Bibilographische Zitation:
Aktuelle Trends im Lehrstellenangebot Ergebnisse einer empirischen Studie (Oktober 1998) Das Lehrstellenangebot der Privatwirtschaft unterliegt - in quantitativer und qualitativer Hinsicht - komplexen Einflussfaktoren, über deren relatives Gewicht bisher keine klaren Forschungsergebnisse bestehen.
Von höchstem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern sich die momentan wieder sichtbare wirtschaftliche Erholung voraussichtlich auch in einer erneuten Zunahme angebotener Lehrstellen niederschlagen wird, und auf welche Betriebsgrössenklassen und Branchen sich dieses allfällige Wachstum erstreckt. Genaueren Aufschluss über solche Fragen liefern die Ergebnisse einer gesamtschweizerischen Erhebung bei den Personalverantwortlichen von über 2000 Industrie- und Dienstleistungsbetrieben, die (im Rahmen des Schwerpunktprogramms "Zukunft Schweiz") im Frühjahr 1998 durchgeführt worden ist. Geplante Veränderung der Lehrlingszahlen (1998-2000) in Schweizer Industrie- und Dienstleistungsbetrieben: nach Firmengrösse und Wirtschaftssektor (Prozentsatz der Firmen) (Basis: 1518 Betriebe, Befragung Januar bis April 1998)
Die Ergebnisse erlauben den vorsichtigen Schluss, dass sowohl im Industrie- wie im Dienstleistungssektor innerhalb der nächsten zwei Jahre netto eher eine Expansion als eine Kontraktion des Lehrstellenangebots erwartet werden darf. Eine signifikante Ausnahme bildet hingegen die Baubranche, wo bei kleineren Firmen eine stagnierende und bei grösseren eine leicht abnehmende Gesamttendenz überwiegt. Diese Gesamttendenz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere bei den grösseren Firmen (mit über 500 Mitarbeitern) sehr uneinheitliche Verhältnisse stehen. Während die Hälfte von ihnen eine Ausdehnung der Lehrlingszahl anstrebt, haben umgekehrt fast 30% eine (weitere) Reduktion beschlossen. Im letzteren Fall handelt es sich vor allem um Firmen, die stark von der Verflechtung mit dem Ausland betroffen sind. Innerhalb der Industrie wird der Expansionsprozess vor allem von der Metall-, Maschinen-, Elektro- und Elektronikindustrie getragen, während in den traditionelleren Branchen der Nahrungsmittel und Textilindustrie (aber auch in der Chemie und im graphischen Sektor) Stagnation überwiegt. Im Dienstleistungssektor verläuft die Expansionstendenz quer durch praktisch alle Branchen,
im besonderen aber fallen die Banken, Versicherungen und Informatikfirmen auf, die zu über 30% den Vorsatz gefasst haben, zukünftig mehr (bzw. überhaupt etwas) zur beruflichen Grundausbildung beizutragen. Ebenfalls auf den Industriebereich beschränkt ist die Regularität, dass Firmen auf einen akuten Mangel an eigenen Fachkräften mit der Expansion der eigenen Berufsausbildung reagieren. Dies trifft allerdings ausschliesslich auf die technisch-industriellen (nicht die kaufmännisch-administrativen) Lehrstellen zu.
Zu den überraschenden Ergebnissen der Untersuchung gehört schliesslich der Befund, dass Bemühungen um Senkung der Lohnkosten keineswegs in einer Reduktion, sondern im Gegenteil eher in einer Ausdehnung der Lehrplätze münden. Die Schlussfolgerung, dass Lehrlinge eben als billige Arbeitskräfte herhalten müssten, erscheint zwar plausibel, wird aber durch die Gesamtheit der übrigen Ergebnisse nur in geringem Masse gestützt. Um in die für das Lehrstellenangebot verantwortlichen Motive Einblick zu gewinnen, wurden die Informanten gefragt, welche Gründe dafür massgebend seien, dass die Firma nicht eine höhere Zahl von Lehrlingen ausbilde (bzw. überhaupt keine berufliche Grundausbildung betreibe). Bei Firmen ohne Lehrlinge liegt der weitaus am häufigsten genannte Grund darin, dass der Betrieb für die Ausbildung "ungeeignet" sei. Dieses Argument wird bei Kleinbetriebe und mittleren Betrieben gleich häufig (in ca. 60% der Fälle) genannt; und scheint erst oberhalb von 200 Mitarbeitern an Bedeutung zu verlieren. Bezeichnenderweise sind es Firmen sehr moderner Branchen (Elektronik und Informatik), die sich besonders häufig (zu über 65%) als "ungeeignet" deklarieren; andererseits aber auch Unternehmen traditionellerer, aber hoch technologisierter Wirtschaftszweige (z.B. Papier, Graphik und Energie). An zweiter Stelle wird der "Zeitmangel" genannt, der bei ca. jedem vierten Betrieb im Vordergrund steht und bei Betrieben zwischen 20 und 100 Mitarbeitern (vor allem in der Chemie- und Uhrenbranche sowie im Detailhandel) am häufigsten Erwähnung findet. Nur für eine kleine Minderheit von Betrieben (ca. 5-6%) scheinen dagegen Kostengründe massgebend zu sein. Dabei handelt es sich praktisch ausschliesslich um kleinere Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern, die meist der Textilindustrie, dem Baugewerbe oder der Handelsbranche angehören. Fast ebenso selten (bei ca. 9% der Betriebe) wird ins Feld geführt, dass "keine geeigneten Bewerber" für Lehrstellen zur Verfügung ständen. Interessanterweise scheint ein derartiger Mangel bei traditionellen Branchen (Textil, Nahrungsmittel, Gastgewerbe) am meisten verbreitet, während er ausgerechnet in Branchen mit besonders anspruchsvollen Anforderungen (Elektronik und Informatik) keinerlei Bedeutung hat. Hier widerspiegelt sich wohl die Tatsache, dass talentiertere Schulabsolventen bevorzugt in die modernen, zukunftsträchtigen Berufsfelder drängen. Schlussfolgerungen Aufgrund der Daten darf vermutet werden, dass die sich momentan aufhellende Wirtschaftslage - wie sie schon zum Befragungszeitpunkt im Frühjahr absehbar war - sowohl in den industriell-gewerblichen wie auch den kaufmännisch-administrativen Lehrstellen eine netto zumindest eine Stabilisierung des bisherigen Angebots, eher aber eine gewisse Ausdehnung des Angebots zur Folge haben dürfte. Diese quer durch zahlreiche Branchen verlaufende Tendenz wird von Unternehmungen aller Grössenklassen (überdurchschnittlich aber von Grossbetrieben) mitgetragen und erstreckt sich erstaunlicherweise auch auf Firmen, die sich nicht in einer Expansionsphase befinden. Angesichts sich aus demographischen Gründen verringernden Zahl von Lehrstellenbewerbern darf (bzw. muss) in Zukunft in quantitativer Hinsicht eher mit einem Ueberschuss als einem Mangel an Ausbildungsplätzen im Dualsystem gerechnet werden. Unter qualitativen Aspekten gilt allerdings immer noch, dass zuviele Lehrstellen in traditionellen und schrumpfenden Branchen angeboten werden, und zuwenige in den zukunftsträchtigen Sektoren (z. B. Elektronik und Informatik), auf die sich naheliegenderweise auch das Interesse begabterer Jugendlicher stark konzentriert. Diese Ungleichgewichte dürften aber längerfristig überwindbar sein, weil empirisch nichts dafür spricht, dass die duale Lehrausbildung mit moderneren Technologien und Organisationsformen unvereinbar wäre. Last update: 27 März 14 |
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