Georg Simmel: Soziologie der Über- und Unterordnung
ex: Archiv
für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, hrsg. von Edgar Jaffé, Werner
Sombart und Max Weber, 24. Jg. (N. F. 6), 3. Heft (Mai - Juni), ausgegeben
am 21. Mai 1907, S. 477-546 (Tübingen)
Als die Aufgabe der Soziologie verstehe ich die
Beschreibung und historisch-psychologische Herleitung derjenigen Formen,
in denen sich die Wechselwirkungen zwischen Menschen vollziehen.
Diese Wechselwirkungen, die aus den verschiedensten
Impulsen, an den verschiedensten Objekten, um der verschiedensten Zwecke
willen entspringen, machen in ihrer Gesamtheit »die Gesellschaft« sensu
strictissimo und als eine Gestaltung menschlichen Daseins aus - im
Unterschied gegen die andre Bedeutung des Begriffs, demgemäss die
Gesellschaft in der Summe der in Wechselwirkung befindlichen Individuen,
samt allen Inhalten und Interessen, die die Beziehungen zwischen diesen
knüpfen, besteht.
Jene einzelnen Inhalte, an denen sich die Formen der
Wechselwirkung darstellen, sind die Gegenstände besonderer
Wissenschaften: zu sozialen Tatsachen werden sie eben dadurch, dass sie
sich in dieser bestimmten Form: in der Wechselwirkung von Menschen,
verwirklichen.
Den Gegenstand der Soziologie bilden also die Arten der
verknüpfenden Wechselwirkung, in Abstraktion von ihren materiellen
Inhalten.
So bezeichnen wir als »Kugel« einerseits einen
materiellen Gegenstand, der in Kugelform gestaltet ist; andrerseits diese
bloße Form selbst, die die materielle Substanz eben zur »Kugel« im
ersteren Sinne macht und, in selbständiger, abstrakter Betrachtung, einen
Gegenstand der geometrischen Untersuchung bildet.
Entsprechend ist es der Sinn der Soziologie, die Formen
und Arten der Beziehungen zwischen Menschen festzustellen, welche aus ganz
verschiednem Inhalt, Material und Interessen - ökonomischen und
kirchlichen, geselligen und pädagogischen, familiären und politischen -
doch formal analoge Sozialgebilde gestalten.
Die Geometrie hat nun den Vorteil, auf ihrem Gebiet
äußerst einfache Gebilde vorzufinden, in welche die komplizierteren
Figuren aufgelöst werden können; deshalb ist aus verhältnismäßig
wenigen Grundbestimmungen der ganze Umkreis möglicher Gestaltungen zu
konstruieren.
Gegenüber den Formen der Vergesellschaftung ist eine
auch nur annähernde Auflösung in einfache Elemente für absehbare Zeit
nicht zu erhoffen.
Die Folge davon ist, dass die soziologischen Formen,
wenn sie einigermaßen bestimmte sein sollen, nur für einen relativ
geringen Umkreis von Erscheinungen gelten.
Wenn man also auch z.B. sagt, dass Über- und
Unterordnung eine Formung ist, die sich fast in jeder menschlichen
Vergesellschaftung findet, so ist mit dieser allgemeinen Erkenntnis wenig
gewonnen.
Es bedarf vielmehr des Eingehens auf die einzelnen
Arten der Über- und Unterordnung, auf die speziellen Formen ihrer
Verwirklichung, die nun in dem Maße ihrer Bestimmtheit natürlich an
Umfang ihrer Gültigkeit verlieren.
Ich will im folgenden einige der typischen Arten von
Über- und Unterordnung - an historischen Erscheinungen und in
psychologischer Analyse - darstellen, und zwar in Hinsicht auf ihre
formale Bedeutung für die Vergesellschaftung.
Denn Über- und Unterordnung stellt sich keineswegs
erst da ein, wo schon »Gesellschaft« ist, sondern es ist eine der Arten,
auf die »Gesellschaft« zustande kommt.
Aber auch nicht etwa so, dass sie deren Ursache wäre;
sondern ganz unmittelbar ist sie, zusammen mit allen andern
Vergemeinsamungsformen dasjenige, was wir mit dem kollektiven oder
abstrakten Begriff der Gesellschaft bezeichnen.
Im allgemeinen liegt niemandem daran, dass sein
Einfluss den andern bestimme, sondern daran, dass dieser Einfluss, diese
Bestimmtheit des andern auf ihn, den Bestimmenden, zurückwirke.
So liegt eine Wechselwirkung schon bei jener abstrakten
Herrschsucht vor, die daran befriedigt ist, dass das Handeln oder Leiden,
der positive oder negative Zustand des andern sich dem Subjekt als das
Erzeugnis seines Willens darbietet.
Diese sozusagen solipsistische Ausübung einer
beherrschenden Gewalt, deren Bedeutung für den Übergeordneten
ausschließlich in dem Bewusstsein seiner Wirksamkeit besteht, ist
freilich erst eine soziologische Rudimentärform, und vermöge ihrer
besteht so wenig Vergesellschaftung, wie zwischen einem Künstler und
seiner Statue, die doch auch auf ihn mit dem Bewusstsein seiner
Schöpfermacht zurückwirkt.
Im übrigen bedeutet Herrschsucht, selbst in dieser
sublimierten Form, deren praktischer Sinn nicht eigentlich die Ausnutzung
des andern, sondern das bloße Bewusstsein ihrer Möglichkeit ist,
keineswegs die äußerste egoistische Rücksichtslosigkeit.
Denn Herrschsucht, so sehr sie das innere Widerstreben
des Unterworfenen brechen will, während dem Egoismus nur an dem Sieg
über sein äußeres zu liegen pflegt, hat an dem andern noch immer eine
Art Interesse, er ist für sie ein Wert.
Erst wo der Egoismus nicht einmal Herrschsucht ist,
sondern der andre ihm absolut gleichgültig und ein bloßes Werkzeug zu
über ihn hinausliegenden Zwecken ist, fällt der letzte Schatten des
vergesellschaftenden Füreinander fort.
Dass das Ausschalten absolut jeder Eigenbedeutung der
einen Partei den Begriff der Gesellschaft aufhebt, zeigt in relativer Art
die Bestimmung der späteren römischen Juristen: dass die societas
leonina überhaupt nicht mehr als Gesellschaftsvertrag aufzufassen sei.
Und in demselben Sinne hat man von den niederen
Arbeitern in den modernen Riesenbetrieben, die jede wirksame Konkurrenz
durch rivalisierende Unternehmer um die Dienste jener ausschließen,
gesagt: Der Unterschied in der strategischen Stellung zwischen ihnen und
ihren Brotherren sei so überwältigend, dass der Arbeitsvertrag
überhaupt aufhöre, ein »Vertrag« im gewöhnlichen Wortsinne zu sein,
weil die einen bedingungslos den andern ausgeliefert sind.
Insofern zeigt sich die moralische Maxime: einen
Menschen niemals als bloßes Mittel zu gebrauchen - allerdings als die
Formel für jede Vergesellschaftung.
Wo die Bedeutung der einen Partei auf einen Punkt
sinkt, wo eine von dem Ich als solchem ausgehende Wirkung nicht mehr in
die Beziehung eintritt, kann man von Gesellschaft so wenig reden, wie
zwischen dem Tischler und der Hobelbank.
Nun ist die Ausschaltung jeglicher Spontaneität
innerhalb eines Unterordnungsverhältnisses in Wirklichkeit seltner, als
die populäre Ausdrucksweise schließen lässt, die mit den Begriffen des
»Zwanges«, des »Keine-Wahl-habens«, der »unbedingten Notwendigkeit«
sehr freigebig ist.
Selbst in den drückendsten und grausamsten
Unterworfenheitsverhältnissen besteht noch immer ein erhebliches Maß
persönlicher Freiheit.
Wir werden uns ihrer nur nicht bewusst, weil ihre
Bewährung in solchen Fällen Opfer kostet, die auf uns zu nehmen ganz
außer Frage zu stehen pflegt.
Der »unbedingte« Zwang, den der grausamste Tyrann auf
uns ausübt, ist tatsächlich immer ein durchaus bedingter, nämlich
dadurch bedingt, dass wir den angedrohten Strafen oder sonstigen
Konsequenzen der Unbotmäßigkeit entgehen wollen.
Genau angesehen vernichtet das Über- und
Unterordnungs-Verhältnis die Freiheit des Untergeordneten nur im Falle
von unmittelbaren physischen Vergewaltigungen; sonst pflegt es nur einen
Preis, den wir nicht zu bezahlen geneigt sind, für die Realisierung der
Freiheit zu fordern und kann den Umkreis der äußeren Bedingungen, in dem
sie sich sichtbar realisiert, mehr und mehr verengern, aber, außer in
jenem Fall physischer Übergewalt, niemals bis zu völligem Verschwinden.
Die moralische Seite dieser Betrachtung geht uns hier
nichts an, wohl aber die soziologische: dass die Wechselwirkung, d.h. die
zwar gegenseitig bestimmte, aber nur von den Persönlichkeitspunkten her
erfolgende Aktion innerhalb der Beziehung auch in denjenigen Fällen von
Über- und Unterordnung besteht und diese also auch da noch zu einer
gesellschaftlichen Form macht, wo für die gewöhnliche Auffassung der
»Zwang« durch die eine Partei die andre jeder Spontaneität und damit
jeder eigentlichen »Wirkung« beraubt.
Für die Analyse des gesellschaftlichen Daseins ist es
angesichts der ungeheuren Rolle der Über- und Unterordnungs-Verhältnisse
von der größten Wichtigkeit, sich über solche Spontaneität und
Mitwirksamkeit des untergeordneten Subjektes gegenüber ihrer vielfachen
Verschleierung in der oberflächlicheren Vorstellungsweise klar zu werden.
Was man z.B. »Autorität« nennt, setzt in höherem
Maße, als man anzuerkennen pflegt, eine Freiheit des der Autorität
Unterworfenen voraus, sie ist selbst wo sie diesen zu »erdrücken«
scheint, nicht auf einen Zwang und ein bloßes Sich-Fügen-Müssen
gestellt.
Das eigentümliche Gebilde der »Autorität«, das für
das Gemeinsamkeitsleben in den mannigfaltigsten Maßen, in Ansätzen wie
in Übertreibungen, in akuten wie in Dauerformen bedeutsam ist, scheint
auf zweierlei Wegen zustande zu kommen.
Eine Persönlichkeit, an Bedeutung und Kraft
überlegen, erwirbt bei ihrer näheren oder auch entfernteren Umgebung
einen Glauben und Vertrauen, ein maßgebendes Gewicht ihrer Meinungen, das
den Charakter einer objektiven Instanz trägt: die Persönlichkeit hat
eine Prärogative und axiomatische Zuverlässigkeit für ihre
Entscheidungen gewonnen, die über den immer variabeln, relativen, der
Kritik unterworfenen Wert einer subjektiven Persönlichkeit mindestens um
einen Teilstrich hinausragt.
Indem ein Mensch »autoritativ« wirkt, ist die
Quantität seiner Bedeutung in eine neue Qualität umgeschlagen, hat für
sein Milieu gleichsam den Aggregatzustand der Objektivität angenommen.
Der gleiche Erfolg kann in der umgekehrten Richtung
zustande kommen: eine überindividuelle Potenz, Staat, Kirche, Schule, die
Organisationen der Familie oder des Militärs, bekleiden von sich aus eine
Einzelpersönlichkeit mit einem Ansehen, einer Würde, einer
letztinstanzlichen Entscheidungskraft, die aus deren Individualität
niemals wachsen würde.
Die »Autorität«, deren Wesen ist, dass ein Mensch
mit derjenigen Sicherheit und Anerkennungszwang entscheidet, die
logischerweise nur dem überpersönlich-sachlichen Axiom oder Deduktion
zukommt - hat sich hier gleichsam von oben auf eine Person niedergelassen,
während sie im ersteren Falle aus den Qualitäten der Person, wie durch
generatio aequivoca aufgestiegen ist.
An dem Punkt dieses Überganges und Umschlages hat nun
ersichtlich der mehr oder weniger freiwillige Glaube des der Autorität
Unterworfenen einzusetzen; denn jene Umsetzung zwischen dem
überpersönlichen und dem Persönlichkeitswert, die dem letzteren ein,
wenn auch noch so minimales Plus über das ihr beweisbar, rational
Zukommende hinzufügt, wird von dem Autoritätsgläubigen selbst
vollzogen, ist ein soziologisches Ereignis, das die spontane Mitwirkung
auch des untergeordneten Elementes erfordert; ja, dass man eine Autorität
als »erdrückend« empfindet, weist auf die eigentlich vorausgesetzte und
nie ganz ausgeschaltete Selbständigkeit des andern hin.
Eine noch positivere Aktivität besteht auf der Seite
des scheinbar bloß passiven Elementes in Verhältnissen wie diesen: der
Redner, der der Versammlung, der Lehrer, der der Klasse gegenübersteht,
scheint der allein Führende, der momentan Übergeordnete zu sein; dennoch
empfindet jeder, der sich in solcher Situation befindet, die bestimmende
und lenkende Rückwirkung der scheinbar bloß aufnehmenden und von ihm
gelenkten Masse.
Und dies nicht nur bei unmittelbarem
Sich-Gegenüberstehen.
Alle Führer werden auch geführt, wie in unzähligen
Fällen der Herr der Sklave seiner Sklaven ist.
»Ich bin ihr Führer, also muss ich ihnen folgen«,
hat einer der größten deutschen Parteiführer im Hinblick auf seine
Gefolgschaft gesagt.
Am krassesten tritt dies am Journalisten hervor, der
den Meinungen einer stummen Menge Inhalt und Richtung gibt, dabei aber
durchaus hören, kombinieren, ahnen muss, was denn eigentlich die
Tendenzen dieser Menge sind, was sie zu hören, was sie bestätigt zu
wissen, wohin sie geführt zu werden wünscht.
Während das Publikum scheinbar nur unter seiner
Suggestion steht, steht er in Wirklichkeit ebenso unter der des Publikums.
Eine höchst komplizierte Wechselwirkung, deren
beiderseitig spontane Kräfte freilich sehr verschiedene Formen besitzen,
verbirgt sich hier also unter dem Anschein der reinen Superiorität des
einen Elementes gegenüber dem stummen Sich-Führen-Lassen des andern.
In personalen Verhältnissen, deren ganzer Inhalt und
Sinn die eine Partei ausschließlich zum Dienst der andern bestimmt, ist
grade das vollkommene Maß dieser Hingabe oft daran gebunden, dass diese
andre sich, wenn auch in einer anderen Schicht der Beziehung, an jene
hingibt.
So äußert sich Bismarck über sein Verhältnis zu
Wilhelm I.: »Ein gewisses Maß von Hingebung wird durch die Gesetze
bestimmt, ein größeres durch politische Überzeugung; wo es darüber
hinausgeht, bedarf es eines persönlichen Gefühles von Gegenseitigkeit.
- Meine Anhänglichkeit hatte ihre prinzipielle
Begründung in einem überzeugungstreuen Royalismus; aber in der
Spezialität, wie er vorhanden war, ist er doch nur möglich unter der
Wirkung einer gewissen Gegenseitigkeit - zwischen Herr und Diener«.
Den charakteristischsten Fall dieses Typus vielleicht
bietet die hypnotische Suggestion.
Ein hervorragender Hypnotiseur hat betont, dass bei
jeder Hypnose eine, wenn auch nicht leicht zu bestimmende Wirkung des
Hypnotisierten auf den Hypnotiseur stattfände, und dass ohne diese der
Effekt nicht erreicht würde.
Während die Erscheinung hier das absolute Beeinflussen
von der einen, das absolute Beeinflusstwerden von der andern Seite
darbietet, birgt auch diese eine Wechselwirkung, einen Austausch der
Einflüsse, der die reine Einseitigkeit der Über- und Unterordnung zu
einer soziologischen Form umbiegt.
Ich führe nur noch aus rechtlichen Gebieten einige
Fälle von Über- und Unterordnung an, in deren scheinbar rein einseitiger
Richtung die tatsächlich vorhandene Wechselwirkung sich ohne
Schwierigkeit aufzeigen lässt.
Wenn bei unumschränktem Despotismus der Herrscher an
seine Befehle die Drohung von Strafe oder das Versprechen von Lohn
knüpft, so heißt dies, dass er selbst an die von ihm ausgehende
Verordnung gebunden sein will: der Untergeordnete soll das Recht haben,
seinerseits etwas von ihm zu fordern, der Despot bindet sich mit der
Straffestsetzung, so horrend sie sei, keine höhere aufzuerlegen.
Ob er nachher tatsächlich den versprochenen Lohn oder
die Strafbegrenzung eintreten lässt oder nicht, ist eine andre Frage.
Der Sinn des Verhältnisses ist der, dass zwar der
Übergeordnete den Untergeordneten völlig bestimmt, dass diesem aber doch
ein Anspruch zugesichert ist, den er geltend machen kann, oder auf den er
verzichten kann: so dass selbst diese entschiedenste Form des
Verhältnisses doch noch irgend eine Spontaneität des Untergeordneten
enthält.
In eigentümlicher Umsetzung wird das Motiv der
Wechselwirkung innerhalb der anscheinend rein einseitig-passivistischen
Unterordnung in einer mittelalterlichen Staatstheorie wirksam: der Staat
sei so entstanden, dass die Menschen sich gegenseitig verpflichtet
hätten, sich einem gemeinsamen Oberhaupt zu unterwerfen; der Herrscher -
offenbar auch der unumschränkte - werde auf Grund eines Vertrages der
Untertanen untereinander bestellt.
Hier steigt also der Gedanke der Wechselseitigkeit von
dem Herrschaftsverhältnis selbst - in das die gleichzeitigen Theorien von
dem Vertrage zwischen
Herrscher und Volk ihn verlegen - in den Grund dieses
Verhältnisses selbst hinab: die Verpflichtung gegen den Fürsten wird als
bloße Formung, Ausdruck, Technik eines Gegenseitigkeitsverhältnisses
zwischen den Individuen des Volkes empfunden.
Und wenn bei Hobbes der Herrscher durch keinerlei
Verfahren seinen Untertanen gegenüber vertragsbrüchig werden kann, da er
nämlich mit ihnen gar keinen Vertrag abgeschlossen hat, so ist das
Korrelat dazu, dass der Untertan, auch wenn er sich gegen den Herrscher
empört, damit keinen Vertrag bricht, den er mit ihm eingegangen ist;
sondern vielmehr den, den er mit allen andern Mitgliedern der Gesellschaft
geschlossen hat, sich von diesem Herrscher beherrschen zu lassen.
Aus dem Wegfall des Gegenseitigkeitsmomentes erklärt
sich die Beobachtung, dass die Tyrannei einer Gesamtheit gegen ihr eignes
Mitglied schlimmer sei, als die eines Fürsten.
Dadurch, dass die Gesamtheit, und keineswegs nur die
politische, ihr Mitglied nicht sich gegenüber, sondern wie ein eignes
Glied in sich eingeschlossen empfindet, entsteht oft eine eigentümliche
Rücksichtslosigkeit gegen dieses, die sich noch ganz von der
persönlichen Grausamkeit eines Herrschers unterscheidet.
Jedes formale Gegenüber, auch wenn es inhaltlich auf
Unterwerfung geht, ist eine Wechselwirkung, die prinzipiell immer irgend
eine Beschränkung jedes Elements einschließt und davon nur in
individuellen Ausnahmen abweicht.
Wo die Überordnung jene spezifische
Rücksichtslosigkeit zeigt, wie in dem Falle der Gesamtheit, die über ihr
Mitglied verfügt, liegt eben auch nicht das Gegenüber vor, in dessen
Wechselwirkungsform eine Spontaneität beider Elemente und damit eine
Eingrenzung beider stattfindet.
Sehr schön drückt dies der ursprüngliche römische
Gesetzesbegriff aus.
Das Gesetz verlangt seinem reinen Sinne nach eine
Unterwerfung, die keinerlei Spontaneität oder Gegenwirkung des ihm
Untergeordneten einschließt.
Ob dieser bei der Gesetzgebung mitgewirkt hat, ja, ob
er sich das für ihn gültige Gesetz selbst gegeben hat, ist hierfür
belanglos; er hat sich eben in diesem Falle selbst in Subjekt und Objekt
der Gesetzgebung zerlegt, und die von jenem zu diesem gehende Bestimmung
des Gesetzes wird in ihrem Sinne dadurch nicht geändert, dass beide
zufällig in einer physischen Person zusammenfallen.
Dennoch haben die Römer in dem Begriff des Gesetzes
unmittelbar den einer Wechselwirkung angedeutet.
Lex bedeutet nämlich ursprünglich Vertrag, allerdings
mit dem Sinne, dass die Bedingungen desselben von dem Proponenten
festgesetzt werden und der andre Teil nur en bloc annehmen oder ablehnen
kann.
So besagt die lex publica populi romani anfänglich,
dass der König sie proponierte, das Volk der Akzeptant war.
Damit ist der Begriff, der die Wechselwirksamkeit am
entschiedensten von sich auszuschließen scheint, schon durch seinen
sprachlichen Ausdruck dennoch designiert, auf diese hinzuweisen.
Dies distrahiert sich gleichsam in der Prärogative des
römischen Königs, dass nur er zum Volke reden durfte.
Eine solche Prärogative bedeutet zwar die
eifersüchtig ausschließende Einheit seiner Herrschaft - wie entsprechend
im griechischen Altertum das Recht eines jeden, zum Volke zu sprechen, die
vollendete Demokratie bezeichnete - aber es liegt doch darin die
Anerkennung der Bedeutung, die die Rede zum Volk und die also das Volk
selbst hat.
Es liegt darin, dass das Volk, trotzdem es nur jene
einseitige Wirkung empfing, doch ein Kontrahent war, mit dem zu
kontrahieren freilich einem einzigen vorbehalten war. -
Mit diesen Vorbemerkungen sollte nur der eigentlich
soziologische, gesellschaftsbildende Charakter der Über- und Unterordnung
auch für die Fälle aufgezeigt werden, in denen an die Stelle eines
gesellschaftlichen Verhältnisses ein bloß mechanisches: die Position des
Untergeordneten als eines keinerlei Spontaneität einsetzenden Objektes
oder Mittels für den Übergeordneten - zu treten schien.
Aber mindestens vielfach ist es doch gelungen, unter
der Einseitigkeit der Beeinflussung die soziologisch entscheidende
Wechselwirksamkeit sichtbar zu machen.
Die Arten der Überordnung lassen sich zunächst rein
äußerlich, aber für die Erörterung bequem, nach einem dreigliedrigen
Schema teilen; sie kann ausgeübt werden: von einem einzelnen, von einer
Gruppe, von einer objektiven, sei es sozialen, sei es idealen Macht.
Ich bespreche nun einige der soziologischen Bedeutungen
dieser Möglichkeiten.
Die Unterordnung einer Gruppe unter eine Person hat vor
allem eine sehr entschiedene Vereinheitlichung der Gruppe zur Folge, und
zwar nahezu gleichmäßig bei den beiden charakteristischen Formen dieser
Unterordnung: nämlich erstens, wenn die Gruppe mit ihrer Spitze eine
wirkliche innere Einheit bildet, wenn der Herrscher die Gruppenkräfte in
ihrer eignen Richtung fort- und in sich zusammenführt, so dass
Überordnung eigentlich nur bedeutet, dass der Wille der Gruppe einen
einheitlichen Ausdruck oder Körper gewonnen hat.
Aber auch, zweitens, wenn die Gruppe sich in Opposition
gegen ihre Spitze fühlt, ihr gegenüber Partei bildet.
Bezüglich des ersteren Falles zeigt jeder Blick auf
soziologische Gebiete ohne weiteres den unermesslichen Vorteil der
Einherrschaft für die Zusammenfassung und kraftsparende Lenkung der
Gruppenkräfte.
Ich will nur zwei inhaltlich sehr heterogene
Erscheinungen von gemeinsamer Unterordnung anführen, in denen gerade
deren Unersetzlichkeit für die Einheit des Ganzen hervortritt.
Die Soziologie der Religionen ist dadurch prinzipiell
differenziert, ob eine Vereinigung der Individuen einer Gruppe statthat,
die den gemeinsamen Gott als das Symbol und die Weihe ihrer
Zusammengehörigkeit gleichsam aus dieser hervorwachsen lässt - wie es in
vielen primitiven Religionen der Fall ist -, oder ob die Gottesvorstellung
erst ihrerseits die sonst nicht oder nur knapp zusammenhängenden Elemente
in eine Einheit zusammenbringt.
Wie sehr das Christentum diese letztere Form realisiert
hat, bedarf nicht der Beschreibung, auch nicht, wie einzelne Sekten ihr
besonderes und besonders starkes Band in dem absolut subjektiven und
mystischen Verhältnis zu der Person Jesu finden, das jeder einzelne als
Individuum und insoweit völlig unabhängig von jedem anderen und von der
Gemeinsamkeit besitzt.
Aber sogar von den Juden ist behauptet worden: im
Gegensatz zu den gleichzeitig entstandenen Religionen, wo die
Verwandtschaft zunächst jeden Genossen mit jedem anderen und dann erst
das Ganze mit dem göttlichen Prinzip verbindet, würde dort das
gemeinsame Vertragsverhältnis zu Jehova als die eigentliche Kraft und
Sinn der nationalen Zusammengehörigkeit empfunden.
Diese formale Struktur war der mittelalterliche
Feudalismus häufig auf Grund der vielverflochtenen persönlichen
Abhängigkeiten und »Dienste« zu wiederholen disponiert.
Am bezeichnendsten vielleicht bei den Genossenschaften
der Ministerialen, unfreier Hof- und Hausdiener, die in einem engen, rein
persönlichen Verhältnis zu dem Fürsten standen.
Die Genossenschaften, welche diese bildeten, hatten gar
keine sachliche Basis, wie sie doch die hörigen Dorfgemeinschaften
vermöge des nachbarlichen Besitzes besaßen; sie wurden zu ganz
verschiedenen Diensten verwendet, hatten verschieden gelegene Besitzungen
und bildeten dennoch eng geschlossene Genossenschaften, ohne deren
Bewilligung niemand in sie eintreten oder aus ihr entlassen werden konnte.
Sie hatten ein eigenes Familien- und Sachenrecht
ausgebildet, besaßen je unter sich Vertrags- und Verkehrsfreiheit,
forderten Sühne für inneren Friedensbruch - und hatten für diese enge
Einheit durchaus keine andere Grundlage, als die Identität des Herrn, dem
sie dienten, der sie nach außen hin vertrat und in landrechtlichen
Beziehungen für sie agierte.
Wie in jenem religiösen Falle ist die Unterordnung
unter eine individuelle Potenz hier nicht, was sie in vielen, besonders
den politischen Fällen ist, die Folge oder der Ausdruck einer bestehenden
organischen oder Interessengemeinschaft, sondern die Überordnung des
einen Herrn umgekehrt die Ursache einer sonst nicht erreichbaren, durch
keine sonstige Beziehung angelegten Gemeinsamkeit.
Es ist übrigens nicht nur das gleiche, sondern gerade
auch das ungleiche Verhältnis der Untergeordneten zu der dominierenden
Spitze, was der so charakterisierten Sozialform ihre Festigkeit gibt.
Die mannigfaltige Entferntheit oder Nähe zu ihm
schafft eine Gliederung, die darum nicht weniger fest und formbestimmt
ist, weil die Innenseite dieser Distanzen oft Eifersucht, Repulsion,
Hochmut ist.
Die soziale Höhe der indischen Kasten bestimmt sich
nach ihrem Verhältnis zum Brahmanen.
Würde der Brahmane von einem ihr Angehörigen ein
Geschenk annehmen? ein Glas Wasser ohne Bedenken aus seiner Hand? mit
Schwierigkeiten? würde er es mit Abscheu zurückweisen? Dass sich die
eigentümliche Festigkeit der Kastenschichtung hieran heftet, ist für die
jetzt fragliche Form
deshalb so bezeichnend, weil die bloße Tatsache einer
höchsten Spitze durch ein rein ideelles Moment jedem Element und dadurch
dem Ganzen sein Strukturverhältnis bestimmt.
Dass jene höchste Schicht von sehr vielen
Einzelpersonen besetzt ist, ist ganz irrelevant, da die soziologische Form
ihrer Wirkung hier genau wie die einer Einzelperson ist: die Relation zu
»dem Brahmanen« entscheidet.
So kann das formal Charakteristische der Unterordnung
unter eine Einzelperson auch bei einer Vielheit übergeordneter
Einzelpersonen auftreten.
Die spezifische soziologische Bedeutung solcher
Vielheit werden uns andere Erscheinungen offenbaren.
Jene vereinheitlichende Folge der Unterordnung unter
eine herrschende Kraft zeigt sich nun nicht weniger, wenn die Gruppe sich
gegen diese in Opposition befindet.
An der politischen Gruppe wie in der Fabrik, in der
Schulklasse wie an der kirchlichen Gemeinde ist es zu beobachten, wie die
Aufgipfelung der Organisation zu einer Spitze die Einheit des Ganzen
sowohl im Falle der Eintracht wie in dem der Opposition bewirken hilft,
wie vielleicht der letztere die Gruppe noch mehr zwingt, sich
»zusammenzunehmen«.
Wenn die gemeinsame Gegnerschaft überhaupt schon eines
der mächtigsten Mittel ist, eine Mehrheit von Individuen oder Gruppen zum
Zusammenhalten zu bewegen, so steigert sich dies noch, wenn der gemeinsame
Gegner zugleich der gemeinsame Herr ist.
Gewiss nicht in offenbarer und wirksamer, aber in
latenter Form findet diese Kombination wohl allenthalben statt: in irgend
einem Maße oder irgend einer Beziehung ist der Herr fast immer ein
Gegner.
Der Mensch hat ein inneres Doppelverhältnis zum
Prinzip der Unterordnung: er will zwar einerseits beherrscht sein, die
Mehrzahl der Menschen kann nicht nur ohne Führung nicht existieren,
sondern sie fühlen das auch, sie suchen die höhere Gewalt, die ihnen die
Selbstverantwortlichkeit abnimmt, und eine einschränkende, regulierende
Strenge, die sie nicht nur gegen außen, sondern auch gegen sich selbst
schützt.
Nicht weniger aber brauchen sie die Opposition gegen
diese führende Macht, sie bekommt so erst, gleichsam durch Zug und
Gegenzug, die richtige Stelle im inneren Lebenssystem der Gehorchenden.
Ja, man möchte sagen, dass Gehorsam und Opposition nur
die beiden nach verschiedenen Richtungen orientierten und als
selbständige Triebe erscheinenden Seiten oder Glieder eines in sich ganz
einheitlichen Verhaltens des Menschen sind.
Der einfachste Fall ist der politische, in dem die
Gesamtheit, aus so auseinander und gegeneinander strebenden Parteien sie
bestehen mag, doch das gemeinsame Interesse hat, die Kompetenzen der Krone
in Grenzen zu halten, bzw. einzuschränken - bei aller praktischen
Unentbehrlichkeit dieser Krone, ja, aller gefühlsmäßigen
Anhänglichkeit an sie.
In England blieb Jahrhunderte lang nach der Magna
Charta das Bewusstsein lebendig, dass gewisse Grundrechte für alle
Klassen erhalten und gemehrt werden müssten, dass der Adel seine
Freiheiten nicht ohne gleichzeitige Freiheit der schwächeren Klassen
behaupten könnte und dass ein gemeinsames Recht für Adel, Bürger und
Bauern das Korrelat für die Einschränkungen des persönlichen Regimentes
wäre; und es ist oft hervorgehoben worden, dass, solange dieses letztere
Kampfziel in Frage steht, der Adel stets das Volk und die Geistlichkeit
auf seiner Seite hat.
Und selbst wo es zu dieser Art von Vereinheitlichung
vermittels der Einherrschaft nicht kommt, wird mindestens ein
einheitliches Kampffeld der ihr Unterworfenen geschaffen: zwischen denen,
die mit dem Herrscher, und denen, die gegen ihn stehen.
Es gibt kaum ein soziologisches, einer höchsten Spitze
untertanes Gebiet, auf dem dieses pro und contra die Elemente nicht zu
einer Lebendigkeit von Wechselwirkungen und Verflechtungen veranlasste,
die, trotz aller Repulsionen, Reibungen und Kriegskosten doch manchem
friedlichen, aber indifferenten Nebeneinander an schließlich
vereinheitlichender Kraft weit überlegen ist.
Da es sich hier indes nicht um die Konstruktion
dogmatisch einseitiger Reihen, sondern um die Aufzeigung von
Grundvorgängen handelt, deren unendlich mannigfaltige Maße und
Kombinationen ihre Oberflächenerscheinungen oft völlig einander
entgegengesetzt verlaufen lassen, so muss hervorgehoben werden, dass die
gemeinsame Unterwerfung unter eine herrschende Macht keineswegs immer zu
Vereinheitlichung führt, sondern, auf bestimmte Dispositionen treffend,
auch zu dem gegenteiligen Erfolge.
Die englische Gesetzgebung errichtete gegen
Non-Conformists - also gleichmäßig gegen Presbyterianer, Katholiken,
Juden - eine Summe von Maßregeln und Ausschließungen, die den
Militärdienst wie das Wahlrecht, den Besitz wie die Staatsstellungen
betrafen.
Der Staatskirchler benutzte seine Prärogative, um
seinem Hass gegen alle jene gleichmäßigen Ausdruck zu geben.
Aber dadurch wurden die Unterdrückten nicht etwa zu
einer Gemeinsamkeit irgend welcher Art zusammengeschlossen, sondern der
Hass des Rechtgläubigen wurde durch den, den der Presbyterianer gegen den
Katholiken und vice versa hegte, noch übertroffen.
Hier scheint eine psychologische
»Schwellenerscheinung« vorzuliegen.
Es gibt ein Maß von Gegnerschaft zwischen sozialen
Elementen, das bei gemeinsam erfahrenem Druck unwirksam wird und einer
äußeren, ja inneren Einheitlichkeit Platz macht.
Überschreitet aber jene ursprüngliche Aversion eine
bestimmte Grenze, so hat die gemeinsame Unterdrückung den umgekehrten
Erfolg.
Nicht nur, weil bei einer stark dominierenden
Verbitterung nach einer Seite hin jede aus anderer Quelle fließende die
allgemeine Gereiztheit steigert und, allen Vernunftgründen entgegen, auch
noch in jenes bereits tief gegrabene Bett verbreiternd einfließt; sondern
vor allem, weil das gemeinsame Erleiden die Elemente allerdings näher
aneinander presst, aber gerade an dieser erzwungenen Nähe ihre ganze
innere Entferntheit und Unversöhnlichkeit sich erst völlig schlagend
ergibt.
Wo eine irgendwie erzeugte Vereinheitlichung nicht
imstande ist, einen Antagonismus zu besiegen, da lässt sie ihn nicht im
status quo ante bestehen, sondern steigert ihn, wie der Kontrast auf allen
Gebieten in dem Maße schärfer und bewusster wird, in dem seine Seiten
näher aneinander rücken.–
Eine andere, offensichtlichere Art der Repulsion
stiftet das gemeinsame Dominiertwerden unter seinen Subjekten vermittels
der Eifersucht.
Sie bringt das negative Pendant zu dem oben Erwähnten:
dass gemeinsamer Hass ein um so stärkeres Bindemittel ist, wenn der
gemeinsam Gehasste zugleich der gemeinsame Herr ist: die gemeinsame Liebe,
die vermöge der Eifersucht ihre Subjekte zu Feinden macht, tut dies um so
entschiedener, wenn der gemeinsam Geliebte zugleich der gemeinsame Herr
ist.
Ein Kenner türkischer Verhältnisse berichtet, dass
die Kinder eines Harems, die verschiedene Mütter hätten, sich immer
feindselig zu einander verhielten.
Der Grund davon sei die Eifersucht, mit dem die Mütter
die Liebesäußerung des Vaters zu den Kindern, die nicht ihre eignen
seien, überwachten.
Die besondere Nuance der Eifersucht, sobald sie sich
auf jene, beiden Parteien übergeordnete Macht bezieht, ist die: wer die
Liebe der umstrittenen Persönlichkeit für sich zu gewinnen versteht, hat
jetzt noch in einem besonderen Sinn und mit ganz besonderem Machterfolg
über den Nebenbuhler triumphiert.
Der sublime Reiz: über den Nebenbuhler Herr zu werden,
indem man über seinen Herrn Herr wird, muss durch die Gegenseitigkeit, in
der die Gemeinsamkeit des Herrn diesen Reiz erwachsen lässt, zu einer
höchsten Potenzierung der Eifersucht führen.
Indem ich von diesen dissoziierenden Folgen der
Unterordnung unter eine individuelle Macht zu ihren vereinheitlichenden
zurückkehre, hebe ich nur noch hervor, wie viel leichter Zwistigkeiten
zwischen Parteien ausgeglichen werden, wenn diese einer und derselben
höheren Macht unterstehen, als wenn jede völlig selbständig ist.
Wie viele von den Konflikten, an denen etwa die
griechischen wie die italienischen Stadt-Staaten zu Grunde gegangen sind,
hätten diese verderblichen Folgen nicht entfaltet, wenn eine
Zentralgewalt, irgend eine höhere Instanz sie gemeinsam dominiert hätte!
Wo eine solche fehlt, hat der Konflikt mehrerer Elemente die
verhängnisvolle Tendenz, sich nur durch ein unmittelbares Messen der
Machtquanten austragen zu lassen.
Ganz allgemein handelt es sich um den Begriff der
»höheren Instanz«, dessen Wirksamkeit sich in mannigfaltigen
Gestaltungen durch fast alles menschliche Zusammensein erstreckt.
Es ist ein formal soziologisches Charakteristikum
ersten Ranges, ob es in einer Gesellschaft oder für sie eine »höhere
Instanz« gibt oder nicht.
Diese braucht nicht ein Herrscher im gewöhnlichen oder
äußerlichen Sinne des Wortes zu sein.
Über Bindungen und Kontroversen z.B., die sich auf
Interessen, Instinkten, Gefühlen gründen, ist das Reich des
Intellektuellen, seine einzelnen Inhalte oder jeweiligen Vertreter immer
eine höhere Instanz.
Diese mag einseitig und unzulänglich entscheiden, ihre
Entscheidung mag Gehorsam finden oder nicht - wie die Logik die höhere
Instanz über den sich widersprechenden Inhalten des Vorstellens bleibt,
auch wenn wir unlogisch denken, so bleibt in einer mehrgliedrigen Gruppe
der Intelligenteste die höhere Instanz, so sehr es in einzelnen Fällen
nur dem starken Willen oder dem warmen Gefühl einer Persönlichkeit
gelingen mag, den Streit der Genossen zu befrieden; das ganz Spezifische
der »höheren Instanz«, an die man zur Schlichtung appelliert, oder
deren Eingreifen man sich mit dem Gefühl ihrer Berechtigung fügt, liegt
typischer Weise doch nur auf der Seite der Intellektualität.
Ein anderer Modus der Vereinheitlichung auseinander
strebender Parteien, den das Vorhandensein einer beherrschenden Instanz
besonders begünstigt, ist dieser.
Wo es nicht möglich erscheint, Elemente, die entweder
im Streite sind, oder gleichgültig fremd nebeneinander liegen, auf Grund
ihrer gegebenen Qualitäten zu vereinheitlichen, da gelingt dies manchmal
so, dass beide auf einen neuen Zustand umgebildet werden, der nun die
Vereinigung ermöglicht; oder auch: es werden ihnen neue Qualitäten
angebildet, auf Grund deren diese geschehen kann.
Die Beseitigung von Verstimmungen, die Erregung
gegenseitigen Interesses, die Herstellung weithin greifender
Gemeinsamkeiten gelingt oft - von spielenden Kindern bis zu religiösen
und politischen Parteien -, indem man den bisherigen, divergenten oder
indifferenten Absichten und Bestimmtheiten der Elemente irgend eine neue
hinzufügt, die sich zum Treffpunkt eignet und damit auch das bisher
Auseinanderstrebende als vereinbar zeigt.
Auch gestatten oft Beschaffenheiten, die sich direkt
nicht vereinigen können, dadurch eine indirekte Versöhnung, dass man sie
über ihre bisherige Entwicklung hinausführt oder sie durch Zusatz eines
neuen Elementes auf neue und sich jetzt berührende Grundlagen stellt.
So wurde z.B. die Homogenität der gallischen Provinzen
dadurch aufs erheblichste gefördert, dass sie alle von Rom aus
latinisiert wurden.
Es liegt auf der Hand, wie sehr gerade dieser Modus der
Vereinheitlichung der »höheren Instanz« bedarf, wie relativ leicht eine
über den Parteien stehende und sie irgendwie beherrschende Macht jeder
von beiden die Interessen und Bestimmungen wird zuführen können, die sie
auf einen gemeinsamen Boden stellen und die sie, sich allein überlassen,
vielleicht niemals gefunden oder an deren Ausbildung Eigensinn, Stolz,
Befangenheit im Gegensatz sie gehindert hätten.
Wenn man der christlichen Religion nachrühmt, dass sie
die Seelen zur »Friedfertigkeit« stimme, so ist der soziologische Grund
davon sicher das Gefühl der gemeinsamen Unterordnung aller Wesen unter
das göttliche Prinzip.
Der christliche Gläubige ist davon durchdrungen, dass
über ihm und jedem beliebigen Gegner- mag dieser selbst gläubig sein
oder nicht - jene höchste Instanz steht, und dies rückt ihm die
Versuchung zur gewaltsamen Messung der Kräfte fern.
Der christliche Gott kann ein Band so weiter Kreise
sein, die von vornherein in seinem »Frieden« befasst sind, gerade weil
er so unermesslich hoch über jedem einzelnen steht und der einzelne an
ihm in jedem Augenblick mit jedem anderen zusammen seine »höhere
Instanz« hat.
Die Vereinheitlichung mittels gemeinsamer Unterordnung
kann sich in zwei verschiedenen Formen darstellen: als Nivellement und als
Abstufung.
Indem eine Anzahl von Menschen gleichmäßig einem
einzelnen untergeordnet sind, sind sie insofern gleich.
Die Korrelation zwischen Despotismus und Egalisierung
ist längst erkannt worden.
Sie verläuft nicht nur so, dass der Despot von sich
aus die Unterworfenen zu nivellieren sucht - worüber gleich zu sprechen
ist - sondern auch in umgekehrter Richtung: eine entschiedene Nivellierung
führt ihrerseits leicht zu despotischen Formen.
Immerhin gilt dies nicht für jede beliebige Art von
»Nivellierung«.
In dem Alkibiades die sizilischen Städte als von
buntscheckigen Volksmassen erfüllt bezeichnet, will er sie damit als
leichte Beute für den Eroberer kennzeichnen.
Tatsächlich leistet grade eine gleichartige
Bürgerschaft der Tyrannis einen erfolgreicheren Widerstand, als eine aus
sehr divergenten und deshalb zusammenhangslosen Elementen bestehende.
Das Nivellement, das der Despotie am willkommensten
ist, betrifft deshalb nur die Rangunterschiede, nicht die
Wesensunterschiede.
Eine den Charakteren und Tendenzen nach homogene, aber
in verschiedene Rangstufen gegliederte Gesellschaft wird jener einen
starken Widerstand entgegensetzen, einen geringen aber wird sie finden, wo
mannigfaltige Wesensarten, ohne quantitatives Nivellement, mit gleichen
Rechten, also sozusagen in qualitativer Gleichheit, nebeneinander
existieren.
Das prinzipielle Motiv des Alleinherrschers nun, die
Unterschiede der Stände auszugleichen, ist dies, dass sehr starke Über-
und Unterordnungsverhältnisse zwischen den Untertanen mit seiner eigenen
Überordnung in Konkurrenz treten - sowohl real wie psychologisch.
Abgesehen hiervon aber ist die zu starke Unterdrückung
gewisser Stände der Despotie ebenso gefährlich, wie die zu große
Machtfülle gewisser andrer.
Denn eine Erhebung jener gegen diese Zwischengewalten
wird sich leicht, wie durch ein der Trägheitskraft folgendes Weiterrollen
der Bewegung, auch gegen die höchste Macht richten, wenn sie sich nicht
etwa selbst an die Spitze dieser Bewegung setzt oder sie wenigstens
unterstützt.
Orientalische Einherrscher haben deshalb die Bildung
von Aristokratien hintangehalten, so der türkische Sultan, der auf diese
Weise seine absolute, völlig vermittlungslose Höhe über seinen gesamten
Untertanen bewahrte.
Indem jede irgendwie bestehende Macht im Staate von ihm
hergeleitet war und beim Tode des Inhabers zu ihm zurückkehrte, kam es zu
keiner erblichen Aristokratie.
Damit wurden die absolute Höhe des Souveräns und das
Nivellement der Untertanen als Korrelaterscheinungen realisiert.
Diese Tendenz spiegelt sich an der Erscheinung, dass
Despoten mittelmäßige Diener lieben, wie man es von Napoleon I.
hervorgehoben hat.
Ein deutscher Fürst soll, als einem hervorragenden
Beamten der Antrag auf Übergang in einen anderen Staatsdienst gemacht
wurde, den Minister gefragt haben: »Ist uns der Mann unentbehrlich?«
»Vollkommen, Hoheit.« »Dann wollen wir ihn gehen lassen. Unentbehrliche
Diener kann ich nicht brauchen.« Indem der Despotismus dabei aber doch
keineswegs besonders minderwertige Diener sucht, stellt sich seine innere
Korrelation zum Nivellement heraus; so sagt Tacitus über diese Tendenz
des Tiberius, mittelmäßige Beamte anzustellen: ex optimis periculum sibi,
a pessimis dedecus publicum metuebat.
Es ist bezeichnend, dass, wo die Einherrschaft nicht
den Charakter des Despotismus trägt, diese Tendenz sogleich nachlässt,
ja, der entgegengesetzten Platz macht, wie Bismarck von Wilhelm I. sagt,
dass er es nicht nur vertrug, sondern sich dadurch gehoben fühlte, dass
er einen angesehenen und mächtigen Diener hatte.–
Wo der Herrscher nun nicht, wie in dem Fall des
Sultans, das Aufwachsen von Zwischenmächten von vornherein verhindert,
sucht er oft ein relatives Nivellement herbeizuführen, indem er die
Bestrebung der unteren Schichten, zur Rechtsgleichheit mit jenen
Zwischenmächten zu gelangen, begünstigt.
Die mittelalterliche und die neuere Geschichte ist voll
von Beispielen dafür.
In England hat die Königsmacht seit der normannischen
Zeit jene Korrelation zwischen ihrer eigenen Allgewalt und der
Rechtsgleichheit der Untertanen mit energischem Bewusstsein durchgeführt:
Wilhelm der Eroberer zerreißt das Band, das bisher wie auf dem Kontinent
zwischen der unmittelbar belehnten Aristokratie und den Untervasallen
bestand, indem er jeden Untervasall zwingt, ihm unmittelbar den Lehenseid
zu leisten.
Dadurch wurde einerseits das Anwachsen der großen
Kronlehen zu Souveränitäten verhindert, andrerseits der Grund zu einer
einheitlichen Rechtsbildung für alle Klassen gelegt.
Das Königtum des 11. und 12. Jahrhunderts gründet
seine außerordentliche Macht auf die Gleichmäßigkeit, mit der der freie
Besitz einer ausnahmslosen Heeres-, Gerichts-, Polizei- und Steuerpflicht
unterworfen wird.
Die gleiche Form tritt am römischen Kaisertum hervor.
Die Republik war bestandsunfähig geworden, weil das
rechtliche oder faktische Übergewicht der Stadt Rom über Italien und die
Provinzen nicht mehr aufrechtzuerhalten war.
Das Kaisertum erst hat wieder ein Gleichgewicht
hergestellt, indem es die Römer so rechtlos machte, wie die von ihnen
unterworfenen Völker es waren; dadurch wurde eine unparteiische
Gesetzgebung für alle Bürger, ein rechtliches Nivellement ermöglicht,
dessen Korrelat die unbedingte Höhe und Einheit des Herrschers war.
Es bedarf kaum der Erwähnung, dass »Nivellement«
hier durchgehends als eine ganz relative, in ihren Verwirklichungen
durchaus begrenzte Tendenz zu verstehen ist.
Eine prinzipielle Wissenschaft von den Formen der
Gesellschaft muss Begriffe und Begriffszusammenhänge in einer Reinheit
und abstrakten Geschlossenheit hinstellen, wie sie in den historischen
Verwirklichungen dieser Inhalte niemals auftreten.
Das soziologische Verständnis aber, das den
Grundbegriff der Vergesellschaftung in seinen einzelnen Bedeutungen und
Gestalten ergreifen, die Erscheinungskomplexe in ihre Einzelfaktoren bis
zur Annäherung an induktive Regelmäßigkeiten analysieren will - kann
dies nur durch die Hilfskonstruktion von sozusagen absoluten Linien und
Figuren, die sich in dem realen gesellschaftlichen Geschehen immer nur als
Ansätze, Bruchstücke, fortwährend unterbrochene und modifizierte
Teilverwirklichungen vorfinden.
In jeder einzelnen gesellschaftsgeschichtlichen
Konfiguration wirken eine wahrscheinlich nie ganz übersehbare Anzahl von
Wechselwirksamkeiten der Elemente, und wir können ihre gegebene Form so
wenig in ihre sämtlichen Teilfaktoren auflösen und aus ihnen wieder
zusammensetzen, wie wir die Gestalt irgend eines Stückes Materie aus den
idealen Figuren unsrer Geometrie absolut deckend herstellen können,
obgleich beides prinzipiell durch Differenzierung und Kombination der
wissenschaftlichen Gebilde möglich sein muss.
Die geschichtliche Erscheinung muss für die
soziologische Erkenntnis so umgebildet werden, dass ihre Einheit in eine
Anzahl in reiner Einseitigkeit bestimmter, sozusagen gradlinig
verlaufender Begriffe und Synthesen zerlegt wird, unter denen in der Regel
eine ihr Hauptcharakteristikum ausmachen wird, und die durch gegenseitige
Biegung und Einschränkung das Bild jener Gestalt auf die neue
Abstraktionsebene mit allmählich wachsender Genauigkeit projizieren.
Die Herrschaft des Sultans über rechtlose Untertanen;
die des englischen Königs über ein Volk, das schon 150 Jahre nach
Wilhelm dem Eroberer sich mutig gegen König Johann erhebt; die des
römischen Kaisers, der eigentlich nur der Vorsteher der mehr oder weniger
autonomen, das Reich bildenden Gemeinden war, - alle diese Einherrschaften
sind aufs höchste verschieden und ebenso das »Nivellement« der
Untertanen, das ihnen entspricht.
Und dennoch ist das Motiv dieser Korrelation in ihnen
gemeinsam lebendig, die grenzenlose Verschiedenheit der unmittelbaren,
materialen Erscheinung gibt dennoch der gleichsam ideellen Linie Raum, mit
der jene Korrelation, in ihrer Reinheit und Gleichmäßigkeit freilich nur
ein wissenschaftlich-abstraktes Gebilde, in sie eingezeichnet ist. -
In Erscheinungen von direkt entgegengesetzter
Oberfläche verkleidet sich die gleiche Tendenz der Dominierung vermittels
des Nivellements.
Es ist ein typisches Verhalten, wenn Philipp der Gute
von Burgund die Freiheit der holländischen Städte zu unterdrücken
strebt, dabei aber viele einzelne Korporationen mit sehr umfassenden
Privilegien ausstattet.
Denn indem diese Rechtsunterschiede ausschließlich
durch die Freiheit des Beliebens seitens des Herrschers entstehen,
markieren sie um so deutlicher die Gleichmäßigkeit des Unterworfenseins,
mit dem ihm die Untertanen a priori gegenüberstehen.
In dem genannten Beispiel wird dies dadurch vorzüglich
charakterisiert, dass die Privilegien zwar dem Inhalt nach sehr
ausgedehnt, aber der Dauer nach kurz bemessen waren: der Rechtsvorzug
löste sich dadurch nie von der Quelle, aus der er floss.
Das Privileg, scheinbar das Gegenteil des Nivellements,
offenbart sich so als diejenige Steigerungsform des letzteren, die es als
Korrelat der unbedingten Beherrschtheit annimmt. -
Der Einherrschaft ist unzählige Male der Widersinn
vorgeworfen worden, der in der rein quantitativen Disproportionalität
zwischen der Einzahl des Herrschers und der Vielzahl der Beherrschten
läge, das Unwürdige und Ungerechte in dem Verhältnis dessen, was die
eine Partei, und dessen, was die andere in die Beziehung einsetzt.
Tatsächlich liegt in der Lösung dieses Widerspruchs
eine sehr eigenartige und folgenreiche soziologische Grundkonstellation
vor.
Die Struktur einer Gesellschaft nämlich, in der nur
einer herrscht, und die große Masse sich beherrschen lässt, hat nur
darin ihren normativen Sinn, dass die Masse, d.h. das beherrschte Element,
nur einen Teil der dazu gehörigen Persönlichkeiten einschließt,
während der Herrscher seine ganze Persönlichkeit in das Verhältnis
hineingibt.
Der Herrscher und der einzelne Beherrschte treten gar
nicht mit dem gleichen Quantum ihrer Persönlichkeiten in das Verhältnis
ein.
Die »Masse« wird dadurch gebildet, dass viele
Individuen Bruchteile ihrer Persönlichkeiten vereinigen, einseitige
Triebe, Interessen, Kräfte, - während das, was jede Persönlichkeit als
solche ist, jenseits dieser Nivellementsebene steht und in die »Masse«,
d.h. in dasjenige, was eigentlich von jenem einen beherrscht ist, nicht
hineinragt.
Es bedarf nicht der Hervorhebung, dass diese neue
Proportion, die das volle Persönlichkeitsquantum des Herrschers von dem
vervielfältigten Teilquantum der beherrschten Persönlichkeit aufwiegen
lässt, ihre quantitative Form nur als symbolischen Notausdruck trägt.
Die Persönlichkeit als solche entzieht sich jeder
arithmetisch fassbaren Gestalt so vollständig, dass, wenn wir von der
»ganzen« Persönlichkeit, von ihrer »Einheit«, von einem »Teil«
ihrer sprechen, wir damit etwas qualitativ innerliches meinen, was nur als
seelische Anschauung erlebt werden kann; wir haben gar keinen direkten
Ausdruck dafür, sodass jener aus einer ganz anderen Ordnung der Dinge
genommene ebenso unzutreffend wie freilich unentbehrlich ist.
Das ganze Herrschaftsverhältnis zwischen einem und
vielen, und ersichtlich nicht nur das politische, ruht auf jener Zerlegung
der Persönlichkeit.
Und diese Anwendung ihrer innerhalb der Überordnung
und Unterordnung ist nur ein spezieller Fall ihrer Bedeutung für alle
Wechselwirkung überhaupt.
Selbst von einer so engen Vereinigung wie der Ehe wird
man sagen müssen, dass man nie ganz verheiratet ist, sondern selbst im
besten Falle nur mit einem Teile der Persönlichkeit, wie groß er auch
sei - wie man nie ganz Staatsbürger, ganz Wirtschaftsgenosse, ganz
Kirchenmitglied ist.
Die Scheidung innerhalb des Menschen, die die
Beherrschung der vielen durch Einen prinzipiell trägt, ist schon von
Grotius erkannt worden, wo er dem Einwand, Herrschergewalt könne nicht
durch Kauf erworben werden, da sie freie Menschen beträfe, mit der
Unterscheidung privater und öffentlicher subjectio begegnet.
Die subjectio publica hebe nicht, wie die subjectio
privata das sui juris esse auf.
Wenn ein populus veräußert werde, so seien Gegenstand
der Veräußerung nicht die einzelnen Menschen, sondern nur das jus eos
regendi, qua populus sunt.
Es gehört zu den höchsten Aufgaben der politischen
Kunst, einschließlich der Kirchenpolitik, der Familienpolitik, jeder
Herrschaftspolitik überhaupt, diejenigen Seiten der Menschen
herauszuerkennen und sozusagen herauszupräparieren, mit denen sie die
mehr oder weniger nivellierte »Masse« bilden, der gegenüber der
Herrscher in gleichmäßiger Höhe stehen kann, von denjenigen
unterschieden, die ihrer individuellen Freiheit überlassen werden
müssen, die aber jeweils erst mit jenen zusammen die ganze
Persönlichkeit des Untergeordneten ausmachen.
Die Gruppierungen unterscheiden sich charakteristisch
nach der Proportion zwischen den Gesamtpersönlichkeiten und demjenigen
Quantum derselben, mit dem sie zur »Masse« zusammengehen.
Von der Verschiedenheit dieses Quantums hängt das Maß
ihrer Regierbarkeit ab, und zwar so, dass eine Gruppe um so eher und
radikaler von einem einzelnen beherrscht werden kann, ein je geringeres
Teil der Gesamtpersönlichkeit das einzelne Individuum in die Masse
hineingibt, die das Objekt der subjectio ist.
Wo die soziale Einheit so viel von den
Persönlichkeiten in sich einbezieht, diese als ganze ihr so eng
verflochten sind, wie in den griechischen Stadtstaaten oder bei den
mittelalterlichen Stadtbürgern, wird die Einherrschaft zu etwas
Widerspruchsvollem und Undurchführbarem.
Dieses an sich einfache prinzipielle Verhältnis
kompliziert sich durch die Einwirkung zweier Faktoren: durch die Größe
oder Kleinheit des untertänigen Kreises und durch das Maß, in dem die
Persönlichkeiten in sich differenziert sind.
Je größer ein Kreis ist, desto kleiner wird ceteris
paribus der Bezirk der Gedanken und Interessen, der Gefühle und
Eigenschaften sein, in dem die Individuen sich decken und »Masse«
bilden.
Insofern sich die Herrschaft also auf das erstreckt,
was ihnen gemeinsam ist, wird sie von den einzelnen in dem Maße der
Größe des Kreises leichter ertragen werden, und nach dieser Richtung hin
wird sich jener Grundsinn der Einherrschaft sehr klar veranschaulichen:
über je mehr der eine herrscht, desto weniger von jedem einzelnen
beherrscht er.
Nun ist es aber zweitens von entscheidender
Wichtigkeit, ob die Individuen in ihrer seelischen Struktur hinreichend
differenziert sind, um die innerhalb und die außerhalb des
Beherrschtheitsrayons liegenden Elemente ihres Seins praktisch und für
die Empfindung auseinander zuhalten.
Nur wenn dies mit der vorhin angedeuteten Kunst des
Herrschenden zusammentrifft, von sich aus die der Beherrschung zugängigen
und die ihr sich entziehenden Elemente innerhalb der untergeordneten
Individuen zu differenzieren, wird der Widerspruch zwischen Herrschaft und
Freiheit, die unverhältnismäßige Präponderanz des einen über viele
sich annähernd lösen.
In solchem Falle kann auch in durchaus despotisch
regierten Gruppen die Individualität sich frei entwickeln.
So begann die Ausbildung der modernen Individualität
in den Despotien der italienischen Renaissance.
Hier wie in anderen Fällen, z.B. unter Napoleon I.,
hat der Herrscher grade ein Interesse daran, allen Seiten der
Persönlichkeit, mit denen sie nicht zu der »Masse« gehört - also
denen, die dem politischen Herrschaftsrayon fern liegen -, die größte
Freiheit zu gewähren.
Und es ist daraus begreiflich, dass in sehr kleinen
Kreisen, wo die Enge des Verschmolzenseins und die weitgehenden inneren
und äußeren Solidaritäten jene Zerlegungen immer wieder durchkreuzen
und sozusagen falsch verwachsen lassen, Herrschaftsverhältnisse sehr
leicht zu unerträglicher Tyrannei werden lassen.
Diese Struktur des kleinen Kreises vereinigt sich mit
häufiger Ungeschicklichkeit der präponderanten Personen, um das
Verhältnis zwischen Eltern und Kindern vielfach höchst unbefriedigend zu
gestalten.
Es ist oft der entscheidende Missgriff von Eltern, dass
sie ihren Kindern ein für alle gültiges Lebensschema auch in den Dingen
autoritativ auferlegen, in denen die Kinder unvereinbar individuell sind.
Ebenso, wenn der Priester über das Gebiet hinaus, auf
dem er die Gemeinde vereinen kann, das Privatleben der Gläubigen
beherrschen will, auf dem sie, von der religiösen Gemeinschaft aus
gesehen, jedenfalls individuell differenziert sind.
In all solchen Fällen fehlt es an der richtigen
Aussonderung der Wesensteile, die sich zur »Masse«-Bildung eignen, und
denen gegenüber deshalb die Beherrschtheit leicht ertragen, als
angemessen empfunden wird.
Das Nivellement der Masse als solcher, das sich durch
die Aussonderung und den Zusammenschluss der beherrschbaren Elemente ihrer
Individuen herstellt, ist für die Soziologie der Herrschaft von größter
Bedeutung.
Es erklärt sich daraus, im Anschluss an vorhin
Gesagtes, dass es oft leichter ist, über eine größere als über eine
kleinere Gruppe zu herrschen, besonders wenn es sich um entschieden
differenzierte Individuen handelt, von denen jedes weiter hinzukommende
den Bezirk des allen Gemeinsamen weiter einschränkt: wo solche
Persönlichkeiten in Frage stehen, liegt die Nivellierungsebene der
vielen, ceteris paribus, niedriger als die der wenigen und damit steigt
ihre Beherrschbarkeit.
Dies ist die soziologische Grundlage der Bemerkung von
Hamilton im Federalist: es wäre der große populäre Irrtum, durch
Vermehrung der Parlamentsmitglieder die Sicherheiten against the
government of a few steigern zu wollen.
Über eine bestimmte Zahl hinaus mag die
Volksvertretung zwar demokratischer aussehen, wird aber in Wirklichkeit
oligarchischer sein: the machine may be enlarged, but the fewer will be
the springs by which its motions are directed.
Und in demselben Sinne bemerkte hundert Jahre später
einer der vorzüglichsten Kenner des angloamerikanischen Parteilebens,
dass ein Parteiführer, je höher er an Macht und Einfluss steige, um so
mehr wahrnehmen müsse, by how few persons the world is governed.
Hierin liegt auch der tiefere soziologische Sinn der
engen Beziehung, die zwischen dem Recht eines politischen Ganzen und
seinem Herrscher besteht.
Denn das für alle geltende Recht ist aus jenen
Koinzidenzpunkten aller erwachsen, die jenseits ihrer rein individuellen
Lebensinhalte oder -formen, oder, anders angesehen, jenseits der
Totalität der Einzelperson liegen.
Diesen überindividuellen Interessen, Qualitäten,
Elementen des Habens und Seins gibt das Recht eine objektiv
zusammenschließende Form, wie sie ihre subjektive Form oder ihr Korrelat
in dem Herrscher dieses Ganzen finden.
Ist diese besondre Analyse und Synthese an den
Individuen aber die Grundlage der Einherrschaft überhaupt, so wird auch
aus ihr verständlich, dass manchmal ein erstaunlich geringes Maß
überragender Qualitäten ausreicht, um die Herrschaft über eine
Gesamtheit zu gewinnen, dass diese sich mit einer Leichtigkeit unterwirft,
die aus der qualitativen Entgegenhaltung zwischen dem Herrschenden und
seinen Untertanen, als Gesamtpersonen angesehen, logisch nicht zu
rechtfertigen wäre.
Wo aber die für die Massenbeherrschung erforderte
Differenzierung der Individuen fehlt, gehen die Anforderungen an die
Qualität des Herrschers auch über das jener entsprechende bescheidene
Maß hinaus.
Aristoteles sagt, zu seiner Zeit könnten keine
berechtigten Einherrschaften mehr entstehen, denn es gäbe jetzt eben so
viele gleich vorzügliche Persönlichkeiten in jedem Staat, dass keine
einzelne mehr einen derartigen Vorzug vor andern beanspruchen könne.
Der griechische Bürger war offenbar mit seinen
Interessen und Gefühlen derartig dem politischen Ganzen verbunden, hatte
seine ganze Persönlichkeit in so weitem Umfang in das Allgemeine
hineingegeben, dass es zu keiner Herausdifferenzierung der sozusagen nur
politischen Elemente seiner kommen konnte, der gegenüber er noch einen
wesentlichen Teil seiner Persönlichkeit als Privatbesitz hätte
reservieren können.
Bei dieser Konstellation setzt die Einherrschaft zu
ihrem inneren Rechte freilich voraus, dass der Herrscher jedem Untertanen
dessen Gesamtpersönlichkeit nach überlegen sei - ein Erfordernis, das
gar nicht in Frage kommt, wo das Objekt der Herrschaft nur jene
herausdifferenzierten, zur »Masse« zusammenfassbaren Teile der
Individuen sind.
Neben diesem Typus der Einherrschaft, dessen Korrelat
das prinzipielle Nivellement der ihr Untergeordneten bildet, steht der
zweite, mit dem die Gruppe die Form einer Pyramide annimmt.
Die Untergeordneten stehen dem Herrscher in
allmählichen Abstufungen der Macht gegenüber; Schichten, die an Umfang
immer geringer, an Bedeutung immer größer werden, führen von der
untersten Masse zur Spitze hinauf.
Diese Form der Gruppe kann auf zweierlei Arten
entstehen.
Sie kann von der autokratischen Machtfülle eines
einzelnen ausgehen.
Dieser verliert den Inhalt seiner Macht - bei
Fortbestehen von Form und Titel - und lässt ihn abwärts gleiten, wobei
dann natürlich an den ihm zunächst gelegenen Schichten mehr haften
bleibt, als an den entfernteren.
Indem so die Macht allmählich durchsickert, muss sich,
insoweit keine anderen Ereignisse und Bedingungen in diesen Prozess
deformierend eingreifen, eine Kontinuität und Graduierung von Über- und
Untergeordneten ergeben.
Das ist wohl die Art, wie sich in orientalischen
Staaten häufig die sozialen Formen her stellen: die Macht der oberen
Stufen bröckelt ab, sei es, weil sie innerlich unhaltbar ist und die
vorhin betonte Proportion zwischen Unterwerfung und individueller Freiheit
nicht getroffen wird, sei es, weil die Persönlichkeiten zu indolent und
in der Technik des Herrschers zu unwissend sind, um ihre Macht zu
bewahren.
Einen ganz anderen Charakter trägt die Pyramidenform
der Gesellschaft, wenn sie von der Absicht des Herrschers ausgeht, so dass
sie nicht eine Schwächung seiner Macht, sondern deren Erweiterung und
Konsolidierung bedeutet.
Es ist dann also nicht das Machtquantum der Herrschaft,
das sich auf die tiefern Schichten verteilt, sondern diese werden nur
unter sich nach Graden der Macht und Stellung organisiert.
Dabei bleibt sozusagen das Unterordnungsquantum das
gleiche wie in der Form des Nivellements und nimmt nur die Form der
Ungleichheit unter den Individuen, die es zu tragen haben, an; wobei dann
natürlich der Erscheinung nach eine Annäherung der Elemente an den
Herrscher in dem Maß ihrer relativen Ranghöhe entsteht.
Daraus kann eine große Festigkeit des Gesamtbaues
hervorgehen, seine Tragkräfte strömen seiner Spitze sicherer und
gesammelter zu, als wenn sie ihr gegenüber nivelliert sind.
Dass die superiore Bedeutung des Fürsten, bzw. des in
jeglichem Kreise höchststehenden Menschen über ihn selbst hinausstrahlt
und sich in dem Verhältnis, in dem andere ihm nahe stehen, über diese
ergießt, ist kein Abzug, sondern eine Steigerung seiner eigenen
Bedeutung.
Dass der Gefolgsmann des angelsächsischen Königs ein
besonders hohes Wergeld hat und als Eideshelfer eine besonders hohe
Geltung; dass sein Stallknecht und der Mann, in dessen Hause er einen
Trunk zu sich nimmt, durch besonderen Rechtsschutz über die Masse erhoben
werden - das gehört nicht nur einfach zu der Prärogative des Königs,
sondern dieses abgestufte Niedersteigen seiner Prärogative ist zugleich,
als Aufbau von unten her, eine Stütze eben dieser; indem er von seiner
Superiorität mitteilt, wird sie nicht weniger, sondern mehr.
Auch hat der Herrscher bei so feiner Gradation
Auszeichnungen und Belohnungen in der Form der Rangerhöhung in seiner
Hand, die ihn nichts kosten, aber die so näher an ihn Herangezognen
fester an ihn binden.
Die große Zahl sozialer Stufen, die das römische
Kaisertum geschaffen hat - von den Sklaven und den humiliores über die
gewöhnlichen Freien eine fast kontinuierliche Skala bis zum Senator -
scheint direkt von dieser Tendenz bestimmt worden zu sein.
Hierbei, wie in ähnlichen Fällen handelt es sich in
der Hauptsache indes weniger um eine Abstufung realer Macht, sondern um
eine mehr ideale durch Titel und Positionen mit bloß gesellschaftlichem
Übergewicht.
Auch diese können eine Pyramide bilden, die ihre
Spitze wieder in dem Herrscher und seiner realen Macht findet und die mit
dem vielleicht daneben bestehenden formgleichen Aufbau abgestufter
Machtpositionen keineswegs zusammenfällt.
- Die Struktur einer Pyramide der Macht wird immer an
der prinzipiellen Schwierigkeit leiden, dass die irrationalen,
fluktuierenden Beschaffenheiten der Personen sich mit den wie mit
logischer Schärfe vorgezeichneten Umrissen der einzelnen Positionen
niemals durchgehends decken werden - eine formale Schwierigkeit aller von
einem gegebenen Schema vorgebildeten Rangordnungen, die diese bei ihrer
Aufgipfelung zu einem persönlichen Herrscher nicht anders findet, wie
wenn sozialistische Vorschläge es irgend welchen Institutionen zutrauen,
dass sie denjenigen, der die führende, übergeordnete Stellung verdient,
auch wirklich in diese bringen werden.
Hier wie dort nämlich kommt zu jener grundsätzlichen
Inkommensurabilität zwischen der Schematick der Stellungen und dem
innerlich variabeln, niemals in begrifflich festgelegte Formen genau
passenden Wesen des Menschen - zu dieser kommt noch die Schwierigkeit des
Erkennens der für jede Position geeigneten Persönlichkeit; und zwar
insbesondere deshalb: ob jemand eine bestimmte Machtstellung verdient oder
nicht, zeigt sich eben unzählige Male erst dann, wenn er in dieser
Stellung ist.
Es ist mit dem Tiefsten und Wertvollsten des
menschlichen Wesens verflochten, dass jede Einsetzung eines Menschen in
eine neue Macht oder Funktion, und wenn sie auf die gründlichste Prüfung
und die sichersten Antezedenzien hin geschieht, immer ein Risiko
einschließt, immer ein Versuch bleibt, der gelingen oder misslingen kann.
Es ist überhaupt das Verhältnis des Menschen zu Welt
und Leben, dass wir uns im voraus entschließen müssen, d.h. durch
unseren Entschluss diejenigen Tatsachen herbeiführen, die eigentlich
schon herbeigeführt und gekannt sein müssten, um jenen Entschluss
vernünftiger- und sichererweise fassen zu können.
Diese allgemeine apriorische Schwierigkeit alles
menschlichen Handelns tritt bei dem Aufbau sozialer Machtskalen
ersichtlich dann ganz besonders hervor, wenn diese nicht gleichsam
organisch aus den eigenen Kräften der Individuen und den natürlichen
Verhältnissen der Gesellschaft erwachsen, sondern von einer herrschenden
Persönlichkeit spontan konstruiert werden; dieser Fall wird freilich
historisch kaum in absoluter Reinheit vorkommen - höchstens findet er in
den angedeuteten sozialistischen Utopien seine Parallele -, aber er zeigt
seine Besonderheiten und Komplikationen auch in den rudimentären und mit
andern Erscheinungen gemischten Formen seiner wirklichen Beobachtbarkeit.
-
Der andre Weg, auf dem sich eine Stufenleiter der Macht
bis zu einer höchsten Spitze herstellt, läuft umgekehrt.
Von einer ursprünglichen relativen Gleichheit der
Sozialelemente aus gewinnen einzelne größere Bedeutung, aus dem Komplex
dieser differenzieren sich wieder einige besonders mächtige Individuen
heraus, bis sich die Entwicklung zu einer oder wenigen Spitzen hebt.
Die Pyramide der Über- und Unterordnung baut sich hier
von unten her auf.
Es bedarf keiner Beispiele für diesen Prozess, da er
sich allenthalben, wenn auch in den verschiedensten Rhythmen vollzieht, am
reinsten vielleicht auf ökonomischem und politischem Gebiet, sehr
bemerkbar aber auch auf dem der intellektuellen Bildung, in Schulklassen,
in der Evolution der Lebenshaltung, in ästhetischer Beziehung, in dem
primären Aufwachsen militärischer Organisation.
Das klassische Beispiel für das Zusammentreffen der
beiden Wege, auf denen eine stufenförmige Über- und Unterordnung der
Gruppen zu stande kommt, ist der Feudalstaat des Mittelalters.
So lange der Vollbürger - der griechische, römische,
altgermanische - keine Unterordnung unter einen einzelnen kannte, bestand
für ihn einerseits volle Gleichheit mit seinesgleichen, andererseits
strenger Abschluss gegen alle Tieferstehenden.
Diese charakteristische Sozialform findet am
Feudalismus - alle historischen Zwischenglieder vorausgesetzt - ihr ebenso
charakteristisches Gegenstück, das die Kluft zwischen Freiheit und
Unfreiheit durch eine Stufenleiter der Stände ausfüllte; der »Dienst«,
servitium, verband alle Glieder des Reiches unter sich und mit dem König.
Dieser gab von seinem Besitz ab, wie seine großen
Untertanen ihrerseits an ihnen untergeordnete Vasallen Land zu Lehen
gaben, und so ein Stufenbau von Stellung, Besitz, Verpflichtung sich
erhob.
Aber zu eben dem selben Resultate gelangte der
gesellschaftliche Prozess von der entgegengesetzten Richtung her.
Die mittleren Schichten entstanden nicht nur durch
Abgabe von oben, sondern auch durch Akkumulation von unten her, indem
ursprünglich freie, kleine Grundbesitzer ihr Land mächtigeren Herren
hingaben, um es als Lehen von ihnen zurückzuempfangen, jene Grundherrn
aber durch den immer weiteren Erwerb von Macht, dem das geschwächte
Königtum nicht wehren konnte, in ihren Spitzen bis zu königlicher Macht
heranwuchsen.
Eine solche Pyramidenform gibt jedem ihrer Elemente
zwischen dem niedrigsten und dem höchsten eine Doppelposition: jeder ist
übergeordnet und jeder ist untergeordnet, ist abhängig von oben und
zugleich unabhängig, weil andere von ihm abhängig sind.
Vielleicht hat diese soziologische Doppeldeutigkeit dem
Feudalismus, dessen zweifache Genesis, durch Abgabe von oben und
Akkumulation von unten, sie besonders stark akzentuierte, die
Entgegengesetztheit seiner Folgen verschafft.
Je nachdem Bewusstsein und Praxis das Abhängigkeits-
oder das Unabhängigkeitsmoment an den Zwischeninstanzen hervorhob, konnte
der Feudalismus in Deutschland auf die Aushöhlung der obersten
Herrschergewalt gehen und in England der Krone die Form für ihre überall
durchgreifende Macht darbieten.
Die Abstufung gehört zu jenen Anordnungs- und
Lebensformen der Gruppe, die von einem Gesichtspunkt der Quantität
ausgehen, deshalb mehr oder weniger mechanisch sind und der eigentlich
organischen Gruppierung, die auf individuellen Qualitätsdifferenzen
beruht, geschichtlich vorangehen; sie werden freilich durch diese nicht
schlechthin abgelöst, sondern bestehen neben ihr und in Verflechtung mit
ihr weiter.
Dahin gehört vor allem die Einteilung der Gruppen in
Untergruppen, deren soziale Rolle in ihrer Zahlgleichheit oder wenigstens
Zahlbestimmtheit wurzelt, wie bei der Hundertschaft; dahin gehört die
Bestimmung der gesellschaftlichen Position ausschließlich nach dem Maß
des Besitzes; dahin die Formung der Gruppe nach festgelegten Stufen, wie
sie vor allem der Feudalismus, die Hierarchie, das Beamten- und Armeewesen
zeigt.
Schon jenes erstere Beispiel dieser Formung weist auf
ihre eigentümliche Objektivität oder Prinzipienmäßigkeit hin.
Gerade hiermit durchbrach der Feudalismus, wie er sich
vom Anfang des germanischen Mittelalters an bildete, die alten Ordnungen
von frei und unfrei, von vornehm und gering, die auf der Verschiedenheit
des individuellen Verhältnisses zur Genossenschaft ruhten.
Darüber erhob sich jetzt, als das allgemein gültige
Prinzip, der »Dienst«, die objektive Notwendigkeit, dass jeder irgendwie
einem Höheren diente, die nur den Unterschied zuließ: wem und unter
welchen Bedingungen.
Die so resultierende, im wesentlichen quantitative
Abstufung der Stellungen war von der Bedeutung der früheren
genossenschaftlichen Stellungen der einzelnen vielfach ganz unabhängig.–
Es ist natürlich nicht erforderlich, dass diese
Gliederung zu einem im absoluten Sinne höchsten Gliede aufsteigt, da ihre
formale Bedeutung sich innerhalb jeder Gruppe zeigt, gleichviel wie diese
als ganze charakterisiert sei.
So war schon die römische Sklavenfamilie aufs feinste
in diesem Sinne abgestuft, von dem Villicus und Prokurator, der ganze
Produktionszweige der großen Sklavenwirtschaften selbständig leitete,
durch alle möglichen Klassifizierungen hindurch bis zu dem Vorarbeiter
für je zehn Mann.
Eine solche Organisationsform hat eine große sinnliche
Anschaulichkeit und gibt jedem Gliede dadurch, dass es zugleich über- und
untergeordnet, also von zwei Richtungen her festgelegt ist, sozusagen eine
sichere Bestimmtheit seines soziologischen Lebensgefühles, die sich auf
die ganze Gruppe als Enge und Festigkeit ihres Zusammenhaltes projizieren
muss.
Dies ist durchaus zu unterscheiden von der höheren
Form gleichzeitiger Über- und Unterordnung: dass ein Individuum in einer
Reihe oder einseitigen Hinsicht über-, in einer anderen Reihe oder
Hinsicht aber untergeordnet ist.
Diese Festlegung hat eher individuellen und
qualitativen Charakter, sie pflegt eine Kombination aus der besonderen
Anlage oder Schicksal des Individuums heraus zu sein, während
gleichzeitige Über- und Unterordnung in einer und derselben Reihe viel
mehr objektiv präformiert und eben dadurch als soziologische Position
unzweideutiger und fixierter ist.
Und dass sie, wie ich eben betonte, auch für die
soziale Reihe selbst von großem Kohäsionswert ist, hängt damit
zusammen, dass sie das Aufsteigen in dieser letzteren zu einem eo ipso
gegebenen Strebeziel macht.
Innerhalb der Freimaurerei z.B. hat man dieses Motiv
als rein formales für die Beibehaltung der »Grade« geltend gemacht.
Schon dem »Lehrling« wird alles Wesentliche des
sachlichen - hier: rituellen - Wissens des Gesellen- und Meistergrades
mitgeteilt; allein diese Stufen, so wird gesagt, verliehen der
Bruderschaft eine gewisse Spannkraft, regten durch den Reiz der Neuheit an
und begünstigten das Streben des Neueingetretenen.
Diese soziologischen Strukturen, wie sie durch die
Überordnung einer Einzelperson in den inhaltlich verschiedensten Gruppen
formal gleichmäßig bestimmt werden, können ersichtlich, wie ich schon
andeutete, auch bei Unterordnung unter einer Mehrzahl auftreten; allein
die Mehrheit der Übergeordneten - wo diese einander koordiniert sind -,
ist für sie nicht charakteristisch, und es ist deshalb in soziologischer
Hinsicht irrelevant, ob die übergeordnete Stellung des Einen zufällig
durch eine Mehrzahl von Personen ausgefüllt wird.
Freilich muss bemerkt werden, dass die Einherrschaft
der Typus und die primäre Form des Unterordnungsverhältnisses überhaupt
ist.
Mit dieser ihrer fundamentalen Stellung innerhalb der
Überordnungs- und Unterordnungstatsachen hängt es zusammen, dass sie den
andern Ordnungsarten: oligarchischen und republikanischen - nicht nur im
politischen Sinn dieser Begriffe - innerhalb ihres Umfanges legitimen Raum
gewähren, dass das Herrschaftsgebiet des Einherrschers sehr wohl
sekundäre Strukturen dieser Arten umfassen kann, während sie selbst, wo
diese die obersten und umfassenden sind, nur sehr relativ oder illegitimer
Weise unterkommen kann.
Sie ist so sinnlich anschaulich und eindrucksvoll, dass
sie selbst in denjenigen Verfassungen weiterwirkt, die grade in der
Reaktion auf sie und als ihre Aufhebung entstanden sind.
Von dem amerikanischen Präsidenten hat man, wie von
dem athenischen Archon und dem römischen Konsul behauptet, dass sie,
unter gewissen Einschränkungen, doch nur die Erben der königlichen Macht
wären, deren die Könige durch die betreffenden Revolutionen beraubt
worden seien.
Von Amerikanern selbst hört man, ihre Freiheit
bestände eben nur darin, dass die beiden großen Parteien sich in der
Herrschaft abwechselten; jede für sich aber tyrannisiere in völlig
monarchischer Weise.
Ebenso hat man unternommen, von der Demokratie der
französischen Revolution nachzuweisen, dass sie nichts sei, als das auf
den Kopf gestellte Königtum, mit denselben Qualitäten wie dieses
ausgerüstet.
Die Volonté générale bei Rousseau, unter die er
widerstandslose Ergebung lehrt, hat durchaus das Wesen des absoluten
Einherrschers.
Und Proudhon behauptet, dass ein Parlament, das aus dem
allgemeinen Stimmrecht hervorgegangen ist, sich von dem absoluten
Monarchen in nichts unterscheide.
Der Volksvertreter sei unfehlbar, unverletzlich,
unverantwortlich - mehr sei im wesentlichen auch der Monarch nicht.
Das monarchische Prinzip sei in einem Parlamente ebenso
lebendig und vollständig, wie in einem legitimen König.
Tatsächlich fehlt auch dem Parlament gegenüber nicht
einmal die Erscheinung der Schmeichelei, die doch ganz spezifisch der
Einzelperson vorbehalten scheint.
- Es ist eine typische Erscheinung, dass ein formales
Verhältnis unter Gruppenelementen auch dann noch beharrt, wenn ein
Wechsel der ganzen soziologischen Tendenz dies unmöglich zu machen
scheint.
Die eigentümliche Kraft der Einherrschaft, die
sozusagen ihren Tod überlebt, indem sie ihre Färbung noch Gebilden
überträgt, deren Sinn grade die Verneinung der Einherrschaft ist - wird
einer der markantesten Fälle dieses Eigenlebens der soziologischen Form
sein, durch das sie nicht nur materiell verschiedene Inhalte in sich
aufnehmen, sondern sogar geänderten Formen noch den Geist ihres
Gegenteils infundieren kann.
So groß ist diese formale Bedeutung der Einherrschaft,
dass man sie sogar ausdrücklich bewahrt, wo man ihren Inhalt verneint,
und grade weil man ihn verneint.
Das Dogenamt in Venedig verlor immer mehr von seiner
Macht, bis es zuletzt eigentlich überhaupt keine mehr besaß.
Dennoch konservierte man es ängstlich, um gerade
dadurch Evolutionen zu verhindern, die vielleicht einen wirklichen
Herrscher auf den Thron bringen mochten.
Die Opposition vernichtet hier nicht die Einherrschaft,
um sich schließlich doch selbst in ihrer Form zu konsolidieren, sondern
bewahrt sie grade, um ihre wirkliche Konsolidierung zu verhindern.
Beide eigentlich entgegengesetzte Fälle sind
gleichmäßige Zeugen für die formale Kraft dieser Herrschaftsform.
Ja, die Gegensätze, die sie zusammenzwingt, steigen
sogar in eine und dieselbe Erscheinung hinab.
Die Monarchie hat das Interesse an der monarchischen
Institution schlechthin, auch wenn sie ganz außerhalb ihres unmittelbaren
Berührungsrayons liegt.
Die Erfahrung, dass sich alle noch so
auseinanderliegenden Verwirklichungen einer bestimmten sozialen Form
gegenseitig stützen und sich diese Form sozusagen gegenseitig
garantieren, scheint bei den verschiedenen Herrschaftsverhältnissen, bei
der Aristokratie und der Monarchie am entschiedensten, hervorzutreten.
Darum hat eine Monarchie es gelegentlich zu büßen,
wenn sie aus besonderen politischen Gründen das monarchische Prinzip in
andern Ländern schwächt.
Den fast rebellischen Widerstand, den die Regierung
Mazarins von populärer wie von der Seite des Parlamentes erfuhr, hat man
darauf geschoben, dass die französische Politik die Aufstände in andern
Ländern gegen ihre Regierungen unterstützt hatte.
Dadurch habe der monarchische Gedanke eine Schwächung
erfahren, die auf den Urheber selbst, der sein Interesse durch jene
Rebellionen zu wahren meinte, zurückgewirkt habe.
Und umgekehrt: als Cromwell den Königstitel ablehnte,
waren die Royalisten darüber betrübt.
Denn so unerträglich ihnen der Gedanke sein musste,
den Königsmörder auf dem Thron zu sehen, so hätten sie doch die bloße
Tatsache, dass es wieder einen König gab, als eine Vorbereitung der
Restauration begrüßt.
Aber über solche utilitarischen, von den Folgen
entlehnten Begründungen für die Expansion der Monarchie hinaus, wirkt
das monarchische Ge fühl sogar noch gewissen Erscheinungen gegenüber in
einer Weise, die dem persönlichen Vorteil ihrer Träger direkt
entgegengesetzt ist.
Als während der Regierung Ludwigs XIV. der
portugiesische Aufstand gegen Spanien ausbrach, der dem französischen
König durchaus erwünscht sein musste, sagte er dennoch darüber: »So
schlecht ein Fürst sein mag, so ist die Empörung seiner Untertanen doch
immer unendlich verbrecherisch«, Und Bismarck erzählt, dass Wilhelm I.
gegen Bennigsen und seine frühere Tätigkeit in Hannover eine
»instinktive monarchische Abneigung« gefühlt hätte.
Denn soviel auch gerade Bennigsen und seine Partei für
die Verpreussung Hannovers getan hätten, so ging ihm doch ein solches
Verhalten eines Untertanen gegen dessen ursprüngliche - die welfische -
Dynastie, gegen seine Fürstengefühle.
Die innere Kraft der Einherrschaft ist groß genug, um
sogar noch den Feind in eine prinzipielle Sympathie einzubeziehen und
gegen den Freund, sobald er sich in eine, personal durchaus nützliche
Opposition gegen irgend einen Monarchen begibt, in einer ganz tiefen
Gefühlsschicht wie gegen einen Gegner zu opponieren.
Endlich treten Züge einer noch gar nicht berührten
Art hervor, wenn die in irgend welcher sonstigen Hinsicht bestehende
Gleichheit oder Ungleichheit, Nähe oder Distanz zwischen Übergeordneten
und Untergeordneten zum Problem wird.
Es ist für die soziologische Gestaltung einer Gruppe
wesentlich, ob sie sich lieber einem Fremden oder jemandem aus ihrer Mitte
unterordnet, ob das eine oder das andere für sie zweckmäßig und würdig
oder das Gegenteil davon ist.
Die mittelalterlichen Fronherrn in Deutschland hatten
ursprünglich das Recht, der Hofgenossenschaft beliebige Richter und
Führer von außen her zu ernennen.
Schließlich aber errang diese oft das Zugeständnis,
dass der Beamte aus dem Kreise der hörigen Genossen genommen werden
musste.
Genau umgekehrt gilt es als eine besonders wichtige
Zusage, die der Graf von Flandern 1228 seinen »geliebten Schöffen und
Bürgern von Gent« machte, dass der von ihm einzusetzende Richter und
Exekutivbeamte und seine Unterbeamten nicht aus Gent genommen oder mit
einer Genterin verheiratet sein sollen.
Gewiss hat diese Differenz zunächst
Zweckmäßigkeitsgründe: der Fremde ist unparteiischer, der Zugehörige
verständnisvoller.
Der erstere Grund war offenbar für dies erwähnte
Begehren der Genter Bürger entscheidend, um seinetwillen wählten
italienische Städte ihre Richter oft aus andern Städten und sicherten
sich damit vor der Beeinflussung der Rechtsprechung durch
Familienzusammenhänge und innere Parteiungen.
Aus dem gleichen Motive haben so kluge Herrscher wie
Ludwig XI. und Matthias Corvinus ihre höchsten Beamten möglichst aus dem
Auslande oder auch aus niedrigem Stande genommen; einen andern
Zweckmäßigkeitsgrund hat, noch im 19. Jahrhundert, Bentham für die
Tatsache angeführt, dass Ausländer oft die besten Staatsbeamten seien:
sie würden nämlich am argwöhnischsten überwacht.
Die Bevorzugung des Nahestehenden oder Gleichartigen
erscheint von vorneherein weniger paradox, obgleich sie zu einer so
eigentümlichen Mechanisierung des similia similibus führen kann, wie es
von einem alten lybischen Stamm und neuerdings von den Aschantis berichtet
wird: dass dort der König über die Männer und die Königin - die seine
Schwester ist - über die Frauen herrsche.
Gerade die Kohäsion der Gruppe, die ich als Erfolg
ihrer Unterordnung unter ihresgleichen hervorhob, wird durch die
Erscheinung unterstützt: dass die Zentralgewalt diese immanente
Jurisdiktion von Untergruppen zu durchbrechen sucht.
Noch im 14. Jahrhundert war in England die Vorstellung,
für jedermann sei seine Ortsgemeinde die berufene Richterin, von großer
Verbreitung; aber Richard II. bestimmt nun gerade, niemand dürfe in
seiner eignen Grafschaft Richter der Assise oder der Goal delivery sein!
Und das Korrelat der Kohäsion der Gruppe war in diesem Fall die Freiheit
des einzelnen.
Auch in der Verfallszeit des angelsächsischen
Königtums war das Urteil durch die Genossen, die Pares, als Wehr gegen
die Willkür königlicher und herrschaftlicher Vögte hoch geschätzt.
Der schwerbelastete Hofgutsbauer hält an ihm
eifersüchtig fest, als an dem einzigen ihm gebliebenen Besitz, der dem
privatrechtlichen Begriff der Freiheit noch Inhalt und Wert gibt.
So sind es sicher rationale Gründe sachlicher
Zweckmäßigkeit, die die Unterordnung unter den Genossen oder die unter
den Fremden wählen lassen.
Dennoch sind die Motive solcher Wahl durch diese
Kategorie nicht erschöpft, sondern es treten instinktivere und
gefühlsmäßigere, andrerseits abstraktere und mittelbarere hinzu; und
sie müssen es um so mehr, als jene oft auf beide Schalen das gleiche
Gewicht legen: das größere Verständnis des Zugehörigen und die
größere Unbefangenheit des von außen Kommenden mögen sich oft die
Waage halten, und es braucht einer weiteren Instanz, um zwischen ihnen zu
entscheiden.
Es meldet sich hier die für alle soziologische
Gestaltung unendlich wichtige psychologische Antinomie: dass wir
einerseits durch das uns Gleiche, andrerseits durch das uns
Entgegengesetzte angezogen werden.
In welchem Falle, auf welchen Gebieten das eine oder
das andre wirksam wird, ob in unserm gesamten Wesen die eine oder die
andre Tendenz überwiegt - das scheint zu den ganz primären, mit der
Natur des Individuums selbst gesetzten Bestimmungen zu gehören.
Das Entgegengesetzte ergänzt uns, das Gleichgeartete
stärkt uns; das Entgegengesetzte regt uns auf und an, das Gleichgeartete
beruhigt uns; mit ganz verschiednen Mitteln verschafft uns das eine wie
das andre ein Gefühl von Legitimierung unsres So-Seins.
Wenn aber einer bestimmten Erscheinung gegenüber das
eine als das uns Gemäße empfunden wird, stößt das andre uns ab: das
Entgegengesetzte erscheint uns als feindlich, das Gleichgeartete als
langweilig; das Entgegengesetzte stellt uns eine zu hohe, das
Gleichgeartete eine zu geringe Aufgabe; dem einen wie dem andren
gegenüber ist es schwer, eine Stellung zu finden, dort, weil uns
Berührungs- und Vergleichungspunkte mangeln, hier, weil wir entweder
jenes uns Gleiche oder, noch schlimmer, uns selbst als überflüssig
empfinden.
Die innere Mannigfaltigkeit unsrer Beziehungen zu einem
Individuum, aber auch zu einer Gruppe, beruht wesentlich darauf, dass sie
uns mit einer Mehrheit von Zügen, zu denen wir uns in eine Relation zu
setzen haben, gegenüberstehen, dass diese Züge in uns teils gleiche,
teils heterogene vorfinden, und beide Fälle sowohl Attraktion wie
Repulsion ermöglichen, in deren Wechselspiel und Kombinationen das
Gesamtverhältnis verläuft; ein ähnlicher Erfolg tritt ein, wenn eine
und dieselbe Relation, z.B. zu der uns wesensverwandten Bestimmtheit des
andern, nach der einen Seite sympathische, nach der andern antipathische
Empfindungen in uns auslöst.
So wird eine soziale Macht gleichartig konstruierte in
ihrem Bereich einerseits begünstigen, nicht nur wegen der natürlichen
Sympathie für das ideell Verwandte, sondern weil die Stärkung des
Prinzipes auch ihr zugute kommen muss.
Andrerseits aber wird Eifersucht, Konkurrenz, der
Wunsch, gerade der einzige Vertreter des Prinzips zu sein, das Gegenteil
hervorrufen.
An dem Verhältnis der Monarchie zum Adel ist dies sehr
bemerkbar.
Einerseits ist ihr das Erbprinzip des Adels innerlich
verwandt, sie bildet dessentwegen eine Partei mit ihm, findet eine Stütze
an ihm und begünstigt ihn daraufhin; andrerseits kann sie oft nicht
dulden, dass ein Stand, der aus erblichem, also eignem Rechte privilegiert
ist, neben ihr bestehe, sie muss wünschen, dass jedes Individuum von ihr
besonders privilegiert sei.
So hat das römische Kaisertum ursprünglich den
senatorischen Adel begünstigt und ihm die Erblichkeit gewährleistet -
aber nach Diokletian wurde er zu einem Schatten herabgedrückt durch den
Beamtenadel, in dem jedes Mitglied nur durch persönliche Beförderung zu
den hohen Stellungen gelangte.
Ob in derartigen Fällen Attraktion oder Repulsion des
Gleichen das Übergewicht behält, wird ersichtlich nicht nur aus
utilitarischen Momenten, sondern aus jenen tieferen Dispositionen der
Seele für die Wertung des Gleichen oder die des Ungleichen entschieden.
Von dem ganz allgemeinen Typus dieses -soziologischen
Problems deszendiert das besondre, hier vorliegende.
Es ist unzählige Male Sache einer nicht zu
rationalisierenden Empfindung, ob man sich durch die Unterordnung unter
einen Nahestehenden oder durch die unter einen Fernerstehenden mehr
gedemütigt fühle.
So liegen die ganzen sozialen Instinkte und
Lebensgefühle des Mittelalters darin, wenn die Ausstattung der Zünfte
mit öffentlicher Gewalt, im 13. Jahrhundert, zugleich die Unterstellung
aller Arbeiter des gleichen Handwerks unter sie forderte: denn es wäre
undenkbar gewesen, dass ein gewerbliches Gericht über jemanden gehalten
würde, der nicht selbst Genosse der urteilenden Gerichtsgemeinde war.
Und genau das entgegengesetzte und genau so wenig auf
einzelne Nützlichkeiten zurückzuführende Gefühl bewegt einige
australische Horden, ihre Häuptlinge nicht selbst zu wählen, sondern sie
sich von den Führern benachbarter Stämme wählen zu lassen - wie auch
das bei einigen Naturvölkern kursierende Geld nicht von ihnen selbst
fabriziert wird, sondern von auswärts eingeführt werden muss, so dass es
hier und da eine Art Industrie ist, Geldzeichen (Muscheln etc.)
herzustellen, die nach entfernteren Orten als deren Geld exportiert
werden.
Im ganzen -, unter Vorbehalt vielfacher Modifikationen
- wird eine Gruppe, je tiefer sie als Ganzes steht, je mehr jedes einzelne
Mitglied an Unterordnung gewöhnt ist, es umso unlieber einem
ihresgleichen gönnen, sie zu beherrschen; je höher sie als Ganzes steht,
desto eher ordnet sie sich gerade nur einem ihrer Pairs unter.
Die Beherrschung durch den Gleichen ist dort schwierig,
weil jeder tief steht, hier leichter, weil jeder hoch steht.
Die höchste Steigerung dieser Empfindung bot das Haus
der Lords, das nicht nur von jedem Peer als sein einziger Richter
anerkannt war, sondern im Jahr 1330 einmal die Insinuation ausdrücklich
ablehnte, als wollte es noch andre Leute als die Peers aburteilen.
So entschieden ist also die Tendenz, sich nur von
seinesgleichen richten zu lassen, dass sie schon rückläufig wirksam
wird; sie besorgen, sich jemanden dadurch gleichzustellen, dass sie ihn
richten! Logisch unrichtig, aber psychologisch durchaus tief und
begreiflich, schließen sie: da unsresgleichen nur von uns selbst
abgeurteilt ist, so wird jeder, den wir aburteilen, gewissermaßen
unsresgleichen.
- Wie hier ein so entschiedenes
Unterordnungs-Verhältnis, wie das des Gerichteten zu seinen Richtern,
doch als eine gewisse Koordination empfunden wird, so umgekehrt manchmal
Koordination als Unterordnung.
Und begrifflich wiederholt sich hier die Zweiheit -
Trennung wie Verflechtung - angebbarer Vernunftgründe und dunkler
Instinkte.
Der mittelalterliche Stadtbürger, mit seinen Rechten
unter dem Adel, aber über dem Bauer stehend, weist gelegentlich den
Gedanken allgemeiner Rechtsgleichheit von sich; denn er fürchtet, dass
die Gleichstellung ihm mehr zu gunsten des Bauern raubte, als sie ihn dem
Adel gegenüber gewinnen lässt.
Mehr als einmal begegnet dieser soziologische Typus:
dass eine mittlere Schicht die Erhebung zu der höheren nur um den Preis
erlangen kann, die tiefere sich zu koordinieren - diese Gleichstellung
aber als eine solche Deklassierung ihrer selbst empfindet, dass sie eher
die nur durch sie zu gewinnende Erhöhung preisgibt.
So empfinden die Kreolen im spanischen Amerika zwar
heftige Eifersucht auf die aus Europa stammenden Spanier; aber noch
stärkere Verachtung gegen Mulatten und Mestizen, Neger und Indianer.
Diese hätten sie sich koordinieren müssen, um sich
ihrerseits den Spaniern gleichzustellen, und für ihr Rassengefühl wäre
diese Koordination eine solche Degradierung gewesen, dass sie darum lieber
auf die Gleichheit mit den Spaniern verzichteten.
Und noch abstrakter oder instinktiver drückt sich
diese formale Kombination in der Äußerung H. S. Maines aus: Das
Nationalitätsprinzip, wie es oft aufgestellt wird, scheine zu besagen,
dass Menschen der einen Rasse unrecht geschieht, wenn sie mit Menschen der
andern Rasse gemeinsame politische Einrichtungen haben sollen.
Wo also zwei verschiedene Sozialcharaktere vorliegen, A
und B, da erscheint A dem B untergeordnet, sobald ihm die gleiche
Konstitution wie diesem zugemutet wird, und sogar dann, wenn dieselbe
inhaltlich durchaus keine Tieferstellung oder Unterordnung bedeutet.
Endlich hat die Unterordnung unter die ferner stehende
Persönlichkeit die sehr wichtige Bedeutung: dass sie in demselben Maß
die geeignetere ist, in dem der Kreis der Untergeordneten aus heterogenen,
einander fremden oder entgegengesetzten Gliedern besteht.
Die Elemente einer Mehrheit, die einer höheren
Persönlichkeit untersteht, verhalten sich wie die Einzelvorstellungen,
die unter einen allgemeinen Begriff gehören.
Dieser muss um so höher und abstrakter sein, d. h. um
so weiter von jeder einzelnen Vorstellung abstehen, je verschiedner
untereinander alle diejenigen Vorstellungen sind, die er gleichmäßig
unter sich zu befassen hat.
Der typischste Fall, der sich auf den verschiedensten
Gebieten in immer gleicher Form darstellt, ist der der streitenden
Parteien, die einen Schiedsrichter wählen.
Je ferner dieser der parteimäßigen Interessiertheit
der einen wie der andern steht - indem ihm freilich, dem höheren Begriff
analog, das beiden Gemeinsame, welches sowohl den Streit, wie die
mögliche Versöhnung begründet, irgendwie einwohnen oder zugängig sein
muss -, desto williger werden die Parteien sich seinem Spruch unterordnen.
Es gibt eine Schwelle der Differenz, über die hinaus
diese nicht mehr die Begegnung der streitenden Parteien in einem noch so
hoch gelegenen Einheitspunkt möglich ist.
Im Rückblick auf die bisherige Geschichte der
gewerblichen Schiedsgerichte in England ist hervorgehoben worden, dass
dieselben bei der Auslegung von Arbeitsverträgen und Gesetzen
vortreffliche Dienste leisten.
Diese aber sind selten der Grund großer Streiks und
Aussperrungen, bei denen es sich vielmehr um Versuche der Arbeiter oder
Arbeitgeber handle, die Arbeitsbedingungen zu ändern.
Hier also, wo neue Grundlagen der Beziehungen zwischen
den Parteien in Frage stehen, ist das Schiedsgericht nicht angebracht; die
Spannung zwischen den Interessen ist so weit geworden, dass das
Schiedsrichtertum unendlich hoch über ihnen liegen müsste, um sie zu
umfassen und in sich zur Ausgleichung zu bringen - wie sich Begriffe mit
so heterogenen Inhalten denken lassen, dass kein Allgemeinbegriff, der das
Gemeinsame ihrer in sich schlösse, auffindbar ist.
Ferner ist es in dem Fall der streitenden Parteien, die
sich der höheren Instanz eines Schiedsrichters unterwerfen sollen, von
entscheidender Bedeutung, dass die Parteien koordiniert sein müssen.
Herrscht zwischen ihnen schon irgend ein Über- und
Unterordnungsverhältnis, so wird dies gar zu leicht eine besondere, die
Unparteilichkeit störende Beziehung des Richters zu einer von ihnen
bewirken; selbst wenn er den sachlichen Interessenkreisen beider ganz fern
steht, so wird er oft ein günstigeres Vorurteil für den Übergeordneten,
manchmal auch ein solches für den Untergeordneten mitbringen.
Hier ist der Platz für Klassensympathien, die oft ganz
unbewusst sind, weil sie mit dem gesamten Denken und Fühlen des Subjektes
unablösbar verwachsen sind und gleichsam das A priori bilden, das seine
scheinbar rein sachliche Erwägung des Falles formt; und die ihre
Verflochtenheit mit dessen Wesenssystemen darin zeigen, dass das
Bestreben, sie zu vermeiden, meistens nicht zu wirklicher Objektivität
und Gleich gewicht, sondern zum Fall in das entgegengesetzte Extrem
führt.
Auch reicht, wo die Parteien sich in sehr differenten
Höhen und Machtlagen befinden, schon der Glaube an die Präjudiziertheit
des Schiedsrichters - selbst wenn sie in Wirklichkeit gar nicht besteht -
aus, um das ganze Verfahren illusorisch zu machen.
Bei Streitigkeiten zwischen Arbeitern und Unternehmern
berufen die englischen Einigungskammern oft einen auswärtigen Fabrikanten
zum Schiedsrichter.
Regelmäßig aber, wenn dessen Entscheidung gegen die
Arbeiter ausfällt, beschuldigen diese ihn der Begünstigung seiner
Klasse, so tadellos auch sein Charakter sein mag; umgekehrt, wenn etwa ein
Parlamentarier berufen wird, so vermuten die Fabrikanten bei ihm eine
Vorliebe für die zahlreichste Klasse seiner Wähler.
Deshalb wird eine vollkommen befriedigende Situation
sich nur bei vollkommener Gleichstellung der Parteien ergeben - schon weil
der Höherstehende sonst noch den Wucherzins seiner Stellung zu ernten
pflegt, dass er auch für die Entscheidung zwischen ihm und dem
Tieferstehenden die ihm genehme Persönlichkeit durchbringen wird.
Deshalb kann man auch umgekehrt schließen: die
Ernennung eines unparteiischen Schiedsrichters ist immer ein Zeichen
dafür, dass die Streitenden sich mindestens eine gewisse Koordination
zuerkennen.
Gerade bei den freiwilligen englischen
Schiedsgerichten, wo Arbeiter und Unternehmer sich vertragsmäßig dem
Ausspruch des Schiedsrichters unterwerfen, der weder Unternehmer noch
Arbeiter sein darf, konnte ersichtlich erst die seitens der Unternehmer
den Arbeitern zuerkannte Gleichstellung jene bewegen, auf die Mitwirkung
von ihresgleichen bei dem Austrag des Konflikts zu verzichten und diesen
einem ganz Fernstehenden anzuvertrauen.
Endlich kann ein Beispiel von der größten materialen
Verschiedenheit lehren, dass das gemeinsame Verhältnis mehrerer Elemente
zu einem übergeordneten um so mehr eine Koordination zwischen diesen
Elementen - bei allen sonst bestehenden Unterschieden, Fremdheiten,
Entgegensetzungen - voraussetzt oder bewirkt, je höher die übergeordnete
Potenz über ihnen steht.
Für die sozialisierende Bedeutung der Religion großer
Kreise ist es offenbar sehr wichtig, dass Gott sich in einer bestimmten
Distanz von den Gläubigen befindet.
Die unmittelbare, sozusagen lokale Nähe mit den
Gläubigen, in der sich die göttlichen Prinzipien aller totemistischen
und fetischistischen Religionen, aber auch der altjüdische Gott befinden,
machen eine derartige Religion ganz ungeeignet, weite Kreise zu
beherrschen.
Die ungeheure Höhe des christlichen Gottesbegriffs
ermöglichte erst die Gleichheit der Ungleichen vor Gott; die Distanz
gegen ihn war so unermesslich, dass die Unterschiede zwischen den Menschen
daran verlöschten.
Das verhinderte nicht die Stufe der Herzensbeziehung zu
ihm; denn hier lebten diejenigen Seiten des Menschen, in denen
Vorausgesetztermassen alle Unterschiede der Menschen schwinden, die aber
zu dieser Reinheit und diesem Eigenleben erst durch die Einwirkung jenes
höchsten Prinzips und der Beziehung zu ihm gleichsam auskristallisierten.
Vielleicht aber konnte doch die katholische Kirche
gerade nur so eine Weltreligion schaffen, dass sie diese Unmittelbarkeit
noch unterbrach und Gott auch in dieser Beziehung dem einzelnen für sich
allein unerreichbar hoch rückte.
In Hinsicht auf diejenigen gesellschaftlichen
Strukturen, die durch die Überordnung einer Mehrheit, einer sozialen
Gesamtheit über Individuen oder andere Gesamtheiten charakterisiert sind,
fällt es zunächst auf, dass der Erfolg für den Untergeordneten sehr
ungleichmäßig ist.
Das Höchste, was die spartanischen und thessalischen
Sklaven wünschten, war, Sklaven des Staates statt einzelner zu werden.
In Preußen hatten es - vor der Emanzipation der
Fronbauern - die auf den staatlichen Domänen sitzenden bei weitem besser,
als die Privatbauern.
In den großen modernen Betrieben und Magazinen, wo
keine sehr individuelle Herrschaft ist, sondern die entweder
Aktiengesellschaften sind oder die gleiche unpersönliche
Verwaltungstechnik besitzen, haben es die Angestellten besser als in den
kleinen Geschäften, wo sie vom Besitzer persönlich ausgebeutet werden.
Dieses Verhältnis wiederholt sich, wo statt des
Unterschiedes zwischen Individuen und Gesamtheiten der zwischen kleineren
und größeren Gesamtheiten in Frage steht.
Das Schicksal Indiens ist unter der englischen
Regierung ein bei weitem besseres, als unter der ostindischen Kompagnie.
Dabei ist es natürlich gleichgültig, ob diese
größere Gesamtheit unter einem Einherrscher steht, wenn nur die Technik
der von ihr ausgeübten Herrschaft den Charakter der Überindividualität
im weitesten Sinne trägt: das Aristokratenregiment der römischen
Republik hat die Provinzen bei weitem härter bedrückt, als das
Kaisertum, das viel gerechter und objektiver war.
Einem größeren Kreise anzugehören pflegt auch für
die in dienender Stellung Befindlichen das Günstigere zu sein.
Die Großgrundherrschaften, die im 7. Jahrhundert. im
fränkischen Reiche aufkamen, schufen vielfach der inferioren Bevölkerung
eine ganz neue, günstige Lage.
Der große Besitz ließ eine Organisierung und
Differenzierung des Arbeitspersonals zu, innerhalb deren qualifizierte und
als solche höher geschätzte Arbeit entstand und in der einzelnen
Herrschaft dem Unfreien sozial höherzukommen gestattete.
Es ist ganz in diesem Sinne, wenn staatliche
Strafgesetze oft milder sind, als die eximierter Kreise.
Nun aber verlaufen, wie angedeutet, mancherlei
Erscheinungen genau entgegengesetzt.
Die Bundesgenossen Athens und Roms, die Territorien,
die ehemals einzelnen Schweizer Kantonen unterworfen waren, wurden so
grausam unterdrückt und ausgesogen, wie es unter der Tyrannis eines
einzelnen Herrschers kaum hätte geschehen können.
Dieselbe Aktiengesellschaft, die infolge der Technik
ihres Betriebes ihre Angestellten weniger ausbeutet, als der
Privatunternehmer, darf in vielen Fällen, wo es sich etwa um
Entschädigungen oder Unterstützungen handelt, nicht so liberal
verfahren, wie der Privatmann, der niemandem Rechenschaft über seine
Aufwendungen schuldig ist.
Und in bezug auf einzelne Impulse: die Grausamkeiten,
die zum Vergnügen römischer Zirkusbesucher verübt wurden, und deren
äußerste Verschärfung diese oft verlangten, würden wohl kaum viele von
ihnen begangen haben, wenn der Delinquent ihnen von Einzelperson zu
Einzelperson gegenübergestanden hätte.
Der prinzipielle Grund dieser verschiedenen Erfolge der
Mehrzahlherrschaft über den ihr Untergeordneten liegt zunächst in dem
Charakter der Objektivität, den sie trägt, in der Ausschaltung gewisser
Gefühle, Gesinnungen, Impulse, die nur im individuellen Handeln der
Subjekte, aber nicht, sobald sie kollektiv verfahren, wirksam werden.
Je nachdem nun die Lage des Untergeordneten innerhalb
des gegebnen Verhältnisses und seiner einzelnen Inhalte durch die
Objektivität oder durch die individuelle Subjektivität im Charakter des
Verhältnisses günstig, bzw. ungünstig beeinflusst wird, werden sich
jene Verschiedenheiten ergeben.
Wo der Untergeordnete seiner Situation nach der
Mildtätigkeit, Selbstlosigkeit, Gnade des Übergeordneten bedarf, wird es
ihm bei der objektiven Herrschaft einer Mehrzahl schlecht ergehen; bei
Verhältnissen, wo gerade nur Gesetzlichkeit, Unparteiischkeit,
Sachlichkeit seine Lage günstig bestimmen, wird eben diese Herrschaft
für ihn die erwünschtere sein.
Es ist dafür bezeichnend, dass der Staat zwar den
Verbrecher gesetzlich verurteilen, aber nicht begnadigen kann, und selbst
in Republiken das Begnadigungsrecht Einzelpersonen vorbehalten zu sein
pflegt.
Am wirkungsvollsten tritt dies an den materiellen
Interessen von Gemeinschaften hervor, die nach dem schlechthin objektiven
Prinzip: möglichst große Vorteile und möglichst geringe Opfer -
dirigiert werden.
Eine Grausamkeit, wie sie von Individuen um der
Grausamkeit willen geübt werden mag, liegt in der hier zu Tage tretenden
Härte und Rücksichtslosigkeit durchaus nicht, sondern nur eine völlig
konsequente Sachlichkeit - wie auch die Brutalität des insoweit unter dem
gleichen Gesichtspunkt verfahrenden reinen Geldmenschen diesem selbst oft
gar nicht als eine sittliche Verschuldung erscheint, da er sich doch nur
eines streng logischen, die sachlichen Konsequenzen der Situation
ziehenden Verhaltens bewusst ist.
Freilich bedeutet diese Objektivität des kollektiven
Verfahrens vielfach nur das Negative, dass gewisse Normen, denen sich die
Einzelpersönlichkeit sonst fügt, ausgeschaltet sind, und nur eine Form,
diese Ausschaltung zu verdecken und das Gewissen über sie zu beruhigen.
Jeder einzelne, der an dem Entschluss beteiligt ist,
kann sich dahinter zurückziehen, dass es eben ein Gesamtbeschluss war,
und seine eigene Gewinnsucht und Brutalität damit maskieren, dass es nur
der Vorteil der Gesamtheit war, den er verfolgt hat.
Dass der Besitz der Macht - und zwar einerseits der
besonders schnell erworbene, andrerseits der besonders langdauernde - zu
ihrem Missbrauchverleitet, gilt für Individuen nur mit vielen und
leuchtenden Ausnahmen; wenn er aber für Körperschaften und Klassen nicht
gilt, so haben es jedes Mal nur besonders glückliche Umstände
verhindert.
Es ist sehr bemerkenswert, dass jenes Verschwinden des
Einzelsubjekts hinter der Gesamtheit dem fraglichen Charakter des
Verfahrens auch dann dient, bzw. ihn potenziert, wenn auch die
unterworfene Partei eine Kollektivität ist.
Die psychologische Nachbildung des Leidens, das
wesentliche Vehikel des Mitleids und der Milde, versagt leicht, wenn nicht
ein benennbares oder anschauliches Individuum es zu tragen hat, sondern
nur eine Gesamtheit, die als solche sozusagen keine subjektiven Zustände
hat.
So ist bemerkt worden, das englische Gemeinwesen sei in
seiner ganzen Geschichte charakterisiert durch eine außerordentliche
Gerechtigkeit gegen Personen und eine ebenso große Ungerechtigkeit gegen
Gesamtheiten.
Bei dem starken Gefühl für das Recht der
Individualitäten ist nur durch jenen psychologischen Grund begreiflich,
wie Dissenters, Juden, Iren, Indier, in früheren Perioden auch die
Schotten, behandelt wurden.
Das Untertauchen der Persönlichkeitsformen und -normen
in der Objektivität des Kollektivdaseins bestimmt, wie das Handeln, so
auch das Leiden der Gesamtheiten.
Die Objektivität wirkt zwar in der Form des Gesetzes;
wo dies aber nicht zwingend ist, und die persönliche Gewissenhaftigkeit
an seine Stelle treten müsste, zeigt sich sehr häufig, dass diese eben
kein kollektiv-psychologischer Zug ist; und dies um so entschiedner, wenn
das Objekt des Verfahrens wegen eben desselben Kollektivcharakters nicht
einmal Anregung gibt, jenen personalen Zug zu entfalten.
Die Missbräuche der Gewalt, z.B. in den amerikanischen
Städteverwaltungen, würden ihre ungeheuren Dimensionen kaum erlangt
haben, wenn die Herrschenden nicht Korporationen wären und die
Beherrschten nicht Kollektivitäten; es ist deshalb bezeichnend, dass man
diesen Missbräuchen manchmal zu steuern glaubte, indem man die Macht des
Mayor sehr vermehrte - damit irgend jemand da sei, den man persönlich
verantwortlich machen konnte!
Als eine Ausnahme von der Objektivität der
Vielheitsaktionen, die aber in Wirklichkeit nur eine tiefere Begründung
der Regel darstellt, tritt das Verhalten einer Masse auf, das ich an dem
römischen Zirkuspublikum exemplifizierte.
Es besteht nämlich ein grundlegender Unterschied
zwischen dem Wirksamkeitscharakter einer Vielheit als eines einheitlichen,
gleichsam eine Abstraktion verkörpernden Sondergebildes -
Wirtschaftsgenossenschaft, Staat, Kirche, alle Vereinigungen, die wirklich
oder gleichnisweise als juristische Personen zu bezeichnen sind - auf der
einen Seite, und dem einer Vielheit als aktuell zusammen befindlicher
Menge auf der andern.
Die hier wie dort erfolgende Aufhebung der
individuellpersonalen Differenziertheit führt nämlich in dem ersten
Falle dazu, dass die sozusagen oberhalb des Individualcharakters gelegenen
Züge hervortreten, in dem andern aber die unterhalb dieses ruhenden.
Innerhalb einer sich sinnlich berührenden
Menschenmenge nämlich gehen unzählige Suggestionen und nervöse
Beeinflussungen hin und her, die dem einzelnen die Ruhe und
Selbständigkeit des Überlegens und Handelns rauben, so dass die
flüchtigsten Anregungen innerhalb einer Menge oft lawinenartig zu den
unverhältnismäßigsten Impulsivitäten anschwellen und die höheren,
differenzierten, kritischen Funktionen wie ausgeschaltet sind.
Daher lacht man im Theater und in Versammlungen über
Scherze, die uns im Zimmer sehr kühl lassen würden, daher gelingen die
spiritistischen Manifestationen am besten in »Zirkeln«, daher erreichen
Gesellschaftsspiele in der Regel den größten Fröhlichkeitserfolg, je
tiefer ihr geistiges Niveau ist; daher das rasche, sachlich ganz
unbegreifliche Umschlagen der Stimmung in einer Masse, daher die
unzähligen Beobachtungen über die Incorpore-Dummheit, die vielleicht mit
der Äußerung des Solon beginnen: jeder Athener sei für sich ein
schlauer Fuchs, aber auf der Pnyx bildeten sie eine Hammelherde.
Ich schiebe diese Paralysierung der höheren
Eigenschaften, dieses widerstandslose Sichmitreissenlassen, wie gesagt,
auf die unberechenbare Zahl von Einflüssen und Eindrücken, die sich in
einer Menge zwischen jedem und jedem kreuzen, sich stärken, sich brechen,
sich ablenken, sich reproduzieren.
Durch diese Wirrnis minimaler Anregungen unterhalb der
Bewußtseinsschwelle entsteht einerseits auf Kosten der klaren und
konsequenten Verstandestätigkeit eine große nervöse Aufgeregtheit, in
der die dunkelsten, primitivsten, sonst beherrschten Instinkte der Naturen
erwachen, andrerseits eine hypnotische Paralyse, die die Menge jedem
führenden, suggestiven Impuls bis ins Extrem folgen lässt.
Dazu tritt der Machtrausch und die individuelle
Verantwortungslosigkeit des einzelnen in einer aktuell kooperierenden
Menge, wodurch die sittlichen Hemmungen der niedrigen und brutalen Triebe
ausfallen.
Daraus erklärt sich hinreichend die Grausamkeit der
Mengen, mögen es römische Zirkusbesucher oder mittelalterliche
Judenhetzer oder amerikanische Negerlyncher sein, und das schlimme Los
derer, die einer aktuellen Menge unterworfen sind.
Freilich zeigt sich auch hier die typische Doppelheit
im Erfolge dieses soziologischen Unterordnungsverhältnisses: der
Impulsivität und Suggestibilität der Menge kann sie gelegentlich
Anregungen der Großmut und des Enthusiasmus folgen lassen, zu denen sich
gleichfalls der einzelne aus ihr sonst nicht aufschwingen würde.
Der letzte Grund der Gegensätzlichkeiten innerhalb
dieser Konfiguration ist so zu formulieren, dass zwischen dem Individuum
mit seinen Situationen und Bedürfnissen auf der einen Seite und all den
über- oder unterindividuellen Gebilden und innerlich-äußerlichen
Verfassungen, die die Kollektivierung mit sich bringt, auf der anderen,
kein prinzipielles und konstantes, sondern ein variables und zufälliges
Verhältnis besteht.
Wenn also die abstrakten sozialen Einheiten sachlicher,
kühler, konsequenter verfahren, als ein einzelner, wenn umgekehrt konkret
zusammenbefindliche Mengen impulsiver, besinnungsloser, extremer handeln,
als jedes ihrer Individuen für sich es täte, so kann jeder dieser Fälle
für den einer solchen Vielheit Unterworfnen der günstigere, er kann aber
auch der ungünstigere sein.
Diese Zufälligkeit ist sozusagen nichts Zufälliges,
sondern der logische Ausdruck der Inkommensurabilität zwischen den
spezifisch individuellen Lagen, um die und deren Bedürfnisse es sich hier
handelt, und den Gebilden und Stimmungen, die das Miteinander und
Nebeneinander der Vielen beherrschen oder die diesem dienen.
Bei diesen Unterordnungen unter eine Mehrheit waren die
einzelnen Elemente der Mehrheit einander koordiniert, oder wenigstens
wirkten sie in der hier in Betracht kommenden Hinsicht so, als wären sie
koordiniert.
Es ergeben sich nun neue Erscheinungen, sobald die
übergeordnete Mehrheit nicht als eine Einheit aus gleichartigen Elementen
auftritt: die Übergeordneten können dabei entweder einander
entgegengesetzt sein, oder sie können eine Reihe bilden, in der der
Übergeordnete seinerseits wieder einem höheren untergeordnet ist.
Ich betrachte zunächst den ersteren Fall, dessen Arten
sich an der Mannigfaltigkeit seiner Folgen für den Untergeordneten
aufzeigen lassen.
Wenn jemand mehreren Personen oder Gruppen in totaler
Weise untertan ist, d.h. so, dass er keine Spontaneität in das
Verhältnis einzusetzen hat, sondern von jedem der Übergeordneten völlig
abhängig ist - so wird er unter der Entgegengesetztheit derselben schwer
leiden.
Denn jeder wird ihn und seine Kräfte und Dienste ganz
beanspruchen und wird ihn andrerseits doch für dasjenige, was er auf die
zwingende Veranlassung des anderen hin tut, so verantwortlich machen, als
wäre es spontan.
Dies ist die typische Situation des »Dieners zweier
Herren«, sie tritt an Kindern auf, die zwischen ihren in Konflikt
befindlichen Eltern stehen, bis zu der Situation eines kleinen Staates,
der von zwei mächtigen Nachbarstaaten gleichmäßig abhängig ist und
deshalb in einem Konfliktfalle zwischen diesen oft von jedem für
dasjenige verantwortlich gemacht werden wird, wozu ihn sein
Abhängigkeitsverhältnis zum anderen zwingt.
Ist dieser Konflikt der einzelnen untergeordneten
Kreise ganz verinnerlicht, wirken diese als ideale, sittliche Mächte, die
ihre Forderungen im Inneren des Menschen selbst stellen, so erscheint der
Fall als »Konflikt der Pflichten«.
jener äußerlichere Widerstreit entsteht sozusagen
nicht aus dem Subjekte selbst, sondern nur an ihm, dieser aber bricht aus,
indem aus der Seele heraus das sittliche Bewusstsein nach zwei
verschiedenen Seiten, zum Gehorsam gegen zwei einander ausschließende
Mächte strebt.
Während der erstere also prinzipiell die Spontaneität
des Subjekts ausschließt und, wenn diese einträte, in der Regel rasch
beendet sein könnte, liegt dem Konflikt der Pflichten grade die vollste
Freiheit des Subjekts zugrunde, die allein die Anerkennung der beiden
Ansprüche als sittlich verpflichtender tragen kann.
Indes hindert ersichtlicherweise dieser Gegensatz
nicht, dass der Widerstreit zweier, unsern Gehorsam fordernder Mächte
beide Formen zu gleicher Zeit gewinnen kann.
Solange ein Konflikt rein äußerlich ist, ist er am
schlimmsten, wenn die Persönlichkeit schwach ist, wird er aber innerlich,
so wird er am zerstörendsten, wenn sie stark ist.
An die Rudimentärformen solcher Konflikte, die unser
Leben im großen wie im kleinen durchziehen, sind wir derartig angepasst,
wir finden uns durch Kompromisse und Teilung unserer Leistungen so
instinktiv mit ihnen ab, dass sie uns in den meisten Fällen überhaupt
nicht als Konflikte zum Bewusstsein kommen.
Wo dies aber geschieht, pflegt sich eine Unlösbarkeit
dieser Situation, ihrer reinen soziologischen Form nach, sichtbar zu
machen, wenn auch ihre zufälligen Inhalte eine Glättung und Versöhnung
gestatten.
Denn solange der Streit von Elementen dauert, deren
jedes den vollen Anspruch auf ein und dasselbe Subjekt erhebt, wird keine
Teilung von dessen Kräften jenen Forderungen genügen, ja, meistens wird
nicht einmal die relative Lösung durch solche Teilung möglich sein, weil
Farbe bekannt werden muss und die einzelne Handlung vor einem unbeugsamen
pro oder contra steht.
Zwischen dem religiös umkleideten Anspruch der
Familiengruppe, die die Bestattung des Polyneikes fordert, und dem
staatlichen Gesetz, das sie verbietet, gibt es für Antigone kein
differenzierendes Kompromiss; nach ihrem Tode stehen sich die Gegensätze
ihrem inneren Sinne nach genau so hart und unversöhnt gegenüber, wie am
Anfang der Tragödie und erweisen damit, dass keinerlei Verhalten oder
Schicksal des ihnen Unterworfenen den Konflikt aufheben kann, den sie in
ihn projizieren.
Und selbst wo die Kollision nicht zwischen jenen
Mächten selbst, sondern nur in dem beiden folgsamen Subjekt zustande
kommt und so eher durch eine Teilung von dessen Leistung zwischen ihnen zu
schlichten scheint - ist es nur der glückliche, aus dem Inhalt der
Situation folgende Zufall, der diese Lösung ermöglicht.
Der Typus ist hier: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers
ist, und Gott, was Gottes ist; aber wenn man nun gerade der Münze, die
der Kaiser beansprucht, für ein gottgefälliges Werk bedarf? Die bloße
gegenseitige Fremdheit und Nicht-Organisiertheit der Instanzen, von denen
ein Individuum zugleich abhängig ist, reicht aus, um seine Situation zu
einer prinzipiell widerspruchsvollen zu machen.
Und dies um so mehr, je mehr der Konflikt in das
Subjekt hinein verinnerlicht ist und aus den idealen Forderungen
erwächst, die von dem eignen Pflichtbewusstsein leben.
In den beiden oben herangezogenen Beispielen ruht der
subjektiv sittliche Akzent doch im wesentlichen auf der einen Seite des
Gegensatzes, und der andern ist das Subjekt mehr durch eine äußere
Unvermeidlichkeit untertan.
Sind aber beide Forderungen vom gleichen inneren
Gewicht, so hilft es uns wenig, aus der besten Überzeugung uns für die
eine zu entscheiden oder unsere Kräfte zwischen ihnen zu teilen.
Denn die - ganz oder teilweise - unerfüllte wirkt
trotzdem mit ihrem ganzen Schwergewicht nach, ihr unerfülltes Quantum
macht uns für sich voll verantwortlich, auch wenn es äußerlich
unmöglich war, ihm zu genügen und wenn unter den gegebenen Umständen
diese Lösung die sittlich richtigste war.
Jede wirklich sittliche Forderung hat etwas Absolutes,
das sich mit einer relativen Erfüllung, die das Bestehen einer anderen
ihr allein zubilligt, nicht begnügt.
Auch hier, wo wir uns keiner anderen Instanz, als dem
persönlichen Gewissen zu beugen brauchen, sind wir nicht besser daran,
wie in dem äußerlichen Fall der einander widerstreitenden Bindungen,
deren keine uns einen Vorbehalt zu Gunsten der andern gestattet.
Auch innerlich kommen wir nicht zur Ruhe, solange eine
sittliche Notwendigkeit unrealisiert geblieben ist, gleichviel, ob wir ihr
gegenüber ein reines Gewissen haben, weil wir wegen des Bestehens einer
andern - die im gleichen Sinne über ihre Verwirklichungsmöglichkeit
hinauswirkt - ihr nicht mehr geben konnten, als wir taten.
Bei der Unterordnung unter äußere, einander
entgegengesetzte oder fremde Mächte wird die Position des Untergeordneten
freilich eine völlig andre, sobald er nur irgend eine Spontaneität
besitzt, irgend eine eigne Macht in das Verhältnis einzusetzen hat.
Hier tritt in den mannigfaltigsten Ausgestaltungen die
Situation: duobus litigantibus tertius gaudet - auf.
Ich erinnere nur an die Macht kleiner Staaten und
kleiner Parteien, die ihnen dadurch zuwächst, dass größere Mächte,
deren jede jenen überlegen ist, untereinander in Konflikt geraten.
Stehen dann die Kräfte dieser sich gleich, so kann ein
an sich schwaches Element, zu einer von beiden hinzutretend, den Ausschlag
zu ihren Gunsten geben, durch die Konkurrenz jener beiden um seinen
Beitritt erhält dieses Element eine Bedeutung, die ihm bei friedlichem
Vertragen der beiden mächtigeren niemals zugekommen wäre.
Im übrigen gehört die allgemeine soziologische Form
des tertius gaudens in ein andres soziologisches Kapitel.
Hier seien nur einige seiner Anwendungen für den Fall
der Unterordnung des tertius und auch für die Eventualität angeführt,
dass kein Streit, sondern nur gegenseitige Fremdheit der höheren
Instanzen vorliegt.
Für das vorhandne Freiheitsquantum des Untergeordneten
pflegt die Situation einen Wachstumsprozess einzuleiten, der manchmal bis
zur Lösung der Unterordnung überhaupt geht.
Ein wesentlicher Unterschied des mittelalterlichen
Unfreien vom Vasallen bestand darin, dass jener nur einen Herrn hatte und
haben konnte; dieser aber konnte von verschiedenen Herrn Land nehmen und
ihnen den Diensteid leisten.
Durch diese Möglichkeit, sich in verschiedne
Lehensverhältnisse zu begeben, gewann der Vasall dem einzelnen
Lehensherrn gegenüber einen starken Rückhalt und Unabhängigkeit, die
prinzipielle Unterordnung der Vasallenstellung wurde dadurch sehr
erheblich ausgeglichen.
Eine formal ähnliche Lage schafft der Polytheismus
für das religiöse Subjekt.
Obgleich dieses sich von einer Mehrheit göttlicher
Mächte beherrscht weiß, so kann es doch - vielleicht nicht ganz logisch
klar, aber auf dieser Stufe psychologisch tatsächlich - sich von dem
unzugänglichen oder ohnmächtigen Gotte zu einem andern, chancenreicheren
wenden; noch im heutigen Katholizismus sagt der Gläubige oft dem einen
Heiligen ab, der seine besondre Adoration nicht belohnt hat, um diese
einem andern zu widmen - obgleich er die weiterwirkende Macht auch jenes
über ihn prinzipiell nicht leugnen könnte.
Insofern das Subjekt mindestens eine gewisse Wahl
zwischen den Instanzen über ihm hat, gewinnt es jeder gegenüber, ja für
sein Gefühl vielleicht ihrer Gesamtheit gegenüber eine gewisse
Unabhängigkeit, die ihm da versagt bleibt, wo die gleiche Summe
religiöser Abhängigkeit in einer einzigen Gottesvorstellung sozusagen
unentrinnbar vereinigt ist.
Und dies ist auch die Form, in der der moderne Mensch
eine bestimmte Unabhängigkeit auf wirtschaftlichem Gebiet gewinnt.
Er ist, besonders der Großstädter, von der Summe
seiner Lieferanten unendlich viel abhängiger, als es der Mensch in mehr
naturwirtschaftlichen Zuständen ist.
Allein da er eine kaum begrenzte Möglichkeit besitzt,
zwischen den Lieferanten zu wählen, bzw. zwischen ihnen zu wechseln, so
hat er jedem gegenüber eine Freiheit, die mit der des Menschen in
einfacheren oder kleinstädtischen Verhältnissen gar nicht zu vergleichen
ist.
Die Souveränität, mit der das »Publikum« heute dem
Kaufmann seine Bedingungen auferlegt, bedeutet nur diese Unabhängigkeit
von dem einzelnen Mitglied eines Standes, von dessen Gesamtheit es doch
völlig abhängig ist.
Dieselbe Formbestimmtheit des Verhältnisses ergibt
sich, wenn die Divergenz der Übergeordneten sich im Nacheinander statt im
Nebeneinander entfaltet.
Hier bieten sich nun je nach den historischen Inhalten
und Sonderbedingungen die mannigfaltigsten Abwandelungen dar, in denen
allen das gleiche Formphänomen lebt.
Der römische Senat war den hohen Beamten gegenüber
formell sehr abhängig.
Da diese aber eine kurze Amtsdauer hatten, der Senat
aber seine Mitglieder dauernd behielt, so wurde die Macht des Senates
dadurch in Wirklichkeit eine weit größere, als sich aus seinem
gesetzlichen Verhältnis zu jenen Herrschaftsträgern ablesen ließ.
Aus dem prinzipiell gleichen Motiv vollzog sich der
Machtzuwachs der Commons gegenüber der englischen Krone seit dem 14.
Jahrhundert.
Die dynastischen Parteien waren noch im stande, die
Wahlen im Sinne des Royalismus oder der Reform, zu Gunsten von York oder
von Lancaster zu bestimmen.
Allein unter all diesen Machterweisen der Herrscher
beharrte eben doch das Haus der Gemeinen als solches und erwarb damit
grade wegen jener Schwankungen und Windwechsel in den obersten Regionen
eine Festigkeit, Kraft und Unabhängigkeit, die es vielleicht bei
ungestörter Einheit in den Richtungen des höchsten Regiments nie
gewonnen hätte.
Entsprechend hat man das Wachstum des demokratischen
Bewusstseins in Frankreich mit daraus hergeleitet, dass seit dem Sturze
Napoleons I. wechselnde Regierungsgewalten rasch einander folgten, jede
unfähig, unsicher, um die Gunst der Massen buhlend, wodurch dann jedem
Bürger seine soziale Bedeutung recht zum Bewusstsein kommen musste.
Obgleich er jeder einzelnen dieser Regierungen an sich
untergeordnet war, so empfand er sich doch als stark, weil er das dauernde
Element in all dem Wechsel und Gegensatz der Regierungen war.
Die Macht, welche einem Element eines Verhältnisses
durch die bloße Tatsache seines Beharrens gegenüber seinen variabeln
Mit-Elementen zuwächst, ist eine so allgemeine, formale Konsequenz, dass
ihre Ausnützung durch das in irgend einem Verhältnis untergeordnete
Element nur als ein Spezialfall verstanden werden darf.
Sie gilt nicht weniger für den Übergeordneten:
anhebend von der ungeheuren Prärogative, die »der Staat« und »die
Kirche« schon durch ihre bloße Stabilität gegenüber der Kurzlebigkeit
der von ihnen Beherrschten gewinnen, bis zu einer so singulären Tatsache,
dass die Häufigkeit des Kindbettfiebers im Mittelalter die Souveränität
des Mannes im Hause außerordentlich hob.
Denn der Erfolg jener war, dass die meisten kräftigen
Männer mehrere Frauen hintereinander hatten und dadurch die hausherrliche
Macht sich sozusagen in einer Person akkumulierte, während die
hausfrauliche sich auf mehrere, einander ablösende, verteilte. -
Durchweg scheinen die Phänomene der Überordnung und
Unterordnung, auf einer gewissen hohen Stufe ihrer Allgemeinheit, für den
Untergeordneten völlig entgegengesetzte Folgen zu entfalten.
Überall aber hat die nähere Spezialisierung, ohne den
Charakter der beliebigen Inhalten sich darbietenden Form aufzugeben, uns
die Gründe dieser Entgegengesetztheit auf dem Boden des gleichen
allgemeinen Typus erkennen lassen.
Nicht anders verhält es sich bei der zweiten jetzt
fraglichen Kombination: dass eine Mehrzahl von übergeordneten Instanzen,
statt einander fremd oder feindlich zu sein, untereinander selbst
übergeordnet und untergeordnet sind.
Das Entscheidende ist hier, ob der Untergeordnete noch
ein unmittelbares Verhältnis zu dem Höchststehenden von den ihm
Übergeordneten besitzt, oder ob die dazwischengeschobene Instanz, die
zwar ihm übergeordnet, jener höchsten aber untergeordnet ist, ihn von
der letzteren abtrennt und so de facto die übergeordneten Elemente ihm
gegenüber allein vertritt.
Fälle der ersteren Art schuf der Feudalismus, in dem
derjenige, der dem größeren Vasallen untertan war, doch zugleich der
Untertan des obersten Herrscherhauses blieb.
Ein sehr reines Bild hiervon gewährt der englische
Feudalismus zur Zeit Wilhelms des Eroberers, den Stubbs so schildert: All
men continued to be primarily the king's men and the public peace to be
his peace.
Their lords might demand their service to fulfil their
own obligations, but the king could call them to the fyrd, summon them to
his courts, and tax them without the intervention of their lords, and to
the king they could look for protection against all foes.
So ist die Lage des Untergeordneten seinem
Übergeordneten gegenüber eine günstige, wenn dieser letztere
seinerseits einem Höheren untergeordnet ist, an dem der erstere eine
Deckung hat.
Auch ist dies die eigentlich natürliche Folge der hier
vorliegenden soziologischen Konfiguration.
Da in der Regel irgendwelche Gegnerschaft und
Kompetenzstreitigkeit zwischen den in der Skala der Überordnungen
benachbarten Elementen stattfindet, so ist das mittlere Element oft in
Konflikt sowohl mit dem höheren wie mit dem tieferen.
Und dass gemeinsame Gegnerschaft auch die sonst
divergentesten und durch kein andres Mittel zu vereinheitlichenden
Elemente zusammenbindet, ist eine der typischen formalen Regeln, die sich
auf allen überhaupt bestehenden Gebieten des gesellschaftlichen Lebens
bewährt.
Eine Nuance hiervon wird für das vorliegende Problem
besonders wichtig: schon im frühen Orient ist es der Ruhm eines
Herrschers, sich der Sache des Schwachen anzunehmen, der von einem
Stärkeren bedrückt wird, - sei es auch nur, weil er sich damit als der
Mächtigere über dem Mächtigen erweist.
In Griechenland kommt es vor, dass eine bisher
herrschende Oligarchie eben die selbe Persönlichkeit mit dem Namen eines
Tyrannen brandmarkt, den die unteren Massen als ihren Be freier von
Tyrannei verehren, wie es Euphron von Sikyon widerfuhr.
Es bedarf kaum der Wiederholung des Hinweises auf die
Häufigkeit, mit der das Motiv: dass die unteren Massen in ihrem Kampf
gegen die Aristokratie vom Herrscher unterstützt werden - in der
Geschichte wiederkehrt.
Ja, selbst wo diese unmittelbare Beziehung zwischen der
höchsten und der tiefsten Stufe der sozialen Skala zum Zweck des
Niederhaltens der mittleren nicht vorhanden ist, wo vielmehr die
niedrigste und die mittlere gleichmäßig von der obersten unterdrückt
werden, hat die bloße Tatsache, dass eben doch auch der mittleren dies
widerfährt, mindestens eine psychologische, gefühlsmäßige
Erleichterung der tiefsten zur Folge.
Bei manchen afrikanischen und asiatischen Völkern
gestaltet sich die Polygamie so, dass nur eine der Frauen als die
eigentliche, erste oder legitime Frau gilt, und die andern ihr gegenüber
eine untergeordnete oder dienende Stellung haben.
Dabei aber ist jene dem Manne gegenüber keineswegs
besser situiert: für ihn ist sie genau so Sklavin wie die andern auch.
Solche Lage: dass der im Verhältnis zwischen zweien
Übergeordnete unter dem gleichen Druck von oben her steht, wie der ihm
Untergeordnete selbst - bringt, wie der Typus Mensch nun einmal angelegt
ist, für den letzteren zweifellos eine größere Erträglichkeit des
Druckes mit sich.
Irgend eine Genugtuung pflegt der Mensch aus der
Unterdrückung des Unterdrückers zu ziehen, irgend ein
Superioritätsgefühl pflegt von ihm aus zu dem Herrn seines Herrn empor
zureichen, auch wo diese soziologische Konstellation keinerlei reale
Hebung des Druckes für ihn bedeutet.
Wo nun Inhalt oder Form des soziologischen Aufbaus die
Berührung zwischen der höchsten und der tiefsten Schicht zu gemeinsamer
Gegnerschaft gegen die mittlere ausschließt und eine sich nicht
zurückbiegende Kontinuität zwischen oben und unten stattfindet, wird der
Raum für ein typisches soziologisches Ereignis frei, das man als
Abwälzung des Druckes bezeichnen kann.
Gegenüber dem einfachen Fall, dass ein Mächtiger
seine Position zur Ausbeutung eines Schwächeren ausnutzt, handelt es sich
hier darum, dass er eine Verschlechterung seiner Position, gegen die er
sich nicht wehren kann, auf einen Wehrlosen überträgt und sich dadurch
im status quo ante zu erhalten sucht.
Der Detaillist wälzt die Schwierigkeiten, die ihm
durch die Ansprüche und Launen des Publikums entstehen, auf den
Großkaufmann ab, dieser auf den Fabrikanten, dieser auf seine Arbeiter.
In jeder Hierarchie bewegt sich ein neuer Druck oder
Zumutung längs der Linie des geringsten Widerstandes, welche
schließlich, wenn auch nicht der Erscheinung oder dem ersten Stadium
nach, die nach unten laufende zu sein pflegt.
Dies ist die Tragödie des Tiefsten in jeder sozialen
Ordnung.
Er hat nicht nur unter den Entbehrungen, Anstrengungen
und Zurücksetzungen zu leiden, deren Summe eben seine Stellung
charakterisiert, sondern jeder neue Druck, der die ihm übergeordneten
Schichten an irgend einer Stelle trifft, wird, wenn es technisch irgend
möglich ist, nach unten weitergegeben und macht erst an ihm Halt.
Die irischen Agrarzustände geben ein sehr reines
Beispiel.
Der englische Lord, der ein Gut in Irland besaß, es
aber nie besuchte, verpachtete es an einen Oberpächter, dieser wieder an
kleinere Pächter usw., so dass der arme Bauer sein bisschen Acker oft vom
5. oder 6.
Middleman pachten musste.
Dadurch kam es zunächst vor, dass er für einen Acker
6 Pf. Sterling bezahlen musste, von denen der Besitzer nur 10 Schilling
erhielt; weiterhin aber kam jede Erhöhung des Pachtzinses um einen
Schilling, die der Besitzer dem Pächter, mit dem er unmittelbar
verhandelte, auferlegte, nicht als Erhöhung um einen Schilling, sondern
um das 12fache davon an den Bauern.
Denn es liegt auf der Hand, dass die ursprüngliche
Vermehrung des Druckes nicht in ihrer absoluten Größe, sondern in der
relativen abgewälzt wird, welche dem sonst schon bestehenden Maß der
Gewalt des Höheren über den Tieferen entspricht.
So mag der Verweis, den ein Beamter von seinem
Vorgesetzten erhält, sich in den gemäßigten Ausdrücken der höheren
Bildungsschicht halten; dieser Beamte aber wird vielleicht seinem Verdruss
darüber schon durch ein grobes Anschreien seines Subalternen äußern,
und dieser prügelt im Ärger darüber seine Kinder um einer sonst ganz
folgenlosen Veranlassung willen durch.
Während die besonders ungünstige Lage des untersten
Elementes in einer mehrgliedrigen Über- und Unterordnungsreihe darauf
beruht, dass deren Struktur ein gewisses kontinuierliches Gleiten des
Druckes von oben nach unten zulässt, führt eine formal ganz anders
aussehende zu ganz ähnlichen Ergebnissen für den Tiefstehenden, insoweit
auch sie jene Verbindung mit dem höchsten Element vernichtet, die sein
Rückhalt gegen die mittlere Schicht war.
Wenn sich nämlich diese letztere so breit und mächtig
zwischen die beiden andren schiebt, dass alle Maßregeln der höchsten
Instanz zugunsten der tiefsten durch die mittlere, die im Besitz von
Herrschaftsfunktionen ist, hindurchgeleitet werden müssen, so bringt dies
leicht, statt einer Verbindung zwischen oben und unten, eine Abschnürung
zwischen ihnen zuwege.
Solange Gutsuntertänigkeit bestand, war der Adel ein
Träger der Verwaltungsorganisation des Staates, er übte seinen
Untertanen gegenüber richterliche, ökonomische, steuerliche Funktionen,
ohne die der damalige Staat nicht hätte bestehen können, und band
allerdings auf diese Weise die untertänigen Massen an das allgemeine
Interesse und die höchste Macht.
Da nun aber der Adel noch Privatinteressen hat, in
denen er den Bauern für sich ausnutzen will, so benutzt er dazu jene
Stellung als Verwaltungsorgan zwischen Regierung und Bauern und annulliert
tatsächlich sehr lange diejenigen Maßregeln und Gesetze, durch die die
Regierung sich unmittelbar des Bauern annehmen möchte - was sie sehr
lange eben nur durch den Adel hindurch kann.
Es liegt auf der Hand, dass diese isolierende
Schichtungsform nicht nur das unterste, sondern auch das oberste Glied der
Reihe schädigt, denn ihr entgehen die von jener nach oben strömenden
Kräfte.
So wurde das deutsche Königtum im Mittelalter dadurch
außerordentlich geschwächt, dass der aufkommende niedere Adel nur dem
Hochadel verpflichtet, weil nur von ihm belehnt war.
Das Mittelglied des hohen Adels schnürte den niederen
schließlich ganz von der Krone ab.
Der Erfolg dieser Struktur, mit ihren Scheidungen und
Vereinigungen, hängt übrigens für das unterste Glied natürlich von der
Tendenz ab, die die oberen Glieder ihm gegenüber besitzen.
Durch Modifikationen dieser kann, im Gegensatz zu den
bisher beobachteten Erscheinungen, die Abtrennung durch das Mittelglied
ihm günstig, das Übergreifen über dieses hinweg ihm ungünstig sein.
Der erstere Fall trat in England seit Eduard I. ein,
als die Ausübung der Gerichts-, Finanz- und Polizeihoheit allmählich in
gesetzlichem Auftrag an die in den Grafschafts- und Stadtverbänden
organisierten besitzenden Klassen überging.
Diese übernahmen als Gesamtheiten den Schutz des
einzelnen gegen die absolute Gewalt.
Indem die kommunalen Einheiten sich im Parlament
zusammenfassten, wurden sie zu jenem Gegengewicht der obersten Gewalt, das
den schwachen Einzelnen gegen gesetzlose und ungerechte Übergriffe des
Staatsregimentes deckte.
Umgekehrt verlief der Prozess im Frankreich des ancien
régime.
Hier war der Adel von jeher aufs engste mit dem lokalen
Kreise verbunden, in dem er verwaltete und herrschte und dessen Interessen
er der Zentralregierung gegenüber vertrat.
In dieses Verhältnis zwischen Adel und Bauer drängte
sich nun der Staat und nahm jenem allmählich seine Herrschaftsfunktionen
ab: die Rechtsprechung wie die Armenpflege, die Polizei wie den Wegebau.
Mit diesem zentralistischen Regime, das nur auf
Herausziehen von Geld gerichtet war, wollte der Adel nichts zu tun haben,
er zog sich von seinen sozialen Aufgaben zurück und überließ den Bauer
den königlichen Intendanten und Delegierten, die nur an die Staatskasse
oder auch an die eigne dachten und den Bauern von seinem ursprünglichen
Rückhalt am Adel völlig abdrängten.
Ich komme nun endlich zu dem dritten Formtypus: in dem
die Unterordnung weder unter einen einzelnen, noch unter eine Mehrheit,
sondern unter ein unpersönliches, objektives Prinzip stattfindet.
Dass hier eine eigentliche Wechselwirkung, zum
mindesten eine unmittelbare, ausgeschlossen ist, scheint dieser
Unterordnungsform das Element der Freiheit zu nehmen.
Wer einem objektiven Gesetz untergeordnet ist, fühlt
sich von diesem bestimmt, er selbst aber bestimmt jenes in keiner Weise,
er hat keine Möglichkeit, in einer das Gesetz selbst treffenden Weise
darauf zu reagieren, wie doch der armseligste Sklave es noch immer in
irgend einem Maße seinem Herrn gegenüber kann.
Denn wer dem Gesetze etwa nicht gehorcht, ist ihm
insofern überhaupt nicht real untergeordnet, und wenn er das Gesetz
abändert, so ist er dem alten Gesetz gar nicht, dem neuen aber wieder in
jener schlechthin unfreien Weise untergeordnet.
Dennoch ist für den modernen, objektiven Menschen, der
das Gebiet spontaner Wirksamkeit und das des Gehorsams auseinander
zuhalten weiß, die Unterordnung unter ein Gesetz, das von
unpersönlichen, unbeeinflussbaren Mächten exekutiert wird, der
würdigere Zustand.
Anders aber, wo die Persönlichkeit ihr Selbstgefühl
nur bei jener vollen Spontaneität bewahren konnte, die auch bei voller
Unterordnung noch immer mit der Gegenwirkung von Person zu Person
verbunden ist.
Darum erfuhren noch die Fürsten des 16. Jahrhundert in
Frankreich, Deutschland, Schottland, den Niederlanden oft erheblichen
Widerstand, wenn sie durch gelehrte Substitute oder durch
Verwaltungskörper, also mehr nach Gesetzen, regieren ließen.
Der Befehl wurde als etwas Persönliches empfunden;
Gehorsam wollte man ihm nur aus persönlicher Hingabe leisten, die bei
aller Unbedingtheit doch immer die Form einer freien Gegenseitigkeit hat.
Fast in die Karikatur schlägt dieser leidenschaftliche
Personalismus des Unterordnungsverhältnisses um, wenn aus Spanien am
Beginn der Neuzeit berichtet wird: ein verarmter Adeliger, der in einem
großen Hause Koch oder Lakai wurde, verlor damit seinen Adel nicht
definitiv - dieser schlief nur und konnte, bei einer günstigen Wendung
des Schicksals, wieder geweckt werden.
War ein solcher Edelmann aber einmal Handwerker
geworden, so war sein Adel vernichtet.
Der modernen Empfindung, die die Leistung und die
Person sondert und deshalb in einer möglichsten Objektivität des
Abhängigkeitsinhaltes die persönliche Würde am besten gewahrt sieht,
widerspricht dies unmittelbar: ein amerikanisches Mädchen etwa, das ohne
jedes Gefühl von Entwürdigung in einer Fabrik arbeiten würde, käme
sich als Köchin in einer Familie völlig deklassiert vor.
Und schon im 13. Jahrhundert enthalten in Florenz die
unteren Zünfte die Beschäftigungen im unmittelbaren Dienste von
Personen: Schuster, Gastwirte, Schullehrer, während die zwar noch immer
dem Publikum Dienenden, aber doch Objektiveren, von der Einzelperson
Unabhängigeren, die höheren Zünfte bilden, wie Tuchmacher und Krämer.
In Spanien aber, wo die ritterlichen Traditionen, mit
ihrem Einsatz der Person in alles Tun, noch lebendig waren, musste jedes
noch einigermaßen von Person zu Person gehende Verhältnis als
erträglich gelten, jede Unterordnung unter mehr sachliche Anforderungen
dagegen, jede Einfügung in einen Zusammenhang unpersönlicher, weil
vielen und anonymen Personen dienender Leistungen als gänzlich
entwürdigend.
Noch in den Rechtstheorien des Althusius klingt eine
Aversion gegen die Objektivität des Gesetzes nach.
Der summus magistratus übt bei ihm zwar fremdes Recht,
aber nicht als Vertreter des Staates, sondern nur, weil er vom Volk
bestellt ist; dass statt der vom Volk persönlich erfolgenden oder
vorausgesetzten Berufung auch die Berufung durch Gesetz den Herrscher zum
Vertreter des Staates designieren könnte, ist eine ihm noch fremde Idee.
Dem Altertum dagegen war die Unterordnung unter das
Gesetz grade wegen seines Mangels an Personalcharakter besonders
angemessen erschienen.
Aristoteles pries das Gesetz als
tomeson, das
Gemäßigte, Unparteiische, von Leidenschaften Freie, und schon Plato
hatte im gleichen Sinne die Herrschaft des unpersönlichen Gesetzes als
das beste Mittel anerkannt, um der Selbstsucht entgegenzuwirken.
Weil dies aber nur eine psychologische Motivierung war,
die den Kern der Frage, die prinzipielle und nicht von utilitarischen
Konsequenzen hergeleitete Wendung vom Personalismus zum Objektivismus des
Gehorsamsverhältnisses nicht traf, findet sich bei Plato auch noch die
andere Theorie: im idealen Staat stehe die Einsicht des Herrschers über
dem Gesetze; sobald das Wohl des Ganzen es ihm zu erfordern scheine,
müsse er auch gegen seine eignen Gesetze handeln können.
Nur wo es keine wahren Staatsmänner gäbe, wären
Gesetze erfordert, die unter keinen Umständen durchbrochen werden
dürften.
Das Gesetz erscheint hier also als das geringere Übel,
aber nicht weil die Unterordnung unter eine Person, wie für jene
germanische Empfindung, ein Element von freier Würde besäße, der
gegenüber aller Gesetzesgehorsam etwas mechanisches und passivistisches
hat.
Sondern als der Mangel des Gesetzes wird seine
Starrheit empfunden, durch die es den wechselnden und nicht
vorauszusehenden Forderungen des Lebens ungefüge und ungenügend
gegenübersteht - ein Übel, dem nur die an kein Präjudiz gebundne
Einsicht eines persönlichen Herrschers entgeht, und das sich nur, wo
diese Einsicht fehlt, in einen relativen Vorteil verwandelt.
Es bleibt also hier immer der Inhalt des Gesetzes und,
sozusagen, dessen Aggregatzustand, der seinen Wert oder Unwert gegenüber
der Unterordnung unter Personen bestimmt.
Dass das Gehorsamsverhältnis in seinem inneren Prinzip
und dem ganzen Lebensgefühl des Gehorchenden nach ein anderes ist, ob es
von einem Gesetz oder einer Person ausgeht, tritt in diese Erwägungen
nicht ein.
Die ganz allgemeine oder formale Relation zwischen
Gesetzesherrschaft und Personenherrschaft ist zunächst freilich praktisch
auszudrücken: wo das Gesetz nicht kräftig oder weit genug ist, bedarf es
der Personen - und wo die Personen nicht zulänglich sind, bedarf es des
Gesetzes.
Aber, weit darüber hinaus, hängt es von
Entscheidungen letzter, indiskutabler soziologischer Wertgefühle ab, ob
man die Herrschaft von Menschen als das Provisorium für die Herrschaft
des vollendeten Gesetzes ansieht, oder umgekehrt die Herrschaft des
Gesetzes nur für einen Lückenbüßer oder ein faute de mieux gegenüber
der Herrschaft der zum Herrschen absolut qualifizierten Persönlichkeit. -
Die objektive Instanz kann noch in anderer Gestalt zum
Drehpunkt des Verhältnisses zwischen dem Über- und dem Untergeordneten
werden: indem nicht ein Gesetz oder ideelle Norm, sondern ein konkreter
Gegenstand die Herrschaftsbeziehung vermittelt.
So unter der Gültigkeit des Patrimonialprinzips, nach
dem die Untertanen als solche nur Kompetenzen des Landgebietes sind,
innerhalb der Leibeigenschaft, wo »die Luft eigen machte«, am
radikalsten bei der russischen Leibeigenschaft, denn ihre furchtbare
Härte schloss doch die persönliche Versklavung, die auch den Verkauf des
Sklaven gestattet hätte, aus und band das Untertänigkeitsverhältnis
derartig an das Landgut, dass der Leibeigene nur mit diesem zugleich
veräußert werden konnte.
Bei aller inhaltlichen und quantitativen Differenz
wiederholt sich diese Form doch manchmal an der Lage des modernen
Fabrikarbeiters, den sein eigenes Interesse vermittels gewisser
Veranstaltungen an eine Fabrik fesselt: wenn ihm etwa die Erwerbung eines
eigenen Häuschens ermöglicht worden ist, wenn er sich an
Wohlfahrtseinrichtungen mit eigenem Aufwand beteiligt hat, der für ihn
verloren ist, sobald er die Fabrik verlässt usw.
So ist er, rein durch Objekte, in einer Weise
gefesselt, die ihn dem Unternehmer gegenüber in einer ganz besonderen
Weise wehrlos macht.
Ja, schließlich war es dieselbe Herrschaftsform, die
in dem primitivsten patriarchalischen Verhältnis nicht durch ein bloß
räumliches, sondern durch ein lebendiges Objekt vermittelt wurde: die
Kinder gehörten dem Vater, nicht weil er ihr Erzeuger war, sondern weil
die Mutter ihm gehörte - wie dem Besitzer eines Baumes auch dessen
Früchte gehören; so dass auch die von anderen Vätern erzeugten Kinder
nicht weniger sein Eigentum waren.
Dieser Herrschaftstypus pflegt eine entwürdigende
Härte und Unbedingtheit des Unterworfenseins mit sich zu bringen.
Denn indem der Mensch daraufhin unterworfen ist, dass
er einem Ding zugehört, sinkt er psychologisch selbst in die Kategorie
eines bloßen Dinges.
Wo das Gesetz die Herrschaft vermittelt - so könnte
man unter den nötigen Vorbehalten sagen - da rückt der Übergeordnete in
die Schicht der Objektivität, wo ein Ding es tut, geschieht eben dies dem
Untergeordneten.
Die Situation dieses pflegt deshalb im ersteren Fall im
allgemeinen eine günstigere, im zweiten eine ungünstigere zu sein, als
in vielen Fällen rein personaler Unterordnung.
Ein soziologisches Interesse im unmittelbaren Sinne
heftet sich nun an die Unterordnung unter ein objektives Prinzip in zwei
wesentlichen Fällen.
Einmal dann,, wenn jenes ideale, übergeordnete Prinzip
sich als die psychologische Verdichtung einer realen sozialen Macht deuten
lässt, und zweitens, wenn es unter denjenigen, welche ihm gemeinsam
untergeordnet sind, spezifische und charakteristische Verbindungen
stiftet.
Das erstere ist vor allem angesichts der sittlichen
Imperative in Betracht zu ziehen.
Im sittlichen Bewusstsein fühlen wir uns einem Gebot
untergeordnet, das von keiner menschlichen, personalen Macht getragen
scheint.
Wir vernehmen die Stimme des Gewissens nur in uns, wenn
gleich mit einer Kraft, einer Entschiedenheit gegenüber allem subjektiven
Egoismus, wie sie nur einer außerhalb des Subjekts gelegenen Instanz
scheint entstammen zu können.
Diesen Widerspruch hat man bekanntlich dadurch zu
lösen versucht, dass man die Inhalte der Sittlichkeit aus sozialen
Geboten herleitete: was der Gattung und der Gruppe nützlich ist, und was
diese deshalb um ihrer Selbsterhaltung willen von ihren Mitgliedern
fordert, das werde den Individuen allmählich als Instinkt angezüchtet,
so dass es als eigene autonome Empfindung neben den eigentlich
persönlichen und deshalb oft im Gegensatz gegen diese in ihnen aufträte.
Dadurch erkläre sich der Doppelcharakter des
sittlichen Gebots: dass es uns einerseits als ein unpersönlicher Befehl
entgegentritt, dem wir uns einfach unterzuordnen haben, und dass doch
andrerseits keine äußere Macht, sondern nur unser eigenster und
innerster Impuls es uns auferlegt.
Jedenfalls liegt hier einer der Fälle vor, in denen
das Individuum innerhalb seines Bewusstseins die Beziehungen wiederholt,
die zwischen ihm als Ganzem und der Gruppe bestehen.
Es ist eine alte Beobachtung, dass die Vorstellungen
der Einzelseele in ihren ganzen Verhältnissen der Assoziation und der
Scheidung, der Differenzierung und der Vereinheitlichung sich so
verhalten, wie sich Individuen zu einander verhalten.
Hiervon bildet es eine eigentümliche Spezialisierung,
dass jene innerpsychologischen Relationen nun nicht nur die zwischen
Individuen überhaupt, sondern zwischen dem Individuum und dem umgebenden
Kreis repetieren.
Was die Gesellschaft von ihrem Mitglied fordert:
Einordnung und Treue, Altruismus und Arbeit, Selbstbeherrschung und
Wahrhaftigkeit - alles dies fordert der einzelne von sich selbst.
Es gehen dabei mehrere sehr bedeutsame Motive
durcheinander.
Die Gesellschaft tritt dem einzelnen mit Vorschriften
gegenüber, an deren Zwang er sich gewöhnt, bis er der gröberen und
feineren Mittel, die diesen Zwang trugen, nicht mehr bedarf.
Entweder wird seine Natur dadurch so gebildet oder
umgebildet, dass er wie triebhaft in diesem Sinne handelt, mit einheitlich
unmittelbarem Wollen, das kein Bewusstsein eines Gesetzes einschließt: so
fehlte den vorislamitischen Arabern jeder Begriff eines objektiv
rechtlichen Zwanges, die letzte Instanz war überall die rein persönliche
Entscheidung; allein diese war durchaus von dem Stammesbewusstsein und den
Erfordernissen des Stammeslebens durchtränkt und normiert.
Oder das Gesetz lebt, als befehlendes, durch den
Autoritätswert der Gesellschaft getragenes, im individuellen Bewusstsein,
aber unabhängig davon, ob die Gesellschaft wirklich noch mit ihrer
Zwangsmacht oder selbst nur mit ihrem ausgesprochenen Willen
dahintersteht.
Das Individuum vertritt so sich selbst gegenüber der
Gesellschaft, das äußere Sich-Gegenüberstehen, mit seinen
Unterdrückungen, Befreiungen, wechselnden Akzentuierungen, ist zum
Wechselspiel zwischen seinen sozialen Impulsen und denen seines Ich im
engeren Sinne geworden, wobei beides vom Ich im weiteren Sinne umfasst
ist.
Allein dies ist noch nicht die oben angedeutete,
wirklich objektive Gesetzlichkeit, in deren Bewusstsein sich kein
historisch-sozialer Ursprung mehr verrät.
Auf einer gewissen höheren Stufe der Sittlichkeit
liegt das Motiv des Handelns nicht mehr in einer real-menschlichen, wenn
auch überindividuellen Macht; sondern der Quell der sittlichen
Notwendigkeit fließt hier jenseits des Gegensatzes von Individuum und
Gesamtheit.
Denn ebenso wenig wie aus der letzteren stammen sie aus
der singulären Wirklichkeit des individuellen Lebens.
Nur ihren Träger, nur den Ort ihrer Wirksamkeit haben
sie an dem freien Gewissen des Handelnden, an der individuellen Vernunft.
Ihre verpflichtende Kraft stammt aus ihnen selbst, aus
ihrer inneren, überpersönlichen Geltung, aus einer objektiven
Idealität, die wir anerkennen müssen, ob wir wollen oder nicht, wie eine
Wahrheit, deren Gültigkeit von ihrem Realwerden in einem Bewusstsein
völlig unabhängig ist.
Der Inhalt aber, der diese Formen erfüllt, ist - nicht
notwendig, aber häufig - das gesellschaftliche Erfordernis, das jetzt
sozusagen nicht mehr mit seinem sozialen Impetus wirkt, sondern wie in der
Metempsychose in eine Norm, die um ihrer selbst willen, nicht meinethalben
und nicht deinethalben, erfüllt werden soll.
Es handelt sich hier um Unterschiede, die psychologisch
nicht nur von der größten Zartheit sind, sondern deren Grenzen auch in
der Praxis fortwährend verschwimmen.
Aber dieses Durcheinander der Motivierungen, in denen
die seelische Wirklichkeit sich bewegt, macht ihre prinzipielle Sonderung
um so dringlicher.
Ob die Gesellschaft und das Individuum sich wie Macht
und Macht gegenüberstehen und die Unterordnung des letzteren durch eine
wie aus ununterbrochener Quelle fließende, sich stetig erneuernde Energie
der ersteren bewirkt wird; oder ob diese Energie sich in einen
psychologischen Impuls in der Seele des Individuums transformiert und
dieses, sich als Sozialwesen fühlend, seine gegen sein »egoistisches«
Teil selbst gerichteten Impulse bekämpft und unterdrückt; ob das Sollen,
das der Mensch über sich vorfindet, als eine ebenso objektive
Tatsächlichkeit wie das Sein, sich mit dem Inhalte gesellschaftlicher
Lebensbedingungen füllt - das sind Typen, die die Unterordnungsarten des
einzelnen über seine Gruppe erst erschöpfen.
Die drei Potenzen, die das geschichtliche Leben
erfüllen: die Gesellschaft, die Individuen, die Objektivität- werden
hier der Reihe nach zu normgebenden, aber so, dass jede von ihnen den
sozialen Inhalt, das Überordnungsquantum der Gesellschaft über den
einzelnen, in sich aufnimmt, jede von ihnen die Macht, den Willen, die
Notwendigkeiten der Gesellschaft in besonderer Weise formt und vorträgt.
Die Objektivität ist in dem Verhältnis dieser drei
nicht nur als das schlechthin gültige, über den beiden anderen in einem
idealen Reiche thronende Gesetz, sondern gleichsam noch nach einer anderen
Dimension hin bestimmbar.
Die Gesellschaft ist oft das Dritte, das die Konflikte
zwischen dem Individuum und der Objektivität löst oder zwischen ihren
Zusammenhangslosigkeiten Brücken schlägt.
Auf dem Gebiet des genetischen Erkennens hat der
Gesellschaftsbegriff uns von der Alternative früherer Zeiten befreit:
dass ein Kulturwert entweder aus einem Individuum entsprungen oder von
einer objektiven Macht verliehen sein müsste.
Die Sprache z.B. erschien als die Erfindung genialer
Individuen oder als Geschenk der göttlichen, jenseits aller Subjekte
stehenden Macht; erst indem sie sich als in der Wechselwirkung zwischen
Menschen entstanden, als eine Wechselwirkung zeigte, ist das
Unzulängliche jener Wahl überwunden.
Im Praktischen ist es die gesellschaftliche Arbeit,
durch die der einzelne seine Ansprüche an die objektive Ordnung
befriedigen kann.
Dass die Kooperation der Vielen, die Bemühung der
Gesellschaft als einer Einheit, im Nebeneinander und im Nacheinander, der
Natur nicht nur ein höheres Quantum, sondern Qualitäten und Typen von
Bedürfnisbefriedigungen entlockt, die der Einzelarbeit versagt bleiben
müssen - das ist ein Symbol der tieferen, prinzipiellen Tatsache, dass
die Gesellschaft zwischen dem Einzelmenschen und der allgemeinen
Naturgesetzlichkeit steht: sie berührt sich als Seelisch-Konkretes mit
dem ersteren, als Allgemeines mit der letzteren.
Sie ist das Allgemeine, das doch nicht abstrakt ist.
Freilich ist jede historische Gruppe ein Individuum,
wie ein historischer Mensch; allein das ist sie im Verhältnis zu anderen
Gruppen, im Verhältnis zu ihren Mitgliedern ist sie überindividuell.
Aber nicht so wie der Begriff über seinen
Einzelverwirklichungen, der das ihnen Gemeinsame zusammenschließt,
sondern in einer besonderen Art des Allgemeinen, wie der organische
Körper das Allgemeine über seinen Gliedern oder etwa eine
»Zimmereinrichtung« das Allgemeine über Tisch und Stuhl, Schrank und
Spiegel.
Und diese besondere Allgemeinheit deckt sich mit der
besonderen Objektivität, die die Gesellschaft für ihre Mitglieder als
Subjekte besitzt.
Das Individuum steht ihr nicht gegenüber wie der
Natur, deren Objektivität die Gleichgültigkeit dagegen bedeutet, ob ein
Subjekt an ihr geistigen Teil hat oder nicht, sie richtig oder falsch oder
gar nicht vorstellt; ihr Sein ist und ihre Gesetze gelten, unabhängig von
der Bedeutung, die beides für ein Subjekt haben mag.
Die Gesellschaft aber greift freilich auch über den
einzelnen hinweg, lebt ein eigenes gesetzliches Leben, steht ihm mit
historischer und imperativischer Festigkeit gegenüber; allein dieses
Gegenüber ist zugleich ein Darin, die harte Indifferenz gegen ihn ist
zugleich ein Interesse, die soziale Objektivität bedarf, wenn nicht
dieser bestimmten, so doch der individuellen Subjektivität überhaupt.
Durch diese Bestimmungen wird die Gesellschaft zu einem
mittleren Gebilde zwischen dem Subjekte und jeder absolut unpersönlichen
Allgemeinheit und Objektivität.
Nach dieser Richtung hin liegt etwa die folgende
Beobachtung.
Solange die Wirtschaft es noch nicht zu eigentlich
objektiven Preisen gebracht hat, solange noch nicht die Kenntnis und
Regulierung von Nachfrage, Angebot, Produktionskosten, Risikoprämien,
Gewinn usw. zu der Vorstellung geführt hat, diese Ware sei eben so und so
viel wert und müsse diesen und diesen festen Preis haben - solange sind
die unmittelbaren Eingriffe der Gesellschaft, ihrer Organe und Gesetze in
die Handelsgeschäfte, in bezug auf Preis und Solidarität des Handels,
viel stärker und rigoroser.
Preistaxen, Überwachung von Quantität und Qualität
der Produktion, ja, in weiterem Sinne sogar Luxusgesetze und
Konsumverpflichtungen, sind vielfach in dem Stadium der Wirtschaft
eingetreten, wo die subjektive Freiheit des Handelsgeschäftes zu einer
haltgewährenden Objektivität aufstrebte, ohne doch schon eine reine,
abstrakte Sachlichkeit der Preisbestimmungen erreichen zu können; hier
tritt die konkrete Allgemeinheit, die lebendige Objektivität der
Gesellschaft ein, oft ungeschickt, hemmend, schematisch, aber immerhin
eine transsubjektive Macht, die dem einzelnen eine Norm gibt, bevor er
diese aus der Struktur der Sache selbst und ihrer erkannten Gesetzlichkeit
erhält.
In noch viel breiterem Maße findet auf dem
intellektuellen Gebiet eben die selbe formale Entwicklung statt: über die
Unterordnung unter die Gesellschaft zur Unterordnung unter die
Objektivität.
Die ganze Geistesgeschichte zeigt, wie der Intellekt
des einzelnen, bevor er sich dem Objekt unmittelbar gegenüberstellt, um
von dessen Sachlichkeit den Inhalt seiner Wahrheitsbegriffe zu empfangen,
diese ausschließlich mit traditionellen, autoritären, »von allen
angenommenen« Vorstellungsweisen erfüllt.
Halt und Norm des Geistes, der wissen will, ist
zunächst nicht das Objekt, dessen unmittelbarer Beobachtung und Deutung
er überhaupt nicht gewachsen ist, sondern die allgemeine Meinung über
das Objekt; diese vermittelt ihm seine theoretischen Vorstellungen, vom
blödesten Aberglauben bis zu den feinsten, die Unselbständigkeit des
Aufnehmenden und die Unsachlichkeit des Inhaltes fast ganz verschleiernden
Vorurteilen.
Es ist, als ob der Mensch es nicht so leicht ertrüge,
dem Objekt Auge in Auge gegenüberzustehen, weder der Härte seiner
Gesetzlichkeit noch der Freiheit gewachsen wäre, die es der Person, im
Unterschied gegen allen von Menschen kommenden Zwang, gibt.
Die Beugung unter die Autorität der Vielen oder ihrer
Vertreter, unter die tradierte Meinung, unter die sozial akzeptierte
Ansicht ist ein Mittleres: sie ist immerhin modifizierbarer als das Gesetz
der Sache, die Vermittlung des Seelischen ist in ihr spürbar, sie
überliefert sozusagen schon ein seelisches Verdauungsprodukt - und
andererseits gewährt sie eine Anlehnung, ein Abnehmen der
Verantwortlichkeit, das die Entschädigung für den Mangel jener
Selbständigkeit in dem reinen, auf sich gestellten Verhältnis zwischen
dem Ich und der Sache ist.
Nicht weniger als der Begriff der Wahrheit findet der
der Gerechtigkeit im objektiven Sinn sein vermittelndes, das Individuum zu
diesem aufwärts führendes Stadium in den Verhaltungsweisen der
Gesellschaft.
Im Sinne des Strafrechts wie in den sonstigen
Regulierungen des Lebens ist die Korrelation von Schuld und Sühne,
Verdienst und Lohn, Leistung und Gegenleistung offenbar zuerst Sache
sozialer Zweckmäßigkeit oder sozialer Impulsivitäten.
Vielleicht ist die Äquivalenz von Aktion und Reaktion,
in der die Gerechtigkeit besteht, niemals eine aus diesen Elementen
unmittelbar sich ergebende, analytische - sondern bedarf immer eines
Dritten: eines Ideals, eines Zweckes, eines maßgebenden Zustandes, damit
an ihm erst jene ihr Sich-Entsprechen synthetisch herstellten oder
erwiesen.
Dieses Dritte sind ursprünglich die Interessen und
Formen des Gesamtlebens, das die Individuen, die Subjekte des
Gerechtigkeitsprozesses, umgibt.
Dieses Gesamtleben schafft die Maßstäbe und führt
sie durch, an denen die an jenen Elementen in ihrer Isolierung nicht
auffindbare Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit ihres Verhältnisses
hervortritt.
Darüber und dadurch vermittelt erst erhebt sich, als
die sachlich und historisch spätere Stufe, die innere, in der
Gegenhaltung jener Elemente selbst auftauchende Notwendigkeit ihres
»gerechten« Sich-Entsprechens.
Die höhere Norm, die vielleicht auch in diesem Fall
noch Gewicht und Gegengewicht ihren Maßverhältnissen nach bestimmt, ist
jetzt in die Elemente völlig hineingegangen, ist eine aus ihnen selbst
herauswirkende Wertpotenz geworden.
Die Gerechtigkeit erscheint jetzt als ein objektives,
aus der inneren Bedeutung der Sünde und des Schmerzes, der Guttat und des
Glückes, der Darbietung und der Erwiderung selbst heraus notwendiges
Verhältnis; um seiner selbst willen soll es realisiert werden: fiat
justitia, pereat mundus - während auf dem früheren Standpunkt grade die
Erhaltung des mundus den Rechtsgrund der Gerechtigkeit ausmachte.
Gleichviel welches der ideelle, hier nicht diskutierte
Sinn der Gerechtigkeit ist - historisch und psychologisch ist das
objektive Gesetz, in dem sie sich rein um ihrer selbst willen verkörpert,
und das um seiner selbst willen Erfüllung fordert, eine spätere
Entwicklungsstufe, der vorbereitend und vermittelnd die
Gerechtigkeitsforderung der nur sozialen Objektivität vorangeht.
Endlich findet dieselbe Entwicklung innerhalb des
Moralischen im engeren Sinne statt.
Der zunächst gegebene Inhalt der Sittlichkeit ist
altruistisch-sozialer Natur; nicht so, als hätte sie an und für sich ein
davon unabhängiges Wesen, das diesen Inhalt nur aufnähme; sondern die
Hingabe des Ich an ein Du (in der Einzahl oder Mehrzahl) erscheint als der
Begriff des Sittlichen selbst, als seine Definition.
Dem gegenüber stellen die philosophischen
Sittenlehren, die sich mit einem schlechthin objektiven Sollen von der
Frage nach dem Ich und dem Du lösen, die viel spätere Stufe dar.
Wenn es für Plato darauf ankommt, dass die Idee des
Guten realisiert werde, für Kant, dass das Prinzip der individuellen
Handlung sich zum allgemeinen Gesetz eigne, für Nietzsche, dass der Typus
Mensch seine momentane Entwicklungsstufe überschreite - so mögen diese
Normen gelegentlich auch das Füreinander der Subjekte decken; innerhalb
der prinzipiellen Schicht kommt es jetzt aber nicht auf dieses, sondern
auf die Realisierung eines objektiven Gesetzes an, das nicht nur die
Subjektivität des Handelnden hinter sich lässt, sondern auch die
Subjektivität der Wesen, auf die sich das Handeln eventuell bezieht.
Denn von hier aus gesehen ist auch die Beziehung auf
den gesellschaftlichen Komplex der Subjekte nur die zufällige Erfüllung
einer viel allgemeineren Norm und Verpflichtungsgrundes, die dem sozial
und altruistisch gerichteten Handeln die Legitimation gewähren, aber auch
verweigern können.
Der ethische Gehorsam für die Forderungen des Du und
der Gesellschaft ist, in der Entwicklung des einzelnen wie der Gattung,
die erste Lösung aus dem vorsittlichen Zustand, aus dem naiven Egoismus;
auf dieser Stufe bleiben Unzählige stehen: prinzipiell aber ist sie
Vorbereitung und Übergang für die Unterordnung unter ein objektiv
ethisches Gesetz, das ebenso jenseits des Du wie des Ich steht und erst
von sich aus die Interessen des einen oder des anderen als sittliche
Inhalte zulässt. -
Was nun die zweite soziologische Frage gegenüber der
Unterordnung unter ein unpersönlich-ideales Prinzip betrifft: wie dies
auf das gegenseitige Verhältnis der gemeinsam Untergeordneten wirkt, so
ist auch hier vor allem festzuhalten, dass jener idealen Unterordnung
vielfach eine reale vorausging.
Häufig sehen wir eine Persönlichkeit oder Klasse ihre
Über-Ordnung im Namen eines idealen Prinzips ausüben, dem auch sie
ihrerseits untergeordnet wären.
So scheint denn logisch dieses letztere voranzugehen
und die reale Herrschaftsorganisation unter den Menschen sich in
Konsequenz dieser idealen Abhängigkeit zu entwickeln.
Historisch indes ist der Weg in der Regel der
umgekehrte: aus sehr realen persönlichen Machtverhältnissen heraus
entstehen Über- und Unterordnungen, über welche allmählich, durch
Vergeistigung der übergeordneten Macht oder durch Vergrößerung und
Entpersonalisierung des ganzen Verhältnisses, eine ideale, objektive
Macht hinauswächst, als deren nächster Vertreter dann der Übergeordnete
nur noch seine Macht übt.
Die Entwicklung der Stellung des pater familias bei den
Ariern zeigt dies deutlich.
Ursprünglich - so wird dieser Typus dargestellt - war
die Macht desselben eine unumschränkte und durchaus subjektive, d.h. er
ließ sein momentanes Belieben, seinen persönlichen Vorteil über alle
Anordnungen entscheiden.
Allein die Willkürmacht trat allmählich unter ein
Gefühl von Verantwortlichkeit, die Einheit der Familiengruppe,
verkörpert in dem spiritus familiaris, wurde zu der idealen Macht, der
gegenüber sich auch der Herr des Ganzen als ein bloß Ausführender, ein
Gehorchender empfand.
In diesem Sinne geschieht es, dass Sitte und
Gewohnheit, statt subjektiven Beliebens, seine Handlungen, seine
Entscheidungen und Richtersprüche bestimmen, dass er sich nicht mehr als
unbedingter Herr des Familieneigentums benimmt, sondern mehr als Verwalter
desselben im Interesse des Ganzen, dass seine Stellung mehr den Charakter
eines Amtes als den eines unumschränkten Rechtes trägt.
So wird das Verhältnis zwischen Über- und
Untergeordneten auf eine ganz neue Basis gestellt: während im ersten
Stadium die letzteren sozusagen nur eine persönliche Kompetenz der
ersteren bildeten, ist jetzt die objektive Idee der Familie geschaffen,
die über allen einzelnen steht, und der der führende Patriarch ebenso
untergeordnet ist, wie jedes andere Mitglied, dem jener nun bloß noch im
Namen der idealen Einheit zu befehlen hat.
Hier kommt der äußerst wichtige Formtypus auf: dass
der Befehlende sich selbst dem Gesetze unterordnet, das er gegeben hat.
Sein Wille erhält in dem Augenblick, in dem er Gesetz
wird, objektiven Charakter und löst sich damit von seinem
subjektiv-personalen Ursprung.
Sobald der Herr das Gesetz als Gesetz gibt,
dokumentiert er sich insoweit als das Organ einer ideellen Notwendigkeit,
er offenbart damit nur eine Norm, die aus ihrem inneren Sinn und dem der
Situation heraus schlechthin gilt, ob er sie nun wirklich gibt oder nicht.
Ja, wenn, statt dieser dunkler oder deutlicher
vorgestellten Legitimation, der Wille des Herrschers wirklich aus sich
allein heraus zum Gesetz wird, so kann er es gar nicht vermeiden, damit
aus der Sphäre der Subjektivität herauszutreten; er trägt dann jene
überpersönliche Legitimation sozusagen a priori in sich.
Dadurch bringt es die innere Form des Gesetzes mit
sich, dass der Gesetzgeber, indem er es gibt, sich als Person ihm ebenso
unterordnet wie alle anderen Personen.
So ist in den Privilegien mittelalterlicher
flandrischer Städte ausdrücklich ausgesprochen, die Schöffen sollten
jedermann gerechtes Gericht gewähren, auch gegen den Grafen selbst, der
das Privileg erteilt, und ein so souveräner Herrscher wie der große
Kurfürst führt, ohne die ständische Bewilligung nachzusuchen, eine
Kopfsteuer ein - dann aber lässt er nicht nur seinen Hof sie bezahlen,
sondern entrichtet sie selbst!
Für das Aufwachsen einer objektiven Übermacht, der
der ursprünglich und auch weiterhin Befehlende sich gemeinsam mit den ihm
Untergeordneten unterzuordnen hat, bietet die neuste Zeit ein jenem
familiengeschichtlichen formal verwandtes Beispiel, wo ihre
Produktionsweise die objektiven und technischen Elemente über die
personalen dominieren lässt.
Vielerlei Über- und Unterordnungen, die früher
persönlichen Charakter trugen, so dass also in dem fraglichen Verhältnis
der eine schlechthin der Über-, der andere der Untergeordnete war, haben
sich jetzt so geändert, dass beide gleichmäßig einem objektiven Zweck
untertan sind, und erst innerhalb dieses gemeinsamen Verhältnisses zu dem
höheren Prinzip die Unterordnung des einen unter den anderen als
technische Notwendigkeit fortbesteht.
Solange das Lohnarbeitsverhältnis als ein Mietsvertrag
angesehen wird - der arbeitende Mensch wird gemietet - solange enthält es
wesentlich ein Moment der Unterordnung des Arbeiters unter den
Unternehmer.
Dies Moment wird aber ausgeschaltet, sobald man den
Arbeitsvertrag nicht als Miete der Person, sondern als Kauf der Ware
Arbeit ansieht.
Dann ist die Unterordnung, die er vom Arbeiter verlangt
- so hat man dies ausgedrückt - nur die »unter den kooperativen Prozess,
die für den Unternehmer, sobald er nur irgend eine Tätigkeit vollzieht,
ebenso notwendig ist, wie für den Arbeiter«.
Dieser ist nun nicht mehr als Person untertänig,
sondern nur als Diener eines objektiven wirtschaftlichen Verfahrens,
innerhalb dessen das Element, das ihm als Unternehmer oder Leiter
übergeordnet ist, gar nicht mehr als personales, sondern nur als sachlich
erforderliches wirkt.
Das gewachsene Selbstgefühl des modernen Arbeiters
muss zum Teil mit diesem Grunde zusammenhängen, der seinen rein
soziologischen Charakter auch darin zeigt, dass er auf das materielle Wohl
des Arbeiters häufig ganz ohne Einfluss bleibt.
Indem dieser nur noch eine quantitativ umschriebene
Leistung verkauft - mag sie kleiner oder größer sein als die in der
Personalform von ihm erforderte - befreit er sich als Mensch aus dem
Unterordnungsverhältnis, dem er jetzt nur noch als Faktor des
Produktionsprozesses, insofern also dem Leiter der Produktion koordiniert,
angehört.
Diese technische Sachlichkeit hat ihr Symbol in der
rechtlichen des Kontraktverhältnisses: ist der Kontrakt einmal
geschlossen, so steht er als objektive Norm über beiden Parteien.
Im Mittelalter bezeichnet dies den Wendepunkt des
Gesellenverhältnisses, das ursprünglich volle persönliche
Untertänigkeit dem Meister gegenüber bedeutet: der Geselle hieß
allgemein Knecht.
Der Zusammenschluss der Gesellen zu einem besonderen
Stande zentriert um den Versuch, dies personale Dienstverhältnis in ein
Kontraktverhältnis umzugestalten.
Höchst bezeichnend tritt, sobald die Organisation der
Knechte gelungen ist, für sie der Name Geselle auf.
Die Kontraktform, welches auch ihr materieller Inhalt
sei, hat die relative Nebenordnung statt der absoluten Unterordnung zum
Korrelat.
Sie verstärkt ihre Objektivität noch weiter, wenn der
Kontrakt, statt zwischen Einzelpersonen ausgemacht zu sein, in
Kollektivbestimmungen zwischen einer Gruppe von Arbeitern auf der einen
Seite und einer Gruppe von Arbeitgebern auf der anderen besteht, wie es
besonders durch die englischen Gewerkvereine ausgebildet ist.
Die Gewerkvereine und die Unternehmerverbände in
gewissen weit vorgeschrittenen Industrien schließen Verträge über
Lohnsatz, Arbeitszeit, Überstunden, Feiertage usw., denen sich kein
zwischen Individuen dieser Kategorien geschlossener Vertrag entziehen
darf.
Hierdurch wird ersichtlich die Unpersönlichkeit des
Arbeitsverhältnisses außerordentlich gesteigert, seine Objektivität
findet an der überindividuellen Kollektivität ihren angemessenen Träger
und Ausdruck.
Endlich wird dieser Charakter noch besonders
garantiert, wenn die Arbeitsverträge auf möglichst kurze Zeit
geschlossen werden.
Die englischen Gewerkvereine haben darauf immer
gedrungen, trotz der daraus hervorgehenden größeren Unsicherheit der
Beschäftigung.
Durch das Recht, seine Arbeitsstätte zu verlassen, so
hat man dies expliziert, unterscheide sich der Arbeiter vom Sklaven; wenn
er aber dies Recht für lange Zeit aufgibt, so ist er für deren ganze
Ausdehnung allen Bedingungen unterworfen, die ihm der Unternehmer mit
Ausnahme der ausdrücklich stipulierten auferlegt, und hat den Schutz
eingebüßt, den ihm jenes Recht der Aufhebung des Verhältnisses
gewährt.
Statt der Breite der Bindung, mit der früher die
Gesamtpersönlichkeit gefesselt war, tritt bei sehr langer Kontraktdauer
die Länge der Bindung ein.
Was bei kurzen Kontrakten die Objektivität
entschiedener wahrt, ist nichts Positives, sondern nur dies: zu
verhindern, dass das objektiv festgelegte Leistungsverhältnis in ein
durch subjektive Willkür bestimmtes übergehe, wogegen es bei langen
Kontrakten keinen hinreichenden Schutz gibt.
- Dass innerhalb des Dienstbotenverhältnisses, wie es
wenigstens in Mitteleuropa zur Zeit im wesentlichen besteht, sozusagen
noch der ganze Mensch in die Unterordnung eintritt und diese noch nicht zu
der Objektivität einer sachlich fest umschriebenen Leistung entwickelt
ist - darauf beruhen die hauptsächlichen Unzuträglichkeiten dieser
Einrichtung.
Tatsächlich nähert sie sich jener vollkommneren Form,
wo sie durch die Dienstleistungen von Personen abgelöst wird, die nur
bestimmte sachliche Funktionen innerhalb des Hauses zu leisten haben und
insofern der »Hausfrau« koordiniert sind, während das frühere bzw.
jetzige Verhältnis sie als ganze Persönlichkeiten
engagiert und sie, wie der Begriff des »Mädchens für alles« am
deutlichsten zeigt, zu »ungemessenen Diensten« verpflichtet; eben durch
diesen Mangel sachlicher Bestimmtheit werden sie der Hausfrau als Person
untertänig.
Bei entschiedener patriarchalischen Zuständen galt,
den jetzigen gegenüber, das »Haus« als ein objektiver Selbstzweck und
-wert, zu dem die Hausfrau und die Dienstboten zusammenwirkten.
Dies ergibt, selbst bei völliger persönlicher
Unterordnung, eine gewisse Koordination, getragen durch das Interesse, das
gerade der fester und dauernd an das Haus gebundene Dienstbote für dieses
zu empfinden pflegt.
Das »Du« dem Dienstboten gegenüber drückte
einerseits seine Subordination als Person aus, näherte ihn aber doch den
Kindern des Hauses und fügte ihn so enger in dessen Organisation ein.
So gilt dies Gehorsamsverhältnis eigentümlicher Weise
gerade an den Gegenpolen seiner Entwicklung in irgend einem Maße einer
objektiven Idee: bei der vollen patriarchalischen Subordination, wo das
Haus sozusagen noch einen absoluten Wert hat, dem die Arbeit der Hausfrau
ebenso, wenn auch an höherer Stelle, dient, wie die des Dienstboten; und
dann bei vollkommener Differenzierung, wo Leistung und Gegenleistung
objektiv vorbestimmt sind und das persönliche Attachement, das das
Korrelat des grenzunbestimmten Unterordnungsquantums ist, nicht in Frage
kommt.
Die heutige Stellung des Dienstboten als Hausgenossen,
insbesondere in den Großstädten, hat die eine Objektivität verloren,
ohne die andere schon gewonnen zu haben, die Gesamtpersönlichkeit ist
nicht mehr für die objektive Idee des »Hauses« innerlich engagiert,
ohne sich doch, nach der ganzen Art der verlangten Leistung, aus dieser
wirklich zurückziehen zu können.
- Zuletzt mag diesen Formtypus das Verhältnis zwischen
Offizieren und gemeinen Soldaten exemplifizieren.
Hier ist die Spannung zwischen der Subordination
innerhalb des Gruppenorganismus und der Koordination, die sich durch den
gemeinsamen Dienst unter der Idee der Vaterlandsverteidigung ergibt, die
denkbar weiteste; und begreiflicher Weise offenbart sich diese Weite am
bemerklichsten im Felde, wo einerseits die Disziplin die unbarmherzigste
ist, andererseits aber das kameradschaftliche Verhältnis zwischen
Offizieren und Gemeinen teils durch einzelne Situationen, teils durch die
Gesamtstimmung gefördert wird.
Im Frieden, wo das Militär in die Position des nicht
zu seinem Zweck gelangenden Mittels gebannt bleibt, wächst unvermeidlich
seine technische Struktur zum psychologischen Endzweck aus, so dass die
Über- und Unterordnung, auf der diese Technik der Organisation beruht, im
Vordergrund des Bewusstseins steht und jene eigentümliche soziologische
Kreuzung mit der Koordination durch gemeinsame Unterordnung unter eine
objektive Idee erst erfährt, wenn die Situation diese Idee als den
eigentlichen Zweck des Militärs ins Bewusstsein ruft.
Solche Doppelrollen des Individuums: dass es innerhalb
der Organisation seines speziellen Lebensinhaltes eine über- oder
untergeordnete Stellung einnimmt; dass diese Organisation als ganze aber
unter einer beherrschenden Idee steht, die jedem ihrer Mitglieder eine
gleiche oder nahezu gleiche Position gegenüber allen außerhalb Stehenden
verschafft - diese Doppelrollen lassen die rein formale, soziologische
Lage zum Träger eigentümlich gemischter Lebensgefühle werden.
Der Angestellte eines großen Geschäfts mag in diesem
eine leitende Stellung haben, die er die Untergebenen überlegen und
herrisch fühlen lässt; sobald er aber dem Publikum gegenübersteht und
deshalb unter der Idee des Geschäfts als ganzen handelt, wird er sich
dienstbeflissen und devot benehmen.
Umgekehrt verwachsen diese Elemente in dem häufigen
Hochmut der Subalternen, der Diener in vornehmen Häusern, der
Zugehörigen eximierter geistiger oder gesellschaftlicher Kreise, die in
diesen grade nur noch an der Peripherie stehen, umso energischer aber
allen Draussenstehenden gegenüber die Würde des ganzen Kreises und
seiner Idee repräsentieren - denn die feste innerlich-äußerliche
Position, die ihnen ihre positive Beziehung zu dem Kreise nur mangelhaft
gewährt, suchen sie auf dem negativen Wege des Unterschiedes gegen andere
zu gewinnen.
Die größte formale Vielfältigkeit dieses Typus
bietet vielleicht die katholische Hierarchie.
Indem ein blinder, widerspruchsloser Gehorsam jedes
Glied bindet, steht doch auch das niedrigste jedem Laien gegenüber in der
absoluten Höhe, in die sich die Idee des Ewigen über alles Zeitliche
hebt - und zugleich bekennt sich ihr höchstes Glied als »der Knecht der
Knechte«; der Bettelmönch, der innerhalb seines Ordens unumschränkter
Machthaber sein mag, kleidet sich jedem Bettler gegenüber in die tiefste
Demut und Unterwürfigkeit; aber der niedrigste Ordensbruder ist dem
irdischen Fürsten mit aller Unbedingtheit kirchlicher Autorität
überlegen.
Wie hier die verschiedenartigen Strukturen nach ihrem
Oben und Unten durcheinander wachsen, erläutert aufs klarste die
Bedeutung dieser formalen, nur die Art der Gegenseitigkeit angehenden
Betrachtung.
Wie die Menschen sich zueinander verhalten, ist weder
aus dem militärischen noch aus dem wirtschaftlichen, weder aus dem
erotischen noch aus dem religiösen Interesseninhalt unmittelbar zu
entwickeln.
Was die Tatsache der Vergesellschaftung, d. h. dass der
Mensch mit anderen in Wechselwirkung steht, für ihn besagen will, ist nur
durch solche Herauslösung der Rangstufen - wenn auch natürlich nicht
allein durch sie, sondern durch sie und all die unzähligen methodisch
gleichstehenden Formverhältnisse - begreiflich, die ihn in den
angedeuteten Fällen scheinbar in miteinander unvereinbaren Höhenlagen
fixieren; aber dieses allein trägt sein Gefühl und unsere Erkenntnis
davon, was er als Gesellschaftswesen und rein als solches ist, und wofür
alle jene Inhalte in soziologischer Hinsicht nur als Träger und
Veranlassungen dienen.
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