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Linke Frauen in der Kommunalpolitik Dramatische ideologische „Gender gaps“ in den kommunalen Exekutiven Oktober 2009
Bibliographische Zitierung: Zusammenfassung In Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen damit hat auch die vorliegende Studie über kommunale Exekutivmitglieder zum Ergebnis geführt, dass Frauen signifikant weiter links als Männer politisieren, indem sie einerseits bevorzugt für linksstehende Parteien kandidieren, andererseits aber auch innerhalb der meisten Parteien sich häufiger auf dem linken Ast der Skala verorten und im breiten Spektrum konkreter sachpolitischer Vorlagen eher linke Positionen unterstützen. Die Ubiquität dieser Geschlechterdivergenz (die klassenspezifische Differenzen bei weitem übertrifft) zeigt sich hinreichend darin, dass sie sich auf alle drei Sprachregionen sowie auf ländliche und städtische Gemeinden aller Grössenklassen erstreckt, alle Bildungsniveaus und politischen Herkunftsmilieus einbegreift und sich innerhalb fast aller Parteien manifestiert. Und ihre Stabilität erweist sich daran, dass sich in fast allen Altersgruppen (am schwächsten allerdings bei den jüngeren Kohorten) vorfindet. Eindeutig unterstützt wird sie durch die Expansion der formalen Bildung: weil Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen besonders drastisch nach links rücken und in ein erhöhtes Polarisierungsverhältnis zu den Männern treten, deren politische Positionen eher vom elterlichen Herkunftsmilieu als vom Bildungsweg abzuhängen scheinen.
Inhalt 1.
Einleitung
1. Einleitung In den letzten Jahren sind zahlreiche empirische Belege dafür vorgelegt worden, dass sich in der Schweiz zwischen beiden Geschlechtern eine ideologische Kluft geöffnet hat, die den traditionellen Spaltungen zwischen sozialer Klassen, Konfessionsgruppen, Regionen oder Stadt- und Landbewohnern mindestens nahekommt oder sie sogar übertrifft. So liefern die Ergebnisse des "World Values Survey" und des "European Social Survey" 2005) Hinweise darauf, dass sich in der Schweizer Gesamtbevölkerung in den letzten Jahren bei beiden Geschlechtern auf der Links-Rechts-Dimension markante Veränderungen vollzogen haben. Vor allem im jüngsten Zeitraum (nach 1996) hat sich die ideologische Divergenz der beiden Geschlechter offensichtlich dramatisch verstärkt (Geser 2006; 2007). Mit Ausnahme der Niederlande weist heute kein anderes europäisches Land einen ähnlich hohen Linksanteil bei den Frauen auf – und innerhalb aller 80 Länder des WVS wird dieser Prozentsatz nur noch von Israel (wo allerdings auch ein starker Rechtsflügel existiert) leicht übertroffen. Mit ihrer ausgeprägten ideologischen Polarisierung der Geschlechter scheint die Schweiz eine weltweite Sonderstellung einzunehmen, die nur noch in Mazedonien annähernd erreicht wird und vor allem mit allen unseren Nachbarländern kontrastiert, wo es in der Regel die Männer sind, die sich häufiger links von der Mitte plazieren. Besonders deutlich zeigt sich diese ideologische Kluft neuerlich bei den Segmenten mit höherer (=tertiärer) Bildung, wo einem markanten Linkstrend der Frauen eine fast ebenso deutliche Rechtsdrift der Männer gegenübersteht. Natürlich ist die Frage naheliegend, ob diesen Divergenzen in der Skaleneinordnung auch gleichläufige Unterschiede bei den sachpolitischen Einstellungen entsprechen. Tatsächlich zeigt sich anhand vorläufiger Analysen, dass Frauen häufiger als Männer dazu tendieren, Massnahmen zum Ausgleich der Einkommen zu unterstützen, den Trend zur Privatisierung staatlicher Unternehmen zu stoppen, verstärkte staatliche Kontrollen des individuellen Verhaltens sowie gleiche Bildungschancen für Frauen und Männer zu befürworten oder die Bevorzugung von Männern oder Einheimischen bei der Stellenvergabe abzulehnen. Ebenso zeigen sie eine ausgeprägtere Skepsis gegenüber den Vorzügen des Wettbewerbs, während andererseits bei Einstellungen zu Patriotismus und Entwicklungshilfe keine Unterschiede erkennbar sind (Geser 2006; 2007). Eine vergleichende Analyse der
Alterskohorten ergibt überraschenderweise, dass die die ideologische
Polarisierung der Geschlechter keineswegs durch nachwachsende jung
Wählergruppen verursacht wird, sondern in erster Linie in
Gesinnungswandlungen bestehender (=älterer) Wählerkohorten ihre Ursache
hat (Geser 2007). Im Rahmen seiner eigenen Forschung hat
der Autor bereits 1989 in einer landesweiten Studie über Lokalparteien
nachweisen können, dass Frauen bevorzugt linke Parteien aufsuchen, um
sich aktiv politisch zu betätigen Dank diesem Zustrom weiblicher
Mitglieder ist es den Ortssektionen der SP und der Grünen in den 80er
Jahren besser als den bürgerlichen Parteien gelungen, trotz des
verbreiteten Exodus der Männer ihre Mitgliederbestände zu stabilisieren
(vgl. Geser 1991). Generell zeigt sich, dass sowohl am
linken wie am rechten Rande des Parteienspektrums zwischen Männern und
Frauen relativ Einklang herrscht, während die Mitte-Parteien von sehr
ausgeprägten Geschlechterpolarisierungen heimgesucht werden, die
wahrscheinlich eine wichtige Ursache für ihre aktuellen Richtungskämpfe
und Profilierungsschwierigkeiten bilden (Fivaz und Schwarz 2004). Wichtig ist dabei die Beobachtung, dass
sich die sachpolitische Linksaffinität der Frauen sich keineswegs auf
einen engeren Kreis "typisch weiblicher" (z. B. frauenpolitischer oder
ökologischer Themen) beschränkt, sondern sich über die ganze Spannweite
linker Ideologie und Programmatik erstreckt und insbesondere auch
Aspekte der Arbeitnehmer- und Sozialpolitik mitumfasst, die eindeutig
dem Kanon "klassisch-sozialistischer" Interessenpolitik zuzuordnen sind.
Allerdings fällt auf, dass Frauen all diese sachpolitischen Anliegen
teilweise auch unabhängig vom Denken in ideologischen
Links-Rechts-Kategorien zu unterstützen pflegen: ein Hauptgrund dafür,
dass auch bürgerlichen Mitte- und Rechtsparteien eine etwas "linkere"
Sachpolitik betreiben, wenn sie über einen umfangreichen Frauenanteil in
ihrer Anhängerschaft verfügen. Analog dazu sind aber auf
frauendominierte Sektionen der SP in ihrer Sachpolitik
"fundamentalistischer" als die Sektionen, in denen noch mehrheitlich
Männer die Parteilinie bestimm. So haben die Frauen die politische
Parteienpolarisierung einerseits abgeschwächt, indem sie den (von den
Männern forcierten) neueren Rechtsdrall der bürgerlichen Parteien
abgemindert haben, andererseits aber auch verstärkt, insofern sie
innerhalb der Sozialdemokratie eine kompromisslosere Linkspolitik
unterstützen (Geser 2005). Allerdings bestehen begründete Zweifel, ob ideologische Polarisierungen auf Exekutivebene den in den Parlamenten, Parteien und der Gesamtbevölkerung gefundenen Umfang erreichen. Denn erstens sind Exekutivmitglieder generell viel stärker als Parlamentarier dazu verpflichtet, als Vertreter der Gesamtbevölkerung zu agieren und Entscheidungen treffen, die über Parteiinteressen hinweg in einem generellen Sinne mehrheitsfähig sind. Zweitens operieren Exekutiven in der Schweizer Konkordanzdemokratie durchwegs als kollegiale Mehrparteigremien, deren Mitglieder andauernd überparteiliche Kompromisse erarbeiten müssen. (Aus diesem Grund können sie auch kaum gleichzeitig Parteiführer sein, da sie bei zu starker Parteiidentifikation unerträgliche Rollenkonflikte aushalten müssten). Und drittens ist auf kommunaler Ebene generell mit einem geringeren Grad ideologischer Polarisierung zu rechnen, weil kommunale Angelegenheiten oft gar nicht als „politische“ Fragen empfunden werden, sondern als Sachprobleme, die nach einer „vernünftigen“ (d. h. technisch-ökonomischen effizienten oder juristisch „richtigen“) Lösung verlangen (vgl. Geser 2003). Dementsprechend werden die Mandate vor allem in Kleingemeinden in hohem (und momentan stark zunehmendem) Masse von Parteilosen in Anspruch genommen, die nur aufgrund des notorischen Mangels an Kandidaten Wahlchancen besitzen und mit ihrem Amt kaum politische Motivationen verbinden (Geser/Meuli 2009). So kann die vorliegende Analyse als eine
Art „Härtetest“ für die Hypothese geschlechtsspezifischer
Links-Rechts-Polarisierung verstanden werden: Falls sich eine solche
Polarisierung sogar unter den genannten abschwächenden Bedingungen
vorfindet, gäbe es um so mehr Grund, ihr eine unbestreitbare Realität
und Ubiquität zuzusprechen, da es dann wahrscheinlicher ist, dass sie
wirklich alle politischen Bereiche durchdringt.
voneinander unterscheiden. Es wird angenommen, dass derartige
Cleavages mit zunehmender Gemeindegrösse schärfer ans Licht treten,
zusätzlich aber auch von manchen Rahmenbedingungen der kommunalen
Organisation (z. B. der Grösse des Exekutivgremiums) mitbeeinflusst
werden. 2. Daten und Methodologie Die Daten dieser Untersuchung stammen aus einer im Winter 2008/09 durchgeführten schriftlichen Fragebogenerhebung, in die alle ca. 15000 Mitglieder kommunaler Exekutiven (in allen drei Sprachregionen) einbezogen worden sind. Da sich ein überraschend hoher Anteil aller Befragten (über 50% in den meisten Kantonen) daran mitbeteiligt hat, ist die Stichprobe (mit insgesamt ca. 800 Befragten) ausreichend repräsentativ, um auf die Verhältnisse in der ganzen Schweiz hochrechnen zu können. Überdies bildet die grosse Stichprobe immense Möglichkeiten für multivariate Analysen: insbesondere in dem Sinne, dass den höchst unterschiedlichen Rahmenbedingungen in Gemeinden verschiedener Grössenklassen Rechnung getragen werden kann und auch die Verhältnisse innerhalb einzelner Parteien detailliert untersucht werden können. Gewisse Grenzen der Auflösung ergeben sich allerdings daraus, dass gut 6000 männlichen bloss ca. 1800 weibliche Mandatsträger gegenüberstehen, und dass ausgerechnet in der kleinen Südschweiz ein besonders geringer Frauenanteil (von nur ca. 11%) besteht. Tabelle 1 gibt Auskunft über die Struktur der Stichprobe, wenn man sie entlang der Geschlechts-, Partei- und Sprachgrenzen desaggregiert. Tabelle 1: Anzahl weibliche und männliche Exekutivmitglieder in der Gesamtstichprobe: nach Parteirichtung und Sprachregion.
Die abhängigen Variablen der Untersuchung bestehen aus den Antworten auf Fragen, die sich auf die ideologische Einstellung sowie verschiedene sachpolitische Meinungen der Informanten beziehen. Zur Bestimmung der ideologischen Einstellung wurden die Befragten gebeten, ihre Position auf einer von 0 bis 10 reichenden Links-Rechts-Skala zu verorten. Zur Erhebung ihrer sachpolitischen Einstellungen wurden sie aufgefordert, zu zehn lokalpolitischen Fragekomplexen („Issues“), die im Links-Rechts-Diskurs eine klare Prägung besitzen, Stellung zu beziehen. Aus Tabellen 2 und 3 geht hervor, wie viele Frauen und Männer in welcher Weise geantwortet haben. Tabelle 2: Häufigkeitsverteilung der weiblichen und männlichen Exekutivmitglieder auf der Links-Rechtsachse.
Tabelle 3: Häufigkeitsverteilung der weiblichen und männlichen Exekutivmitglieder in ihren Meinungen zu zehn kommunalpolitischen Anliegen.
In beiden Tabellen zeigt sich, dass die Antworten in methodologisch sehr befriedigender Weise über das ganze verfügbare Spektrum streuen. Erstaunlich ist die vor allem die beachtliche Zahl der Informanten, die sich extrem linke oder extrem rechts auf der Skala verorten, obwohl sie in ihrer kollegialen Gremientätigkeit wohl kaum Chancen haben, derartige Positionen zur Geltung zu bringen. Auch ohne Prozentuierungen wird bereits die –im folgenden genauer inspizierte – Regularität sichtbar, dass sich Frauen von Männern sowohl auf ideologischer wie sachpolitischer Ebene durch eine stärkere Linksneigung unterscheiden Die Validität der sachpolitischen Variablen wird darin sichtbar, dass sie alle bei beiden Geschlechtern höchst signifikant mit der Selbsteinstufung auf der LR-Skala korrelieren (Tab. 4). Der kumulierte Gesamtindex (in den die sieben linken Positionen positiv und die drei rechten Issues negativ eingehen) ergibt eine Korrelation von .60, d. h. einen erklärten Varianzanteil von immerhin 36%. Tabelle 4: Korrelationen zwischen der Einstufung auf der Links-Rechts-Skala und der Zustimmung zu zehn politischen Anliegen: nach Geschlecht.
3. Empirische Ergebnisse 3.1. Die Relevanz der Links-Rechts-Dimension
Die vorliegende Fragestellung geht von der
selbstverständlichen Prämisse aus, dass die Links-Rechts-Achse für
kommunale Exekutivpolitiker eine relevante semantische Dimension
darstellt, die sie benutzen, um z. B. politische Parteien, Behörden,
Programme, Personen – und nicht zuletzt auch sich selbst zu
lokalisieren. Im vorliegenden Fall
betragen diese Prozentwerte 92.1% bei den Frauen und 94.8% bei den
Männern – und liegen damit auf einem Niveau, das für politisch aktive
Bevölkerungssegmente westlicher Länder generell typisch ist (Geser
2008). Typischerweise finden sich die höchsten Werte in kleinen
Landgemeinden, wo kommunale Entscheidungsfragen durchwegs als
„unpolitisch“ gelten (vgl. Geser 2003), während bereits oberhlb von 2000
Einw. mindestens 95% der Befragten eine Vertrautheit mit der LR-Skala
bekunden (Tab. 5).
Darin widerspiegelt sich
die in einer anderen Studie (Geser 2009) erhärtete Tatsache, das in der
heutigen Schweiz nur die Politik der Grosstädte, sondern auch der
Mittelgemeinden von einer ideologischer Polarisierung erfasst worden
ist, wie man sie früher höchstens auf überlokaler Ebene vorfinden
konnte. In Übereinstimmung mit den meisten empirischen Untersuchungen
zeigt sich auch, dass Frauen etwas häufiger als Männer die
Selbsteinstufung verweigern. Möglicherweise hängt dies damit zusammen,
dass sie infolge geringerer politischer Erfahrung häufiger nicht über
die erforderlichen kognitiven Voraussetzungen dazu verfügen, oder dass
sie sich ihre politischen Ansichten eher aus
einerkonkret-lebensweltlichen als einer abstrakt-ideologischen
Perspektive beziehen (vgl. z. B. Hoecker 1987; Meyer 1997; Merkel/Müller-Vogg
2004: 123).
3.2. Zum generellen Ausmass ideologischer „Gender gaps“ in den drei Sprachregionen
Ein einfachster erster Vergleich
arithmetischer Mittelwerte ergibt, dass die Frauen aller drei
Landesteile eine sehr ähnliche Durchschnittsposition knapp links vom
mathematischen Skalenmittelpunkt (5.0) besetzen, während sich die Männer
dezidiert rechts davon verorten (Tab. 7).
* p < .05 ** p < .01
Am Beispiel der Kinderbetreuung wird
plausibel, dass Frauen auch rein aufgrund ihrer lebensweltlichen
Problemsituationen zu „linken“ Ansichten gelangen können, ohne dass sie
damit abstraktere ideologische Vorstellungen verbinden. Im selben Sinne
könnten ihren familienorientierten Schutz- und Sicherheitsbedürfnisse
dafür massgebend sein, dass sie jenseits ideologischer Polarisierungen
für einen Ausbau der Sozialpolitik oder für die Verkehrsberuhigung und
Wohngebieten votieren. Gerade auf kommunaler Ebene sind viele Probleme
derart von konkreten sinnlichen Erfahrungen geprägt, dass vielleicht
kaum mehr ein Spielraum für abstrakte, ideologisch gesteuerte
Meinungsbildung mehr besteht.
Aus den multivariaten Regressionsanalysen de Tabelle 9 kann man für jedes der zehn Issues die Höhe des genuin dem Geschlecht zuschreibbaren Erklärungsbetrags ersehen.
Nur im Falle der externen Kinderbetreuung
hat die dem weiblichen Geschlecht zurechenbare Steigerung der Zustimmung
einen Umfang, der ungefähr demjenigen von zwei Punkten auf der LR-Skala
entspricht. In der Sozial- und Kulturpolitik (ebenso wie im summativen
Index) enspricht die Wirkung ungefähr derjenigen eines Skalenpunktes,
während er bei den übrigen sieben Issues niedriger liegt (und bei keinem
der drei „rechten“ Anliegen die statistische Signifikanzschwelle
erreicht).
* Skala von -100 (volle Ablehnung) bis +100
(volle Zustimmung) Aus zahllosen Abstimmungs- und Wahlergebnissen geht hervor, dass die Links-Rechts-Polarisierung partiell mit der Stadt-Land – Spaltung unserer Gesellschaft koinzidiert. In den letzten Jahren hat dies vor allem im Vordringen linksgrüner Stadtregierungen (in Zürich, Genf, Basel Bern u. a.) Ausdruck gefunden, sowie im Anwachsen einer SVP, die ihre Anhängerschaft nach wie vor aus eher kleineren Gemeinden rekrutiert.
Die Vergleichsergebnisse in Tab 10 zeigen,
dass die Frauen bereits oberhalb von 10000 Einwohnern, die Männer erst
in grösseren Städten eine scharfe Linkswendung vollziehen: mit der
Folge, dass in Kommunen zwischen 10000 und 20000 Ew. die weitaus grösste
geschlechtsspezifische Differenz besteht. In nichtstädtischen Gemeinden
lassen sich kaum grössenbedingte Unterschiede erkennen: abgesehen von
den Frauen kleinster Gemeinden (unter 500 Ew.) die eine unerwartet
deutliche Linksdrift aufweisen, die eine entsprechend deutlich mit den
viel konservativeren männlichen Kollegen kontrastiert.
Es kann nicht überraschen, dass sich die
ideologische Kluft der Geschlechter mit zunehmender Gemeindegrösse von
einer interparteilichen Divergenz immer mehr in eine zwischenparteiliche
Polarisierung verwandelt. Dies hängt damit zusammen, dass Frauen und
Männer dank der wachsenden Vielfalt des Parteienangebots immer mehr
Chancen haben, eine ihrer Gesinnung gemässe politische Gruppierung zu
finden. Allerdings fallen auch hier die kleinsten Gemeinden aus dem
Rahmen, bei denen sich wider Erwarten fast die Hälfte des „Gender Gaps“
auf interparteilicher Ebene manifestiert (Tab. 10).
* Summenindex aller 10 Anliegen (Skala von
-1000 - +1000)
* Summenindex aller 10 Anliegen (Skala von
-1000 - +1000) Es ist evident, dass sich ein Teil der politischen Geschlechterdivergenzen als Kluft zwischen den Parteien manifestiert: indem die Frauen bevorzugt für Parteien linker Provenienz kandidieren (bzw. dort aufgrund expliziter Förderungsprogramme höhere Nominierungschancen als in bürgerlichen Gruppierungen erhalten). So korreliert das Verhältnis der beiden Geschlechter sehr eng mit der durchschnittlichen Platzierung der politischen Partei auf der LR-Skala (wie sie von den Informanten in Form einer Bewertung ihrer eigenen lokalen Parteisektion vorgenommen wurde) (Tab. 13).
Der Erklärungsanteil dieses
interparteilichen Faktors ist aber dadurch eingeschränkt, dass sich
Frauen für Exekutivämter weniger häufig als beispielsweise für
Parlamentsmandate zur Verfügung stellen: so dass der weibliche Anteil
sogar bei den Sozialdemokraten und den Grünen kaum die 30%-Marke
überschreitet (vgl. Tab. 1). Sein Ausmass kann ermittelt werden, indem
man den LR-Skalenwert berechnet, der sich ergeben würde, wenn alle
Frauen und Männer genau den Skalenplatz ihrer Gruppierung einnehmen (d.
sich innerparteilich nicht voneinander unterscheiden) würden. Gemäss
diese Kalkulation würden die Kennwerte durchschnittlich 5.30 (Frauen)
und 5.68 Männer) betragen. Vergleicht man die resultierende Differenz
(.38) mit der gesamten Skalendifferenz zwischen beiden Geschlechter
(.94), so ergibt sich, dass nur 40% davon ihr durch zwischenparteiliche
Differenzen erklärt werden kann, während 60% durch innerparteilichen
Divergenzen zustande kommen müssen.
*Einordnung der eigenen politischen
Gruppierung durch die Exekutivmitglieder
* p < .05 ** p < .01
Aus Tabelle 15 wird ersichtlich, dass sich
die ideologische Geschlechterkluft in einem breiten Spektrum
sachpolitischer Meinungsdifferenzen widerspiegelt. Es ist naheliegend,
dass Frauen quer über alle Parteien hinweg stärker für den Ausbau der
familienexternen Kinderbetreuung (sowie andere sozialpolitische
Anliegen) votieren. Bemerkenswerter ist, dass sie vielerorts auch
umweltpolitische Forderungen vorbehaltloser unterstützen, für eine
Expansion öffentlicher Kulturausgaben eintreten und der Einführung des
Ausländerstimmrechts (auf kommunaler Ebene) weniger ablehnend
gegenüberstehen. Am erstaunlichsten ist, dass innerhalb der Grünen
Partei aufgrund der umfangreichen Differenzen in der Kultur- und
Ausländerpolitik eine insgesamt grössere sachpolitische
Geschlechterkluft als in allen andern Parteien besteht.
Wie die Ergebnisse des jüngsten World Values
Survey (2006) zeigen, hat die ideologischer Kluft zwischen Männern und
Frauen in den letzten Jahren vor allem bei den höheren Bildungssegmenten
dramatische Ausmasse angenommen, weil Frauen mit Hochschulbildung
sehrstark nach links grrückt sind (während die Männer aller
Bildungsstufen ähnliche Positionen rechts der Mitte präferieren; Geser
2007). Genau dieselben Verhältnisse lassen sich im viel engeren
Personenkreis der exekutiven Mandatsträger(innen) finden, wo der Dissens
der Geschlechter mit zunehmendem Bildungsniveau ebenfalls sehr stark
zunimmt: allerdings mit der bedeutsamen Ausnahme, dass auf untersten
Bildungsniveaus dank einer besonders prononcierten Rechtstendenz der
Männer eine etwas stärkere Kluft als bei einfacher Berufsbildung besteht
(Tab. 16; 17).
* p < .05 ** p < .01
* p < .05 ** p < .01
Die Hypothese liegt nahe, dass die ideologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen zumindest partiell in Divergenzen ihrer Sozialisation ihre Ursache haben. Rein theoretisch wäre die ausgeprägte Rechtstendenz der Frauen dadurch erklärbar, dass sie häufiger in einem bürgerlich-konservativ gesinnten Familienkontext aufgewachsen sind – oder dass sie stärker als Frauen dazu neigen, dort erworbene Einstellungen zu internalisieren und in späteren Lebensphasen zu bewahren. Analog dazu wäre denkbar, dass politisierende Frauen – die im Vergleich zu den zahlreicheren Männern nach wie vor ein viel selektiveres Segment der weiblichen Bevölkerung darstellen – häufiger aus einem links geprägten Elternmilieu – wie es aufgrund der 68-er Bewegung vor allem seit den 70er-Jahren häufiger geworden ist – stammen. Des weiteren stellt sich die Frage, wie die im Elternhaus erfahrene Frühsozialisation mit den Effekten der späteren formalen Bildung interagiert. So wäre es zum Beispiel plausibel, dass die mit höherer Bildung einhergehende Linkstendenz vor allem jene erfasst, die im Elternhaus keine konservativ-bürgerliche Vorprägung erfahren haben – wobei dann offen bleibt, ob sich Männer oder Frauen unterschiedlich stark von ihrem Herkunftsmilieu emanzipieren.
Tatsächlich zeigt sich, dass weibliche
Exekutivmitglieder etwas häufiger aus einem linken Milieu stammen (Tab.
19). Darin mag sich die bekannte Tatsache widerspiegeln, dass Mädchen in
bürgerlichen Milieus häufiger auf traditionelle Frauenrollen hin
orientiert werden, die – gerade in der Schweiz, die bis 1971 kein
Frauenstimmrecht kannte – keine Perspektive aktiver politischer
Betätigung in sich schloss. Obwohl der Unterschied dank der grossen
Stichprobe statistisch signifikant ist, ist er absolut betrachtet aber
viel zu gering, um den gesamten ideologischen „Gender Gap“ erklären zu
können.
Viel entscheidender ist die Tatsache, dass die ungeachtet ihrer politischen Familiensozialisation eine viel linkere ideologische Prägung als Männer aufrechterhalten: eine Differenz, die sich überdies mit höherem Bildungsniveau deutlich verstärkt. (Tab. 20). Im Kontrast dazu scheint die Sozialisation in einem linken Milieu relativ unabhängig vom Geschlecht eine sehr ausgeprägte spätere Linksorientierung zu erzeugen, die sich ebenfalls nur bei den Frauen durch die formale Bildung noch etwas verstärkt. Hier zeigt sich wiederum das im Vergleich zu den eher diffus-wertbezogenen bürgerlichen Gesinnungen relativ starke Homogenisierungspotential linker Ideologien, wie sie auch in der reduzierten LR-Streuung in der Sozialdemokratie und der Grünen Partei (vgl. Figuren 8 und 9 ) ihren Ausdruck findet.
Evident ist, dass linksorientierte Männer
ihre politische Orientierung stärker einem gleichgesinnten Elternhaus
verdanken als die Frauen, wo andere (u-. B. formal-bildungsmässige)
Einflüsse dominieren. Demgegenüber ist die mit einem bürgerlichen Milieu
einhergehende relative Rechtsverschiebung bei beiden Geschlechtern
ungefähr gleich.
* p < .05 ** p < .01 (Unterschied zwischen
Männern und Frauen)
Ohne den Einfluss einer bürgerlich geprägten
Familiensozialisation würde der durchschnittliche Skalenwert aller
Exekutivmitglieder immerhin um fast 0.4 Punkte (von 5.57 auf 5.20)
absinken, während er beim Fehlen linker Elternmilieus allerdings nur um
0.16 Punkte (von 5.57 auf 5.73) ansteigen würde.
* p < .05 ** p < .01 (Unterschied zwischen
Männern und Frauen) Dieser starke
Einfluss der Eltern ist umso bemerkenswerter, als Familien ja meist
nicht mehr in ein umfassenderes Gesinnungsmilieu (wie z. B. eine
sozialdemokratische Arbeiterschaft) eingebettet sind, sondern die
Sozialisation mit eigenen Bordmitteln bewerkstelligen müssen. Ein Vergleich verschiedener Altersgruppen kann im vorliegenden Falle von drei theoretischen Vorstellungen geleitet sein. Erstens bestimmt das aktuelle Lebensalter den Zeitraum der seit den ursprünglichen politischen Prägungen in Elternhaus und Schule vergangen sind. So wäre beispielsweise zu erwarten, dass die determinative Kraft der Familiensozialisation mit zunehmendem Alter abnimmt, weil spätere Faktoren der Erwachsenenbiographie an Bedeutung gewinnen.
Zweitens befinden sich verschiedene
Altersgruppen momentan in unterschiedlichen Lebenszyk-lusphasen, die
ihre politische Interessenlage bestimmen. Beispielsweise dürften sich
jüngere Frauen stärker als jene jenseits der Menopause für staatliche
Kindertagesstätten oder für die Verkehrsberuhigung in Wohnquartieren
interessieren – während ältere Männer vielleicht eher am Steuerfuss
ihrer Gemeinde Anteil nehmen. Ebenso wäre denkbar, dass die mit
jugendlicher Ungebundenheit verknüpften idealistischen
Linkseinstellungen konservativeren Vorstellungen Platz machen, wenn
materielle Interessen des Familienunterhalts ins Zentrum rücken.
In Übereinstimmung mit solchen Überlegungen
zeigt sich, dass linkere Einstellungen vorwiegend bei den Gruppen
mittleren Alters (Geburtsjahr 1951-1965) dominieren. Da die Frauen solch
historischen Schwankungen etwas stärker als die Männer unterliegen,
nehmen die ideologischen Geschlechtsunterschiede in diesen Kohorten
maximale Werte an: im Gegensatz zur jüngsten Altersgruppe, wo keine
statistisch signifikanten Differenzen mehr erkennbar sind (Tab 22).
* p < .05 ** p < .01
* p < .05 ** p < .01
* p < .05 ** p < .01
* p < .05 ** p < .01
4. Schlussfolgerungen Verschiedene empirische Untersuchungen auf der Ebene der Gesamtbevölkerung, der Stimmberechtigten, Parteiaktiven und Parlamentsrepräsentanten haben übereinstimmend gezeigt, dass in der Schweiz eine im internationalen Vergleich ungewöhnliche ideologische Divergenz zwischen Männern und Frauen auf der politischen Links-Rechts-Achse besteht. In Übereinstimmung damit hat auch die vorliegende umfassende Studie über kommunale Exekutivmitglieder zum Ergebnis geführt, dass Frauen signifikant weiter links als Männer politisieren, indem sie
Diese breite Ausdehnung auf sozial-, kultur-, finanz-, umwelt-, verkehrs- und ordnungspolitische Anliegen schliesst die naheliegende Deutung aus, die Linksdrift der Frauen würde sich bloss auf typisch frauenpolitische Forderungen (z. B. nach Ausbau staatlicher Kinderkrippen oder kinderfreundlicher Wohnstrassen) beschränken. Allerdings erweist es sich, dass Frauen auch bei gegebener Position auf der Links-Rechts-Skala noch stärker als die Männer bereit sind, linke sachpolitische Forderungen zu unterstützen: eine Tendenz, die sich im wesentlichen allerdings auf kleinere Gemeinden beschränkt. Die Ubiquität dieser
Geschlechterdivergenz (die klassenspezifische Differenzen bei weitem
übertrifft) zeigt sich hinreichend darin, dass sie sich auf alle drei
Sprachregionen (am wenigsten allerdings auf die italienische Südschweiz)
sowie auf ländliche und städtische Gemeinden aller Grössenklassen
erstreckt, alle Bildungsniveaus und politischen Herkunftsmilieus
einbegreift und sich innerhalb fast aller Parteien (am meisten
allerdings in den Mitteparteien FDP, CVP und EVP) manifestiert. Und ihre
Stabilität erweist sich daran, dass sie sich in fast allen Altersgruppen
(am schwächsten allerdings bei den jüngeren Kohorten) vorfindet – also
relativ unabhängig von biographischen Lebenszyklusfaktoren und
historischen Kohorteneinflüssen persistiert. Eindeutig unterstützt wird
sie durch die Expansion der formalen Bildung: weil Frauen mit höheren
Bildungsabschlüssen besonders drastisch nach links rücken und in ein
erhöhtes Polarisierungsverhältnis zu den Männern treten, deren
politische Positionen eher vom elterlichen Herkunftsmilieu als vom
Bildungsweg abzuhängen scheinen. Buchner, Dennis 2007 Volksparteien in der Krise? Zur Reform- und Strategiefähigkeit der SPD am Beginn des 21. Jahrhunderts. Grin Verlag. Philip E. Converse, 1966 The Nature of Belief Systems in Mass Publics, in David E. Apter, ed., ldeology and Discon-tent. New York: The Free Press, pp. 206-61. Fivaz, Jan / Schwarz Daniel 2004 Frauen in der Politik sehen manches anders. Tages Anzeiger 25. Sept., 10. Franklin, Mark N., 1992 The Decline of Cleavage Politics, in: Mark Franklin, Tom Mackie, Henry Valen et al., Electoral Change. Responses to evolving social and attitudinal structures in Western countries, Cambridge: Cambridge Uni-versity Press, S. 383-405. Geser,
Hans 1991 "Dealignment" oder neue Integrationsbereitschaft? Aktuelle
Entwicklungstendenzen. Geser Hans 1997 The Persistence of Confessional Political Cultures in Switzerland: Some Puzzling Evidence from Local Parties. Schweizerische Zeitschrift für Politische Wissenschaft Vol. 3, Issue 2,: 1-30. Geser Hans 2003 Sind Gemeindeanlegenheiten politisch?. In: Sociology in Switzerland: Vierzehn Jahre politischer Wandel. Online Publikationen. Zürich, April 2003. http://geser.net/par/ges_04.pdf
Geser Hans 2004 Rechte Männer und linke
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aktualisiert am 14.11.2009