Soziologisches Institut der Universität Zürich

Lehrstuhl Prof. Dr. Geser

Home: Projekt "Wandel der Arbeitswelt"

Wandel der Arbeitswelt
Ergebnisse eines neuen schweizerischen Forschungsprojekts
   

Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt

Dezember 1999

Jürg Meierhans

 

Inhalt:

1. Wie stehen die Chancen für Quereinsteiger heute?

2. Arbeitskräftemangel und Entwicklung des Personalbestandes

3. Betriebsgrösse

4. Unterschiede in Industrie und Dienstleistung

5. Kombination aller Faktoren

6. Qualifikationsstruktur nach Bildungsabschlüssen

7. Nichtfachliche Qualifikationsanforderungen

8. Hinderungsgründe für eine Anstellung

9. Fazit

Literatur

Anmerkungen

 

 

 

Basisinformationen über das Projekt:

Beim Forschungsprojekt "Wandel der Arbeitswelt" handelt es sich um eine prospektive Untersuchung in schweizerischen Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben, die 1997-2000 gemeinsam vom Soziologischen Institut der Universität Zürich (SUZ) und der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) durchgeführt wurde. Sie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Schwerpunktprogramms "Zukunft Schweiz" finanziert.

Das Projekt hat zum Ziel, erstmals notwendige Basisdaten über den Qualifikationsbedarf der Schweizer Wirtschaft zu beschaffen. Dabei berücksichtigt es nicht nur den quantitativen Personalbedarf, sondern erfasst auch organisatorische und technologische Veränderungen in den Betrieben, die sich auf die Anforderungen an Arbeitsqualifikationen auswirken.

In methodischer Hinsicht bildet die standardisierte Erhebung der Qualifikationsstruktur, des Qualifikationsbedarfs sowie des organisatorischen Wandels der Betriebe den Schwerpunkt der Untersuchung.
Bei der Stichprobe handelt es sich um ein Panel von rund 6'000 privaten Unternehmungen, die vom KOF jährlich in Fragebogenerhebungen mit wechselnder Thematik einbezogen werden.
 
Es besteht aus einer nach Betriebsgrössenklassen und Branchenzugehörigkeit geschichteten Stichprobe, die Betriebe aus allen wichtigen Bereichen der Industrie, des Gewerbes sowie des privaten Dienstleistungssektors mitumfasst. Nicht einbezogen sind Betriebe, die ihre Dienstleistungen im Bereich Bildung, Gesundheit oder soziale Wohlfahrt erbringen.
Die Befragung richtete sich an Inhaber von betrieblichen Führungspositionen im Personalbereich.
An der Befragung, die vom Januar bis Mai 1998 stattgefunden hat, haben insgesamt 2143 Firmen teilgenommen.
Informationen zu diesem Forschungsprojekt können unter
Tel. ++41 (0)44 635 2310 oder
geser@soziologie.uzh.ch bezogen werden.

 

1. Wie stehen die Chancen für Quereinsteiger heute?

Die Schweiz verzeichnete 1998 gemäss amtlicher Statistik 3.9% Arbeitslose (Bfs 1999b). Zum gleichen Zeitpunkt klagten 27.9% der von uns befragten Betriebe über einen Arbeitskräftemangel. Der hauptsächliche Grund liegt in einer zu kleinen Anzahl verfügbarer Arbeitskräfte mit der benötigten Ausbildungsrichtung. Es besteht also offensichtlich eine Diskrepanz zwischen Arbeitsangebot und –nachfrage, d.h. ein Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt. Inzwischen hat sich die Lage weiter zugespitzt. In der Öffentlichkeit wird von einem ausgetrockneten Arbeitsmarkt gesprochen. Wünschenswert wäre es deshalb, mehr Stellen auch mit Arbeitskräften einer fachfremden Berufsausbildung zu besetzen. Angesichts des Ungleichgewichtes gelingt dies offensichtlich nur schlecht. In welchen Fällen ist es trotzdem möglich? Was charakterisiert Betriebe, in denen die Chancen für Leute mit fachfremder Berufsausbildung, d.h. für Quereinsteiger, gut stehen? Anders gefragt: Welche schweizerischen Betriebe sind bereit, Arbeitnehmer einzustellen, die sich durch ein hohes Mass an Flexibilität und Mobilität auszeichnen analog folgendem Beispiel aus den USA?

"Als Carlos Coolidges Frau vor ein paar Jahren in Rockville ausserhalb Washingtons eine Galerie mit Schmuckboutique eröffnete, gab er seinen anspruchsvollen Job als Buchprüfer auf und entschloss sich, Bilderrahmen zu fertigen. Vor ein paar Monaten ging seine Ehe in Brüche. Carlos arbeitet nicht mehr für seine Ex-Frau, sondern ist am Bau beschäftigt, vorwiegend mit dem Renovieren alter Häuser." (NZZ 1999: 67)

Auf theoretischer Ebene diskutiert das Segmentationskonzept Fragen der Arbeitsmarktflexibilität. Es setzt sich das Ziel, Gründe zu eruieren, weshalb betriebliche Strategien zur Rekrutierung und Nutzung von Arbeitskräften eine Aufspaltung in voneinander abgeschottete Teilarbeitsmärkte hervorruft (Georg/Sattel: 124). Die Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte sowie die Art der Bindung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bilden hierfür die zentralen Kategorien der Begründung. Eine Analyse der erstgenannten Kategorie anhand unserer Daten erfolgt in Kapitel 6 und 7. Darüber hinaus möchten wir in Kapitel 2 - 5 das Thema aus einer etwas breiteren Perspektive beleuchten und betriebliche Merkmale sowie Veränderungen im Personalbestand und Mängel beim Arbeitskräftebedarf mitberücksichtigen. Dieses Vorgehen erlaubt es, betriebliche Profile präziser zu eruieren, die zu einer Verbesserung der Beschäftigungschancen für Quereinsteiger geführt haben.

In der aktuellen Qualifikationsdiskussion wird immer wieder betont, dass Arbeitskräfte über ein breite Palette von Qualifikationen verfügen müssen. Das haben unsere Auswertungen bestätigt. Weiter wird gesagt, dass sich diese Qualifikationsbündel über verschiedene Tätigkeiten immer mehr angleichen aufgrund des zunehmenden und wichtigen Anteils funktionsübergreifender Qualifikationen (Baethge 1998). Findet tatsächlich eine Angleichung von Anforderungsprofilen zwischen verschiedenen Berufen statt, so müssten sich die Chancen für Angestellte in ein neues Berufsfeld einzusteigen, eigentlich erhöhen. Ziel unserer Analyse ist es nun wie gesagt, betriebliche Profile herauszuschälen, in denen sich Chancen für Quereinsteiger verbessert haben. Dabei liegen bezüglich der Verbesserung von Chancen folgende Vermutungen nahe:

·         Sie ist stärker bei Arbeitskräftemangel. Betriebe sind in diesem Falle in stärkerem Masse bereit, auf fachfremdes Personal zurückzugreifen.

·         Sie ist stärker bei expandierendem Personalbestand. Betriebe, die zusätzliche Angestellte benötigen, sind ebenfalls eher bereit, auf fachfremdes Personal zurückzugreifen.

·         Sie ist stärker in Grossbetrieben. Hier sind mehr Ressourcen vorhanden, Angestellte einzuarbeiten.

·         Sie ist stärker in der Dienstleistung. Der Beschäftigungsanteil des dritten Sektors hat bis 1995 weiterhin zugenommen. Diese Entwicklung dürfte sich auch in den folgenden Jahren fortgesetzt haben.

Zunächst sollen die Veränderungen der Chancen für Quereinsteiger hinsichtlich ihrer betrieblichen Merkmale charakterisiert werden. Anschliessend werden Anforderungsprofile von Betrieben, in denen Chancen zugenommen, gleich geblieben oder abgenommen haben, vergleichend diskutiert. Zum Abschluss erfolgt eine differenzierte Analyse der Hinderungsgründe für eine Anstellung von Quereinsteigern.

Bevor wir versuchen, obige Vermutungen zu überprüfen, ist eine kurze Reflexion darüber nötig, was die Frage nach den Veränderungen der Chancen für Quereinsteiger überhaupt misst. Die Flexibilitätsforschung untersucht Veränderungen zwischen der beruflichen Qualifikation von Erwerbstätigen und der beruflichen Tätigkeit (Sheldon 1995: 11). Diesen Sachverhalt soll auch unser Begriff der Quereinsteiger bezeichnen. Darunter fällt beispielsweise der Elektromonteur, welcher neu als Programmierer arbeitet oder der Landwirt, welcher jetzt Reisebusse nach Spanien fährt. Wir haben keine Möglichkeit nachzuprüfen, ob unsere Frage in diesem Sinne verstanden wurde, d.h. ob sie valide ist. Die Berufskategorien wurden in unserer Befragung nicht erhoben. Andererseits lässt der Begriff Quereinsteiger nur einen kleinen Interpretationsspielraum zu und dürfte wohl im gemeinten Sinne verstanden worden sein. 

(Inhalt)

 

2. Arbeitskräftemangel und Entwicklung des Personalbestandes

Die Substitutionsthese besagt, dass Betriebe im Falle eines Arbeitskräftemangels auf Personal mit fachfremder Ausbildung zurückgreifen. Betrachtet man nun nachfolgende Tabelle, so haben sich die Beschäftigungschancen für Quereinsteiger immerhin leicht stärker verbessert in Betrieben mit Arbeitskräftemangel im Vergleich mit Betrieben ohne Arbeitskräftemangel (18.2% vs. 14.6%). Allerdings sind die Differenzen zwischen Betrieben mit und ohne Arbeitskräftemangel bezüglich der Veränderung der Chancen für Quereinsteiger in keinem Falle statistisch signifikant.

Betrachtet man die Häufigkeitsverteilung, so zeigt sich insgesamt eine leichte Verschlechterung der Situation. Eine höhere Anzahl Betriebe verzeichnet eine Verschlechterung der Chancen (29%) als eine Verbesserung (15.6%)

 

Abbildung 1: Veränderung der Beschäftigungschancen für Quereinsteiger in Betrieben mit und ohne Arbeitskräftemangel in Prozenten

 

Eine Zunahme des Personals kann aufgrund der heute aktuellen "schlanken" Organisation kaum mehr als "Aufblähung" einer Unternehmung verstanden werden. Viel eher deutet dies auf Prosperität hin.[1] Entweder sind zusätzliche Arbeitskräfte zur Deckung der Güternachfrage notwendig. Oder der Betrieb plant innovativ seine Produktion auszuweiten und stellt dafür zusätzliche Arbeitskräfte an. Deshalb dürften die Chancen für Quereinsteiger höher liegen.

Abbildung 2: Veränderung der Chance für Quereinsteiger nach Personalbestand in Prozenten

 

Betriebliche Veränderungen betreffend Entwicklung des Personalbestandes zeigen hinsichtlich der Chancen für Quereinsteiger ein vergleichbares Bild wie der Arbeitskräftemangel. Im Unterschied zum Arbeitskräftemangel sind hier die Differenzen statistisch signifikant zwischen Betrieben, die expandiert haben, gleichgeblieben oder geschrumpft sind.

Interessant dabei ist nun, dass in Betrieben, die expandieren, die Chancen für Quereinsteiger eindeutig am Höchsten liegen (22.5%). Hier halten sich die Verbesserung (22.5%) und die Verschlechterung (22.7%) der Chancen etwa die Waage. Betriebe, deren Personalbestand sich in den letzten beiden Jahren nicht verändert hat bzw. geschrumpft ist, bieten dagegen kleinere verbesserte Beschäftigungschancen für Quereinsteiger (12.2% bzw. 14.2%). Gleichzeitig haben sich hier die Chancen stärker verschlechtert (29.3% bzw. 22.7%). Die Zunahme des Personalbestandes eröffnet Quereinsteigern also die besten Chancen.

(Inhalt)

 

3. Betriebsgrösse

Ein wesentliches und sehr augenfälliges Merkmal jedes Betriebes ist dessen Grösse. Bezüglich der Chancen für Quereinsteiger ist anzunehmen, dass sie in Grossbetrieben höher liegen. Der Grund dafür dürften grössere Ressourcen sein, um Angestellte in ihre Funktion einzuarbeiten.

 

Abbildung 3: Veränderungen der Beschäftigungschancen für Quereinsteiger nach Betriebsgrössen in Prozenten

Legende:

Kleinbetriebe

< 30 Angestellte

 

Mittelbetriebe

31 - 200 Angestellte

 

Grossbetriebe

> 231 Angestellte

 

Die Auswertung zeigt, dass sich in etwas mehr als der Hälfte (55.2%) der befragten Betriebe die Beschäftigungschancen für Quereinsteiger nicht verändert haben. Im weiteren haben sich die Chancen in einem grösseren Anteil der Betriebe stärker verschlechtert (29.1%) als verbessert (15.7%). Insgesamt kann man also von einer Erhaltung des Status quo mit einer leichten Tendenz zur Verschlechterung sprechen.

Betrachtet man nun die einzelnen Betriebsgrössenklassen, dann sind Unterschiede vor allem in der Verbesserung und der Verschlechterung der Beschäftigungschancen feststellbar. Es bestätigt sich die Vermutung, wonach sich die Chancen in Grossbetrieben stärker verbessert haben. Hier geht die Verbesserung der Chancen (21.8%) beinahe einher mit der Verschlechterung (26.1%).

Die Betriebsgrössen unterscheiden sich hinsichtlich der Chancen für Quereinsteiger tatsächlich signifikant. Dabei sind es sind die Grossbetriebe, welche die Signifikanz begründen. Die Überlegungen, wonach Grossbetriebe über mehr Ressourcen verfügen, um Quereinsteiger auf ihre spezifische Aufgabe vorzubereiten, trifft also zu.

(Inhalt)

 

4. Unterschiede in Industrie und Dienstleistung

Der tertiäre Sektor hat seit den 70er Jahren stark an Gewicht gewonnen im Vergleich mit den beiden anderen Sektoren. Insbesondere ist eine Verschiebung von der Industrie in die Dienstleistung der anteilsmässigen Beschäftigung festzustellen. Gemäss Bundesamt für Statistik (1999a) hat sich diese Entwicklung bis Mitte der 90er Jahre fortgesetzt. Es ist deshalb zu vermuten, dass die Chancen für Quereinsteiger in der Dienstleistung immer noch leicht besser sind.

 

Abbildung 4: Veränderung der Beschäftigungschancen für Quereinsteiger nach Sektoren in Prozenten

 

Die Chancen haben sich in der Industrie und der Dienstleistung bei einem beinahe identischen Prozentanteil der Betriebe verbessert (16.6% bzw. 16.4%). In der Industrie ist die Situation für Quereinsteiger insgesamt eher stabiler geblieben als in der Dienstleistung. Bei den Betrieben, welche die Chancen gleich einschätzen, liegt der Anteil höher (58.2% in der Industrie vs. 53.4% in der Dienstleistung) bzw. bei den Betrieben, welche die Chancen schlechter einschätzen, liegt der Anteil tiefer (25.4% in der Industrie vs. 30.0% in der Dienstleistung). Somit trifft die Vermutung nicht zu, wonach im Dienstleistungssektor bessere Aussichten für Quereinsteiger bestehen. Die Prozentanteile in den beiden Sektoren unterscheiden sich nur gering und sind deshalb auch nicht statistisch signifikant.

Diese Einschätzung wird bestätigt durch eine spezifische Auswertung nach Branchengruppen.[2]

Abbildung 5: Veränderung der Beschäftigungschanchen für Quereinsteiger nach Branchengruppen in Prozenten

 

Vergleichen wir hier zunächst Industrie, Handwerk und Dienstleistung insgesamt. Dabei fällt auf, dass sich die Chancen im Handwerk (Bau) am wenigsten verbessert (9.2%) und gleichzeitig am stärksten verschlechtert (42.3%) haben. Der Grund dürfte hauptsächlich in der schlechten wirtschaftlichen Lage der Baubranchen zu suchen sein.

Aufgrund der Tertiarisierung wurde vermutet, dass die Chancen in der Dienstleistung besser stehen. Eine Vermutung, die sich in obiger Auswertung nicht bestätigt hat. Anhand der detaillierten Betrachtung kann dieses Bild nun relativiert werden. Insbesondere  bei den  persönlichen Dienstleistungen  (Detailhandel, Gastgewerbe, persönliche Dienstleistungen) haben sich die Chancen für Quereinsteiger stärker verbessert als bei anderen Branchengruppen (19.8%). Hier bestehen also nach wie vor die besten Möglichkeiten mit einer fachfremden Ausbildung in einem Betrieb eingestellt zu werden. Vor allem hat  das Gastgewerbe mit 31.7% eine sehr starke Verbesserung der Chancen verzeichnet. Die gesamte Branchengruppe zeichnet sich durch einen hohen Anteil von an- und ungelernten Arbeitskräften aus. In diesem Umstand liegt vermutlicherweise die wesentliche Ursache für die guten Beschäftigungschancen. An zweiter Stelle in der Rangreihenfolge der Chancenverbesserung für Quereinsteiger finden wir die kommerziellen Dienstleistungen (Banken/Versicherungen, Immobilien, Informatik) (17.3%). Interessanterweise haben sich die Chancen hier gleichzeitig auch stark verschlechtert. Das deutet auf eine ambivalente Entwicklung hin. Einerseits scheint eine Professionalisierung stattzufinden und damit verbunden die Abschliessung von Berufsfeldern. Andererseits dürften gleichzeitig neue Tätigkeitsfelder entstehen. Beispielsweise verlangt die Entwicklung des Internets, d.h. des technischen Wandels in der Informatik neue speziell ausgebildete Fachkräfte. Dafür bestehen jedoch erst seit kurzer Zeit Ausbildungslehrgänge, die nicht die gesamte Nachfrage abdecken können. So beklagen denn auch 38% der Betriebe in der kommerziellen Dienstleistung einen Arbeitskräftemangel. Dieser Wert liegt höher als in den übrigen Branchengruppen.

Die beiden Subgruppen in der Industrie unterscheiden sich kaum voneinander (strukturstark: Elektrotechnik, Elektronik, Uhren, Chemie; strukturgefährdet: Nahrungs-/Genussmittel, Textilgewerbe, Bekleidung, Holz, Papier, Maschinenbau). Die strukturgefährdete Industrie zeichnet sich insbesondere durch leichter standardisierbare Güter aus, was u.a. kleinere Innovationen und geringere Qualifikationen der Belegschaft erfordert. Erstaunlicherweise haben beide Branchengruppen trotzdem einen beinahe gleichen Mangel an Arbeitskräften (30.2% bzw. 30.4%). Der Personalbestand der strukturstarken Industriebranchen hat zwar stärker expandiert (31.1% vs. 21.4%), diese Entwicklung eröffnet jedoch keine höheren Berufschancen für Quereinsteiger.

(Inhalt)

 

5. Kombination aller Faktoren

Zusammenfassend soll nun eine Auswertung unter Berücksichtigung aller bereits diskutierten Aspekte erfolgen. Damit lassen sich jene betrieblichen Merkmale herausschälen, die eine Substitution von Qualifikation am leichtesten erlauben.

Tabelle 1: Veränderung der Berufschancen für Quereinsteiger nach Veränderung des Personalbestandes, Arbeitskräftemangel, Betriebsgrösse und Sektoren in Prozenten

 

Die vergleichende differenzierte Auswertung der Chancen für Quereinsteiger nach Veränderung des Personalbestandes, des Arbeitskräftemangels und der Betriebsgrösse in Industrie und Dienstleistung präzisiert die Aussagen des letzten Abschnittes. Dort haben wir festgestellt, dass die Chancen in Betrieben mit expandierendem Personalbestand höher liegen als bei einem Arbeitskräftemangel. Im weiteren nehmen die Chancen mit der Betriebsgrösse zu, liegen aber in der Dienstleistung nicht generell höher als in der Industrie. Wir wollen unser Augenmerk bei den folgenden Ausführungen primär auf Betriebe richten, wo sich die Chancen für Quereinsteiger verbessert haben.

In obiger Tabelle wird noch einmal deutlich, dass der Arbeitskräftemangel nicht der entscheidende Faktor für die Chancen von Quereinsteigern darstellt. Nicht in allen Betrieben mit einem Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften liegen sie höher. Die Chancen variieren je nach Betriebsgrösse, Sektor und Veränderung des Personalbestandes.

Betrachten wir die Industrie. In Klein- Mittel- und Grossbetrieben, deren Personalbestand zugenommen hat und die gleichzeitig ein Arbeitskräftemangel verzeichnen, haben sich die Chancen für Quereinsteiger stärker verbessert als in Betrieben ohne Arbeitskräftemangel. Wenn diese zwei Faktoren in der Industrie also zusammenfallen, Arbeitskräftemangel und Expansion des Personalbestandes, dann sind Quereinsteiger am gefragtesten. Sie substituieren nicht Fachspezialisten, sondern werden wohl eher aus der Notwendigkeit rekrutiert, eine offene Stelle irgendwie zu besetzen. Unsere vorab geäusserten Vermutungen bezüglich Chancen für Quereinsteiger verhalten sich aufgrund der Auswertung in industriellen Grossbetrieben am zutreffendsten. Sie sind erstens grösser als in Klein- und Mittelbetrieben. Zweitens sind sie unabhängig von der Entwicklung des Personalbestandes bei einem Arbeitskräftemangel höher. Und drittens sind sie bei einer Expansion höher als bei einer Stagnation oder Abnahme des Personalbestandes. Die grössten Chancen für Quereinsteiger liegen in industriellen Grossbetrieben mit diesen Merkmalen. Dabei spielen sicher die bereits angesprochenen adaptiven Ressourcen eine wesentliche Rolle. Doch müssen noch weitere Faktoren hinzukommen, da sich in Grossbetrieben in der Dienstleistung die Chancen in viel kleinerem Masse verbessert haben, wie wir noch sehen werden. Zu vermuten ist, dass das Anforderungsprofil eine wesentliche Rolle dabei spielt. Es ist denkbar, dass in industriellen Grossbetrieben kleinere Anforderungen an die formale Ausbildung von Arbeitskräften gestellt werden. Deshalb könnte das vergleichsweise tiefere Anforderungsniveau eine höher Substitution erlauben, insbesondere im Bereich von Hilfskräften. Aufschluss über diese Vermutungen werden weitere Auswertungen geben.

Wenden wir uns dem Dienstleistungssektor zu und kehren wir zum Ausgangspunkt der Betrachtungen zurück, dem Arbeitskräftemangel. Hier trifft die Vermutung, dass ein Mangel an Arbeitskräften die Chancen für Quereinsteiger erhöht, nur in wenigen Fällen zu. Insbesondere Kleinbetriebe, die zusätzliches Personal benötigten, stufen die Veränderungen der Chancen für Quereinsteiger gut ein. Diese Kategorie Betriebe ist am ehesten bereit, die zusätzliche Nachfrage nach Arbeitskräften zumindest teilweise mit fachfremdem Personal zu stillen, obwohl sie über kleinere Ressourcen als Grossbetriebe verfügen.

Gemäss unseren Vermutungen müssten eigentlich Grossbetriebe iim Dienstleistungsbereich mit Arbeitskräftemangel und Expansion des Personalbestandes die grössten Chancen für Quereinsteiger bieten. Das trifft nicht zu. Insbesondere bei der Betrachtung des Arbeitskräftemangels fällt auf, dass eine Expansion des Personalbestandes fast nicht ins Gewicht fällt. Auch hier ist es primär die zusätzliche Personalrekrutierung, die Chancen für Quereinsteiger bietet.

Ein interessantes Bild zeigt die Auswertung der Mittelbetriebe. Je stärker der Personalbestand schrumpft, desto mehr haben sich die Chancen für Quereinsteiger verbessert. Einerseits wird also Personal abgebaut und andererseits bei Neueinstellungen Fachpersonal substituiert. Der schrumpfende Betrieb mittlerer Grösse in der Dienstleistung verändert somit radikal sein Know-how. Er reduziert Personal bei gleichzeitiger Ersetzung des bisherigen Fachwissens.

(Inhalt)

 

6. Qualifikationsstruktur nach Bildungsabschlüssen

Bisher haben wir uns betreffend Chancen für Quereinsteiger mit betrieblichen Merkmalen der Branchenzugehörigkeit, der Grösse und der Veränderung des Personalbestandes befasst. In diesem und im nächsten Kapitel sollen die Qualifikationsstrukturen der Betriebe eingehender betrachtet werden. Bezüglich der Bildungsabschlüsse ist in diesem Zusammenhang auf die Konzepte der Arbeitssegmentation zu verweisen.

Die empirische Arbeitsmarktforschung in den USA und in Deutschland hat zwei Idealtypen von segregierten Arbeitsmärkten eruiert (Georg/Sattel 1995: 128). Kennzeichen des ersten Typs, des zweigeteilten dualen Arbeitsmarktes, ist eine vertikale Segmentaktionsstruktur. Einerseits existiert ein Primärsektor, zu finden hauptsächlich in ökonomisch starken, krisenfesten, technisch fortgeschrittenen Grossunternehmen. Weitere Kennzeichen bilden interne Teilarbeitsmärkte mit Zutrittsbeschränkungen sowie qualifikationsgerechte Arbeitsbedingungen und günstigen Aufstiegsmöglichkeiten für gutqualifizierte Angestellte. Andererseits muss ein Sekundärsektor davon unterschieden werden. Dieser umfasst Arbeitsplätze in Klein- und Mittelbetrieben des wirtschaftlichen Randbereichs. Sie produzieren wenig standardisiert, sind technologisch rückständig und sehr konjunkturabhängig. Eine solche Arbeitsmarktstruktur findet sich primär in den USA und in Japan.

Der zweite Idealtyp, der dreigeteilte Arbeitsmarkt, entwickelten Lutz und Sengenberger (1974) anhand des Arbeitsmarktes der Bundesrepublik Deutschland. Der Ansatz geht im wesentlichen davon aus, dass die Personalpolitik der Betriebe eine zentrale Ursache der Arbeitsmarktsegementation im Zusammenwirken mit weiteren wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen bildet. Dabei werden drei verschiedene Segmente unterschieden:

·         Der unstrukturierte Teilarbeitsmarkt

Kennzeichen dieses Segments ist eine offene Struktur, die allen Arbeitskräften offen steht, insbesondere aber jenen, die auf anderen Teilmärkten keinen Zugang gefunden haben. Gefordert sind lediglich Mindestfähigkeiten wie ein gewisses Mass an körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit. Betriebe, die kleine Anforderungen dieser Art an Arbeitskräfte stellen, finden sich primär in strukturschwachen Wirtschaftsbereichen. Arbeitskräfte werden in erster Linie in der Serien- oder Massenproduktion mittelgrosser Industriebetriebe eingesetzt oder in untersten Positionen von Grossbetrieben sowie in der Einzelproduktion von Kleinbetrieben.

·         Der berufsfachliche Teilarbeitsmarkt

Die Eintrittskarte in dieses Segment des Arbeitsmarktes stellt ein Qualifikationsnachweis in Form eines Zertifikates dar, z.B. der Lehrabschluss oder ein Hochschuldiplom. Der Erwerb dieses Zertifikates erfolgt durch einen normierten Ausbildungsgang. Die Rekrutierung der Arbeitskräfte vollzieht sich deshalb entweder über den staatlich geregelten innerbetrieblichen Ausbildungsweg mit anschliessender Übernahme oder durch zwischenbetrieblichen Arbeitsplatzwechsel. Dem Konzept des Berufes kommt hier also eine zentrale Bedeutung zu, garantiert es doch sowohl Arbeitgebern wie auch Arbeitnehmern eine gegenseitige Erwartungssicherheit. Dem Arbeitgeber versichert es die sofortige Einsetzbarkeit und die volle Produktivität der Arbeitnehmer für spezifische Tätigkeiten. Umgekehrt gewährt es dem Arbeitnehmer die Möglichkeit des Betriebswechsel ohne Qualifikationsverlust. Vor allem Betriebe mit Einzelfertigung, insbesondere Handwerksbetriebe, kennzeichnen den berufsfachlichen Teilarbeitsmarkt.

·         Der betriebsinterne Teilarbeitsmarkt

Das dritte und letzte Segment des Arbeitsmarktes schliesslich wird geprägt vom Bestreben der Betriebe nach Stabilität und Anpassungsflexibilität. Die betriebsspezifische Qualifizierung spielt darin eine wichtige Rolle, die zwischenbetriebliche Mobilität erschwert. Der Betrieb strebt sozusagen ein Monopol auf Erwerb und Anwendung der Qualifikationen von Arbeitskräften an. Damit verbunden ist eine Bevorzugung der qualifizierten Arbeitskräfte, was zu einer Teilung der Arbeitskräfte in eine geschützte Stamm- und eine benachteiligte Randbelegschaft führt. Die Besetzung von Arbeitsplätzen erfolgt überwiegenderweise betriebsintern gemäss der Devise der Betriebszugehörigkeit als Zugangsvoraussetzung. Üblicherweise geschieht der Eintritt auf einer unteren Ebene der Arbeitsplatzhierarchie, von wo aus vertikale Mobilität möglich ist. Der betriebsinterne Teilarbeitsmarkt findet sich in erster Linie in staatlichen Betrieben (bei Post-, Bahn-, Polizei-, Militär oder Lehrberufen).

Unsere Befragung klammerte staatliche Betriebe aus. Insofern dürfte dem betriebsinternen Teilarbeitsmarkt in unserer Analyse eine relativ geringe Bedeutung zukommen. Trotzdem können diese Tendenzen natürlich in abgeschwächter Form auch in der Privatwirtschaft zu finden sein. Die folgende Analyse rückt deshalb die Frage in den Mittelpunkt, wie die Chancen sich für Quereinsteiger aus dem unstrukturierten oder dem berufsfachlichen Teilarbeitsmarkt verändert haben.

Tabelle 2: Korrelation zwischen fachlicher Qualifikation und Sektoren nach Betriebsgrössen

 

 

 

Industrie

 

Handwerk

 

Dienstleistung

 

 

 

 

Klein-

Mittel-

Gross-

Klein-

Mittel-

Gross-

Klein-

Mittel-

Gross-

 

 

 

betriebe

betriebe

betriebe

betriebe

betriebe

betriebe

betriebe

betriebe

betriebe

 

Hochschul-

Corr.

0.078

0.017

-0.141

0.234

0.175

0.358

-0.058

0.022

-0.051

 

abschluss

Sig.

 

 

 

*

 

 

 

 

 

 

 

N

351

393

120

83

86

15

400

239

71

 

Höh. Fach-

Corr.

0.022

0.022

-0.010

-0.220

-0.039

0.214

-0.077

-0.002

-0.029

 

ausbildung

Sig.

 

 

 

*

 

 

 

 

 

 

 

N

351

393

119

83

86

15

400

240

72

 

Berufslehre

Corr.

-0.015

-0.116

-0.107

-0.012

-0.059

0.429

-0.106

0.009

-0.060

 

 

Sig.

 

*

 

 

 

 

*

 

 

 

 

N

352

394

119

83

87

15

401

238

71

 

An- und

Corr.

0.147

0.074

0.108

0.090

0.061

-0.367

0.172

0.187

-0.045

 

Ungelernte

Sig.

**

 

 

 

 

 

**

**

 

 

 

N

351

390

119

83

86

15

399

237

69

 

Lehrlinge

Corr.

-0.179

0.051

0.050

-0.306

-0.208

0.290

-0.172

-0.130

-0.190

 

 

Sig.

**

 

 

**

0.055

0.294

**

*

0.100

 

 

N

351

394

123

83

86

15

401

239

76

 

 

 

 

Legende:

*

p <= 0.05

 

 

**

p <= 0.01

 

Es wurde vermutet, dass die Chancen für Angestellte, auch mit fachfremder Ausbildung eingestellt zu werden, in Grossbetrieben aufgrund grösserer Ressourcen höher liegen müssten als in Klein- und Mittelbetrieben. Nun zeigt sich kein einziger signifikanter Zusammenhang zwischen Bildungsabschlüssen und Grossbetrieben. Muss diese Vermutung also bezüglich der Qualifikationsstruktur angesichts des Befundes verworfen werden, dass sich die Möglichkeiten für einen Quereinstieg für kein Bildungsniveau bei entsprechend hohem Anteil Angestellter signifikant positiv verbessert haben? Wie lässt sich dann aber die Differenz zu der festgestellten stärkeren Verbesserung der Chancen in Grossbetrieben insgesamt erklären?[3] Die Antwort ist dahingehend zu suchen, dass der Quereinstieg für alle Bildungsabschlüsse in Grossbetrieben etwa in gleichem Masse möglich scheint. Grossbetriebe rekrutieren zwar insgesamt mehr Quereinsteiger, aber nicht in bevorzugtem Masse einen bestimmten Bildungsabschluss.

Für Arbeitskräfte aus dem unstrukturierten Segment verbesserten sich die Chancen für einen Quereinstieg in der Industrie und der Dienstleistung in Klein- und Mittelbetrieben am stärksten. In den Branchengruppen der strukturgefährdeten Industrie, der persönlichen und der distributiven Dienstleistungen besteht ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen einem hohen Anteil an- und ungelernter Beschäftigten und einer Verbesserung der Chancen. Davon ausgehend, dass sie an Arbeitsplätzen mit geringeren Anforderungen beschäftigt werden, sind sie sofort produktiv einsetzbar, was insbesondere in Kleinbetrieben wichtig ist.

Umgekehrt haben sich die Möglichkeiten für einen Quereinstieg bei einem hohen Anteil Lehrlinge in Kleinbetrieben der strukturstarken und strukturgefährdeten Industrie, dem Handwerk und der distributiven Dienstleistung signifikant verschlechtert. Dafür sind zwei Interpretationen möglich. Entweder schliessen sich Kleinbetriebe der genannten Branchen­gruppen gegen aussen ab und bevorzugen eine Rekrutierung auf dem betriebsinternen Teilarbeitsmarkt. Der "point of entry" für Arbeitskräfte würde damit in einer beruflich-branchenspezifischen Ausbildung liegen. Es leuchtet allerdings nicht ein, weshalb dieser Sachverhalt nicht auch in Mittel- und Grossbetrieben vorzufinden ist, die ja über grössere Möglichkeiten zur Übernahme von Lehrabsolventen verfügen. Deshalb liegt viel eher die Vermutung nahe, dass Betriebe mit einer hohen Anzahl Lehrlinge diese für Hilfsarbeiten einsetzen. Trifft diese Vermutung zu, so substituieren Lehrlinge an- und ungelernte Arbeitskräfte und vermindern dadurch die Chancen für einen Quereinstieg aus dem unstrukturierten Teilarbeitsmarkt.

Die Klein- und Mittelbetriebe der übrigen Branchengruppen suchen primär Arbeitskräfte, die über einen spezifischen Bildungsabschluss auf dem berufsfachlichen Teilarbeitsmarkt verfügen. Daneben spielt der betriebsinterne Teilarbeitsmarkt vermutlicherweise ebenfalls eine wichtige Rolle. Im eigenen Betrieb aus- oder weitergebildete Angestellte verfügen über spezifische, in erster Linie dort verwertbare Qualifikationen. Aufgrund dieses Wissens dürfte das Kriterium der Betriebszugehörigkeit bei der Neubesetzung von Arbeitsstellen eine weitere attraktive Voraussetzung darstellen.

(Inhalt)

 

7. Nichtfachliche Qualifikationsanforderungen

Wie bereits einleitend beschrieben wird in der aktuellen Qualifikationsdiskussion von einer Angleichung der verschiedenen Berufstätigkeiten gesprochen infolge des zunehmend wich­tigeren Anteils funktionsübergreifender Qualifikationen. Aufgrund dieser Entwicklung, so haben wir gefolgert, müssten die Chancen für Quereinsteiger tendenziell steigen. Nachdem wir im vorherigen Abschnitt eruiert haben, welche Bildungsabschlüsse mit einer stärkeren Verbesserung der Chancen einhergehen, möchten wir uns nun eingehender mit den funktionsübergreifenden Qualifikationen beschäftigen. Haben sich die Chancen für Quer­einsteiger tatsächlich stärker verbessert in Betrieben, die hohe Anforderungen an funktionsübergreifende Anforderungen stellen?

Abbildung 6: Veränderung der Beschäftigungschancen für Quereinsteiger bezüglich der Mittelwerte nichtfachlicher Qualifikationsanforderungen (1 = gar nicht wichtig/5 = absolut notwendig)

 

 

Die Resultate obiger Abbildung zeigen die Veränderung der Chancen für Quereinsteiger anhand der Mittelwerte nichtfachlicher Qualifikationsanforderungen. Sie entsprechen auf den ersten Blick tatsächlich den Vermutungen. Betriebe in denen sich die Chancen verbessert haben, stellen mindestens gleich hohe bzw. höhere Anforderungen mit Ausnahme des Erfahrungswissens.[4] Dieser erste Eindruck ist jedoch zu relativieren, trotz signifikanten Unterschieden zwischen den Betrieben in denen die Chancen besser geworden, gleichgeblieben und gesunken sind. Die Signifikanz liegt primär in der Kategorie Betriebe begründet, in denen die Chancen gleich geblieben sind. Die Mittelwerte der Anforderungen zwischen Betrieben, in denen sich die Chancen verbessert und verschlechtert haben, liegen sehr nahe beieinander und unterscheiden sich nicht statistisch signifikant.

Stellt man eine differenzierte Betrachtung nach Betriebsgrösse an, so zeigen sich bezüglich der Rangreihenfolge keine wesentlichen Unterschiede. Betriebe in denen sich die Chancen verbessert haben, stellen leicht höhere Anforderungen als Betriebe in denen die Anforderungen gesunken sind. Auch hier ergeben sich nur signifikante Unterschiede für kleine und mittlere Betriebe aufgrund der Kategorie, in denen sich die Chancen nicht geändert haben. Sie liegen in den meisten Fällen auf dem tiefsten Niveau. Interessant ist, dass in Grossbetrieben gar keine signifikanten Unterschiede zu verzeichnen sind. Hier unterscheiden sich die Anforderungen kaum, d.h. sie sind auf einem sehr homogenen Niveau unabhängig davon, ob sich Chancen für Quereinsteiger verbessert, verschlechtert haben oder gleich geblieben sind.

Betrachtet man einzelne Branchengruppen, so zeigen sich in der Dienstleistung nahezu keine signifikanten Unterschiede. Die Reihenfolge der Anforderungsniveaus wechselt zwischen den Gruppen und zeigt wenig Regularität. Etwas geordneter erscheinen die Resultate in der Industrie und im Handwerk. Sie stimmen im wesentlichen mit den Auswertungen der Gesamtheit überein, d.h. tendenziell höchstes Anforderungsniveau in Betrieben, in denen sich die Chancen verbessert haben. Einige Unterschiede sind signifikant, allerdings wiederum durch die Betriebe begründet in denen die Chancen gleich geblieben sind.

Insgesamt bestätigt sich die Vermutung nur in sehr schwachem Masse, wonach die Beschäftigungschancen für Quereinsteiger höher liegen in Betrieben, die hohe Anforderungen an funktionsübergreifende Anforderungen stellen. Auch wenn sie zunehmend wichtiger werden, so erleichtern sie nicht in signifikanter Art und Weise den Wechsel von einem Berufsfeld in ein anderes. Oder anders ausgedrückt: "Schlüsselqualifikationen öffnen nicht alle beruflichen Türen".

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8. Hinderungsgründe für eine Anstellung

Die bisherigen Ausführungen haben aufgezeigt, dass Beschäftigungschancen für Quer­einsteiger etliche Schwierigkeiten im Wege stehen. Ziel dieses Abschnittes ist es, die spezifischen Hinderungsgründe für eine Anstellung etwas auszuleuchten. Sie tragen zur Segmentierung des Arbeitsmarktes bei und bilden sozusagen eine Schutzmauern gegen die Flexibilität. Welche Hinderungsgründe werden im Zusammenhang mit dem Engagement von Quereinsteigern genannt? Diese Frage untersucht eine Gegenüberstellung von Betrieben mit einer Verbesserung bzw. einer Verschlechterung von Beschäftigungschancen für Quereinsteiger.

Abbildung 7: Gewichtung der Hinderungsgründe für eine Anstellung in Betrieben mit verschlechterten Chancen für einen Quereinstieg in Prozenten

 

Eine Erklärung zur obigen Abbildung: Die Prozentwerte sind infolge der Möglichkeit von Mehrfachantworten auf die Frage nach Hinderungsgründen für eine Anstellung nicht mit der Anzahl Betriebe identisch. Sie stellen Gewichtungsfaktoren dar, die Auskunft geben über die genannten Gründe gegen eine Anstellung in Betrieben, wo sich die Beschäftigungschancen für Quereinsteiger verschlechtert haben. Dabei zeigen sich in der Industrie und der Dienstleistung sowohl Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede.

Arbeitslosigkeit ist einer der Hauptgründe gegen eine Anstellung für Betriebe in der Industrie mit schlechteren  Beschäftigungschancen für Quereinsteiger. An zweiter Stelle wird das Alter genannt. Die Altersklassen unter 25 und über 45 entsprechen nicht den Wunschvor­stellungen der Arbeitgeber. Ein weiterer, von Quereinsteigern nicht zu beeinflussender Faktor, ist die Nationalität. Ausländische Staatsangehörigkeit stellt ebenfalls ein nicht unbedeutendes Hindernis dar. Starkes Gewicht hat der individuell beeinflussbarer Faktor mangelnder EDV-Kenntnisse. Die Möglichkeit bestünde, sie in Weiterbildungskursen zu ver­bessern.

Auch in der Dienstleistung haben aktuell oder ehemalig Arbeitslose schlechte Chancen. Daneben zeigen sich weitere Parallelen mit der Industrie bezüglich den gewichtigsten Hindernisfaktoren. Sowohl mangelnde EDV-Kenntnisse wie auch ausländische Staatsangehörigkeit gehören auch hier zu den meistgenannten Gründen. Im Unterschied zur Industrie wird erstaunlicherweise dem Alter eine kleinere Bedeutung zugemessen. Obwohl sich viele Bereiche der Dienstleistung gerne jung und dynamisch geben. Im weiteren spielt der bisherige Leistungsausweis im dritten Sektor ein grössere Rolle. Wenig Berufserfahrung, viele Wechsel, ungenügende Referenzen und ein schlechter Leumund stellen zusätzliche Hinderungsgründe dar.

Kurz zusammengefasst charakterisieren sich Bewerber mit sehr schlechten Beschäftigungs­chancen für einen Quereinstieg durch folgende fünf Hinderungsgründe:

·        In der Industrie: Ausländer, ehemalig oder aktuell Arbeitslos, jünger als 25, mit kleinen    EDV-Kenntnissen.

·        In der Dienstleistung: Ausländer, ehemalig oder aktuell Arbeitslos mit kleinen EDV-Kenntnissen und einem mangelnden Leistungsausweis, d.h. schlechten Referenzen.

Abbildung 8: Gewichtung der Hinderungsgründe für eine Anstellung in Betrieben mit verbesserten Chancen für einen Quereinstieg in Prozenten

 

Wenden wir uns den Hinderungsgründen für eine Anstellung zu in Betrieben, die insgesamt eine Verbesserung der Beschäftigungschancen konstatieren. Welche Gründe sprechen trotz­dem gegen eine Einstellung? In der Industrie ist der Status Alleinerziehend der meistgenannte Hinderungsgrund. Erklärungen für dieses Resultat liegen nicht direkt auf der Hand. Dies umso mehr, als in der Dienstleistung alleinerziehend nur ein marginaler Hinderungsgrund darstellt. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der Flexibilisierung von Arbeitszeiten, die in der Dienstleistung im Vergleich mit der Industrie gemäss unserer Daten weiter fortgeschritten ist und eine Kombination von Alleinerziehung und Erwerbsarbeit erleichtert.[5] Weitere gewichtige Hinderungsgründe für eine Anstellung in der Industrie sind mangelnde Mobilität sowie mangelnde Bereitschaft zur Weiterbildung. Mit anderen Worten könnte man dies mit fehlender Leistungsbereitschaft bezeichnen. Sind Kulturtechniken wie die Rechtschreibung oder der mündliche Ausdruck ungenügend, so erschwert dies ebenfalls in starkem Masse einen Quereinstieg. Schliesslich schwächt auch eine vergangene Arbeitslosigkeit die Chancen, in ein anderes Berufsfeld einzusteigen.

In der Dienstleistung gehören ebenso wie in der Industrie die Kulturtechniken, mangelnder Einsatzwille sowie vergangene Arbeitslosigkeit zu den stärksten Hinderungsgründen. Weiter ist das jugendliche Alter sowie eine ausländische Staatsangehörigkeit problematisch.

Kondensiert man diese Resultate wiederum zu einem Profil mit den fünf meistgenannten Hinderungsgründen, so haben folgende Bewerber die schlechtesten Karten in Betrieben, wo die Chancen für Quereinsteiger sich eigentlich verbessert haben:

·        Industrie: Alleinerziehende ehemalige Arbeitslose mit mangelnder Mobilität sowie schlechter Rechtschreibung und mündlichem Ausdruck.

·        Dienstleistung: Jugendliche unter 25 Jahren mit mangelnder Mobilität und Bereitschaft zur Weiterbildung sowie schlechter Rechtschreibung und mündlichem Ausdruck.

Eine Zuspitzung und anschauliche Darstellung der besprochenen Ergebnisse liefert nach­folgende Tabelle. Der Übersicht halber sind die einzelnen Hinderungsgründe unter Oberbegriffe subsumiert.[6]

Tabelle 3: Gegenüberstellung der fünf hauptgewichteten Hinderungsgründe in Betrieben mit einer Verschlechterung und einer Verbesserung der Chancen  (x = 1 Hinderungsgrund)

 

Verschlechterung der Chancen

Verbesserung der Chancen

Hinderungsgründe

Industrie

Dienstleistung

Industrie

Dienstleistung

Kulturtechniken

 

 

xx

xx

Leistungsausweis

x

xx

 

x

Leistungsbereitschaft

 

 

x

x

Arbeitslosigkeit

xx

xx

x

 

Status

xx

x

x

x

 

Es lässt sich folgendes Fazit auf die Frage nach den wichtigsten Hinderungsgründen für einen Quereinstieg ziehen. In Betrieben, wo sich die Beschäftigungschancen verschlechtert haben, bilden der Status (Alter/alleinerziehend), die Arbeitslosigkeit (aktuell oder ehemalig) oder der Leistungsausweis (mangelnde EDV-Kenntnisse, schlechte Referenzen) die hauptsächlichen Hinderungsgründe. In Betrieben hingegen, in denen sich die Beschäftigungschancen für Quereinsteiger verbessert haben, sind die drei genannten Gründe in ihrer Bedeutung schwächer. In stärkerem Masse spielen hier auch die Kulturtechniken sowie die Leistungsbereitschaft eine Rolle in beiden Sektoren. Das bedeutet, dass bei einer Verbesserung der Beschäftigungschancen für Quereinsteiger individuell beeinflussbare Faktoren grösseres Gewicht haben, die relativ leicht verbessert werden können. Dies ist bei einer Verschlechterung der Chancen viel schlechter möglich. Insbesondere eine ehemalige oder aktuelle Arbeitslosigkeit schlägt stärker zu Buche. Ein Umstand, der individuell nicht mehr korrigiert werden kann. Auch die Staatsangehörigkeit hat grösseres Gewicht. Somit trifft eine Verschlechterung der Beschäftigungschancen tendenziell Quereinsteiger aus sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen. 

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9. Fazit

Ein hoher Grad an beruflicher Flexibilität unterstützt den Ausgleich zwischen den Qualifikationsanforderungen der Arbeitsnachfrage und der Qualifikationsstruktur des Arbeitskräfteangebots. Für die Schweiz wurde ein hohes Mass an beruflicher Flexibilität für Arbeitnehmer und Arbeitgeber nachgewiesen, arbeiten doch rund die Hälfte der Erwerbstätigen nicht mehr in ihrem erlernten Beruf (Sheldon 1995: 8).

Gemäss unseren Ergebnissen stagniert diese Entwicklung im untersuchten Zeitraum von 1996 -1998. Trotz allgemeiner Tendenz zur Flexibilisierung in allen Bereichen der Wirtschaft verharren die Beschäftigungschancen für Quereinsteiger mehrheitlich auf dem status quo mit leichter Tendenz zur Verschlechterung. Am stärksten verbessert haben sich die Chancen in industriellen Grossbetrieben sowie in Kleinbetrieben der Dienstleistung bei gleichzeitiger Expansion des Personalbestandes und einem Arbeitskräftemangel. Gemäss Bundesamt für Statistik ist der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft verbunden mit einer Tendenz zu kleineren Unternehmen (Bundesamt für Statistik 1999a). Bezüglich der Beschäftigungschancen für Quereinsteiger ist diese Entwicklung deshalb ambivalent. Positiv zu vermerken ist einerseits, dass Kleinbetriebe in der Dienstleistung immerhin in der Lage sind, Quereinsteigern eine Chance einzuräumen. Andererseits vermindern sich die Möglichkeiten der Beschäftigungschancen für fachfremdes Personal in industriellen Grossbetrieben, da ihr Anteil tendenziell rückläufig ist.

In verstärktem Masse gelingt ein Quereinstieg für Arbeitskräfte aus dem unstrukturierten Teilarbeitsmarktsegment. Insbesondere Klein- und Mittelbetriebe in einzelnen Branchengruppen der Industrie und der Dienstleistung mit einer hohen Anzahl An- und Ungelernter konstatieren eine Verbesserung der Chancen für einen Quereinstieg. Für die übrigen Bildungsabschlüsse ist kein spezifisches betriebliches Profil zu lokalisieren, welches verbesserte Chancen für einen Quereinstieg bietet.

Hohe betriebliche Anforderungen an nichtfachliche Qualifikationen ermöglichen berufliches Umsteigen nicht. Obwohl diese Qualifikationen auch in einem neuen Berufsfeld durchaus angewandt werden können, erleichtern sie keinen Quereinstieg. Insofern kann auch eine verstärkte Vermittlung dieser Qualifikationen im Bildungssystem keine stärkere Flexibilität zwischen verschiedenen Berufsfeldern bewirken. Mögen sich Berufsbilder angleichen, fachliche Schranken bestehen nach wie vor nach dem Motto "Schuster bleib bei deinen Leisten".

Die Hinderungsgründe für eine Anstellung bei einer Verbesserung der Chancen für Quer­einsteiger liegen neben Merkmalen des Status, des Leistungsausweises, der Leistungsbereitschaft in erster Linie bei den Kulturtechniken. Diese können individuell relativ einfach verbessert werden. Im Gegensatz dazu ist dies bei einer Verschlechterung der Chancen in kleinerem Masse möglich. Arbeitslosigkeit sowie Statusmerkmale des Alters und der Staatsangehörigkeit sind Merkmale, die kaum "verbessert" werden können, um eine Anstellung zu erreichen. Insofern trifft eine Verschlechterung der Beschäftigungschancen tendenziell sozial schwächere Gruppen.

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Literatur

Baethge, M. 1998. 'Institutionalisierung oder Individualisierung - Arbeit und Bildung im Übergang zur Informationsgesellschaft' in Hansen, H., Sigrist, B., Goorhuis, H. and Landolt, H. (eds.) Bildung und Arbeit. Das Ende einer Differenz? Aarau: Sauerländer.

Ernst, M. 1999. 'Der Einsatz von Teilzeit- und Temporärstellen in Schweizer Betrieben'. http://socio.ch/work/hh/07.htm.

Georg, W. and Sattel, U. 1995. 'Arbeitsmarkt, Beschäftigungssystem und Berufsbildung' in Arnold, R. and Lipsmeier, A. (eds.) Handbuch der Berufsbildung. Opladen: Leske + Budrich.

Lutz, B. and Sengenberger, W. 1974. Arbeitsmarktstruktur und öffentliche Arbeitsmarktpolitik. Göttingen.

Lutz, B. and Sengenberger, W. 1988. 'Segmentationsanalyse und Beschäftigungspolitik' in Bolte, K.M. (ed.) Mensch, Arbeit und Betrieb: Beiträge zur Berufs- u. Arbeitskräfteforschung. Weinheim: VCH, Acta Humaniora.

NZZ 1999. 'Mehr als nur "Heuern und Feuern" in Amerika'. Zürich.

Sheldon, G. 1995. Die berufliche Flexibilität im Spiegel der Zeit. Bern.

Statistik, B.f. 1999a. 'Betriebszählung 1995'. http://www.admin.ch/bfs/stat_ch/ber03/bz95/dbz02.htm.

Statistik, B.f. 1999b. 'Statistik Schweiz - Erwerbsleben'. http://www.admin.ch/bfs/stat_ch/ber03/du0302.htm.

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Anmerkungen

[1] Denkbar wäre auch eine Fusion, da wir aber auf Betriebsebene befragt haben, fällt dieser Umstand nicht ins Gewicht.

[2] Die Klassifikation wurde in Anlehnung an Hotz (1996), S. 183ff. entwickelt.

[3] Vgl. Kapitel 3.

[4] Für die Herleitung der Kategorien funktionsübergreifender Qualifikationsanforderungen vgl. Text "Funktionsübergreifende Qualifikationsprofile", Kapitel 2.4.

[5] Vgl. Text "Der Einsatz von Teilzeit- und Temporärstellen in Schweizer Betrieben".

[6] Kulturtechniken (mündlicher Ausdruck, Rechtschreibung), Leistungsausweis (Berufserfahrung, EDV-Kenntnisse, Referenzen, Stellenwechsel, Leumund), Leistungsbereitschaft (Mobilität, Weiterbildung), Arbeitslosigkeit (ehemalig, aktuell), Status (älter als 45, jünger als 25, Ausländer, körperliche Behinderung, alleinerziehend)

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