Soziologisches Institut der Universität Zürich

Lehrstuhl Prof. Dr. Geser

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Wandel der Arbeitswelt
Ergebnisse eines neuen schweizerischen Forschungsprojekts
   

Angestellte: Funktionsübergreifende Kompetenzen sind gefordert

Ergebnisse November 1998

Jürg Meierhans

Angestellte müssen in allen befragten Branchen über ein breites Anforderungsprofil auf hohem Niveau verfügen, fachliches Wissen alleine genügt definitiv nicht mehr. Der Fachkompetenz wird im Vergleich mit den funktionsübergreifenden Anforderungen in beinahe allen Industrie- und Dienstleistungsbranchen kleineres Gewicht beigemessen. Die Dienstleistung stellt dabei leicht höhere Anforderungen als die Industrie oder das Baugewerbe.

Basisinformationen über das Projekt:

Beim Forschungsprojekt "Wandel der Arbeitswelt" handelt es sich um eine prospektive Untersuchung in schweizerischen Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben, die 1997-2000 gemeinsam vom Soziologischen Institut der Universität Zürich (SUZ) und der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) durchgeführt wurde. Sie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Schwerpunktprogramms "Zukunft Schweiz" finanziert.

Das Projekt hat zum Ziel, erstmals notwendige Basisdaten über den Qualifikationsbedarf der Schweizer Wirtschaft zu beschaffen. Dabei berücksichtigt es nicht nur den quantitativen Personalbedarf, sondern erfasst auch organisatorische und technologische Veränderungen in den Betrieben, die sich auf die Anforderungen an Arbeitsqualifikationen auswirken.

In methodischer Hinsicht bildet die standardisierte Erhebung der Qualifikationsstruktur, des Qualifikationsbedarfs sowie des organisatorischen Wandels der Betriebe den Schwerpunkt der Untersuchung.
Bei der Stichprobe handelt es sich um ein Panel von rund 6'000 privaten Unternehmungen, die vom KOF jährlich in Fragebogenerhebungen mit wechselnder Thematik einbezogen werden.
 
Es besteht aus einer nach Betriebsgrössenklassen und Branchenzugehörigkeit geschichteten Stichprobe, die Betriebe aus allen wichtigen Bereichen der Industrie, des Gewerbes sowie des privaten Dienstleistungssektors mitumfasst. Nicht einbezogen sind Betriebe, die ihre Dienstleistungen im Bereich Bildung, Gesundheit oder soziale Wohlfahrt erbringen.
Die Befragung richtete sich an Inhaber von betrieblichen Führungspositionen im Personalbereich.
An der Befragung, die vom Januar bis Mai 1998 stattgefunden hat, haben insgesamt 2143 Firmen teilgenommen.
Informationen zu diesem Forschungsprojekt können unter
Tel. ++41 (0)44 635 2310 oder
geser@soziologie.uzh.ch bezogen werden.

1.1 Sektorvergleich: Höchste Anforderungen in der Dienstleistung

Seit Ende der 80er Jahre lassen sich gravierende Veränderungen wirtschaftlichen Handelns beobachten. Globalisierung, Informatisierung, Innovationsdynamik sind einige Stichworte hierzu. Die damit einhergehende Flexibilisierung und Dezentralisierung der Arbeitsorganisation verändert die Anforderungen, welche an Angestellte gestellt werden. Dies führt u.a. zur Auflösung enger berufsfachlicher Aufgabenprofile durch Integration funktionsübergreifender Tätigkeitselemente. Wie schlägt sich diese Entwicklung in der Schweiz nieder? Welche Anforderungsprofile stellen schweizerische Betriebe an ihre Angestellte? Eine Bestandesaufnahme ergibt sich aus einem Sektor- bzw. einem Branchenvergleich in Industrie und Dienstleistung.

Abbildung 1.1: Mittelwert der Anforderungen in den Sektoren Dienstleistung, Industrie und Baugewerbe zwischen 1 "gar nicht wichtig" und 5 "absolut notwendig".

Gemeinsamkeiten bei einem Vergleich der drei Sektoren Industrie, Baugewerbe und Dienstleistungen zeigen sich darin, dass überall den funktionsübergreifenden generalisierbaren Anforderungen wie Sozial-, Methoden-, Selbstkompetenz und Verhalten am Arbeitsplatz stärkere Relevanz als den Fachkompetenzen zugemessen wird. Formales institutionell vermitteltes Wissen ist somit in der Einschätzung der Bedeutung der befragten Betriebe eindeutig kleiner als eher persönlichkeitsgebundenes, ausserhalb von Institutionen und oft in langen Sozialisationsprozessen erworbenes Wissen.

Unterschiede in den Profilen zeigen sich darin, dass im Dienstleistungsbereich Anforderungen generell leicht höher eingeschätzt werden als in den beiden anderen Sektoren, mit einer Ausnahme. Das Baugewerbe gewichtet Verhalten am Arbeitsplatz am stärksten, darunter fallen u.a. 'Pünktlichkeit', 'Loyalität' etc.. Diese Kompetenzen bilden Teil traditioneller Anforderungen, welche insbesondere im Handwerk, aber auch in Dienstleistung und Industrie, also immer noch sehr hohe Relevanz geniessen. Dieser Befund steht in Diskrepanz zur aktuellen Qualifikationsdiskussion, welche sich primär an sozialen funktionsübergreifenden Inhalten orientiert. Es scheint so, dass traditionelle Anforderungen einfach implizit vorausgesetzt werden und deshalb nicht der Rede wert sind. Sie garantieren gerade in Zeiten schnellen Wandels für Verlässlichkeit und Kontinuität.

1.2 Anforderungsprofile in der Dienstleistung

Abbildung 1.2: Mittelwert der Anforderungen in den einzelnen Branchen zwischen 1 "nicht notwendig" und 5 "absolut notwendig"

Alle Branchen in der Dienstleistung, mit Ausnahme der Branche Informatik/Forschung und Entwicklung, stufen die Fachkompetenz im Vergleich mit funktionsübergreifenden Anforderungen insgesamt als weniger relevant ein. Das darf aber nicht zum voreiligen Schluss verleiten, sie seien nicht wichtig. Analysiert man sie im Detail, so zeigt sich, dass die jeweiligen branchenspezifischen fachlichen Kernkompetenzen, z.B. spezielles Berufswissen oder EDV-Kenntnisse, als ebenso relevant erachtet werden, wie die fachübergreifenden. Die befragten Betriebe legen also Wert auf spezifische Fachkompetenzen und sind nicht an einer möglichst breiten Palette interessiert, die auch Fremdsprachen, Allgemeinbildung etc. umfasst.

Der Sozialkompetenz wird in der aktuellen Qualifikationsdiskussion zentrale Bedeutung zugeschrieben. Unsere Auswertung zeigt für die Branchen der Dienstleistung, dass ihr zweifellos hohe Relevanz zufällt. Interessant ist jedoch, dass in Branchen mit direktem Kundenkontakt, Detailhandel, Gastgewerbe und persönliche Dienstleistungen, die seit jeher hohe Sozialkompetenzen forderten, die Anforderungen auch heute noch höher liegen. Veränderungen der Arbeitsorganisation haben hier jedoch sicherlich eine Angleichung der übrigen Branchen bewirkt.

Die Methodenkompetenz und die Selbstkompetenz haben insbesondere in Branchen mit offenen, komplexen Aufgabenstellungen grosses Gewicht, z.B. in der Informatik/ Forschung und Entwicklung sowie in der Dienstleistung für Unternehmen. Erstaunlich ist, dass die oft genannte Kreativität, welche Teil der Selbstkompetenz bildet, im Vergleich als weniger relevant eingestuft wird und in allen Branchen am Schluss steht.

Insgesamt zeigt sich also in der Dienstleistung, dass die funktionsübergreifenden Kompetenzen sehr relevant sind, werden sie doch in nahezu allen Branchen als „wichtig" bis „sehr wichtig" erachtet. Es existieren somit keine engen berufsfachlichen Anforderungsprofile. Gleichwohl kann aber auch nicht von einer generellen Auflösung gesprochen werden, unterscheiden sich die Branchen doch immer noch signifikant voneinander.

1.3 Anforderungsprofile in der Industrie

Die Ergebnisse für die Fachkompetenzen in den Industriebranchen sind vergleichbar mit der Dienstleistung. Auch hier hat sie im Vergleich das kleinste Gewicht. Ebenso zeigt die differenzierte Analyse, dass alle Branchen starkes Gewicht auf spezifische fachliche Kernkompetenzen legen, welche von hoher Relevanz sind und auf vergleichbarem Niveau wie funktionsübergreifende Anforderungen liegen.

Abbildung 1.3: Mittelwert der Anforderungen in den einzelnen Branchen zwischen 1 "nicht notwendig" und 5 "absolut notwendig"

Abbildung 1.4: Mittelwert der Anforderungen in den einzelnen Branchen zwischen 1 "nicht notwendig" und 5 "absolut notwendig"

Der organisatorische Wechsel von Fachabteilungen zu Prozessteams verändert die Anforderungen an Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen. Auch die Industriebranchen stellen diesbezüglich hohe Anforderungen an ihre Angestellten, welche sich im Branchenvergleich sehr ähneln, dies im Gegensatz zur Dienstleistung. Beispielsweise unterscheiden sich die Sozialkompetenzen nicht signifikant zwischen den einzelnen Industriebranchen. In Zeiten organisatorischen und technischen Wandels steht in allen Branchen die Methodenkompetenz der 'Flexibilität' an erster Stelle. Gleichzeitig wollen alle Branchen in erster Linie selbständig arbeitende Mitarbeiter, wie die Auswertung der Selbstkompetenz zeigt.

Es zeigt sich also auch in der Industrie, dass funktionsübergreifende Anforderungen wichtig bis sehr wichtigen Stellenwert haben. Im Unterschied zur Dienstleistung unterscheiden sie sich aber zwischen den Branchen weniger signifikant. Insofern existieren in kleinerem Masse branchenspezifische Anforderungsprofile. Sie unterscheiden sich primär durch die Fachkompetenz.

1.4 Die bisherige Leistung entscheidet bei einer Anstellung

Ist jemand jünger als 45 Jahre, hat breite Erfahrung in einem Fachgebiet gesammelt, nicht zu oft gewechselt, ist mobil und hat einen guten Leumund, so entspricht er mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Anforderungsprofil und seine Chancen bei Bewerbungen sind intakt. Die Auswertung der Frage nach Hinderungsgründen für eine Anstellung zeigt über alle drei Sektoren eine bemerkenswerte Ähnlichkeit.

Primär massgebend ist also die bisherige Leistung der Bewerbenden. Mit der Berufserfahrung und den Referenzen weisen sie sich über fachliche und funktionsübergreifende Kompetenzen aus. Sekundär sind Aspekte der Persönlichkeit relevant, welche Auskunft über die Vertrauenswürdigkeit geben, z.B. 'viele Wechsel'. Dabei ist interessant, dass trotz technisch-organisatorischen Wandels viele Wechsel nicht etwa im positiven Sinne als Fähigkeit zur Flexibilität interpretiert werden, sondern als Mangel an Durchhaltewillen und Stetigkeit.

Das Alter ist der meistgenannte Faktor, welcher von den Bewerbern im Hinblick auf eine Anstellung nicht beeinflusst werden kann. Hat jemand die Altersgrenzen von 45 Jahren überschritten, so stellt dies in 6% - 8% der Fälle ein Hindernis dar. Dieser Befund bestätigt die Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt, wonach jüngere Arbeitnehmer/-innen tendenziell grössere Beschäftigungschancen haben.

Hat Arbeitslosigkeit einen Einfluss? Eine frühere Arbeitslosigkeit ist nahezu irrelevant. Etwas stärker fällt eine aktuelle Arbeitslosigkeit ins Gewicht. Trotzdem zeigen die Ergebnisse, dass Arbeitslosigkeit nicht als entscheidender Mangel aufgefasst wird. Gerade die hohen Arbeitslosenzahlen der 90er Jahre haben hier sicherlich zu einer veränderten Auffassung von Arbeitslosigkeit beigetragen, welcher nicht mehr nur Selbstverschulden zugeschrieben werden kann.

Abbildung 1.5: Hinderungsgründe für eine Anstellung in Prozenten

1.5 Fazit

Unsere Auswertungen zeigen, dass funktionsübergreifende Kompetenzen heute einen hohen Stellenwert im Anforderungsprofil schweizerischer Betriebe haben. In naher Zukunft dürfte sich daran nichts ändern, da bei den auslösenden Momenten technischer, organisatorischer und ökonomischer Art keine Trendumkehr feststellbar ist. Dabei gilt es zu bedenken, dass Angestellte über eine breite Palette von Fähigkeiten verfügen müssen, die früher oft nicht Teil ihrer beruflichen Formation bildeten. Wo Diskrepanzen zwischen vorhandenen Kompetenzen und Anforderungen auftreten, ist deshalb neben der persönlich motivierten Weiterbildung auch die Förderung von Seiten der Betriebe nötig.