehr einfachen Gedanken, dass (->58) der Mensch doch nicht nur frei sein, sondern seine Freiheit auch zu etwas gebrauchen will.

Dieser Gebrauch aber ist grossenteils nichts andres als die Beherrschung und Ausnutzung andrer Menschen. Für das soziale, d. h. in ständigen Wechselbeziehungen mit andren lebende Individuum würde die Freiheit in unzähligen Fällen ganz ohne Inhalt und Zweck sein, wenn sie nicht die Erstreckung seines Willens auf jene andren ermöglichte oder ausmachte.

Sehr richtig bezeichnet unsre Sprache gewisse Brüskierungen und Vergewaltigungen damit, dass man sich »eine Freiheit gegen jemanden herausnimmt«, und ebenso haben viele Sprachen ihr Wort für Freiheit im Sinne von Recht oder Vorrecht verwandt.

Der bloss negative Charakter der Freiheit als einer Beziehung des Subjektes auf sich selbst ergänzt sich so nach beiden Seiten hin zu einem sehr positiven: die Freiheit besteht zum grossen Teil in einem Prozesse der Befreiung, sie erhebt sich über und gegenüber einer Bindung und findet erst als Reaktion gegen diese Sinn, Bewusstsein und Wert; und sie besteht nicht weniger aus einem Machtverhältnis zu andren, aus der Möglichkeit, sich innerhalb eines Verhältnisses zur Geltung zu bringen, aus der Verpflichtung oder Unterwerfung andrer, an der die Freiheit nun erst ihren Wert und ihre Verwertung findet.

Der auf das Subjekt an und für sich beschränkte Sinn der Freiheit ist so nur wie die Wasserscheide zwischen diesen beiden sozialen Bedeutungen ihrer: dass das Subjekt von andren gebunden ist und andre bindet.

Er schrumpft sozusagen auf null zusammen, Und den eigentlichen Sinn der Freiheit, auch wo sie als Qualität des einzelnen vorgestellt wird, doch als diese zweiseitige soziologische Beziehung zu enthüllen.

Da es nun so oft vielgliedrige und indirekte Konnexe sind, durch die Bestimmungen wie Einsamkeit und Freiheit dennoch als soziologische Beziehungsformen bestehen—so bleibt eben die methodisch einfachste soziologische Formation die zwischen zwei Elementen wirksame.

Sie gibt das Schema, den Keim und das Material für unzählige mehrgliedrige ab; obgleich ihre soziologische Bedeutung keineswegs nur auf ihren Ausdehnungen und Vermannigfaltigungen beruht. Vielmehr ist sie selbst schon eine Vergesellschaftung, an der nicht nur viele Formen einer solchen überhaupt sich sehr rein und charakteristisch verwirklichen, sondern die Beschränkung auf die Zweizahl der Elemente ist sogar die Bedingung, unter der allein eine Reihe von Beziehungsformen hervortritt.

Das typisch soziologische Wesen derselben offenbart sich dann daran, dass nicht nur die grösste Vielfältigkeit der Individualitäten und der vereinigenden Motive die Gleichheit dieser Formungen nicht alteriert, sondern dass eben diese sich gelegentlich ebenso zwischen je zwei Gruppen — Familien;, Staaten, Verbindungen verschiedener Art—wie zwischen je zwei Einzelpersonen ergeben.

Die besondere Charakterisierung eines Verhältnisses durch die Zweizahl der Teilnehmer zeigen ganz alltägliche Erfahrungen: wie ganz anders ein gemeinsames Los, ein Unternehmen, ein Einverständnis, ein geteiltes Geheimnis zweier jeden der Teilnehmer bindet, als wenn auch nur drei daran teilhaben.
Vielleicht ist dies (-> 59) für das Geheimnis am charakteristischsten, indem die allgemeine Erfahrung zu zeigen scheint, dass dieses Minimum, mit dem das Geheimnis die Grenze des Fürsichseins überschreitet, zugleich das Maximum ist, mit dem seine Bewahrung einigermassen gesichert ist.

Eine geheime kirchlich-politische Gesellschaft, die sich anfangs des 19. Jahrhunderts in Frankreich und Italien bildete, hatte verschiedene Grade, derart, dass die eigentlichen Bundesgeheimnisse nur den höheren von diesen bekannt waren; besprochen aber durften sie immer nur zwischen je zwei Angehörigen jener Hochgrade werden.

Als so entscheidend also wird die Grenze der Zwei empfunden, dass sie, wo sie schon dem Wissen nach nicht eingehalten werden kann, doch dem Aussprechen nach bewahrt wird .

Ganz im allgemeinen nun wird der Unterschied der Zweierverbindung zu den mehrgliedrigen dadurch bestimmt, dass jenes Verhältnis, als Einheit aus seinen Individuen, zu jedem der Teilnehmer anders steht, als mehrgliedrige Gebilde zu den ihrigen.

So sehr es nämlich dritten gegenüber als selbständige, überindividuelle Einheit erscheinen mag, so ist das doch in der Regel für seine Teilnehmer nicht der Fall, sondern jeder sieht sich eben nur dem andern, aber nicht einer über ihn hinausreichenden Kollektivität gegenüber.

Das Sozialgebilde ruht unmittelbar auf dem einen und auf dem andern. 

Der Austritt jedes einzelnen würde das Ganze zerstören, so dass es nicht zu jenem überpersönlichen Leben desselben kommt, das der einzelne als von sich unabhängig fühlt; wogegen selbst schon bei einer Vergesellschaftung von dreien bei Ausscheiden eines einzelnen noch immer eine Gruppe weiter bestehen kann.

Diese Abhängigkeit der Zweiergruppen von der reinen Individualität des einzelnen Gliedes lässt die Vorstellung ihrer Existenz in näherer und fühlbarerer Weise von der ihres Endes begleitet sein, als es bei andern Vereinigungen der Fall ist, von denen jegliches Mitglied weiss, dass sie nach seinem Ausscheiden oder seinem Tode weiterexistieren können.

Wie nun das Leben des Individuums durch seine Vorstellung von seinem Tode in bestimmter Weise gefärbt wird, so auch das Leben der Vereinigungen. Unter »Vorstellung« ist hier nicht nur der theoretische, bewusste Gedanke verstanden, sondern ein Teil oder eine Modifikation unsres Seins.

Der Tod steht nicht wie ein Schicksal vor uns, das in irgendeinem Augenblick eintreten wird, vorher aber nur als Idee oder Prophezeiung, als Furcht oder Hoffnung da ist, ohne in die Realität dieses Lebens bis zu ihm hin einzugreifen.

Sondern, dass wir sterben werden, ist eine von vornherein dem Leben einwohnende Qualität, in all unsrer lebendigen Wirklichkeit ist etwas, was nachher als unser Tod nur seine letzte Phase oder Offenbarung findet: wir sind, von unsrer Geburt an, solche, die sterben werden.

Freilich sind wir es auf verschiedene Weise; nicht nur die Art, wie wir subjektiv diese Beschaffenheit und ihren Schlusseffekt vorstellen und auf ihn reagieren, ist verschieden, sondern die Art, wie sich dieses Element unsres Seins mit dessen andren Elementen verwebt, ist von äusserster Mannigfaltigkeit.

Und so ist es mit den Gruppen. Jede vielgliedrige Gruppe kann ihrer Idee nach unsterblich sein, und dies gibt jedem (- > 60) ihrer Mitglieder als solchem, mag es im Persönlichen zum Tode stehen wie es will, ein ganz bestimmtes soziologisches Gefühl. 4)

Dass aber eine Vereinigung von zweien zwar nicht ihrem Leben nach, aber ihrem Tode nach von jedem ihrer Elemente für sich allein abhängt,—denn zu ihrem Leben bedarf sie des zweiten, aber nicht zu ihrem Tode—das muss die innere Gesamtattitüde des Einzelnen zu ihr, wenn auch nicht immer bewusst und nicht immer gleichmässig, mitbestimmen.

Es muss diesen Verbindungen für das Gefühl einen Ton von Gefährdung und von Unersetzlichkeit geben, der sie zu dem eigentlichen Ort einerseits einer echten soziologischen Tragik, andrerseits einer Sentimentalität und elegischen Problematik macht.

Dieser Ton wird überall mitschweben, wo das Ende der Vereinigung in ihre positive Struktur organisch eingewachsen ist.

Aus einer nordfranzösischen Stadt wurde unlängst von dem seltsamen »Verein des zerbrochenen Tellers« berichtet.

Vor Jahren wären dort einige Industrielle zu einem Mahle vereinigt gewesen. 

Als während dessen ein Teller zur Erde fiel und zerbrach, bemerkte jemand zufällig, dass die Zahl der Splitter genau die der anwesenden Personen war— ein Omen, auf das hin diese sich zu einem Freundschaftsverein zusammenschlossen, in dem jeder dem andern Dienst und Hilfe schulden solle.

Jeder der Herren nahm einen Splitter des Tellers mit sich. Wenn einer von ihnen stirbt, so wird sein Porzellanscherben dem Vorsitzenden wieder zugestellt, der die ihm eingehändigten Stücke zusammenleimt.

Der letzte Ueberlebende soll dann das letzte Stück einfügen, und der somit wiederhergestellte Teller muss darauf verscharrt werden.

Der Verein des »zerbrochenen Tellers« ist damit endgültig aufgelöst und verschwunden.

Zweifellos wäre der Gefühlston innerhalb dieses Vereins und ihm gegenüber ein völlig veränderter, wenn neue Mitglieder zugelassen und damit sein Leben ins Unbestimmte perpetuiert würde.

Dass er von vornherein zu einem solchen designiert ist, der sterben wird, gibt ihm ein besonderes Cachet—das die Vereinigungen zu zweien eben von vornherein und durch die numerische Bedingtheit ihres Baues besitzen.

Aus dem gleichen strukturellen Grunde sind auch eigentlich nur Verhältnisse zu zweien der eigentümlichen Färbung oder Entfärbung, die wir als Trivialität bezeichnen, ausgesetzt.

Denn nur wo der Anspruch an eine Individualität der Erscheinung oder Leistung vorliegt, erzeugt deren Ausbleiben das Gefühl der Trivialität.

Es ist noch kaum hinreichend beobachtet, wie Verhältnisse, bei völlig ungeändertem Inhalt, durch die mitschwebende Vorstellung gefärbt werden, wie häufig oder wie selten gleich geartete sind.

Es sind keineswegs nur erotische Beziehungen, die durch die Vorstellung: ein solches Erlebnis habe es überhaupt noch nicht gegeben — einen besonderen und bedeutsamen Timbre, ganz über ihren sonst angebbaren Inhalt und Wert hinaus, bekommen.
Wie es vielleicht kaum einen Gegenstand äusseren Besitzes gibt, dessen Wert—nicht nur sein wirtschaftlicher Wert—nicht von der Seltenheit (-> 61) oder Häufigkeit von seinesgleichen bewusst oder unbewusst mitbestimmt würde, so ist auch vielleicht kein Verhältnis in seiner inneren Bedeutung für seine Träger von dem Faktor des Wie vielmal unabhängig; wobei dieses Wie vielmal auch die Repetitionen der gleichen Inhalte, Situationen, Erregungen innerhalb des Verhältnisses selbst bedeuten kann.

Mit der Empfindung der Trivialität begleiten wir ein gewisses Mass von Häufigkeit, von Bewusstsein der Wiederholtheit eines Lebensinhaltes, dessen Wert grade durch ein Mass von Seltenheit bedingt ist.

Nun scheint es, als ob das Leben einer überindividuellen gesellschaftlichen Einheit oder das Verhältnis des Einzelnen zu ihr sich dieser Frage überhaupt nicht stellte, als ob hier, wo der inhaltliche Sinn der Beziehung sich über die Individualität erhebt, auch ihre Individualität im Sinne der Einzigkeit oder Seltenheit keine Rolle spielte und ihr Ausbleiben deshalb nicht als Trivialität wirkte.

Dass den Verhältnissen zu zweien, der Liebe, der Ehe, der Freundschaft—oder auch solcher mehrgliedriger, die kein höheres Gebilde ergeben, wie oft die Geselligkeit—der Ton der Trivialität oft zur Verzweiflung und zum Verhängnis wird, beweist den soziologischen Charakter der Zweierformungen: sich an die Unmittelbarkeit der Wechselwirkung zu binden und jedem der Elemente die überindividuelle Einheit vorzuenthalten, die ihm gegenübersteht, indem es zugleich an ihr teil hat.

Dass das soziologische Geschehen so innerhalb des personalen Aufeinander-Angewiesenseins verbleibt, ohne zur Bildung eines, die Elemente überwachsenden Ganzen aus ihnen vorzuschreiten—wie es eben prinzipiell bei den Zweiergruppen vorliegt—, ist weiterhin die Basis der »Intimität«.

Diese Charakteristik eines Verhältnisses scheint mir auf die zunächst individuelle Neigung zurückzugehen: dass der Mensch gern dasjenige, was ihn von andern unterscheidet, das qualitativ Individuelle, als den Kern, Wert und Hauptsache seiner Existenz ansieht — eine keineswegs immer gerechtfertigte Voraussetzung, da an vielen umgekehrt gerade das Typische, das mit vielen Geteilte ihr Wesentliches und die Wertsubstanz ihrer Persönlichkeit ist.

Dies nun wiederholt sich an Vereinigungen. Auch ihnen liegt es nahe, das ganz Spezifische ihrer Inhalte, das ihre Teilnehmer nur miteinander, aber mit niemandem ausserhalb dieser Gemeinschaft teilen, zum Zentrum und zur eigentlichen Erfüllung dieser Gemeinschaft werden zu lassen.

Dies ist die Form der Intimität. Wohl in jedem Verhältnis mischen sich irgendwelche Bestandteile, die seine Träger eben nur in dieses und in kein andres hineingeben, mit solchen, die nicht gerade diesem Verhältnis eigen sind, sondern die das Individuum in gleicher oder ähnlicher Weise auch noch mit anderen Personen teilt.

Sobald nun jenes erste, die Binnenseite des Verhältnisses, als dessen Wesentliches empfunden wird, sobald seine gefühlsmässige Struktur es auf dasjenige stellt, was jeder nur diesem einzigen andern und niemandem sonst gibt oder zeigt—so ist die eigentümliche Färbung gegeben, die man Intimität nennt. 

Es ist nicht der Inhalt des Verhältnisses, auf dem diese ruht. 

Zwei Verhältnisse mögen in bezug auf die Mischung (-> 62) der individuell-exklusiven und der auch nach andern Seiten hin ausstrahlenden Inhalte ganz gleich stehen: intim ist nur dasjenige von ihnen, in dem die ersteren als die Träger oder als die Achse des Verhältnisses erscheinen. 

Wenn umgekehrt gewisse äussere oder Stimmungslagen uns relativ fremden Menschen gegenüber zu sehr persönlichen Äusserungen und Konfessionen, wie sie sonst nur dem Nächsten vorbehalten sind, veranlassen, so fühlen wir hier dennoch, dass dieser »intime« Inhalt der Beziehung sie noch nicht zu einer intimen macht; denn unser Gesamtverhältnis zu eben diesen Menschen ruht in seiner Substanz und seinem Sinn doch nur auf seinen allgemeinen, unindividuellen Bestandteilen und jener, zwar sonst vielleicht niemals offenbarte, ihm ausschliesslich eigene Inhalt lässt dennoch das Verhältnis, weil er nicht zur Basis seiner Form wird, ausserhalb der Intimität. 

Dass dies das Wesen der Intimität ist, macht sie so häufig zu einer Gefahr für enge Zweierverbindungen, vielleicht am meisten für die Ehe. 

Dass die Gatten die gleichgültigen »Intimitäten« des Tages, die Liebenswürdigkeiten oder Unliebenswürdigkeiten der Stunde, die allen Andern sorgfältig verborgenen Schwächen teilen—das legt es nahe, den Akzent und die Substanz des Verhältnisses gerade in dieses zwar völlig Individuelle, sachlich aber doch ganz Irrelevante zu verlegen, und dasjenige, was man auch mit Andern teilt, und was vielleicht das Wichtigste der Persönlichkeiten ist, das Geistige, Grosszügige, den allgemeinen Interessen Zugewandte, Objektive —als eigentlich ausserhalb der Ehe liegend zu betrachten, es allmählich aus ihr herauszuschieben.

Nun liegt es auf der Hand, wie sehr der Intimitätszug der Zweierverbindungen mit ihrem soziologischen Spezifikum zusammenhängt keine höhere Einheit über ihre individuellen Elemente hinaus zu bilden. 

Denn diese Einheit, so sehr ihre konkreten Träger eben nur jene beiden sind, wäre doch gewissermassen ein drittes, das sich irgendwie zwischen sie drängen kann. Je umfänglicher eine Gemeinschaft ist, desto leichter bildet sich einerseits eine objektive Einheit über den Einzelnen, und desto unintimer wird sie andrerseits; diese beiden Züge sind innerlich verbunden. 

Dass man in einem Verhältnis eben nur den Andern sich gegenübersieht, und nicht zugleich ein objektives, überindividuelles Gebilde als bestehend und wirksam fühlt, —das ist schon in Verhältnissen zu dreien selten in voller Reinheit wirklich, und ist doch die Bedingung der Intimität. 

Dass so ein Drittes, das aus den beiden Subjekten einer Vereinigung selbst herausgewachsen ist, deren intimsten Sinn unterbricht, ist für die feinere Struktur der Gruppierungen zu zweien bezeichnend; und es gilt so prinzipiell, dass selbst die Ehe, sobald sie zu einem Kinde geführt hat, ihm manchmal unterliegt. Es lohnt, dies zur Charakterisierung der Verbindungen zweier Elemente mit einigen Worten zu begründen.

Wie der Dualismus, der die Form unsrer Lebensinhalte zu bilden pflegt, auf Versöhnungen drängt, deren Gelingen ebenso wie ihr Misslingen jenen um so klarer erweist—so drängen, als das erste Beispiel oder Urbild hiervon, Männliches und Weibliches zueinander, (-> 63) zu der Vereinigung, die gerade nur durch die Gegensätzlichkeit beider möglich wird und die gerade vor dem leidenschaftlichsten Zueinander-, Ineinander-Wollen als etwas im tiefsten Grunde Unerreichbares steht.

Dass es dem Ich versagt bleibt, das Nicht-Ich wirklich und absolut zu ergreifen, wird nirgends tiefer fühlbar als hier, wo die Gegensätze doch auf die Ergänzung und Verschmelzung hin geschaffen scheinen.

Die Leidenschaft sucht die Grenzen des Ich niederzureissen und das eine in das andere aufzuheben; aber nicht sie werden zur Einheit, sondern eine neue Einheit entsteht: das Kind. 

Und die eigentümlich dualistische Bedingung seines Werdens: Eine Nähe die doch Entferntheit bleiben muss, und ihr äusserstes, das die Seele will, nie erreichen kann, und eine Entferntheit, die sich doch ins Unendliche dem Einswerden nähert—mit dieser steht auch das Gewordene zwischen seinen Erzeugern, und die variierenden Stimmungen dieser lassen bald das eine, bald das andere wirksam werden.

So kommt es, dass kalte, innerlich fremde Ehen sich kein Kind wünschen, weil es verbindet: seine Einheitsfunktion hebt sich auf dem Grunde jener dominierenden Fremdheit um so wirksamer, aber auch um so unerwünschter ab.

Manchmal aber wollen auch gerade sehr leidenschaftliche und innige Ehen kein Kind — weil es trennt. Das metaphysische Einssein, zu dem die beiden nur miteinander zu verschmelzen begehrten, ist ihnen nun gleichsam aus der Hand geglitten und steht ihnen als ein Drittes, Physisches, gegenüber, das zwischen ihnen vermittelt.

Aber eine Vermittlung eben muss denen, die die unmittelbare Einheit suchten, als eine Trennung erscheinen, wie eine Brücke zwar zwei Ufer verbindet, aber doch auch den Abstand zwischen ihnen messbar macht; und wo Vermittlung überflüssig ist, ist sie schlimmer als überflüssig.

Dennoch scheint gerade die monogamische Ehe von dem hier wesentlich gewordenen soziologischen Charakter der Zweiergruppierungen: der durch das Ausbleiben der überpersönlichen Einheit gegeben ist —eine Ausnahme machen zu müssen.

Die gar nicht seltene Tatsache, dass es zwischen durchaus wertvollen Persönlichkeiten entschieden schlechte Ehen und zwischen recht mangelhaften sehr gute gibt, weist zunächst darauf hin, dass dieses Gebilde, so sehr es von jedem der Teilnehmer abhängig ist, doch einen Charakter haben kann, der mit dem keines Teilnehmers zusammenfällt.

Wenn etwa jeder der Gatten an Wirrnissen, Schwierigkeiten, Unzulänglichkeiten leidet, aber diese gleichsam auf sich zu lokalisieren versteht, während er in das eheliche Verhältnis nur sein Bestes und Reinstes hineingibt, dieses von allen Abzügen der Person frei hält—so mag dies zwar zunächst nur dem Gatten als Person gelten, aber es erhebt sich daraus doch das Gefühl, dass die Ehe etwas Überpersönliches ist, etwas an sich Wertvolles und Heiliges, das jenseits der Unheiligkeit jedes ihrer Elemente steht.

Indem sich innerhalb eines Verhältnisses der eine nur nach der dem andern zugewandten Seite hin empfindet, sich nur mit Rücksicht auf ihn benimmt, gewinnen seine Eigenschaften, obgleich sie natürlich immer die seinigen sind, doch eine ganz andre Färbung, Stellung, Bedeutung, als wenn sie, auf das eigene Ich bezogen, sich nur in den (-> 64) Gesamtkomplex dieses verweben.

Daraufhin kann für das Bewusstsein jedes der beiden das Verhältnis zu einer Wesenheit ausserhalb seiner kristallisieren, die mehr und Besseres —unter Umständen auch Schlechteres - ist als er selbst, gegen die er Verpflichtungen hat, und von der ihm, wie von einem objektiven Sein, Güter und Schicksale kommen.
In bezug auf die Ehe wird diese Enthebung der Gruppeneinheit aus ihrem Gebautsein auf das blosse Ich und Du durch zweierlei Umstände erleichtert. Zunächst durch ihre unvergleichliche Enge.

Dass zwei so grundverschiedene Wesen wie Mann und Weib eine derartig enge Vereinigung bilden; dass der Egoismus des einzelnen so gründlich nicht nur zugunsten des andren, sondern zugunsten des Gesamtverhältnisses, das die Familieninteressen, die Familienehre, vor allem die Kinder einschliesst, aufgehoben wird - das ist eigentlich ein Wunder, das geht auf die rationalistisch nicht mehr erklärbaren, jenseits des bewussten Ich gelegenen Grundlagen eben dieses zurück.

Und dasselbe drückt sich in der Scheidung dieser Einheit von ihren singulären Elementen aus: dass ein jedes von diesen das Verhältnis als etwas empfindet;, das ein eigenes Leben mit eigenen Kräften lebt, ist nur eine Formulierung seiner Inkommensurabilität mit dem, was wir als das persönliche und aus sich begreifliche Ich vorzustellen pflegen.

Dies wird nun weiterhin durch die Ueberindividualität der Eheformen im Sinne ihrer sozialen Reguliertheit und historischen Ueberliefertheit sehr gefördert. So unermesslich verschieden der Charakter und Wert der Ehen auch sei—niemand kann zu entscheiden wagen, ob mehr oder weniger verschieden als Einzelindividuen — so hat doch schliesslich kein Paar sich die Eheform erfunden, sondern diese gilt innerhalb jedes Kulturkreises als eine relativ feste, der Willkür entrückte, durch individuelle Färbungen und Schicksale in ihrem formalen Wesen nicht berührte.

In der Geschichte der Ehe ist es auffallend, eine wie grosse—und zwar immer traditionelle—Rolle dritte Personen, oft nicht einmal Verwandte, bei der Werbung, den Ausmachungen über die Mitgift, den Hochzeitsgebräuchen spielen —bis zum eheschliessenden Priester.

Diese unindividuelle Initiation des Verhältnisses symbolisiert sehr fühlbar die soziologisch unvergleichbare Struktur der Ehe: dass die allerpersönlichste Beziehung sowohl nach der Seite des inhaltlichen Interesses, wie der formalen Gestaltung hin von schlechthin überpersönlichen, geschichtlichsozialen Instanzen aufgenommen und gelenkt ist.

Dieser Einschuss tradierter Elemente in das eheliche Verhältnis, das es der individuellen Freiheit in der Gestaltung etwa des Freundschaftsverhältnisses bedeutsam entgegensetzt und im wesentlichen nur Annahme oder Ablehnung, aber keine Abänderung gestattet, begünstigt ersichtlich das Gefühl einer objektiven Gestaltung und überpersönlichen Einheit in der Ehe; obgleich jeder von beiden Teilnehmern nur den einzigen andren sich gegenüber hat, so fühlt er sich doch mindestens partiell so, wie sonst nur einer Kollektivität gegenüber: als der blosse Träger eines überindividuellen Gebildes, das in seinem Wesen und seinen Normen von ihm, der freilich ein organisches Glied desselben ist, dennoch unabhängig ist. (-> 65)

Es scheint als ob die moderne Kultur, indem sie den Charakter der einzelnen Ehe immer mehr individualisiert, doch die Ueberindividualitat, die den Kern ihrer soziologischen Form bildet, ganz unberührt lässt, ja, in mancher Hinsicht steigert.

Die Mehrfachheit der Ehearten - entweder zur Wahl der Kontrahenten gestellt oder nach ihren besonderen sozialen Positionen bestimmt — wie sie in Halbkulturen und hohen, vergangenen Kulturen vorkommt, erscheint zunächst als eine individuellere Form, die der Differenziertheit der einzelnen Fälle besonders nachgiebig ist.

In Wirklichkeit liegt es umgekehrt: jede dieser verschiedenen Arten ist dennoch etwas durchaus Unindividuelles, sozial Vorgeformtes, und ist durch ihren Ansatz von Besonderung viel enger und gewalttätiger, als eine ganz allgemeine und durchgehend festgehaltene Eheform, deren abstrakteres Wesen notwendig den persönlichen Differenziertheiten grösseren Spielraum gestatten muss.

Dies ist eine durchgehende soziologische Formierung: es besteht eine viel grössere Freiheit des individuellen Verhaltens und Gestaltens, wenn die soziale Fixierung das ganz Allgemeine betrifft, wenn allen einschlägigen Verhältnissen eine durchgehende Form sozial auferlegt ist - als wenn, mit scheinbarem Eingehen auf individuelle Lagen und Bedürfnisse die sozialen Festsetzungen sich selbst in allerhand Sonderformen spezialisieren.

Das wirklich Individuelle wird in letzteren Falle viel mehr präjudiziert, die Freiheit für Differenzierungen ist grösser, wenn die Unfreiheit ganz allgemein durchgehende Züge betrifft So gibt die Einheit der modernen Eheform sicher einen weiteren Spielraum für besondere Ausgestaltungen, als eine Mehrheit sozial vorgeprägter Formen es tut — während sie durch ihre ausnahmslose Allgemeinheit allerdings das Cachet der Objektivität, der selbständigen Geltung gegenüber allen individuellen Modifikationen, um die es sich jetzt für uns handelt, ausserordentlich steigert. (-> 66)

Etwas soziologisch Ähnliches könnte man noch an der Zweizahl der Associes eines Geschäftes erblicken. Obgleich dessen Gründung und betrieb vielleicht ausschliesslich auf dem Zusammenwirken dieser beiden Persönlichkeiten beruht, so ist doch der Gegenstand dieses Zusammenwirkens, das Geschäft oder die Firma, ein objektives Gebilde, gegen das jeder seiner Komponenten Rechte und Pflichten hat - vielfach nicht anders als irgendein dritter.

Dennoch hat dies einen andern soziologischen Sinn als im Falle der Ehe; denn »das Geschäft« ist infolge der Objektivität der Wirtschaft von vornherein etwas von der Person des Inhabers Getrenntes, und zwar bei einer Zweiheit der Inhaber nicht anders als bei einer Einzahl oder einer Vielzahl.

Das wechselwirkende Verhältnis der Teilnehmer zueinander hat seinen Zweck ausser sich, während es ihn bei der Ehe in sich hat; dort ist die Beziehung das Mittel zum Gewinn gewisser objektiver Ergebnisse, hier erscheint alles Objektive eigentlich nur als Mittel für die subjektive Beziehung.

Um so bemerkenswerter ist es, dass in der Ehe dennoch die den Zweigruppierungen sonst ferner liegende Objektivität und Selbständigkeit des Gruppengebildes gegenüber der unmittelbaren Subjektivität psychologisch aufwächst.

Der relativen Niedrigkeit des Niveaus, auf dem eine grössere aktuell zusammenbefindliche Menge sich zusammenfindet, ist prinzipiell nicht abzuhelfen.

Denn alle höheren und feineren Ausbildungen sind individueller Art und eignen sich deshalb nicht zu Gemeinsamkeitsinhalten, sie können allerdings vergesellschaftend wirken, wenn eine Einheit durch Arbeitsteilung erreicht werden soll— was aber ersichtlich innerhalb einer »Gesellschaft« nur in geringem Masse möglich ist und in höherem deren Wesen aufheben würde.

Es ist deshalb ein soziologisch durchaus richtiger Instinkt, wenn man das bemerklichere Hervortretenlassen der persönlichen Individualität in einer »Gesellschaft«—selbst das einer an sich bedeutenden und erfreulichen—oft als eine leise Taktlosigkeit empfindet.  (zurück)

3) Genauer aber ist die Sachlage wohl diese. Jeder bestimmten Zahl von Elementen entspricht je nach dem Zweck und Sinn ihrer Vereinigung eine soziologische Form, eine Organisierung, Festigkeit, Verhältnis des Ganzen zu den Teilen usw. - die mit jedem dazukommenden oder abtretenden Element irgendeine, wenn auch nur unermesslich kleine und nicht feststellbare Modifikation erfährt.

Da wir aber nicht für jeden dieser unendlich vielen soziologischen Zustände, selbst dann, wenn er uns in seinem Charakter merkbar ist, einen besonderen Ausdruck besitzen, so bleibt oft nichts übrig, als ihn aus zwei Zuständen—der eine gleichsam mehr, der andre weniger besagend — zusammengesetzt zu denken.

Jedenfalls handelt es sich dabei so wenig um eine Zusammensetzung, wie etwa bei den sogenannten Mischgefühlen von Freundschaft und Liebe oder Hass und Verachtung oder Lust und Schmerz.

Hier liegt—was uns noch später beschäftigen wird— meistens ein einheitlicher Gefühlszustand vor, für den wir nur keinen unmittelbaren Begriff haben, und den wir deshalb durch die Synthese und gegenseitige Einschränkung zweier andrer mehr umschreiben als beschreiben; hier wie auch sonst ist uns die eigentliche Einheit des Seienden nicht begreifbar, sondern wir müssen sie in eine Zweiheit von Elementen auflösen, deren keines sie ganz deckt um sie dann aus der Verwebung beider entstehen zu lassen.

Dies ist aber nur eine nachträglich mögliche begriffliche Analyse, die den wirklichen Werdeprozess, das eigne Sein jener Einheiten nicht nachzeichnet. Wo also die geprägten Begriffe für soziale Einheiten: Zusammenkunft und Gesellschaft, Truppe und Heer, Clique und Partei, Paar und Bande, persönliche Anhängerschaft und Schule Häuflein und Massenauflauf — keine sichere Anwendung finden, weil das Menschenmaterial für den einen zu wenig und für den andern zu viel zu sein, scheint, da liegt dennoch eine genau so einheitlich, der numerischen Bedingung genau so spezifisch entsprechende soziologische Formung vor. wie in jenen entschiedeneren Fällen. Nur dass der Mangel eines besonderen Begriffes für diese unzähligen Nuancen uns zwingt, ihre Qualitäten als eine Mischung der Formen zu bezeichnen, die den numerisch geringfügigeren und die den numerisch höheren Gebilden entsprechen. (zurück)

4) Vgl. die nähere Auseinandersetzung darüber in dem Kapitel über die Selbsterhaltung der Gruppe. (zurück)

Eine Konstellation indes von äußerster soziologischer Wichtigkeit mangelt jeglicher Gruppierung zu zweien, während sie jeder mehrzahligen prinzipiell offen steht: die Abwälzung von Pflichten und Verantwortungen auf das unpersönliche Gebilde — die das soziale Leben so häufig, und nicht zu seinem Vorteil, charakterisiert. Und zwar nach zwei Seiten hin.

Jede Gesamtheit, die mehr ist als ein bloßes Nebeneinander gegebener Individuen, hat eine Unbestimmtheit ihrer Grenzen und ihrer Macht, die leicht dazu verlockt, allerhand Leistungen von ihr zu erwarten, die eigentlich dem einzelnen Mitgliede oblägen; man schiebt sie auf die Gesellschaft, wie man sie oft in der psychologisch gleichen Tendenz auf die eigne Zukunft schiebt, deren nebelhafte Möglichkeiten für alles den Raum geben oder durch wie von selbst zuwachsende Kräfte alles das besorgen werden, was der Augenblick nicht gern auf sich nehmen möchte.

Der in den grade fraglichen Beziehungen durchsichtigen, aber eben deshalb auch klar begrenzten Macht des Individuums (-> 67) steht die immer etwas mystische Kraft der Gesamtheit gegenüber, von der man deshalb leicht nicht nur das erwartet, was das Individuum nicht leisten kann, sondern auch das, was es nicht leisten möchte; und zwar mit dem Gefühl des vollen Legitimiertseins zu dieser Abschiebung.

Einer der besten Kenner Nordamerikas schiebt einen grossen Teil der Unzulänglichkeiten und Hemmungen, unter denen dort die Staatsmaschine arbeitet, auf den Glauben an die Macht der öffentlichen Meinung.

Der Einzelne verließe sich darauf, dass die Gesamtheit schon das Rechte erkennen und tun werde, und verliert damit leicht die individuelle Initiative für öffentliche Interessen.

Dies steigert sich begreiflich zu der positiven Erscheinung, die ebenderselbe Autor so beschreibt: The longer public opinion has ruled, the more absolute is the authority of the majority likely to become, the less likely are energetic minorities to arise, the more are politicians likely to occupy themselves, not in forming opinion, but in discovering and hastening to obey it.

—Ebenso gefährlich aber wie nach der Seite des Unterlassenes wird dem Einzelnen die Zugehörigkeit zu einer Gesamtheit auch nach der Seite des Tuns.

Hier handelt es sich nicht nur um die Steigerung der Impulsivität und die Ausschaltung moralischer Hemmungen, wie sie an dem Einzelnen in einer Menschenmenge hervortreten und zu den Massenverbrechen führen, bei denen sogar die juristische Verantwortlichkeit der Teilnehmer strittig ist; sondern darum, dass das wahre oder das vorgebliche Interesse einer Gemeinschaft den Einzelnen zu Handlungen berechtigt oder verpflichtet, für die er als Einzelner die Verantwortung nicht tragen möchte.

Wirtschaftliche Vereinigungen stellen Forderungen von so schamlosem Egoismus, Amtskollegien geben so schreiende Missbräuche zu, Korporationen politischer wie wissenschaftlicher Art üben so empörende Unterdrückungen individueller Rechte—wie es dem Einzelnen, wenn er als Person sie verantworten sollte, doch unmöglich wäre oder wenigstens ein Erröten abzwingen würde.

Als Korporationsmitglied aber übt er alles dies mit dem besten Gewissen, weil er als solches anonym ist und sich von der Gesamtheit gedeckt, ja sozusagen verdeckt fühlt und mindestens formal ihr Interesse zu vertreten meint.

Es gibt wenig Fälle, in denen die Distanz der gesellschaftlichen Einheit von den Elementen, die sie bilden, so stark, ja fast in die Karikatur ausartend, fühlbar und wirksam wird.

Diese Herabsetzung der praktischen Persönlichkeitswerte, die die Einbeziehung in eine Gruppe oft für das Individuum mit sich bringt, musste angedeutet werden, um durch ihren Ausschluss die Zweiergruppe zu charakterisieren.

Indem hier jedes Element nur ein andres individuelles neben sich hat, nicht aber eine Mehrzahl, die eventuell eine höhere Einheit bildet, ist die Abhängigkeit des Ganzen von ihm und dadurch seine Mitverantwortlichkeit für alle Kollektivaktionen völlig klargestellt.

Es kann freilich, wie es oft genug vorkommt, Verantwortungen auf den Genossen abschieben, aber dieser wird sie viel unmittelbarer und entschiedener von sich abweisen können, als es häufig ein anonymes Ganzes kann, dem es an der Energie des persönlichen Interesses oder an der für solche (-> 68) Fälle legitimierten Vertretung fehlt.

Und ebenso wenig, wie der eine von zweien sich wegen dessen, was er tut, hinter der Gruppe verstecken kann, so wenig kann er sich wegen dessen, was er unterlässt, auf sie verlassen.

Die Kräfte, mit denen die Gruppe das Individuum zwar sehr unbestimmt und sehr partiell, aber doch sehr fühlbar überragt, können hier die individuelle Unzulänglichkeit nicht ebenso wie bei größeren Verbindungen ergänzen, denn so vielfach auch zwei vereinigte Individuen mehr leisten als zwei vereinzelte so ist doch das Bezeichnende für diesen Fall, dass eben jeder wirklich etwas leisten muss, und dass, wenn er dies versagt, nur der andre, aber keine überindividuelle Kraft mehr übrig bleibt -- wie es doch schon bei einer Dreierverbindung der Fall ist.

Die Wichtigkeit dieser Bestimmung liegt aber keineswegs nur im Negativen, in dem, was sie ausschließt; von ihr stammt vielmehr auch eine enge und besondere Tönung der Verbindung von zweien. Gerade, dass jeder weiß, er könne sich eben nur auf den andren und niemanden sonst verlassen, gibt ihnen—z. B. der Ehe, der Freundschaft, aber auch mehr äußerlichen Verbindungen bis zur politischen von zwei Gruppen — eine besondere Weihe, jedes Element ist in ihnen in bezug auf sein soziologisches und das von diesem abhängige sonstige Schicksal viel häufiger vor ein Alles oder Nichts gestellt, als in weiteren Assoziationen.

Am einfachsten zeichnet sich diese eigen artige Enge an dem Gegensatz gegen die Verbindungen zu dreien. 

Bei einer solchen wirkt nämlich jedes einzelne Element als Zwischeninstanz der beiden andren und zeigt die Doppelfunktion einer solchen: sowohl zu verbinden wie zu trennen.

Wo drei Elemente A, B, C eine Gemeinschaft bilden, kommt zu der unmittelbaren Beziehung, die z. B. zwischen A und B besteht, die mittelbare hinzu, die sie durch ihr gemeinsames Verhältnis zu C gewinnen.

Dies ist eine formal soziologische Bereicherung, außer durch die gerade und kürzeste Linie werden hier je zwei Elemente auch noch durch eine gebrochene verbunden, Punkte, an denen jene keine unmittelbare Berührung finden können, werden durch das dritte Element, das jedem eine andre Seite zukehrt und diese doch in der Einheit seiner Persönlichkeit zusammenschließt, in Wechselwirkung gesetzt, Entzweiungen, die die Beteiligten nicht von sich allein aus wieder einrenken können, werden durch den dritten oder durch ihr Bewusstsein in einem umschließenden Ganzen zurechtgebracht.

Allein die direkte Verbindung wird durch die indirekte nicht nur gestärkt! sondern auch gestört.

Es gibt kein noch so inniges Verhältnis zwischen dreien, in dem nicht jeder einzelne gelegentlich von den beiden andren als Eindringling empfunden würde, und sei es auch nur durch sein Teilhaben an gewissen Stimmungen, die ihre Konzentriertheit und schamhafte Zartheit nur bei dem unabgelenkten Blick von Auge in Auge entfalten können; jedes sensitive Verbundensein von zweien wird dadurch irritiert, dass es einen Zuschauer hat.

Auch kann man bemerken, wie außerordentlich schwer und selten drei Menschen etwa bei einem Museumsbesuch oder vor einer Landschaft in eine wirklich einheitliche Stimmung kommen, die sich unter zweien relativ leicht herstellt.

A und B können das ihnen gemeinsame (-> 69) m betonen und störungslos empfinden, weil das n, das A nicht mit B teilt, und das x das B nicht mit A teilt, ohne weiteres als individuelle Reserve und wie in einem andern Stockwerk liegend gefühlt wird.

Tritt nun aber ein C hinzu, dem mit A das n und mit B das x gemeinsam ist, so ist selbst bei diesem, für die Einheit des Ganzen noch günstigsten Schema doch die Einheitlichkeit der Stimmung prinzipiell unterbunden.

Während zwei wirklich eine Partei sein können bzw. ganz jenseits der Parteifrage stehen, pflegen in feinsten Zusammenhängen drei sogleich drei Parteien - zu je zweien - zu bilden und damit das einheitliche Verhältnis des je einen zu dem je andern aufzuheben.

Die soziologische Struktur der Verbindung zu zweien wird dadurch bezeichnet, dass beides fehlt: sowohl die verstärkte Verknüpfung durch den dritten bzw. durch einen über beide hinausgreifenden sozialen Rahmen, als auch die Störung und Ablenkung der reinen und unmittelbaren Gegenseitigkeit.

Aber in manchen Fällen wird gerade jener Mangel das Verhältnis intensiver und stärker machen; denn in dem Gefühl, ausschließlich aufeinander angewiesen zu sein und zusammenhaltende Kräfte, die nicht die unmittelbare Wechselwirkung entfaltete, von nirgends woher erhoffen zu können, werden manche sonst unentwickelte und aus abgelegeneren psychischen Reservoiren stammende Kräfte der Gemeinschaft lebendig werden, und manche Störungen und Gefährdungen, zu denen man sich im Zutrauen zu dem dritten und einer Gesamtheit verleiten ließe, ängstlicher vermieden werden.

Diese Enge, zu der die Verhältnisse zwischen zwei Menschen neigen, ist der Grund, aus dem gerade sie den hauptsächlichen Sitz der Eifersucht bilden.

Nur eine andre Wendung der gleichen soziologischen Grundkonstellation liegt in der Beobachtung, dass Verhältnisse zu zweien, Zusammensetzung eines Ganzen aus nur zwei Teilnehmern, eine größere Individualisiertheit eines jeden von diesen voraussetzen, als —ceteris paribus—solche von vielen Elementen.

Hier ist das Wesentliche, dass es in einer Vereinigung von zweien keine Majorität gibt, die den Einzelnen überstimmen kann, und zu der schon bei Hinzutritt eines dritten Gelegenheit gegeben ist.
Verhältnisse aber, in denen die Vergewaltigung des Einzelnen durch Majorität möglich ist, setzen nicht nur die Individualität herab, sondern, soweit sie freiwillig sind, werden sie überhaupt von sehr entschiedenen Individualitäten nicht gern eingegangen.

Wobei freilich zwei oft verwechselte Begriffe auseinander zuhalten sind: die entschiedene und die starke Individualität. Es gibt Personen und Kollektivgebilde, die von der äußersten Individualisiertheit sind, aber nicht die Kraft haben, diese Eigenart gegenüber Unterdrückungen oder nivellierenden Kräften zu bewahren; wogegen die starke Persönlichkeit ihre Formung gerade an Gegensätzen, im Kampf um ihre Besonderheit und gegenüber allen Verführungen zu Abschleifung und Mischung zu festigen pflegt.

Jene erstere, die bloss qualitative Individualität, wird Vereinigungen scheuen, in denen sie sich einer eventuellen Majorität gegenüber befindet; sie ist dagegen zu den mannigfachen Verbindungen zu zweien wie prädestiniert, weil sie (-> 70) sowohl durch ihre Differenziertheit wie durch ihre Angreifbarkeit auf die Ergänzung durch ein andres angewiesen ist.

Der andre Typus, die mehr intensive Individualität, wird sich dagegen lieber einer Mehrzahl gegenüber sehen, an deren quantitativem Übergewicht sie ihr dynamisches bewähren kann. Schon sozusagen technische Gründe werden diese Vorliebe rechtfertigen: das Dreikonsulat Napoleons war ihm entschieden bequemer, als eine Zweiheit gewesen wäre; denn nun brauchte er nur den einen Kollegen für sich zu gewinnen (was der stärksten Natur unter dreien sehr leicht gelingen wird), um den andren, d. h. also tatsächlich die beiden andren, in der legalsten Form zu dominieren.

Im ganzen aber wird man sagen können, dass die Verbindung zu zweien den mehrzahligen gegenüber eine relativ erheblichere Individualität der Teilnehmer einerseits begünstigt, andrerseits voraussetzt, dass hier die Niederhaltung der Eigenart durch die soziale Eingliederung in ein Durchschnittsniveau fehlt.

Wenn es deshalb wahr ist dass die Frauen das unindividuellere Geschlecht sind, dass die Differenzierungen der einzelnen sich weniger vom Gattungstypus entfernen, als es durchschnittlich bei Männern der Fall ist — so wäre daraus die weitere sehr verbreitete Meinung verständlich, dass sie der Freundschaft im allgemeinen weniger zugängig sind als Männer.

Denn die Freundschaft ist ein ganz und gar auf die Individualitäten der Elemente gestelltes Verhältnis, vielleicht noch mehr als die Ehe, die durch ihre traditionellen Formen, ihre sozialen Festgelegtheiten und ihre realen Interessen vieles Überindividuelle, von der Besonderheit der Persönlichkeiten Unabhängige, einschließt.

Die fundamentale Differenzierung, auf der die Ehe beruht, ist an sich ja noch keine individuelle, sondern eine gattungsmässige; die Freundschaft aber ruht auf einer rein persönlichen, und darum ist es begreiflich, dass auf der Stufe niederer Persönlichkeitsentwicklung überhaupt wirkliche und dauernde Freundschaften selten sind, und dass andrerseits die moderne, hoch differenzierte Frau eine auffallend gesteigerte Fähigkeit und Neigung zu Freundschaftsverhältnissen zeigt und zwar ebenso mit Männern wie mit Frauen.

Die ganz individuelle Differenzierung hat hier das Übergewicht über die gattungsmässige erlangt, und wir sehen so die Korrelation sich herstellen zwischen der zugespitztesten Individualisierung und einem Verhältnis, das auf dieser Stufe absolut auf die Zweizahl beschränkt ist; was natürlich nicht ausschließt, dass dieselbe Person gleichzeitig in verschiedenen Freundschaftsverhältnissen stehen kann.

Dass Verhältnisse zu zweien überhaupt als solche spezifische Züge haben, zeigt nicht nur die Tatsache, dass der Zutritt eines dritten sie ganz abändert, sondern mehr noch die vielfach beobachtete: dass die weitere Ausdehnung auf vier oder mehrere das Wesen der Vereinigung keineswegs noch entsprechend weiter modifiziert.

So hat z. B. eine Ehe mit einem Kind einen völlig anderen Charakter als eine kinderlose, während sie sich gegen eine Ehe mit zwei oder mehr Kindern lange nicht mehr so bedeutsam unterscheidet.

Freilich ist die Differenz ihres inneren Wesens, die das zweite Kind (-> 71) zuwege bringt, wieder viel erheblicher als die aus dem dritten sich ergebende.

Aber dies folgt doch auch der genannten Norm; denn eine Ehe mit einem Kind ist in vielfacher Beziehung ein Verhältnis mit zwei Gliedern: die Eltern als Einheit auf der einen, das Kind auf der andern Seite. Das zweite Kind ist hier tatsächlich nicht nur ein viertes, sondern, soziologisch betrachtet, gleichzeitig auch ein drittes Glied einer Beziehung, das die eigentümlichen Wirkungen eines solchen übt; denn innerhalb der Familie bilden, sobald das eigentliche Kindesalter vorüber ist, viel häufiger die Eltern eine Wirkungseinheit' als die Gesamtheit der Kinder es tut. - Auch auf dem Gebiet der Eheformen ist der entscheidende Unterschied der, ob überhaupt Monogamie herrscht, oder der Mann noch eine zweite Frau hat.

Ist das letztere der Fall, so ist die dritte oder zwanzigste Frau für die Struktur der Ehe relativ ohne Bedeutung. Innerhalb der damit gezogenen Grenze ist freilich auch hier der Schritt zur zweiten Frau mindestens nach einer Richtung hin folgenreicher als der zu einer noch größeren Zahl.

Denn gerade die Zweizahl der Frauen kann im Leben des Mannes zu den schärfsten Konflikten und tiefsten Störungen Veranlassung geben, die sich bei jeder höheren überhaupt nicht erheben.

Denn mit dieser setzt eine so gründliche Deklassierung und Entindividualisierung der Frauen ein, eine so entschiedene Reduktion der Beziehung auf ihre sinnliche Seite (da jede geistigere auch immer individuellerer Natur ist)—dass es im allgemeinen zu jenen tieferen Erschütterungen für den Mann nicht kommen wird, die gerade und nur aus einem Doppelverhältnis fließen können.

Das gleiche Grundmotiv kehrt in der Behauptung Voltaires über die politische Nützlichkeit der religiösen Anarchie wieder: zwei rivalisierende Sekten innerhalb eines Staates erzeugten unvermeidlich Unruhen und Schwierigkeiten, wie sie durch zweihundert niemals entstehen könnten.

Die Bedeutung, die der Dualismus des einen Elementes in einer mehrgliedrigen Verbindung besitzt, ist natürlich nicht weniger spezifisch und eingreifend, wenn sie statt der Störung gerade der Sicherung des Gesamtverhältnisses dient.

So ist behauptet worden, dass die Kollegialität der zwei römischen Konsuln vielleicht monarchischen Gelüsten noch zweckmäßiger entgegengewirkt habe, als das System der neun höchsten Beamten in Athen.

Es ist die gleiche Gespanntheit des Dualismus, die nur bald destruktiv, bald erhaltend wirkt, je nach den sonstigen Umständen der Gesamtassoziation; das Wesentliche ist hier, dass diese letztere einen ganz anderen soziologischen Charakter erhält, sobald die fragliche Leistung entweder durch eine Einzelperson oder von einer Mehr-als-zwei-Zahl ausgeübt wird.

In demselben Sinne wie die römischen Konsuln sind führende Kollegien oft aus zwei Mitgliedern zusammengesetzt: die beiden Könige der Spartaner, deren fortwährende Uneinigkeiten ausdrücklich als Sicherung des Staatswesens hervorgehoben werden die beiden obersten Kriegsführer des Irokesenbundes, die zwei Stadtpfleger des mittelalterlichen Augsburg, wo das Streben nach einem einheitlichen Bürgermeisteramt unter schwerer Strafe stand.

Die eigentümlichen Gereiztheiten (-> 72) zwischen den dualistischen Elementen einer größeren Struktur erhalten die von ihnen getragene Funktion auf dem status quo, während in den angeführten Beispielen das Zusammenschmelzen zur Einheit eine individuelle Übergewalt, die Ausdehnung zur Vielheit dagegen eine oligarchische Clique leicht hätte entstehen lassen.

Zu dem Typus nun, der die Zweizahl der Elemente überhaupt als so entscheidend zeigte, dass die weitere numerische Steigerung ihn nicht erheblich abändert, erwähne ich noch zwei sehr singuläre, aber dennoch als soziologische Typen höchst wichtige Tatsachen.
Die politische Stellung Frankreichs in Europa war sofort auf das bedeutsamste gewandelt, als es zu Russland in ein engeres Verhältnis trat.

Ein dritter und vierter Bundesgenosse würde gar keine wesentliche Änderung mehr hervorbringen, nachdem die prinzipielle einmal geschehen ist.

Die menschlichen Lebensinhalte unterscheiden sich sehr erheblich danach, ob der erste Schritt der schwerste und entscheidende ist, und alle späteren ihm gegenüber sekundäre Wichtigkeit haben — oder ob er für sich noch nichts bedeutet und erst seine Fortsetzungen und Gesteigertheiten die Wendungen realisieren, auf die er nur hindeutet.

Die Zahlverhältnisse der Vergesellschaftung geben, wie sich später immer mehr zeigen wird, für beide Formen reichliche Beispiele.

Für einen Staat, dessen Vereinsamung mit dem Verlust seines politischen Prestiges in Wechselwirkung steht, ist die Tatsache einer Alliance überhaupt das Entscheidende, während vielleicht bestimmte wirtschaftliche oder militärische Vorteile sich erst erzielen lassen, wenn ein Kreis von Verbindungen vorliegt, von denen auch nicht eine fehlen darf, wenn nicht der Erfolg ausbleiben soll. Zwischen diesen beiden Typen liegt dann ersichtlich derjenige, in dem der bestimmte Charakter und Erfolg der Verbindung pro rata der Anzahl der Elemente eintritt, wie in der Regel bei der Vereinigung großer Massen.

Der zweite Typus umfasst die Erfahrung, dass Befehls- und Assistenzverhältnisse ihren Charakter prinzipiell ändern, wenn statt eines Dienstboten, Hilfskraft oder sonst Subordinierten deren zwei verwandt werden.

Hausfrauen ziehen es manchmal—ganz von der Frage des Aufwands abgesehen—vor, sich mit einem Dienstboten zu behelfen, wegen der besonderen Schwierigkeiten, die deren Mehrzahl mit sich bringt.

Der einzelne wird aus dem natürlichen Anlehnungsbedürfnis heraus sich der personalen Sphäre und dem Interessenkreise der Herrschaft anzunähern und einzugliedern streben; ebendasselbe aber wird ihn bewegen, mit einem eventuellen zweiten Partei gegen die Herrschaft zu bilden, denn nun hat jeder von beiden einen Rückhalt am andern, das Standesgefühl mit seiner latenten oder bewussteren Opposition gegen die Herrschaft wird erst an zweien wirksam werden, weil es als das ihnen Gemeinsame hervortritt.

Kurz, die soziologische Situation zwischen dem Über- und dem Untergeordneten ist absolut geändert, sobald das dritte Element hinzukommt; statt der Solidarität liegt nun vielmehr die Parteibildung nahe, statt der Betonung dessen, was den Dienenden mit dem Herrschenden verbindet, vielmehr die des Trennenden, (-> 73) weil die Gemeinsamkeiten nun auf der Seite des Kameraden gesucht und natürlich gerade in dem gefunden werden, was den Gegensatz beider gegen den gemeinsamen Übergeordneten ausmacht.

Auch bleibt die Umsetzung der numerischen Differenz in eine qualitative nicht weniger fundamental, wenn sie für das herrschende Element der Assoziation die umgekehrte Folge zeigt: man hat es mehr in der Hand, zwei als einen Untergebenen in der wünschenswerten Distanz zu halten, und besitzt an ihrer Eifersucht und Konkurrenz ein Werkzeug, den einzelnen niederzuhalten und fügsam zu machen, für das es einem gegenüber gar kein Äquivalent gibt.

Im formal gleichen Sinne sagt ein altes Sprichwort: »Wer ein Kind hat, ist sein Sklave, wer mehr hat, ist ihr Herr«.

In jedem Fall hebt sich die Verbindung zu dreien von der zu zweien als ein völlig neues Gebilde ab, die letztere dadurch charakterisierend, dass die erstere sich nur rückwärts gegen sie, nicht aber vorwärts gegen die auf vier und mehr Elemente gesteigerten Verbindungen spezifisch unterscheidet.

Im Übergange zu den besonderen Formungen der Dreizahl von Elementen ist die Verschiedenheit der Gruppencharaktere hervorzuheben, die ihre Teilung in zwei oder in drei hauptsächliche Parteien erzeugt.

Erregte Zeiten pflegen das ganze öffentliche Leben unter das Motto: wer nicht für mich ist, der ist gegen mich—zu stellen.

Die Folge muss eine Aufteilung der Elemente in zwei Parteien sein. Alle Interessen, Überzeugungen, Impulse, die uns überhaupt in ein positives oder negatives Verhältnis zu anderen setzen, unterscheiden sich danach, inwieweit jener Grundsatz für sie gilt, und lassen sich in eine Reihe gliedern, anhebend von dem radikalen Ausschluss aller Vermittelungen und Unparteilichkeiten bis zu der Toleranz für den entgegengesetzten Standpunkt als einen ebenfalls berechtigten und bis zu einer ganzen Skala von mehr oder weniger mit dem eigenen übereinstimmenden Standpunkten.

Jeder Entschluss, der zu dem engeren und weiteren uns umgebenden Kreise eine Beziehung hat, der uns eine Stellung in diesem bestimmt, der eine innere oder äußere Kooperation, ein Wohlwollen oder ein blosses Gewährenlassen, ein Sichherausheben oder eine Gefährdung einschliesst - jeder solche Entschluss hat eine bestimmte Stufe auf jener Skala inne; jeder legt eine ideelle Linie um uns, die jeden anderen entweder mit Entschiedenheit ein- oder ausschließt, oder Lücken hat, an denen die Frage des Ein- oder Ausschlusses nicht gestellt wird, oder die so geführt ist, dass sie eine bloße Berührung oder ein bloß teilweises Einbeziehen und teilweises Draussenlassen ermöglicht.

Ob und mit welcher Entschiedenheit die Frage des: für mich oder wider mich? — erhoben wird, darüber entscheidet keineswegs nur die logische Strenge ihres Inhaltes, ja nicht einmal die Leidenschaft, mit der die Seele auf diesem Inhalte besteht, sondern ebenso auch das Verhältnis des Fragenden zu seinem sozialen Kreise. Je enger und solidarischer dieses ist, je weniger das Subjekt mit anderen als ganz gleich gestimmten Genossen koexistieren kann, und je mehr ein ideeller Anspruch die Gesamtheit aller letzteren als eine Einheit zusammenfasst—um so kompromißloser (-> 74) wird ein jeder vor die Frage des Für oder Wider gestellt werden.

Der Radikalismus, mit dem Jesus diese Entscheidung formuliert, ruht auf einem unendlich starken Gefühl der einheitlichen Zusammengehörigkeit aller derer, an die seine Botschaft gekommen ist. dass es dieser gegenüber nicht nur ein bloßes Annehmen oder Ablehnen, sondern sogar nur ein Annehmen oder Bekämpfen gibt— das ist der stärkste Ausdruck für die unbedingte Einheit der Dazugehörigen und das unbedingte Draussenbleiben der nicht dazu Gehörigen: der Krampf, das Wider-mich-sein, ist immer noch eine entschiedene Beziehung, verkündet noch eine stärkere innerliche, wenngleich pervers gewordene Einheit, als das indifferente Danebenstehen und das vermittelnde Halb-und-halb-tum.

Dieses soziologische Grundgefühl also wird zu einer Zerlegung des ganzen Komplexes von Elementen in zwei Parteien treiben.

Wo dagegen jenes leidenschaftliche Umfassungsgefühl dem Ganzen gegenüber fehlt, das jeden in ein positives Verhältnis—der Annahme oder der Bekämpfung—zu der auftretenden Idee oder Forderung zwingt; wo jede Teilgruppe sich im wesentlichen mit ihrer Existenz als Teilgruppe begnügt, ohne im Ernst die Forderung auf Einschluss der Gesamtheit zu stellen—da ist der Boden für eine Mehrheit von Parteibildungen gegeben, für Toleranz, für Mittelparteien, für eine Skala allmählich abgestufter Änderungen.

Dass Epochen, wo die grossen Massen in Bewegung gesetzt sind, den Dualismus der Parteien nahe legen, den Indifferentismus ausschließen und den Einfluss der Mittelparteien herabsetzen—wird aus dem Radikalismus verständlich, der uns vorhin als der Charakter der Massenbewegungen erschien. Die Einfachheit der Ideen, von denen diese gelenkt werden, drängt auf ein entschiedenes Ja oder Nein.7)

Diese radikale Entschiedenheit in den Bewegungen der Masse verhindert durchaus nicht ihr totales Umschlagen von einem ihrer Extreme in das andre; ja, es ist nicht schwer zu begreifen, dass dies sogar auf ganz unverhältnismäßige Geringfügigkeiten hin geschieht.

Irgendeine Veranlassung X, die der Stimmung a entspricht, treffe eine zusammenbefindliche Masse. In dieser befinden sich eine Anzahl Individuen oder auch nur ein einziges, dessen Temperament und natürliche Leidenschaftlichkeit nach a zu neigen.

Dieses wird von X in lebhafte Erregung versetzt, es ist Wasser auf seine Mühle und es übernimmt begreiflich die Führung in der durch X schon in irgendeinem Maße nach a hin disponierten Masse, die ihm in seiner durch das Temperament die Veranlassung exaggerierenden Stimmung folgt, wahrend die Individuen, die von Natur zur Stimmung b, dem Gegenteil von a, disponiert sind, angesichts von X den Mundhalten (->75).

Tritt nun irgendein Y ein, das b rechtfertigt, so müssen jene ersteren schweigen, und das Spiel wiederholt sich nach der Richtung von b hin mit derselben Übertreibung; sie stammt eben daher, dass in jeder Masse Individuen vorhanden sind, deren Naturell zu extremer Ausbildung der je angeregten Stimmung neigt, und dass diese, als die momentan stärksten und eindrucksvollsten, die Masse in der Richtung ihrer Stimmung mit sich reißen, während die entgegengesetzt disponierten sich während dieser Bewegung, die ihnen und dem Ganzen keine Anregung nach ihrer Richtung gibt, passiv verhalten.

Ganz prinzipiell ausgedrückt, ist es die Veranlassung des formalen und seinen Inhalt leicht wechselnden Radikalismus der Masse, dass sich aus ihren nach verschiedenen Richtungen hin disponierten Elementen nicht eine Resultante, eine mittlere Linie ergibt, sondern dass ein momentanes Übergewicht der einen Richtung die Vertreter der andren auch gleich gänzlich zum Schweigen zu bringen pflegt, statt dass sie die Massenaktion proportional mitbestimmen; so dass für jede jeweilig zu Worte gekommene Richtung gar keine Hemmung, ihr Extrem zu erreichen, besteht.

Den fundamentalen praktischen Problemen gegenüber gibt es in der Regel nur zwei einfache Standpunkte, während es der gemischten und also vermittelnden unzählige geben mag.

Ebenso wird überhaupt jede lebhafte Bewegung innerhalb einer Gruppe—von der familiären durch alle Interessengemeinschaften hindurch bis zur politischen — zu deren Sonderung in einen reinlichen Dualismus disponieren. Das erhöhte Tempo in der Abwicklung von Interessen, in dem Durchlaufen von Entwicklungsstadien drängt immer auf entschiedenere Entscheidungen und Scheidungen.

Alle Vermittlungen brauchen Zeit und Muße; ruhige und stagnierende Epochen in denen die Lebensfragen nicht aufgerührt werden, sondern unter der Regelmäßigkeit der Tagesinteressen überdeckt bleiben, lassen leicht unmerkliche Übergänge entstehen und geben einem Indifferentismus der Persönlichkeiten Raum, die eine lebhaftere Strömung in den Gegensatz der Hauptparteien hineinreissen müsste.

Der typische Unterschied der soziologischen Konstellation bleibt dabei immer der der zwei oder der drei Hauptparteien. 

In die Funktion des Dritten, zwischen zwei Extremen zu vermitteln, können sich mehrere in abgestuften Graden teilen; hier liegt sozusagen nur eine Verbreiterung oder auch Verfeinerung in der technischen Ausgestaltung des Prinzips vor.

Dieses selbst, der die Konfiguration innerlich entscheidende Umschlag, realisiert sich immer schon durch den Hinzutritt der dritten Partei.

Die Rolle, die der Dritte spielt, und die Konfigurationen, die sich zwischen drei sozialen Elementen ergeben, sind hiermit schon großenteils angedeutet.

Die Zwei stellte, wie die erste Synthese und Vereinheitlichung, so auch die erste Scheidung und Antithese dar; das Auftreten des Dritten bedeutet Übergang, Versöhnung, Verlassen des absoluten Gegensatzes—freilich gelegentlich auch die Stiftung eines solchen.

Die Dreizahl als solche scheint mir dreierlei typische Gruppierungsformen zu ergeben, die einerseits bei zwei Elementen nicht möglich sind, andrerseits bei einer Mehr-als-drei-Zahl (-> 76) entweder gleichfalls ausgeschlossen sind oder sich nur quantitativ erweitern, ohne ihren Formtypus zu ändern.

1. Der Unparteiische und der Vermittler

Es ist eine höchst wirkungsvolle soziologische Tatsache, daß das gemeinsame Verhältnis isolierter Elemente zu einer außerhalb ihrer gelegenen Potenz eine Vereinheitlichung zwischen ihnen stiftet—anhebend von dem Staatenbündnis, das zur Verteidigung gegen einen gemeinsamen Feind geschlossen wird, bis zu der unsichtbaren Kirche die alle Gläubigen durch die für alle gleiche Beziehung zu dem einen Gott in eine Einheit zusammenschließt. 

Diese gesellschaftsbildende Vermittlung eines dritten Elementes ist indes in späterem Zusammenhang zu behandeln. Denn das dritte Element hat hier gegen die beiden andern eine derartige Distanz, daß eigentliche soziologische Wechselwirkungen, die die drei Elemente einheitlich umfassten, nicht vorliegen, sondern vielmehr Zweierkonfigurationen: indem entweder das Verhältnis der sich Zusammentuenden oder dasjenige soziologisch in Frage steht, das zwischen ihnen als einer Einheit einerseits und dem ihnen gegenüberstehenden Interessenzentrum andrerseits besteht. Hier aber handelt es sich um drei einander so nahe stehende oder nahe rückende Elemente, daß sie dauernd oder momentan eine Gruppe ausmachen.

In dem bedeutsamsten Fall der Zweierverbindungen, der monogamischen Ehe, übt das Kind bzw. die Kinder als drittes Element oft die Funktion, die das Ganze zusammenhält. Bei vielen Naturvölkern gilt die Ehe erst dann als wirklich perfekt oder auch als unauflöslich, wenn ein Kind geboren ist; und eines der Motive, aus denen steigende Kultur die Ehen tiefer und enger verknüpft, ist entschieden das, daß in ihr die Kinder relativ spät selbständig werden und deshalb längerer Fürsorge bedürfen. 

Der Grund der erstgenannten Tatsache liegt natürlich in dem Werte, den das Kind für den Mann besitzt, und in seiner durch Gesetz und Sitte sanktionierten Neigung, eine kinderlose Frau zu verstoßen. 

Allein der tatsächliche Erfolg ist doch der, dass eben das dritte hinzutretende Element den Kreis eigentlich erst schließt, indem es die beiden andern aneinander bindet. 

Das kann in zwei Formen geschehen: entweder so, daß die Existenz des dritten Elementes die Verbindung der Zwei unmittelbar stiftet oder verstärkt —wie etwa, wenn die Geburt eines Kindes die Liebe der Gatten zueinander oder mindestens die des Mannes für die Frau vermehrt—oder so, daß die Beziehung jedes einzelnen der zwei zu dem dritten eine neue und indirekte Verbindung zwischen ihnen herstellt—wie die gemeinsamen Sorgen eines Ehepaares für ein Kind allgemein ein Band bedeuten, das eben über dieses Kind hinführen muß und oft aus Sympathien besteht, die einer solchen Zwischenstation gar nicht entbehren könnten. 

Dieses Zustandekommen der inneren Sozialisierung aus drei Elementen, während sich die zwei Elemente für sich gegen dieselbe wehrten— ist der Grund der vorhin erwähnten Erscheinung, daß manche innerlich disharmonische Ehen kein Kind wünschen: es ist der Instinkt, dass damit ein Kreis geschlossen wäre. innerhalb dessen sie enger zusammengehalten wären, - und zwar nicht nur äußerlich, sondern (-> 77) auch in den tieferen seelischen Schichten— sind.

Eine andre Spielart des Mittlertums tritt damit auf, daß der Dritte als Unparteiischer fungiert. 

Dabei wird er entweder die Einigung der beiden kollidierenden andern zustande bringen, indem er sich auszuschalten und nur zu bewirken sucht, daß die beiden unverbundenen oder entzweiten Parteien sich unmittelbar verbinden; oder er wird als Schiedsrichter auftreten und die einander widerstreitenden Ansprüche jener gleichsam in sich zur Ausgleichung und das Unvereinbare daran zur Ausscheidung bringen. 

Die Streitigkeiten zwischen Arbeitern und Unternehmern haben besonders in England beide Einungsformen ausgebildet. 

Wir finden Einigungskammern, in denen die Parteien unter Vorsitz eines Unparteiischen die Zwistigkeiten durch Verhandlungen beseitigen. 

Gewiß wird der Vermittler in dieser Form die Vereinigung nur zustande bringen, wenn nach dem Glauben jeder Partei das Verhältnis der Feindseligkeitsgründe zu dem Vorteil des Friedens, kurz: wenn die reale Sachlage es schon an und für sich rechtfertigt.

Die ungeheure Chance für das Durchdringen dieses Glaubens bei den Parteien, die durch die Vermittlung des Unparteiischen erzeugt wird, setzt sich — abgesehen von der selbstverständlichen Beseitigung von Mißverständnissen, dem guten Zureden usw.—folgendermaßen zusammen. 

Indem der Unparteiische die Ansprüche und Gründe der einen Partei der andern vorhält, verlieren sie den Ton der subjektiven Leidenschaft, der auf der andern Seite den gleichen hervorzurufen pflegt. 

Hier zeigt sich heilsam, was so oft bedauerlich ist: daß das Gefühl, das einen seelischen Inhalt innerhalb seines ersten Trägers begleitete, innerhalb eines zweiten, auf den dieser Inhalt übergeht, erheblich abgeschwächt zu werden pflegt. 

Deshalb sind Empfehlungen und Fürsprachen, die erst mehrere vermittelnde Personen passieren müssen, so oft wirkungslos, selbst wenn ihr objektiver Inhalt ganz unversehrt an die entscheidende Instanz gelangt; es gehen eben bei der Übertragung die gefühlsmässigen Imponderabilien verloren, die nicht nur unzureichende sachliche Gründe ergänzen, sondern auch zureichende erst mit dem Antriebe zur praktischen Realisierung ausstatten. 

Diese für die Entwicklung rein seelischer Einflüsse höchst bedeutsame Tatsache bewirkt in dem einfachen Fall eines dritten, vermittelnden sozialen Elementes, daß die Gefühlsbetonungen, die die Forderungen begleiten, plötzlich, weil diese von einer unparteiischen Seite formuliert und dem andern dargestellt werden, von dem Sachgehalt abfallen, und so der für alle Verständigung verhängnisvolle Zirkel vermieden wird: daß die Heftigkeit des einen die des andern hervorruft, diese letztere Tatsache aber zurückwirkend die Heftigkeit des ersteren wieder steigert, und so fort, bis es kein Halt mehr gibt. 

Dazu kommt, daß jede Partei nicht nur Objektiveres hört, sondern sich auch objektiver äußern muß, als bei unmittelbarem Gegenüberstehen. 

Denn es muß ihr jetzt darauf ankommen, auch den Vermittler für ihren Standpunkt zu gewinnen, was gerade da, wo er nicht Schiedsrichter, sondern nur der Leiter der angebahnten Verständigung ist und sich immer jenseits der eigentlichen Entscheidung (-> 78) halten muß, während der Schiedsrichter schliesslich doch definitiv auf eine Seite tritt—was gerade in diesem Fall nur auf Grund der sachlichsten Gründe erhofft werden kann. 

Innerhalb der soziologischen Technik gibt es nichts, was der Vereinigung streitender Parteien so wirkungsvoll diente, wie ihre Objektivität, d. h. der Versuch, den bloßen Sachgehalt der Beschwerden und Forderungen sprechen zu lassen,—philosophisch gesprochen: den objektiven Geist des Parteistandpunktes—so daß die Personen nur als die irrelevanten Träger desselben erscheinen. Die personale Form, in der objektive Inhalte subjektiv lebendig sind, muss ihre Wärme, ihre Farbigkeit, ihre Gefühlsvertiefung, mit der Schärfe des Antagonismus bezahlen, die sie im Konfliktfalle erzeugt; die Herabstimmung dieses persönlichen Tones ist die Bedingung, unter der Verständigung und Vereinigung der Gegner erreichbar ist, und zwar besonders, weil erst so jede Partei wirklich einsieht, worauf die andere bestehen muss. 

Psychologisch ausgedrückt, handelt es sich um eine Reduktion der willensmässigen Form des Antagonismus auf die intellektuelle: der Verstand ist allenthalben das Prinzip der Verständigung, auf seinem Boden kann sich zusammenfinden, was sich auf dem des Gefühls und der letzten Willensentscheidungen unversöhnlich abstösst. 

Die Leistung des Vermittlers ist nun, diese Reduktion herbeizuführen, sie gleichsam in sich darzustellen, oder auch: eine Art Zentralstation zu bilden, die, in welcher Form auch der Streitstoff von einer Seite her hineingelange, ihn nach der anderen nur in objektiver Form abgibt und alles zurückbehält, was darüber hinaus den ohne Vermittlung geführten Streit unnütz zu schüren pflegt.

Für die Analyse des Gemeinschaftslebens ist es wichtig, sich klar zu machen, dass die hiermit bezeichnete Konstellation in allen Gruppen, die mehr als zwei Elemente zählen, fortwährend eintritt, auch wo der Vermittler nicht besonders gewählt, auch nicht als solcher besonders bewußt oder bezeichnet ist. 

Die Gruppe zu Dreien ist hier nur Typus und Schema; auf ihre Form reduzieren sich schließlich alle Fälle von Vermittlung. 

Es gibt gar keine Gemeinschaft zu Dreien, von der Unterhaltung einer Stunde bis zum Familienleben, in der nicht bald diese, bald jene zwei in einen Dissens gerieten, harmloser oder zugespitzter, momentaner oder dauernder, theoretischer oder praktischer Natur—und in der nicht der Dritte vermittelnd wirkte. 

Dies geschieht unzählige Male in ganz rudimentärer Art, nur andeutungsweise, gemischt mit andren Aktionen und Wechselbeziehungen, aus denen die Mittlerfunktion gar nicht rein herauslösbar ist. 

Derartige Vermittlungen brauchen nicht einmal in Worten zu geschehen: eine Geste, eine Art des Zuhörens, die Stimmung, die von einem Menschen ausgeht, reicht aus, um einer Differenz unter zwei andren eine Richtung auf die Vereinigung hin zu geben, um das wesentlich Gemeinsame unter einer akuten Meinungsdifferenz fühlbar zu machen, um diese in die Form zu bringen, in der sie sich am leichtesten austrägt. 

Um einen eigentlichen Streit oder Kampf braucht es sich keineswegs zu handeln, es sind vielmehr die tausend ganz leichten Meinungsverschiedenheiten, das An- (-> 79) klingen eines Antagonismus der Naturen, das Auftauchen ganz momentanen Interessen - oder Gefühlsgegensätze das die fluktuierenden Formen jedes Zusammenlebens fortwährend färbt, und das durch die Gegenwart des Dritten, die Vermittlungsfunktion fast unvermeidlich übenden, in seinem Verlauf fortwährend bestimmt wird. 

Diese Funktion geht unter den drei Elementen sozusagen reihum, da das Auf- und Abfluten des gemeinsamen Lebens jene Form an jeder möglichen Kombination der Elemente zu realisieren pflegt.

Die zur Vermittlung erforderte Unparteilichkeit kann zweierlei Voraussetzungen haben: der Dritte ist unparteiisch, wenn er entweder jenseits der kontrastierenden Interessen und Meinungen steht von ihnen unberührt ist, oder wenn er an beiden gleichermaßen teilhat. 

Der erste Fall ist der einfachste, die geringsten Komplikationen mit sich führende. Bei Streitigkeiten zwischen englischen Arbeitern und Unternehmern z. B. ist oft ein Unparteiischer berufen worden, der weder Arbeiter noch Unternehmer sein durfte. 

Bemerkenswert ist die Entschiedenheit, mit der die vorhin betonte Trennung der sachlichen von den personalen Momenten des Streites sich hier verwirklicht. An die Sachgehalte der Parteimeinungen knüpft der Unparteiische der Voraussetzung nach keinerlei persönliches Interesse, sie kommen in ihm nur wie in einem reinen, unpersönlichen Intellekt zur Abwägung, ohne eine subjektive Schicht zu berühren. 

Für die Personen oder Personenkomplexe aber, die diese, für ihn bloß theoretischen Streitinhalte tragen, muß er ein subjektives Interesse haben, da er sonst die Funktion als Vermittler nicht übernehmen würde. 

Es wird hier also gleichsam ein rein objektiver Mechanismus von subjektiver Wärme in Betrieb gesetzt, die personale Distanz von der objektiven Bedeutung des Streites und das gleichzeitige Interesse für seine subjektive charakterisieren erst in ihrer Zusammenwirkung die Stellung des Unparteiischen und machen ihn um so geeigneter, je schärfer jedes für sich ausgebildet ist und je einheitlicher zugleich beides gerade in dieser Differenziertheit zusammenwirkt.

Zu komplizierterer Gestaltung neigt die Lage des Unparteiischen, wenn er dieselbe dem gleichmäßigen Anteilhaben an den gegensätzlichen Interessen, statt der Unberührtheit durch sie, verdankt. 

Eine Vermittlerstellung auf dieser Basis wird sich häufig dann ergeben, wenn eine Persönlichkeit in lokaler Hinsicht einem andren Interessenkreis angehört als in sachlich-beruflicher. 

So konnten in früherer Zeit die Bischöfe manchmal zwischen dem weltlichen Herrscher ihres Sprengels und dem Papste intervenieren; so wird der Verwaltungsbeamte, der mit den speziellen Interessen seines Bezirkes verwachsen ist, der geeignetste Vermittler sein, wenn sich zwischen diesen und den allgemeinen Interessen des Staates, dessen Beamter er ist, eine Kollision ergibt; so wird das Maß von Unparteilichkeit und gleichzeitiger Interessiertheit, das zur Vermittlerschaft zwischen zwei lokal getrennten Gruppen disponiert, sich oft an Persönlichkeiten finden, die aus der einen stammen und in der andren wohnen. Die Schwierigkeit solcher Positionen des Vermittlers (-> 80) pflegt nun darin zu bestehen, dass die Gleichheit seines Interessiertseins für beide Parteien, seine innere Gleichgewichtslage, nicht sicher feststellbar und oft genug von beiden Parteien beargwöhnt ist. 

Eine diffizilere und oft tragische Lage entsteht aber, wenn es nicht so gesonderte Interessenprovinzen des Dritten sind, mit denen er der einen und der andren Partei verbunden ist, sondern wenn seine ganze Persönlichkeit beiden nahe steht, dies spitzt sich aufs äußerste zu, wenn der Streitgegenstand überhaupt nicht recht zu objektivieren ist und die sachliche Bedeutung des Streites eigentlich nur ein Vorwand oder eine Gelegenheitsursache für tiefere personale Unversöhnlichkeiten ist. 

Dann kann der Dritte, der durch Liebe oder Pflicht, durch Schicksal oder Gewöhnung mit jedem von beiden gleichmässig innig verknüpft ist, durch den Konflikt zerrieben werden, viel mehr, als wenn er sich selbst auf eine der beiden Seiten stellte; und um so mehr, als in diesen Fällen die Balanziertheit seiner Interessen, die keinen Ausschlag nach einer Seite gestattet, doch zu keinem erfolgreichen Vermittlertum zu führen pflegt weil die Reduktion auf einen bloß sachlichen Gegensatz versagt. 

Dies ist der Typus sehr vieler Familienkonflikte. 

Während der Vermittler, der durch gleichmässige Distanz gegen die Streitenden unparteiisch ist, es verhältnismässig leicht beiden recht machen kann, wird der, der es durch gleichmässige Nähe zu beiden ist, es sehr viel schwerer haben und persönlich in den peinlichsten Dualismus des Gefühles geraten. 

Deshalb wird man, wo der Vermittler gewählt wird, unter sonst gleichen Umständen den gleichmäßig Uninteressierten dem gleichmässig Interessierten vorziehen, wie z. B. italienische Städte im Mittelalter sich ihre Richter oft aus andren Städten holten, um deren Unbefangenheit gegenüber den inneren Parteizwisten sicher zu sein.

Hiermit ist der Übergang zu der zweiten Einungsform durch den Unparteiischen gegeben: zu dem Schiedsrichtertum. Solange der Dritte als eigentlicher Vermittler wirkt, liegt die Beendigung des Konfliktes doch ausschließlich in den Händen der Parteien selbst; durch die Wahl des Schiedsrichters aber haben sie diese abschließende Entscheidung aus den Händen gegeben sie haben gleichsam ihren Versöhnungswillen aus sich herausprojiziert, er ist in dem Schiedsrichter Person geworden; wodurch er eine besondere Anschaulichkeit und Kraft gegenüber den antagonistischen Kräften gewinnt. 

Die freiwillige Anrufung eines Schiedsrichters, dem man sich a priori unterwirft, setzt ein größeres subjektives Vertrauen in die Objektivität des Urteiles voraus, als irgendeine andre Entscheidungsform. 

Denn selbst vor dem staatlichen Gericht geht doch nur die Aktion des Klägers aus dem Vertrauen auf die gerechte Entscheidung (da er die ihm günstige für die gerechte hält) hervor; der Beklagte muss in den Prozess eintreten, gleichviel ob er an die Unparteilichkeit des Richters glaubt oder nicht. 

Das Schiedsrichtertum aber kommt, wie gesagt, nur durch diesen Glauben auf beiden Seiten zustande. 

Prinzipiell ist das Vermittlertum von dem Schiedsrichtertum durch den angedeuteten Unterschied scharf differenziert und je offizieller die Versöhnungsaktion ist, desto mehr wird auf (-> 81) diese Differenzierung gehalten: von den Streitigkeiten zwischen Kapitalisten und Arbeitern, die ich oben erwähnte, bis zu denen der großen Politik, in der die "guten Dienste" einer Regierung zur Beilegung eines Konfliktes zwischen zweien etwas ganz andres sind als das Schiedsrichteramt, um das manchmal der Herrscher eines dritten Landes angegangen wird. 

In den Alltäglichkeiten des Privatlebens, wo die typische Dreiergruppe fortwährend den einen in die deutliche oder latente, volle oder parallele Differenz zwischen den beiden andren hineinstellt werden sich sehr viele Zwischenstufen erzeugen: bei der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit möglicher Beziehungen wird der Appell der Parteien an den Dritten und dessen freiwillig oder gar gewalttätig ergriffene Initiative zur Einigung ihm oft eine Stellung geben, in der das vermittelnde und das schiedsrichterliche Element überhaupt nicht zu sondern ist. 
Zum Verständnis des wirklichen Gewebes der menschlichen Gesellschaften und seiner unbeschreiblichen Fülle und Bewegtheit ist es das Wichtigste, sich den Blick für solche Ansätze und Übergänge zu schärfen, für die bloß angedeuteten und wieder untertauchenden Beziehungsformen, für ihre embryonalen und fragmentarischen Ausgestaltungen. 

Die Beispiele, in denen sich je einer der für diese Verhältnisformen gebildeten Begriffe ganz rein darstellt, sind zwar die unentbehrlichen Handhaben der Soziologie, aber zu dem wirklichen Leben der Gesellschaft verhalten sie sich nur wie die annähernd genauen Raumformen, an denen man geometrische Sätze exemplifiziert, zu der unermeßlichen Komplikation der realen Formungen der Materie.

Im ganzen dient nach alle dem die Existenz des Unparteiischen dem Bestande der Gruppe; als jeweiliger Repräsentant der intellektuellen Energie gegenüber den momentan mehr durch Willen und Gefühl beherrschten Parteien ergänzt er diese sozusagen zu der Vollständigkeit der seelischen Einheit, die in dem Leben der Gruppe wohnt. 

Er ist einerseits das retardierende Moment gegenüber der Leidenschaft der andren, andrerseits kann er gerade die Bewegung der Gesamtgruppe tragen und leiten, wenn der Antagonismus der beiden andren Elemente ihre Kräfte paralysieren will. 

Dennoch kann dieser Erfolg in sein Gegenteil umschlagen. Aus dem erwähnten Zusammenhang heraus werden die am meisten intellektuell beanlagten Elemente einer Gruppe besonders zur Parteilosigkeit neigen, weil der kühle Verstand Licht und Schatten auf beiden Seiten zu finden, während ein solcher gerade von ihrer Seite äusserst erwünscht wäre. 

Gerade sie mußten, wenn die Gruppe nun einmal zwischen Ja und Nein zu wählen hat, ihr Gewicht in die Wagschale werfen, da diese dann um so wahrscheinlicher nach der richtigen Seite ausschlagen wird. 

Wenn also die Unparteilichkeit nicht gerade der praktischen Vermittlung dient, wird sie durch ihre Verbindung mit der Intellektualität bewirken, daß die Entscheidung dem Spiele der törichteren oder wenigstens (-> 82) befangeneren Kräfte der Gruppe überlassen bleibt.

Wenn deshalb das unparteiische Verhalten als solches so oft—seit Solon—eine Mißbilligung erfährt, so ist dies etwas im sozialen Sinne sehr Gesundes und geht auf einen viel tieferen Instinkt für die Wohlfahrt des Ganzen zurück, als etwa nur auf den Verdacht der Feigheit, der die Unparteilichkeit oft, aber auch oft ganz fälschlich, trifft.

Es liegt auf der Hand, daß die Unparteilichkeit, als gleichmässige Distanz wie als gleichmäßige Anteilnahme des Dritten gegenüber den kollidierenden Zweien, sich mit den verschiedenartigsten sonstigen Beziehungen jenes zu diesen und zu der Gruppentotalität mischen kann. 

Daß z. B. der Dritte, der mit den andren in einer Gruppe befasst ist, aber bisher ihren Konflikten fern gestanden hatte, in diese hineingezogen wird, aber doch gerade mit dem Cachet der Selbständigkeit gegen die bereits bestehenden Parteien—das kann der Einheit und dem Gleichgewicht der Gruppe, wenn auch durchaus in der Form der Labilität dieses letzteren, sehr dienen. 
In dieser soziologischen Form erfolgte in England die erste Beteiligung des dritten Standes an den Staatsangelegenheiten. 

Seit Heinrich III. waren diese unwiderruflich an die Mitwirkung der großen Barone geknüpft, die, mit den Prälaten zusammen, die Gelder bewilligen mußten; der Komplex dieser Stände war dem Könige gegenüber mächtig, ja oft überlegen. 

Dennoch ergaben sich statt eines fruchtbaren Zusammenarbeitens ihrer mit der Krone unaufhörlich Spaltungen, Mißbräuche, Machtwechsel, Zusammenstöße. 

Und nun empfanden beide Parteien, daß dem nur durch die Heranziehung eines dritten Elementes abgeholfen werden könnte: der bisher von den Staatsgeschäften ferngehaltenen Untervasallen und freien Männer, der Grafschaften und Städte. Indem deren Vertreter zu Konzilien — dem Anfange des Unterhauses—geladen wurden, übte das dritte Element die Doppelfunktion: die Regierung wirklich zu einem Gegenbilde der Staatstotalität zu machen—und übte sie als eine Instanz, die den bisherigen Parteien der Regierung gewissermaßen objektiv gegenüberstand und damit half, deren bisher gegeneinander verbrauchte Kräfte harmonischer in die einheitliche Staatszweckmäßigkeit hineinzuleiten.

2. Der Tertus gaudens

Die Unparteilichkeit des dritten Elementes diente oder schadete in den bisherigen Kombinationen der Gruppe als ganzer. 

Der Vermittler wie der Schiedsrichter wollen die Gruppeneinheit aus der Gefahr der Sprengung retten. Seine relativ überlegene Stellung kann aber der Unparteiische ersichtlich auch im rein egoistischen Interesse ausnutzen: während er sich dort als Mittel zu den Zwecken der Gruppe benahm, macht er hier umgekehrt das wechselwirkende Geschehen zwischen den Parteien und zwischen sich und den Parteien zu einem Mittel für seine Zwecke. 

Es handelt sich hier nicht immer um schon vorher konsolidierte Gebilde, in deren sozialem Leben dieses Ereignis neben anderen aufträte; sondern gerade hier wird die Beziehung zwischen den Parteien und dem Unparteiischen oft erst ad hoc gestiftet, Elemente, die sonst durchaus keine wechselwirkende Einheit bilden, können in Streit geraten, ein Dritter, beiden bisher gleichmäßig unverbunden, (-> 83) mag die Chancen, die dieser Streit ihm, dem Unparteiischen, gibt, durch eine spontane Aktion aufgreifen, und so kann sich eine rein labile Wechselwirkung herstellen, deren Lebhaftigkeit und Formenreichtum für jedes Element ganz außer Verhältnis zu der Flüchtigkeit ihres Bestandes steht.

Zwei Erscheinungsarten des Tertius gaudens erwähne ich ohne näheres Eingehen, weil die Wechselwirkung innerhalb der Dreiergruppen, um deren typische Formungen es sich hier handelt, an ihnen nicht recht charakteristisch hervortritt. 

Vielmehr ist das Bezeichnende für sie eine gewisse Passivität, die entweder auf den beiden Streitenden oder auf dem dritten Elemente liegt. 

Es kann nämlich der Vorteil des Dritten dadurch geschaffen werden, daß die beiden anderen sich gegenseitig in Schach halten und er nun einen Gewinn einstreichen kann, den ihm sonst einer dieser beiden streitig gemacht hätte. 

Der Zwist bewirkt hier nur eine Lähmung von Kräften, die sich, wenn sie nur könnten, gegen den Dritten wenden würden. 

Die Situation hebt hier also eigentlich die Wechselwirkung unter den drei Elementen auf, statt eine solche zu stiften, ohne freilich darum der fühlbarsten Erfolge für alle Teile zu entbehren. über die absichtliche Herbeiführung dieser Situation ist bei der nächsten Dreierkonfiguration zu handeln. Zweitens, kann der Dritte zu einem Vorteil kommen, nur weil die Aktion der einen streitenden Partei diesen Vorteil um ihrer Zwecke willen realisiert' und ohne daß der Begünstigte selbst eine Initiative zu ergreifen brauchte. 
Der Typus hierfür sind die Wohltaten und Förderungen) die eine Partei einem Dritten zukommen lässt, bloß um die Gegenpartei dadurch zu kränken. 

So sind die englischen Arbeiterschutzgesetze anfänglich zum Teil aus der bloßen Rancune der Tories gegen die liberalen Fabrikanten hervorgegangen, so gehören manche der Wohltätigkeitsaktionen hierher, die der Wettlauf um die Popularität erzeugt. 

Es ist wunderlicherweise gerade eine besonders kleinliche und boshafte Gesinnung, die, um einen Zweiten zu ärgern, einem Dritten wohltut: die Gleichgültigkeit gegen den sittlichen Selbstzweckcharakter des Altruismus kann nicht schärfer hervortreten, als durch eine solche Ausnutzung seiner. 

Und es ist doppelt bezeichnend, daß man den Zweck' den Gegner zu ärgern, sowohl durch die Begünstigung, die man seinem Freunde, wie die man seinem Feinde erweist, erreichen kann.

Die hier wesentlicheren Formungen ergeben sich, wenn der Dritte sich seinerseits praktisch, unterstützend, gewährend der einen Partei zuwendet (also nicht nur intellektuell-sachlich, wie der Schiedsrichter) und hieraus seinen mittelbaren oder unmittelbaren Gewinn zieht. 

Innerhalb dieser Form finden sich zwei hauptsächliche Ausgestaltungen: zwei Parteien sind untereinander feindlich und konkurrieren deshalb um die Gunst des Dritten, oder: zwei Parteien konkurrieren um die Gunst des Dritten und sind deshalb untereinander feindlich. 

Dieser Unterschied ist besonders für die Weiterentwicklung der Konstellation wichtig. 

Drängt nämlich eine schon vorhandene Feindseligkeit dazu, daß jede Partei die Gunst des Dritten nachsucht, so wird die Entscheidung dieser Konkurrenz, (-> 84) der Beitritt des Dritten zu der einen Partei, erst den Beginn des Kampfes bedeuten; umgekehrt, wo zwei Elemente unabhängig von einander sich um die Gunst eines Dritten bemühen, und dies den Grund ihrer Feindseligkeit, ihres Partei-werdens ausmacht, pflegt die definitive Erteilung dieser Gunst—die also hier Objekt, nicht Mittel des Streites ist—diesen zu beenden: die Entscheidung ist gefallen, und die weitere Feindseligkeit ist damit praktisch gegenstandslos geworden. 

In beiden Fällen liegt der Vorteil der Unparteilichkeit, mit der der Tertius ursprünglich den beiden gegenübersteht, darin, daß er seine Bedingungen für seine Entscheidung stellen kann. 

Wo ihm aus irgendeinem Grunde dieses Stellen von Bedingungen versagt ist, da bringt die Situation ihm auch nicht den vollen Nutzen. 

So in einem der häufigsten Fälle des zweiten Typus, der Konkurrenz zweier Personen desselben Geschlechtes um die Gunst einer Person des anderen. Hier hängt die Entscheidung der letzteren im allgemeinen nicht in demselben Sinne von ihrem Willen ab, wie die eines Käufers zwischen konkurrierenden Angeboten oder eines Gnaden verteilenden Fürsten zwischen konkurrierenden Bittstellern, sondern ist durch vorhandene Gefühle gegeben, die vom Willen nicht bestimmbar sind und ihn von vornherein gar nicht in die Lage einer Wahl bringen. 

Deshalb ist von Anerbietungen, deren Sinn eben die Lenkung der Wahl ist, hier nur in Ausnahmefällen die Rede, und trotzdem die Situation des Tertius gaudens vollkommen gegeben ist, ist doch ihre spezifische Ausnutzung im ganzen verwehrt. 

Das umfassende Beispiel des Tertius gaudens ist das kaufende Publikum in einer Wirtschaft mit freier Konkurrenz. 

Der Kampf der Produzenten um den Abnehmer gibt diesem eine fast völlige Unabhängigkeit von dem einzelnen Lieferanten—wenngleich er von der Gesamtheit derselben völlig abhängig ist, eine Koalition von ihnen also das Verhältnis sogleich umdrehen würde—und gestattet ihm, seinen Kauf an die Erfüllung seiner Ansprüche hinsichtlich Qualität und Preis der Ware zu knüpfen. 

Seine Stellung hat hierbei noch den besonderen Vorteil, daß die Produzenten diesen Bedingungen sogar noch zuvorzukommen versuchen müssen, die oder unbewußten Wünsche des Konsumenten zu erraten, überhaupt nicht vorhandene ihm zu suggerieren oder anzugewöhnen. 

Von dem erst berührten Fall der Frau zwischen zwei Bewerbern, in dem, weil die Entscheidung von dem Sein dieser und nicht von ihrem Tun abhängt, die Wählende keine Bedingungen zu stellen pflegt und also die Situation nicht ausnutzt—führt eine kontinuierliche Reihe von Erscheinungen bis zu dem des modernen Warenverkehrs, aus dem das Sein der Persönlichkeit völlig ausgeschieden ist, und in dem der Vorteil des Wählenden so weit geht, daß die Parteien ihm sogar die Steigerung der Bedingungen auf ihr Maximum abnehmen. 

Das letztere ist das Äußerste, was die Situation des Tertius gaudens diesem leisten kann.

Für die andere Formung: daß ein zu dem Dritten ursprünglich ganz beziehungloser Streit seine Parteien zwingt, um die Hilfe jenes zu konkurrieren — pflegt die Geschichte jeder Bundesgenossen (->85) schaft, von der zwischen Staaten bis zu der zwischen Familienmitgliedern, ein Beispiel zu liefern. 

Der sehr einfache typische Verlauf gewinnt etwa noch in der folgenden Modifikation ein besonderes soziologisches Interesse. 
Um dem Dritten jene vorteilhafte Lage zu verschaffen, braucht die von ihm einzusetzende Macht durchaus kein erhebliches Quantum im Verhältnis zu der Machtgröße jeder Partei zu besitzen. 

Vielmehr, wie groß seine Macht dazu sein muß, bestimmt sich ausschließlich durch das Verhältnis, das die Kräfte der Parteien untereinander aufweisen. Es kommt nämlich ersichtlich nur darauf an, daß sein Hinzutritt zu der einen dieser das Übergewicht verschafft. 

Wenn also die Machtquanten nahezu gleich sind, so genügt oft ein Minimum an Zuwachs, um den definitiven Ausschlag nach der einen Seite zu geben. Daher der häufige Einfluß kleiner parlamentarischer Parteien, den sie nie durch ihre eigene Bedeutung, sondern nur dadurch gewinnen können, daß die großen Parteien sich ungefähr die Wage halten. 
Überall, wo Majoritäten entscheiden, also oft alles von einer einzigen Stimme abhängt, liegt die Möglichkeit vor, daß ganz unbedeutende Parteien die krassesten Bedingungen für ihre Unterstützung stellen. Entsprechendes kann im Verhältnis kleiner Staaten zu großen, im Konflikt befindlichen, eintreten. 

Es kommt eben nur darauf an, daß die Kräfte zweier antagonistischer Elemente sich gegenseitig paralysieren, um der an sich noch so schwachen Position des noch nicht engagierten Dritten eine gar nicht zu limitierende Stärke zu geben. 

An sich starke Elemente werden von dieser Situation natürlich nicht weniger profitieren; was freilich innerhalb mancher Formationen, z. B. innerhalb eines entschieden ausgebildeten Parteilebens dadurch erschwert wird, daß gerade die großen Parteien oft in sachlicher Hinsicht und in ihrer Relation zueinander sehr festgelegt sind und deshalb nicht diejenige volle Freiheit der Entschliessungen haben, die ihnen alle Vorteile des Tertius gaudens einbrächte. 

Durch ganz besonders günstige Konstellationen entgeht etwa die Zentrumspartei in den deutschen Parlamenten der letzten Jahrzehnte dieser Einschränkung. Was nämlich ihre Machtstellung außerordentlich stärkt, ist, daß ihre Parteiidee sie nur für einen ganz kleinen Teil der parlamentarischen Entscheidungen auf eine bestimmte Richtung festlegt. 

In bezug auf alle anderen kann sie sich völlig frei, bald so, bald so, entscheiden: sie kann sich für oder gegen Schutzzölle, für oder gegen arbeiterfreundliche Gesetze, für oder gegen Militärforderungen aussprechen, ohne durch ihr Parteiprogramm prajudiziert zu sein. 

Darum steht sie in all solchen Fällen als Tertius gaudens zwischen den Parteien, deren jede sich um ihre Gunst bemühen kann. Kein Agrarier wird den Beistand der Sozialdemokraten für Getreidezölle suchen, weil er weiß, daß sie von Partei wegen dagegen sein müssen; kein Freisinniger wird ihren Beistand gegen ihre Zölle suchen und bezahlen, weil er weiß daß sie sowieso von Partei wegen mit ihm übereinstimmen. 

Dagegen können beide an das Zentrum gehen, das wegen seiner Freiheit in dieser Frage eben auch prinzipiell frei ist, seinen Preis zu machen. 

Andrerseits ist, was gerade einem von vornherein starken Faktor (->86) die Situation des Tertius gaudens einträgt, dies, daß sie ihm oft die reale Machtentfaltung erspart. 

Die Vorteile des Tertius gaudens werden ihm nämlich aus der hier bezeichneten Situation nicht nur bei einem wirklichen Kampf, sondern schon aus einem Spannungsverhältnis und latenten Antagonismus der beiden anderen zufließen; er wirkt hier durch die bloße Möglichkeit, sich für den einen oder den anderen zu entscheiden, auch wenn es zu dem Ernstfalle gar nicht kommt. 

Für die Wendung der englischen Politik in der beginnenden Neuzeit, der mittelalterlichen gegenüber, war eben dies charakteristisch, insofern sie nicht mehr Besitz und unmittelbare Herrschaft auf dem Kontinent suchte, aber immer eine Macht besaß, die potentiell zwischen den kontinentalen Reichen stand. 

Es hieß schon im 6. Jahrhundert, Frankreich und Spanien waren die Schalen der europäischen Wage, England aber the tongue or the holder of the balance. 

Mit großem Nachdruck haben die römischen Bischöfe schon in der Entwicklung bis zu Leo d. Gr. dies ganze Formprinzip ausgebildet, indem sie streitende Parteien innerhalb der Kirche nötigten, ihnen die Stellung der ausschlaggebenden Macht einzuräumen. 

Schon früh nämlich hatten Bischöfe, die mit andern in dogmatischen oder sonstigen Zerwürfnissen standen, sich um Unterstützung an den römischen Amtsbruder gewandt, und grundsätzlich hatte dieser sich immer auf die Seite der Bittsteller gestellt. 

Infolgedessen blieb auch der jeweilig zweiten Partei nichts übrig, als sich gleichfalls an den römischen Bischof zu wenden, um ihn nicht von vornherein gegen sich zu haben. Dadurch erwirkte dieser sich selbst die Prärogative und Tradition einer entscheidenden Instanz. 

Was man die soziologische Logik der Situation der drei, von denen zwei im Streit liegen, nennen könnte, hat sich hier nach der Seite des Tertius gaudens hin mit besonderer Reinheit und Intensität entwickelt.

Nun ist der Vorteil, der dem Dritten daraus erwächst, daß er zu zwei andern ein a priori gleiches, gleich unabhängiges und eben dadurch bestimmendes Verhältnis hat, nicht nur daran gebunden, daß diese beiden sich in Gegnerschaft befinden. Es genügt dazu vielmehr, daß sie überhaupt nur eine gewisse Unterschiedenheit, Fremdheit, qualitativen Dualismus gegeneinander haben; dies ist sogar die allgemeine Formel des Typus, von der die Feindseligkeit der Elemente nur einen besonderen, wenn auch den häufigsten Fall bildet. 

Sehr bezeichnend ist z. B. die folgende, aus der bloßen Zweiheit sich ergebende Begünstigtheit eines Tertius. Wenn B schuldig ist, dem A eine bestimmt umgrenzte Pflicht zu leisten, und diese von B auf C und D übergeht, zwischen welchen die Leistung zu verteilen ist, so liegt für A die Versuchung nahe, jedem von beiden womöglich eine Kleinigkeit mehr als die Hälfte aufzuerlegen, so daß er im ganzen eben mehr als vorher, da die Pflicht noch in einer Hand war, genießt. 1751 mußte die Regierung eigens in Böhmen verbieten, bei Teilung bäuerlicher Stellen durch die Gutsherrschaft jeder Teilstelle mehr als die ihrer Größe entsprechende Teillast von den auf der ungeteilten Stelle haftenden Frondiensten aufzubürden. 

Bei der Teilung der Pflicht auf zwei überwiegt die Vorstellung, daß (-> 87) jeder einzelne doch immerhin weniger zu leisten hat, als der frühere Einzelne, auf dem das Ganze lastete; die genauere Abwägung des Quantums tritt dahinter zurück und kann so leicht verschoben werden. 

Während hier also sozusagen die bloß numerische Tatsache der Zweiheit statt der Einheit der Partei die Situation des Tertius gaudens bewirkt, erhebt sie sich im folgenden Fall über einer durch qualitative Unterschiede bestimmten Zweiheit. 

Die für das germanische Mittelalter unerhörte Gerichtsgewalt des englischen Königs nach der normannischen Eroberung erklärt sich so, daß Wilhelm der Eroberer zwar Rechte der angelsächsischen Bevölkerung vorfand, die prinzipiell geachtet werden sollten, und ebenso seine Normannen ihre heimatlichen Rechte mitbrachten. 

Aber diese beiden Rechtskomplexe passten nicht zusammen, sie ergaben keine Einheit des Volksrechts gegenüber dem König, der durch die Einheitlichkeit seines Interesses sich zwischen beide schieben und sie weitgehend annullieren konnte. 

In dem Zwiespalt der Nationen — nicht nur, weil sie stets mit einander haderten, sondern weil eben ihre Verschiedenheit eine gemeinsame Rechtsbehauptung erschwerte—lag der Stützpunkt des Absolutismus, und deshalb sank seine Macht stetig, sobald die beiden Nationalitäten wirklich zu einer einzigen verschmolzen.

Die begünstigte Stellung des Dritten verschwindet also überhaupt in dem Augenblick, in dem die beiden andern zu einer Einheit zusammengehen, d.. h. die Gruppierung sich in der grade fraglichen Beziehung aus der Dreier- in die Zweierkombination zurückbildet. 

Es ist nicht nur über das besondre Problem, sondern über das Gruppenleben überhaupt belehrend, daß dieser Erfolg auch ohne personale Vereinigung oder Interessenverschmelzung vor sich gehen kann: indem der Gegenstand des Antagonismus durch objektive Fixierung dem Zwist der subjektiven Ansprüche entzogen wird. 

Dies scheint mir der folgende Fall besonders scharf zu beleuchten. Dadurch, daß die moderne Industrie zu einem fortwährenden Ineinandergreifen der mannigfaltigsten Gewerbe führt, und fortwährend neue, keinem bestehenden Gewerbe historisch zugehörige Aufgaben stellt, erzeugt sie, besonders in England, sehr häufige Kompetenzkonflikte der verschiedenen Arbeiterkategorien. 

In den großen Betrieben sind die Schiffsbauer mit den Tischlern, die Klempner mit den Schmieden, die Kesselschmiede mit den Metallbohrern, die Maurer mit den Ziegeldeckern stets in Streit, wem von ihnen eine bestimmte Arbeit zukäme. 

Jedes Gewerk legt sofort die Arbeit nieder, wenn es glaubt, daß ein andres in die ihm zukommenden Aufgaben übergreift. 

Der unlösbare Widerspruch ist hierbei, daß feste Begrenzungen subjektiver Rechte an Objekten vorausgesetzt werden, die ihrem Wesen nach in kontinuierlichem Fluß sind. Solche Konflikte zwischen den Arbeitern haben oft ihre Stellung dem Unternehmer gegenüber schwer erschüttert. 

Dieser hat einen moralischen Vorteil, sobald seine Arbeiter wegen ihrer inneren Zwistigkeiten streiken und ihm dadurch unermeßlichen Schaden zufügen, und hat es außerdem in der Hand, jedes einzelne Gewerk durch die Drohung, ein andres bei der fraglichen Arbeit (-> 88) zu beschäftigen, beliebig zu drücken. 

Das ökonomische Interesse jedes Gewerkes, sich die Arbeit nicht wegnehmen zu lassen, ruht auf der Furcht, daß der konkurrierende Arbeiter es billiger mache und dadurch den Standardlohn für diese Arbeit eventuell herunterdrücke. 

Es wurde deshalb als einzig möglicher Ausweg vorgeschlagen, die Gewerkvereine mögen in Beratung mit den verbündeten Unternehmern den Standardlohn für jede bestimmte Arbeit festsetzen und es dann den letzteren überlassen, welche Kategorie von Arbeitern sie für jede vorliegende Arbeit einstellen wollen; denn nun braucht die ausgeschlossene keine Schädigung ihres prinzipiellen ökonomischen Interesses mehr zu fürchten. 

Durch die Objektivierung des Streitgegenstandes wird dem Unternehmer der Vorteil in bezug auf Lohndruck und Ausspielen der beiden Parteien gegeneinander entzogen—obgleich ihm die Wahl zwischen den verschiedenen Arbeiterschaften geblieben ist, die ihm jetzt aber nichts mehr nützt. 

Die frühere Ungeschiedenheit des personalen und des sachlichen Momentes hat sich differenziert, und während in bezug auf das erstere der Unternehmer noch in der formalen Situation des Tertius gaudens geblieben ist, hat die objektive Fixierung des zweiten dieser Situation die Chancen ihrer Ausnutzung genommen
Viele der hier und in der nächsten Formung erwähnten Streitarten müssen mitgewirkt haben, um, unter den weltlichen Mächten des Mittelalters ausbrechend, die Machtstellung der damaligen Kirche zu erzeugen oder zu steigern. 

Bei den ewigen Unruhen und Streitigkeiten in den großen und kleinen politischen Bezirken mußte die einzige stabile Macht, die sowieso schon von jeder Partei verehrt oder gefürchtet wurde, eine mit nichts vergleichbare Prärogative gewinnen. 

Unzählige Male ist es überhaupt nur die Stabilität des Dritten in den wechselnden Stadien des Streites, seine Unberührtheit durch den Streitstoff, um den das Auf und Nieder der beiden Parteien oszilliert, was ihm sein Übergewicht und seine Gewinnmöglichkeiten einträgt. 

Je gewaltsamer und namentlich je länger andauernd der Kampf von Parteien ihre Positionen schwanken lässt, desto überlegener, respektierter und chancenreicher wird, ceteris paribus, Festigkeit und Beharren rein als formale Tatsache die Position eines Dritten gestalten. 

Von dieser allenthalben beobachtbaren Konstellation gibt es wohl kein gigantischeres Beispiel als eben die katholische Kirche. 

Es ist für die allgemeine, alle seine Ausgestaltungen betreffende Charakterisierung des Tertius gaudens noch anzuführen, daß zu den Ursachen seiner Prärogative schon der bloße Unterschied der seelischen Energien gehört, die er und die die andern in das Verhältnis einsetzen. 

Was ich vorhin von dem Unparteiischen überhaupt erwähnte: daß er mehr die Intellektualität, die Streitenden aber mehr das Gefühl und den Willen vertreten—dies gibt ihm, wo er die Situation egoistisch ausnutzen will, eine beherrschende, sozusagen auf einer idealen Höhe thronende Stellung und jenen äußeren Vorteil, den in jeder Komplikation der nicht gefühlsmässig Beteiligte besitzt. 

Und selbst wo er die praktische Ausnutzung seines unbefangeneren Blickes und seiner nicht von vornherein engagierten, sondern stets disponiblen Kräfte (-> 89) verschmäht, trägt ihm seine Situation mindestens das Gefühl einer leisen ironischen Überlegenheit über die Parteien ein, die um einen ihm so gleichgültigen Preis so vieles aufs Spiel setzen.

3. Divide et impera

In diesen Kombinationen des Dreierschemas handelt es sich um einen bestehenden oder entstehenden Zwist zweier Elemente, aus dem der Dritte Vorteil zog; es ist nun eine gesondert zu betrachtende, obgleich in der Wirklichkeit nicht immer gegen jene abzugrenzende Nuance, daß der Dritte jenen Zwist vorsätzlich stiftet, um eine beherrschende Situation zu gewinnen.

Vorauszuschicken ist auch hier, daß die Dreizahl natürlich nur die Mindestzahl der zu dieser Formung erforderlichen Elemente bedeutet und deshalb als einfachstes Schema dienen mag. 

Es handelt sich hier also darum, daß zwei Elemente ursprünglich einem Dritten gegenüber miteinander vereint oder aufeinander angewiesen sind, und daß dieser die gegen ihn verbundenen Kräfte gegeneinander in Tätigkeit zu setzen weiß, der Erfolg ist dann, daß sie sich entweder gegenseitig die Wage halten, so daß er, von beiden ungestört, seine Vorteile verfolgen kann, oder daß sie sich gegenseitig so schwächen, daß keiner von ihnen der Übermacht jenes zu widerstehen vermag. Ich charakterisiere nun einige Stufen der Skala, in die man die einschlägigen Erscheinungen ordnen kann. 

Die einfachste liegt da vor, wo eine überlegene Macht die Vereinigung von Elementen hindert, die noch gar nicht positiv zu einer solchen streben, aber es doch vielleicht tun könnten. 

Hierhin gehören vor allem die gesetzlichen Verbote politischer Vereinigungen, sowohl von solchen überhaupt, wie von Verbindungen zwischen Vereinen, die als einzelne gestattet sind. 

Es liegt meistenteils gar keine bestimmt substanzierte Befürchtung vor, gar keine irgend erweisliche Gefährdung der herrschenden Mächte durch derartige Vereinigungen. Sondern die Form der Vereinigung als solche wird gefürchtet, weil sie möglicherweise einen gefährlichen Inhalt in sich aufnehmen könnte. 

Ausdrücklich sagt Plinius in seiner Korrespondenz mit Trajan, die Christen seien gefährlich, weil sie eine Genossenschaft bildeten; im übrigen aber seien sie völlig harmlos. 

Die Erfahrung, daß revolutionäre oder überhaupt auf Wandlung des Bestehenden gerichtete Tendenzen sich die Form der Vereinigung möglichst vieler Interessenten geben müssen, wächst zu der logisch falschen, aber psychologisch wohl begreiflichen Umkehrung aus, daß alle Vereinigungen eine gegen die bestehenden Gewalten gerichtete Tendenz haben. 

Das Verbot gründet sich also sozusagen auf eine Möglichkeit zweiter Potenz: nicht nur sind die von vornherein verbotenen Vereinigungen bloß möglich und bestehen oft noch nicht einmal in dem Wunsche der so Auseinandergehaltenen, sondern die Gefahren, um derentwillen die Untersagung erfolgt, wären auch seitens der verwirklichten Vereinigung nur mögliche. 

In der Form dieser Vereinigungsverbote tritt das Divide et impera also auf als die denkbar sublimierteste Prophylaxis des einen Elementes gegen alle Eventualitäten aus der Verbindung der andern. 

Diese vorbeugende Form kann sich formal gleich da wiederholen, wo die Mehrheit, die dem einen gegenübersteht, aus den verschiedenen (-> 90) Machtelementen einer und derselben Persönlichkeit besteht. 

Das anglo-normannische Königtum sorgte dafür, daß die Herrenhöfe in der Feudalzeit möglichst zerstreut lagen: einige der mächtigsten Vasallen waren in 17 bis 21 shires eingesessen. 
Durch dieses Prinzip lokaler Teilung konnten die Herrschaften der Kronvasallen sich nicht wie auf dem Kontinent zu großen souveränen Höfen konsolidieren. So hören wir über frühere Aufteilungen von Ländern unter die Söhne der Herrscher: man habe die Stücke möglichst bunt durcheinander gelegt, um die völlige Separation zu verhindern. 

Die einheitliche Staatsidee will so ihre Herrschaft durch Zersplitterung jedes Teilgebietes retten, das, wenn es räumlich geschlossen wäre, sich ihr leicht entziehen könnte.

Die prophylaktische Hinderung der Vereinigung wirkt nun zugespitzter, wo schon ein direktes Streben zu letzterer besteht. Unter dieses Schema gehört die—freilich noch mit andren Motiven komplizierte—Erscheinung, daß Arbeitgeber sich allgemein aufs entschiedenste weigern, in Lohn- und andren streitigen Angelegenheiten mit Mittelspersonen, die nicht zur eigenen Arbeiterschaft gehören, zu verhandeln. 

Dadurch verhindern sie nicht nur, daß die Arbeiter ihre Position durch Verbindung mit einer Persönlichkeit verstärken, die von den Arbeitgebern nichts zu fürchten oder zu erwarten hat; sondern sie erschweren auch die einheitliche Aktion der Arbeiterschaften verschiedener Betriebe, die z. B. auf durchgängige Einführung eines Lohntarifes gerichtet ist. 

Indem die Mittelsperson abgelehnt wird, die gleichmässig für mehrere Arbeiterschaften verhandeln könnte, unterbindet der Arbeitgeber die drohende Verbindung der Arbeiter; gegenüber den vorhandenen Bestrebungen zu einer solchen wird dies als so wichtig für seine Position empfunden, daß Unternehmerverbände manchmal jedem ihrer Mitglieder diese Isolierung seiner Arbeiterschaft bei Streitigkeiten und Verhandlungen als statutenmässige Pflicht auferlegen. 

Innerhalb der Geschichte der englischen Gewerkvereine bezeichnete es, hauptsächlich im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts, einen außerordentlichen Fortschritt, als die Ausnutzung dieses divide durch die Unternehmer vermittels einer unpersönlichen Instanz hintangehalten wurde. 

Man begann nämlich den Schiedssprüchen Unparteiischer, die man in Streitsachen hinzuzog, von beiden Seiten Gültigkeit über den individuellen Fall hinaus, beizulegen. 

Dadurch stand nun bald vielfach eine allgemeine Regel über den, wenn auch noch individuell geführten Verhandlungen des Unternehmers mit seinen Arbeitern, und dies ist ersichtlich eine vermittelnde Stufe zu der kollektiven Vertragsschliessung innerhalb des gesamten, alle Interessenten einbeziehenden Gewerbes, in der die Praxis des divide prinzipiell fortfällt.—

Über jene bloße Prophylaxis gehen weiterhin die Versuche konstitutioneller Herrscher hinaus, durch Spaltungen des Parlamentes die Bildung unbequemer Majoritäten zu verhüten. Ich erwähne nur ein Beispiel, das durch seinen Radikalismus von prinzipiellem Interesse ist. 

Unter Georg III. übte der englische Hof die Praxis, alles Parteiwesen als solches für eigentlich unzulässig und mit dem Staatswohl unvereinbar zu erklären. Und zwar vermittels (-> 91) des Grundsatzes, daß nur die Einzelperson und ihre individuelle Befähigung politische Dienste leisten könne; indem man als die spezifischen Leistungen jener Vielheiten Gesetze und allgemeine Direktiven bezeichnete, forderte man men, not measures. 

So spielte man die praktische Bedeutung der Individualität gegen die Aktionen von Mehrheiten aus und suchte durch die etwas verächtliche Identifizierung der sozialen Vielheit mit der abstrakten Allgemeinheit jene in ihre Atome, als das angeblich einzig Reale und Wirksame, aufzulösen.

Das Auseinanderhalten der Elemente gewinnt statt der prohibitiven schon eine aktivere Form, wo der Dritte Eifersucht zwischen ihnen stiftet. 

Damit sind noch nicht die Fälle gemeint, in denen er die beiden andren sich gegeneinander aufreiben läßt, um auf ihre Kosten eine neue Ordnung der Dinge herzustellen; sondern es handelt sich hier gerade oft um konservative Tendenzen, der Dritte will seine schon bestehende Prärogative eben dadurch erhalten, daß er eine befürchtete Koalition der beiden andren vermittels der Eifersucht zwischen ihnen am Entstehen oder mindestens an der Entwicklung über den ersten Ansatz hinaus hindert. 

Mit einer besonderen Feinheit scheint von dieser Technik in einem Fall, der aus dem alten Peru berichtet wird, Gebrauch gemacht zu sein. 

Es war allgemeine Übung der Inkas, einen neu eroberten Stamm in zwei ungefähr gleiche Hälften zu teilen und in beide je einen Vorsteher einzusetzen, und zwar mit einer geringen Rangdifferenz zwischen beiden. 

Dies war tatsächlich das geeignetste Mittel, zwischen diesen Häuptlingen eine Rivalität hervorzurufen, die es zu keiner einheitlichen Aktion des unterworfenen Gebietes gegen die Herrscher kommen ließ. 

Sowohl eine ganz gleiche Position wie eine sehr differente hätten eher ein Zusammengehen ermöglicht: jene, weil dann bei einer eventuellen Aktion eine wirkliche Halbierung der Führerschaft eher als jedes andre Verhältnis durchzuführen gewesen wäre, und weil, wo es doch der Unterordnung bedurft hätte, gerade Pairs sich noch am leichtesten solcher technischen Notwendigkeit fügen; diese, weil mit ihr die Führerschaft des einen keinen Widerspruch gefunden hätte. 

Der geringe Rangunterschied lässt es am wenigsten zu einem organischen und befriedigenden Verhältnis in der hier befürchteten Einung kommen, da der eine auf sein Plus hin zweifellos die unbedingte Prärogative beansprucht hätte, das Minus des andren aber nicht bedeutend genug war, um ihm nicht dieselbe Ambition nahezulegen.

Das Prinzip der ungleichen Austeilung irgendwelcher Werte, um die so erregte Eifersucht zum Mittel des divide et impera zu machen, ist eine allgemeine Technik gegen die dann wieder gewisse soziologische Zustände einen ebenso prinzipiellen Schutz gewähren. Man hat die australischen Eingeborenen durch ungleich verteilte Gaben gegeneinander zu verhetzen und damit leichter zu beherrschen versucht. 

Allein dies scheiterte stets an dem Kommunismus der Horden, die jede Gabe, an wen sie auch gelangte, sogleich unter alle Mitglieder verteilten. Neben der Eifersucht ist es vor allem das Misstrauen, das als psychologisches Mittel zu dem gleichen (-> 92) Zweck verwendet wird, und das, im Unterschied gegen jene, gerade größere Mengen von verschwörerischen Vereinigungen zurückzuhalten vermag. Aufs wirkungsvollste betrieb dies die venezianische Regierung durch die im ungeheuersten Massstabe inszenierte Aufforderung der Bürger zur Denunziation irgendwie Verdächtiger. 

Niemand wußte, ob sein nächster Bekannter nicht im Dienste der Staatsinquisition stand, und so waren revolutionäre Pläne, die das gegenseitige Vertrauen einer großen Anzahl von Personen voraussetzten, von der Wurzel her abgeschnitten, so daß in der späteren Geschichte von Venedig offene Aufstände so gut wie gar nicht vorkommen.

Die krasseste Form des divide et impera, die Entfesselung positiven Kampfes zwischen zwei Elementen, kann ihre Absicht in dem Verhältnis des Dritten sowohl zu diesen beiden wie zu außerhalb ihrer gelegenen Objekten haben. 

Das letztere findet etwa statt, wo der eine von drei Anwärtern auf ein Amt die beiden andren so gegeneinander aufzuhetzen versteht, daß sie durch Klatschereien und Verleumdungen, die jeder von ihnen über den andren in Umlauf setzt, sich gegenseitig um ihre Chancen bringen. 

In allen Fällen dieses Typus zeigt sich die Kunst des Dritten in der Größe des Abstandes, in den er sich selbst von der Aktion, die er entfesselt, zu stellen weiß. Je mehr er den Kampf nur an unsichtbaren Fäden lenkt, je mehr er das Feuer so anzulegen versteht, daß es ohne sein weiteres Zutun und Hinsehen weiter brennt, desto zugespitzter und unabgelenkter wird nicht nur der Kampf der beiden andren bis zu ihrem beiderseitigen Ruin fortgesetzt werden, sondern desto mehr wird auch der Kampfpreis, den es zwischen ihnen galt, oder die sonstigen ihm wertvollen Objekte ihm wie von selbst in den Schoß zu fallen scheinen. 

Auch in dieser Technik waren die Venezianer Meister. Um sich der Güter von Adligen auf der Terraferma zu bemächtigen, hatten sie das Mittel, an jüngere oder nicht ebenbürtige Edelleute hohe Titel zu verteilen. 

Die Entrüstung der Älteren und Vornehmen darüber gab stets Gelegenheit zu Raufereien und Friedensbrüchen zwischen beiden Parteien, worauf denn die venezianische Regierung in aller Form rechtens die Güter der Schuldigen konfiszierte. 

Gerade an derartigen Fällen, wo der Zusammenschluß der veruneinigten Elemente gegen den gemeinsamen Unterdrücker von der einleuchtendsten Zweckmässigkeit wäre—wird als generelle Bedingung des divide et impera recht deutlich, daß Feindseligkeiten eben keineswegs in dem Zusammenstoß realer Interessen ihren allein zureichenden Grund haben. 
Wenn nur irgendein Bedürfnis zur Feindseligkeit überhaupt, ein Antagonismus, der seinen Gegenstand erst sucht, in der Seele besteht, kann es leicht gelingen, ihr statt des jenigen Gegners, gegen den die Feindschaft Sinn und Zweck hätte einen ganz andren zu substituieren. 

Das divide et impera fordert von seinem Künstler, daß er durch Hetzen, Verleumdungen, Schmeicheln, Erregen von Erwartungen usw. jenen allgemeinen Aufregungszustand und Kampflust hervorrufe, in dem die Unterschiebung eines eigentlich gar nicht indizierten Gegners gelingen kann. 

So kann sich die Form des Kampfes von seinem Inhalt und (-> 93) dessen Vernunftmässigkeit ganz lösen. 

Der Dritte, dem eigentlich die Feindseligkeit der beiden andren zu gelten hätte, kann sich gleichsam zwischen ihnen unsichtbar machen, so daß der Anprall beider nicht gegen ihn, sondern gegenseitig gegen sie selbst erfolgt.

Wo nun der Zweck des Dritten nicht in einem Objekt, sondern in der unmittelbaren Beherrschung der beiden andren Elemente liegt, sind zwei soziologische Gesichtspunkte wesentlich.

Gewisse Elemente sind so geformt, daß sie nur durch gleichgeartete erfolgreich bekämpft werden können. 

Der Wille zu ihrer Unterwerfung findet unmittelbar keinen rechten Angriffspunkt, so daß nur übrig bleibt, sie sozusagen in sich selbst zu teilen und zwischen den Teilen einen Kampf, den sie nun mit homogenen Waffen führen können, zu unterhalten, bis sie hinreichend geschwächt sind und so dem Dritten zur Beute fallen. 

Von England hat man gesagt, es habe Indien nur durch Indien gewinnen können, wie schon Xerxes erkannt hatte, daß man Griechenland am besten durch Griechen bekämpfe. 

Gerade die durch die Gleichheit der Interessen aufeinander Angewiesenen kennen ihre Schwächen und ihre verwundbaren Punkte gegenseitig am besten, so daß der Grundsatz des similia similibus— die Vernichtung irgendeines Zustandes durch Erregung eines gleichartigen — sich hier im weitesten Massstabe wiederholen kann. 

Während man gegenseitige Förderung und Vereinheitlichung am besten bei einem gewissen Maß qualitativer Unterschiedenheit gewinnt, weil hierdurch das Ergänzen, Zusammenwachsen, organisch differenzierte Leben sich ergibt — scheint die gegenseitige Zerstörung am besten bei qualitativer Gleichartigkeit zu gelingen, abgesehen natürlich von so großem quantitativem Kraftübergewicht der einen Partei, daß das Verhältnis der Beschaffenheiten überhaupt gleichgültig wird. 

Die ganze Kategorie von Feindschaften, die im Bruderkampf gipfelt, zieht ihren radikal-zerstörerischen Charakter daraus, daß ebenso Erfahrung und Kenntnis wie die aus der Wurzeleinheit quellenden Instinkte jedem die tödlichsten Waffen gerade gegen diesen Gegner in die Hand geben. 

Was die Basis des Verhältnisses der Gleichen zueinander bildet: das Kennen der äußeren Lage und das sympathische Sichhineinfühlen in die innere —das ist ersichtlich ebenso das Mittel der tiefsten, an keiner Angriffsmöglichkeit vorübergehenden Verletzungen, und führt, da es seinem Wesen nach gegenseitig ist, zu der gründlichsten Vernichtung. 

Deshalb ist die Bekämpfung des Gleichen durch den Gleichen, die Spaltung des Gegners in zwei qualitativ homogene Parteien, eine der durchgreifendsten Realisierungen des divide et impera.

Wo es für den Unterdrücker nicht möglich ist, seine Geschäfte so ausschließlich durch seine Opfer selbst besorgen zu lassen, wo er in ihren Kampf selbst eingreifen muß, ist das Schema sehr einfach er unterstützt eben den einen so lange, bis der andre unterdrückt ist, worauf er dann jenen zur leichten Beute hat. 

Am zweckmässigsten wird diese Unterstützung demjenigen gelten, der sowieso schon der Stärkere ist. 

Dies kann die mehr negative Form annehmen, daß von einem zu unterdrückenden Komplex von Elementen der Mächtigere bloß geschont wird. So hat Rom bei seiner (-> 94) Unterwerfung Griechenlands sich doch Athen und Sparta gegenüber die auffälligste Reserve auferlegt. 

Dies Verfahren muß Groll und Eifersucht auf der einen, Hochmut und Vertrauensseligkeit auf der andren Seite erzeugen, eine Spaltung, die die Beute für den Unterdrücker bequem macht. 

Die Technik eines Herrscherwillens: von zwei eigentlich gleichmäßig gegen ihn Interessierten den Stärkeren zu protegieren, bis er den Schwächeren ruiniert hat, und dann mit Frontwechsel gegen den jetzt isolierten vorzugehen und ihn zu unterwerfen—diese Technik ist bei der Gründung von Weltreichen nicht weniger beliebt, wie bei den Prügeleien von Straßenjungen, in der Handhabung politischer Parteien durch eine Regierung nicht anders als in Konkurrenzkämpfen, in denen etwa die drei Elemente: ein sehr mächtiger Finanzier oder Industrieller und zwei unbedeutendere, aber ihm unbequeme und untereinander ungleiche Konkurrenten einander gegenüberstehen. 

In diesem Fall wird der erst Genannte, um eine Koalition der beiden andren gegen ihn zu hindern, mit dem Kräftigeren von ihnen eine Preis- oder Produktionsverabredung eingehen, die diesem erhebliche Vorteile sichert, und durch die der Schwächere erdrückt wird. 

Ist dies erst geschehen, so kann nun jener Mächtige seinen bisherigen Bundesgenossen abstoßen und ihn, der jetzt keinerlei Rückhalt mehr hat, durch Unterbieten oder andre Methoden zugrunde richten.— Ich gehe zu einem ganz andren Typus derjenigen soziologischen Formungen über, die durch die Zahlbestimmtheit ihrer Elemente bedingt sind. 

Bei den Zweier- und Dreierkonfigurationen handelte es sich um das innere Gruppenleben mit allen seinen Differenziertheiten, Synthesen und Antithesen, das sich bei dieser Mindest- oder Höchstzahl von Mitgliedern entfaltet. 

Die Frage betraf nicht die Gruppe als Ganzes in ihrem Verhältnis zu anderen oder zu einer größeren, deren Teil sie ist, sondern das immanente gegenseitige Verhältnis ihrer Elemente. 

Fragt man nun aber umgekehrt nach der Bedeutung, die die Zahlbestimmtheit nach außen hin entfaltet, so ist die wesentlichste Funktion derselben, daß sie die Einteilung einer Gruppe in Untergruppen ermöglicht. 

Der teleologische Sinn dieser ist, wie oben bereits hervorgehoben, die leichtere Ueberschaulichkeit und Lenkbarkeit der Gesamtgruppe, oft eine erste Organisierung, richtiger: Mechanisierung derselben; in rein formaler Hinsicht ist damit die Möglichkeit gegeben, Formung, Charakter, Einrichtungen der Abteilungen des Ganzen zu bewahren, unabhängig von der quantitativen Entwicklung des Ganzen selbst: die Bestandteile, mit denen die Verwaltung desselben rechnet, bleiben qualitativ soziologisch immer .die gleichen, und die Vermehrung des Ganzen ändert nur ihren Multiplikator. 

Dies ist z. B. der ungeheure Nutzen der numerischen Einteilung der Heere; ihre Vermehrung geht dadurch mit verhältnismäßiger technischer Leichtigkeit vor sich, daß sie als immer wiederholte Bildung der numerisch und also organisatorisch bereits feststehenden Cadres erfolgt. 

Dieser Vorteil knüpft sich ersichtlich an Zahlbestimmtheit überhaupt, aber nicht an bestimmte Zahlen. Indes ist hier eine schon oben erwähnte Zahlgruppe historisch von besonderer Wichtigkeit für soziale Einteilungen (-> 95) geworden: die Zehn und ihre Derivate. 

Für diese Zusammenschliessen von 10 Mitgliedern zu solidarischen Leistungen und Verantwortlichkeiten, die in vielen der ältesten Kulturen auftritt, ist zweifellos die Fingerzahl das Entscheidende gewesen. 

Bei gänzlichem Mangel arithmetischer Gewandtheit hat man an den Fingern ein erstes Orientierungsprinzip, um eine Mehrzahl von Einheiten zu bestimmen, ihre Teilungen und Zusammensetzungen anschaulich zu machen. 

Dieser allgemeine, oft genug hervorgehobene Sinn des Fünfer- und Zehnerprinzips wird aber für dessen soziale Anwendung noch speziell ergänzt: dadurch, daß die Finger eine relative gegenseitige Unabhängigkeit und selbständige Beweglichkeit haben, andrerseits aber doch untrennbar zusammenhängen (in Frankreich sagt man von zwei Freunden: ils sont unis comme deux doigts de la main) und erst in ihrem Miteinander ihren eigentlichen Sinn erhalten—dadurch bieten sie ein höchst treffendes Bild der sozialen Vereinigung von Individuen. 

Die Einheit und eigentümliche Zusammenwirksamkeit jener kleinen Untergruppen größerer Kollektivitäten konnte gar nicht anschaulicher symbolisiert werden. 

Noch in neuester Zeit hat der tschechische Geheimbund Omladina sich nach dem Prinzip der Fünfzahl konstituiert: die Führung desselben gehörte mehreren "Händen" an, welche aus je einem Daumen, d. h. dem obersten Leiter, und vier Fingern bestanden.8)

Wie stark man gerade die Zehnzahl als innerhalb einer größeren Gruppe einheitlich zusammengehörig empfand, zeigt vielleicht auch die in das frühe Altertum hinaufreichende Sitte des Dezimierens von Heeresabteilungen bei Aufständen, Fahnenflucht usw. 

Es wurden eben gerade zehn als eine Einheit angesehen, die zum Zweck der. Bestrafung durch einen Einzelnen vertreten werden konnte; oder es wirkt dazu noch eine ungefähre Erfahrung mit, daß sich etwa unter je zehn durchschnittlich ein Rädelsführer zu befinden pflegt. 

Die Einteilung einer Gesamtgruppe in zehn numerisch gleiche Teile, obgleich ersichtlich zu einem völlig andern Resultat führend und ganz ohne sachlich- praktische Beziehung zu der Einteilung in jene zehn Individuen, scheint mir doch psychologisch von dieser auszugehen. 

Als die Juden aus dem zweiten Exil zurückkehrten, 42 360 Juden mit ihren Sklaven, wurden sie so verteilt, daß ein aus" gelostes Zehntel in Jerusalem Aufenthalt nahm, die übrigen neun Zehntel auf dem Lande. 

Dies waren für die Hauptstadt entschieden zu wenig, weshalb man auch gleich auf eine Vermehrung der Einwohnerschaft (-> 96) Jerusalems bedacht sein mußte. 

Die Macht des Zehnprinzips als sozialen Einteilungsgrundes scheint hier also gegen die Erfordernisse der Praxis blind gemacht zu haben.

Die Hundertschaft, von jenem Prinzip abgeleitet, ist zunächst und wesentlich auch Einteilungsmittel, und zwar das historisch wichtigste. 

Ich erwähnte schon, daß sie direkt der begriffliche Stellvertreter der Einteilung überhaupt geworden ist, so daß ihr Name selbst dann noch der Untergruppe verbleibt, wenn diese ziemlich viel weniger oder mehr Mitglieder enthält. 

Die Hundert erscheinen —am entschiedensten vielleicht in der großen Rolle, die sie in der Verwaltung des angelsächsischen England spielen—gleichsam als die Idee der Teilgruppe überhaupt, deren inneren Sinn ihre äußere Unvollständigkeit nicht alteriert. 

Es ist hierfür recht bezeichnend, daß die Hundertschaften im alten Peru ihren Tribut an die Inkas noch immer mit dem Aufgebot aller Kräfte freiwillig entrichteten, als sie schon auf ein Viertel ihres Bestandes herabgesunken waren. 

Die soziologische Grundtatsache ist hier, daß diese Markgenossenschaften als Einheiten jenseits ihrer Mitglieder empfunden wurden. 

Da nun aber die Steuerverpflichtung, wie es scheint, nicht für die Genossenschaft als solche, sondern für ihre hundert Teilnehmer galt—so zeigt die Übernahme dieser Verpflichtung durch die restlichen Fünfundzwanzig um so schärfer, als eine wie unbedingte, von Natur solidarische Einheit gerade die Hundert empfunden wurde. 

Andrerseits ist unvermeidlich, daß die Einteilung in Hundertschaften vielerlei organische Beziehungen von Elementen und Elementaggregaten — verwandtschaftlicher, nachbarlicher, sympathischer Art—durchbricht, da sie immer ein mechanisch-technisches Prinzip bleibt, ein teleologisches, kein natürlich-triebmäßiges. 

Gelegentlich geht dann die Dezimaleinteilung neben einer mehr organischen her: so ist das mittelalterliche deutsche Reichsheer nach Völkerschaften formiert; dennoch hören wir auch von einer Einteilung des Heeres nach Tausendschaften, was dann jene natürlichere, mehr von einem terminus a quo her bestimmte Ordnung durchschneiden und überwinden mußte. 

Dennoch legt die starke Zentripetalität, die die Hunderterbildung beherrscht, es nahe, ihre Bedeutung nicht nur in ihrem Einteilungszweck zu suchen, der ihr etwas Äußerliches ist und mit dem sie der größeren, sie umgebenden Gruppe dient. 

Von diesem jetzt abgesehen, findet es sich in der Tat, daß die Hundertzahl der Mitglieder rein als solche der Gruppe eine besondere Bedeutsamkeit und Würde verleiht. Der Adel im epizephyrischen Lokroi führte seine Abkunft auf edle Frauen aus den sogenannten »hundert Häusern« zurück, die sich an der Gründung der Kolonie beteiligt hätten. 

Ebenso sollen die ursprünglichen Ansiedelungen, durch die Rom gegründet wurde, hundert latinische gentes, hundert <sabellische> hundert aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte umfasst haben.

Die Hundertzahl der Mitglieder verleiht der Gruppe offenbar eine gewisse Stilisierung, den genau begrenzten strengen Umriß, dem gegenüber jede etwas kleinere oder etwas größere Zahl als einigermassen vage und weniger in sich geschlossen erscheint. 

Sie hat (-> 97) eine innere Einheit und Systematik, die sie für jene genealogischen Mythenbildungen besonders geeignet macht, eine eigentümliche Vereinigung von mystischer Symmetrie und rationalem Sinne, während alle anderen Zahlen von Gruppenelementen wie zufällig, nicht als von innen heraus in gleicher Weise zusammengehalten, nicht ebenso ihrer eigenen Struktur nach als unverrückbar empfunden werden. 

Das besonders adäquate Verhältnis zu unseren Verstandeskategorien, die leichte Ueberschaulichkeit der Hundertzahl, das sie zum Einteilungsprinzip so geeignet macht, erscheint hier als Reflex einer objektiven Eigenart der Gruppe, die der letzteren gerade aus dieser numerischen Bestimmtheit kommt.

Diese eben genannte Qualifizierung hebt sich von den bisher behandelten völlig ab. 

Bei den Zweier- und Dreierkombinationen bestimmte die Zahl das eigne innere Leben der Gruppe, aber sie tut es doch nicht als Quantum, die Gruppe zeigte all jene Erscheinungen nicht, weil sie als ganze diese Größe hatte, sondern es handelte sich um Bestimmtheiten jedes einzelnen Elementes durch die Wechselwirkung mit einem oder mit zwei anderen Elementen. 

Ganz anders verhielt es sich mit allen Abkömmlingen der Fingerzahl: hier lag der Grund der Synthese in der bequemeren Übersehbarkeit, Organisierung, kurz, eigentlich nicht in der Gruppe selbst, sondern in dem Subjekte, das mit ihr theoretisch oder praktisch zu tun hat. 

Eine dritte Bedeutung der Mitgliederzahl knüpft sich nun endlich daran, daß die Gruppe objektiv und als ganze — also ohne Unterscheidung individueller Positionen der Elemente — gewisse Eigenschaften nur unterhalb oder nur oberhalb eines bestimmten Umfanges aufweist. 

Ganz generell ist dies schon oben bei dem Unterschied der großen und der kleinen Gruppe behandelt worden; jetzt aber fragt es sich, ob nicht Charakterzüge der Gesamtgruppe von bestimmten Mitgliederzahlen ausgehen—wobei selbstverständlich die Wechselwirkungen unter den Individuen den realen und entscheidenden Vorgang ausmachen; nur daß nicht diese in ihrer Einzelheit, sondern ihre Zusammenfassung zu einem Bilde des Ganzen jetzt den Gegenstand der Frage bilden. 

Die Tatsachen, die auf diese Bedeutung der Gruppenquantität hinweisen, gehören sämtlich einem einzigen Typus an: den gesetzlichen Vorschriften über die Mindestzahl oder die Höchstzahl von Vereinigungen, die als solche gewisse Funktionen oder Rechte beanspruchen, gewisse Verpflichtungen leisten sollen. Der Grund davon liegt nahe. 

Die besonderen Qualitäten, die Vereinigungen auf Grund ihrer Mitgliederzahl entfalten, und die die gesetzlichen Vorschriften über diese rechtfertigen, würden freilich immer die gleichen, an die gleiche Zahl geknüpften sein, wenn es zwischen den Menschen keine psychologischen Unterschiede gäbe, und die Wirkung einer Gruppe so genau ihrem Quantum folgte, wie die Energiewirkung einer bewegten homogenen Materienmasse es tut. 

Die unübersehbaren individuellen Differenzen der Mitglieder aber machen alle genauen und Vorausbestimmungen völlig illusorisch: sie können das gleiche Maß von Kraft und Unbesonnenheit, von Gesammeltheit oder Dezentralisation, von Selbstgenügsamkeit oder (->98) Führungsbedürftigkeit, das sich einmal an einer Gruppe bestimmten Umfanges zeigt, ein zweites Mal schon an einer viel kleineren, ein drittes Mal erst an einer viel größeren hervortreten lassen. 

Die Gesetzesvorschriften aber, die jene Qualitäten von Vereinigungen zum Bestimmungsgrund haben, können technisch mit solchen Schwankungen und Paralysierenden durch das zufällige Menschenmaterial nicht rechnen, sondern müssen bestimmte, für durchschnittlich gehaltene Mitgliederzahlen angeben, an die sie Rechte und Pflichten von Genossenschaften knüpfen. 

Zugrunde muß die Voraussetzung liegen, dass ein gewisser Gemeingeist, eine gewisse Stimmung, Kraft, Tendenz innerhalb einer vereinigten Personenzahl dann und erst dann einträte, sobald diese Zahl eine bestimmte Höhe erreicht hat. 

Je nachdem dieser Erfolg nun erwünscht oder perhorresziert ist, wird man eine Mindestzahl fordern oder nur eine Maximalzahl gestatten. 

Ich führe zunächst einige Beispiele für das letztere an. 
In der frühen griechischen Zeit gab es gesetzliche Bestimmungen, dass die Bemannung von Schiffen nicht mehr als fünf Mann betragen solle, um den Übergang zum Seeraub zu verhindern. 

Aus Furcht vor den Gesellenverbindungen bestimmten die rheinischen Städte 1436, daß nicht mehr als drei Gesellen gleich gekleidet gehen dürften. Am häufigsten begegnen überhaupt politische Verbote dieses Sinnes. 

Philipp der Schöne verbot 1305 alle Zusammenkünfte von mehr als fünf Personen, welchen Standes sie auch seien und in welcher Form es auch geschehe. 

Im ancien régime dürfen nicht 20 Edelleute sich auch nur zu einer Besprechung versammeln, ohne daß der König es besonders konzediert. 

Napoleon III. untersagte alle nicht speziell erlaubten Vereine von mehr als 20 Personen. In England stellte der conventicle act unter Karl II. alle religiösen Versammlungen in einem Hause von mehr als fünf Personen unter Strafe, und die englische Reaktion am Beginn des 19. Jahrhunderts untersagte alle nicht lange vorher gemeldeten Versammlungen von über 50 Personen. 

Bei Belagerungszuständen dürfen oft nicht mehr als drei oder fünf Personen auf der Straße zusammenstehen, und vor einigen Jahren hat das Berliner Kammergericht entschieden, daß eine "Versammlung" im Sinne des Gesetzes, die also polizeilicher Anmeldung bedürfe, schon bei einer Anwesenheit von acht Personen vorliege. 

Auf das rein ökonomische Gebiet erstreckt sich dies z. B. in dem englischen Gesetz von 1708,—das der Einfluß der Bank von England durchsetzte—daß die gesetzlichen Assoziationen innerhalb des Geldhandels nicht mehr als sechs Teilhaber umfassen dürften. 

Hier muß überall seitens der Regierenden die Überzeugung vorhanden sein, daß erst innerhalb von Gruppen der angegebenen Größenmasse sich der Mut oder die Unbedachtsamkeit, der Unternehmungsgeist oder die Mitreissbarkeit zu gewissen Handlungen findet, die man eben nicht entstehen lassen will. 

Am deutlichsten ist dies Motiv bei Sittengesetzen: wenn die Zahl der Teilnehmer an einem Gelage, der Begleiter zu einem Aufzug usw. begrenzt wird, so geschieht das auf die Erfahrung hin, daß in einer größeren Masse die sinnlichen Impulse leichter die Oberhand gewinnen, die Ansteckung durch das böse Beispiel in ihr rascher fortschreitet, das (-> 99) individuelle Verantwortlichkeitsgefühl gelähmt wird. 

Die umgekehrte Richtung nehmen bei gleicher Grundlage die Bestimmungen, die gerade ein Minimum von Teilnehmern fordern, damit ein gewisser rechtlicher Effekt eintrete. 

So kann sich in England jede Wirtschaftsgenossenschaft die Korporationsrechte verschaffen, sobald sie mindestens sieben Mitglieder zählt; so fordert das Recht allenthalben eine bestimmte, wenn auch in ihrer Bestimmung außerordentlich schwankende Mindestzahl von Richtern für die Findung eines gültigen Urteils, so daß z. B. an manchen Orten gewisse Urteilskollegien einfach die Siebener hießen. 

Bezüglich der ersteren Erscheinung wird angenommen, daß erst bei dieser Mitgliederzahl die hinreichenden Garantien und wirksamen Solidaritäten gegeben wären, ohne die die Korporationsrechte eine Gefahr für die Volkswirtschaft sind. 

In dem zweiten Beispiel scheint erst die vorgeschriebene Mindestzahl zu bewirken, dass sich die Irrungen und extremen Meinungen der Einzelnen unter einander ausgleichen und dadurch die Kollektivmeinung das objektiv Richtige treffe. 
Besonders stark tritt dieses Mindesterfordernis bei religiösen Bildungen hervor. 

Die regelmässigen Zusammenkünfte der buddhistischen Mönche eines bestimmten Gebietes zum Zwecke erneuter Religionseinprägung und einer Art Beichte forderte die Anwesenheit von mindestens vier Mönchen. 

Diese Zahl schloß also erst sozusagen die Synode, und jeder hatte als Mitglied derselben eine irgendwie andre Bedeutung denn als individueller Mönch, was er nur war, solange etwa nur drei zusammenkamen. 

So sollen die Juden immer zu mindestens zehn zusammen beten. So sollte nach der Lockeschen Konstitution von Nord-Karolina jede beliebige Kirche oder Religionsgemeinschaft gegründet werden dürfen, wenn sie wenigstens aus sieben Mitgliedern bestand. 

Die Kraft, Konzentriertheit und Stabilität der religiösen Gemeinschaftsstimmung wird in diesen Fällen also erst von einer gewissen Mitgliederzahl an, die sich gegenseitig hält und hebt, erwartet. 

Zusammenfassend: wo das Gesetz eine Mindestzahl bestimmt, wirkt das Zutrauen zu der Vielheit und das Mißtrauen gegen die isolierteren individuellen Energien; wo eine Maximalzahl festgesetzt ist, wirkt umgekehrt das Mißtrauen gegen die Vielheit, das sich gegen ihre einzelnen Bestandteile nicht richtet.

Mag nun aber an ein Maximum Verbot oder an ein Minimum Erlaubnis geknüpft sein—die Gesetzgeber werden nicht gezweifelt haben, daß die Erfolge, die sie fürchten oder wünschen, sich nur ganz unsicher und ganz durchschnittlich an die festgesetzten Umfänge binden; aber die Willkür der Festsetzung ist hierbei ebenso unvermeidlich und gerechtfertigt, wie in der Bestimmung eines Lebensalters, von dem an der Mensch Rechte und Pflichten der Grossjährigkeit übernimmt. 

Gewiß wird die innere Fähigkeit zu dieser bei manchem früher, bei manchem später, bei keinem mit einem Schlage in der durch das Gesetz fixierten Minute eintreten; aber die Praxis kann die festen Maßstäbe, die sie braucht, nur so gewinnen, daß sie die an sich kontinuierliche Reihe für die Zwecke des Rechtes von einem Punkte an in zwei Abschnitte zerlegt, deren (-> 100) ganz verschiedene Behandlungsweisen in ihrer objektiven Beschaffenheit keine genaue Rechtfertigung finden können.

Darum ist es so ausserordentlich lehrreich, dass in allen Bestimmungen, für die die obigen Beispiele gewählt sind, die besondere Qualität der Menschen, für die die Vorschrift gilt, gar nicht in Rechnung tritt, obgleich sie doch jeden einzelnen Fall bestimmt.

Aber sie ist nichts Greifbares, und als solches bleibt eben nur die Zahl. Und es ist wesentlich, das überall herrschende, tiefe Gefühl dafür zu konstatieren, dass sie das Entscheidende wäre, wenn etwa die individuellen Differenzen ihre Wirkungen nicht aufhüben, dass aber eben deshalb diese Wirkungen in der schliesslichen Gesamterscheinung sicher enthalten sind.


Anmerkungen

1) Das historische Material, dessen diese Untersuchungen sich bedienen, ist in seiner inhaltlichen Zuverlässigkeit durch die beiden Umstände bedingt: nach dem Dienste, den es hier zu leisten hat, musste es einerseits aus so vielen und heterogenen Gebieten des geschichtlich-gesellschaftlichen Lebens gewählt werden, dass die beschränkte Arbeitskraft eines Einzelnen sich für seine Sammlung im wesentlichen nur an sekundäre Quellen halten und diese nur selten durch eigne Tatsachenforschung verifizieren konnte; andrerseits wird die Erstreckung dieser Sammlung durch eine lange Reihe von Jahren es begreiflich machen, dass nicht jede Tatsache noch unmittelbar vor der Veröffentlichung des Buches mit dem momentanen Stande der Forschung konfrontiert werden konnte. 
Ware die Mitteilung irgendwelchen sozialen Tatsachenstoffes ein, wenn auch nur nebensächlicher Zweck dieses Buches, so wäre die hiermit angedeutete Latitüde für Unbewiesenheiten und Irrtümer nicht zulässig. 
Allein bei diesem Versuche, dem gesellschaftlichen Dasein die Möglichkeit einer neuen wissenschaftlichen Abstraktion abzugewinnen, kann das wesentliche Bemühen nur sein, diese Abstraktion an irgendwelchen Beispielen zu vollziehen und als sinnvoll zu erweisen. 
Darf ich es, um der methodischen Klarheit willen, etwas übertrieben ausdrücken so kommt es nur darauf an. dass diese Beispiele möglich, aber weniger darauf dass sie wirklich sind. 
Denn ihre Wahrheit soll nicht— oder nur in wenigen Fällen—die Wahrheit einer generellen Behauptung erweisen, sondern selbst wo der Ausdruck es so erscheinen lassen könnte, sind sie doch nur der an sich irrelevante Gegenstand einer Analyse, und die richtige und fruchtbare Art, wie diese vollzogen wird, nicht die Wahrheit über die Realität ihres Objektes, ist dasjenige, was hier entweder erreicht oder verfehlt ist.
Prinzipiell wäre die Untersuchung auch an fingierten Schulbeispielen zu führen und für ihre Wirklichkeitsbedeutung auf das jeweilige Tatsachenwissen des Lesers zu verweisen gewesen. (zurück)

2) Hier stellt sich eine typische Schwierigkeit der menschlichen Verhältnisse dar. 
Wir sind mit unsern theoretischen wie praktischen Attitüden gegenüber allen möglichen Objektkreisen dauernd veranlasst, zugleich innerhalb und außerhalb eben dieser zu stehen. 
Wer z. B. gegen das Rauchen spricht, muss einerseits selber rauchen, andrerseits darf er es eben nicht—denn raucht er selbst nicht so fehlt ihm die Kenntnis der Reize, die er verurteilt, raucht er aber, so wird man ihn zu einem Urteil, das er selbst dementiert, nicht legitimiert finden. 
Um eine Meinung über die Frauen »im Plural« abzugeben, wird ebenso die Erfahrung naher Beziehungen zu ihnen—wie das Frei- und Fernsein von solchen, die das Urteil gefühlsmäßig verschieben, erfordert sein. 
Nur wo wir nahe stehen, daransetzen, gleichsetzen, haben wir die Kenntnis und das Verständnis; nur wo die Distanz die unmittelbare Berührung in jedem Sinn aufhebt, haben wir die Objektivität und den Überblick, die ebenso wie jene zum urteilen nötig sind. 
Dieser Dualismus von Nähe und Ferne, dessen es doch für das einheitlich richtige Verhalten bedarf, gehört gewissermaßen zu den Grundformen unsres Lebens und seiner Problematik. 
Dass eine und dieselbe Angelegenheit einerseits nur innerhalb eines engen Verbandes, andrerseits nur innerhalb eines großen richtig behandelt werden kann, ist ein formal soziologischer Widerspruch, der einen Spezialfall jenes allgemein menschlichen bildet. (zurück)

3) Dass Recht und Moral gleichsam aus einer Wendung der gesellschaftlichen Entwicklung pari passu entspringen, spiegelt sich in den teleologischen Bedeutungen beider, die mehr als der erste Anschein verrät, aufeinander hinweisen 
Wenn die enge Führung des Individuums, die ein allenthalben von der Sitte reguliertes Leben einschließt, der allgemeinen Rechtsnorm weicht, die zu allem Individuellen eine viel weitere Distanz hat—so darf doch im sozialen Interesse die damit gewonnene Freiheit nicht sich selbst überlassen bleiben: durch die moralischen Imperative ergänzen sich die juristischen, und füllen sich die Lücken der Lebensnormierung, die der Wegfall der überall regulierenden Sitte erzeugt. 
Ihr gegenüber wird die Normierung durch jene beiden gleichzeitig viel höher über das Individuum hinaus und viel tiefer in dasselbe hinein verlegt. 
Denn welche Personalien und metaphysischen Werte auch das Gewissen und die autonome Sittlichkeit darstellen mögen—ihr sozialer, der allein hier in Frage steht, liegt in ihrer ungeheuren prophylaktischen Zweckmäßigkeit. Recht und Sitte ergreifen die Willenstätigkeit an ihrer Außenseite und ihrer Realisierung, sie wirken, rein als solche, vorbeugend und durch die Furcht; um dieses Motiv überflüssig zu machen, bedürfen sie meistens — nicht immer — erst der nachträglichen Aufnahme in die personale Sittlichkeit. 
Diese aber steht an den Wurzeln der Tat sie bildet das Innerste des Subjektes so um, bis es von selbst nur das rechte Tun; aus sich entlässt ohne der Stütze jener relativ äußeren Mächte zu bedürfen. Aber an der rein sittlichen Vollendung des Subjektes hat die Gesellschaft kein Interesse; sie ist ihr nur wichtig, wird von ihr nur gezüchtet, sie die denkbar grösste Garantie für die sozial zweckmäßigen Handlungen eben dieses Subjektes abgibt. 
In der individuellen Sittlichkeit schafft sich die Gesellschaft ein Organ, das nicht nur fundamentaler wirksam ist als Recht und Sitte, sondern ihr auch die Spesen und Umständlichkeiten dieser Institutionen erspart; wie denn die Tendenz der Gesellschaft, sich ihre Erforderlichkeiten möglichst billig zu stehen auch das "gute Gewissen" aufzieht—durch das das Individuum sich den Lohn für sein Rechttun selbst zahlt, der ihm sonst wahrscheinlich irgendwie durch Recht oder Sitte garantiert werden müsste.(zurück)

4) Vgl. hierzu die Auseinandersetzung über die soziologische Form der Ehre in den Kapiteln über die Selbsterhaltung der Gruppe und über die Kreuzung der Kreise. (zurück)

5) Vgl. die Ausführung hiervon in dem Kapitel über die Kreuzung der Kreise. (zurück)

6) Die Klage über die Banalität in dem grossen gesellschaftlichen Verkehr zeigt deshalb völliges soziologisches Unverständnis. 

7) Durch die ganze Geschichte hindurch gehen die demokratischen Tendenzen insoweit sie die großen Massenbewegungen leiten, auf einfache Massregeln Gesetze, Prinzipien; der Demokratie sind alle komplizierten, mit vielseitigen Erwägungen durchsetzten, die verschiedenartigen Standpunkte berücksichtigenden Praktiken antipathisch, während die Aristokratie umgekehrt allgemeine und zwingende Grundgesetze zu perhorreszieren und die Besonderheit der individuellen Elemente — personaler, lokaler, sachlicher Art — zu ihrem Recht zu bringen pflegt. (zurück)

8) Von andrer und allgemeinerer Seite her gesehen, gehört die Einteilung nach der Fingerzahl zu der typischen Tendenz, Erscheinungen von gegebener, anschaulich natürlicher Rhythmik zu diesem soziologischen Zwecke, mindestens dem Namen und Symbol nach, zu benutzen. 
Eine geheime politische Gesellschaft unter Louis Philippe nannte sich die Jahreszeiten. Sechs Mitglieder unter Führung eines siebenten, der Sonntag hieß, bildeten eine Woche, vier Wochen einen Monat, drei Monate eine Jahreszeit, vier Jahreszeiten die unter einem Oberbefehlshaber stehende höchste Einheit. 
Bei allem Spielcharakter dieser Benennungen hat doch wahrscheinlich ein Gefühl, als ob man eine von der Natur indizierte Einheitsform differenter Bestandteile damit wiederholte, hier irgendwie mitgewirkt. 
Und die mystische Färbung, zu der geheime Gesellschaften sowieso neigen, wird diese Symbolisierung begünstigt haben, mit der man eine kosmische Formungskraft auf das gewillkürte Gebilde überzuleiten meinen konnte. (zurück)

 

Georg Simmel: Soziologie
Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung

Duncker & Humblot, Berlin 1908 (1. Auflage) 

Das Problem der Soziologie

Exkurs über das Problem: wie ist Gesellschaft möglich?

Die quantitative Bestimmtheit der Gruppe

Über- und Unterordnung

Exkurs über die Überstimmung

Der Streit

Das Geheimnis und die geheime Gesellschaft

Exkurs über den Schmuck
Exkurs über den schriftlichen Verkehr

Die Kreuzung sozialer Kreise

Der Arme

Exkurs über die Negativität kollektiver Verhaltensweisen

Die Selbsterhaltung der sozialen Gruppe

Exkurs über das Erbamt
Exkurs über Sozialpsychologie
Exkurs über Treue und Dankbarkeit

Der Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft

Exkurs über die soziale Begrenzung
Exkurs über die Soziologie der Sinne
Exkurs über den Fremden

Die Erweiterung der Gruppe und die Ausbildung der Individualität

Exkurs über den Adel
Exkurs über die Analogie der individualpsychologischen und der soziologischen Verhältnisse

 


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
Andreasstr. 15 
8050 Zürich 
Tel. ++41 55 2444012