Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
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Georg Simmel: Soziologie der Mahlzeit

ex: Der Zeitgeist, Beiblatt zum Berliner Tageblatt Nr. 41 vom 10 Oktober 1910 (= Festnummer zum hundertjährigen Jubiläum der Berliner Universität), S. 1-2, (Berlin)

Es gehört zu den Verhängnissen des sozialen Daseins, dass die Wesenselemente, die allen Individuen eines beliebigen Kreises gleichmäßig einwohnen, sich fast niemals als die höchsten, oft aber als die niedrigsten Antriebe und Interessen dieser Individuen offenbaren.

Denn nicht nur, dass innerhalb einer organischen Gattung diejenigen Formen und Funktionen am sichersten auf jedes Individuum vererbt werden, die von ihr am frühesten erworben sind, also die primitiven, noch nicht verfeinerten, mit der bloßen Notdurft des Lebens verknüpften; sondern das, was jeder besitzt, kann ersichtlich immer nur der Besitz des am wenigsten Besitzenden sein; und da es nun einmal das Los der Menschheit ist, dass wohl der Höhere zum Tieferen hinab, aber nicht ebenso leicht dieser zu jenem hinauf steigen kann - so wird im allgemeinen das Niveau, auf dem alle sich begegnen, dem Niveau des zuunterst Stehenden sehr nahe liegen müssen.

Alles Höhere, Vergeistigte, Bedeutsame entwickelt sich nicht nur an erlesenen Individuen, sondern auch wo ein jedes Individuum solche Werte trägt, liegen sie doch bei einem jeden nach einer irgendwie besonderen Richtung, zweigen sich oberhalb des Gemeinsamen auseinander.

Von allem nun, was den Menschen gemeinsam ist, ist das Gemeinsamste: dass sie essen und trinken müssen.

Und gerade dieses ist eigentümlicherweise das Egoistischste, am unbedingtesten und unmittelbarsten auf das Individuum Beschränkte: was ich denke, kann ich andere wissen lassen; was ich sehe, kann ich sie sehen lassen; was ich rede, können Hunderte hören - aber was der einzelne isst, kann unter keinen Umständen ein anderer essen.

In keinem der höheren Gebiete findet dies statt, dass auf das, was der eine haben soll, der andere unbedingt verzichten muss.

Indem aber dieses primitiv Physiologische ein absolut allgemein Menschliches ist, wird es gerade zum Inhalt gemeinsamer Aktionen, das soziologische Gebilde der Mahlzeit entsteht, das gerade an die exklusive Selbstsucht des Essens eine Häufigkeit des Zusammenseins, eine Gewöhnung an das Vereinigtsein knüpft, wie sie durch höher gelegene und geistige Veranlassungen nur selten erreichbar ist.

Personen, die keinerlei spezielles Interesse teilen, können sich bei dem gemeinsamen Mahle finden - in dieser Möglichkeit, angeknüpft an die Primitivität und deshalb Durchgängigkeit des stofflichen Interesses, liegt die unermessliche soziologische Bedeutung der Mahlzeit.

Die Kulte des Altertums, die sich im Gegensatz zu den Weltreligionen nur an begrenzte Kreise lokal Zusammengehöriger zu wenden pflegten, konnten sich deshalb im Opfermahl zusammenfassen.

Insbesondere im semitischen Altertum bedeutet dies das brüderliche Verhältnis durch den gemeinsamen Zutritt zu der Tafel Gottes.

Das gemeinsame Essen und Trinken, das selbst dem Araber den eben noch todfeindlichen Fremden in einen Freund verwandelt, löst eine ungeheure sozialisierende Kraft aus, die übersehen lässt, dass man ja gar nicht wirklich »dasselbe«, sondern völlig exklusive Portionen isst und trinkt, und die primitive Vorstellung erzeugt, man stelle hiermit gemeinsames Fleisch und Blut her.

Erst das christliche Abendmahl, das das Brot mit dem Leibe Christi identifiziert, hat auf dem Boden dieser Mystik die wirkliche Identität auch des Verzehrten und damit eine ganz einzige Verknüpfungsart unter den Teilhabenden geschaffen.

Denn hier, wo nicht jeder ein dem andern versagtes Stück des Ganzen zu sich nimmt, sondern ein jeder das Ganze in seiner geheimnisvollen, jedem gleichmäßig zuteil werdenden Ungeteiltheit, ist das egoistisch Ausschließende jedes Essens am vollständigsten überwunden.

Gerade weil die gemeinsame Mahlzeit ein Ereignis von physiologischer Primitivität und unvermeidlicher Allgemeinheit in die Sphäre gesellschaftlicher Wechselwirkung und damit überpersönlicher Bedeutung hebt, hat sie in manchen früheren Epochen einen ungeheuren sozialen Wert erlangt, dessen deutlichste Offenbarung die Verbote der Tischgemeinschaft sind.

So bestimmt die Cambridge Guild im elften Jahrhundert eine hohe Strafe für den, der mit dem Mörder eines Gildebruders isst und trinkt; so verordnet das Wiener Konzil von 1267 in seiner stark gegen die Juden gerichteten Tendenz noch besonders, dass Christen mit ihnen keine Gemeinschaft der Tafel haben sollten; so ist in Indien die Befleckung durch gemeinsames Essen mit einem der Kaste nach Niederen von gelegentlich tödlichen Folgen! Der Hindu speist oft allein, um ganz sicher zu sein, dass er keinen verbotenen Tischgenossen hat.

Im ganzen mittelalterlichen Gildenwesen ist das gemeinsame Essen und Trinken ein Punkt von so vitaler Wichtigkeit, wie wir es heute gar nicht mehr nachfühlen können.

Man möchte glauben, dass in der Unsicherheit und Fluktuierung des mittelalterlichen Daseins dies ein sozusagen anschaulich fester Punkt war, ein Symbol, an dem sich die Sicherheit des Zusammengehörens immer von neuem orientierte.

Und damit tut sich der Zusammenhang auf, der die bloße physische Äußerlichkeit der Ernährung dennoch an das Prinzip einer unendlich höher gelegenen Ordnung rühren lässt: in dem Maße, in dem die Mahlzeit eine soziologische Angelegenheit wird, gestaltet sie sich stilisierter, ästhetischer, überindividuell regulierter.

Nun entstehen all die Vorschriften über Essen und Trinken, und zwar nicht in der hier unwesentlichen Hinsicht auf die Speise als Materie, sondern bezüglich der Form ihrer Konsumierung.

Zunächst tritt hier die Regelmäßigkeit der Mahlzeiten auf.

Von sehr tief stehenden Völkerschaften wissen wir, dass sie nicht zu bestimmten Stunden, sondern anarchisch, wenn ein jeder gerade Hunger hat, essen.

Die Gemeinsamkeit des Mahles aber führt sogleich zeitliche Regelmäßigkeit herbei, denn nur zu vorbestimmter Stunde kann ein Kreis sich zusammenfinden - die erste Überwindung des Naturalismus des Essens.

In gleicher Richtung liegt, was man die Hierarchie der Mahlzeit nennen könnte: dass nicht mehr beliebig und regellos in die Schüssel hineingelangt wird, sondern eine bestimmte Reihenfolge innegehalten wird, in der man sich bedient; in den englischen Trade Clubs, den Vorläufern der heutigen Gewerkvereine, wurde manchmal eine Strafe dafür bestimmt, dass jemand außer der Reihe trank.

Mit all solchem wird eine formale Norm über die fluktuierenden Bedürfnisse des Einzelnen gestellt, die Sozialisierung der Mahlzeit hebt sie in eine ästhetische Stilisierung, die nun wieder auf jene zurückwirkt; denn wo man dem Essen außer dem Sättigungszweck auch noch eine ästhetische Befriedigung abverlangt, ist ein Aufwand erforderlich, den eine Gemeinschaft mehrerer nicht nur eher leisten kann als der einzelne, sondern die auch innerlich eher jene als diesen zum rechtmäßigen Träger hat.

Endlich ist die Regulierung der Essgebärde, ihre Normierung nach ästhetischen Prinzipien ein Erfolg der Sozialisierung der Mahlzeit.

In den niederen Ständen, wo die Mahlzeit wesentlich um das Essen seinem Stoffe nach zentriert, bilden sich keine typischen Regulative der Essgebärde aus.

In den höheren, in denen der Reiz des Zusammenseins bis zu seiner - mindestens angeblichen - Kulminierung in der »Gesellschaft« die bloße Materie der Mahlzeit dominiert, entsteht das für diese bestimmte Benehmen, ein Kodex von Regeln von der Haltung von Messer und Gabel bis zu den angemessenen Themen der Tischunterhaltung.

Gegenüber dem Bilde der Esser in einem Bauernhaus oder bei einem Arbeiterfeste erscheint ein Diner in gebildeten Kreisen den Bewegungen der Personen nach völlig schematisiert, überindividuell reguliert.

Diese strenge Normierung und Gleichgestaltung hat gar keinen äußeren Zweck, sie bedeutet ausschließlich die Aufhebung oder Umbildung, die die materialistisch individuelle Selbstsucht durch den Übergang in die Sozialform der Mahlzeit erfährt.

Schon das Essen mit einem Gerät hat diese Basis seines ästhetischeren Stiles.

Das Essen aus der Hand hat etwas entschieden Individualistischeres als das mit Messer und Gabel, es verknüpft den einzelnen unmittelbarer mit der Materie und ist die Äußerung der reserveloseren Begierde.

Indem das Essgerät diese letztere in eine gewisse Distanz rückt, wird eine gemeinsame, den Zusammenschluss mehrerer begünstigende Form über den Vorgang gelegt, wie sie bei dem Essen aus der Hand gar nicht besteht.

In der Hantierung mit dem Essgerät steigert sich dies Motiv, indem sich hier die allgemein normierte Form zugleich als die freiere offenbart.

Messer und Gabel mit der ganzen Faust zu umschließen, ist hässlich, weil dies die Freiheit der Bewegung hindert.

Die Essgebärden des Ungebildeten sind hart und ungelenk, aber ohne überpersönliche Reguliertheit; die des Gebildeten besitzen diese Regulative, indem sie beweglich und frei wirken - wie ein Symbol davon, dass die soziale Normierung ihr eigentliches Leben erst an der Freiheit des Individuums gewinnt, die sich auf diese Weise als das Widerspiel des naturalistischen Individualismus zeigt.

Und noch einmal dokumentiert sich hier diese Synthese: gegenüber der Schüssel, aus der in primitiven Epochen ein jeder einfach herauslangt, ist der Teller ein individualistisches Gebilde.

Er zeigt an, dass diese Essportion ausschließlich für diese eine Person abgeteilt ist.

Die Rundform des Tellers markiert dies; die Kreislinie ist die abschließendste, ihren Inhalt am entschiedensten in sich konzentrierende - wogegen die für alle bestimmte Schüssel eckig oder oval, also weniger eifersüchtig geschlossen sein mag.

Der Teller symbolisiert die Ordnung, die dem Bedürfnis des Einzelnen gibt, was ihm als einem Teile des gegliederten Ganzen zukommt, aber ihn dafür auch nicht über seine Grenzen hinausgreifen lässt.

Aber nun hebt der Teller diesen symbolischen Individualismus doch wieder in eine höhere formale Gemeinsamkeit auf; die Teller eines Esstisches müssen jeweils in sich völlig gleichartig sein, sie vertragen keinerlei Individualität; verschiedene Teller oder Gläser für die verschiedenen Personen würden absolut sinnwidrig und hässlich sein.

Jeder Schritt, der die Mahlzeit in den unmittelbaren und sinnbildlichen Ausdruck höherer, synthetischer sozialer Werte aufwärts führt, lässt sie eben damit einen höheren ästhetischen Wert gewinnen.

Deshalb verschwindet die ästhetische Versöhntheit der physischen Tatsache des Essens in dem Augenblick, wo selbst bei äußerlich bewahrter guter Form das Sozialisierungsmoment verschwindet - was sich an der Widrigkeit der Table d'hôte offenbart.

Hier begegnet man sich ausgesprochenermaßen nur des Essens wegen, das Zusammen wird nicht als eigener Wert gesucht, sondern umgekehrt ist es die Voraussetzung, dass man trotz des Zusammensitzens mit all diesen Leuten dadurch in keinerlei Beziehung zu ihnen tritt.

Aller Tafelschmuck und alles gute Benehmen kann hier nicht über die materialistische Pointierung des Esszweckes hinweghelfen: die Aversion jedes feineren Empfindens gegen die Table d'hôte erweist, dass ausschließlich die Sozialisierung diesen Zweck in eine höhere ästhetische Ordnung leiten kann; den Reizen dieser Ordnung fehlt da, wo das Zusammensein als solches keinen selbständigen Sinn hat, gewissermaßen die Seele, und sie können der Widrigkeit, ja Hässlichkeit des physischen Essvorganges keine Deckung mehr bieten.

Nur darf die Ästhetik der Mahlzeit es nie vergessen, was sie denn eigentlich zu stilisieren hat: eine in den Niederungen des organischen Lebens gelegene und deshalb schlechthin durchgängige Bedürfnisbefriedigung.

Wenn sie deshalb das materiell Individualistische zum Gegenstand hat, so darf sie gerade darum selbst nicht in individuelle Differenziertheit aufsteigen, sondern nur ein seelisches Nivellement verschönern und verfeinern, bis zu der Grenze, die dieses gestattet.

Das individuelle Aussehen einer Speise würde sich mit ihrem Zwecke, verzehrt zu werden, nicht vertragen: das wäre wie Menschenfresserei.

Deshalb gehören auch auf den Esstisch nicht die gebrochenen, nuancierten modernen Farben, sondern die breiten, glänzenden, an ganz primäre Reizbarkeiten anknüpfenden: Weiß und Silber.

In dem Meublement des Esszimmers meidet man im allgemeinen sehr ausladende, bewegte, herausfordernde Formen und Farben und sucht ruhige, dunkle, schwere.

Von Bildern bevorzugt man Familienbilder, denen keine zugespitzte Aufmerksamkeit entspricht, sondern das Gefühl des Gewöhnten, Verlässlichen, in die Breite der Lebensfundamente Zurückreichenden.

Die Ästhetik in Arrangement und Ausschmückung der Speisen ist selbst bei den raffiniertesten Diners von sonst längst überwundenen Prinzipien geleitet: Symmetrie, ganz kindliche Farbenreize, primitive Formgebungen und Symbole.

Auch der gedeckte Tisch darf nicht als ein in sich geschlossenes Kunstwerk erscheinen, so dass man nicht wagen möchte, seine Form zu zerstören.

Während die Schönheit des Kunstwerkes ihr Wesen in der Unberührtheit hat, die uns in Distanz hält, ist es das Raffinement der Tafel, dass ihre Schönheit doch einladend sei, in sie einzubrechen.

Jene streng generelle Fixierung der Essgebärden ist für die höheren Stände aus der Rangstellung des Gebietes heraus um so notwendiger, als in ihnen die Versuchung zur Individualistik besonders nahe liegt.

Im Essen individuell zu sein, wie man es doch in dem Gang und der Tracht, in der Sprechweise und aller sonstigen Gebärde sein mag, wäre völlig deplaciert, nicht nur ein innerer Widerspruch, sondern das wertmäßig Unangemessene, dass ein Höheres an ein Niederes, in einer ganz anderen Dimension Gelegenes gewendet wird, an dem es keinen Ansatzpunkt findet, sondern sich ins Leere verlaufen muss.

Auch die Tischunterhaltung darf sich, wenn sie im Stil bleiben will, nicht über die allgemeinen, typischen Gegenstände und Behandlungsarten, in individuelle Tiefen begeben.

Nun ist zwar dies alles auch aus physiologischer Zweckmäßigkeit zu erklären.

Denn diese fordert Unabgelenktheit und Unaufgeregtheit beim Essen.

Aber dies drückt nur in der Sprache des Körpers den tieferen sozialpsychologischen Zusammenhang aus, dass hier einem ganz primitiven Bedürfnis sein sicheres Verbreitetsein eine soziale Realisierung verschafft hat, durch die es in die Sphäre höheren und geistigen Reizes aufgestiegen, aber doch von seiner Basis nicht ganz gelöst ist.

Über die Banalität der gewöhnlichen Tischgespräche zu klagen, ist deshalb ganz missverständlich.

Die graziöse, aber immer in einer gewissen Allgemeinheit und Unintimität sich haltende Tischunterhaltung darf jenes Fundament nie völlig unfühlbar machen, weil erst an dessen festgehaltenem Charakter die ganze auflösende Leichtigkeit und Anmut ihres Oberflächenspieles sich offenbart.

Es mag hier daran erinnert werden, dass in einer ganzen Reihe von Lebensgebieten die niedrigsten Erscheinungen, ja die negativen Werte nicht nur die Durchgangspunkte für die Entwickelung des Höheren sind, nicht nur Hintergründe, von denen dieses sich abhebt, sondern ihre Niedrigkeit ist gerade als solche der Grund, dass das Höhere entsteht.

So bemerkt Darwin, dass die körperliche Schwäche des Menschen im Vergleich etwa mit den gleich großen Tieren wahrscheinlich das Motiv gewesen sei, das ihn von der isolierten Existenz zur sozialen geführt habe; diese aber habe alle die Fähigkeiten des Intellekts und des Willens zur Entfaltung gebracht, durch die er nun nicht nur seine physische Inferiorität ergänzt, sondern die - also gerade auf Grund dieser - seine Gesamtstärke zur Überlegenheit über alle seine Gegner gesteigert habe.

Unter den Elementen der persönlichen Sittlichkeit ist die gleiche Form zu finden.

Die Verführbarkeit und Verführtheit, die Sünde und Schuld stehen zwar an dem einen Pol der sittlichen Skala, die sie vielleicht nicht einmal durch gleitende Übergänge mit dem Guten und Reinen verbindet; und dennoch ist die äußerste sittliche Höhe unmittelbar durch jene Dunkelheiten und Tiefstände unseres Daseins bedingt.

Wer würde von sittlichem Verdienst sprechen, wenn es nicht des Kampfes mit der Versuchung - die die Legende deshalb auch den Heilanden nicht erspart - bedürfte, des Emporringens aus der Schwäche, dem Sinnlichen, Egoistischen? Dass über den reuigen Sünder mehr Freude im Himmel ist als über zehn Gerechte, drückt doch nur diesen inneren Aufbau aus, in dem das Negative kein bloßer Schatten über unseren Werten ist, keine Gegenrichtung, die ihrem Sinne nach von diesen schlechthin wegführt; sondern aus ihm selbst entfaltet sich wie aus einer positiven Energie sein Gegenteil.

Nur das Dunkle und Böse kann, gleichsam in sich selbst umschlagend, das Lichteste und Wertvollste erzeugen, das uns erreichbar ist.

Die Gleichgültigkeit und Banalität des Gebietes, von dem diese Zeilen handeln, sollen nicht darüber täuschen, dass auch in ihm die paradoxe Tiefe dieses Typus lebt.

Dass wir essen müssen, ist eine in der Entwicklung unserer Lebenswerte so primitiv und niedrig gelegene Tatsächlichkeit, dass sie jedem Individuum fraglos mit jedem anderen gemein ist.

Dies eben ermöglicht das Sichzusammenfinden zur gemeinsamen Mahlzeit, und an der so vermittelten Sozialisierung entfaltet sich die Überwindung des bloßen Naturalismus des Essens.

Wäre es nicht etwas so Niederes, so hätte es also diese Brücke nicht gefunden, über die hin es zur Bedeutsamkeit des Opfermahles, zu der Stilisierung und Ästhetisierung seiner schließlichen Formen aufsteigt.

Wenn es das Wesen des Tragischen ist, dass das Hohe an sich selbst zerbricht, wenn seine erschütterndsten Gestaltungen die ideellen Werte gerade mit ideellen Werten kämpfen und dadurch in das Nichtige oder Negative sinken lassen, so ist die hier verfolgte Entwickelung das genaue Gegenstück dieses Schicksals.

Denn hier ist das Niedrige und Nichtige durch sich selbst über sich selbst hinausgewachsen, die Tiefe hat gerade, weil sie Tiefe ist, sich in die Höhe des Geistigeren und Sinnvolleren gehoben.

Hier wie sonst tritt die Bedeutsamkeit des Lebenstypus gerade daran hervor, dass er auch das Unbedeutsame nach sich zu bilden nicht verschmäht.


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
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