Sociology in Switzerland

Lehrstuhl Prof. Dr. Geser

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Wandel der Arbeitswelt
 
   
Mängel der Schulausbildung aus Arbeitgebersicht

Prof. Hans Geser

(August 1999)

Basisinformationen über das Projekt:

Beim Forschungsprojekt "Wandel der Arbeitswelt" handelt es sich um eine prospektive Untersuchung in schweizerischen Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben, die 1997-2000 gemeinsam vom Soziologischen Institut der Universität Zürich (SUZ) und der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) durchgeführt wurde. Sie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Schwerpunktprogramms "Zukunft Schweiz" finanziert.

Das Projekt hatte zum Ziel, erstmals notwendige Basisdaten über den Qualifikationsbedarf der Schweizer Wirtschaft zu beschaffen. Dabei berücksichtigt es nicht nur den quantitativen Personalbedarf, sondern erfasst auch organisatorische und technologische Veränderungen in den Betrieben, die sich auf die Anforderungen an Arbeitsqualifikationen auswirken.

In methodischer Hinsicht bildet die standardisierte Erhebung der Qualifikationsstruktur, des Qualifikationsbedarfs sowie des organisatorischen Wandels der Betriebe den Schwerpunkt der Untersuchung.
Bei der Stichprobe handelt es sich um ein Panel von rund 6'000 privaten Unternehmungen, die vom KOF jährlich in Fragebogenerhebungen mit wechselnder Thematik einbezogen werden.
 
Es besteht aus einer nach Betriebsgrössenklassen und Branchenzugehörigkeit geschichteten Stichprobe, die Betriebe aus allen wichtigen Bereichen der Industrie, des Gewerbes sowie des privaten Dienstleistungssektors mitumfasst. Nicht einbezogen sind Betriebe, die ihre Dienstleistungen im Bereich Bildung, Gesundheit oder soziale Wohlfahrt erbringen.
Die Befragung richtete sich an Inhaber von betrieblichen Führungspositionen im Personalbereich.
An der Befragung, die vom Januar bis Mai 1998 stattgefunden hat, haben insgesamt 2143 Firmen teilgenommen.
Informationen zu diesem Forschungsprojekt können unter
 
geser@soziologie.uzh.ch bezogen werden.





1. Theoretische Grundlagen

1.1. Wachsende Bedeutung des "Human Capital" als Determinante unternehmerischer Produktivität

Der „World Employment Report 1998-99" der ILO stellt lapidar fest, dass aktuelle Entwicklungen in der Wirtschaft (Globalisierung), Technik (Informatisierung) und Unternehmensorganisation (z. B. „lean production") komplementär dazu beitragen, dass sich die Relevanz hochqualifizierter Arbeitskräfte für die ökonomische Produktivität der Volkswirtschaften weltweit erhöht: 

Von traditionell strukturierten (z.B. tayloristischen) Firmen kann man behaupten, dass ihre Leistungsfähigkeit primär von überindividuellen Faktoren (z.B. technologischen Apparaturen oder optimierten Betriebsabläufen) abhängig sei, während die Qualifikationen ihrer Mitarbeiter wenig Bedeutung hätten. Die immense Wertschöpfungskapazität der Gesamtorganisation kontrastiert hier scharf mit der Anspruchslosigkeit der einzelnen Rollen (z.B. am Fliessband), die von oberflächlich angelernten und jederzeit austauschbaren Arbeitskräften besetzt werden können (vgl. z. B. Bassi/Benson/Cheney 1996; Smith 1997). 

In moderneren Branchen stellt sich hingegen eher wieder eine sehr direkte Abhängigkeit der betrieblichen Produktivität vom Qualifikationsniveau der Mitarbeiter ein, wie sie auch für die vorindustriell-handwerkliche Arbeitswelt typisch war. Ein Grund dafür besteht darin, dass der Geschäftserfolg vor allem bei Klein- und Mittelbetrieben immer stärker mit der Fähigkeit zur Innovation neuartiger Produkte und Dienstleistungen verknüpft ist. Diese Fähigkeit ist nun aber in besonders kritischer Weise an ein hohes Qualifikationsniveau der Mitarbeiter gebunden. So hat eine gross angelegte KMU-Studie gezeigt, dass die meisten Innovationsprojekte am Mangel an qualifizierten Fachkräften scheitern (Sattes 1996). 
Die Bedeutung qualifikatorischer Faktoren nimmt überdies in dem Masse zu, als konkurrierende Firmen auf dem Weltmarkt hinsichtlich ihrer technologischen Ausstattung einander immer mehr angleichen: so dass es immer mehr die humanen und organisatorischen Faktoren sind, die über die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit entscheiden (vgl. Kuhn 1995). 

Die jüngste wirtschaftliche Rezession (der 1990er-Jahre) hat die Bedeutung des Produktionsfaktors "Qualifikation" zusätzlich erhöht, 
a) weil es für viele Firmen überlebenswichtig geworden ist, mit weniger Arbeitskräften höhere und bessere Leistungen zu vollbringen; 
b) weil die Arbeitgeber durch den Überhang des Arbeitskräfteangebots in die Lage versetzt worden sind, sich bei der Anstellung von Mitarbeitern selektiver zu verhalten. 1)
Angesichts der wachsenden geographischen Mobilität der Unternehmen (zumindest im Dienstleistungsbereich) spielt die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte bei der Standortwahl heute eine vorrangige Rolle. 2)
Schliesslich dürfte auch der in Zukunft zu erwartende Bevölkerungsrückgang, der aufgrund der verringerten Geburtenraten in ca. 10 bis 15 Jahren einsetzen dürfte, einen vermehrten Druck auf Qualifizierung auslösen. Denn er wird höchst wahrscheinlich vermehrt zu Produktionsformen zwingen, die auf einem niedrigeren quantitativen, aber dafür umso höheren qualitativen Einsatz des Faktors Arbeit beruhen (Klauder 1990: 122ff.). 3)

Eine erstrangige, möglichst optimal auf diese ökonomische Qualifikationsnachfrage ausgerichtete Schul- und Berufsbildung der Bevölkerung wird deshalb immer mehr zur conditio sine qua non, um auf dem "Werkplatz Schweiz" auch in Zukunft noch genügend Arbeitsplätze zu erhalten (vgl. z.B. Walser 1995). Empirisch zeigt sich die wachsende Bedeutung einer guten schulischen Grundausbildung darin, dass immer mehr Arbeitgeber (insbesondere grössere Firmen) fast nur noch Lehrlinge mit Sekundarschulabschluss rekrutieren, und dass von gewichtiger Seite her die Forderung auftritt, die im dualen System absolvierte Lehre um ein Jahr zu verkürzen und die gewonnene Zeit für eine vertriefte Allgemeinbildung zu verwenden (Walser 1995). Ähnliche Ziele verfolgt der Vorschlag, die obligatorische Schulzeit durch ein weiteres (zehntes Schuljahr) zu verlängern, um beispielsweise durch die Vermittlung von Englisch- und Informatikkenntnissen jene Bildungsvoraussetzungen zu schaffen, die für viele modernere Lehrberufe unabdingbar sind. In diesem Zusammenhang hat beispielsweise H. Summermatter vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) vorgeschlagen, begabteren Schülern ein staatlich bezahltes zusätzliches Bildungsjahr ("Basisjahr") anzubieten, damit sie nachher mit besseren schulischen Voraussetzungen eine anspruchsvolle Lehre (z.B. in der Informatik) antreten können. 4)
 
 

1.2. Die vielfachen Leistungsgrenzen der Schule bei der Vermittlung berufsrelevanter Kenntnisse und Qualifikationen

Angesichts dieses generell wachsenden Qualifikationsbedarfs ist damit zu rechnen, dass die Wirtschaft an das Bildungssystem im Allgemeinen und an die obligatorischen Primar- und Sekundarschulen im Speziellen immer höhere Leistungsanforderungen stellt. 

Diese Forderungen treffen nun aber auf ein Schulsystem, das sowohl auf der Ebene der pädagogischen Zielsetzungen und der vermittelten Stoffinhalte (Curricula) als auch bezüglich der didaktischen Methoden und Organisationsformen konservativ-beharrende Strukturen aufweist, die zumindest kurz- und mittelfristig kaum auf die sich rasch wandelnden und komplex-vielfältigen Qualifikationsbedürfnisse der immer dynamischeren Arbeitswelt reagieren.  Oder neutraler formuliert: in einer funktional differenzierten Gesellschaft ist zwangsläufig damit zu rechnen, dass Bildungssystem und Beschäftigungssystem immer stärker ihre je eigene Strukturlogik und Funktionalität entfalten, so dass es immer schwieriger wird, zwischen diesen beiden institutionellen Ordnungen ein spannungsfreies Komplementaritätsverhältnis zu realisieren. 

Aus fünf sehr verschiedenartigen Gründen fehlt der Schule einerseits die Bereitschaft und andererseits die Fähigkeit, sich an die vom Beschäftigungssystem her generierten Qualifikationsanforderungen zu adaptieren: 

1) Der Widerstand gegen instrumentales Problemlösungswissen
Ein erstes Spannungsverhältnis entsteht dadurch, dass im Beschäftigungssystem rein instrumentale, opportunistisch auf konkrete Aufgaben und Situationsbedingungen beziehbare Kenntnisse und Fähigkeiten gefordert sind, während die Schule zumindest partiell nicht-instrumentalen Werten und Zielsetzungen verpflichtet ist, die beispielsweise die Entfaltung der Persönlichkeit oder die Bewahrung kultureller Traditionen zur Zielsetzung haben. So werden in der Schweiz aus „kulturpolitischen" Motiven die jeweils anderen Landessprachen als schulisch vermittelte Fremdsprachen in den Vordergrund gerückt, obwohl Konsens darüber besteht, dass Englisch aus vielen Gründen „nützlicher" wäre.

2) Die Unfähigkeit zur Internalisierung volatiler, rasch wechselnder Wissensbestände
Im Zuge der sich beschleunigenden Entwicklung der Märkte, Produkte, Verfahrenstechniken und Organisationsformen entstehen viele Nachfragen nach neuen und teilweise nur kurzfristig relevanten Qualifikationen, die nicht auf dem formell-institutionellen Weg eines geregelten Schulunterrichts vermittelt werden können.   Der Grund dafür liegt darin, dass zu wenig Zeit zur Verfügung steht, um die entsprechenden Lehrkräfte auszubilden, Lehrbücher zu entwickeln und Curricula zu organisieren. In solchen Fällen muss die Wissensvermittlung zwingend auf subinstitutionelle Verfahrensweisen (Ad hoc-Kurse, Anleitung durch Vorgesetzte oder rein autodidaktisches Lernen) regredieren.  So wird es nie Sinn machen, den formalen Schulunterricht auf die Unterweisung in spezifischen Softwareprogrammen oder auf die Bedienung spezifischer Apparate auszurichten, die alle zwei Jahre wieder wechseln. Umgekehrt formuliert: die Relevanz der zukünftigen Schule hängt immer mehr davon ab, dass sie sich auf Wissensbestände mit garantiert langen Halbwertzeiten konzentriert: etwa auf jene generalisierteren Fähigkeiten des Selbstlernens, die für die Einarbeitung in zukünftige Computerprogramme und Betriebsanleitungen auf zukünftig mit Sicherheit von Nutzen sein werden.
 
3) Die begrenzte Kapazität zur Berücksichtigung heterogener Aufgaben und Rollen
Ein drittes Spannungsfeld entsteht dadurch, dass im Beschäftigungssystem die Vielfalt verschiedener Berufe, Arbeitsrollen und Arbeitsaufgaben immer mehr zunimmt, während die Schule aufgrund ihrer Strukturen radialer Diffusion und sozialer Kontrolle organisatorisch darauf ausgerichtet ist, bestimmte Kategorien von Personen (z. B. Schüler derselben Klasse) hinsichtlich bestimmter Kenntnisse und Fähigkeiten zu homogenisieren. Dementsprechend ist das Schulwissen zu wenig differenzierbar, um den spezifischen Bedürfnissen arbeitsteiliger Rollen Rechnung zu tragen.
Als Folge davon sind auch die meisten beruflichen Ausbildungsgänge an relativ spezifischen, schon seit längerem etablierten Berufsbildern orientiert, die mit der Vielfalt und dem Wandel tatsächlicher Beschäftigungsrollen oft in einem immer krasseren Spannungsverhältnis stehen. So ist zum Beispiel das Studium des Rechts einseitig auf die Richterrolle ausgerichtet, obwohl die Mehrzahl der Absolventen später den Beruf des Anwalts oder des Verwaltungsjuristen ergreift; und in der Sozialarbeit hat bereits seit den 70er-Jahren eine Auffächerung der Berufstätigkeiten stattgefunden, die den Rahmen jedes denkbaren beruflichen Ausbildungsganges sprengt (vgl. Bartlett 1976: 14ff.). Ebenso herrscht im Schulsystem die Tendenz, bei der Beurteilung der Schüler eindimensionale Intelligenzskalen zu verwenden, während sich in der Arbeitswelt immer mehr die Vorstellung ausgebreitet hat, dass es sehr zahlreiche Intelligenzdimensionen gibt, die nur gering miteinander kovariieren (Law/Knuth/Bergman 1992). 
Je differenzierter die Berufswelt und je rascher sie sich wandelt, desto weniger können berufsbezogene Qualifikationen Gegenstand homogenisierender Bildungsgänge werden; desto mehr muss sich die Bildung infolgedessen auf die Vermittlung hoch generalisierter Fähigkeiten von gleichbleibender Relevanz beschränken, während eng rollenbezogene Qualifikationen immer mehr nur noch berufsnahe (d.h. am Arbeitsplatz selbst) erworben werden müssen (Resnick 1987).

4) Das Festhalten an individuellen (statt kollektiven) Leistungszurechnungen
Die Schule ist grundsätzlich darauf ausgerichtet, ausschliesslich das Einzelindividuum als Objekt pädagogischen Handelns in den Mittelpunkt zu stellen. Immer ist es die Einzelperson, deren Wissensbestände und Fähigkeiten gefördert werden müssen und in deren eigenständig vollzogenen Leistungen individuell zurechenbare Eigenschaften (Intelligenz, Fleiss, Gehorsam u.a.) sichtbar werden (vgl. Geser 1992). Damit war die Schule gut an eine durch geringe arbeitsteilige Differenzierung gekennzeichnete traditionelle Berufswelt angepasst, in der Arbeitsergebnisse ebenfalls individuell zurechenbar waren (z. B. klassische Formen der Akkordarbeit oder der individuellen „Sachbearbeitung"). Sehr viel weniger wird sie aber jenen neueren Formen hochentwickelter Arbeitsteilung – z. B. in grosstechnologischen Anlagen - gerecht, wo Erfolgsleistungen infolge der Interdependenz der Rollen nur noch kollektiv attribuierbar sind (vgl. z. B. Blauner 1964; Touraine 1964; 1975; Hirschhorn 1984;Law/Knuth/(Bergmann 1992; Mergner et. al. 1975). Die neuen Konzepte der „lean production" haben dieser Kollektivierung der Arbeitsleistungen flächendeckend Auftrieb verliehen, weil es nun üblich wird, selbstregulative Teams als Träger von Arbeitsaufgaben einzusetzen (und entsprechende „Leistungslöhne" auch nicht mehr individuell auszurichten, sondern als Prämien gleichmässig auf die Teammitglieder zu verteilen). Dementsprechend scheinen sich auch in der betriebsinternen Lehrlingsausbildung heute zunehmend teamartige Vermittlungsformen auszubreiten, die relativ stark mit den Formen des traditionellen Schulunterrichts kontrastieren. 5) 

5) Die Begrenzte Kapazität zur Übermittlung von informellem, nicht verbal explizierbarem Wissen
Bildungsinstitutionen tendieren dazu, objektiviertes, verbal explizierbares Wissen stark zu betonen: weil dieses sich gut eignet, um in hoch formalisierten Ausbildungsgängen zuverlässig vermittelt und geprüft zu werden. 
Im Verhältnis zur ungeheuren Fülle an Kenntnissen und Fähigkeiten, die zur Bewältigung konkreter Arbeitsaufgaben nötig sind, ist dieses schulisch vermittelte Curricularwissen aber viel zu eng und zu selektiv. Schon in traditionellen Berufswelten gibt es immense Bestände an informellem Traditionswissen, die nur im Medium des Imitationslernens und des praktischen „learning by doing" übermittelbar sind, weil sie zu sehr auf konkrete, wechselnde Problemlagen bezogen sind, als dass es gelingen würde, sie in der simplifizierten Form verbal explizierter Theoriemodelle, Lehrsätze und Verhaltensregeln zu erfassen (vgl. Geser 1998). Analoges gilt aber umgekehrt auch für jene berufsübergreifenden „Schlüsselfunktionen", die als unentbehrliche Voraussetzungen für die Übernahme verschiedenster moderner Arbeitsrollen gewertet werden: 
"Es geht darum, Qualifikationen zu finden, die langfristig Gültigkeit besitzen, eine hohe Transferierbarkeit auf andere Anwendungsgebiete haben und zu lebenslangem Lernen befähigen, bekannt als Schlüsselqualifikationen." (Huisinga 1990: 115).

Nach Mertens (1988) umfassen die Schlüsselqualifikationen jene Fähigkeiten, die sich für die Ausführung einer maximalen Bandbreite verschiedener Berufstätigkeiten als nützlich (bzw. unentbehrlich) erweisen. Dazu gehören einerseits zwar auch hoch objektivierbare, schulisch gut erlernbare Basisqualifikationen (Lesen, Schreiben , Rechnen u.a.), auf der anderen Seite aber auch sehr personengebundene charakterliche Eigenschaften (z.B. Teamfähigkeit, Führungstalent, flexible Lernbereitschaft, Kommunikationsbereitschaft , Kreativität u.a.), die in frühen Sozialisationsphasen erworben werden und durch keine bekannten Ausbildungs- oder Trainingsverfahren wesentlich beeinflussbar erscheinen. (Huisinga 1990: 115). 
Wie empirische Untersuchungen zeigen, bemängeln heutige Berufsleute im Rückblick auf ihre Lehrzeit vor allem, dass die Förderung von Sozialkompetenzen zu kurz gekommen sei, noch mehr aber die Förderung von "Selbstkompetenzen" wie z.B. Kreativität, Kritikfähigkeit und Eigeninitiative (vgl. z.B. Feller 1996: 253).   In Übereinstimmung damit haben zahllose empirische Untersuchungen seit Ende der 70er-Jahre gezeigt, dass Arbeitgeber bei der Rekrutierung von Schulabgängern dem konventionellen schulischen Fachwissen eher weniger Gewicht beimessen als solchen generalisierten „employability skills", die regelmässig dadurch gekennzeichnet sind, dass sich – wie z. B. im Falle von „Leistungsbereitschaft", „Konfliktfähigkeit" oder „Problemlösebewusstsein – kognitive Kenntnisse und Fähigkeiten mit motivationalen Dispositionen und normativen „Charaktertugenden" auf schwer entwirrbare Weise vermischen (vgl. z. B. Buck/Barrick 1987; Baxter/Young 1982; Beach 1982; Committee for Economic Development 1985; Commission on Skills 1990; Packer 1992; Cotton 1993). In ähnlicher Weise hat eine im Auftrag des "STERN" durchgeführte Umfrage bei 250 deutschen Firmen ergeben, dass Personalchefs bei der Auswahl von Lehrlingen vor allem Faktoren wie „Kommunikativität" und „Teamorientierung" sowie „Leistungswille" in den Vordergrund stellen - also persönliche (Charakter)-merkmale, die nicht Gegenstand des expliziten schulischen Curriculums bilden, sondern allenfalls beiläufig im Zuge schulischer Vermittlungsformen (Gruppenunterricht, Teamprojekte u.a.) mitgefördert werden. Zusätzlich sind es auch die schulexternen Engagements der Jugendlichen (z. B. in Sport- oder Kulturvereinen), die stärker als rein schulbezogene Qualifikationen (z. B. sprachliche Ausdrucksfähigkeit) den Ausschlag geben. 6)

Generell neigen Arbeitgeber zur Ansicht, dass Schulen für die Vermittlung von „employability skills" nicht gut geeignet sind, da sie infolge ihrer arbeitsfernen, wenig problemzentrierten Lernmethoden nicht mit der subtilen Komplexität moderner Arbeitsanforderungen Schritt zu halten vermögen (Bailey 1990; Busse 1992). (Andererseits trifft aber wohl auch zu, dass Schlüsselqualifikationen fachspezifische Kenntnisse niemals substituieren können, sondern überhaupt nur auf der gesicherten Basis solch spezifischerer Fähigkeiten ihre Wirksamkeit entfalten (Huisinga 1990:183)). Auch bei der Rekrutierung von Hochschulabsolventen pflegen Grossfirmen heute stärker als früher auf Persönlichkeits- und Charaktermerkmale zu achten, die sich nicht primär in den formellen Schulzeugnissen, sondern in mannigfachen ausserschulischen Aktivitäten und Leistungen widerspiegeln. So kann es für einen Bewerber von Vorteil sein, wenn er als Student bei der Veranstaltung von UNI-Festen Organisationstalent oder in der Studentenpolitik argumentative Fähigkeiten bewiesen hat; oder wenn er durch ein sportliches Engagement seine Fähigkeit unter Beweis gestellt hat, selbstgesetzte Ziele beharrlich zu verfolgen und/oder sich kooperativ in eine Teammannschaft einzufügen. Ebenso gelten längere Auslandaufenthalte als Indikator für geographische Mobilität und für die Fähigkeit, sich für neue soziale Beziehungen zu öffnen und sich an neue kulturelle Umwelten zu adaptieren. Dementsprechend werden auch Studienunterbrüche oft positiv honoriert - sofern sie nicht derart lange dauern, dass sich der Bewerber in den disqualifizierenden Geruch des "Aussteigers" bringt. 7)
Je mehr derart "lebensweltliche" Tätigkeiten und Erfahrungen bedeutsam werden, desto weniger sinnvoll wird es für die Arbeitnehmer, ihre Biographie stromlinienförmig auf berufliche Ausbildung und Karriere auszurichten. Vielmehr verschiebt sich der Konkurrenzvorteil auf dem Arbeitsmarkt zu denjenigen Stellenbewerbern hin, die dank ihres vielfältigen Freizeitengagements vielleicht keine optimalen Schulnoten erreicht haben oder wegen Auslandaufenthalten oder ehrenamtlichen Einsätzen kein kontinuierliches Berufscurriculum vorzuweisen haben. Dementsprechend sehen sich auch die formalen Bildungsinstitutionen unter Druck gesetzt, informelleren Gestaltungsformen der Wissensaneignung mehr Spielraum zu geben: 
"Jene, die ihr Studium nach den minimalen Anforderungen in Rekordzeit hinter sich bringen und sich auf ihr Fach beschränken, ohne nach links oder rechts zu schauen, mutieren kaum einmal zu innovativen Köpfen. Allrounder bekommt man nicht, indem man jede Verlängerung des Studiums und damit die Mobilität erschwert. Sozialkompetenz wird besser durch Teamarbeit als mit ausschliesslich auf Selektion ausgerichteten Prüfungen erlernt." (Stoffel 1997: 89)
Unverkennbar besteht vor allem auf Primarschulniveau seit längerem ein gewisser Trend, die Vermittlung von konkretem Faktenwissen zugunsten von "Softskills" und Schlüsselqualifikationen in den Hintergrund zu rücken. Die Folge besteht dann aber darin, dass sich der Schwerpunkt der Ausbildung auf sehr informelle, wenig plan- und steuerbare didaktische Methoden (z.B. Gruppenunterricht, Projektarbeit u.a.) verschiebt, und dass die Ergebnisse der Ausbildung weniger gut überprüfbar werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass Abschlusszeugnisse an Aussagekraft verlieren, weil sie nicht mehr viel Information über konkrete Fähigkeiten und Kenntnisse vermitteln.

All die genannten funktionalen Defizite des Bildungssystems kumulieren aber keineswegs darin, dass die Arbeitgeber den Leistungen der Schule mit immer mehr Gleichgültigkeit gegenüberstünden. Vielmehr bleibt die Schule vor allem deshalb relevant, weil die modernen Firmen im Zuge ihrer „Verschlankung" zunehmend unfähig (bzw. unwillig) werden, die Qualifikationen, die sie benötigen, innerhalb der Arbeitswelt selbst zu erzeugen. Die "schlanke Unternehmung" ist dadurch charakterisiert, dass sie all ihre Ressourcen kompromisslos auf effiziente, kostengünstige Produktion ausrichtet. Damit hat sie nur noch wenig freie Valenzen, die für indirekte, sich nicht unmittelbar in der Erfolgsrechnung niederschlagende Aktivitäten zur Verfügung stehen: für Forschung und Entwicklung, für die Exploration neuer Märkte, für das unverbindliche Ausprobieren neuer Produkte oder Verfahrensweisen nach dem "trial and error"-Prinzip, sowie für Investitionen in die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter, von denen man nicht ex ante sagen kann, wie sehr sie sich zukünftig in Produktivitätsgewinnen oder Verbesserungen der Wettbewerbsposition des Unternehmens "auszahlen" werden (vgl. Riggs 1996). 8) So sehen sie sich insbesondere vor dem Dilemma, dass sie von ihren Mitarbeitern (und noch stärker von ihren Führungskräften) hoch generalisierte, gleichzeitig berufs- und branchenübergreifend gültige „Schlüsselqualifikationen" verlangen müssen, andererseits im Zuge ihrer Rationalisierungsmassnahmen immer mehr dazu gedrängt werden, firmeninterne Grund- und Weiterbildungsmassnahmen auf die Vermittlung hochspezifischer (d. h. für den Arbeitsprozess unmittelbar nutzbringender) Qualifikationen zu beschränken.

 

1.3. Die korrelative Autonomisierung des Bildungssystems

Das Bildungssystem gewinnt aus zwei Gründen zwangsläufig an Autonomie:
a) weil es in seiner Organisation und Funktionalität den Bedürfnissen der Arbeitswelt immer weniger entspricht; 
b) weil es der "Wirtschaft" immer schwerer fällt, ihre Ansprüche an das Bildungssystem klar zu artikulieren: denn dies würde voraussetzen, dass die Unternehmungen, Branchenverbände und Berufsorganisationen in der Lage wären, ihre aktuellen (und zukünftigen) Qualifikationsbedürfnisse klar zu identifizieren. Dazu müssten sie nicht nur über den zukünftigen Wandel der Technologien, Organisationsformen und Umweltfaktoren, sondern auch über deren kausalen Einfluss auf die Ebene einzelner Tätigkeitsrollen detaillierte Kenntnisse haben. 

Anders formuliert: wenn man nicht mehr voraussagen kann, was für schulische Kenntnisse die Schüler im späteren Berufsleben benötigen, gewinnt die Schule zwangsläufig mehr Spielraum, um sich bei der Festlegung normativer Bildungsziele z.B. an Kriterien klassischer "Allgemeinbildung" oder humanistischer "Persönlichkeitsentfaltung" zu orientieren.
Die Folge besteht dann darin, dass formale Bildungszeugnisse in der Arbeitswelt nicht mehr primär als Indikatoren für spezifische, im Arbeitsprozess funktional einsetzbare Kenntnisse und Fähigkeiten gewertet werden, sondern nur noch als Hinweise darauf, dass ein Bewerber über eine generelle Lern- und Leistungsfähigkeit sowie über die Bereitschaft zur konformen institutionellen Anpassung verfügt (Favennec-Héry 1996). 
Unter diesen Bedingungen abnehmender Instrumentalität wird auch die Wahl der Schulfächer und Studienrichtungen dann immer mehr durch angebotsseitige Faktoren (z.B. kulturelle Werte, lebensweltliche Normen und Kriterien subjektiver Persönlichkeitsentfaltung bestimmt, während rein nachfrageorientierte Kriterien (Beschäftigungschancen, Einkommensaussichten u. a.) an Bedeutung verlieren. Dieses Verhalten wird in dem Masse rational, als sich die Berufsaussichten aller Fachrichtungen mittelfristig stark wandeln und die Berufskarriere (z.B. infolge Frühpensionierung) ohnehin einen immer geringeren Teil der biographischen Lebensspanne erfüllt.9). Oder umgekehrt formuliert: jeder Versuch der Schulen und Universitäten, sich instrumental auf die Bedürfnisse der Wirtschaft (bzw. der Arbeitswelt insgesamt) auszurichten, ist heute mit gesteigerten Risiken behaftet, weil es angesichts der unübersichtlichen Vielfalt der Berufsrollen und ihres unvoraussagbaren Wandels nicht möglich ist, über die Frage, was denn "instrumental" wäre, präzise und übereinstimmende Vorstellungen zu entwickeln. In jedem Fall müsste die Schule dann einseitig für bestimmte Berufsbilder und/oder Arbeitgeber Partei ergreifen - und andere dementsprechend diskriminieren.   Will sie diese Parteinahme umgehen, bleibt ihr nur die Alternative, entweder durch generelle Distanznahme von utilitären Zumutungen eine Äquidistanz zu allen Berufsfeldern zu kultivieren oder aber sich auf die Einübung jener generalisierteren Qualifikationsanforderungen einzuschränken, die - wie z. B. kommunikative Fähigkeiten und andere Sozialkompetenzen) ungeachtet aller spezifischer Wandlungstendenzen eine relativ invariante Bedeutung beibehalten.
 

2. Fragestellung, Methodik und empirische Daten

Im Folgenden geht es um die Frage, hinsichtlich welcher Fächer, Kenntnisse und Fähigkeiten die Leistungen der Pflichtschule von den Firmen der Privatwirtschaft als unzureichend (bzw. verbesserungsbedürftig) beurteilt werden, und in welcher Weise derartige Wahrnehmungen mit verschiedenen Merkmalen und Aktivitäten der Unternehmungen kovariieren. Vor allem interessiert die Frage, inwiefern es generelle, von Unternehmungen der verschiedensten Art artikulierte Forderungen an die Schule gibt, die dank ihrer Konsensualität zum Ausgangspunkt zukünftiger Schulreformen gemacht werden können; und in welchem Ausmass speziellere Änderungswünsche dominieren, die in partikulären Eigenheiten der Firma (z. B. ihrer Branchenzugehörigkeit, ihrer Exportorientierung oder ihrer Innovativität) ihre Ursache haben.

Die nachfolgend präsentierten empirischen Ergebnisse stammen aus einer gesamtschweizerischen Firmenumfrage aus dem Frühjahr 1998, an der sich 2131 private Unternehmungen in den Bereichen Industrie, Bau und Dienstleistungen (unter Ausschluss Des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereichs) mitbeteiligt haben. Als Untersuchungsbasis für die gemeinsam vom Soziologischen Institut der Universität Zürich (SIUZ) und der Konjunkturforschungsstelle der ETHZ (KOF) durchgeführten Erhebung diente das über 6000 Firmen umfassende Unternehmenspanel des KOF, das jährlich für wechselnde Surveys (u.a. über Investitions- und Innovationstätigkeiten) herangezogen wird. 
Das Hauptziel des an die Personalverantwortlichen gerichteten Fragebogens bestand darin, Basisinformationen über zentrale Merkmale und Aktivitäten der Firma einerseits und über ihren Qualifikationsbedarf bei den Mitarbeitern (und Führungskräften) andererseits zu erheben. 

Dabei wurde u. a. auch die folgende Frage gestellt:
 

Welche Kenntnisse und Fähigkeiten sollten während der obligatorischen Schulzeit stärker als heute vermittelt werden?  (Nur die 5 wichtigsten Bereiche nennen)

Grundfähigkeiten in Rechnen und Mathematik

Kenntnisse in Naturwissenschaften

EDV-Anwendungskenntnisse

Kenntnisse über Wirtschaft, Gesellschaft, Politik

Kenntnisse über Kunst, Musik, Kultur

Deutsche Sprache

Englische Sprache

Französische Sprache

Leistungswille

Eigeninitiative, Selbständigkeit

Kritik- und Konfliktfähigkeit

Kreativität

Gehorsam

Kooperations- und Teamfähigkeit

Insgesamt ist diese Frage von 1906 Firmen (d. h. 89.4% der Stichprobe) beantwortet worden. Interessanterweise haben die Manager grösserer Firmen (Antwortquote 95.3%) mit der Frage weniger Mühe bekundet als kleinere Firmen (unter 30 Mitarbeiter), von denen fast 13% die Antwort schuldig blieben.
 Die konzeptuelle Interpretation der Antworten ist keineswegs problemlos, weil es sich um subjektive Wahrnehmungen handelt, die durch unterschiedlichste und relativ zufällige kognitive Erfahrungen und Informationen (z. B. persönliche Erlebnisse mit rekrutierten Lehrlingen) mitbeeinflusst sein können. Vor allem ist evident, dass es sich aufgrund des Zwangs, nur die fünf wichtigsten Defizite zu nennen, durchwegs um relative Defizite (im Vergleich verschiedener Fächer) handelt, während das absolute Niveau der Schulunzufriedenheit ausserhalb der Sichtweite bleibt. 

Überdies ist nur zu vermuten, aber nicht beweisbar, dass sich die Informanten bei den Antworten von den Bedürfnissen ihrer Firma leiten gelassen haben – und nicht etwa von diffuseren persönlichen Vorstellungen darüber, welcher Leistungsauftrag der modernen Schule (gegenüber der Gesellschaft einerseits und der Einzelperson andererseits) zugemutet werden müsse. Vor allem aber muss berücksichtigt werden, wie weitgehend sich diese Beurteilungen im Schnittfeld angebots- und nachfrageseitiger Faktoren konstituieren. So wird der Chef einer Elektronikfirma, der sich bei der Rekrutierung seiner Lehrlinge auf die allerbesten Abschlussschüler stützen kann, ein Urteil abgeben, in dem sich eher die Gehobenheit seiner Ansprüche als die durchschnittliche Ausbildungsleistung der Primar- und Sekundarschulen widerspiegeln. Und umgekehrt mag der Gerant eines ländlichen Hotelbetriebs zu pessimistischen Beurteilungen neigen, die vorwiegend im geringen Qualifikationsniveau seiner (Lehr-)stellenbewerber ihre Ursache haben. Man kann aber mit guten Gründen die Meinung vertreten, dass genau diese perzipierten Inadäquanzen zwischen personellem Angebot und personeller Nachfrage (und nicht so sehr absolute Funktionsdefizite des Schulsystems) die Richtschnur bilden, an der sich eine zukünftige arbeitsmarktorientierte Bildungspolitik auszurichten habe.
 

3. Empirische Ergebnisse

3.1. Sektor- und branchenspezifische Divergenzen

Eine erste Aufgliederung der Nennungsfrequenzen nach Wirtschaftssektoren zeigt, dass sowohl in der Industrie wie im Baugewerbe und dem Dienstleistungsbereich zwei Qualifikationen an der Spitze stehen, die nirgends zum expliziten Fächerplan der Primar- und Sekundarschulen gehören. Zum einen ist dies die „eigene Initiative": im Sinne der Fähigkeit (bzw. Bereitschaft), aus eigenem Antrieb (d. h. auch unabhängig von hierarchischen Weisungen) anstehende Aufgaben zu übernehmen und Probleme zu lösen. Mit etwas Abstand folgt zweitens die „Kooperations- und Teamfähigkeit": d.h. die Disposition, sich solidarisch in horizontale Gruppenzusammenhänge einzufügen, statt im Alleingang zu handeln und zu den übrigen Mitarbeitern in ein kompetitives Verhältnis zu treten. (Tab. 1). Aus den sehr ähnlichen Häufigkeitswerten in allen drei Sektoren wird ersichtlich, dass beide Qualifikationen eine überaus generalisierte, nicht von spezifischen Produktmärkten, Organisationsformen oder Technologien abhängige Bedeutung haben und deshalb dazu prädestiniert wären, „Kernqualifikationen" zu sein, um die herum sich der ganze Schulbetrieb organisiert. 

 
Tabelle 1: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung
verschiedener Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach Wirtschaftssektor.

 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern: Alle Firmen Industrie Bau-
gewerbe
Dienst-
leistungen
F Sign.
Deutsche Sprache 43 40 45 47 4.75 .009
Französische Sprache 24 24 09 28 16.94 .000
Englische Sprache 43 44 15 48 37.67 .000
Rechnen/Mathematik 43 42 63 37 23.20 .000
Naturwissenschaften 7 08 08 06 1.58 .207
Kunst, Musik, Kultur 3 02 03 05 5.05 .006
Wirtschaft, Recht, Staat 28 26 23 31 4.20 .015
EDV-Kenntnisse 52 55 34 55 13.98 .000
Eigene Initiative 72 71 79 70 2.80 .061
Kreativität 31 32 25 31 2.23 .108
Teamfähigkeit 63 63 64 62 .218 .804
Konfliktfähigkeit 35 35 33 35 .08 .928
Leistungswille 48 48 62 45 9.13 .000
Gehorsam 9 08 14 09 4.17 .000
(N = ) (1906) (930) (206) (770)  


 
An dritter Stelle rangieren die Informatikkenntnisse, die – nicht unerwartet - von den Industrie- und Dienstleistungsbetrieben viel häufiger als von den Bauunternehmungen als defizitär betrachtet werden. Den vierten Rang besetzt die Forderung nach mehr „Leistungswillen": eine Eigenschaft, die wie die beiden erstplazierten eher zu den Charaktertugenden als zu den „Fähigkeiten" zählt – und die demzufolge auch in der Schule eher als Voraussetzung denn als Ergebnis einer erfolgreichen Sozialisation gewertet wird. Genau konträr zu den EDV-Kenntnissen sind es hier die Personalmanager im Bausektor, die bei den Schulabgängern am häufigsten einen ausreichenden Einsatzwillen am Arbeitsplatz vermissen. Erst im fünften Rang folgt mit „Rechnen/Mathematik" ein Fach, das zu den klassischen Basisdisziplinen des Schulunterrichte gehört. Ganz offensichtlich werden aber Rechenkenntnisse vorwiegend im traditionellen Bausektor als förderungsbedüftig empfunden, während sie im modernen Dienstleistungssektor viel seltener genannt werden. Umgekehrtes gilt für die Kenntnisse der deutschen Sprache, die bei Dienstleistungsbetrieben am häufigen als mangelhaft empfunden werden. 
Weniger Konsens besteht demgegenüber hinsichtlich der Förderung des Englischunterrichts, auf dem fast 50% aller Dienstleistungsbetriebe, aber nur 15% aller Baufirmen insistieren. Die Französischkenntnisse der Schulabsolventen werden hingegen von der überwiegenden Mehrheit der Befragten (insbesondere auch wieder im Bausektor) ausreichend empfunden. 
Im Bereich der Realfächer würde allenfalls eine gewisse Ausdehnung sozialwissenschaftlich-juristischer Kenntnisse (über Wirtschaft, Recht und Staat) auf Unterstützung stossen (insbesondere im Dienstleistungssektor, während nur ein geringer Prozentsatz der Informanten der Meinung ist, dass naturwissenschaftliche oder kulturell orientierte Fächer eine stärkere Förderung verdienen.  Erheblich mehr Gewicht kommt hingegen zwei anderen übergreifenden „Schlüsselqualifikationen" (Kreativität und Konfliktfähigkeit) zu, die in allen Sektoren in den Augen jeder dritten bis vierten Firma eine stärkere Förderung verdienen.
Schliesslich erstaunt, in welch geringem Masse vom Bildungssystem gefordert wird, den „Gehorsam" ihrer Schüler stärker als bisher zu gewichten. Darin widerspiegelt sich wohl die Tatsache, dass die Schule infolge ihrer Betonung von formeller Konformität und sozialer Kontrolle traditionellerweise einseitig darauf ausgerichtet ist, die Anpassung junger Menschen an ihrer soziale Umwelt zu befördern. Die Wirtschaft setzt diese Anpassungsbereitschaft einerseits zwar sehr wohl voraus, vermisst aber andererseits immer stärker Fähigkeiten zu selbstgeleiteten und gruppenorientiertem Handeln, die im Medium der konventionellen Schulorganisation weniger im Vordergrund stehen (können). 

Bei einer detaillierteren Aufgliederung nach Wirtschaftsbranchen erweist es sich, dass die Leistungsmängel der obligatorischen Schule auch innerhalb der verschiedenen Zweige des Industrie- und Dienstleistungssektors in durchaus ähnlicher Weise wahrgenommen werden. (Tab. 2 und 3).
 

Tabelle 2: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung
verschiedener Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach Branche im Industriesektor.

 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern: Nahrungs-
mittel
Holz Chemie Metall Maschi-nen Elek-
tronik
F Sign.
Deutsche Sprache 43 39 48 42 34 33 1.21 .25
Französische Sprache 29 18 30 23 19 26 1.06 .39
Englische Sprache 28 14 46 43 55 72 5.71 .00
Rechnen/Mathematik 34 59 31 63 46 30 3.90 .00
Naturwissenschaften 01 08 08 11 13 07 1.23 .23
Kunst, Musik, Kultur 03 04 02 00 07 02 .93 .54
Wirtschaft, Recht, Staat 35 24 28 18 27 26 .93 .53
EDV-Kenntnisse 41 43 57 53 50 61 2.15 .04
Eigene Initiative 71 73 70 74 76 66 1.11 .33
Kreativität 36 28 26 28 34 38 1.34 .16
Teamfähigkeit 65 59 51 70 63 62 1.09 .35
Konfliktfähigkeit 39 22 31 35 36 44 1.35 .15
Leistungswille 52 59 57 47 53 41 1.51 .08
Gehorsam 13 18 00 08 08 02 1.99 .01
(N = ) (80) (49) (61) (122) (144) (82) (538)

Vor allem gilt, dass die beiden erstrangigen Schlüsselqualifikationen (Eigeninitiative und Teamorientierung) fast überall an der Spitze stehen, während umgekehrt die naturwissenschaftlichen und kulturellen Fächer durchwegs den hintersten Rang einnehmen.  Ausgeprägte Differenzen gibt es vor allem hinsichtlich der Englischkenntnisse, die erwartungsgemäss einerseits in den exportorientierten Industriezweigen (Maschinen und Elektronik) und andererseits im Gastgewerbe am häufigsten bemängelt werden, während sie in den eher binnenwirtschaftlichen Branchen (Nahrungsmittel und Holz), erstaunlicherweise aber auch in Grosshandelsfirmen(!) weniger bedeutsam sind.
 

Tabelle 3: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung verschiedener
Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach Branche im Dienstleistungssektor.

 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern: Gross-
handel
Detail-
handel
Gast-
gewerbe
Trans-port/
Komm.
Banken/
Versiche-
rungen
Dienste für
Unter-
nehmen
F. sign
Deutsche Sprache 47 44 37 50 52 51 1.34 .22
Französische Sprache 34 34 33 26 22 24 1.44 .18
Englische Sprache 39 45 57 44 53 48 3.51 .00
Rechnen/Mathematik 33 45 26 38 33 46 2.26 .02
Naturwissenschaften 04 12 02 05 01 08 2.68 .01
Kunst, Musik, Kultur 01 07 07 03 01 09 2.32 .02
Wirtschaft, Recht, Staat 27 31 23 39 44 28 2.14 .03
EDV-Kenntnisse 62 43 35 51 53 73 7.02 .00
Eigene Initiative 70 70 70 79 74 65 .88 .53
Kreativität 27 34 42 19 21 36 3.29 .00
Teamfähigkeit 57 63 68 64 67 56 1.34 .20
Konfliktfähigkeit 31 23 42 40 30 36 1.78 .08
Leistungswille 51 54 45 42 33 35 2.18 .03
Gehorsam 07 12 18 11 05 04 2.24 .02
(N = ) (157) (146) (102) (98) (78) (130)

(711)


 

Wiederum fällt auf, wie sehr der „Gehorsam" eine eher der traditionell-gewerblichen Wirtschaft zugehörige Charaktertugend darstellt, die in moderneren Industrie- und Dienstleistungsbranchen fast jegliche Bedeutung verliert. Analoges gilt zum Teil auch für die Rechenkenntnisse, die (abgesehen von der Bauindustrie) in der Metallbranche und im Detailhandel eine hohe, im Elektronik- und Bankenbereich hingegen eine eher bescheidene Bedeutung haben. Eine mögliche Erklärung dafür besteht darin, dass nur in traditionell-gewerblichen Rollenstrukturen (wie z. B. im Service von Gaststätten) vom Einzelindividuum exakte Rechenleistungen gefordert werden, während in moderneren Milieus meist der Taschenrechner oder Computer derartige Leistungen (viel zuverlässiger) erbringt. Hier werden dann meist auch in erhöhtem Umfang EDV-Kenntnisse gefordert. Diese Ergebnisse lassen jedenfalls den Schluss zu, dass EDV- und Rechenkenntnisse als zwei völlig verschiedenartige Qualifikationen wahrgenommen werden: so dass der konventionelle schulische Mathematikunterricht nicht als tauglich erachtet wird, um die Schüler an die Informatik heranzuführen. Mit einer analogen Argumentation liesse sich erklären, warum auch der „Leistungswille" in moderneren Branchen eher an Bedeutung verliert. Der Grund dafür mag darin liegen, dass die Arbeitsleistungen nur unter relativ traditionellen Arbeitsverhältnissen sehr unmittelbar vom Einsatzwillen der einzelnen Mitarbeiter abhängig sind, während sie in moderneren Firmen sehr viel stärker durch Eigenschaften der Technologie und der Organisation vermittelt werden.
 
 

3.2 Die begrenzte Bedeutung der Firmengrösse

Bereits die empirischen Arbeiten von Melvin Kohn (1971) haben die konventionelle These widerlegt, dass Grossfirmen infolge ihres hohen Bürokratisierungsgrades der Autonomie und Selbstentfaltung ihrer Mitarbeiter stärkere Hemmnisse als Kleinbetriebe auferlegen würden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass grössere Betriebe meist vielfältigere (und darunter auch innovativere) Aktivitäten betreiben und infolge ihrer hohen Binnendifferenzierung besser in der Lage sind, bei der Rollengestaltung und –zuteilung auf die Wünsche und Fähigkeiten verschiedener Mitglieder Rücksicht zu nehmen. 
Damit mag es zusammenhängen, dass die Grossbetriebe (mit über 300 Mitarbeitern) von der Schule am häufigsten eine Förderung der „Eigeninitiative" fordern. Auch der Bedarf nach „Konfliktfähigkeit" und „Teamfähigkeit" nimmt mit wachsender Firmengrösse signifikant zu: wahrscheinlich deshalb, weil sie ihre Mitarbeiter am Arbeitsplatz mit einem komplexeren sozialen Umfeld konfrontieren, das von allen Beteiligten hohe soziale Kompetenzen erfordert (Tab. 4)  Im steigenden Anspruch auf bessere Englischkenntnisse mag sich widerspiegeln, dass Grossfirmen meist auch ein umfangreicheres externes Umfeld besitzen, das höhere Fremdsprachenkenntnisse nötig macht. Dies gilt allerdings nicht für Französischkenntnisse, die bei den mittelgrossen Firmen (die wahrscheinlich häufig binnenwirtschaftlich ausgerichtet sind) auf die (relativ) grösste Nachfrage stossen. Wiederum erweisen sich „Rechenkenntnisse", „Leistungswille" und „Gehorsam" als drei eher traditionelle Qualifikationen, die in kleinbetrieblichen Verhältnissen ihre grösste (und bei Firmen mit über 150 Beschäftigten die geringste) Bedeutung haben. Dieses Ergebnis unterstützt die oben formulierte These, dass sowohl die Arbeitsleistungen wie die Verhaltenskonformitäten in moderneren betrieblichen Milieus vorrangig durch technische und organisatorische Faktoren gesteuert werden, so dass individuelle Disziplinleistungen an Bedeutung verlieren. Interessant ist schliesslich die kurvilineare Korrelation mit den EDV-Kenntnissen, die in den mittelgrossen Betrieben (zwischen 20 und 150) am häufigsten als mangelhaft empfunden werden. Möglicherweise liegt der Grund darin, dass grosse Firmen hinreichende Möglichkeiten sehen, Mängel in diesem Bereich durch eigene, betriebsinterne Weiterbildungsmassnahmen zu reduzieren.


 
Tabelle 4: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung verschiedener
Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach Betriebsgrösse (alle Firmen)
.
 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern:

Betriebsgrösse (Anzahl Mitarbeiter)

   
unter 20 20-70 71-150 151-300 Über 300 F Sign.
Deutsche Sprache 41 46 39 48 47 2.23 .063
Französische Sprache 21 27 29 27 19 2.66 .031
Englische Sprache 38 45 45 45 46 2.42 .047
Rechnen/Mathematik 47 43 38 34 37 3.63 .006
Naturwissenschaften 10 07 05 04 07 2.58 .036
Kunst, Musik, Kultur 04 03 02 02 02 1.49 .202
Wirtschaft, Recht, Staat 26 29 28 29 32 1.07 .370
EDV-Kenntnisse 46 57 59 54 50 4.38 .002
Eigene Initiative 71 69 73 73 81 2.64 .032
Kreativität 31 28 36 32 32 1.84 .118
Teamfähigkeit 59 60 64 74 73 5.74 .000
Konfliktfähigkeit 31 33 38 45 41 4.18 .002
Leistungswille 51 48 49 48 38 2.29 .05
Gehorsam 12 10 06 03 04 6.32 .000

(N= )

(651) (617) (278) (164) (185)

(1985)


 

3.3 Exportorientierung

Im Vergleich zu rein binnenwirtschaftlich orientierten Unternehmen operieren Exportfirmen in einer komplexeren und unberechenbareren Umwelt, in der es gilt, mit den Leistungskapazitäten der weltbesten Konkurrenzfirmen Schritt zu halten, gegenüber fremden Kulturen und Gesellschaften sensitiv zu sein und sich durch andauernde raumübergreifende Interaktionen ständig um die Aufrechterhaltung bestehender (bzw. die Gewinnung neuer) Marktanteile zu bemühen. 

Der seit langem anhaltende Exporterfolg der Schweizer Wirtschaft mag als Hinweis dafür gelten, dass die Absolventen hiesiger Schulen hinreichend in der Lage sind, diese besonderen Herausforderungen zu bestehen. Dennoch stellt sich angesichts der voranschreitenden Globalisierung der Absatzmärkte und der wachsenden Intensivierung der Konkurrenz die Frage, welche Schulreformen geeignet (bzw. gar unumgänglich) sein werden, um die aktuelle Stellung auf den Auslandmärkten aufrechtzuerhalten. 

Die von der Exportorientierung ausgehenden Einflüsse auf den Qualifikationsbedarf werden deutlich, wenn man Firmen, die den grössten Teil (über 60%) ihrer Produkte im Ausland verkaufen, mit rein binnenwirtschaftlich orientierten Unternehmungen vergleicht (Tab. 5) 

Der hauptsächliche Unterschied besteht offensichtlich darin, dass sehr viel häufiger bessere Englischkenntnisse nachgefragt werden, während der Bedarf nach landessprachlichen Fähigkeiten (deutsch und französisch) eher sinkt. Auch die Forderung nach mehr Informatikkenntnissen erscheint naheliegend angesichts der Tatsache, dass Exportfirmen häufig technologisch fortgeschritteneren Branchen angehören und infolge ihrer weitgespannten Interaktionen verstärkt auf moderne IuK-Technologien angewiesen sind. Schliesslich kann auch das Bedürfnis nach höherer „Konfliktfähigkeit" nicht überraschen, wenn berücksichtigt wird, wie sehr Exportaktivitäten mit gesteigerten Anforderungen an Sozialkompetenz einhergehen, weil es darauf ankommt, in komplexeren transnationalen und transkulturellen Interaktionsbeziehungen erfolgreich zu bestehen.


 
Tabelle 5: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung
verschiedener Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach Exportorientierung der Firma
.
 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern: Keine
Exporte
Exporte
über 60%
des Umsatzes
T Sign.
Deutsche Sprache 45 37 2.20 .03
Französische Sprache 24 19 1.95 .05
Englische Sprache 34 66 9.15 .00
Rechnen/Mathematik 45 38 2.10 .04
Naturwissenschaften 07 09 1.15 .24
Kunst, Musik, Kultur 04 02 2.17 .03
Wirtschaft, Recht, Staat 28 24 1.13 .26
EDV-Kenntnisse 48 59 2.76 .01
Eigene Initiative 74 70 .94 .35
Kreativität 31 36 1.42 .16
Teamfähigkeit 62 68 1.80 .07
Konfliktfähigkeit 34 41 1.91 .05
Leistungswille 49 45 1.15 .25
Gehorsam 12 05 3.37 .01
(N = ) (759) (237)

(996)

Spiegelbildlich dazu verringert sich das Gewicht auf „Rechnen" und „Gehorsam" : d. h,. jenen konventionellen Disziplinleistungen, von denen bereits oben gezeigt wurde, dass sie eher der traditionell-gewerblichen Arbeitswelt angehören.  Die insgesamt stärkere Fokussierung auf rein instrumentale Nutzqualifikationen mag schliesslich der Grund sein, warum Exportfirmen sich noch weniger als Binnenmarktfirmen den „Luxus" leisten, von der Grundschule den Ausbau kultureller Fächer (bzw. eine stärkere Vermittlung sozialwissenschaftlicher Kenntnisse) zu fordern.
 

3.4 ISO-Zertifizierung

Unter „ISO 9000" versteht man das weltweit am meisten verbreitete branchenunabhängige Qualitäts-Managementsystem, das ursprünglich im Industriebereich entwickelt worden ist, heute aber immer mehr auch im Dienstleistungssektor Anwendung findet. Es besteht aus einer grossen Zahl von Normen, deren Einhaltung eine Firma in die Lage versetzen soll, in allen ihren Verfahrensweisen und Produkten ein zuverlässig hohes Qualitätsniveau zu stabilisieren. Dadurch soll erreicht werden, dass eine Firma weltweit den Ruf hoher Professionalität und Vertrauenswürdigkeit gewinnt. 
Wenn eine Firma diese Zertifizierung anstrebt, wird sie in allen Bereichen zu einer Vielzahl von Massnahmen (von der Gestaltung der Organisation, Technologie und Verfahrensweisen bis zur Personalrekrutierung) genötigt, die auf ihren Bedarf nach Arbeitsqualifikationen einen unmittelbaren Einfluss haben. Dies ist deshalb so, weil die ISO-Normen auf die Schaffung einer generalisierten innerbetrieblichen „Problemlösekultur" ausgerichtet sind, die nur geschaffen werden kann, wenn jeder Mitarbeiter selbst (bzw. im Rahmen eines teilautonomen Arbeitsteams) in seiner je spezifischen Rolle entsprechende Mitverantwortung übernimmt (vgl. z. B. Zuckerman 1994; Seidler 1996). 
Weil die ISO-Zertifizierung vor allem für Exportfirmen immer mehr zu einer conditio sine qua non einer erfolgreichen Auslandtätigkeit wird, ist die Frage von grosser Bedeutung, welche zusätzlichen Qualifikationsanforderungen auf Rollenebene damit einhergehen und welche Auswirkungen auf das obligatorische Schulsystem allenfalls daraus entstehen (Valenti 1993). 
Wie aus Tabelle 6 ersichtlich wird, sind es teilweise dieselben, die bereits mit der Exportorientierung generell verbunden sind: der Bedarf nach Englisch- und EDV-Kenntnissen sowie nach „Konfliktfähigkeit" nimmt zu, während einerseits der Bedarf nach Deutschkenntnissen und andererseits vor allem der „Gehorsam" drastisch an Bedeutung verliert. 
Hierin zeigt sich deutlich, dass die ISO-Philosophie (wie auch das „Total Quality Management" generell) 
a) dazu beiträgt, die Unternehmung stärker in transnationale Interaktionsbeziehungen (bzw. eine globale Unternehmenskultur) zu integrieren; 
b) nicht auf den klassischen Modellen bürokratischer Konformität aufbaut, sondern den einzelnen Erwerbstätigen (auch auf Mitarbeiterebene) als autonom entscheidungs- und handlungsfähigen Akteur ins Zentrum stellt.
 
 

Tabelle 6: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung
verschiedener Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach ISO-Zertifizierung (1992-97).

 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern: ISO-Zertifizierung:
nein
ISO-Zertifizierung:
 
ja
F Sign.
Deutsche Sprache 46 39 7.18 .01
Französische Sprache 24 24 .07 .80
Englische Sprache 40 48 11.14 .00
Rechnen/Mathematik 42 42 .02 .86
Naturwissenschaften 08 07 .04 .84
Kunst, Musik, Kultur 04 02 6.15 .01
Wirtschaft, Recht, Staat 28 28 .01 .91
EDV-Kenntnisse 51 56 3.73 .05
Eigene Initiative 71 75 2.65 ..10
Kreativität 30 34 3.06 .08
Teamfähigkeit 62 65 2.27 .13
Konfliktfähigkeit 34 39 5.35 .02
Leistungswille 50 45 3.91 .05
Gehorsam 11 05 16.38 .00
(N = ) (1245) (591) (1836)

 

3.5 Der kulturelle Einfluss der Sprachregionen

In der föderalistischen Schweiz haben die einzelnen Kantone während der vergangenen 150 Jahre verschiedenartige Schulsysteme ausgebildet, von denen anzunehmen ist, dass sie auch die Bedürfnisse der Wirtschaft in unterschiedlichem Masse erfüllen. Da auch die mannigfachen Schulreformen der letzten Jahrzehnte überwiegend im engen Rahmen kantonaler (oder sogar kommunaler) Jurisdiktionen stattgefunden haben, haben sich diese Differenzierungen in jüngerer Zeit wahrscheinlich eher noch verstärkt. Aber auch diese Bedürfnisse der Arbeitgeberseite mögen regionale Divergenzen aufweisen, in denen sich unterschiedliche kulturelle Wertmuster, Arbeitseinstellungen oder Organisationsstile widerspiegeln. So ist insbesondere davon auszugehen, dass in der deutschen Schweiz eine dem benachbarten Deutschland ähnliche Arbeitskultur vorherrscht, während in der West- und Südschweiz eher Einflüsse aus dem romanischen Sprachraum Europas dominieren. 
Solch nachfrageseitige Unterschiede mögen beispielsweise zur Erklärung des Faktums herangezogen werden, dass in der deutschen Schweiz mehr als 50 Prozent aller Betriebe von der Schule eine stärkere Gewichtung des "Leistungswillens" fordern, während in der Westschweiz nur 38% und im Tessin gar nur 13% (!) aller Informanten einen Verbesserungsbedarf erblicken. Analog dazu wird auch die „Eigeninitiative" im germanischen Sprachraum signifikant häufiger als in den beiden übrigen Landesteilen genannt. (Tab. 7). Umgekehrt verhält es sich mit der Forderung nach mehr „Gehorsam", die in den romanischen Sprachregionen stärkere Unterstützung findet, sowie mit den Kenntnissen in Rechnen und Mathematik, die Firmen in der Romandie am häufigsten Defizite registrieren. So entsteht der Eindruck, dass die im Rahmen der „lean production" emergierende neue Arbeitskultur, in der die autonome Selbststeuerung des Erwerbstätigen im Mittelpunkt steht, in der deutschen Schweiz stärkeren Boden findet als in der West- und Südschweiz, wo zumindest nischenweise noch ein traditionelleres (an konformer sozialer Anpassung orientiertes) Arbeitsmodell besteht.10)
 

Tabelle 7: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung
verschiedener Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach Sprachregion der Firma.


 
Firmenstandort (Sprachregion)
   
Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern: deutsch Französisch italienisch F Sign.
Deutsche Sprache 44 49 15 18.16 .00
Französische Sprache 19 38 52 47.75 .00
Englische Sprache 42 46 51 1.99 .13
Rechnen/Mathematik 40 54 44 12.00 .00
Naturwissenschaften 07 07 .06 .108 .90
Kunst, Musik, Kultur 03 04 3 .44 .65
Wirtschaft, Recht, Staat 31 20 16 11.60 .00
EDV-Kenntnisse 52 53 62 2.51 .12
Eigene Initiative 75 63 56 17.53 .00
Kreativität 31 32 17 4.29 .02
Teamfähigkeit 64 57 62 3.60 .03
Konfliktfähigkeit 35 33 33 .35 .70
Leistungswille 53 38 13 39.58 .00
Gehorsam 8 12 11 2.92 .05
(N = ) (1446) (367) (93) (1906)


In der stärkeren Nachfrage nach Kenntnissen über Wirtschaft, Recht und Staat mag zum Ausdruck kommen, dass im deutschsprachigen Kulturraum eher eine „civic culture" vorherrscht, innerhalb der Arbeitsrollen im Lichte gesellschaftlicher Relevanz und öffentlicher Verantwortung wahrgenommen werden, während in den romanischen Landesteilen eine eher „privatistische" (d. h. gegenüber dem öffentlich-politischen Raum stark segregierte) Auffassung der Arbeitswelt dominiert. Spektakulär ausgeprägt ist schliesslich die Asymmetrie, dass die Förderung der Französischen Sprache in der Deutschschweiz sehr wenig Priorität geniesst, während die französischsprachigen Betriebe umgekehrt der Förderung der Deutschkenntnisse sehr viel mehr Bedeutung beimessen. Dies mag mit der bekannten Regularität zusammenhängen, dass zahlreiche Westschweizer Firmen von deutschsprechenden Managern geleitet werden, mit Firmen der deutschen Schweiz eng verflochten sind und/oder im Rahmen ihrer gesamtschweizerischen Aktivitäten logischerweise in einem überwiegend deutschsprachigen Markt operieren. Ganz anders verhalten sich allerdings die Tessiner Firmen, die kaum Deutschkenntnisse verlangen, hingegen der Beherrschung der französischen (und englischen) Sprache umso höheres Gewicht beimessen. Ungeachtet aller kulturellen Unterschiede herrscht über alle drei Landesteile Übereinstimmung über das Ausmass, in dem Teamfähigkeit, Englischkenntnisse und Informatikkenntnisse eine stärkere Förderung verdienten. Hier zeigt sich ein interregionaler Kernkonsens, an dem gesamtschweizerische Bildungsreformen (z. B. im Rahmen der interkantonalen Erziehungsdirektorenkonferenz) zukünftig Ansatzpunkte finden können.
 
 
3.6 In- und ausländische Firmen

Ausländische Firmen unterscheiden sich von Schweizer Unternehmen häufig dadurch, dass sie eine andere, in fremden Ländern entstandene Arbeits- und Organisationskultur in unser Land hineintragen und zu diesem externen Ursprungskontext, in dem sich die Muttergesellschaft befindet, relativ rege Interaktionsbeziehungen aufrechterhalten. Dies wird dann in besonderem Masse gelten, wenn das Management der Schweizer Filiale völlig von Repräsentanten des Herkunftskontexts dominiert wird (wie häufig bei japanischen Firmen), und wenn die Filiale (infolge relativ kürzlicher Gründung) noch nicht genug Zeit hatte, um sich an den einheimischen Kontext zu assimilieren. Im besonderen zeigt sich diese Andersheit darin, dass ausländische Filialen dem dualen System der Lehrlingsausbildung, das intensive Kooperationsbeziehungen zwischen Unternehmen, Staat und Berufsschulen voraussetzt, mit relativ wenig Verständnis gegenüberstehen und sich deshalb oft mangelhaft oder gar nicht an der beruflichen Grundausbildung mitbeteiligen.
 Tabelle 8 zeigt, dass sich einheimische und ausländische Betriebe in der Beurteilung schulischer Leistungsdefizite in den meisten Aspekten wenig oder kaum unterscheiden. Vor allem konvergieren sie darin, dass sie am häufigsten mehr Eigeninitiative und Teamfähigkeit fordern und auch ungefähr dasselbe Gewicht auf muttersprachliche und informatische Kenntnisse legen. Die grössten Divergenzen liegen darin, dass Auslandfilialen sich aus naheliegenden Gründen bessere Englischkenntnisse wünschen und dafür seltener mangelhafte Rechenfähigkeiten und Gehorsamkeit monieren. Auch ihre höhere Gewichtung der „Konfliktfähigkeit" ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, dass innerhalb ausländischer Firmen im Regelfall eine „multikulturelle" Organisations- und Arbeitswelt besteht, die von allen Beteiligten höhere Sozialkompetenzen fordert.
 

Tabelle 8: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung
verschiedener Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach Nationalität der Firma
.
 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern: In Schweizer Besitz In ausländischem Besitz F Sign.
Deutsche Sprache 43 43 .04 .84
Französische Sprache 24 28 1.38 .24
Englische Sprache 41 61 23.51 .00
Rechnen/Mathematik 44 27 16.61 .00
Naturwissenschaften 08 04 3.07 .08
Kunst, Musik, Kultur 3 2 .99 .32
Wirtschaft, Recht, Staat 28 28 .00 .93
EDV-Kenntnisse 52 59 3.46 .06
Eigene Initiative 72 71 .05 .82
Kreativität 31 30 .02 .88
Teamfähigkeit 63 63 .02 .89
Konfliktfähigkeit 34 43 4.40 .04
Leistungswille 48 44 1.19 .28
Gehorsam 09 03 6.84 .01
(N = ) (1751) (155) (1906)

 

3.7 Expandierende und kontrahierende Firmen

Aus zwei Gründen ist es fruchtbar, die Qualifikationsanforderungen expandierender, stagnierender und schrumpfender Firmen miteinander zu vergleichen.  Erstens ist es eine logische Implikation, dass expandierende Unternehmen einen immer grösseren (und schrumpfende einen immer geringeren) Prozentanteil des Arbeitsmarkts konstituieren. So kann man erfahren, wie sich die Schule ändern sollte, um diesen Wandlungen quantitativer Art Rechnung zu tragen. Und zweitens lässt sich eruieren, welche Qualifikationsbedürfnisse bei jenen prosperierenden Firmen eigen sind, die erfolgreicher als andere sind, weil sie ertragreichere Marktnischen besetzen, effizientere Technologien und Verfahrensweisen anwenden und/oder sich besser an ihre Umwelt adaptieren. 

Aus der Tabelle 9 wird ersichtlich, dass zwischen Firmenentwicklung und Qualifikationsbedarf nur bescheidene Zusammenhänge bestehen. Vor allem wird der Bedarf nach Eigeninitiative und nach Sozialkompetenzen (Team- und Konfliktfähigkeit) sowie nach besserer Beherrschung der Landessprachen in keiner Weise davon berührt. Hingegen kann nicht überraschen, dass expandierende Unternehmen häufiger einen Bedarf nach besseren Englisch- und Informatikkenntnissen artikulieren, da sie eher moderne Technologien anwenden und in einem internationalen Marktumfeld operieren. Diese Bedürfnisse gehen auf Kosten der bereits bekannten „traditionellen Arbeitstugenden" (Leistungswille und Gehorsam) sowie der Rechenkenntnisse, die bei den kontrahierenden Firmen (bzw. bei den Unternehmungen rückläufiger Branchen) noch stärkeren Anklang finden.
 

Tabelle 9: Prozentsatz der Unternehmen, die von der Primar- und Sekundarschule eine stärkere Gewichtung
verschiedener Kenntnisse und Fähigkeiten fordern: nach Expansion oder Schrumpfung der Firma (1995-97)"

 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker fördern: Expandierende Firmen Schrumpfende Firmen F Sign.
Deutsche Sprache 44 43 .62 .53
Französische Sprache 25 24 .50 .61
Englische Sprache 51 37 4.82 .00
Rechnen/Mathematik 37 44 2.34 .02
Naturwissenschaften 09 07 1.19 .23
Kunst, Musik, Kultur 03 04 -.76 .49
Wirtschaft, Recht, Staat 29 29 .15 .87
EDV-Kenntnisse 58 48 3.48 .00
Eigene Initiative 72 73 -.57 .58
Kreativität 33 33 -.77 .88
Teamfähigkeit 64 62 .75 .45
Konfliktfähigkeit 36 36 -.25 .80
Leistungswille 46 51 1.96 .05
Gehorsam 7 12 3.18 .02
(N = ) (691) (530) (1221)

* Die Firmenentwicklung wurde danach gemessen, ob die gesamte Belegschaft des Betriebs im Zeitraum 1995-1997 grösser oder kleiner geworden ist.
 
 

3.8 Identifikation der verschiedenen Kausalwirkungen durch zusammenfassende multivariate Analysen

Die bisher präsentierten bivariaten Ergebnisse haben über die realen Kausalwirkungen der einzelnen Prädiktoren keinen zuverlässigen Aufschluss vermittelt, weil aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Interkorrelationen mit Scheinbeziehungen gerechnet werden muss. So muss beispielsweise berücksichtigt werden, dass grössere Unternehmen sowie Firmen ausländischer Nationalität überdurchschnittlich häufig eine ausgeprägte Exportorientierung aufrechterhalten, die ihrerseits wiederum erheblich mit der Prävalenz von ISO-Zertifizierung korreliert. 
Um die unabhängigen statistischen Erklärungsbeiträge der sechs Faktoren zu bestimmen, wurde die Methode der logistischen Regression verwendet, die ähnlich wie die Diskriminanzanalyse auf dichotome abhängige Variablen ausgerichtet ist, im Unterschied zur letzteren aber auch Prädiktoren auf nominalem (oder ordinalem) Messniveau erlaubt.
 

Tabelle 10: Erklärungsmodelle für die perzipierten Schuldefizite in Englisch, EDV, Rechnen und Gehorsam:
multivariate logistische Regressionen.

 

 

 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten fördern:
Englische Sprache EDV-Kenntnisse Rechenkenntnisse Gehorsam
WALD Sign. WALD Sign. WALD Sign. WALD Sign.
Anzahl Beschäftigte 1996 (+) 1.00 .32 (+)1.96 .16 (-) .92 .34 (-).44 .50
Exportorient. (%  des Umsatzes) (+)51.61 .00 (+) 5.25 .02 (-)1.76 .18 (-) 5.76 .02
ISO-Zertifizierung (1992-97) (+).01 .92 (+) 1.05 .31 (-) .49 .48 (-) 1.03 .31
Nicht-deutsche Sprachregion (+) 5.60 .02 (+) 3.77 .05 (+)17.04 .00 (+) 8.51 .01
Ausländische Nationalität (+) 3.44 .06 (+) .95 .33 (-)10.22 .00 (-) 2.45 .12
Expansion der Belegschaft (95-97) (+)11.00 .01 (+)10.88 .01 (-)15.36 .00 (-) 4.18 .12
Konstante (+) 2.92 .09 (+) 8.64 .01 7.89 .00 (-)18.80 .00
R2 (Cox & Snell) .081 .025 .041 .030
(N = ) (1258) (1258) (1258) (1258)

Aus den Ergebnissen (Tab. 10) geht hervor, dass der kulturelle Einfluss, der von der Sprachregion ausgeht, insofern die bedeutsamste Erklärungsvariable darstellt, als sie als einzige bei allen vier abhängigen Variablen eine eigenständige signifikante Erklärungskraft entfaltet. Ähnliches Gewicht hat die Firmenexpansion, die den Bedarf an Gehorsamsleistungen zwar nicht signifikant beeinflusst, andererseits aber die Forderung nach besseren EDV-Kenntnissen am stärksten mitdeterminiert. An dritter Stelle steht die Exportorientierung, die in dramatisch hohem Umfang den Bedarf nach Englischkenntnissen bestimmt.  Wenig Gewicht bleibt für den Faktor „Nationalität", der nur den Bedarf nach Rechenkünsten (negativ) mitbeeinflusst, und als völlig bedeutungslos erweisen sich Firmengrösse und ISO-Zertifizierung, deren bivariate Korrelationen offensichtlich darauf beruhen, dass sie in hohem Masse mit anderen Prädiktoren (insbesondere der Exportorientierung) kovariieren.
 
 
 3.9 Auswirkungen auf das Lehrstellenangebot?

Die Vermutung liegt nahe, dass Arbeitgeber, welche die Qualifikation von Schulabsolventen unter dem Blickwinkel ihrer Firmenbedürfnisse als ungenügend beurteilen, die Zahl ihrer Lehrlinge eher gering halten oder sogar ganz auf berufliche Grundausbildung verzichten.  Wenn dies so wäre, so könnten wirtschaftsorientierte Schulreformen ein geeignetes Mittel sein, um insbesondere Firmen mit anspruchsvollen, zukunftsträchtigen Berufen zu einem Mehrangebot an begehrten Lehrstellen zu bewegen. 
Eine gewisse Klärung dieser Frage ergibt sich dadurch, dass man die Perzeption verschiedener Schuldefizite mit dem Lehrlingsanteil der betreffenden Firma korreliert. So zeigt Tabelle 11, dass Firmen, welche den Schulabsolventen mangelhafte Englisch-, Französisch- und EDV-Kenntnisse oder ungenügende Sozialkompetenzen vorwerfen, signifikant weniger Lehrstellen anbieten als Betriebe, die hier keine Förderungsbedürfnisse sehen. Genau umgekehrt verhält es sich allerdings beim Leistungswillen und – ausserordentlich stark – bei den Rechenkenntnissen, wo es die unzufriedenen Firmen sind, die den höchsten Lehrlingsanteil besitzen. Möglicherweise besteht hier die umgekehrte Kausalität, dass Unternehmen, die aus betrieblichen Gründen auf zahlreiche Lehrlinge angewiesen sind (z. B. Detailhandel), nolens volens häufig auch auf Schulabsolventen zurückgreifen müssen, die diese zwei Qualifikationen nur in ungenügendem Mass besitzen. Natürlich müsste man zur schlüssigen Beantwortung solch kausaler Fragen wissen, von welchen Motiven sich die Firmen bei der Neuschaffung oder Reduktion von Lehrstellen leiten lassen, und in welchem Umfang allenfalls der Berufsschule zugemutet wird, allfällige Mängel der obligatorischen Schulausbildung zu kompensieren. Immerhin geben die Ergebnisse Raum für die Vermutung, dass mangelhafte Fremdsprachen- und Computerkenntnisse einerseits und ungenügende soziale Kompetenzen andererseits gewisse Firmen mit ein Grund sein könnten, auf die Einstellung von Lehrlingen zu verzichten und ihre Rekrutierung stattdessen eher auf bereits ausgebildete (bzw. fortgebildete) Stellenbewerber zu konzentrieren.
 

Tabelle 11: Zusammenhang zwischen perzipierten Mängeln im Schulunterricht
und dem Prozentanteil der Lehrlinge an der Gesamtbelegschaft.

 

Die Schule sollte folgende Fähigkeiten stärker vermitteln: Eta F-Wert sign.
Deutsche Sprache +.04 2.23 .14
Englische Sprache -.10 18.15 .00
Französische Sprache -.08 10.35 .00
Rechnen/Mathematik +.20 70.04 .00
EDV-Kenntnisse -.09 12.19 .00
Eigene Initiative +.04 2.98 .08
Teamfähigkeit -.06 7.05 .01
Konfliktfähigkeit -.07 8.10 .00
Leistungswille +.07 8.42 .01
(N = )
(1725)

 

4. Schlussfolgerungen

Als Hauptergebnis dieser empirischen Analyse beeindruckt das Ausmass, in dem verschiedenste Unternehmungen in ihren Forderungen nach verbesserter Schulausbildung miteinander konvergieren. 
Unabhängig von der Branchenzugehörigkeit, Firmengrösse, Exportorientierung, Nationalität, Sprachregion sind die Informanten mehrheitlich der Ansicht, dass 
- die Bereitschaft zur persönlichen Eigeninitiative am Arbeitsplatz 
- die innerbetriebliche Kooperationsbereitschaft und Teamfähigkeit
im heutigen Schulsystem unzureichend vermittelt würden und in der Schule von morgen deshalb eine vermehrte Förderung verdienten. Dieses Ergebnis stimmt gut mit dem Tenor der internationalen Forschung überein, dass Unternehmen den generelleren „employability skills" grösseres Gewicht als dem schulischen Fachwissen zumessen würden (vgl. Cotton 1993 u.a.). 
Noch grösser ist allerdings der Konsens darüber, dass die Kenntnisse der Realfächer – mit einer gewissen Ausnahme des Wissens über Wirtschaft, Recht und Politik - nichts zu wünschen übrig lasse – wobei zwischen naturwissenschaftlichen und kulturellen Fächern interesssanterweise kaum ein Bewertungsunterschied besteht. 
Eher geteilt – und je nach Firmenmerkmalen stärker variabel - sind demgegenüber die Meinungen darüber, ob der Unterricht in den klassischen Schulfächern (Sprache, Rechnen) ausgedehnt werden oder der Vermittlung von Computerkenntnissen oder der Englischen Sprache mehr Gewicht beigemessen werden sollte, oder ob „Konfliktfähigkeit" oder „Leistungswille" auch zum Kanon der relevanten Schlüsselqualifikationen gehören. Hier zeigt sich, dass zwei Variablen von vorrangiger kausaler Bedeutung sind, die beide eher die Organisationsumwelt als die binnenorganisatorischen Verhältnisse betreffen. 
Auf der einen Seite ist es der kulturelle Einfluss der Sprachregion, der sich auf ein besonders breites Spektrum verschiedener Qualifikationen erstreckt. So herrscht im deutschen Sprachraum eher eine klassisch-protestantische Arbeitskultur vor, in der „Leistungswille" und „Eigeninitiative" das Anforderungsprofil dominieren, während in den romanischen Landesteilen eher eine schulnähere „bürokratische" Auffassung der Rollenerfordernisse zu finden ist, in der Rechen- und Sprachkenntnisse (sowie in gewissem Ausmass auch Konformitätsbereitschaft) im Vordergrund stehen.  Zum zweiten ist die Exportorientierung zu nennen, die bewirkt, dass sich das Anforderungsprofil sehr viel stärker auf englische Sprachkenntnisse (und etwa weniger stark auf Computerkenntnisse) verschiebt.  Generell fällt auf, wie sehr einerseits Englisch- und Informatikkenntnisse als zukunftsträchtige Kenntnisse zu betrachten sind, weil sie in modernen, expansiven Wirtschaftszweigen die grösste Bedeutung haben, während Rechenkenntnisse und Gehorsamsleistungen genau umgekehrt zwei Ingredienzien einer traditionell-gewerblichen Arbeitskultur zu sein scheinen, die in fortgeschritteneren, auslandoffenen Sektoren erheblich an Relevanz verlieren. 

Für die Schule erheben sich daraus eine Reihe von Reformimplikationen, die zu höchst unterschiedlichen Umsetzungsmassnahmen zwingen. Die geringste Mühe dürfte sie – von kulturpolitischen Widerständen abgesehen – mit der Forderung nach Ausbau des Englischunterrichts haben, weil es sich hier um ein konventionelles Sprachfach handelt, das im Medium hergebrachter pädagogischer Verfahrensweisen und Organisationsstrukturen vermittelt werden kann. Bereits mehr Probleme wird der Ausbau des Computer- und Informatikunterrichts mit sich bringen, weil es hier darum geht, auf die neuen Lernmöglichkeiten des PC und des Internet Rücksicht zu nehmen und dem äusserst raschen Wandel der Wissensbestände (der wie oben (1.2) erwähnt einer institutionellen Vermittlung Grenzen setzt), Rechnung zu tragen. Noch grössere Schwierigkeiten bietet die Forderung, den Schülern bessere Sozialkompetenzen (z. B. Team- und Konfliktfähigkeit) beizubringen, weil es dazu nötig ist, die schulinternen Organisations- und Vermittlungsformen so zu verändern, dass sich der Schwerpunkt von individualorientierten zu gruppenorientierten Leistungen (und Leistungsbewertungen) verschiebt. Weil es sich bei Sozialkompetenzen um personengebundene, nicht im Medium expliziten Wissens objektivierbare Qualifikationen handelt, gibt es grundsätzliche Schranken beim Versuch, sie systematisch zu vermitteln (und die Erfolge solcher Vermittlungen im konventionellen Sinn zu (über-)prüfen).  Schier aussichtslos müssen schliesslich alle Reformversuche erscheinen, die zum Ziel haben, individuelle Selbstqualifikationen (z. B. Begabungen wie „Kreativität" oder Charaktertugenden wie z. B. „Eigeninitiative") wesentlich zu steigern. Hierzu müsste die Schule von äusserst fundamentalen Grundsätzen ihres bisherigen pädagogischen Handelns Abschied nehmen: etwa von der Prämisse, dass Lehrer (bzw. Schulen) für die Lern- und Leistungsmotivation der Schüler nicht verantwortlich seien, weil es sich hier um individuell zugeschriebene (bzw. bereits in der frühkindlichen Familiensozialisation vorgeprägte) Charaktermerkmale handle. 

Ganz zum Schluss sei nicht ohne Befriedigung vermerkt, dass die Arbeitgeber gewisse Schulfächer (insbesondere Realfächer) praktisch vollständig aus ihrem Forderungskatalog auszuschliessen scheinen. Hier befindet sich das grosse Feld, wo das Bildungssystem seine eigenen pädagogischen Werte und Zielsetzungen entfalten kann (ja sogar muss), die nicht von utilitären Interessen der Wirtschaft beeinflusst werden. Im Grunde ist diese Situation für die Schule wohl vorteilhafter, als wenn die Privatwirtschaft auf die Vermittlung ganz bestimmter - auf ihre Bedürfnisse zugeschnittener - Kenntnisse der Geschichte, Kultur und Naturwissenschaft Wert legen würde.
 
 

Anmerkungen

1) Beispielsweise hat die seit 1990 schwelende Rezession erwartungsgemäss dazu geführt, dass Behinderte schwerer eine Arbeitsstelle finden (vgl. Sonderegger 1994; Jordi 1995). Diese wachsende Ausgrenzung marginalerer Bevölkerungssegmente aus dem Erwerbsleben stellt für die Sozialversicherungssysteme (insb. die Invalidenkassen) eine erhebliche Zusatzbelastung dar (Jordi 1995).

2) So hat eine von der Landis & Gyr Immobilien AG bei der Studiengruppe MCR Marketing in Auftrag gegebene Studie (1995) gezeigt, dass Firmen aller Branchen das lokale Angebot an qualifizierten Arbeitskräften als weitaus wichtigstes Standortkriterium betrachten (weit hinter steuerlichen Vorteilen, Kundennähe oder Verkehrsanbindungen. Nicht weniger als 86% (!) aller befragten Firmen erklärten, dass dieses Angebot momentan zu wünschen übrig lasse. ("Mangel an qualifizierten Arbeitskräften" (Berner Zeitung 18. Jan. 1996: 15).

3) Es scheint eher unwahrscheinlich, dass dieser Prozess durch die fortgesetzte Immigration unqualifizierter Ausländer (z. B. Asylsuchende) ähnlich gebremst werden könnte, wie technische Rationalisierungsprozesse in den 60er und 70er Jahren durch den Zustrom von Gastarbeitern verlangsamt worden sind.

4) Vgl. NZZ vom 14. April 1998: S. 13.

5) So z. B. in der Sulzer in Winterthur ("Mehr Teamarbeit für Sulzer-Lehrlinge." (Neue Zürcher Zeitung 20. 3. 1995))

6) Vgl. dazu im selben Artikel Mercedes-Personalchef Heinz Tropitzsch: "Die Frage in den Bewerbungsfragebögen 'Was haben Sie denn sonst noch so gemacht?" hat eine viel grössere Bedeutung, als die Jugendlichen vermuten." (STERN 47, 1995: 193)

7) Tonscheidt, S. I. Tüpfelchen im Lebenslauf (FORUM 13, Heft 2, 1997: 9-12).

8)  Ein Hauptfaktor dabei ist der Abbau mittlerer hierarchischer Niveaus, der zur Folge hat, dass die noch verbleibenden Vorgesetzten mit Linienfunktionen und externen Interaktionen absorbiert sind und infolgedessen keine Zeit mehr haben, um für Lehrlingsausbildung oder andere Sozialisationsausgaben zur Verfügung zu stehen.

9) So müssen in der Schweiz z.B. immer mehr Bau- und Maschineningenieure aus dem Ausland importiert werden, weil in diesen Bereichen an der ETH immer weniger Neueinschreibungen erfolgen.

10) Dazu passt auch, dass „Kreativität" in den Tessiner Firmen sehr selten als förderungswürdig gilt (Tab. 5
 
 

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