Soziologisches Institut der Univ. Zürich Aktuelles Studium Personen Online Publications

Schweizer Gemeindestudien

Linke Frauen in der Kommunalpolitik

Dramatische ideologische „Gender gaps“ in den kommunalen Exekutiven

Hans Geser

Oktober 2009

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Bibliographische Zitierung:
Geser Hans: Linke Frauen in der Kommunalpolitik. In: „Schweizer Gemeindestudien“. Online Publikationen, Zürich, Oktober 2009. http://socio.ch/gem/t_hgeser10.htm

Zusammenfassung

In Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen damit hat auch die vorliegende Studie über kommunale Exekutivmitglieder zum Ergebnis geführt, dass Frauen signifikant weiter links als Männer politisieren, indem sie einerseits bevorzugt für linksstehende Parteien kandidieren, andererseits aber auch innerhalb der meisten Parteien sich häufiger auf dem linken Ast der Skala verorten und im breiten Spektrum konkreter sachpolitischer Vorlagen eher linke Positionen unterstützen. Die Ubiquität dieser Geschlechterdivergenz (die klassenspezifische Differenzen bei weitem übertrifft) zeigt sich hinreichend darin, dass sie sich auf alle drei Sprachregionen sowie auf ländliche und städtische Gemeinden aller Grössenklassen erstreckt, alle Bildungsniveaus und politischen Herkunftsmilieus einbegreift und sich innerhalb fast aller Parteien manifestiert. Und ihre Stabilität erweist sich daran, dass sich in fast allen Altersgruppen (am schwächsten allerdings bei den jüngeren Kohorten) vorfindet. Eindeutig unterstützt wird sie durch die Expansion der formalen Bildung: weil Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen besonders drastisch nach links rücken und in ein erhöhtes Polarisierungsverhältnis zu den Männern treten, deren politische Positionen eher vom elterlichen Herkunftsmilieu als vom Bildungsweg abzuhängen scheinen.

 

Inhalt

1. Einleitung
2. Daten und Methodologie
3. Empirische Ergebnisse
4. Schlussfolgerungen
Literatur


1. Einleitung

In den letzten Jahren sind zahlreiche empirische Belege dafür vorgelegt worden, dass sich in der Schweiz zwischen beiden Geschlechtern eine ideologische Kluft geöffnet hat, die den traditionellen Spaltungen zwischen sozialer Klassen, Konfessionsgruppen, Regionen oder Stadt- und Landbewohnern mindestens nahekommt oder sie sogar übertrifft.

So liefern die Ergebnisse des "World Values Survey" und des "European Social Survey" 2005) Hinweise darauf, dass sich in der Schweizer Gesamtbevölkerung in den letzten Jahren bei beiden Geschlechtern auf der Links-Rechts-Dimension markante Veränderungen vollzogen haben.

Vor allem im jüngsten Zeitraum (nach 1996) hat sich die ideologische Divergenz der beiden Geschlechter offensichtlich dramatisch verstärkt (Geser 2006; 2007). Mit Ausnahme der Niederlande weist heute kein anderes europäisches Land einen ähnlich hohen Linksanteil bei den Frauen auf – und innerhalb aller 80 Länder des WVS wird dieser Prozentsatz nur noch von Israel (wo allerdings auch ein starker Rechtsflügel existiert) leicht übertroffen.

Mit ihrer ausgeprägten ideologischen Polarisierung der Geschlechter scheint die Schweiz eine weltweite Sonderstellung einzunehmen, die nur noch in Mazedonien annähernd erreicht wird und vor allem mit allen unseren Nachbarländern kontrastiert, wo es in der Regel die Männer sind, die sich häufiger links von der Mitte plazieren. Besonders deutlich zeigt sich diese ideologische Kluft neuerlich bei den Segmenten mit höherer (=tertiärer) Bildung, wo einem markanten Linkstrend der Frauen eine fast ebenso deutliche Rechtsdrift der Männer gegenübersteht.

Natürlich ist die Frage naheliegend, ob diesen Divergenzen in der Skaleneinordnung auch gleichläufige Unterschiede bei den sachpolitischen Einstellungen entsprechen. Tatsächlich zeigt sich anhand vorläufiger Analysen, dass Frauen häufiger als Männer dazu tendieren, Massnahmen zum Ausgleich der Einkommen zu unterstützen, den Trend zur Privatisierung staatlicher Unternehmen zu stoppen, verstärkte staatliche Kontrollen des individuellen Verhaltens sowie gleiche Bildungschancen für Frauen und Männer zu befürworten oder die Bevorzugung von Männern oder Einheimischen bei der Stellenvergabe abzulehnen. Ebenso zeigen sie eine ausgeprägtere Skepsis gegenüber den Vorzügen des Wettbewerbs, während andererseits bei Einstellungen zu Patriotismus und Entwicklungshilfe keine Unterschiede erkennbar sind (Geser 2006; 2007).

Eine vergleichende Analyse der Alterskohorten ergibt überraschenderweise, dass die die ideologische Polarisierung der Geschlechter keineswegs durch nachwachsende jung Wählergruppen verursacht wird, sondern in erster Linie in Gesinnungswandlungen bestehender (=älterer) Wählerkohorten ihre Ursache hat (Geser 2007).

Für den engeren Bereich der Stimmbürgerschaft zeigen die Auswertungen der Nationalratswahlen, dass die linken Parteien (SP und Grüne) ihren Frauenanteil an der Wählerschaft seit 1979 zunehmend (auf über 50%) gesteigert haben, während die beiden Parteien rechts der Mitte (FDP und SVP) nach wie vor ein mehrheitlich männliches Elektorat rekrutieren (Müller 2000). Es lässt sich nachweisen, dass sich diese politischen Richtungsunterschiede keineswegs nur auf die Ebene der Parteipräferenzen beschränken, sondern auch auf die Sphäre sachpolitischer Einstellungen erstrecken. So hat sich in einer 2004 bei 18-35-jährigen Schweizer Stimmbürgern durchgeführten Untersuchung bei Männern eine signifikant deutlichere Rechtsorientierung als bei Frauen gezeigt (Golder et. al. 2004). Ebenso macht die Aufstellung der nationalen Volksabstimmungsergebnisse zwischen 1993 und 2000 (VOX-Analysen) hinreichend deutlich, wie sehr die Frauen in einem weiten Spektrum sozial-, umwelt-, wirtschafts- und familienpolitischer Themen immer wieder eher etatistische und sozialistische anstatt liberale Positionen vertreten haben. Zumindest in drei Fällen (Moratorium für Atomkraftwerke, neues Eherecht und Antirassismusgesetz) ist es ihnen eindeutig gelungen, gegen eine Mehrheit ablehnender Männer die Annahme zu erwirken(Longchamp/Bieri 2001).

Drittens gibt es Hinweise dafür, dass auch innerhalb der des besonders aktiven Segments politischer Kandidaten und Mandatsträger analoge geschlechtsspezifische Divergenzen bestehen. Aufschlussreich sind hier zum Beispiel die Ergebnisse der im Rahmen des „Smartvote“ Projekts durchgeführten Online-Befragungen vom Herbst 2003, in die 1200 Kandidatinnen und Kandidaten für den Kantonsrat der Kantone St. Gallen und Thurgau einbezogen worden sind. Dabei hat sich gezeigt, dass die Frauen in allen Parteien deutlich links von ihren männlichen Parteikollegen politisieren. (Rouiller et al. 2004a; 2004b. Fivaz/Schwarz 2004).

Im Rahmen seiner eigenen Forschung hat der Autor bereits 1989 in einer landesweiten Studie über Lokalparteien nachweisen können, dass Frauen bevorzugt linke Parteien aufsuchen, um sich aktiv politisch zu betätigen Dank diesem Zustrom weiblicher Mitglieder ist es den Ortssektionen der SP und der Grünen in den 80er Jahren besser als den bürgerlichen Parteien gelungen, trotz des verbreiteten Exodus der Männer ihre Mitgliederbestände zu stabilisieren (vgl. Geser 1991).

Ebenso lässt sich in den Parlamenten beobachten, dass gewählte Volksvertreterinnen nicht nur sehr häufig linken Parteigruppierungen angehören, sondern auch innerhalb ihrer jeweiligen Gruppierung eine relativ linke Politik betreiben. So hat beispielsweise eine Analyse von 120 Namensabstimmungen im Nationalrat gezeigt, dass nur elf von insgesamt 45 Frauen auf der rechten Hälfte des politischen Spektrums angesiedelt sind, und dass die Frauen praktisch aller Parteien links von ihren männlichen Ratskollegen politisieren (Jeitziner und Hohl 2000).

Generell zeigt sich, dass sowohl am linken wie am rechten Rande des Parteienspektrums zwischen Männern und Frauen relativ Einklang herrscht, während die Mitte-Parteien von sehr ausgeprägten Geschlechterpolarisierungen heimgesucht werden, die wahrscheinlich eine wichtige Ursache für ihre aktuellen Richtungskämpfe und Profilierungsschwierigkeiten bilden (Fivaz und Schwarz 2004).

Vor allem in der FDP und der CVP ist es ein Alltagsphänomenen geworden, dass ihre Frauen heute manche politischen Ziele mittragen, die von den Frauen linken Parteien initiiert worden sind - und damit innerhalb ihrer Partei mancherlei Spannungen und Verunsicherungen erzeugen. So steht die FDP momentan unter dem Druck, dem Drängen ihrer gut organisierten Frauengruppe nach Schulblockzeiten, Tageschulen und einer Ausweitung des Mutterschutzes Rechnung zu tragen - und sich generell als "Mittepartei" zu verstehen, das ihrem angestammten rechtsliberalen Profil widerspricht. Ein analoger Konflikt besteht in der Steuerpolitik, wo die FDP-Frauen im Gleichschritt mit der SP eine völlig zivilstandsunabhängige Form der Familienbesteuerung befürworten, von der sich die Parteimehrheit aufgrund des zu hohen bürokratischen Aufwands distanziert. 1)

Schliesslich gibt es auch deutliche Hinweise dafür, dass sich diese auf individuellem Niveau bestehenden Differenzen auch auf die kollektive politische Meinungsbindung und Entscheidungsfindung auf Parteienebene übertragen. So hat sich gezeigt, dass lokale Parteisektionen mit hohem Frauenanteil sowohl auf allgemein-ideologischer Ebene wie auch auf dem Niveau spezifischer sachpolitischer Fragen linkere Positionen als männerdominierte Gruppierungen vertreten, und dass dieser rein statistische Zusammenhang zwischen 1989 und 2002 eine erhebliche Verstärkung erfuhr (Geser 2005).

Wichtig ist dabei die Beobachtung, dass sich die sachpolitische Linksaffinität der Frauen sich keineswegs auf einen engeren Kreis "typisch weiblicher" (z. B. frauenpolitischer oder ökologischer Themen) beschränkt, sondern sich über die ganze Spannweite linker Ideologie und Programmatik erstreckt und insbesondere auch Aspekte der Arbeitnehmer- und Sozialpolitik mitumfasst, die eindeutig dem Kanon "klassisch-sozialistischer" Interessenpolitik zuzuordnen sind. Allerdings fällt auf, dass Frauen all diese sachpolitischen Anliegen teilweise auch unabhängig vom Denken in ideologischen Links-Rechts-Kategorien zu unterstützen pflegen: ein Hauptgrund dafür, dass auch bürgerlichen Mitte- und Rechtsparteien eine etwas "linkere" Sachpolitik betreiben, wenn sie über einen umfangreichen Frauenanteil in ihrer Anhängerschaft verfügen. Analog dazu sind aber auf frauendominierte Sektionen der SP in ihrer Sachpolitik "fundamentalistischer" als die Sektionen, in denen noch mehrheitlich Männer die Parteilinie bestimm. So haben die Frauen die politische Parteienpolarisierung einerseits abgeschwächt, indem sie den (von den Männern forcierten) neueren Rechtsdrall der bürgerlichen Parteien abgemindert haben, andererseits aber auch verstärkt, insofern sie innerhalb der Sozialdemokratie eine kompromisslosere Linkspolitik unterstützen (Geser 2005).

Bisher unbeantwortet ist die Frage, inwiefern dieselbe Geschlechterpolarisierung auch die Entscheidungsgremien auf exekutiver Ebene durchdringt. Auf Bundes- und Kantonsebene ist sie natürlich schwer zu beantworten, da es angesichts der geringen Zahl weiblicher Mitglieder kaum möglich ist, generelle , vom Geschlecht ausgehende Determinanten von idiosynkratisch-individuellen Einflüssen und anderen Zufälligkeiten zu separieren. Die 2700 Gemeinden mit ihren rund 15000 Exekutivräten bieten hingegen ein ideales Forschungsfeld, um mittels multivariater Analysen genau dies zu tun.

Allerdings bestehen begründete Zweifel, ob ideologische Polarisierungen auf Exekutivebene den in den Parlamenten, Parteien und der Gesamtbevölkerung gefundenen Umfang erreichen. Denn erstens sind Exekutivmitglieder generell viel stärker als Parlamentarier dazu verpflichtet, als Vertreter der Gesamtbevölkerung zu agieren und Entscheidungen treffen, die über Parteiinteressen hinweg in einem generellen Sinne mehrheitsfähig sind. Zweitens operieren Exekutiven in der Schweizer Konkordanzdemokratie durchwegs als kollegiale Mehrparteigremien, deren Mitglieder andauernd überparteiliche Kompromisse erarbeiten müssen. (Aus diesem Grund können sie auch kaum gleichzeitig Parteiführer sein, da sie bei zu starker Parteiidentifikation unerträgliche Rollenkonflikte aushalten müssten). Und drittens ist auf kommunaler Ebene generell mit einem geringeren Grad ideologischer Polarisierung zu rechnen, weil kommunale Angelegenheiten oft gar nicht als „politische“ Fragen empfunden werden, sondern als Sachprobleme, die nach einer „vernünftigen“ (d. h. technisch-ökonomischen effizienten oder juristisch „richtigen“) Lösung verlangen (vgl. Geser 2003). Dementsprechend werden die Mandate vor allem in Kleingemeinden in hohem (und momentan stark zunehmendem) Masse von Parteilosen in Anspruch genommen, die nur aufgrund des notorischen Mangels an Kandidaten Wahlchancen besitzen und mit ihrem Amt kaum politische Motivationen verbinden (Geser/Meuli 2009).

So kann die vorliegende Analyse als eine Art „Härtetest“ für die Hypothese geschlechtsspezifischer Links-Rechts-Polarisierung verstanden werden: Falls sich eine solche Polarisierung sogar unter den genannten abschwächenden Bedingungen vorfindet, gäbe es um so mehr Grund, ihr eine unbestreitbare Realität und Ubiquität zuzusprechen, da es dann wahrscheinlicher ist, dass sie wirklich alle politischen Bereiche durchdringt.

So steht im Folgenden als erstes die Frage im Vordergrund, in welchem Masse und unter welchen Bedingungen sich männliche und weibliche Exekutivmitglieder bezüglich

a) ihrer Bereitschaft, ihre eigene Position überhaupt in Termini der Links-Rechts-Achse zu verorten;
b) ihrer Selbstverortung auf dieser Skala
c) ihrer Unterstützung für „links“ oder „rechts“ geprägte sachpolitische Anliegen

voneinander unterscheiden.

Es wird angenommen, dass derartige Cleavages mit zunehmender Gemeindegrösse schärfer ans Licht treten, zusätzlich aber auch von manchen Rahmenbedingungen der kommunalen Organisation (z. B. der Grösse des Exekutivgremiums) mitbeeinflusst werden.

Zweitens interessiert die Frage, inwiefern eine allfällige Linkstendenz der Frauen sich nicht nur im politischen System insgesamt, sondern – wie dies die Studien über Lokalparteien bereits nahegelegt haben - auch innerhalb der einzelnen Parteien manifestiert.

Drittens soll geprüft werden, inwiefern derartige Linkstendenzen in der Population der Amtsträger generell verbreitet sind, oder sich auf bestimmte Segmente (z. B. Alterskohorten oder Bildungsschichten) begrenzen. Daraus lassen sich dann Schlüsse ziehen, inwiefern solche Spaltungen momentan im Zu- oder Abnehmen begriffen sind, und ob sie eher den modernen oder den traditionellen Sektoren der Gesellschaft zuzurechnen sind.


2. Daten und Methodologie

Die Daten dieser Untersuchung stammen aus einer im Winter 2008/09 durchgeführten schriftlichen Fragebogenerhebung, in die alle ca. 15000 Mitglieder kommunaler Exekutiven (in allen drei Sprachregionen) einbezogen worden sind. Da sich ein überraschend hoher Anteil aller Befragten (über 50% in den meisten Kantonen) daran mitbeteiligt hat, ist die Stichprobe (mit insgesamt ca. 800 Befragten) ausreichend repräsentativ, um auf die Verhältnisse in der ganzen Schweiz hochrechnen zu können.

Überdies bildet die grosse Stichprobe immense Möglichkeiten für multivariate Analysen: insbesondere in dem Sinne, dass den höchst unterschiedlichen Rahmenbedingungen in Gemeinden verschiedener Grössenklassen Rechnung getragen werden kann und auch die Verhältnisse innerhalb einzelner Parteien detailliert untersucht werden können. Gewisse Grenzen der Auflösung ergeben sich allerdings daraus, dass gut 6000 männlichen bloss ca. 1800 weibliche Mandatsträger gegenüberstehen, und dass ausgerechnet in der kleinen Südschweiz ein besonders geringer Frauenanteil (von nur ca. 11%) besteht. Tabelle 1 gibt Auskunft über die Struktur der Stichprobe, wenn man sie entlang der Geschlechts-, Partei- und Sprachgrenzen desaggregiert.

Tabelle 1: Anzahl weibliche und männliche Exekutivmitglieder in der Gesamtstichprobe: nach Parteirichtung und Sprachregion.

Parteirichtung:

FDP/LPS

CVP/CSP

SVP

SP

GP/
GLP

EVP/EDU

Andere Part.

Lokale Grupp.

Partei-lose

Total

Deutsch

Frauen

213

170

119

154

11

19

32

60

483

1261

Männer

770

530

644

320

22

27

101

182

1375

3921

% Frauen

22.8

24.3

15.6

32.5

33.3

41.3

24.1

24.8

26.0

24.3

Franz.

Frauen

43

27

3

50

3

0

11

12

259

408

Männer

224

150

29

116

16

1

42

65

801

1444

% Frauen

16.1

15.3

9.4

30.1

15.8

0

20.8

15.6

24.4

22.0

Ital.

Frauen

24

10

1

8

1

-

5

5

8

62

Männer

169

110

4

65

6

-

27

36

69

486

% Frauen

12.4

8.3

20.0

11.0

14.3

-

15.6

12.2

10.4

11.3

 

Die abhängigen Variablen der Untersuchung bestehen aus den Antworten auf Fragen, die sich auf die ideologische Einstellung sowie verschiedene sachpolitische Meinungen der Informanten beziehen. Zur Bestimmung der ideologischen Einstellung wurden die Befragten gebeten, ihre Position auf einer von 0 bis 10 reichenden Links-Rechts-Skala zu verorten. Zur Erhebung ihrer sachpolitischen Einstellungen wurden sie aufgefordert, zu zehn lokalpolitischen Fragekomplexen („Issues“), die im Links-Rechts-Diskurs eine klare Prägung besitzen, Stellung zu beziehen. Aus Tabellen 2 und 3 geht hervor, wie viele Frauen und Männer in welcher Weise geantwortet haben.

Tabelle 2: Häufigkeitsverteilung der weiblichen und männlichen Exekutivmitglieder auf der Links-Rechtsachse.

 

Links-Rechts-Skala

 

 

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Total

Frauen

8

40

156

251

261

342

213

221

115

37

5

1649

Männer

15

80

266

494

621

885

1016

1164

883

236

69

5729

Tabelle 3: Häufigkeitsverteilung der weiblichen und männlichen Exekutivmitglieder in ihren  Meinungen zu  zehn kommunalpolitischen Anliegen.

 

 

Stimme nicht zu

Stimme eher nicht zu

Stimme eher zu

Stimme voll zu

N =

Mehr Unterstützung für Soziales

Frauen

Männer

97

726

534

2644

756

1906

293

485

1680

5761

Mehr familienexterne Kinderbetreuung

Frauen

Männer

97

620

324

1909

657

2277

629

988

1707

5794

Mehr Unterstützung für Kulturelles

Frauen

Männer

42

258

364

1791

958

3009

324

739

1688

5797

Stärkeres Engagement für die Umwelt

Frauen

Männer

21

177

191

1024

822

3028

647

1566

1691

5795

Förderung des öffentlichen Verkehrs

Frauen

Männer

21

82

121

487

638

2884

938

2416

1718

5869

Verkehrsberuhigung in

Wohngebieten

Frauen

Männer

186

960

373

1521

613

1988

531

1349

1703

5818

Kommunales Stimmrecht für Ausländer

Frauen

Männer

467

2343

477

1547

439

1269

290

610

1663

5789

Ansiedlung reicher Steuerzahler

Frauen

Männer

82

184

338

1013

739

2659

487

1902

1646

5758

Niedriger Gemeindesteuerfuss

Frauen

Männer

106

407

407

1050

790

2837

418

1742

1721

5885

Unternehmerische Freiheit für komm. Betriebe

Frauen

Männer

82

244

459

1415

784

2849

267

1139

1592

5847

In beiden Tabellen zeigt sich, dass die Antworten in methodologisch sehr befriedigender Weise über das ganze verfügbare Spektrum streuen. Erstaunlich ist die vor allem die beachtliche Zahl der Informanten, die sich extrem linke oder extrem rechts auf der Skala verorten, obwohl sie in ihrer kollegialen Gremientätigkeit wohl kaum Chancen haben, derartige Positionen zur Geltung zu bringen. Auch ohne Prozentuierungen wird bereits die –im folgenden genauer inspizierte – Regularität sichtbar, dass sich Frauen von Männern sowohl auf ideologischer wie sachpolitischer Ebene durch eine stärkere Linksneigung unterscheiden

Die Validität der sachpolitischen Variablen wird darin sichtbar, dass sie alle bei beiden Geschlechtern höchst signifikant mit der Selbsteinstufung auf der LR-Skala korrelieren (Tab. 4). Der kumulierte Gesamtindex (in den die sieben linken Positionen positiv und die drei rechten Issues negativ eingehen) ergibt eine Korrelation von .60, d. h. einen erklärten Varianzanteil von immerhin 36%.

Tabelle 4: Korrelationen zwischen der Einstufung auf der Links-Rechts-Skala und der Zustimmung zu zehn politischen Anliegen: nach Geschlecht.

 

Frauen

N =

Männer

N =

Mehr Unterstützung für Soziales

-.43**

1564

-.45**

5510

Mehr familienexterne Kinderbetreuung

-.35**

1589

-.35**

5534

Mehr Unterstützung für Kulturelles

-.29**

1572

-.25**

5543

Stärkeres Engagement für die Umwelt

-.35**

1583

-.33**

5533

Förderung des öffentlichen Verkehrs

-.30**

1596

-.26**

5601

Verkehrsberuhigung in Wohngebieten

-.31**

1584

-.28**

5554

Kommunales Stimmrecht für Ausländer

-.48**

1555

-.43**

5511

Ansiedlung reicher Steuerzahler

.18**

1538

.20**

5504

Niedriger Gemeindesteuerfuss

.37**

1600

.32**

5611

Unternehmerische Freiheit für komm. Betriebe

.19**

1497

.22**

5399

Summativer Index aller zehn Issues

-.61**

1361

-.59**

5066


3. Empirische Ergebnisse

3.1. Die Relevanz der Links-Rechts-Dimension

Die vorliegende Fragestellung geht von der selbstverständlichen Prämisse aus, dass die Links-Rechts-Achse für kommunale Exekutivpolitiker eine relevante semantische Dimension darstellt, die sie benutzen, um z. B. politische Parteien, Behörden, Programme, Personen – und nicht zuletzt auch sich selbst zu lokalisieren.
Auch wenn diese „Salienz“ natürlich einer eigenen operationalen Messung bedürfte, so lässt sie sich approximativ schätzen durch den Prozentanteil der Informanten, die bereit sind, auf Verlangen hin eine derartige Einstufung überhaupt zu vollziehen.

Im vorliegenden Fall betragen diese Prozentwerte 92.1% bei den Frauen und 94.8% bei den Männern – und liegen damit auf einem Niveau, das für politisch aktive Bevölkerungssegmente westlicher Länder generell typisch ist (Geser 2008). Typischerweise finden sich die höchsten Werte in kleinen Landgemeinden, wo kommunale Entscheidungsfragen durchwegs als „unpolitisch“ gelten (vgl. Geser 2003), während bereits oberhlb von 2000 Einw. mindestens 95% der Befragten eine Vertrautheit mit der LR-Skala bekunden (Tab. 5).

Tabelle 5: Prozentsatz weiblicher und männlicher Exekutivmitglieder, die eine Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala verweigert haben: nach Gemeindegrösse.
 

 

Einwohnerzahl der Gemeinden

 

 

 

bis

500

501-

1000

1001-2000

2001-5000

5001-10000

10001-20000

über 20000

Total

N =

Frauen

13.5

7.9

10.2

5.0

3.3

4.1

3.2

8.0

1793

Männer

9.2

5.9

4.0

3.6

3.0

3.9

0

5.2

6044

Darin widerspiegelt sich die in einer anderen Studie (Geser 2009) erhärtete Tatsache, das in der heutigen Schweiz nur die Politik der Grosstädte, sondern auch der Mittelgemeinden von einer ideologischer Polarisierung erfasst worden ist, wie man sie früher höchstens auf überlokaler Ebene vorfinden konnte. In Übereinstimmung mit den meisten empirischen Untersuchungen zeigt sich auch, dass Frauen etwas häufiger als Männer die Selbsteinstufung verweigern. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass sie infolge geringerer politischer Erfahrung häufiger nicht über die erforderlichen kognitiven Voraussetzungen dazu verfügen, oder dass sie sich ihre politischen Ansichten eher aus einerkonkret-lebensweltlichen als einer abstrakt-ideologischen Perspektive beziehen (vgl. z. B. Hoecker 1987; Meyer 1997; Merkel/Müller-Vogg 2004: 123).

Die Wirkung zeitgeschichtlicher gesellschaftlicher Ideologieströmungen wird sichtbar, wenn man die Verweigerungsraten verschiedener Alterskohorten miteinander vergleicht (Tab. 6). Mit etwas spekulativer Phantasie lässt sich darin erkennen, dass die älteste Kohorte immer noch die bekannten Merkmale der Vorkriegsgeneration zum Ausdruck bringt, die (im Sinne von Schelskys „nivellierter Mittelstandsgesellschaft“) durch relativ geringe Politisierung und eine starke, durch traditionelle Rollenmuster (und das fehlende Frauenstimmrecht) stabilisierte Differenzierung der Geschlechter gekennzeichnet war. Darauf folgte dann die hoch politisierte „68er Generation“, die im Zuge einer ubiquitären Ausbreitung des Links-Rechts-Denkens auch zu einer Einebnung der Geschlechtsunterschiede geführt hat. Bei der jüngsten Kohorte scheinen diese von den „Neuen Sozialen Bewegungen“ (und ihren rechtspopulistischen Reaktionsbewegungen) ausstrahlenden Kräfte an Bedeutung zu verlieren: mit der Wirkung, dass die Vertrautheit mit dem LR-Schema etwas abnimmt und sich trotz politischer Gleichstellung erneut ein - mit der ältesten Generation vergleichbarer - „Gender Gap“ öffnet.

Tabelle 6: Prozentsatz weiblicher und männlicher Exekutivmitglieder, die eine Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala verweigert haben: nach Geburtsjahrgängen.
 

 

Geburtsjahrgänge

 

 

 

bis

1945

1946-1950

1951-1955

1956-1960

1961-1965

1966-1970

1971-1975

1976-

 

Total

N =

Frauen

13.5

5.9

6.6

6.3

9.1

10.9

5.9

12.5

8.0

1748

Männer

6.7

4.4

4.5

4.7

4.8

6.2

5.3

7.5

5.2

6023

 

3.2. Zum generellen Ausmass ideologischer „Gender gaps“ in den drei Sprachregionen

Ein einfachster erster Vergleich arithmetischer Mittelwerte ergibt, dass die Frauen aller drei Landesteile eine sehr ähnliche Durchschnittsposition knapp links vom mathematischen Skalenmittelpunkt (5.0) besetzen, während sich die Männer dezidiert rechts davon verorten (Tab. 7).

Tabelle 7: Durchschnittliche Werte von Frauen und Männern auf der Selbsteinstufung in der Links-Rechtsskala (0-10): nach Sprachregion.
 

Sprachregion:

Deutsch

Französisch

Italienisch

Total

N =

Frauen

4.86

4.80

4.75

4.84

1752

Männer

5.86

5.76

5.27

5.78

6034

Differenz (T-Test)

-1.00**

-.96**

-.52

-.94**

 

* p < .05 ** p < .01

Die Häufigkeitsverteilungen bestätigen die Vermutung, dass –im deutschen und französischen Landesteil – nur bei den Frauen eine einigermassen symmetrische Normalverteilung um den arithmetischen Mittelwert (und gleichzeitig Modalwert) besteht, während bei den Männern ein überaus rechtsschiefes Verteilungsmuster (mit Maximalwerten bei 7) dominiert (Figuren 1 und 2). Im italienischen Sprachraum besteht genau umgekehrt bei den Männern eine Normalverteilung, die mit einer etwas linksschiefen Distribution bei den Frauen (mit Modalwert 3) kontrastiert (Figur 3).



In Tabelle 8 wird sichtbar, dass sich hinter den Diskrepanzen in der ideologischen Skaleneinstufung umfassende Meinungsdifferenzen auf der Ebene konkreter Sachpolitik verbergen. So sind die Frauen in allen drei Landesteilen bereit, im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen ausnahmslos allen sieben linken Anliegen mehr Unterstützung zu leihen und alle drei rechten Anliegen weniger Zustimmung zu geben: auch wenn die Differenzen vor allem in der italienischen Schweiz teilweise sehr geringfügig (und statistisch zufällig) sind. Auch wenn die Forderung nach Ausdehnung der familienexternen Kinderbetreuung erwartungsgemäss besonders grossen Anklang findet, ist doch evident, dass zum Bündel linker Orientierungen auch sozial-, kultur-, finanz-, verkehrs-, umwelt- und ausländerpolitische Anliegen gehören. Am wenigsten sind (interessanterweise vor allem in der deutschen Schweiz) struktur- und ordnungspolitische Fragen betroffen, die sich auf Strategien des ökonomischen Wachstums (Ansiedlung wohlhabender Steuerzahler) und die Deregulierung öffentlicher Dienstleistungen (unternehmerische Freiheit für kommunale Betriebe) beziehen.

Tabelle 8: Differenzen zwischen Frauen und Männern im Zustimmungsgrad zu zehn verschiedenen kommunalpolitischen Zielen: nach Sprachregionen
(Lesebeispiel: Der Wert -15 bedeutet: Frauen haben auf einer von -100 bis +100 reichenden Skala um 15 Punkte weniger zugestimmt.

 

Deutsch

Französisch

Italienisch

Total

N =

Mehr Unterstützung für Soziales

33

27

12

28

7441

Mehr familienexterne Kinderbetreuung

36

24

14

31

7501

Mehr Unterstützung für Kulturelles

20

12

1

15

7485

Stärkeres Engagement für die Umwelt

16

13

6

14

7486

Förderung des öffentlichen Verkehrs

10

6

8

8

7587

Verkehrsberuhigung in

Wohngebieten

20

12

18

17

7521

Kommunales Stimmrecht für Ausländer

14

22

21

20

7432

Ansiedlung reicher

Steuerzahler

-6

-12

-3

-8

7404

Niedriger Gemeinde-

steuerfuss

-11

-10

-23

-11

7606

Unternehmerische Freiheit für komm. Betriebe

-5

-11

-11

-7

7239

Summenindex aller 10 Variablen (-1000 bis +1000)

174

144

118

160

6895

Am Beispiel der Kinderbetreuung wird plausibel, dass Frauen auch rein aufgrund ihrer lebensweltlichen Problemsituationen zu „linken“ Ansichten gelangen können, ohne dass sie damit abstraktere ideologische Vorstellungen verbinden. Im selben Sinne könnten ihren familienorientierten Schutz- und Sicherheitsbedürfnisse dafür massgebend sein, dass sie jenseits ideologischer Polarisierungen für einen Ausbau der Sozialpolitik oder für die Verkehrsberuhigung und Wohngebieten votieren. Gerade auf kommunaler Ebene sind viele Probleme derart von konkreten sinnlichen Erfahrungen geprägt, dass vielleicht kaum mehr ein Spielraum für abstrakte, ideologisch gesteuerte Meinungsbildung mehr besteht.

Tatsächlich zeigt sich, dass Geschlechtsunterschiede auf der Ebene sachpolitischer Einstellungen nur teilweise verschwinden, wenn man die Skalenposition auf der Links-Rechts-Achse kontrolliert (Figur 4).

Aus den multivariaten Regressionsanalysen de Tabelle 9 kann man für jedes der zehn Issues die Höhe des genuin dem Geschlecht zuschreibbaren Erklärungsbetrags ersehen.

Nur im Falle der externen Kinderbetreuung hat die dem weiblichen Geschlecht zurechenbare Steigerung der Zustimmung einen Umfang, der ungefähr demjenigen von zwei Punkten auf der LR-Skala entspricht. In der Sozial- und Kulturpolitik (ebenso wie im summativen Index) enspricht die Wirkung ungefähr derjenigen eines Skalenpunktes, während er bei den übrigen sieben Issues niedriger liegt (und bei keinem der drei „rechten“ Anliegen die statistische Signifikanzschwelle erreicht).

Tabelle 9: Erklärungskraft der Links-Rechts-Position und des Geschlechts für die Zustimmung bzw. Ablehnung zu linken politischen Anliegen (Multivariate Regressionsanalysen, b-Koeffizienten und korrigiertes R-Quadrat).

 

Konstante

Pos. auf LR-Achse

Geschlecht

(m =0; f=1)

Korr.R2

N = 

Summenindex aller 10 Anliegen (-1000 - +1000)

695.21***

-98.57***

71.82***

.375

6426

Mehr Unterstützung für Soziales*

102.358***

-14.18***

15.59***

.225

7071

Mehr familienexterne Kinderbetreuung*

119.91***

-11.66***

21.49***

.155

7122

Mehr Unterstützung für Kulturelles*

80.686***

-7.65***

8.89***

.080

7112

Stärkeres Engagement für die Umwelt *

104.85***

-9.13***

5.39***

.120

7113

Förderung des öffentlichen Verkehrs *

102.05***

-6.15***

3.20*

.077

7196

Verkehrsberuhigung in Wohngebieten*

86.89***

-10.54***

7.66***

.090

7137

Kommunales Stimmrecht für Ausländer*

73.28***

-16.26***

5.96**

.202

7065

Ansiedlung reicher Steuerzahler*

6.16

5.80***

-2.34

.041

7041

Niedriger Gemeindesteuerfuss *

-22.189***

10.01***

-2.48

.116

7210

Untern. Freiheit für komm. Betriebe*

-9.20**

6.37***

.43

.046

6895

* Skala von -100 (volle Ablehnung) bis +100 (volle Zustimmung)

3.3. Die Gemeindegrösse als determinierende und intervenierende Variable

Aus zahllosen Abstimmungs- und Wahlergebnissen geht hervor, dass die Links-Rechts-Polarisierung partiell mit der Stadt-Land – Spaltung unserer Gesellschaft koinzidiert. In den letzten Jahren hat dies vor allem im Vordringen linksgrüner Stadtregierungen (in Zürich, Genf, Basel Bern u. a.) Ausdruck gefunden, sowie im Anwachsen einer SVP, die ihre Anhängerschaft nach wie vor aus eher kleineren Gemeinden rekrutiert.

Die Vergleichsergebnisse in Tab 10 zeigen, dass die Frauen bereits oberhalb von 10000 Einwohnern, die Männer erst in grösseren Städten eine scharfe Linkswendung vollziehen: mit der Folge, dass in Kommunen zwischen 10000 und 20000 Ew. die weitaus grösste geschlechtsspezifische Differenz besteht. In nichtstädtischen Gemeinden lassen sich kaum grössenbedingte Unterschiede erkennen: abgesehen von den Frauen kleinster Gemeinden (unter 500 Ew.) die eine unerwartet deutliche Linksdrift aufweisen, die eine entsprechend deutlich mit den viel konservativeren männlichen Kollegen kontrastiert.

Tabelle 10: Durchschnittliche Selbsteinstufungen der Frauen und Männer auf der Links-Rechts-Achse: nach Gemeindegrösse.

 

Einwohnerzahl der Gemeinden

 

 

 

bis 500

501-1000

1001-2000

2001-5000

5001-10000

10001-20000

20001+

Total

N =

Frauen

4.65

5.14

4.92

4.95

4.73

4.21

4.03

4.84

1649

Männer

5.73

5.80

5.80

5.87

5.78

5.65

4.88

5.78

5729

Differenz

-1.08

-.66

-.88

-.92

-1.05

-1.44

-.85

-.94

 

Davon erklärbar durch interparteiliche Differenzen

46%

15.6%

10.2%

47.8%

34.2%

54.8%

97.6%

43.5%

 

Es kann nicht überraschen, dass sich die ideologische Kluft der Geschlechter mit zunehmender Gemeindegrösse von einer interparteilichen Divergenz immer mehr in eine zwischenparteiliche Polarisierung verwandelt. Dies hängt damit zusammen, dass Frauen und Männer dank der wachsenden Vielfalt des Parteienangebots immer mehr Chancen haben, eine ihrer Gesinnung gemässe politische Gruppierung zu finden. Allerdings fallen auch hier die kleinsten Gemeinden aus dem Rahmen, bei denen sich wider Erwarten fast die Hälfte des „Gender Gaps“ auf interparteilicher Ebene manifestiert (Tab. 10).

Strikt parallel zu den ideologischen erreichen auch die sachpolitischen Meinungsdifferenzen zwischen Männer und Frauen in kleineren Städten ihr Maximum, weil die Linksdrift der Frauen diejenige der Männer (die durchaus auch beachtlich ist) bei weitem übertrifft (Tab 11). Auch hier stösst man auf das Phänomen, dass die Frauen in den kleinsten Gemeinden eine unerwartet deutliche Sympathie für linke Anliegen zeigen, die sich – wie weitere Analysen zeigen – sowohl im deutschen wie im französischen Sprachraum ziemlich gleichmässig auf alle zehn Sachthemen (in der Südschweiz hingegen nur auf Steuer- und Umweltfragen) erstreckt.
So muss der ideologische „Gender Gap“ wohl als eine ubiquitäre Cleavage betrachtet werden, die nicht nur alle kulturellen Regionen, sondern auch alle Gemeindegrössenklassen durchdringt.

Tabelle 11: Durchschnittlicher Zustimmungsgrad der Frauen und Männer zu zehn linken politischen Anliegen*: nach Gemeindegrösse

 

Einwohnerzahl der Gemeinden

 

 

 

bis 500

501-1000

1001-2000

2001-5000

5001-10000

10001-20000

20001+

Total

N =

Frauen

167

113

99

109

177

317

315

141

1439

Männer

-23

-39

-32

-28

16

60

143

-18

5277

Differenz

200

152

131

137

161

257

172

159

 

* Summenindex aller 10 Anliegen (Skala von -1000 - +1000)

Als intervenierende Variable bestimmt die Gemeindegrösse das Ausmass, in dem Frauen linke sachpolitische Anliegen auch unabhängig von ihrer ideologischen Position auf der LR-Skala unterstützen. Am meisten ist dies in den Kleinstgemeinden der Fall, wo allein die allein dem weiblichen Geschlecht zurechenbare Steigerung des Unterstützungsgrades (114 Punkte) ungefähr der Wirkung von 1.5 Punkten auf der LR-Skala entspricht. Am geringsten sind die Wirkungen oberhalb von 5000 Einwohnern, wo die Wirkung der Links-Rechts-Selbstverortung völlig dominiert (Tab. 12). Dies stimm völlig mit den Ergebnissen einer früheren, auf der Basis lokaler Parteisektionen beruhenden empirischen Studie überein, die gezeigt hat, dass der Ideologisierungsgrad der kommunalen Sachpolitik mit wachsender Gemeindegrösse dramatisch steigt (vgl. Geser 2009).

Tabelle 12: Erklärungskraft der Links-Rechts-Position und des Geschlechts für die Zustimmung/Ablehnung zu zehn linken politischen Anliegen*: nach Gemeindegrösse (Multivariate Regressionsanalysen, b-Koeffizienten und korrigiertes R-Quadrat).

Gemeindegrösse

Konstante

Pos. auf LR-Achse

Geschlecht

(m =0; f=1)

Korr.R2

N = 

-500

646.44***

-76.28***

114.61***

.306

1188

501-1000

622.00***

-76.23***

108.53***

.273

1148

1001-2000

581.63***

-87.12***

55.68**

.299

1356

2001-5000

710.68***

-110.49***

45.93**

.426

1598

5001-10000

789.85***

-126.15***

23.07

.504

669

10001-20000

930.53***

-138.14***

47.29

.583

361

über 20000

1008.28***

-160.15***

34.32

.688

100

* Summenindex aller 10 Anliegen (Skala von -1000 - +1000)

3.4. „Gender Gaps“ innerhalb der Parteien

Es ist evident, dass sich ein Teil der politischen Geschlechterdivergenzen als Kluft zwischen den Parteien manifestiert: indem die Frauen bevorzugt für Parteien linker Provenienz kandidieren (bzw. dort aufgrund expliziter Förderungsprogramme höhere Nominierungschancen als in bürgerlichen Gruppierungen erhalten). So korreliert das Verhältnis der beiden Geschlechter sehr eng mit der durchschnittlichen Platzierung der politischen Partei auf der LR-Skala (wie sie von den Informanten in Form einer Bewertung ihrer eigenen lokalen Parteisektion vorgenommen wurde) (Tab. 13).

Der Erklärungsanteil dieses interparteilichen Faktors ist aber dadurch eingeschränkt, dass sich Frauen für Exekutivämter weniger häufig als beispielsweise für Parlamentsmandate zur Verfügung stellen: so dass der weibliche Anteil sogar bei den Sozialdemokraten und den Grünen kaum die 30%-Marke überschreitet (vgl. Tab. 1). Sein Ausmass kann ermittelt werden, indem man den LR-Skalenwert berechnet, der sich ergeben würde, wenn alle Frauen und Männer genau den Skalenplatz ihrer Gruppierung einnehmen (d. sich innerparteilich nicht voneinander unterscheiden) würden. Gemäss diese Kalkulation würden die Kennwerte durchschnittlich 5.30 (Frauen) und 5.68 Männer) betragen. Vergleicht man die resultierende Differenz (.38) mit der gesamten Skalendifferenz zwischen beiden Geschlechter (.94), so ergibt sich, dass nur 40% davon ihr durch zwischenparteiliche Differenzen erklärt werden kann, während 60% durch innerparteilichen Divergenzen zustande kommen müssen.

Tabelle 13: Häufigkeitsverteilung der weiblichen und männlichen Exekutivmitglieder auf verschiedene politische Parteien (Prozentwerte)

 

Parteizugehörigkeit

 

 

 

GP

SP

EVP

CVP

FDP/

LPS

SVP/

BDP

Total

N =

LR-Mittelwert*

der Partei

2.4

2.7

4.6

5.5

6.5

7.3

 

 

Frauen

1.7

23.5

2.1

24.2

29.6

15.0

100%

837

Männer

1.1

15.1

.9

25.2

32.1

21.5

100%

3125

Verhältnis F/M

1.54

1.56

2.33

1.04

1.08

0.70

 

 

*Einordnung der eigenen politischen Gruppierung durch die Exekutivmitglieder

Tatsächlich zeigt sich dass die Frauen innerhalb praktisch aller politischen Gruppierungen –wie auch als Parteilose - eine tendenziell linkere Position einnehmen (Tab. 14). Am wenigsten gilt dies bezeichnenderweise für die an den beiden Extrempolen angesiedelten Parteien (SP und SVP), wo stark verbindliche parteieigene Ideologien und Programme eine starke Homogenität innerhalb der Mitgliederschaft erzeugen; sehr viel stärker hingegen für die FDP sowie die beiden Christlichen Parteien (CVP und EVP), in denen keine über generelle Werthaltungen hinausreichende Konsensverpflichtungen bestehen. Diese Mitteparteien sind es, die dem politischen Geschlechterdissens fast so ungefiltert wie das unorganisierte Kollektiv der Parteilosen ausgesetzt sind und infolgedessen interne Dauerkontroversen austragen müssen, die sich sowohl auf die Binnenkohäsion einerseits wie auch auf die äussere Handlungsfähigkeit negativ auswirken können.

Tabelle 14: Durchschnittliche Werte von Frauen und Männern auf der Selbsteinstufung in der Links-Rechtsskala (0-10): nach Parteirichtung

 

FDP/

LPS

CVP/

CSP

SVP

SP

GP/
GLP

EVP/

EDU

Andere

Part.

Lokale

Grupp.

Partei-lose

Total

N =

Frauen

5.8

4.9

6.7

2.8

2.4

4.2

4.8

4.3

4.8

4.8

1649

Männer

6.5

5.8

7.2

3.0

3.3

5.1

5.3

5.2

5.7

5.8

5729

Differenz

-.7**

-.9**

-.5**

-.2

-.9

-.9*

-.5*

-.9**

-.9**

-1.0**

 

* p < .05 ** p < .01

Am stärksten tragen die Frauen in der FDP zur Linkserweiterung des ideologischen Spektrums bei, indem ca. 25% von ihnen (im Vergleich zu nur 109% der Männer) die Positionen 1-3 besetzen. Damit konstituieren sie einen starken Mitte-Links-Flügel und zerstören den dominanten Mehrheitskonsens der Männer, von denen sich fast 70% (Frauen: nur 54%) auf den Positionen 6-8 konzentrieren (Figur 5).



Demgegenüber pflegen sich in der CVP beide Geschlechter erheblich stärker in den politischen Mittepositionen zu versammeln: ganz besonders die Frauen, von denen sich ein Viertel genau in der Skalenmittel verortet und die im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen kaum Positionen oberhalb von 6 innehaben (Figur 6).



Als reine Männerpartei wäre die SVP die weitaus homogenste politische Gruppierung, da sich über 60% auf nur zwei Skalenwerten (7 und 8) konzentrieren. Nur dank ihrer Frauen erhält sie einen ausgeprägten Flügel der politischen Mitte – allerdings keinen linken Flügel wie die FDP (Figur 7).



Stärker als die Mitgliederschaft der SVP scheint diejenige der Sozialdemokratischen Partei einem ideologischen Homogenisierungsdruck zu unterliegen, der zur Folge hat, dass sich bei beiden Geschlechtern über 60% auf den moderat linken Positionen 2 und 3 verorten (Figur 8). Allerdings fällt auch hier auf, dass Frauen bevorzugt linkere Skalenwerte besetzen. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien sind es hier die Männer, die den generellen Parteikonsens stören, indem sie einen (im Umfang beachtliche 17% umfassenden) politischen Mitteflügel bilden.



Analoges gilt für die Grünen, die als reine Frauenpartei äusserst homogen wären, da sich nicht weniger 80% der weiblichen Mitglieder auf den Positionen 2 und 3 verorten. Auch hier sind es die Männer, die diesen Konsens– durch Einnahme zentristischer politischer Positionen stören (Figur 9. Diese Diskrepanzen wären sicher grösser, wenn sich nicht die Grünliberale Partei abgespalten hätte, die bekanntermassen vor allem bei Männern Unterstützung findet. (Bezeichnenderweise gehören sämtliche neun Exekutivvertreter der GLP zum männlichen Geschlecht).



Tabelle 15: Differenzen zwischen Frauen und Männern im Zustimmungsgrad zu zehn verschiedenen kommunalpolitischen Zielen: nach Parteirichtung
(Lesebeispiel: Der Wert -15 bedeutet: Frauen haben auf einer von -100 bis +100 reichenden Skala um 15 Punkte weniger zugestimmt).

  FDP/

LPS

CVP/

CSP

SVP SP GP EVP/

EDU

Andere

Part.

Nichtpar.

Gruppen

Partei-lose
Mehr Unterstützung

für Soziales

25** 25** 23** 9* 11 52* 19 18* 29**
Mehr familienexterne Kinderbetreuung 31** 31** 23** 16** 15 40* 17 35** 29**
Mehr Unterstützung

für Kulturelles

17** 13** 2 5 29* 16 11 10 16**
Stärkeres Engagement

für die Umwelt

10** 11** 11 5 11 32* 9 14* 14**
Förderung des öffent-

lichen Verkehrs

5 6 5 3 9 26* 4 12* 8**
Verkehrsberuhigung

in Wohngebieten

10* 10 2 6 4 6 14 18* 19**
Kommunales Stimmrecht

für Ausländer

10* 12* 4 10* 32* 24 8 15 22**
Ansiedlung reicher Steuerzahler -5 -7 -6 -1 -5 -10 -3 -4 -6*
Niedriger Gemeinde-steuerfuss -5 -6 1 -16** -3 -11 0 -21** -8**
Unternehmerische Freiheit für kommunale Betriebe -8* -11* 1 -2 0 -1 -3 -6 -4
Summenindex aller 10 Anliegen 119** 128** 57* 74** 162 111* 58 99* 155**

Aus Tabelle 15 wird ersichtlich, dass sich die ideologische Geschlechterkluft in einem breiten Spektrum sachpolitischer Meinungsdifferenzen widerspiegelt. Es ist naheliegend, dass Frauen quer über alle Parteien hinweg stärker für den Ausbau der familienexternen Kinderbetreuung (sowie andere sozialpolitische Anliegen) votieren. Bemerkenswerter ist, dass sie vielerorts auch umweltpolitische Forderungen vorbehaltloser unterstützen, für eine Expansion öffentlicher Kulturausgaben eintreten und der Einführung des Ausländerstimmrechts (auf kommunaler Ebene) weniger ablehnend gegenüberstehen. Am erstaunlichsten ist, dass innerhalb der Grünen Partei aufgrund der umfangreichen Differenzen in der Kultur- und Ausländerpolitik eine insgesamt grössere sachpolitische Geschlechterkluft als in allen andern Parteien besteht.

3.5. Die Bedeutung des Bildungsniveaus

Wie die Ergebnisse des jüngsten World Values Survey (2006) zeigen, hat die ideologischer Kluft zwischen Männern und Frauen in den letzten Jahren vor allem bei den höheren Bildungssegmenten dramatische Ausmasse angenommen, weil Frauen mit Hochschulbildung sehrstark nach links grrückt sind (während die Männer aller Bildungsstufen ähnliche Positionen rechts der Mitte präferieren; Geser 2007). Genau dieselben Verhältnisse lassen sich im viel engeren Personenkreis der exekutiven Mandatsträger(innen) finden, wo der Dissens der Geschlechter mit zunehmendem Bildungsniveau ebenfalls sehr stark zunimmt: allerdings mit der bedeutsamen Ausnahme, dass auf untersten Bildungsniveaus dank einer besonders prononcierten Rechtstendenz der Männer eine etwas stärkere Kluft als bei einfacher Berufsbildung besteht (Tab. 16; 17).

Tabelle 16: Durchschnittliche Werte weiblicher und männlicher Exekutivmitglieder auf der Selbsteinstufung in der Links-Rechtsskala (0-10): nach Bildungsniveau

 

Keine berufliche Bildung Einfache Berufsbildung Höhere Berufsbildung Hochschule

N =

Frauen

5.24

5.10

5.02

4.11

1553

Männer

6.15

5.87

6.02

5.43

5560

Differenz (T-Test)

-.89**

-.77**

-1.00**

-1.32**

 

* p < .05 ** p < .01

Tabelle 17: Durchschnittlicher Zustimmungsgrad weiblicher und männlicher Exekutivmitglieder zu zehn linken Anliegen: nach Bildungsniveau

 

Keine berufliche Bildung

Einfache Berufsbildung

Höhere Berufsbildung

Hochschule

N =

Frauen

97

82

120

269

1360

Männer

-64

-41

-63

49

5125

Differenz (T-Test)

161**

123**

183**

220**

 

* p < .05 ** p < .01

Aus Tabelle 18 geht hervor, dass die mit höherer Bildung verknüpften sachpolitischen Divergenzen zwar im Bereich der Kinderbetreuung und Ausländerpolitik besonders ausgeprägte Form annehmen, sich in abgeschwächter Weise aber auch auf die Anliegen der Sozial-, Kultur-, Umwelt- und Finanzpolitik erstrecken. Am wenigsten wird wiederum das ordnungspolitische Anliegen (unternehmerische Freiheit für öffentliche Betriebe) berührt, wo die Differenz auf der Ebene akademisch gebildeter Mandatsträger nur knapp die Signifikanzgrenze überschreitet.

Tabelle 18: Differenzen zwischen Frauen und Männern im Zustimmungsgrad zu zehn verschiedenen kommunalpolitischen Zielen: nach Bildungsniveau
(Lesebeispiel: Der Wert -15 bedeutet: Frauen haben auf einer von -100 bis +100 reichenden Skala um 15 Punkte weniger zugestimmt.)

 

Keine berufliche Bildung

Einfache Berufsbildung

Höhere Berufsbildung

Hochschule

N =

Mehr Unterstützung

für Soziales

26**

23**

30**

30**

7071

Mehr familienexterne Kinderbetreuung

12

26**

42**

40**

7122

Mehr Unterstützung

für Kulturelles

4

11**

19**

19**

7112

Stärkeres Engagement

für die Umwelt

8

16***

14**

17**

7113

Förderung des öffent-

lichen Verkehrs

13*

7**

9**

10**

7196

Verkehrsberuhigung

In Wohngebieten

18*

18**

17**

20**

7137

Kommunales Stimmrecht

für Ausländer

22**

11**

25**

35**

7065

Ansiedlung reicher Steuerzahler

-13*

-4

-9**

-13**

7041

Niedriger Gemeinde-steuerfuss

-9

-6*

-14**

-21**

7210

Unternehmerische Freiheit für komm. Betriebe

-12

-5

-3

-8*

6895


3.6. Die Relevanz des Herkunftsmilieus

Die Hypothese liegt nahe, dass die ideologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen zumindest partiell in Divergenzen ihrer Sozialisation ihre Ursache haben. Rein theoretisch wäre die ausgeprägte Rechtstendenz der Frauen dadurch erklärbar, dass sie häufiger in einem bürgerlich-konservativ gesinnten Familienkontext aufgewachsen sind – oder dass sie stärker als Frauen dazu neigen, dort erworbene Einstellungen zu internalisieren und in späteren Lebensphasen zu bewahren. Analog dazu wäre denkbar, dass politisierende Frauen – die im Vergleich zu den zahlreicheren Männern nach wie vor ein viel selektiveres Segment der weiblichen Bevölkerung darstellen – häufiger aus einem links geprägten Elternmilieu – wie es aufgrund der 68-er Bewegung vor allem seit den 70er-Jahren häufiger geworden ist – stammen.

Des weiteren stellt sich die Frage, wie die im Elternhaus erfahrene Frühsozialisation mit den Effekten der späteren formalen Bildung interagiert. So wäre es zum Beispiel plausibel, dass die mit höherer Bildung einhergehende Linkstendenz vor allem jene erfasst, die im Elternhaus keine konservativ-bürgerliche Vorprägung erfahren haben – wobei dann offen bleibt, ob sich Männer oder Frauen unterschiedlich stark von ihrem Herkunftsmilieu emanzipieren.

Tatsächlich zeigt sich, dass weibliche Exekutivmitglieder etwas häufiger aus einem linken Milieu stammen (Tab. 19). Darin mag sich die bekannte Tatsache widerspiegeln, dass Mädchen in bürgerlichen Milieus häufiger auf traditionelle Frauenrollen hin orientiert werden, die – gerade in der Schweiz, die bis 1971 kein Frauenstimmrecht kannte – keine Perspektive aktiver politischer Betätigung in sich schloss. Obwohl der Unterschied dank der grossen Stichprobe statistisch signifikant ist, ist er absolut betrachtet aber viel zu gering, um den gesamten ideologischen „Gender Gap“ erklären zu können.

Tabelle 19: Häufigkeitsverteilung der weiblichen und männlichen Exekutivmitglieder nach ihrem politischen Herkunftsmilieu.

 

bürgerlich-konservativ

links

unpolitisch

Total

N =

Frauen

35.7

8.4

55.9

100%

1624

Männer

39.7

6.1

54.2

100*

6087

Chi-2  = 17.456   (Sign. .000)  (N = 7711)

Viel entscheidender ist die Tatsache, dass die ungeachtet ihrer politischen Familiensozialisation eine viel linkere ideologische Prägung als Männer aufrechterhalten: eine Differenz, die sich überdies mit höherem Bildungsniveau deutlich verstärkt. (Tab. 20). Im Kontrast dazu scheint die Sozialisation in einem linken Milieu relativ unabhängig vom Geschlecht eine sehr ausgeprägte spätere Linksorientierung zu erzeugen, die sich ebenfalls nur bei den Frauen durch die formale Bildung noch etwas verstärkt. Hier zeigt sich wiederum das im Vergleich zu den eher diffus-wertbezogenen bürgerlichen Gesinnungen relativ starke Homogenisierungspotential linker Ideologien, wie sie auch in der reduzierten LR-Streuung in der Sozialdemokratie und der Grünen Partei (vgl. Figuren 8 und 9 ) ihren Ausdruck findet.

Evident ist, dass linksorientierte Männer ihre politische Orientierung stärker einem gleichgesinnten Elternhaus verdanken als die Frauen, wo andere (u-. B. formal-bildungsmässige) Einflüsse dominieren. Demgegenüber ist die mit einem bürgerlichen Milieu einhergehende relative Rechtsverschiebung bei beiden Geschlechtern ungefähr gleich.

Tabelle 20: Position auf der Links-Rechts-Skala bei weiblichen und männlichen Exekutivmitgliedern: nach politischer Tradition im Elternhaus und Bildungsniveau.

 

Frauen

 

Männer

 

 

bürgerlich-konservativ

links

unpoli-

tisch

N =

bürgerlich-konservativ

links

unpolitisch

N =

Keine Berufsbildung

6.3

3.2

5.0**

90

6.6

3.2

6.1

244

Einfache Berufsbildung

5.5**

3.3

5.2**

641

6.6

3.9

5.7

1522

Höhere Berufsbildung

5.6**

3.2

4.8**

432

6.6

3.6

5.9

1907

Hochschule

4.8**

2.8

4.0**

371

6.0

3.1

5.4

1828

Gesamtsample

5.4**

3.2

4.8**

1629

6.3

3.5

5.6

5501

* p < .05 ** p < .01 (Unterschied zwischen Männern und Frauen)

Auch wenn die politischen Elterneinflüsse durch die vorliegende Variable nur sehr oberflächlich erfasst werden, deuten diese Ergebnisse doch darauf hin, dass basale politische Links-Rechts- Orientierungen auch heute noch in überraschend starkem Ausmass intergenerationell übertragen werden. Wer in eine „bürgerlich“ gesinnte Familie hineingeboren wurde, wird später mit weniger als 20% Wahrscheinlichkeit eine politische Position links der Skalenmitte einnehmen, und wer in einem „linken“ Milieu gross geworden ist, gar nur mit einer Chance von 12% einen Wert auf der rechten Skalenhälfte besetzen.

Ohne den Einfluss einer bürgerlich geprägten Familiensozialisation würde der durchschnittliche Skalenwert aller Exekutivmitglieder immerhin um fast 0.4 Punkte (von 5.57 auf 5.20) absinken, während er beim Fehlen linker Elternmilieus allerdings nur um 0.16 Punkte (von 5.57 auf 5.73) ansteigen würde.

Tabelle 21: Zustimmungsgrad zu 10 linken Anliegen bei weiblichen und männlichen Exekutivmitgliedern: nach politischer Tradition im Elternhaus und Bildungsniveau

 

Frauen

 

Männer

 

 

bürgerlich-konservativ

links

unpoli-

tisch

N =

bürgerlich-konservativ

links

unpoli

tisch

N =

Keine Berufsbildung

-81

400

141**

77

-118

405

-66

226

Einfache Berufsbildung

27**

339

74**

563

-120

257

-28

1401

Höhere Berufsbildung

19**

287

171**

376

-131

257

-48

1753

Hochschule

205**

534**

254**

329

-21

349

75

1692

Gesamtsample

71**

384**

148**

1345

-84

297

.7

5072

* p < .05 ** p < .01 (Unterschied zwischen Männern und Frauen)

Auf der Ebene konkreter sachpolitischer Positionen zeigt sich noch deutlicher als bei der Links-Rechts-Skala, dass ein progressives Elternmilieu den späteren Zustimmungsgrad für praktisch alle links geprägten politischen Anliegen (in der Finanz-, Familien- Sozial-, Kultur-Umwelt-, Verkehrs- und Ausländerpolitik) dramatisch erhöht, während eine bürgerliche Herkunft diese Zustimmung moderat vermindert. –Wiederum erweist es sich, dass Frauen ungeachtet ihrer Sozialisation erheblich linkere sachpolitische Positionen vertreten und sehr viel stärker als die Männer einem von der formalen Bildung ausgehenden Linkseinfluss unterliegen (Tab. 21). Die weitaus geringste Geschlechterkluft besteht so bei Sprösslingen aus linken Milieus, die den niedrigeren Bildungsstufen angehören.

So ergibt sich die Schlussfolgerung, dass sich der intergenerationelle politische Sozialisationseinfluss keineswegs bloss nur auf abstrakte ideologische Labels, sondern auch auf eine grosse Vielfalt konkreter sachpolitischer Positionen bezieht. Sie steht offensichtlich im Widerspruch zur häufig vertretenen These, dass sich intergenerationelle Transmissionen politischer Gesinnung und Identität auflösen und einer selbstbestimmten – volatil situationsbedingten – politischen Orientierung Platz machen würde (vgl. z. B. Franklin 1992; Buchner 2007: 15; Neu 2008); Niedermayer 2008; Schön 2002).

Dieser starke Einfluss der Eltern ist umso bemerkenswerter, als Familien ja meist nicht mehr in ein umfassenderes Gesinnungsmilieu (wie z. B. eine sozialdemokratische Arbeiterschaft) eingebettet sind, sondern die Sozialisation mit eigenen Bordmitteln bewerkstelligen müssen.

Falsifiziert ist auch die häufige Hypothese, Frauen würden (bzw. könnten) sich weniger als Männer von den Einflüssen ihrer Familienherkunft emanzipieren. Ganz im Gegenteil sind Frauen überwiegend von dem an die Familiensozialisation anschliessenden Einfluss der formalen Bildung geprägt, während Männer vor allem ihre Linksorientierungen weitgehend aus ihrem Elternhaus beziehen.

3.7. Intergenerationeller Wandel im Spiegel der Alterskohorten

Ein Vergleich verschiedener Altersgruppen kann im vorliegenden Falle von drei theoretischen Vorstellungen geleitet sein.

Erstens bestimmt das aktuelle Lebensalter den Zeitraum der seit den ursprünglichen politischen Prägungen in Elternhaus und Schule vergangen sind. So wäre beispielsweise zu erwarten, dass die determinative Kraft der Familiensozialisation mit zunehmendem Alter abnimmt, weil spätere Faktoren der Erwachsenenbiographie an Bedeutung gewinnen.

Zweitens befinden sich verschiedene Altersgruppen momentan in unterschiedlichen Lebenszyk-lusphasen, die ihre politische Interessenlage bestimmen. Beispielsweise dürften sich jüngere Frauen stärker als jene jenseits der Menopause für staatliche Kindertagesstätten oder für die Verkehrsberuhigung in Wohnquartieren interessieren – während ältere Männer vielleicht eher am Steuerfuss ihrer Gemeinde Anteil nehmen. Ebenso wäre denkbar, dass die mit jugendlicher Ungebundenheit verknüpften idealistischen Linkseinstellungen konservativeren Vorstellungen Platz machen, wenn materielle Interessen des Familienunterhalts ins Zentrum rücken.
Drittens gehören verschiedene Altersgruppen unterschiedlichen historischen Geburtskohorten an, die in verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungsphasen gross geworden sind und durch Eltern beeinflusst wurden, die ihrerseits eine unterschiedliche soziokulturelle Prägung erfahren haben.

Unter dem Eindruck all der Studien, die seit Jahrzehnten die frühe Prägung und lebenslange Stabilität politischer Einstellungen bezeugt haben (vgl. z. B.Jennings & Niemi 1968;81; West-holm/Niemi 1992) , erscheint es angebracht, der dritten Leithypothese den Vorrang zu geben.
Im einzelnen gehört dazu beispielsweise die Annahme, dass

  • die ältesten Kohorten (Geburtsjahr vor 1950) durch eine eher unpolitische und in ihren Grund-orientierungen konservative Vorkriegsgeneration („nivellierte Mittelschicht“ im Sinne Schelskys) aufgezogen worden sind

  • die späteren Jahrgänge durch die linke 68-er Revolte sowie die anschliessenden „Neuen Sozi-albewegungen“ der 70er-Jahre geprägt worden sind, in denen linksprogressive Einstellungen (mit zunehmend postmaterialistischen Inhalten) vermittelt worden sind.

  • jüngere Kohorten einem (vor allem die Frauen betreffenden) Linkstrend unterliegen, er in der wachsenden Ausbreitung höherer Bildung seine Ursache hat;

  • in der jüngsten Kohorte gewisse neokonservative Trends in Erscheinung treten könnten, wie sie in der Schweiz z. B. im Aufstieg der SVP ihren Ausdruck gefunden haben.

In Übereinstimmung mit solchen Überlegungen zeigt sich, dass linkere Einstellungen vorwiegend bei den Gruppen mittleren Alters (Geburtsjahr 1951-1965) dominieren. Da die Frauen solch historischen Schwankungen etwas stärker als die Männer unterliegen, nehmen die ideologischen Geschlechtsunterschiede in diesen Kohorten maximale Werte an: im Gegensatz zur jüngsten Altersgruppe, wo keine statistisch signifikanten Differenzen mehr erkennbar sind (Tab 22).

Tabelle 22: Durchschnittliche Selbsteinstufungswerte weiblicher und männlicher Exekutivmitglieder auf der Links-Rechtsskala (0-10): nach Geburtsjahrgang

 

Geburtsjahrgänge

 

 

 

bis 1945

1946-1950

1951-1955

1956-1960

1961-1965

1966-1970

1971-1975

1976- 

Total

N =

Frauen

5.0

4.9

4.6

4.8

4.7

5.0

5.4

5.7

4.84

1748

Männer

5.8

5.8

5.7

5.6

5.8

6.1

6.0

6.2

5.78

6023

Differenz

-.8**

-.9**

-1.1**

-.8**

-1.1**

-1.1**

-.6**

-.5

.94

 

* p < .05 ** p < .01

Analoge Kurvilinearitäten zeigen sich auch auf der Ebene der sachpolitischen Einstellungen, wo bei den zwischen 1961 und 1970 geborenen die grössten geschlechtsspezifischen Divergenzen bestehen. Im Unterschied zur LR-Skala wird die Entwicklung hier allerdings bei beiden Geschlechtern von einem linearen historischen Trend abnehmender Zustimmungsbereitschaft überlagert: mit der bemerkenswerten Konsequenz, dass das Einstellungsmuster jüngster Frauen heute ungefähr demjenigen der ältesten Männer entspricht (Tab. 23). Diese Rechtsverschiebungen sind darauf zurückzuführen, dass bei den jüngeren Exekutivmitgliedern beider Geschlechter das Interesse an staatlicher Kultur-, Umwelt_ und Verkehrspolitik abgenommen und die Zurückhaltung gegenüber dem Ausländerstimmrecht zugenommen) hat.

Tabelle 23: Zustimmungsgrad weiblicher und männlicher Exekutivmitglieder zu zehn linken Anliegen (-1000 - +1000): nach Geburtsjahrgang.

 

Geburtsjahrgänge

 

 

 

bis 1945

1946-1950

1951-1955

1956-1960

1961-1965

1966-1970

1971-1975

1976-

Total

N =

Frauen

159

172

173

127

150

123

71

35

141

1439

Männer

44

17

-4

-11

-37

-84

-43

-110

-18

5277

Differenz

115**

155**

177**

138**

187**

207**

114**

145**

159**

 

* p < .05 ** p < .01

Im Einklang mit dieser globalen Entwicklung haben sich auch innerhalb der Parteien die ideolo-gischen und sachpolitischen Geschlechterdivergenzen bei den nach 1950 geborenen Kohorten verstärkt. Von einem erneuten Rückgang bei den jüngsten Altersgruppen kann allerdings nicht generell gesprochen werden; vor allem in der CVP haben sich die Meinungsunterschiede inner-halb der jüngsten Altersgruppe nochmals verstärkt (Tab. 24 und 25).

Tabelle 24: Differenzen zwischen weiblichen und männlichen Exekutivmitgliedern bei der Selbsteinstufung in der Links-Rechtsskala (0-10): Parteirichtung und Alter
(Lesebeispiel: Der Wert -.8 bedeutet: Frauen haben sich durchschnittlich um 0.8 Punkte linker eingeordnet.)

Geburts-jahrgang

FDP/LPS

CVP/CSP

SVP

SP

GP

EVP

Andere Part.

Nichtpar.
Gruppen

Partei-lose

Total

N =

Vor 1950

-.5

-.5

-.5

-.2

-.3

+.5

-.6

-.6

-1.0**

.86

1625

1951-60

-.7**

-1.1**

-.6**

-.2

0

+.2

-.5

-.8*

-.9**

.93

2833

1961-70

-.9**

-.9**

-.2

-.1

-0.7

-.4

-.4

-1.1**

-1.0**

1.05

2237

1971-80

-1.1**

-1.4**

-.4

-.4

+.1

-.7

-.1

-1.4

-.5

.70

630

* p < .05 ** p < .01

Tabelle 25: Differenzen zwischen weiblichen und männlichen Exekutivmitgliedern im Zustimmungsgrad zu zehn linken Anliegen (0-10): nach Parteirichtung und Alter

Geburts-jahrgang

FDP/LPS

CVP/CSP

SVP

SP

GP

EVP

Andere Part.

Nichtpar. Gruppen

Partei-lose

Total

N =

Vor 1950

130**

115

33

132*

163

144

215

72

112**

138**

1432

1951-60

150**

108**

115**

88*

77

257

47

166*

145**

155**

2551

1961-70

116**

156**

-60

33

287

358**

-51

139

195**

196**

2099

1971-80

189

238**

12

13

238

-225

250

278

138**

140**

591

* p < .05 ** p < .01

 


4. Schlussfolgerungen

Verschiedene empirische Untersuchungen auf der Ebene der Gesamtbevölkerung, der Stimmberechtigten, Parteiaktiven und Parlamentsrepräsentanten haben übereinstimmend gezeigt, dass in der Schweiz eine im internationalen Vergleich ungewöhnliche ideologische Divergenz zwischen Männern und Frauen auf der politischen Links-Rechts-Achse besteht.

In Übereinstimmung damit hat auch die vorliegende umfassende Studie über kommunale Exekutivmitglieder zum Ergebnis geführt, dass Frauen signifikant weiter links als Männer politisieren, indem sie

  • bevorzugt für die Grüne Partei und die Sozialdemokraten kandidieren, in der rechtsstehenden SVP hingegen stark untervertreten sind

  • innerhalb der meisten Parteien sich häufiger auf dem linken Ast der Skala verorten und im breiten Spektrum konkreter sachpolitischer Vorlagen eher linke Positionen unterstützen.

Diese breite Ausdehnung auf sozial-, kultur-, finanz-, umwelt-, verkehrs- und ordnungspolitische Anliegen schliesst die naheliegende Deutung aus, die Linksdrift der Frauen würde sich bloss auf typisch frauenpolitische Forderungen (z. B. nach Ausbau staatlicher Kinderkrippen oder kinderfreundlicher Wohnstrassen) beschränken. Allerdings erweist es sich, dass Frauen auch bei gegebener Position auf der Links-Rechts-Skala noch stärker als die Männer bereit sind, linke sachpolitische Forderungen zu unterstützen: eine Tendenz, die sich im wesentlichen allerdings auf kleinere Gemeinden beschränkt.

Die Ubiquität dieser Geschlechterdivergenz (die klassenspezifische Differenzen bei weitem übertrifft) zeigt sich hinreichend darin, dass sie sich auf alle drei Sprachregionen (am wenigsten allerdings auf die italienische Südschweiz) sowie auf ländliche und städtische Gemeinden aller Grössenklassen erstreckt, alle Bildungsniveaus und politischen Herkunftsmilieus einbegreift und sich innerhalb fast aller Parteien (am meisten allerdings in den Mitteparteien FDP, CVP und EVP) manifestiert. Und ihre Stabilität erweist sich daran, dass sie sich in fast allen Altersgruppen (am schwächsten allerdings bei den jüngeren Kohorten) vorfindet – also relativ unabhängig von biographischen Lebenszyklusfaktoren und historischen Kohorteneinflüssen persistiert. Eindeutig unterstützt wird sie durch die Expansion der formalen Bildung: weil Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen besonders drastisch nach links rücken und in ein erhöhtes Polarisierungsverhältnis zu den Männern treten, deren politische Positionen eher vom elterlichen Herkunftsmilieu als vom Bildungsweg abzuhängen scheinen.

Zukünftigen Forschungen muss es überlassen werden, die Ursachen dieser erstaunlichen Ge-schlechterkluft zu analysieren. Dabei stösst man dann vielleicht auf die bekannte Hypothese, dass die Frau gerade wegen ihre notorisch geringen Ausprägung von Klassenkonflikten um so stärker dazu disponiert ist, alternative politische „Cleavages“ auszuprägen: zum Beispiel auch konfessionell-religiös bestimmte Differenzierungen, die sich bis zur Gegenwart gut nachweisen lassen (vgl. Geser 1997). Zweitens wäre zu bedenken, ob die Frauen vielleicht infolge ihrer lan-gen politischen Rechtlosigkeit (bis 1971, wo sie endlich das Stimmrecht erhielt) in eine margina-le Position abgedrängt worden sind, die sich heute noch in einer gewissen Distanz (oder gar Frontstellung) gegenüber der traditionellen „Männerpolitik“ manifestiert. (Ähnlich wie die strukturelle Marginalität der Katholiken im neu gründeten Bundesstaat (1848) noch heute par-tiell dafür verantwortlich sein mag, dass in der Schweiz im Vergleich zu den meisten anderen Ländern ein ziemlich linker Katholizismus besteht).

Ebenso bleibt es zukünftigen Forschungsprojekten anheimgestellt, die vielfältigen Auswirkungen dieser Geschlechterkluft zu thematisieren. Dabei wäre denkbar, dass sich diese weltanschauli-chen Divergenzen weit über die Politik hinaus auch in der Arbeitswelt und in der weiteren Zivil-gesellschaft (z. B. Vereinen und Verbänden) sowie in privaten Interaktionsbereichen bemerkbar machen – und vielleicht sogar für die dramatischen Scheidungsquoten mitverantwortlich sind.
 


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Fussnoten

1) Vgl. Familienpolitischer Wettlauf der Parteien / Freisinnige Suche nach einer liberalen Route. Neue Zürcher Zeitung 7.7. 2001, S. 16.


 

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  aktualisiert am 14.11.2009