Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
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Georg Simmel: Soziologie der Über- und Unterordnung

ex: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, hrsg. von Edgar Jaffé, Werner Sombart und Max Weber, 24. Jg. (N. F. 6), 3. Heft (Mai - Juni), ausgegeben am 21. Mai 1907, S. 477-546 (Tübingen)

Als die Aufgabe der Soziologie verstehe ich die Beschreibung und historisch-psychologische Herleitung derjenigen Formen, in denen sich die Wechselwirkungen zwischen Menschen vollziehen.

Diese Wechselwirkungen, die aus den verschiedensten Impulsen, an den verschiedensten Objekten, um der verschiedensten Zwecke willen entspringen, machen in ihrer Gesamtheit »die Gesellschaft« sensu strictissimo und als eine Gestaltung menschlichen Daseins aus - im Unterschied gegen die andre Bedeutung des Begriffs, demgemäss die Gesellschaft in der Summe der in Wechselwirkung befindlichen Individuen, samt allen Inhalten und Interessen, die die Beziehungen zwischen diesen knüpfen, besteht.

Jene einzelnen Inhalte, an denen sich die Formen der Wechselwirkung darstellen, sind die Gegenstände besonderer Wissenschaften: zu sozialen Tatsachen werden sie eben dadurch, dass sie sich in dieser bestimmten Form: in der Wechselwirkung von Menschen, verwirklichen.

Den Gegenstand der Soziologie bilden also die Arten der verknüpfenden Wechselwirkung, in Abstraktion von ihren materiellen Inhalten.

So bezeichnen wir als »Kugel« einerseits einen materiellen Gegenstand, der in Kugelform gestaltet ist; andrerseits diese bloße Form selbst, die die materielle Substanz eben zur »Kugel« im ersteren Sinne macht und, in selbständiger, abstrakter Betrachtung, einen Gegenstand der geometrischen Untersuchung bildet.

Entsprechend ist es der Sinn der Soziologie, die Formen und Arten der Beziehungen zwischen Menschen festzustellen, welche aus ganz verschiednem Inhalt, Material und Interessen - ökonomischen und kirchlichen, geselligen und pädagogischen, familiären und politischen - doch formal analoge Sozialgebilde gestalten.

Die Geometrie hat nun den Vorteil, auf ihrem Gebiet äußerst einfache Gebilde vorzufinden, in welche die komplizierteren Figuren aufgelöst werden können; deshalb ist aus verhältnismäßig wenigen Grundbestimmungen der ganze Umkreis möglicher Gestaltungen zu konstruieren.

Gegenüber den Formen der Vergesellschaftung ist eine auch nur annähernde Auflösung in einfache Elemente für absehbare Zeit nicht zu erhoffen.

Die Folge davon ist, dass die soziologischen Formen, wenn sie einigermaßen bestimmte sein sollen, nur für einen relativ geringen Umkreis von Erscheinungen gelten.

Wenn man also auch z.B. sagt, dass Über- und Unterordnung eine Formung ist, die sich fast in jeder menschlichen Vergesellschaftung findet, so ist mit dieser allgemeinen Erkenntnis wenig gewonnen.

Es bedarf vielmehr des Eingehens auf die einzelnen Arten der Über- und Unterordnung, auf die speziellen Formen ihrer Verwirklichung, die nun in dem Maße ihrer Bestimmtheit natürlich an Umfang ihrer Gültigkeit verlieren.

Ich will im folgenden einige der typischen Arten von Über- und Unterordnung - an historischen Erscheinungen und in psychologischer Analyse - darstellen, und zwar in Hinsicht auf ihre formale Bedeutung für die Vergesellschaftung.

Denn Über- und Unterordnung stellt sich keineswegs erst da ein, wo schon »Gesellschaft« ist, sondern es ist eine der Arten, auf die »Gesellschaft« zustande kommt.

Aber auch nicht etwa so, dass sie deren Ursache wäre; sondern ganz unmittelbar ist sie, zusammen mit allen andern Vergemeinsamungsformen dasjenige, was wir mit dem kollektiven oder abstrakten Begriff der Gesellschaft bezeichnen.

Im allgemeinen liegt niemandem daran, dass sein Einfluss den andern bestimme, sondern daran, dass dieser Einfluss, diese Bestimmtheit des andern auf ihn, den Bestimmenden, zurückwirke.

So liegt eine Wechselwirkung schon bei jener abstrakten Herrschsucht vor, die daran befriedigt ist, dass das Handeln oder Leiden, der positive oder negative Zustand des andern sich dem Subjekt als das Erzeugnis seines Willens darbietet.

Diese sozusagen solipsistische Ausübung einer beherrschenden Gewalt, deren Bedeutung für den Übergeordneten ausschließlich in dem Bewusstsein seiner Wirksamkeit besteht, ist freilich erst eine soziologische Rudimentärform, und vermöge ihrer besteht so wenig Vergesellschaftung, wie zwischen einem Künstler und seiner Statue, die doch auch auf ihn mit dem Bewusstsein seiner Schöpfermacht zurückwirkt.

Im übrigen bedeutet Herrschsucht, selbst in dieser sublimierten Form, deren praktischer Sinn nicht eigentlich die Ausnutzung des andern, sondern das bloße Bewusstsein ihrer Möglichkeit ist, keineswegs die äußerste egoistische Rücksichtslosigkeit.

Denn Herrschsucht, so sehr sie das innere Widerstreben des Unterworfenen brechen will, während dem Egoismus nur an dem Sieg über sein äußeres zu liegen pflegt, hat an dem andern noch immer eine Art Interesse, er ist für sie ein Wert.

Erst wo der Egoismus nicht einmal Herrschsucht ist, sondern der andre ihm absolut gleichgültig und ein bloßes Werkzeug zu über ihn hinausliegenden Zwecken ist, fällt der letzte Schatten des vergesellschaftenden Füreinander fort.

Dass das Ausschalten absolut jeder Eigenbedeutung der einen Partei den Begriff der Gesellschaft aufhebt, zeigt in relativer Art die Bestimmung der späteren römischen Juristen: dass die societas leonina überhaupt nicht mehr als Gesellschaftsvertrag aufzufassen sei.

Und in demselben Sinne hat man von den niederen Arbeitern in den modernen Riesenbetrieben, die jede wirksame Konkurrenz durch rivalisierende Unternehmer um die Dienste jener ausschließen, gesagt: Der Unterschied in der strategischen Stellung zwischen ihnen und ihren Brotherren sei so überwältigend, dass der Arbeitsvertrag überhaupt aufhöre, ein »Vertrag« im gewöhnlichen Wortsinne zu sein, weil die einen bedingungslos den andern ausgeliefert sind.

Insofern zeigt sich die moralische Maxime: einen Menschen niemals als bloßes Mittel zu gebrauchen - allerdings als die Formel für jede Vergesellschaftung.

Wo die Bedeutung der einen Partei auf einen Punkt sinkt, wo eine von dem Ich als solchem ausgehende Wirkung nicht mehr in die Beziehung eintritt, kann man von Gesellschaft so wenig reden, wie zwischen dem Tischler und der Hobelbank.

Nun ist die Ausschaltung jeglicher Spontaneität innerhalb eines Unterordnungsverhältnisses in Wirklichkeit seltner, als die populäre Ausdrucksweise schließen lässt, die mit den Begriffen des »Zwanges«, des »Keine-Wahl-habens«, der »unbedingten Notwendigkeit« sehr freigebig ist.

Selbst in den drückendsten und grausamsten Unterworfenheitsverhältnissen besteht noch immer ein erhebliches Maß persönlicher Freiheit.

Wir werden uns ihrer nur nicht bewusst, weil ihre Bewährung in solchen Fällen Opfer kostet, die auf uns zu nehmen ganz außer Frage zu stehen pflegt.

Der »unbedingte« Zwang, den der grausamste Tyrann auf uns ausübt, ist tatsächlich immer ein durchaus bedingter, nämlich dadurch bedingt, dass wir den angedrohten Strafen oder sonstigen Konsequenzen der Unbotmäßigkeit entgehen wollen.

Genau angesehen vernichtet das Über- und Unterordnungs-Verhältnis die Freiheit des Untergeordneten nur im Falle von unmittelbaren physischen Vergewaltigungen; sonst pflegt es nur einen Preis, den wir nicht zu bezahlen geneigt sind, für die Realisierung der Freiheit zu fordern und kann den Umkreis der äußeren Bedingungen, in dem sie sich sichtbar realisiert, mehr und mehr verengern, aber, außer in jenem Fall physischer Übergewalt, niemals bis zu völligem Verschwinden.

Die moralische Seite dieser Betrachtung geht uns hier nichts an, wohl aber die soziologische: dass die Wechselwirkung, d.h. die zwar gegenseitig bestimmte, aber nur von den Persönlichkeitspunkten her erfolgende Aktion innerhalb der Beziehung auch in denjenigen Fällen von Über- und Unterordnung besteht und diese also auch da noch zu einer gesellschaftlichen Form macht, wo für die gewöhnliche Auffassung der »Zwang« durch die eine Partei die andre jeder Spontaneität und damit jeder eigentlichen »Wirkung« beraubt.

Für die Analyse des gesellschaftlichen Daseins ist es angesichts der ungeheuren Rolle der Über- und Unterordnungs-Verhältnisse von der größten Wichtigkeit, sich über solche Spontaneität und Mitwirksamkeit des untergeordneten Subjektes gegenüber ihrer vielfachen Verschleierung in der oberflächlicheren Vorstellungsweise klar zu werden.

Was man z.B. »Autorität« nennt, setzt in höherem Maße, als man anzuerkennen pflegt, eine Freiheit des der Autorität Unterworfenen voraus, sie ist selbst wo sie diesen zu »erdrücken« scheint, nicht auf einen Zwang und ein bloßes Sich-Fügen-Müssen gestellt.

Das eigentümliche Gebilde der »Autorität«, das für das Gemeinsamkeitsleben in den mannigfaltigsten Maßen, in Ansätzen wie in Übertreibungen, in akuten wie in Dauerformen bedeutsam ist, scheint auf zweierlei Wegen zustande zu kommen.

Eine Persönlichkeit, an Bedeutung und Kraft überlegen, erwirbt bei ihrer näheren oder auch entfernteren Umgebung einen Glauben und Vertrauen, ein maßgebendes Gewicht ihrer Meinungen, das den Charakter einer objektiven Instanz trägt: die Persönlichkeit hat eine Prärogative und axiomatische Zuverlässigkeit für ihre Entscheidungen gewonnen, die über den immer variabeln, relativen, der Kritik unterworfenen Wert einer subjektiven Persönlichkeit mindestens um einen Teilstrich hinausragt.

Indem ein Mensch »autoritativ« wirkt, ist die Quantität seiner Bedeutung in eine neue Qualität umgeschlagen, hat für sein Milieu gleichsam den Aggregatzustand der Objektivität angenommen.

Der gleiche Erfolg kann in der umgekehrten Richtung zustande kommen: eine überindividuelle Potenz, Staat, Kirche, Schule, die Organisationen der Familie oder des Militärs, bekleiden von sich aus eine Einzelpersönlichkeit mit einem Ansehen, einer Würde, einer letztinstanzlichen Entscheidungskraft, die aus deren Individualität niemals wachsen würde.

Die »Autorität«, deren Wesen ist, dass ein Mensch mit derjenigen Sicherheit und Anerkennungszwang entscheidet, die logischerweise nur dem überpersönlich-sachlichen Axiom oder Deduktion zukommt - hat sich hier gleichsam von oben auf eine Person niedergelassen, während sie im ersteren Falle aus den Qualitäten der Person, wie durch generatio aequivoca aufgestiegen ist.

An dem Punkt dieses Überganges und Umschlages hat nun ersichtlich der mehr oder weniger freiwillige Glaube des der Autorität Unterworfenen einzusetzen; denn jene Umsetzung zwischen dem überpersönlichen und dem Persönlichkeitswert, die dem letzteren ein, wenn auch noch so minimales Plus über das ihr beweisbar, rational Zukommende hinzufügt, wird von dem Autoritätsgläubigen selbst vollzogen, ist ein soziologisches Ereignis, das die spontane Mitwirkung auch des untergeordneten Elementes erfordert; ja, dass man eine Autorität als »erdrückend« empfindet, weist auf die eigentlich vorausgesetzte und nie ganz ausgeschaltete Selbständigkeit des andern hin.

Eine noch positivere Aktivität besteht auf der Seite des scheinbar bloß passiven Elementes in Verhältnissen wie diesen: der Redner, der der Versammlung, der Lehrer, der der Klasse gegenübersteht, scheint der allein Führende, der momentan Übergeordnete zu sein; dennoch empfindet jeder, der sich in solcher Situation befindet, die bestimmende und lenkende Rückwirkung der scheinbar bloß aufnehmenden und von ihm gelenkten Masse.

Und dies nicht nur bei unmittelbarem Sich-Gegenüberstehen.

Alle Führer werden auch geführt, wie in unzähligen Fällen der Herr der Sklave seiner Sklaven ist.

»Ich bin ihr Führer, also muss ich ihnen folgen«, hat einer der größten deutschen Parteiführer im Hinblick auf seine Gefolgschaft gesagt.

Am krassesten tritt dies am Journalisten hervor, der den Meinungen einer stummen Menge Inhalt und Richtung gibt, dabei aber durchaus hören, kombinieren, ahnen muss, was denn eigentlich die Tendenzen dieser Menge sind, was sie zu hören, was sie bestätigt zu wissen, wohin sie geführt zu werden wünscht.

Während das Publikum scheinbar nur unter seiner Suggestion steht, steht er in Wirklichkeit ebenso unter der des Publikums.

Eine höchst komplizierte Wechselwirkung, deren beiderseitig spontane Kräfte freilich sehr verschiedene Formen besitzen, verbirgt sich hier also unter dem Anschein der reinen Superiorität des einen Elementes gegenüber dem stummen Sich-Führen-Lassen des andern.

In personalen Verhältnissen, deren ganzer Inhalt und Sinn die eine Partei ausschließlich zum Dienst der andern bestimmt, ist grade das vollkommene Maß dieser Hingabe oft daran gebunden, dass diese andre sich, wenn auch in einer anderen Schicht der Beziehung, an jene hingibt.

So äußert sich Bismarck über sein Verhältnis zu Wilhelm I.: »Ein gewisses Maß von Hingebung wird durch die Gesetze bestimmt, ein größeres durch politische Überzeugung; wo es darüber hinausgeht, bedarf es eines persönlichen Gefühles von Gegenseitigkeit. - Meine Anhänglichkeit hatte ihre prinzipielle Begründung in einem überzeugungstreuen Royalismus; aber in der Spezialität, wie er vorhanden war, ist er doch nur möglich unter der Wirkung einer gewissen Gegenseitigkeit - zwischen Herr und Diener«.

Den charakteristischsten Fall dieses Typus vielleicht bietet die hypnotische Suggestion.

Ein hervorragender Hypnotiseur hat betont, dass bei jeder Hypnose eine, wenn auch nicht leicht zu bestimmende Wirkung des Hypnotisierten auf den Hypnotiseur stattfände, und dass ohne diese der Effekt nicht erreicht würde.

Während die Erscheinung hier das absolute Beeinflussen von der einen, das absolute Beeinflusstwerden von der andern Seite darbietet, birgt auch diese eine Wechselwirkung, einen Austausch der Einflüsse, der die reine Einseitigkeit der Über- und Unterordnung zu einer soziologischen Form umbiegt.

Ich führe nur noch aus rechtlichen Gebieten einige Fälle von Über- und Unterordnung an, in deren scheinbar rein einseitiger Richtung die tatsächlich vorhandene Wechselwirkung sich ohne Schwierigkeit aufzeigen lässt.

Wenn bei unumschränktem Despotismus der Herrscher an seine Befehle die Drohung von Strafe oder das Versprechen von Lohn knüpft, so heißt dies, dass er selbst an die von ihm ausgehende Verordnung gebunden sein will: der Untergeordnete soll das Recht haben, seinerseits etwas von ihm zu fordern, der Despot bindet sich mit der Straffestsetzung, so horrend sie sei, keine höhere aufzuerlegen.

Ob er nachher tatsächlich den versprochenen Lohn oder die Strafbegrenzung eintreten lässt oder nicht, ist eine andre Frage.

Der Sinn des Verhältnisses ist der, dass zwar der Übergeordnete den Untergeordneten völlig bestimmt, dass diesem aber doch ein Anspruch zugesichert ist, den er geltend machen kann, oder auf den er verzichten kann: so dass selbst diese entschiedenste Form des Verhältnisses doch noch irgend eine Spontaneität des Untergeordneten enthält.

In eigentümlicher Umsetzung wird das Motiv der Wechselwirkung innerhalb der anscheinend rein einseitig-passivistischen Unterordnung in einer mittelalterlichen Staatstheorie wirksam: der Staat sei so entstanden, dass die Menschen sich gegenseitig verpflichtet hätten, sich einem gemeinsamen Oberhaupt zu unterwerfen; der Herrscher - offenbar auch der unumschränkte - werde auf Grund eines Vertrages der Untertanen untereinander bestellt.

Hier steigt also der Gedanke der Wechselseitigkeit von dem Herrschaftsverhältnis selbst - in das die gleichzeitigen Theorien von dem Vertrage zwischen

Herrscher und Volk ihn verlegen - in den Grund dieses Verhältnisses selbst hinab: die Verpflichtung gegen den Fürsten wird als bloße Formung, Ausdruck, Technik eines Gegenseitigkeitsverhältnisses zwischen den Individuen des Volkes empfunden.

Und wenn bei Hobbes der Herrscher durch keinerlei Verfahren seinen Untertanen gegenüber vertragsbrüchig werden kann, da er nämlich mit ihnen gar keinen Vertrag abgeschlossen hat, so ist das Korrelat dazu, dass der Untertan, auch wenn er sich gegen den Herrscher empört, damit keinen Vertrag bricht, den er mit ihm eingegangen ist; sondern vielmehr den, den er mit allen andern Mitgliedern der Gesellschaft geschlossen hat, sich von diesem Herrscher beherrschen zu lassen.

Aus dem Wegfall des Gegenseitigkeitsmomentes erklärt sich die Beobachtung, dass die Tyrannei einer Gesamtheit gegen ihr eignes Mitglied schlimmer sei, als die eines Fürsten.

Dadurch, dass die Gesamtheit, und keineswegs nur die politische, ihr Mitglied nicht sich gegenüber, sondern wie ein eignes Glied in sich eingeschlossen empfindet, entsteht oft eine eigentümliche Rücksichtslosigkeit gegen dieses, die sich noch ganz von der persönlichen Grausamkeit eines Herrschers unterscheidet.

Jedes formale Gegenüber, auch wenn es inhaltlich auf Unterwerfung geht, ist eine Wechselwirkung, die prinzipiell immer irgend eine Beschränkung jedes Elements einschließt und davon nur in individuellen Ausnahmen abweicht.

Wo die Überordnung jene spezifische Rücksichtslosigkeit zeigt, wie in dem Falle der Gesamtheit, die über ihr Mitglied verfügt, liegt eben auch nicht das Gegenüber vor, in dessen Wechselwirkungsform eine Spontaneität beider Elemente und damit eine Eingrenzung beider stattfindet.

Sehr schön drückt dies der ursprüngliche römische Gesetzesbegriff aus.

Das Gesetz verlangt seinem reinen Sinne nach eine Unterwerfung, die keinerlei Spontaneität oder Gegenwirkung des ihm Untergeordneten einschließt.

Ob dieser bei der Gesetzgebung mitgewirkt hat, ja, ob er sich das für ihn gültige Gesetz selbst gegeben hat, ist hierfür belanglos; er hat sich eben in diesem Falle selbst in Subjekt und Objekt der Gesetzgebung zerlegt, und die von jenem zu diesem gehende Bestimmung des Gesetzes wird in ihrem Sinne dadurch nicht geändert, dass beide zufällig in einer physischen Person zusammenfallen.

Dennoch haben die Römer in dem Begriff des Gesetzes unmittelbar den einer Wechselwirkung angedeutet.

Lex bedeutet nämlich ursprünglich Vertrag, allerdings mit dem Sinne, dass die Bedingungen desselben von dem Proponenten festgesetzt werden und der andre Teil nur en bloc annehmen oder ablehnen kann.

So besagt die lex publica populi romani anfänglich, dass der König sie proponierte, das Volk der Akzeptant war.

Damit ist der Begriff, der die Wechselwirksamkeit am entschiedensten von sich auszuschließen scheint, schon durch seinen sprachlichen Ausdruck dennoch designiert, auf diese hinzuweisen.

Dies distrahiert sich gleichsam in der Prärogative des römischen Königs, dass nur er zum Volke reden durfte.

Eine solche Prärogative bedeutet zwar die eifersüchtig ausschließende Einheit seiner Herrschaft - wie entsprechend im griechischen Altertum das Recht eines jeden, zum Volke zu sprechen, die vollendete Demokratie bezeichnete - aber es liegt doch darin die Anerkennung der Bedeutung, die die Rede zum Volk und die also das Volk selbst hat.

Es liegt darin, dass das Volk, trotzdem es nur jene einseitige Wirkung empfing, doch ein Kontrahent war, mit dem zu kontrahieren freilich einem einzigen vorbehalten war. -

Mit diesen Vorbemerkungen sollte nur der eigentlich soziologische, gesellschaftsbildende Charakter der Über- und Unterordnung auch für die Fälle aufgezeigt werden, in denen an die Stelle eines gesellschaftlichen Verhältnisses ein bloß mechanisches: die Position des Untergeordneten als eines keinerlei Spontaneität einsetzenden Objektes oder Mittels für den Übergeordneten - zu treten schien.

Aber mindestens vielfach ist es doch gelungen, unter der Einseitigkeit der Beeinflussung die soziologisch entscheidende Wechselwirksamkeit sichtbar zu machen.

Die Arten der Überordnung lassen sich zunächst rein äußerlich, aber für die Erörterung bequem, nach einem dreigliedrigen Schema teilen; sie kann ausgeübt werden: von einem einzelnen, von einer Gruppe, von einer objektiven, sei es sozialen, sei es idealen Macht.

Ich bespreche nun einige der soziologischen Bedeutungen dieser Möglichkeiten.

Die Unterordnung einer Gruppe unter eine Person hat vor allem eine sehr entschiedene Vereinheitlichung der Gruppe zur Folge, und zwar nahezu gleichmäßig bei den beiden charakteristischen Formen dieser Unterordnung: nämlich erstens, wenn die Gruppe mit ihrer Spitze eine wirkliche innere Einheit bildet, wenn der Herrscher die Gruppenkräfte in ihrer eignen Richtung fort- und in sich zusammenführt, so dass Überordnung eigentlich nur bedeutet, dass der Wille der Gruppe einen einheitlichen Ausdruck oder Körper gewonnen hat.

Aber auch, zweitens, wenn die Gruppe sich in Opposition gegen ihre Spitze fühlt, ihr gegenüber Partei bildet.

Bezüglich des ersteren Falles zeigt jeder Blick auf soziologische Gebiete ohne weiteres den unermesslichen Vorteil der Einherrschaft für die Zusammenfassung und kraftsparende Lenkung der Gruppenkräfte.

Ich will nur zwei inhaltlich sehr heterogene Erscheinungen von gemeinsamer Unterordnung anführen, in denen gerade deren Unersetzlichkeit für die Einheit des Ganzen hervortritt.

Die Soziologie der Religionen ist dadurch prinzipiell differenziert, ob eine Vereinigung der Individuen einer Gruppe statthat, die den gemeinsamen Gott als das Symbol und die Weihe ihrer Zusammengehörigkeit gleichsam aus dieser hervorwachsen lässt - wie es in vielen primitiven Religionen der Fall ist -, oder ob die Gottesvorstellung erst ihrerseits die sonst nicht oder nur knapp zusammenhängenden Elemente in eine Einheit zusammenbringt.

Wie sehr das Christentum diese letztere Form realisiert hat, bedarf nicht der Beschreibung, auch nicht, wie einzelne Sekten ihr besonderes und besonders starkes Band in dem absolut subjektiven und mystischen Verhältnis zu der Person Jesu finden, das jeder einzelne als Individuum und insoweit völlig unabhängig von jedem anderen und von der Gemeinsamkeit besitzt.

Aber sogar von den Juden ist behauptet worden: im Gegensatz zu den gleichzeitig entstandenen Religionen, wo die Verwandtschaft zunächst jeden Genossen mit jedem anderen und dann erst das Ganze mit dem göttlichen Prinzip verbindet, würde dort das gemeinsame Vertragsverhältnis zu Jehova als die eigentliche Kraft und Sinn der nationalen Zusammengehörigkeit empfunden.

Diese formale Struktur war der mittelalterliche Feudalismus häufig auf Grund der vielverflochtenen persönlichen Abhängigkeiten und »Dienste« zu wiederholen disponiert.

Am bezeichnendsten vielleicht bei den Genossenschaften der Ministerialen, unfreier Hof- und Hausdiener, die in einem engen, rein persönlichen Verhältnis zu dem Fürsten standen.

Die Genossenschaften, welche diese bildeten, hatten gar keine sachliche Basis, wie sie doch die hörigen Dorfgemeinschaften vermöge des nachbarlichen Besitzes besaßen; sie wurden zu ganz verschiedenen Diensten verwendet, hatten verschieden gelegene Besitzungen und bildeten dennoch eng geschlossene Genossenschaften, ohne deren Bewilligung niemand in sie eintreten oder aus ihr entlassen werden konnte.

Sie hatten ein eigenes Familien- und Sachenrecht ausgebildet, besaßen je unter sich Vertrags- und Verkehrsfreiheit, forderten Sühne für inneren Friedensbruch - und hatten für diese enge Einheit durchaus keine andere Grundlage, als die Identität des Herrn, dem sie dienten, der sie nach außen hin vertrat und in landrechtlichen Beziehungen für sie agierte.

Wie in jenem religiösen Falle ist die Unterordnung unter eine individuelle Potenz hier nicht, was sie in vielen, besonders den politischen Fällen ist, die Folge oder der Ausdruck einer bestehenden organischen oder Interessengemeinschaft, sondern die Überordnung des einen Herrn umgekehrt die Ursache einer sonst nicht erreichbaren, durch keine sonstige Beziehung angelegten Gemeinsamkeit.

Es ist übrigens nicht nur das gleiche, sondern gerade auch das ungleiche Verhältnis der Untergeordneten zu der dominierenden Spitze, was der so charakterisierten Sozialform ihre Festigkeit gibt.

Die mannigfaltige Entferntheit oder Nähe zu ihm schafft eine Gliederung, die darum nicht weniger fest und formbestimmt ist, weil die Innenseite dieser Distanzen oft Eifersucht, Repulsion, Hochmut ist.

Die soziale Höhe der indischen Kasten bestimmt sich nach ihrem Verhältnis zum Brahmanen.

Würde der Brahmane von einem ihr Angehörigen ein Geschenk annehmen? ein Glas Wasser ohne Bedenken aus seiner Hand? mit Schwierigkeiten? würde er es mit Abscheu zurückweisen? Dass sich die eigentümliche Festigkeit der Kastenschichtung hieran heftet, ist für die jetzt fragliche Form

deshalb so bezeichnend, weil die bloße Tatsache einer höchsten Spitze durch ein rein ideelles Moment jedem Element und dadurch dem Ganzen sein Strukturverhältnis bestimmt.

Dass jene höchste Schicht von sehr vielen Einzelpersonen besetzt ist, ist ganz irrelevant, da die soziologische Form ihrer Wirkung hier genau wie die einer Einzelperson ist: die Relation zu »dem Brahmanen« entscheidet.

So kann das formal Charakteristische der Unterordnung unter eine Einzelperson auch bei einer Vielheit übergeordneter Einzelpersonen auftreten.

Die spezifische soziologische Bedeutung solcher Vielheit werden uns andere Erscheinungen offenbaren.

Jene vereinheitlichende Folge der Unterordnung unter eine herrschende Kraft zeigt sich nun nicht weniger, wenn die Gruppe sich gegen diese in Opposition befindet.

An der politischen Gruppe wie in der Fabrik, in der Schulklasse wie an der kirchlichen Gemeinde ist es zu beobachten, wie die Aufgipfelung der Organisation zu einer Spitze die Einheit des Ganzen sowohl im Falle der Eintracht wie in dem der Opposition bewirken hilft, wie vielleicht der letztere die Gruppe noch mehr zwingt, sich »zusammenzunehmen«.

Wenn die gemeinsame Gegnerschaft überhaupt schon eines der mächtigsten Mittel ist, eine Mehrheit von Individuen oder Gruppen zum Zusammenhalten zu bewegen, so steigert sich dies noch, wenn der gemeinsame Gegner zugleich der gemeinsame Herr ist.

Gewiss nicht in offenbarer und wirksamer, aber in latenter Form findet diese Kombination wohl allenthalben statt: in irgend einem Maße oder irgend einer Beziehung ist der Herr fast immer ein Gegner.

Der Mensch hat ein inneres Doppelverhältnis zum Prinzip der Unterordnung: er will zwar einerseits beherrscht sein, die Mehrzahl der Menschen kann nicht nur ohne Führung nicht existieren, sondern sie fühlen das auch, sie suchen die höhere Gewalt, die ihnen die Selbstverantwortlichkeit abnimmt, und eine einschränkende, regulierende Strenge, die sie nicht nur gegen außen, sondern auch gegen sich selbst schützt.

Nicht weniger aber brauchen sie die Opposition gegen diese führende Macht, sie bekommt so erst, gleichsam durch Zug und Gegenzug, die richtige Stelle im inneren Lebenssystem der Gehorchenden.

Ja, man möchte sagen, dass Gehorsam und Opposition nur die beiden nach verschiedenen Richtungen orientierten und als selbständige Triebe erscheinenden Seiten oder Glieder eines in sich ganz einheitlichen Verhaltens des Menschen sind.

Der einfachste Fall ist der politische, in dem die Gesamtheit, aus so auseinander und gegeneinander strebenden Parteien sie bestehen mag, doch das gemeinsame Interesse hat, die Kompetenzen der Krone in Grenzen zu halten, bzw. einzuschränken - bei aller praktischen Unentbehrlichkeit dieser Krone, ja, aller gefühlsmäßigen Anhänglichkeit an sie.

In England blieb Jahrhunderte lang nach der Magna Charta das Bewusstsein lebendig, dass gewisse Grundrechte für alle Klassen erhalten und gemehrt werden müssten, dass der Adel seine Freiheiten nicht ohne gleichzeitige Freiheit der schwächeren Klassen behaupten könnte und dass ein gemeinsames Recht für Adel, Bürger und Bauern das Korrelat für die Einschränkungen des persönlichen Regimentes wäre; und es ist oft hervorgehoben worden, dass, solange dieses letztere Kampfziel in Frage steht, der Adel stets das Volk und die Geistlichkeit auf seiner Seite hat.

Und selbst wo es zu dieser Art von Vereinheitlichung vermittels der Einherrschaft nicht kommt, wird mindestens ein einheitliches Kampffeld der ihr Unterworfenen geschaffen: zwischen denen, die mit dem Herrscher, und denen, die gegen ihn stehen.

Es gibt kaum ein soziologisches, einer höchsten Spitze untertanes Gebiet, auf dem dieses pro und contra die Elemente nicht zu einer Lebendigkeit von Wechselwirkungen und Verflechtungen veranlasste, die, trotz aller Repulsionen, Reibungen und Kriegskosten doch manchem friedlichen, aber indifferenten Nebeneinander an schließlich vereinheitlichender Kraft weit überlegen ist.

Da es sich hier indes nicht um die Konstruktion dogmatisch einseitiger Reihen, sondern um die Aufzeigung von Grundvorgängen handelt, deren unendlich mannigfaltige Maße und Kombinationen ihre Oberflächenerscheinungen oft völlig einander entgegengesetzt verlaufen lassen, so muss hervorgehoben werden, dass die gemeinsame Unterwerfung unter eine herrschende Macht keineswegs immer zu Vereinheitlichung führt, sondern, auf bestimmte Dispositionen treffend, auch zu dem gegenteiligen Erfolge.

Die englische Gesetzgebung errichtete gegen Non-Conformists - also gleichmäßig gegen Presbyterianer, Katholiken, Juden - eine Summe von Maßregeln und Ausschließungen, die den Militärdienst wie das Wahlrecht, den Besitz wie die Staatsstellungen betrafen.

Der Staatskirchler benutzte seine Prärogative, um seinem Hass gegen alle jene gleichmäßigen Ausdruck zu geben.

Aber dadurch wurden die Unterdrückten nicht etwa zu einer Gemeinsamkeit irgend welcher Art zusammengeschlossen, sondern der Hass des Rechtgläubigen wurde durch den, den der Presbyterianer gegen den Katholiken und vice versa hegte, noch übertroffen.

Hier scheint eine psychologische »Schwellenerscheinung« vorzuliegen.

Es gibt ein Maß von Gegnerschaft zwischen sozialen Elementen, das bei gemeinsam erfahrenem Druck unwirksam wird und einer äußeren, ja inneren Einheitlichkeit Platz macht.

Überschreitet aber jene ursprüngliche Aversion eine bestimmte Grenze, so hat die gemeinsame Unterdrückung den umgekehrten Erfolg.

Nicht nur, weil bei einer stark dominierenden Verbitterung nach einer Seite hin jede aus anderer Quelle fließende die allgemeine Gereiztheit steigert und, allen Vernunftgründen entgegen, auch noch in jenes bereits tief gegrabene Bett verbreiternd einfließt; sondern vor allem, weil das gemeinsame Erleiden die Elemente allerdings näher aneinander presst, aber gerade an dieser erzwungenen Nähe ihre ganze innere Entferntheit und Unversöhnlichkeit sich erst völlig schlagend ergibt.

Wo eine irgendwie erzeugte Vereinheitlichung nicht imstande ist, einen Antagonismus zu besiegen, da lässt sie ihn nicht im status quo ante bestehen, sondern steigert ihn, wie der Kontrast auf allen Gebieten in dem Maße schärfer und bewusster wird, in dem seine Seiten näher aneinander rücken.–

Eine andere, offensichtlichere Art der Repulsion stiftet das gemeinsame Dominiertwerden unter seinen Subjekten vermittels der Eifersucht.

Sie bringt das negative Pendant zu dem oben Erwähnten: dass gemeinsamer Hass ein um so stärkeres Bindemittel ist, wenn der gemeinsam Gehasste zugleich der gemeinsame Herr ist: die gemeinsame Liebe, die vermöge der Eifersucht ihre Subjekte zu Feinden macht, tut dies um so entschiedener, wenn der gemeinsam Geliebte zugleich der gemeinsame Herr ist.

Ein Kenner türkischer Verhältnisse berichtet, dass die Kinder eines Harems, die verschiedene Mütter hätten, sich immer feindselig zu einander verhielten.

Der Grund davon sei die Eifersucht, mit dem die Mütter die Liebesäußerung des Vaters zu den Kindern, die nicht ihre eignen seien, überwachten.

Die besondere Nuance der Eifersucht, sobald sie sich auf jene, beiden Parteien übergeordnete Macht bezieht, ist die: wer die Liebe der umstrittenen Persönlichkeit für sich zu gewinnen versteht, hat jetzt noch in einem besonderen Sinn und mit ganz besonderem Machterfolg über den Nebenbuhler triumphiert.

Der sublime Reiz: über den Nebenbuhler Herr zu werden, indem man über seinen Herrn Herr wird, muss durch die Gegenseitigkeit, in der die Gemeinsamkeit des Herrn diesen Reiz erwachsen lässt, zu einer höchsten Potenzierung der Eifersucht führen.

Indem ich von diesen dissoziierenden Folgen der Unterordnung unter eine individuelle Macht zu ihren vereinheitlichenden zurückkehre, hebe ich nur noch hervor, wie viel leichter Zwistigkeiten zwischen Parteien ausgeglichen werden, wenn diese einer und derselben höheren Macht unterstehen, als wenn jede völlig selbständig ist.

Wie viele von den Konflikten, an denen etwa die griechischen wie die italienischen Stadt-Staaten zu Grunde gegangen sind, hätten diese verderblichen Folgen nicht entfaltet, wenn eine Zentralgewalt, irgend eine höhere Instanz sie gemeinsam dominiert hätte! Wo eine solche fehlt, hat der Konflikt mehrerer Elemente die verhängnisvolle Tendenz, sich nur durch ein unmittelbares Messen der Machtquanten austragen zu lassen.

Ganz allgemein handelt es sich um den Begriff der »höheren Instanz«, dessen Wirksamkeit sich in mannigfaltigen Gestaltungen durch fast alles menschliche Zusammensein erstreckt.

Es ist ein formal soziologisches Charakteristikum ersten Ranges, ob es in einer Gesellschaft oder für sie eine »höhere Instanz« gibt oder nicht.

Diese braucht nicht ein Herrscher im gewöhnlichen oder äußerlichen Sinne des Wortes zu sein.

Über Bindungen und Kontroversen z.B., die sich auf Interessen, Instinkten, Gefühlen gründen, ist das Reich des Intellektuellen, seine einzelnen Inhalte oder jeweiligen Vertreter immer eine höhere Instanz.

Diese mag einseitig und unzulänglich entscheiden, ihre Entscheidung mag Gehorsam finden oder nicht - wie die Logik die höhere Instanz über den sich widersprechenden Inhalten des Vorstellens bleibt, auch wenn wir unlogisch denken, so bleibt in einer mehrgliedrigen Gruppe der Intelligenteste die höhere Instanz, so sehr es in einzelnen Fällen nur dem starken Willen oder dem warmen Gefühl einer Persönlichkeit gelingen mag, den Streit der Genossen zu befrieden; das ganz Spezifische der »höheren Instanz«, an die man zur Schlichtung appelliert, oder deren Eingreifen man sich mit dem Gefühl ihrer Berechtigung fügt, liegt typischer Weise doch nur auf der Seite der Intellektualität.

Ein anderer Modus der Vereinheitlichung auseinander strebender Parteien, den das Vorhandensein einer beherrschenden Instanz besonders begünstigt, ist dieser.

Wo es nicht möglich erscheint, Elemente, die entweder im Streite sind, oder gleichgültig fremd nebeneinander liegen, auf Grund ihrer gegebenen Qualitäten zu vereinheitlichen, da gelingt dies manchmal so, dass beide auf einen neuen Zustand umgebildet werden, der nun die Vereinigung ermöglicht; oder auch: es werden ihnen neue Qualitäten angebildet, auf Grund deren diese geschehen kann.

Die Beseitigung von Verstimmungen, die Erregung gegenseitigen Interesses, die Herstellung weithin greifender Gemeinsamkeiten gelingt oft - von spielenden Kindern bis zu religiösen und politischen Parteien -, indem man den bisherigen, divergenten oder indifferenten Absichten und Bestimmtheiten der Elemente irgend eine neue hinzufügt, die sich zum Treffpunkt eignet und damit auch das bisher Auseinanderstrebende als vereinbar zeigt.

Auch gestatten oft Beschaffenheiten, die sich direkt nicht vereinigen können, dadurch eine indirekte Versöhnung, dass man sie über ihre bisherige Entwicklung hinausführt oder sie durch Zusatz eines neuen Elementes auf neue und sich jetzt berührende Grundlagen stellt.

So wurde z.B. die Homogenität der gallischen Provinzen dadurch aufs erheblichste gefördert, dass sie alle von Rom aus latinisiert wurden.

Es liegt auf der Hand, wie sehr gerade dieser Modus der Vereinheitlichung der »höheren Instanz« bedarf, wie relativ leicht eine über den Parteien stehende und sie irgendwie beherrschende Macht jeder von beiden die Interessen und Bestimmungen wird zuführen können, die sie auf einen gemeinsamen Boden stellen und die sie, sich allein überlassen, vielleicht niemals gefunden oder an deren Ausbildung Eigensinn, Stolz, Befangenheit im Gegensatz sie gehindert hätten.

Wenn man der christlichen Religion nachrühmt, dass sie die Seelen zur »Friedfertigkeit« stimme, so ist der soziologische Grund davon sicher das Gefühl der gemeinsamen Unterordnung aller Wesen unter das göttliche Prinzip.

Der christliche Gläubige ist davon durchdrungen, dass über ihm und jedem beliebigen Gegner- mag dieser selbst gläubig sein oder nicht - jene höchste Instanz steht, und dies rückt ihm die Versuchung zur gewaltsamen Messung der Kräfte fern.

Der christliche Gott kann ein Band so weiter Kreise sein, die von vornherein in seinem »Frieden« befasst sind, gerade weil er so unermesslich hoch über jedem einzelnen steht und der einzelne an ihm in jedem Augenblick mit jedem anderen zusammen seine »höhere Instanz« hat.

Die Vereinheitlichung mittels gemeinsamer Unterordnung kann sich in zwei verschiedenen Formen darstellen: als Nivellement und als Abstufung.

Indem eine Anzahl von Menschen gleichmäßig einem einzelnen untergeordnet sind, sind sie insofern gleich.

Die Korrelation zwischen Despotismus und Egalisierung ist längst erkannt worden.

Sie verläuft nicht nur so, dass der Despot von sich aus die Unterworfenen zu nivellieren sucht - worüber gleich zu sprechen ist - sondern auch in umgekehrter Richtung: eine entschiedene Nivellierung führt ihrerseits leicht zu despotischen Formen.

Immerhin gilt dies nicht für jede beliebige Art von »Nivellierung«.

In dem Alkibiades die sizilischen Städte als von buntscheckigen Volksmassen erfüllt bezeichnet, will er sie damit als leichte Beute für den Eroberer kennzeichnen.

Tatsächlich leistet grade eine gleichartige Bürgerschaft der Tyrannis einen erfolgreicheren Widerstand, als eine aus sehr divergenten und deshalb zusammenhangslosen Elementen bestehende.

Das Nivellement, das der Despotie am willkommensten ist, betrifft deshalb nur die Rangunterschiede, nicht die Wesensunterschiede.

Eine den Charakteren und Tendenzen nach homogene, aber in verschiedene Rangstufen gegliederte Gesellschaft wird jener einen starken Widerstand entgegensetzen, einen geringen aber wird sie finden, wo mannigfaltige Wesensarten, ohne quantitatives Nivellement, mit gleichen Rechten, also sozusagen in qualitativer Gleichheit, nebeneinander existieren.

Das prinzipielle Motiv des Alleinherrschers nun, die Unterschiede der Stände auszugleichen, ist dies, dass sehr starke Über- und Unterordnungsverhältnisse zwischen den Untertanen mit seiner eigenen Überordnung in Konkurrenz treten - sowohl real wie psychologisch.

Abgesehen hiervon aber ist die zu starke Unterdrückung gewisser Stände der Despotie ebenso gefährlich, wie die zu große Machtfülle gewisser andrer.

Denn eine Erhebung jener gegen diese Zwischengewalten wird sich leicht, wie durch ein der Trägheitskraft folgendes Weiterrollen der Bewegung, auch gegen die höchste Macht richten, wenn sie sich nicht etwa selbst an die Spitze dieser Bewegung setzt oder sie wenigstens unterstützt.

Orientalische Einherrscher haben deshalb die Bildung von Aristokratien hintangehalten, so der türkische Sultan, der auf diese Weise seine absolute, völlig vermittlungslose Höhe über seinen gesamten Untertanen bewahrte.

Indem jede irgendwie bestehende Macht im Staate von ihm hergeleitet war und beim Tode des Inhabers zu ihm zurückkehrte, kam es zu keiner erblichen Aristokratie.

Damit wurden die absolute Höhe des Souveräns und das Nivellement der Untertanen als Korrelaterscheinungen realisiert.

Diese Tendenz spiegelt sich an der Erscheinung, dass Despoten mittelmäßige Diener lieben, wie man es von Napoleon I. hervorgehoben hat.

Ein deutscher Fürst soll, als einem hervorragenden Beamten der Antrag auf Übergang in einen anderen Staatsdienst gemacht wurde, den Minister gefragt haben: »Ist uns der Mann unentbehrlich?« »Vollkommen, Hoheit.« »Dann wollen wir ihn gehen lassen. Unentbehrliche Diener kann ich nicht brauchen.« Indem der Despotismus dabei aber doch keineswegs besonders minderwertige Diener sucht, stellt sich seine innere Korrelation zum Nivellement heraus; so sagt Tacitus über diese Tendenz des Tiberius, mittelmäßige Beamte anzustellen: ex optimis periculum sibi, a pessimis dedecus publicum metuebat.

Es ist bezeichnend, dass, wo die Einherrschaft nicht den Charakter des Despotismus trägt, diese Tendenz sogleich nachlässt, ja, der entgegengesetzten Platz macht, wie Bismarck von Wilhelm I. sagt, dass er es nicht nur vertrug, sondern sich dadurch gehoben fühlte, dass er einen angesehenen und mächtigen Diener hatte.–

Wo der Herrscher nun nicht, wie in dem Fall des Sultans, das Aufwachsen von Zwischenmächten von vornherein verhindert, sucht er oft ein relatives Nivellement herbeizuführen, indem er die Bestrebung der unteren Schichten, zur Rechtsgleichheit mit jenen Zwischenmächten zu gelangen, begünstigt.

Die mittelalterliche und die neuere Geschichte ist voll von Beispielen dafür.

In England hat die Königsmacht seit der normannischen Zeit jene Korrelation zwischen ihrer eigenen Allgewalt und der Rechtsgleichheit der Untertanen mit energischem Bewusstsein durchgeführt: Wilhelm der Eroberer zerreißt das Band, das bisher wie auf dem Kontinent zwischen der unmittelbar belehnten Aristokratie und den Untervasallen bestand, indem er jeden Untervasall zwingt, ihm unmittelbar den Lehenseid zu leisten.

Dadurch wurde einerseits das Anwachsen der großen Kronlehen zu Souveränitäten verhindert, andrerseits der Grund zu einer einheitlichen Rechtsbildung für alle Klassen gelegt.

Das Königtum des 11. und 12. Jahrhunderts gründet seine außerordentliche Macht auf die Gleichmäßigkeit, mit der der freie Besitz einer ausnahmslosen Heeres-, Gerichts-, Polizei- und Steuerpflicht unterworfen wird.

Die gleiche Form tritt am römischen Kaisertum hervor.

Die Republik war bestandsunfähig geworden, weil das rechtliche oder faktische Übergewicht der Stadt Rom über Italien und die Provinzen nicht mehr aufrechtzuerhalten war.

Das Kaisertum erst hat wieder ein Gleichgewicht hergestellt, indem es die Römer so rechtlos machte, wie die von ihnen unterworfenen Völker es waren; dadurch wurde eine unparteiische Gesetzgebung für alle Bürger, ein rechtliches Nivellement ermöglicht, dessen Korrelat die unbedingte Höhe und Einheit des Herrschers war.

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass »Nivellement« hier durchgehends als eine ganz relative, in ihren Verwirklichungen durchaus begrenzte Tendenz zu verstehen ist.

Eine prinzipielle Wissenschaft von den Formen der Gesellschaft muss Begriffe und Begriffszusammenhänge in einer Reinheit und abstrakten Geschlossenheit hinstellen, wie sie in den historischen Verwirklichungen dieser Inhalte niemals auftreten.

Das soziologische Verständnis aber, das den Grundbegriff der Vergesellschaftung in seinen einzelnen Bedeutungen und Gestalten ergreifen, die Erscheinungskomplexe in ihre Einzelfaktoren bis zur Annäherung an induktive Regelmäßigkeiten analysieren will - kann dies nur durch die Hilfskonstruktion von sozusagen absoluten Linien und Figuren, die sich in dem realen gesellschaftlichen Geschehen immer nur als Ansätze, Bruchstücke, fortwährend unterbrochene und modifizierte Teilverwirklichungen vorfinden.

In jeder einzelnen gesellschaftsgeschichtlichen Konfiguration wirken eine wahrscheinlich nie ganz übersehbare Anzahl von Wechselwirksamkeiten der Elemente, und wir können ihre gegebene Form so wenig in ihre sämtlichen Teilfaktoren auflösen und aus ihnen wieder zusammensetzen, wie wir die Gestalt irgend eines Stückes Materie aus den idealen Figuren unsrer Geometrie absolut deckend herstellen können, obgleich beides prinzipiell durch Differenzierung und Kombination der wissenschaftlichen Gebilde möglich sein muss.

Die geschichtliche Erscheinung muss für die soziologische Erkenntnis so umgebildet werden, dass ihre Einheit in eine Anzahl in reiner Einseitigkeit bestimmter, sozusagen gradlinig verlaufender Begriffe und Synthesen zerlegt wird, unter denen in der Regel eine ihr Hauptcharakteristikum ausmachen wird, und die durch gegenseitige Biegung und Einschränkung das Bild jener Gestalt auf die neue Abstraktionsebene mit allmählich wachsender Genauigkeit projizieren.

Die Herrschaft des Sultans über rechtlose Untertanen; die des englischen Königs über ein Volk, das schon 150 Jahre nach Wilhelm dem Eroberer sich mutig gegen König Johann erhebt; die des römischen Kaisers, der eigentlich nur der Vorsteher der mehr oder weniger autonomen, das Reich bildenden Gemeinden war, - alle diese Einherrschaften sind aufs höchste verschieden und ebenso das »Nivellement« der Untertanen, das ihnen entspricht.

Und dennoch ist das Motiv dieser Korrelation in ihnen gemeinsam lebendig, die grenzenlose Verschiedenheit der unmittelbaren, materialen Erscheinung gibt dennoch der gleichsam ideellen Linie Raum, mit der jene Korrelation, in ihrer Reinheit und Gleichmäßigkeit freilich nur ein wissenschaftlich-abstraktes Gebilde, in sie eingezeichnet ist. -

In Erscheinungen von direkt entgegengesetzter Oberfläche verkleidet sich die gleiche Tendenz der Dominierung vermittels des Nivellements.

Es ist ein typisches Verhalten, wenn Philipp der Gute von Burgund die Freiheit der holländischen Städte zu unterdrücken strebt, dabei aber viele einzelne Korporationen mit sehr umfassenden Privilegien ausstattet.

Denn indem diese Rechtsunterschiede ausschließlich durch die Freiheit des Beliebens seitens des Herrschers entstehen, markieren sie um so deutlicher die Gleichmäßigkeit des Unterworfenseins, mit dem ihm die Untertanen a priori gegenüberstehen.

In dem genannten Beispiel wird dies dadurch vorzüglich charakterisiert, dass die Privilegien zwar dem Inhalt nach sehr ausgedehnt, aber der Dauer nach kurz bemessen waren: der Rechtsvorzug löste sich dadurch nie von der Quelle, aus der er floss.

Das Privileg, scheinbar das Gegenteil des Nivellements, offenbart sich so als diejenige Steigerungsform des letzteren, die es als Korrelat der unbedingten Beherrschtheit annimmt. -

Der Einherrschaft ist unzählige Male der Widersinn vorgeworfen worden, der in der rein quantitativen Disproportionalität zwischen der Einzahl des Herrschers und der Vielzahl der Beherrschten läge, das Unwürdige und Ungerechte in dem Verhältnis dessen, was die eine Partei, und dessen, was die andere in die Beziehung einsetzt.

Tatsächlich liegt in der Lösung dieses Widerspruchs eine sehr eigenartige und folgenreiche soziologische Grundkonstellation vor.

Die Struktur einer Gesellschaft nämlich, in der nur einer herrscht, und die große Masse sich beherrschen lässt, hat nur darin ihren normativen Sinn, dass die Masse, d.h. das beherrschte Element, nur einen Teil der dazu gehörigen Persönlichkeiten einschließt, während der Herrscher seine ganze Persönlichkeit in das Verhältnis hineingibt.

Der Herrscher und der einzelne Beherrschte treten gar nicht mit dem gleichen Quantum ihrer Persönlichkeiten in das Verhältnis ein.

Die »Masse« wird dadurch gebildet, dass viele Individuen Bruchteile ihrer Persönlichkeiten vereinigen, einseitige Triebe, Interessen, Kräfte, - während das, was jede Persönlichkeit als solche ist, jenseits dieser Nivellementsebene steht und in die »Masse«, d.h. in dasjenige, was eigentlich von jenem einen beherrscht ist, nicht hineinragt.

Es bedarf nicht der Hervorhebung, dass diese neue Proportion, die das volle Persönlichkeitsquantum des Herrschers von dem vervielfältigten Teilquantum der beherrschten Persönlichkeit aufwiegen lässt, ihre quantitative Form nur als symbolischen Notausdruck trägt.

Die Persönlichkeit als solche entzieht sich jeder arithmetisch fassbaren Gestalt so vollständig, dass, wenn wir von der »ganzen« Persönlichkeit, von ihrer »Einheit«, von einem »Teil« ihrer sprechen, wir damit etwas qualitativ innerliches meinen, was nur als seelische Anschauung erlebt werden kann; wir haben gar keinen direkten Ausdruck dafür, sodass jener aus einer ganz anderen Ordnung der Dinge genommene ebenso unzutreffend wie freilich unentbehrlich ist.

Das ganze Herrschaftsverhältnis zwischen einem und vielen, und ersichtlich nicht nur das politische, ruht auf jener Zerlegung der Persönlichkeit.

Und diese Anwendung ihrer innerhalb der Überordnung und Unterordnung ist nur ein spezieller Fall ihrer Bedeutung für alle Wechselwirkung überhaupt.

Selbst von einer so engen Vereinigung wie der Ehe wird man sagen müssen, dass man nie ganz verheiratet ist, sondern selbst im besten Falle nur mit einem Teile der Persönlichkeit, wie groß er auch sei - wie man nie ganz Staatsbürger, ganz Wirtschaftsgenosse, ganz Kirchenmitglied ist.

Die Scheidung innerhalb des Menschen, die die Beherrschung der vielen durch Einen prinzipiell trägt, ist schon von Grotius erkannt worden, wo er dem Einwand, Herrschergewalt könne nicht durch Kauf erworben werden, da sie freie Menschen beträfe, mit der Unterscheidung privater und öffentlicher subjectio begegnet.

Die subjectio publica hebe nicht, wie die subjectio privata das sui juris esse auf.

Wenn ein populus veräußert werde, so seien Gegenstand der Veräußerung nicht die einzelnen Menschen, sondern nur das jus eos regendi, qua populus sunt.

Es gehört zu den höchsten Aufgaben der politischen Kunst, einschließlich der Kirchenpolitik, der Familienpolitik, jeder Herrschaftspolitik überhaupt, diejenigen Seiten der Menschen herauszuerkennen und sozusagen herauszupräparieren, mit denen sie die mehr oder weniger nivellierte »Masse« bilden, der gegenüber der Herrscher in gleichmäßiger Höhe stehen kann, von denjenigen unterschieden, die ihrer individuellen Freiheit überlassen werden müssen, die aber jeweils erst mit jenen zusammen die ganze Persönlichkeit des Untergeordneten ausmachen.

Die Gruppierungen unterscheiden sich charakteristisch nach der Proportion zwischen den Gesamtpersönlichkeiten und demjenigen Quantum derselben, mit dem sie zur »Masse« zusammengehen.

Von der Verschiedenheit dieses Quantums hängt das Maß ihrer Regierbarkeit ab, und zwar so, dass eine Gruppe um so eher und radikaler von einem einzelnen beherrscht werden kann, ein je geringeres Teil der Gesamtpersönlichkeit das einzelne Individuum in die Masse hineingibt, die das Objekt der subjectio ist.

Wo die soziale Einheit so viel von den Persönlichkeiten in sich einbezieht, diese als ganze ihr so eng verflochten sind, wie in den griechischen Stadtstaaten oder bei den mittelalterlichen Stadtbürgern, wird die Einherrschaft zu etwas Widerspruchsvollem und Undurchführbarem.

Dieses an sich einfache prinzipielle Verhältnis kompliziert sich durch die Einwirkung zweier Faktoren: durch die Größe oder Kleinheit des untertänigen Kreises und durch das Maß, in dem die Persönlichkeiten in sich differenziert sind.

Je größer ein Kreis ist, desto kleiner wird ceteris paribus der Bezirk der Gedanken und Interessen, der Gefühle und Eigenschaften sein, in dem die Individuen sich decken und »Masse« bilden.

Insofern sich die Herrschaft also auf das erstreckt, was ihnen gemeinsam ist, wird sie von den einzelnen in dem Maße der Größe des Kreises leichter ertragen werden, und nach dieser Richtung hin wird sich jener Grundsinn der Einherrschaft sehr klar veranschaulichen: über je mehr der eine herrscht, desto weniger von jedem einzelnen beherrscht er.

Nun ist es aber zweitens von entscheidender Wichtigkeit, ob die Individuen in ihrer seelischen Struktur hinreichend differenziert sind, um die innerhalb und die außerhalb des Beherrschtheitsrayons liegenden Elemente ihres Seins praktisch und für die Empfindung auseinander zuhalten.

Nur wenn dies mit der vorhin angedeuteten Kunst des Herrschenden zusammentrifft, von sich aus die der Beherrschung zugängigen und die ihr sich entziehenden Elemente innerhalb der untergeordneten Individuen zu differenzieren, wird der Widerspruch zwischen Herrschaft und Freiheit, die unverhältnismäßige Präponderanz des einen über viele sich annähernd lösen.

In solchem Falle kann auch in durchaus despotisch regierten Gruppen die Individualität sich frei entwickeln.

So begann die Ausbildung der modernen Individualität in den Despotien der italienischen Renaissance.

Hier wie in anderen Fällen, z.B. unter Napoleon I., hat der Herrscher grade ein Interesse daran, allen Seiten der Persönlichkeit, mit denen sie nicht zu der »Masse« gehört - also denen, die dem politischen Herrschaftsrayon fern liegen -, die größte Freiheit zu gewähren.

Und es ist daraus begreiflich, dass in sehr kleinen Kreisen, wo die Enge des Verschmolzenseins und die weitgehenden inneren und äußeren Solidaritäten jene Zerlegungen immer wieder durchkreuzen und sozusagen falsch verwachsen lassen, Herrschaftsverhältnisse sehr leicht zu unerträglicher Tyrannei werden lassen.

Diese Struktur des kleinen Kreises vereinigt sich mit häufiger Ungeschicklichkeit der präponderanten Personen, um das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern vielfach höchst unbefriedigend zu gestalten.

Es ist oft der entscheidende Missgriff von Eltern, dass sie ihren Kindern ein für alle gültiges Lebensschema auch in den Dingen autoritativ auferlegen, in denen die Kinder unvereinbar individuell sind.

Ebenso, wenn der Priester über das Gebiet hinaus, auf dem er die Gemeinde vereinen kann, das Privatleben der Gläubigen beherrschen will, auf dem sie, von der religiösen Gemeinschaft aus gesehen, jedenfalls individuell differenziert sind.

In all solchen Fällen fehlt es an der richtigen Aussonderung der Wesensteile, die sich zur »Masse«-Bildung eignen, und denen gegenüber deshalb die Beherrschtheit leicht ertragen, als angemessen empfunden wird.

Das Nivellement der Masse als solcher, das sich durch die Aussonderung und den Zusammenschluss der beherrschbaren Elemente ihrer Individuen herstellt, ist für die Soziologie der Herrschaft von größter Bedeutung.

Es erklärt sich daraus, im Anschluss an vorhin Gesagtes, dass es oft leichter ist, über eine größere als über eine kleinere Gruppe zu herrschen, besonders wenn es sich um entschieden differenzierte Individuen handelt, von denen jedes weiter hinzukommende den Bezirk des allen Gemeinsamen weiter einschränkt: wo solche Persönlichkeiten in Frage stehen, liegt die Nivellierungsebene der vielen, ceteris paribus, niedriger als die der wenigen und damit steigt ihre Beherrschbarkeit.

Dies ist die soziologische Grundlage der Bemerkung von Hamilton im Federalist: es wäre der große populäre Irrtum, durch Vermehrung der Parlamentsmitglieder die Sicherheiten against the government of a few steigern zu wollen.

Über eine bestimmte Zahl hinaus mag die Volksvertretung zwar demokratischer aussehen, wird aber in Wirklichkeit oligarchischer sein: the machine may be enlarged, but the fewer will be the springs by which its motions are directed.

Und in demselben Sinne bemerkte hundert Jahre später einer der vorzüglichsten Kenner des angloamerikanischen Parteilebens, dass ein Parteiführer, je höher er an Macht und Einfluss steige, um so mehr wahrnehmen müsse, by how few persons the world is governed.

Hierin liegt auch der tiefere soziologische Sinn der engen Beziehung, die zwischen dem Recht eines politischen Ganzen und seinem Herrscher besteht.

Denn das für alle geltende Recht ist aus jenen Koinzidenzpunkten aller erwachsen, die jenseits ihrer rein individuellen Lebensinhalte oder -formen, oder, anders angesehen, jenseits der Totalität der Einzelperson liegen.

Diesen überindividuellen Interessen, Qualitäten, Elementen des Habens und Seins gibt das Recht eine objektiv zusammenschließende Form, wie sie ihre subjektive Form oder ihr Korrelat in dem Herrscher dieses Ganzen finden.

Ist diese besondre Analyse und Synthese an den Individuen aber die Grundlage der Einherrschaft überhaupt, so wird auch aus ihr verständlich, dass manchmal ein erstaunlich geringes Maß überragender Qualitäten ausreicht, um die Herrschaft über eine Gesamtheit zu gewinnen, dass diese sich mit einer Leichtigkeit unterwirft, die aus der qualitativen Entgegenhaltung zwischen dem Herrschenden und seinen Untertanen, als Gesamtpersonen angesehen, logisch nicht zu rechtfertigen wäre.

Wo aber die für die Massenbeherrschung erforderte Differenzierung der Individuen fehlt, gehen die Anforderungen an die Qualität des Herrschers auch über das jener entsprechende bescheidene Maß hinaus.

Aristoteles sagt, zu seiner Zeit könnten keine berechtigten Einherrschaften mehr entstehen, denn es gäbe jetzt eben so viele gleich vorzügliche Persönlichkeiten in jedem Staat, dass keine einzelne mehr einen derartigen Vorzug vor andern beanspruchen könne.

Der griechische Bürger war offenbar mit seinen Interessen und Gefühlen derartig dem politischen Ganzen verbunden, hatte seine ganze Persönlichkeit in so weitem Umfang in das Allgemeine hineingegeben, dass es zu keiner Herausdifferenzierung der sozusagen nur politischen Elemente seiner kommen konnte, der gegenüber er noch einen wesentlichen Teil seiner Persönlichkeit als Privatbesitz hätte reservieren können.

Bei dieser Konstellation setzt die Einherrschaft zu ihrem inneren Rechte freilich voraus, dass der Herrscher jedem Untertanen dessen Gesamtpersönlichkeit nach überlegen sei - ein Erfordernis, das gar nicht in Frage kommt, wo das Objekt der Herrschaft nur jene herausdifferenzierten, zur »Masse« zusammenfassbaren Teile der Individuen sind.

Neben diesem Typus der Einherrschaft, dessen Korrelat das prinzipielle Nivellement der ihr Untergeordneten bildet, steht der zweite, mit dem die Gruppe die Form einer Pyramide annimmt.

Die Untergeordneten stehen dem Herrscher in allmählichen Abstufungen der Macht gegenüber; Schichten, die an Umfang immer geringer, an Bedeutung immer größer werden, führen von der untersten Masse zur Spitze hinauf.

Diese Form der Gruppe kann auf zweierlei Arten entstehen.

Sie kann von der autokratischen Machtfülle eines einzelnen ausgehen.

Dieser verliert den Inhalt seiner Macht - bei Fortbestehen von Form und Titel - und lässt ihn abwärts gleiten, wobei dann natürlich an den ihm zunächst gelegenen Schichten mehr haften bleibt, als an den entfernteren.

Indem so die Macht allmählich durchsickert, muss sich, insoweit keine anderen Ereignisse und Bedingungen in diesen Prozess deformierend eingreifen, eine Kontinuität und Graduierung von Über- und Untergeordneten ergeben.

Das ist wohl die Art, wie sich in orientalischen Staaten häufig die sozialen Formen her stellen: die Macht der oberen Stufen bröckelt ab, sei es, weil sie innerlich unhaltbar ist und die vorhin betonte Proportion zwischen Unterwerfung und individueller Freiheit nicht getroffen wird, sei es, weil die Persönlichkeiten zu indolent und in der Technik des Herrschers zu unwissend sind, um ihre Macht zu bewahren.

Einen ganz anderen Charakter trägt die Pyramidenform der Gesellschaft, wenn sie von der Absicht des Herrschers ausgeht, so dass sie nicht eine Schwächung seiner Macht, sondern deren Erweiterung und Konsolidierung bedeutet.

Es ist dann also nicht das Machtquantum der Herrschaft, das sich auf die tiefern Schichten verteilt, sondern diese werden nur unter sich nach Graden der Macht und Stellung organisiert.

Dabei bleibt sozusagen das Unterordnungsquantum das gleiche wie in der Form des Nivellements und nimmt nur die Form der Ungleichheit unter den Individuen, die es zu tragen haben, an; wobei dann natürlich der Erscheinung nach eine Annäherung der Elemente an den Herrscher in dem Maß ihrer relativen Ranghöhe entsteht.

Daraus kann eine große Festigkeit des Gesamtbaues hervorgehen, seine Tragkräfte strömen seiner Spitze sicherer und gesammelter zu, als wenn sie ihr gegenüber nivelliert sind.

Dass die superiore Bedeutung des Fürsten, bzw. des in jeglichem Kreise höchststehenden Menschen über ihn selbst hinausstrahlt und sich in dem Verhältnis, in dem andere ihm nahe stehen, über diese ergießt, ist kein Abzug, sondern eine Steigerung seiner eigenen Bedeutung.

Dass der Gefolgsmann des angelsächsischen Königs ein besonders hohes Wergeld hat und als Eideshelfer eine besonders hohe Geltung; dass sein Stallknecht und der Mann, in dessen Hause er einen Trunk zu sich nimmt, durch besonderen Rechtsschutz über die Masse erhoben werden - das gehört nicht nur einfach zu der Prärogative des Königs, sondern dieses abgestufte Niedersteigen seiner Prärogative ist zugleich, als Aufbau von unten her, eine Stütze eben dieser; indem er von seiner Superiorität mitteilt, wird sie nicht weniger, sondern mehr.

Auch hat der Herrscher bei so feiner Gradation Auszeichnungen und Belohnungen in der Form der Rangerhöhung in seiner Hand, die ihn nichts kosten, aber die so näher an ihn Herangezognen fester an ihn binden.

Die große Zahl sozialer Stufen, die das römische Kaisertum geschaffen hat - von den Sklaven und den humiliores über die gewöhnlichen Freien eine fast kontinuierliche Skala bis zum Senator - scheint direkt von dieser Tendenz bestimmt worden zu sein.

Hierbei, wie in ähnlichen Fällen handelt es sich in der Hauptsache indes weniger um eine Abstufung realer Macht, sondern um eine mehr ideale durch Titel und Positionen mit bloß gesellschaftlichem Übergewicht.

Auch diese können eine Pyramide bilden, die ihre Spitze wieder in dem Herrscher und seiner realen Macht findet und die mit dem vielleicht daneben bestehenden formgleichen Aufbau abgestufter Machtpositionen keineswegs zusammenfällt.

- Die Struktur einer Pyramide der Macht wird immer an der prinzipiellen Schwierigkeit leiden, dass die irrationalen, fluktuierenden Beschaffenheiten der Personen sich mit den wie mit logischer Schärfe vorgezeichneten Umrissen der einzelnen Positionen niemals durchgehends decken werden - eine formale Schwierigkeit aller von einem gegebenen Schema vorgebildeten Rangordnungen, die diese bei ihrer Aufgipfelung zu einem persönlichen Herrscher nicht anders findet, wie wenn sozialistische Vorschläge es irgend welchen Institutionen zutrauen, dass sie denjenigen, der die führende, übergeordnete Stellung verdient, auch wirklich in diese bringen werden.

Hier wie dort nämlich kommt zu jener grundsätzlichen Inkommensurabilität zwischen der Schematick der Stellungen und dem innerlich variabeln, niemals in begrifflich festgelegte Formen genau passenden Wesen des Menschen - zu dieser kommt noch die Schwierigkeit des Erkennens der für jede Position geeigneten Persönlichkeit; und zwar insbesondere deshalb: ob jemand eine bestimmte Machtstellung verdient oder nicht, zeigt sich eben unzählige Male erst dann, wenn er in dieser Stellung ist.

Es ist mit dem Tiefsten und Wertvollsten des menschlichen Wesens verflochten, dass jede Einsetzung eines Menschen in eine neue Macht oder Funktion, und wenn sie auf die gründlichste Prüfung und die sichersten Antezedenzien hin geschieht, immer ein Risiko einschließt, immer ein Versuch bleibt, der gelingen oder misslingen kann.

Es ist überhaupt das Verhältnis des Menschen zu Welt und Leben, dass wir uns im voraus entschließen müssen, d.h. durch unseren Entschluss diejenigen Tatsachen herbeiführen, die eigentlich schon herbeigeführt und gekannt sein müssten, um jenen Entschluss vernünftiger- und sichererweise fassen zu können.

Diese allgemeine apriorische Schwierigkeit alles menschlichen Handelns tritt bei dem Aufbau sozialer Machtskalen ersichtlich dann ganz besonders hervor, wenn diese nicht gleichsam organisch aus den eigenen Kräften der Individuen und den natürlichen Verhältnissen der Gesellschaft erwachsen, sondern von einer herrschenden Persönlichkeit spontan konstruiert werden; dieser Fall wird freilich historisch kaum in absoluter Reinheit vorkommen - höchstens findet er in den angedeuteten sozialistischen Utopien seine Parallele -, aber er zeigt seine Besonderheiten und Komplikationen auch in den rudimentären und mit andern Erscheinungen gemischten Formen seiner wirklichen Beobachtbarkeit. -

Der andre Weg, auf dem sich eine Stufenleiter der Macht bis zu einer höchsten Spitze herstellt, läuft umgekehrt.

Von einer ursprünglichen relativen Gleichheit der Sozialelemente aus gewinnen einzelne größere Bedeutung, aus dem Komplex dieser differenzieren sich wieder einige besonders mächtige Individuen heraus, bis sich die Entwicklung zu einer oder wenigen Spitzen hebt.

Die Pyramide der Über- und Unterordnung baut sich hier von unten her auf.

Es bedarf keiner Beispiele für diesen Prozess, da er sich allenthalben, wenn auch in den verschiedensten Rhythmen vollzieht, am reinsten vielleicht auf ökonomischem und politischem Gebiet, sehr bemerkbar aber auch auf dem der intellektuellen Bildung, in Schulklassen, in der Evolution der Lebenshaltung, in ästhetischer Beziehung, in dem primären Aufwachsen militärischer Organisation.

Das klassische Beispiel für das Zusammentreffen der beiden Wege, auf denen eine stufenförmige Über- und Unterordnung der Gruppen zu stande kommt, ist der Feudalstaat des Mittelalters.

So lange der Vollbürger - der griechische, römische, altgermanische - keine Unterordnung unter einen einzelnen kannte, bestand für ihn einerseits volle Gleichheit mit seinesgleichen, andererseits strenger Abschluss gegen alle Tieferstehenden.

Diese charakteristische Sozialform findet am Feudalismus - alle historischen Zwischenglieder vorausgesetzt - ihr ebenso charakteristisches Gegenstück, das die Kluft zwischen Freiheit und Unfreiheit durch eine Stufenleiter der Stände ausfüllte; der »Dienst«, servitium, verband alle Glieder des Reiches unter sich und mit dem König.

Dieser gab von seinem Besitz ab, wie seine großen Untertanen ihrerseits an ihnen untergeordnete Vasallen Land zu Lehen gaben, und so ein Stufenbau von Stellung, Besitz, Verpflichtung sich erhob.

Aber zu eben dem selben Resultate gelangte der gesellschaftliche Prozess von der entgegengesetzten Richtung her.

Die mittleren Schichten entstanden nicht nur durch Abgabe von oben, sondern auch durch Akkumulation von unten her, indem ursprünglich freie, kleine Grundbesitzer ihr Land mächtigeren Herren hingaben, um es als Lehen von ihnen zurückzuempfangen, jene Grundherrn aber durch den immer weiteren Erwerb von Macht, dem das geschwächte Königtum nicht wehren konnte, in ihren Spitzen bis zu königlicher Macht heranwuchsen.

Eine solche Pyramidenform gibt jedem ihrer Elemente zwischen dem niedrigsten und dem höchsten eine Doppelposition: jeder ist übergeordnet und jeder ist untergeordnet, ist abhängig von oben und zugleich unabhängig, weil andere von ihm abhängig sind.

Vielleicht hat diese soziologische Doppeldeutigkeit dem Feudalismus, dessen zweifache Genesis, durch Abgabe von oben und Akkumulation von unten, sie besonders stark akzentuierte, die Entgegengesetztheit seiner Folgen verschafft.

Je nachdem Bewusstsein und Praxis das Abhängigkeits- oder das Unabhängigkeitsmoment an den Zwischeninstanzen hervorhob, konnte der Feudalismus in Deutschland auf die Aushöhlung der obersten Herrschergewalt gehen und in England der Krone die Form für ihre überall durchgreifende Macht darbieten.

Die Abstufung gehört zu jenen Anordnungs- und Lebensformen der Gruppe, die von einem Gesichtspunkt der Quantität ausgehen, deshalb mehr oder weniger mechanisch sind und der eigentlich organischen Gruppierung, die auf individuellen Qualitätsdifferenzen beruht, geschichtlich vorangehen; sie werden freilich durch diese nicht schlechthin abgelöst, sondern bestehen neben ihr und in Verflechtung mit ihr weiter.

Dahin gehört vor allem die Einteilung der Gruppen in Untergruppen, deren soziale Rolle in ihrer Zahlgleichheit oder wenigstens Zahlbestimmtheit wurzelt, wie bei der Hundertschaft; dahin gehört die Bestimmung der gesellschaftlichen Position ausschließlich nach dem Maß des Besitzes; dahin die Formung der Gruppe nach festgelegten Stufen, wie sie vor allem der Feudalismus, die Hierarchie, das Beamten- und Armeewesen zeigt.

Schon jenes erstere Beispiel dieser Formung weist auf ihre eigentümliche Objektivität oder Prinzipienmäßigkeit hin.

Gerade hiermit durchbrach der Feudalismus, wie er sich vom Anfang des germanischen Mittelalters an bildete, die alten Ordnungen von frei und unfrei, von vornehm und gering, die auf der Verschiedenheit des individuellen Verhältnisses zur Genossenschaft ruhten.

Darüber erhob sich jetzt, als das allgemein gültige Prinzip, der »Dienst«, die objektive Notwendigkeit, dass jeder irgendwie einem Höheren diente, die nur den Unterschied zuließ: wem und unter welchen Bedingungen.

Die so resultierende, im wesentlichen quantitative Abstufung der Stellungen war von der Bedeutung der früheren genossenschaftlichen Stellungen der einzelnen vielfach ganz unabhängig.–

Es ist natürlich nicht erforderlich, dass diese Gliederung zu einem im absoluten Sinne höchsten Gliede aufsteigt, da ihre formale Bedeutung sich innerhalb jeder Gruppe zeigt, gleichviel wie diese als ganze charakterisiert sei.

So war schon die römische Sklavenfamilie aufs feinste in diesem Sinne abgestuft, von dem Villicus und Prokurator, der ganze Produktionszweige der großen Sklavenwirtschaften selbständig leitete, durch alle möglichen Klassifizierungen hindurch bis zu dem Vorarbeiter für je zehn Mann.

Eine solche Organisationsform hat eine große sinnliche Anschaulichkeit und gibt jedem Gliede dadurch, dass es zugleich über- und untergeordnet, also von zwei Richtungen her festgelegt ist, sozusagen eine sichere Bestimmtheit seines soziologischen Lebensgefühles, die sich auf die ganze Gruppe als Enge und Festigkeit ihres Zusammenhaltes projizieren muss.

Dies ist durchaus zu unterscheiden von der höheren Form gleichzeitiger Über- und Unterordnung: dass ein Individuum in einer Reihe oder einseitigen Hinsicht über-, in einer anderen Reihe oder Hinsicht aber untergeordnet ist.

Diese Festlegung hat eher individuellen und qualitativen Charakter, sie pflegt eine Kombination aus der besonderen Anlage oder Schicksal des Individuums heraus zu sein, während gleichzeitige Über- und Unterordnung in einer und derselben Reihe viel mehr objektiv präformiert und eben dadurch als soziologische Position unzweideutiger und fixierter ist.

Und dass sie, wie ich eben betonte, auch für die soziale Reihe selbst von großem Kohäsionswert ist, hängt damit zusammen, dass sie das Aufsteigen in dieser letzteren zu einem eo ipso gegebenen Strebeziel macht.

Innerhalb der Freimaurerei z.B. hat man dieses Motiv als rein formales für die Beibehaltung der »Grade« geltend gemacht.

Schon dem »Lehrling« wird alles Wesentliche des sachlichen - hier: rituellen - Wissens des Gesellen- und Meistergrades mitgeteilt; allein diese Stufen, so wird gesagt, verliehen der Bruderschaft eine gewisse Spannkraft, regten durch den Reiz der Neuheit an und begünstigten das Streben des Neueingetretenen.

Diese soziologischen Strukturen, wie sie durch die Überordnung einer Einzelperson in den inhaltlich verschiedensten Gruppen formal gleichmäßig bestimmt werden, können ersichtlich, wie ich schon andeutete, auch bei Unterordnung unter einer Mehrzahl auftreten; allein die Mehrheit der Übergeordneten - wo diese einander koordiniert sind -, ist für sie nicht charakteristisch, und es ist deshalb in soziologischer Hinsicht irrelevant, ob die übergeordnete Stellung des Einen zufällig durch eine Mehrzahl von Personen ausgefüllt wird.

Freilich muss bemerkt werden, dass die Einherrschaft der Typus und die primäre Form des Unterordnungsverhältnisses überhaupt ist.

Mit dieser ihrer fundamentalen Stellung innerhalb der Überordnungs- und Unterordnungstatsachen hängt es zusammen, dass sie den andern Ordnungsarten: oligarchischen und republikanischen - nicht nur im politischen Sinn dieser Begriffe - innerhalb ihres Umfanges legitimen Raum gewähren, dass das Herrschaftsgebiet des Einherrschers sehr wohl sekundäre Strukturen dieser Arten umfassen kann, während sie selbst, wo diese die obersten und umfassenden sind, nur sehr relativ oder illegitimer Weise unterkommen kann.

Sie ist so sinnlich anschaulich und eindrucksvoll, dass sie selbst in denjenigen Verfassungen weiterwirkt, die grade in der Reaktion auf sie und als ihre Aufhebung entstanden sind.

Von dem amerikanischen Präsidenten hat man, wie von dem athenischen Archon und dem römischen Konsul behauptet, dass sie, unter gewissen Einschränkungen, doch nur die Erben der königlichen Macht wären, deren die Könige durch die betreffenden Revolutionen beraubt worden seien.

Von Amerikanern selbst hört man, ihre Freiheit bestände eben nur darin, dass die beiden großen Parteien sich in der Herrschaft abwechselten; jede für sich aber tyrannisiere in völlig monarchischer Weise.

Ebenso hat man unternommen, von der Demokratie der französischen Revolution nachzuweisen, dass sie nichts sei, als das auf den Kopf gestellte Königtum, mit denselben Qualitäten wie dieses ausgerüstet.

Die Volonté générale bei Rousseau, unter die er widerstandslose Ergebung lehrt, hat durchaus das Wesen des absoluten Einherrschers.

Und Proudhon behauptet, dass ein Parlament, das aus dem allgemeinen Stimmrecht hervorgegangen ist, sich von dem absoluten Monarchen in nichts unterscheide.

Der Volksvertreter sei unfehlbar, unverletzlich, unverantwortlich - mehr sei im wesentlichen auch der Monarch nicht.

Das monarchische Prinzip sei in einem Parlamente ebenso lebendig und vollständig, wie in einem legitimen König.

Tatsächlich fehlt auch dem Parlament gegenüber nicht einmal die Erscheinung der Schmeichelei, die doch ganz spezifisch der Einzelperson vorbehalten scheint.

- Es ist eine typische Erscheinung, dass ein formales Verhältnis unter Gruppenelementen auch dann noch beharrt, wenn ein Wechsel der ganzen soziologischen Tendenz dies unmöglich zu machen scheint.

Die eigentümliche Kraft der Einherrschaft, die sozusagen ihren Tod überlebt, indem sie ihre Färbung noch Gebilden überträgt, deren Sinn grade die Verneinung der Einherrschaft ist - wird einer der markantesten Fälle dieses Eigenlebens der soziologischen Form sein, durch das sie nicht nur materiell verschiedene Inhalte in sich aufnehmen, sondern sogar geänderten Formen noch den Geist ihres Gegenteils infundieren kann.

So groß ist diese formale Bedeutung der Einherrschaft, dass man sie sogar ausdrücklich bewahrt, wo man ihren Inhalt verneint, und grade weil man ihn verneint.

Das Dogenamt in Venedig verlor immer mehr von seiner Macht, bis es zuletzt eigentlich überhaupt keine mehr besaß.

Dennoch konservierte man es ängstlich, um gerade dadurch Evolutionen zu verhindern, die vielleicht einen wirklichen Herrscher auf den Thron bringen mochten.

Die Opposition vernichtet hier nicht die Einherrschaft, um sich schließlich doch selbst in ihrer Form zu konsolidieren, sondern bewahrt sie grade, um ihre wirkliche Konsolidierung zu verhindern.

Beide eigentlich entgegengesetzte Fälle sind gleichmäßige Zeugen für die formale Kraft dieser Herrschaftsform.

Ja, die Gegensätze, die sie zusammenzwingt, steigen sogar in eine und dieselbe Erscheinung hinab.

Die Monarchie hat das Interesse an der monarchischen Institution schlechthin, auch wenn sie ganz außerhalb ihres unmittelbaren Berührungsrayons liegt.

Die Erfahrung, dass sich alle noch so auseinanderliegenden Verwirklichungen einer bestimmten sozialen Form gegenseitig stützen und sich diese Form sozusagen gegenseitig garantieren, scheint bei den verschiedenen Herrschaftsverhältnissen, bei der Aristokratie und der Monarchie am entschiedensten, hervorzutreten.

Darum hat eine Monarchie es gelegentlich zu büßen, wenn sie aus besonderen politischen Gründen das monarchische Prinzip in andern Ländern schwächt.

Den fast rebellischen Widerstand, den die Regierung Mazarins von populärer wie von der Seite des Parlamentes erfuhr, hat man darauf geschoben, dass die französische Politik die Aufstände in andern Ländern gegen ihre Regierungen unterstützt hatte.

Dadurch habe der monarchische Gedanke eine Schwächung erfahren, die auf den Urheber selbst, der sein Interesse durch jene Rebellionen zu wahren meinte, zurückgewirkt habe.

Und umgekehrt: als Cromwell den Königstitel ablehnte, waren die Royalisten darüber betrübt.

Denn so unerträglich ihnen der Gedanke sein musste, den Königsmörder auf dem Thron zu sehen, so hätten sie doch die bloße Tatsache, dass es wieder einen König gab, als eine Vorbereitung der Restauration begrüßt.

Aber über solche utilitarischen, von den Folgen entlehnten Begründungen für die Expansion der Monarchie hinaus, wirkt das monarchische Ge fühl sogar noch gewissen Erscheinungen gegenüber in einer Weise, die dem persönlichen Vorteil ihrer Träger direkt entgegengesetzt ist.

Als während der Regierung Ludwigs XIV. der portugiesische Aufstand gegen Spanien ausbrach, der dem französischen König durchaus erwünscht sein musste, sagte er dennoch darüber: »So schlecht ein Fürst sein mag, so ist die Empörung seiner Untertanen doch immer unendlich verbrecherisch«, Und Bismarck erzählt, dass Wilhelm I. gegen Bennigsen und seine frühere Tätigkeit in Hannover eine »instinktive monarchische Abneigung« gefühlt hätte.

Denn soviel auch gerade Bennigsen und seine Partei für die Verpreussung Hannovers getan hätten, so ging ihm doch ein solches Verhalten eines Untertanen gegen dessen ursprüngliche - die welfische - Dynastie, gegen seine Fürstengefühle.

Die innere Kraft der Einherrschaft ist groß genug, um sogar noch den Feind in eine prinzipielle Sympathie einzubeziehen und gegen den Freund, sobald er sich in eine, personal durchaus nützliche Opposition gegen irgend einen Monarchen begibt, in einer ganz tiefen Gefühlsschicht wie gegen einen Gegner zu opponieren.

Endlich treten Züge einer noch gar nicht berührten Art hervor, wenn die in irgend welcher sonstigen Hinsicht bestehende Gleichheit oder Ungleichheit, Nähe oder Distanz zwischen Übergeordneten und Untergeordneten zum Problem wird.

Es ist für die soziologische Gestaltung einer Gruppe wesentlich, ob sie sich lieber einem Fremden oder jemandem aus ihrer Mitte unterordnet, ob das eine oder das andere für sie zweckmäßig und würdig oder das Gegenteil davon ist.

Die mittelalterlichen Fronherrn in Deutschland hatten ursprünglich das Recht, der Hofgenossenschaft beliebige Richter und Führer von außen her zu ernennen.

Schließlich aber errang diese oft das Zugeständnis, dass der Beamte aus dem Kreise der hörigen Genossen genommen werden musste.

Genau umgekehrt gilt es als eine besonders wichtige Zusage, die der Graf von Flandern 1228 seinen »geliebten Schöffen und Bürgern von Gent« machte, dass der von ihm einzusetzende Richter und Exekutivbeamte und seine Unterbeamten nicht aus Gent genommen oder mit einer Genterin verheiratet sein sollen.

Gewiss hat diese Differenz zunächst Zweckmäßigkeitsgründe: der Fremde ist unparteiischer, der Zugehörige verständnisvoller.

Der erstere Grund war offenbar für dies erwähnte Begehren der Genter Bürger entscheidend, um seinetwillen wählten italienische Städte ihre Richter oft aus andern Städten und sicherten sich damit vor der Beeinflussung der Rechtsprechung durch Familienzusammenhänge und innere Parteiungen.

Aus dem gleichen Motive haben so kluge Herrscher wie Ludwig XI. und Matthias Corvinus ihre höchsten Beamten möglichst aus dem Auslande oder auch aus niedrigem Stande genommen; einen andern Zweckmäßigkeitsgrund hat, noch im 19. Jahrhundert, Bentham für die Tatsache angeführt, dass Ausländer oft die besten Staatsbeamten seien: sie würden nämlich am argwöhnischsten überwacht.

Die Bevorzugung des Nahestehenden oder Gleichartigen erscheint von vorneherein weniger paradox, obgleich sie zu einer so eigentümlichen Mechanisierung des similia similibus führen kann, wie es von einem alten lybischen Stamm und neuerdings von den Aschantis berichtet wird: dass dort der König über die Männer und die Königin - die seine Schwester ist - über die Frauen herrsche.

Gerade die Kohäsion der Gruppe, die ich als Erfolg ihrer Unterordnung unter ihresgleichen hervorhob, wird durch die Erscheinung unterstützt: dass die Zentralgewalt diese immanente Jurisdiktion von Untergruppen zu durchbrechen sucht.

Noch im 14. Jahrhundert war in England die Vorstellung, für jedermann sei seine Ortsgemeinde die berufene Richterin, von großer Verbreitung; aber Richard II. bestimmt nun gerade, niemand dürfe in seiner eignen Grafschaft Richter der Assise oder der Goal delivery sein! Und das Korrelat der Kohäsion der Gruppe war in diesem Fall die Freiheit des einzelnen.

Auch in der Verfallszeit des angelsächsischen Königtums war das Urteil durch die Genossen, die Pares, als Wehr gegen die Willkür königlicher und herrschaftlicher Vögte hoch geschätzt.

Der schwerbelastete Hofgutsbauer hält an ihm eifersüchtig fest, als an dem einzigen ihm gebliebenen Besitz, der dem privatrechtlichen Begriff der Freiheit noch Inhalt und Wert gibt.

So sind es sicher rationale Gründe sachlicher Zweckmäßigkeit, die die Unterordnung unter den Genossen oder die unter den Fremden wählen lassen.

Dennoch sind die Motive solcher Wahl durch diese Kategorie nicht erschöpft, sondern es treten instinktivere und gefühlsmäßigere, andrerseits abstraktere und mittelbarere hinzu; und sie müssen es um so mehr, als jene oft auf beide Schalen das gleiche Gewicht legen: das größere Verständnis des Zugehörigen und die größere Unbefangenheit des von außen Kommenden mögen sich oft die Waage halten, und es braucht einer weiteren Instanz, um zwischen ihnen zu entscheiden.

Es meldet sich hier die für alle soziologische Gestaltung unendlich wichtige psychologische Antinomie: dass wir einerseits durch das uns Gleiche, andrerseits durch das uns Entgegengesetzte angezogen werden.

In welchem Falle, auf welchen Gebieten das eine oder das andre wirksam wird, ob in unserm gesamten Wesen die eine oder die andre Tendenz überwiegt - das scheint zu den ganz primären, mit der Natur des Individuums selbst gesetzten Bestimmungen zu gehören.

Das Entgegengesetzte ergänzt uns, das Gleichgeartete stärkt uns; das Entgegengesetzte regt uns auf und an, das Gleichgeartete beruhigt uns; mit ganz verschiednen Mitteln verschafft uns das eine wie das andre ein Gefühl von Legitimierung unsres So-Seins.

Wenn aber einer bestimmten Erscheinung gegenüber das eine als das uns Gemäße empfunden wird, stößt das andre uns ab: das Entgegengesetzte erscheint uns als feindlich, das Gleichgeartete als langweilig; das Entgegengesetzte stellt uns eine zu hohe, das Gleichgeartete eine zu geringe Aufgabe; dem einen wie dem andren gegenüber ist es schwer, eine Stellung zu finden, dort, weil uns Berührungs- und Vergleichungspunkte mangeln, hier, weil wir entweder jenes uns Gleiche oder, noch schlimmer, uns selbst als überflüssig empfinden.

Die innere Mannigfaltigkeit unsrer Beziehungen zu einem Individuum, aber auch zu einer Gruppe, beruht wesentlich darauf, dass sie uns mit einer Mehrheit von Zügen, zu denen wir uns in eine Relation zu setzen haben, gegenüberstehen, dass diese Züge in uns teils gleiche, teils heterogene vorfinden, und beide Fälle sowohl Attraktion wie Repulsion ermöglichen, in deren Wechselspiel und Kombinationen das Gesamtverhältnis verläuft; ein ähnlicher Erfolg tritt ein, wenn eine und dieselbe Relation, z.B. zu der uns wesensverwandten Bestimmtheit des andern, nach der einen Seite sympathische, nach der andern antipathische Empfindungen in uns auslöst.

So wird eine soziale Macht gleichartig konstruierte in ihrem Bereich einerseits begünstigen, nicht nur wegen der natürlichen Sympathie für das ideell Verwandte, sondern weil die Stärkung des Prinzipes auch ihr zugute kommen muss.

Andrerseits aber wird Eifersucht, Konkurrenz, der Wunsch, gerade der einzige Vertreter des Prinzips zu sein, das Gegenteil hervorrufen.

An dem Verhältnis der Monarchie zum Adel ist dies sehr bemerkbar.

Einerseits ist ihr das Erbprinzip des Adels innerlich verwandt, sie bildet dessentwegen eine Partei mit ihm, findet eine Stütze an ihm und begünstigt ihn daraufhin; andrerseits kann sie oft nicht dulden, dass ein Stand, der aus erblichem, also eignem Rechte privilegiert ist, neben ihr bestehe, sie muss wünschen, dass jedes Individuum von ihr besonders privilegiert sei.

So hat das römische Kaisertum ursprünglich den senatorischen Adel begünstigt und ihm die Erblichkeit gewährleistet - aber nach Diokletian wurde er zu einem Schatten herabgedrückt durch den Beamtenadel, in dem jedes Mitglied nur durch persönliche Beförderung zu den hohen Stellungen gelangte.

Ob in derartigen Fällen Attraktion oder Repulsion des Gleichen das Übergewicht behält, wird ersichtlich nicht nur aus utilitarischen Momenten, sondern aus jenen tieferen Dispositionen der Seele für die Wertung des Gleichen oder die des Ungleichen entschieden.

Von dem ganz allgemeinen Typus dieses -soziologischen Problems deszendiert das besondre, hier vorliegende.

Es ist unzählige Male Sache einer nicht zu rationalisierenden Empfindung, ob man sich durch die Unterordnung unter einen Nahestehenden oder durch die unter einen Fernerstehenden mehr gedemütigt fühle.

So liegen die ganzen sozialen Instinkte und Lebensgefühle des Mittelalters darin, wenn die Ausstattung der Zünfte mit öffentlicher Gewalt, im 13. Jahrhundert, zugleich die Unterstellung aller Arbeiter des gleichen Handwerks unter sie forderte: denn es wäre undenkbar gewesen, dass ein gewerbliches Gericht über jemanden gehalten würde, der nicht selbst Genosse der urteilenden Gerichtsgemeinde war.

Und genau das entgegengesetzte und genau so wenig auf einzelne Nützlichkeiten zurückzuführende Gefühl bewegt einige australische Horden, ihre Häuptlinge nicht selbst zu wählen, sondern sie sich von den Führern benachbarter Stämme wählen zu lassen - wie auch das bei einigen Naturvölkern kursierende Geld nicht von ihnen selbst fabriziert wird, sondern von auswärts eingeführt werden muss, so dass es hier und da eine Art Industrie ist, Geldzeichen (Muscheln etc.) herzustellen, die nach entfernteren Orten als deren Geld exportiert werden.

Im ganzen -, unter Vorbehalt vielfacher Modifikationen - wird eine Gruppe, je tiefer sie als Ganzes steht, je mehr jedes einzelne Mitglied an Unterordnung gewöhnt ist, es umso unlieber einem ihresgleichen gönnen, sie zu beherrschen; je höher sie als Ganzes steht, desto eher ordnet sie sich gerade nur einem ihrer Pairs unter.

Die Beherrschung durch den Gleichen ist dort schwierig, weil jeder tief steht, hier leichter, weil jeder hoch steht.

Die höchste Steigerung dieser Empfindung bot das Haus der Lords, das nicht nur von jedem Peer als sein einziger Richter anerkannt war, sondern im Jahr 1330 einmal die Insinuation ausdrücklich ablehnte, als wollte es noch andre Leute als die Peers aburteilen.

So entschieden ist also die Tendenz, sich nur von seinesgleichen richten zu lassen, dass sie schon rückläufig wirksam wird; sie besorgen, sich jemanden dadurch gleichzustellen, dass sie ihn richten! Logisch unrichtig, aber psychologisch durchaus tief und begreiflich, schließen sie: da unsresgleichen nur von uns selbst abgeurteilt ist, so wird jeder, den wir aburteilen, gewissermaßen unsresgleichen.

- Wie hier ein so entschiedenes Unterordnungs-Verhältnis, wie das des Gerichteten zu seinen Richtern, doch als eine gewisse Koordination empfunden wird, so umgekehrt manchmal Koordination als Unterordnung.

Und begrifflich wiederholt sich hier die Zweiheit - Trennung wie Verflechtung - angebbarer Vernunftgründe und dunkler Instinkte.

Der mittelalterliche Stadtbürger, mit seinen Rechten unter dem Adel, aber über dem Bauer stehend, weist gelegentlich den Gedanken allgemeiner Rechtsgleichheit von sich; denn er fürchtet, dass die Gleichstellung ihm mehr zu gunsten des Bauern raubte, als sie ihn dem Adel gegenüber gewinnen lässt.

Mehr als einmal begegnet dieser soziologische Typus: dass eine mittlere Schicht die Erhebung zu der höheren nur um den Preis erlangen kann, die tiefere sich zu koordinieren - diese Gleichstellung aber als eine solche Deklassierung ihrer selbst empfindet, dass sie eher die nur durch sie zu gewinnende Erhöhung preisgibt.

So empfinden die Kreolen im spanischen Amerika zwar heftige Eifersucht auf die aus Europa stammenden Spanier; aber noch stärkere Verachtung gegen Mulatten und Mestizen, Neger und Indianer.

Diese hätten sie sich koordinieren müssen, um sich ihrerseits den Spaniern gleichzustellen, und für ihr Rassengefühl wäre diese Koordination eine solche Degradierung gewesen, dass sie darum lieber auf die Gleichheit mit den Spaniern verzichteten.

Und noch abstrakter oder instinktiver drückt sich diese formale Kombination in der Äußerung H. S. Maines aus: Das Nationalitätsprinzip, wie es oft aufgestellt wird, scheine zu besagen, dass Menschen der einen Rasse unrecht geschieht, wenn sie mit Menschen der andern Rasse gemeinsame politische Einrichtungen haben sollen.

Wo also zwei verschiedene Sozialcharaktere vorliegen, A und B, da erscheint A dem B untergeordnet, sobald ihm die gleiche Konstitution wie diesem zugemutet wird, und sogar dann, wenn dieselbe inhaltlich durchaus keine Tieferstellung oder Unterordnung bedeutet.

Endlich hat die Unterordnung unter die ferner stehende Persönlichkeit die sehr wichtige Bedeutung: dass sie in demselben Maß die geeignetere ist, in dem der Kreis der Untergeordneten aus heterogenen, einander fremden oder entgegengesetzten Gliedern besteht.

Die Elemente einer Mehrheit, die einer höheren Persönlichkeit untersteht, verhalten sich wie die Einzelvorstellungen, die unter einen allgemeinen Begriff gehören.

Dieser muss um so höher und abstrakter sein, d. h. um so weiter von jeder einzelnen Vorstellung abstehen, je verschiedner untereinander alle diejenigen Vorstellungen sind, die er gleichmäßig unter sich zu befassen hat.

Der typischste Fall, der sich auf den verschiedensten Gebieten in immer gleicher Form darstellt, ist der der streitenden Parteien, die einen Schiedsrichter wählen.

Je ferner dieser der parteimäßigen Interessiertheit der einen wie der andern steht - indem ihm freilich, dem höheren Begriff analog, das beiden Gemeinsame, welches sowohl den Streit, wie die mögliche Versöhnung begründet, irgendwie einwohnen oder zugängig sein muss -, desto williger werden die Parteien sich seinem Spruch unterordnen.

Es gibt eine Schwelle der Differenz, über die hinaus diese nicht mehr die Begegnung der streitenden Parteien in einem noch so hoch gelegenen Einheitspunkt möglich ist.

Im Rückblick auf die bisherige Geschichte der gewerblichen Schiedsgerichte in England ist hervorgehoben worden, dass dieselben bei der Auslegung von Arbeitsverträgen und Gesetzen vortreffliche Dienste leisten.

Diese aber sind selten der Grund großer Streiks und Aussperrungen, bei denen es sich vielmehr um Versuche der Arbeiter oder Arbeitgeber handle, die Arbeitsbedingungen zu ändern.

Hier also, wo neue Grundlagen der Beziehungen zwischen den Parteien in Frage stehen, ist das Schiedsgericht nicht angebracht; die Spannung zwischen den Interessen ist so weit geworden, dass das Schiedsrichtertum unendlich hoch über ihnen liegen müsste, um sie zu umfassen und in sich zur Ausgleichung zu bringen - wie sich Begriffe mit so heterogenen Inhalten denken lassen, dass kein Allgemeinbegriff, der das Gemeinsame ihrer in sich schlösse, auffindbar ist.

Ferner ist es in dem Fall der streitenden Parteien, die sich der höheren Instanz eines Schiedsrichters unterwerfen sollen, von entscheidender Bedeutung, dass die Parteien koordiniert sein müssen.

Herrscht zwischen ihnen schon irgend ein Über- und Unterordnungsverhältnis, so wird dies gar zu leicht eine besondere, die Unparteilichkeit störende Beziehung des Richters zu einer von ihnen bewirken; selbst wenn er den sachlichen Interessenkreisen beider ganz fern steht, so wird er oft ein günstigeres Vorurteil für den Übergeordneten, manchmal auch ein solches für den Untergeordneten mitbringen.

Hier ist der Platz für Klassensympathien, die oft ganz unbewusst sind, weil sie mit dem gesamten Denken und Fühlen des Subjektes unablösbar verwachsen sind und gleichsam das A priori bilden, das seine scheinbar rein sachliche Erwägung des Falles formt; und die ihre Verflochtenheit mit dessen Wesenssystemen darin zeigen, dass das Bestreben, sie zu vermeiden, meistens nicht zu wirklicher Objektivität und Gleich gewicht, sondern zum Fall in das entgegengesetzte Extrem führt.

Auch reicht, wo die Parteien sich in sehr differenten Höhen und Machtlagen befinden, schon der Glaube an die Präjudiziertheit des Schiedsrichters - selbst wenn sie in Wirklichkeit gar nicht besteht - aus, um das ganze Verfahren illusorisch zu machen.

Bei Streitigkeiten zwischen Arbeitern und Unternehmern berufen die englischen Einigungskammern oft einen auswärtigen Fabrikanten zum Schiedsrichter.

Regelmäßig aber, wenn dessen Entscheidung gegen die Arbeiter ausfällt, beschuldigen diese ihn der Begünstigung seiner Klasse, so tadellos auch sein Charakter sein mag; umgekehrt, wenn etwa ein Parlamentarier berufen wird, so vermuten die Fabrikanten bei ihm eine Vorliebe für die zahlreichste Klasse seiner Wähler.

Deshalb wird eine vollkommen befriedigende Situation sich nur bei vollkommener Gleichstellung der Parteien ergeben - schon weil der Höherstehende sonst noch den Wucherzins seiner Stellung zu ernten pflegt, dass er auch für die Entscheidung zwischen ihm und dem Tieferstehenden die ihm genehme Persönlichkeit durchbringen wird.

Deshalb kann man auch umgekehrt schließen: die Ernennung eines unparteiischen Schiedsrichters ist immer ein Zeichen dafür, dass die Streitenden sich mindestens eine gewisse Koordination zuerkennen.

Gerade bei den freiwilligen englischen Schiedsgerichten, wo Arbeiter und Unternehmer sich vertragsmäßig dem Ausspruch des Schiedsrichters unterwerfen, der weder Unternehmer noch Arbeiter sein darf, konnte ersichtlich erst die seitens der Unternehmer den Arbeitern zuerkannte Gleichstellung jene bewegen, auf die Mitwirkung von ihresgleichen bei dem Austrag des Konflikts zu verzichten und diesen einem ganz Fernstehenden anzuvertrauen.

Endlich kann ein Beispiel von der größten materialen Verschiedenheit lehren, dass das gemeinsame Verhältnis mehrerer Elemente zu einem übergeordneten um so mehr eine Koordination zwischen diesen Elementen - bei allen sonst bestehenden Unterschieden, Fremdheiten, Entgegensetzungen - voraussetzt oder bewirkt, je höher die übergeordnete Potenz über ihnen steht.

Für die sozialisierende Bedeutung der Religion großer Kreise ist es offenbar sehr wichtig, dass Gott sich in einer bestimmten Distanz von den Gläubigen befindet.

Die unmittelbare, sozusagen lokale Nähe mit den Gläubigen, in der sich die göttlichen Prinzipien aller totemistischen und fetischistischen Religionen, aber auch der altjüdische Gott befinden, machen eine derartige Religion ganz ungeeignet, weite Kreise zu beherrschen.

Die ungeheure Höhe des christlichen Gottesbegriffs ermöglichte erst die Gleichheit der Ungleichen vor Gott; die Distanz gegen ihn war so unermesslich, dass die Unterschiede zwischen den Menschen daran verlöschten.

Das verhinderte nicht die Stufe der Herzensbeziehung zu ihm; denn hier lebten diejenigen Seiten des Menschen, in denen Vorausgesetztermassen alle Unterschiede der Menschen schwinden, die aber zu dieser Reinheit und diesem Eigenleben erst durch die Einwirkung jenes höchsten Prinzips und der Beziehung zu ihm gleichsam auskristallisierten.

Vielleicht aber konnte doch die katholische Kirche gerade nur so eine Weltreligion schaffen, dass sie diese Unmittelbarkeit noch unterbrach und Gott auch in dieser Beziehung dem einzelnen für sich allein unerreichbar hoch rückte.

In Hinsicht auf diejenigen gesellschaftlichen Strukturen, die durch die Überordnung einer Mehrheit, einer sozialen Gesamtheit über Individuen oder andere Gesamtheiten charakterisiert sind, fällt es zunächst auf, dass der Erfolg für den Untergeordneten sehr ungleichmäßig ist.

Das Höchste, was die spartanischen und thessalischen Sklaven wünschten, war, Sklaven des Staates statt einzelner zu werden.

In Preußen hatten es - vor der Emanzipation der Fronbauern - die auf den staatlichen Domänen sitzenden bei weitem besser, als die Privatbauern.

In den großen modernen Betrieben und Magazinen, wo keine sehr individuelle Herrschaft ist, sondern die entweder Aktiengesellschaften sind oder die gleiche unpersönliche Verwaltungstechnik besitzen, haben es die Angestellten besser als in den kleinen Geschäften, wo sie vom Besitzer persönlich ausgebeutet werden.

Dieses Verhältnis wiederholt sich, wo statt des Unterschiedes zwischen Individuen und Gesamtheiten der zwischen kleineren und größeren Gesamtheiten in Frage steht.

Das Schicksal Indiens ist unter der englischen Regierung ein bei weitem besseres, als unter der ostindischen Kompagnie.

Dabei ist es natürlich gleichgültig, ob diese größere Gesamtheit unter einem Einherrscher steht, wenn nur die Technik der von ihr ausgeübten Herrschaft den Charakter der Überindividualität im weitesten Sinne trägt: das Aristokratenregiment der römischen Republik hat die Provinzen bei weitem härter bedrückt, als das Kaisertum, das viel gerechter und objektiver war.

Einem größeren Kreise anzugehören pflegt auch für die in dienender Stellung Befindlichen das Günstigere zu sein.

Die Großgrundherrschaften, die im 7. Jahrhundert. im fränkischen Reiche aufkamen, schufen vielfach der inferioren Bevölkerung eine ganz neue, günstige Lage.

Der große Besitz ließ eine Organisierung und Differenzierung des Arbeitspersonals zu, innerhalb deren qualifizierte und als solche höher geschätzte Arbeit entstand und in der einzelnen Herrschaft dem Unfreien sozial höherzukommen gestattete.

Es ist ganz in diesem Sinne, wenn staatliche Strafgesetze oft milder sind, als die eximierter Kreise.

Nun aber verlaufen, wie angedeutet, mancherlei Erscheinungen genau entgegengesetzt.

Die Bundesgenossen Athens und Roms, die Territorien, die ehemals einzelnen Schweizer Kantonen unterworfen waren, wurden so grausam unterdrückt und ausgesogen, wie es unter der Tyrannis eines einzelnen Herrschers kaum hätte geschehen können.

Dieselbe Aktiengesellschaft, die infolge der Technik ihres Betriebes ihre Angestellten weniger ausbeutet, als der Privatunternehmer, darf in vielen Fällen, wo es sich etwa um Entschädigungen oder Unterstützungen handelt, nicht so liberal verfahren, wie der Privatmann, der niemandem Rechenschaft über seine Aufwendungen schuldig ist.

Und in bezug auf einzelne Impulse: die Grausamkeiten, die zum Vergnügen römischer Zirkusbesucher verübt wurden, und deren äußerste Verschärfung diese oft verlangten, würden wohl kaum viele von ihnen begangen haben, wenn der Delinquent ihnen von Einzelperson zu Einzelperson gegenübergestanden hätte.

Der prinzipielle Grund dieser verschiedenen Erfolge der Mehrzahlherrschaft über den ihr Untergeordneten liegt zunächst in dem Charakter der Objektivität, den sie trägt, in der Ausschaltung gewisser Gefühle, Gesinnungen, Impulse, die nur im individuellen Handeln der Subjekte, aber nicht, sobald sie kollektiv verfahren, wirksam werden.

Je nachdem nun die Lage des Untergeordneten innerhalb des gegebnen Verhältnisses und seiner einzelnen Inhalte durch die Objektivität oder durch die individuelle Subjektivität im Charakter des Verhältnisses günstig, bzw. ungünstig beeinflusst wird, werden sich jene Verschiedenheiten ergeben.

Wo der Untergeordnete seiner Situation nach der Mildtätigkeit, Selbstlosigkeit, Gnade des Übergeordneten bedarf, wird es ihm bei der objektiven Herrschaft einer Mehrzahl schlecht ergehen; bei Verhältnissen, wo gerade nur Gesetzlichkeit, Unparteiischkeit, Sachlichkeit seine Lage günstig bestimmen, wird eben diese Herrschaft für ihn die erwünschtere sein.

Es ist dafür bezeichnend, dass der Staat zwar den Verbrecher gesetzlich verurteilen, aber nicht begnadigen kann, und selbst in Republiken das Begnadigungsrecht Einzelpersonen vorbehalten zu sein pflegt.

Am wirkungsvollsten tritt dies an den materiellen Interessen von Gemeinschaften hervor, die nach dem schlechthin objektiven Prinzip: möglichst große Vorteile und möglichst geringe Opfer - dirigiert werden.

Eine Grausamkeit, wie sie von Individuen um der Grausamkeit willen geübt werden mag, liegt in der hier zu Tage tretenden Härte und Rücksichtslosigkeit durchaus nicht, sondern nur eine völlig konsequente Sachlichkeit - wie auch die Brutalität des insoweit unter dem gleichen Gesichtspunkt verfahrenden reinen Geldmenschen diesem selbst oft gar nicht als eine sittliche Verschuldung erscheint, da er sich doch nur eines streng logischen, die sachlichen Konsequenzen der Situation ziehenden Verhaltens bewusst ist.

Freilich bedeutet diese Objektivität des kollektiven Verfahrens vielfach nur das Negative, dass gewisse Normen, denen sich die Einzelpersönlichkeit sonst fügt, ausgeschaltet sind, und nur eine Form, diese Ausschaltung zu verdecken und das Gewissen über sie zu beruhigen.

Jeder einzelne, der an dem Entschluss beteiligt ist, kann sich dahinter zurückziehen, dass es eben ein Gesamtbeschluss war, und seine eigene Gewinnsucht und Brutalität damit maskieren, dass es nur der Vorteil der Gesamtheit war, den er verfolgt hat.

Dass der Besitz der Macht - und zwar einerseits der besonders schnell erworbene, andrerseits der besonders langdauernde - zu ihrem Missbrauchverleitet, gilt für Individuen nur mit vielen und leuchtenden Ausnahmen; wenn er aber für Körperschaften und Klassen nicht gilt, so haben es jedes Mal nur besonders glückliche Umstände verhindert.

Es ist sehr bemerkenswert, dass jenes Verschwinden des Einzelsubjekts hinter der Gesamtheit dem fraglichen Charakter des Verfahrens auch dann dient, bzw. ihn potenziert, wenn auch die unterworfene Partei eine Kollektivität ist.

Die psychologische Nachbildung des Leidens, das wesentliche Vehikel des Mitleids und der Milde, versagt leicht, wenn nicht ein benennbares oder anschauliches Individuum es zu tragen hat, sondern nur eine Gesamtheit, die als solche sozusagen keine subjektiven Zustände hat.

So ist bemerkt worden, das englische Gemeinwesen sei in seiner ganzen Geschichte charakterisiert durch eine außerordentliche Gerechtigkeit gegen Personen und eine ebenso große Ungerechtigkeit gegen Gesamtheiten.

Bei dem starken Gefühl für das Recht der Individualitäten ist nur durch jenen psychologischen Grund begreiflich, wie Dissenters, Juden, Iren, Indier, in früheren Perioden auch die Schotten, behandelt wurden.

Das Untertauchen der Persönlichkeitsformen und -normen in der Objektivität des Kollektivdaseins bestimmt, wie das Handeln, so auch das Leiden der Gesamtheiten.

Die Objektivität wirkt zwar in der Form des Gesetzes; wo dies aber nicht zwingend ist, und die persönliche Gewissenhaftigkeit an seine Stelle treten müsste, zeigt sich sehr häufig, dass diese eben kein kollektiv-psychologischer Zug ist; und dies um so entschiedner, wenn das Objekt des Verfahrens wegen eben desselben Kollektivcharakters nicht einmal Anregung gibt, jenen personalen Zug zu entfalten.

Die Missbräuche der Gewalt, z.B. in den amerikanischen Städteverwaltungen, würden ihre ungeheuren Dimensionen kaum erlangt haben, wenn die Herrschenden nicht Korporationen wären und die Beherrschten nicht Kollektivitäten; es ist deshalb bezeichnend, dass man diesen Missbräuchen manchmal zu steuern glaubte, indem man die Macht des Mayor sehr vermehrte - damit irgend jemand da sei, den man persönlich verantwortlich machen konnte!

Als eine Ausnahme von der Objektivität der Vielheitsaktionen, die aber in Wirklichkeit nur eine tiefere Begründung der Regel darstellt, tritt das Verhalten einer Masse auf, das ich an dem römischen Zirkuspublikum exemplifizierte.

Es besteht nämlich ein grundlegender Unterschied zwischen dem Wirksamkeitscharakter einer Vielheit als eines einheitlichen, gleichsam eine Abstraktion verkörpernden Sondergebildes - Wirtschaftsgenossenschaft, Staat, Kirche, alle Vereinigungen, die wirklich oder gleichnisweise als juristische Personen zu bezeichnen sind - auf der einen Seite, und dem einer Vielheit als aktuell zusammen befindlicher Menge auf der andern.

Die hier wie dort erfolgende Aufhebung der individuellpersonalen Differenziertheit führt nämlich in dem ersten Falle dazu, dass die sozusagen oberhalb des Individualcharakters gelegenen Züge hervortreten, in dem andern aber die unterhalb dieses ruhenden.

Innerhalb einer sich sinnlich berührenden Menschenmenge nämlich gehen unzählige Suggestionen und nervöse Beeinflussungen hin und her, die dem einzelnen die Ruhe und Selbständigkeit des Überlegens und Handelns rauben, so dass die flüchtigsten Anregungen innerhalb einer Menge oft lawinenartig zu den unverhältnismäßigsten Impulsivitäten anschwellen und die höheren, differenzierten, kritischen Funktionen wie ausgeschaltet sind.

Daher lacht man im Theater und in Versammlungen über Scherze, die uns im Zimmer sehr kühl lassen würden, daher gelingen die spiritistischen Manifestationen am besten in »Zirkeln«, daher erreichen Gesellschaftsspiele in der Regel den größten Fröhlichkeitserfolg, je tiefer ihr geistiges Niveau ist; daher das rasche, sachlich ganz unbegreifliche Umschlagen der Stimmung in einer Masse, daher die unzähligen Beobachtungen über die Incorpore-Dummheit, die vielleicht mit der Äußerung des Solon beginnen: jeder Athener sei für sich ein schlauer Fuchs, aber auf der Pnyx bildeten sie eine Hammelherde.

Ich schiebe diese Paralysierung der höheren Eigenschaften, dieses widerstandslose Sichmitreissenlassen, wie gesagt, auf die unberechenbare Zahl von Einflüssen und Eindrücken, die sich in einer Menge zwischen jedem und jedem kreuzen, sich stärken, sich brechen, sich ablenken, sich reproduzieren.

Durch diese Wirrnis minimaler Anregungen unterhalb der Bewußtseinsschwelle entsteht einerseits auf Kosten der klaren und konsequenten Verstandestätigkeit eine große nervöse Aufgeregtheit, in der die dunkelsten, primitivsten, sonst beherrschten Instinkte der Naturen erwachen, andrerseits eine hypnotische Paralyse, die die Menge jedem führenden, suggestiven Impuls bis ins Extrem folgen lässt.

Dazu tritt der Machtrausch und die individuelle Verantwortungslosigkeit des einzelnen in einer aktuell kooperierenden Menge, wodurch die sittlichen Hemmungen der niedrigen und brutalen Triebe ausfallen.

Daraus erklärt sich hinreichend die Grausamkeit der Mengen, mögen es römische Zirkusbesucher oder mittelalterliche Judenhetzer oder amerikanische Negerlyncher sein, und das schlimme Los derer, die einer aktuellen Menge unterworfen sind.

Freilich zeigt sich auch hier die typische Doppelheit im Erfolge dieses soziologischen Unterordnungsverhältnisses: der Impulsivität und Suggestibilität der Menge kann sie gelegentlich Anregungen der Großmut und des Enthusiasmus folgen lassen, zu denen sich gleichfalls der einzelne aus ihr sonst nicht aufschwingen würde.

Der letzte Grund der Gegensätzlichkeiten innerhalb dieser Konfiguration ist so zu formulieren, dass zwischen dem Individuum mit seinen Situationen und Bedürfnissen auf der einen Seite und all den über- oder unterindividuellen Gebilden und innerlich-äußerlichen Verfassungen, die die Kollektivierung mit sich bringt, auf der anderen, kein prinzipielles und konstantes, sondern ein variables und zufälliges Verhältnis besteht.

Wenn also die abstrakten sozialen Einheiten sachlicher, kühler, konsequenter verfahren, als ein einzelner, wenn umgekehrt konkret zusammenbefindliche Mengen impulsiver, besinnungsloser, extremer handeln, als jedes ihrer Individuen für sich es täte, so kann jeder dieser Fälle für den einer solchen Vielheit Unterworfnen der günstigere, er kann aber auch der ungünstigere sein.

Diese Zufälligkeit ist sozusagen nichts Zufälliges, sondern der logische Ausdruck der Inkommensurabilität zwischen den spezifisch individuellen Lagen, um die und deren Bedürfnisse es sich hier handelt, und den Gebilden und Stimmungen, die das Miteinander und Nebeneinander der Vielen beherrschen oder die diesem dienen.

Bei diesen Unterordnungen unter eine Mehrheit waren die einzelnen Elemente der Mehrheit einander koordiniert, oder wenigstens wirkten sie in der hier in Betracht kommenden Hinsicht so, als wären sie koordiniert.

Es ergeben sich nun neue Erscheinungen, sobald die übergeordnete Mehrheit nicht als eine Einheit aus gleichartigen Elementen auftritt: die Übergeordneten können dabei entweder einander entgegengesetzt sein, oder sie können eine Reihe bilden, in der der Übergeordnete seinerseits wieder einem höheren untergeordnet ist.

Ich betrachte zunächst den ersteren Fall, dessen Arten sich an der Mannigfaltigkeit seiner Folgen für den Untergeordneten aufzeigen lassen.

Wenn jemand mehreren Personen oder Gruppen in totaler Weise untertan ist, d.h. so, dass er keine Spontaneität in das Verhältnis einzusetzen hat, sondern von jedem der Übergeordneten völlig abhängig ist - so wird er unter der Entgegengesetztheit derselben schwer leiden.

Denn jeder wird ihn und seine Kräfte und Dienste ganz beanspruchen und wird ihn andrerseits doch für dasjenige, was er auf die zwingende Veranlassung des anderen hin tut, so verantwortlich machen, als wäre es spontan.

Dies ist die typische Situation des »Dieners zweier Herren«, sie tritt an Kindern auf, die zwischen ihren in Konflikt befindlichen Eltern stehen, bis zu der Situation eines kleinen Staates, der von zwei mächtigen Nachbarstaaten gleichmäßig abhängig ist und deshalb in einem Konfliktfalle zwischen diesen oft von jedem für dasjenige verantwortlich gemacht werden wird, wozu ihn sein Abhängigkeitsverhältnis zum anderen zwingt.

Ist dieser Konflikt der einzelnen untergeordneten Kreise ganz verinnerlicht, wirken diese als ideale, sittliche Mächte, die ihre Forderungen im Inneren des Menschen selbst stellen, so erscheint der Fall als »Konflikt der Pflichten«.

jener äußerlichere Widerstreit entsteht sozusagen nicht aus dem Subjekte selbst, sondern nur an ihm, dieser aber bricht aus, indem aus der Seele heraus das sittliche Bewusstsein nach zwei verschiedenen Seiten, zum Gehorsam gegen zwei einander ausschließende Mächte strebt.

Während der erstere also prinzipiell die Spontaneität des Subjekts ausschließt und, wenn diese einträte, in der Regel rasch beendet sein könnte, liegt dem Konflikt der Pflichten grade die vollste Freiheit des Subjekts zugrunde, die allein die Anerkennung der beiden Ansprüche als sittlich verpflichtender tragen kann.

Indes hindert ersichtlicherweise dieser Gegensatz nicht, dass der Widerstreit zweier, unsern Gehorsam fordernder Mächte beide Formen zu gleicher Zeit gewinnen kann.

Solange ein Konflikt rein äußerlich ist, ist er am schlimmsten, wenn die Persönlichkeit schwach ist, wird er aber innerlich, so wird er am zerstörendsten, wenn sie stark ist.

An die Rudimentärformen solcher Konflikte, die unser Leben im großen wie im kleinen durchziehen, sind wir derartig angepasst, wir finden uns durch Kompromisse und Teilung unserer Leistungen so instinktiv mit ihnen ab, dass sie uns in den meisten Fällen überhaupt nicht als Konflikte zum Bewusstsein kommen.

Wo dies aber geschieht, pflegt sich eine Unlösbarkeit dieser Situation, ihrer reinen soziologischen Form nach, sichtbar zu machen, wenn auch ihre zufälligen Inhalte eine Glättung und Versöhnung gestatten.

Denn solange der Streit von Elementen dauert, deren jedes den vollen Anspruch auf ein und dasselbe Subjekt erhebt, wird keine Teilung von dessen Kräften jenen Forderungen genügen, ja, meistens wird nicht einmal die relative Lösung durch solche Teilung möglich sein, weil Farbe bekannt werden muss und die einzelne Handlung vor einem unbeugsamen pro oder contra steht.

Zwischen dem religiös umkleideten Anspruch der Familiengruppe, die die Bestattung des Polyneikes fordert, und dem staatlichen Gesetz, das sie verbietet, gibt es für Antigone kein differenzierendes Kompromiss; nach ihrem Tode stehen sich die Gegensätze ihrem inneren Sinne nach genau so hart und unversöhnt gegenüber, wie am Anfang der Tragödie und erweisen damit, dass keinerlei Verhalten oder Schicksal des ihnen Unterworfenen den Konflikt aufheben kann, den sie in ihn projizieren.

Und selbst wo die Kollision nicht zwischen jenen Mächten selbst, sondern nur in dem beiden folgsamen Subjekt zustande kommt und so eher durch eine Teilung von dessen Leistung zwischen ihnen zu schlichten scheint - ist es nur der glückliche, aus dem Inhalt der Situation folgende Zufall, der diese Lösung ermöglicht.

Der Typus ist hier: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist; aber wenn man nun gerade der Münze, die der Kaiser beansprucht, für ein gottgefälliges Werk bedarf? Die bloße gegenseitige Fremdheit und Nicht-Organisiertheit der Instanzen, von denen ein Individuum zugleich abhängig ist, reicht aus, um seine Situation zu einer prinzipiell widerspruchsvollen zu machen.

Und dies um so mehr, je mehr der Konflikt in das Subjekt hinein verinnerlicht ist und aus den idealen Forderungen erwächst, die von dem eignen Pflichtbewusstsein leben.

In den beiden oben herangezogenen Beispielen ruht der subjektiv sittliche Akzent doch im wesentlichen auf der einen Seite des Gegensatzes, und der andern ist das Subjekt mehr durch eine äußere Unvermeidlichkeit untertan.

Sind aber beide Forderungen vom gleichen inneren Gewicht, so hilft es uns wenig, aus der besten Überzeugung uns für die eine zu entscheiden oder unsere Kräfte zwischen ihnen zu teilen.

Denn die - ganz oder teilweise - unerfüllte wirkt trotzdem mit ihrem ganzen Schwergewicht nach, ihr unerfülltes Quantum macht uns für sich voll verantwortlich, auch wenn es äußerlich unmöglich war, ihm zu genügen und wenn unter den gegebenen Umständen diese Lösung die sittlich richtigste war.

Jede wirklich sittliche Forderung hat etwas Absolutes, das sich mit einer relativen Erfüllung, die das Bestehen einer anderen ihr allein zubilligt, nicht begnügt.

Auch hier, wo wir uns keiner anderen Instanz, als dem persönlichen Gewissen zu beugen brauchen, sind wir nicht besser daran, wie in dem äußerlichen Fall der einander widerstreitenden Bindungen, deren keine uns einen Vorbehalt zu Gunsten der andern gestattet.

Auch innerlich kommen wir nicht zur Ruhe, solange eine sittliche Notwendigkeit unrealisiert geblieben ist, gleichviel, ob wir ihr gegenüber ein reines Gewissen haben, weil wir wegen des Bestehens einer andern - die im gleichen Sinne über ihre Verwirklichungsmöglichkeit hinauswirkt - ihr nicht mehr geben konnten, als wir taten.

Bei der Unterordnung unter äußere, einander entgegengesetzte oder fremde Mächte wird die Position des Untergeordneten freilich eine völlig andre, sobald er nur irgend eine Spontaneität besitzt, irgend eine eigne Macht in das Verhältnis einzusetzen hat.

Hier tritt in den mannigfaltigsten Ausgestaltungen die Situation: duobus litigantibus tertius gaudet - auf.

Ich erinnere nur an die Macht kleiner Staaten und kleiner Parteien, die ihnen dadurch zuwächst, dass größere Mächte, deren jede jenen überlegen ist, untereinander in Konflikt geraten.

Stehen dann die Kräfte dieser sich gleich, so kann ein an sich schwaches Element, zu einer von beiden hinzutretend, den Ausschlag zu ihren Gunsten geben, durch die Konkurrenz jener beiden um seinen Beitritt erhält dieses Element eine Bedeutung, die ihm bei friedlichem Vertragen der beiden mächtigeren niemals zugekommen wäre.

Im übrigen gehört die allgemeine soziologische Form des tertius gaudens in ein andres soziologisches Kapitel.

Hier seien nur einige seiner Anwendungen für den Fall der Unterordnung des tertius und auch für die Eventualität angeführt, dass kein Streit, sondern nur gegenseitige Fremdheit der höheren Instanzen vorliegt.

Für das vorhandne Freiheitsquantum des Untergeordneten pflegt die Situation einen Wachstumsprozess einzuleiten, der manchmal bis zur Lösung der Unterordnung überhaupt geht.

Ein wesentlicher Unterschied des mittelalterlichen Unfreien vom Vasallen bestand darin, dass jener nur einen Herrn hatte und haben konnte; dieser aber konnte von verschiedenen Herrn Land nehmen und ihnen den Diensteid leisten.

Durch diese Möglichkeit, sich in verschiedne Lehensverhältnisse zu begeben, gewann der Vasall dem einzelnen Lehensherrn gegenüber einen starken Rückhalt und Unabhängigkeit, die prinzipielle Unterordnung der Vasallenstellung wurde dadurch sehr erheblich ausgeglichen.

Eine formal ähnliche Lage schafft der Polytheismus für das religiöse Subjekt.

Obgleich dieses sich von einer Mehrheit göttlicher Mächte beherrscht weiß, so kann es doch - vielleicht nicht ganz logisch klar, aber auf dieser Stufe psychologisch tatsächlich - sich von dem unzugänglichen oder ohnmächtigen Gotte zu einem andern, chancenreicheren wenden; noch im heutigen Katholizismus sagt der Gläubige oft dem einen Heiligen ab, der seine besondre Adoration nicht belohnt hat, um diese einem andern zu widmen - obgleich er die weiterwirkende Macht auch jenes über ihn prinzipiell nicht leugnen könnte.

Insofern das Subjekt mindestens eine gewisse Wahl zwischen den Instanzen über ihm hat, gewinnt es jeder gegenüber, ja für sein Gefühl vielleicht ihrer Gesamtheit gegenüber eine gewisse Unabhängigkeit, die ihm da versagt bleibt, wo die gleiche Summe religiöser Abhängigkeit in einer einzigen Gottesvorstellung sozusagen unentrinnbar vereinigt ist.

Und dies ist auch die Form, in der der moderne Mensch eine bestimmte Unabhängigkeit auf wirtschaftlichem Gebiet gewinnt.

Er ist, besonders der Großstädter, von der Summe seiner Lieferanten unendlich viel abhängiger, als es der Mensch in mehr naturwirtschaftlichen Zuständen ist.

Allein da er eine kaum begrenzte Möglichkeit besitzt, zwischen den Lieferanten zu wählen, bzw. zwischen ihnen zu wechseln, so hat er jedem gegenüber eine Freiheit, die mit der des Menschen in einfacheren oder kleinstädtischen Verhältnissen gar nicht zu vergleichen ist.

Die Souveränität, mit der das »Publikum« heute dem Kaufmann seine Bedingungen auferlegt, bedeutet nur diese Unabhängigkeit von dem einzelnen Mitglied eines Standes, von dessen Gesamtheit es doch völlig abhängig ist.

Dieselbe Formbestimmtheit des Verhältnisses ergibt sich, wenn die Divergenz der Übergeordneten sich im Nacheinander statt im Nebeneinander entfaltet.

Hier bieten sich nun je nach den historischen Inhalten und Sonderbedingungen die mannigfaltigsten Abwandelungen dar, in denen allen das gleiche Formphänomen lebt.

Der römische Senat war den hohen Beamten gegenüber formell sehr abhängig.

Da diese aber eine kurze Amtsdauer hatten, der Senat aber seine Mitglieder dauernd behielt, so wurde die Macht des Senates dadurch in Wirklichkeit eine weit größere, als sich aus seinem gesetzlichen Verhältnis zu jenen Herrschaftsträgern ablesen ließ.

Aus dem prinzipiell gleichen Motiv vollzog sich der Machtzuwachs der Commons gegenüber der englischen Krone seit dem 14. Jahrhundert.

Die dynastischen Parteien waren noch im stande, die Wahlen im Sinne des Royalismus oder der Reform, zu Gunsten von York oder von Lancaster zu bestimmen.

Allein unter all diesen Machterweisen der Herrscher beharrte eben doch das Haus der Gemeinen als solches und erwarb damit grade wegen jener Schwankungen und Windwechsel in den obersten Regionen eine Festigkeit, Kraft und Unabhängigkeit, die es vielleicht bei ungestörter Einheit in den Richtungen des höchsten Regiments nie gewonnen hätte.

Entsprechend hat man das Wachstum des demokratischen Bewusstseins in Frankreich mit daraus hergeleitet, dass seit dem Sturze Napoleons I. wechselnde Regierungsgewalten rasch einander folgten, jede unfähig, unsicher, um die Gunst der Massen buhlend, wodurch dann jedem Bürger seine soziale Bedeutung recht zum Bewusstsein kommen musste.

Obgleich er jeder einzelnen dieser Regierungen an sich untergeordnet war, so empfand er sich doch als stark, weil er das dauernde Element in all dem Wechsel und Gegensatz der Regierungen war.

Die Macht, welche einem Element eines Verhältnisses durch die bloße Tatsache seines Beharrens gegenüber seinen variabeln Mit-Elementen zuwächst, ist eine so allgemeine, formale Konsequenz, dass ihre Ausnützung durch das in irgend einem Verhältnis untergeordnete Element nur als ein Spezialfall verstanden werden darf.

Sie gilt nicht weniger für den Übergeordneten: anhebend von der ungeheuren Prärogative, die »der Staat« und »die Kirche« schon durch ihre bloße Stabilität gegenüber der Kurzlebigkeit der von ihnen Beherrschten gewinnen, bis zu einer so singulären Tatsache, dass die Häufigkeit des Kindbettfiebers im Mittelalter die Souveränität des Mannes im Hause außerordentlich hob.

Denn der Erfolg jener war, dass die meisten kräftigen Männer mehrere Frauen hintereinander hatten und dadurch die hausherrliche Macht sich sozusagen in einer Person akkumulierte, während die hausfrauliche sich auf mehrere, einander ablösende, verteilte. -

Durchweg scheinen die Phänomene der Überordnung und Unterordnung, auf einer gewissen hohen Stufe ihrer Allgemeinheit, für den Untergeordneten völlig entgegengesetzte Folgen zu entfalten.

Überall aber hat die nähere Spezialisierung, ohne den Charakter der beliebigen Inhalten sich darbietenden Form aufzugeben, uns die Gründe dieser Entgegengesetztheit auf dem Boden des gleichen allgemeinen Typus erkennen lassen.

Nicht anders verhält es sich bei der zweiten jetzt fraglichen Kombination: dass eine Mehrzahl von übergeordneten Instanzen, statt einander fremd oder feindlich zu sein, untereinander selbst übergeordnet und untergeordnet sind.

Das Entscheidende ist hier, ob der Untergeordnete noch ein unmittelbares Verhältnis zu dem Höchststehenden von den ihm Übergeordneten besitzt, oder ob die dazwischengeschobene Instanz, die zwar ihm übergeordnet, jener höchsten aber untergeordnet ist, ihn von der letzteren abtrennt und so de facto die übergeordneten Elemente ihm gegenüber allein vertritt.

Fälle der ersteren Art schuf der Feudalismus, in dem derjenige, der dem größeren Vasallen untertan war, doch zugleich der Untertan des obersten Herrscherhauses blieb.

Ein sehr reines Bild hiervon gewährt der englische Feudalismus zur Zeit Wilhelms des Eroberers, den Stubbs so schildert: All men continued to be primarily the king's men and the public peace to be his peace.

Their lords might demand their service to fulfil their own obligations, but the king could call them to the fyrd, summon them to his courts, and tax them without the intervention of their lords, and to the king they could look for protection against all foes.

So ist die Lage des Untergeordneten seinem Übergeordneten gegenüber eine günstige, wenn dieser letztere seinerseits einem Höheren untergeordnet ist, an dem der erstere eine Deckung hat.

Auch ist dies die eigentlich natürliche Folge der hier vorliegenden soziologischen Konfiguration.

Da in der Regel irgendwelche Gegnerschaft und Kompetenzstreitigkeit zwischen den in der Skala der Überordnungen benachbarten Elementen stattfindet, so ist das mittlere Element oft in Konflikt sowohl mit dem höheren wie mit dem tieferen.

Und dass gemeinsame Gegnerschaft auch die sonst divergentesten und durch kein andres Mittel zu vereinheitlichenden Elemente zusammenbindet, ist eine der typischen formalen Regeln, die sich auf allen überhaupt bestehenden Gebieten des gesellschaftlichen Lebens bewährt.

Eine Nuance hiervon wird für das vorliegende Problem besonders wichtig: schon im frühen Orient ist es der Ruhm eines Herrschers, sich der Sache des Schwachen anzunehmen, der von einem Stärkeren bedrückt wird, - sei es auch nur, weil er sich damit als der Mächtigere über dem Mächtigen erweist.

In Griechenland kommt es vor, dass eine bisher herrschende Oligarchie eben die selbe Persönlichkeit mit dem Namen eines Tyrannen brandmarkt, den die unteren Massen als ihren Be freier von Tyrannei verehren, wie es Euphron von Sikyon widerfuhr.

Es bedarf kaum der Wiederholung des Hinweises auf die Häufigkeit, mit der das Motiv: dass die unteren Massen in ihrem Kampf gegen die Aristokratie vom Herrscher unterstützt werden - in der Geschichte wiederkehrt.

Ja, selbst wo diese unmittelbare Beziehung zwischen der höchsten und der tiefsten Stufe der sozialen Skala zum Zweck des Niederhaltens der mittleren nicht vorhanden ist, wo vielmehr die niedrigste und die mittlere gleichmäßig von der obersten unterdrückt werden, hat die bloße Tatsache, dass eben doch auch der mittleren dies widerfährt, mindestens eine psychologische, gefühlsmäßige Erleichterung der tiefsten zur Folge.

Bei manchen afrikanischen und asiatischen Völkern gestaltet sich die Polygamie so, dass nur eine der Frauen als die eigentliche, erste oder legitime Frau gilt, und die andern ihr gegenüber eine untergeordnete oder dienende Stellung haben.

Dabei aber ist jene dem Manne gegenüber keineswegs besser situiert: für ihn ist sie genau so Sklavin wie die andern auch.

Solche Lage: dass der im Verhältnis zwischen zweien Übergeordnete unter dem gleichen Druck von oben her steht, wie der ihm Untergeordnete selbst - bringt, wie der Typus Mensch nun einmal angelegt ist, für den letzteren zweifellos eine größere Erträglichkeit des Druckes mit sich.

Irgend eine Genugtuung pflegt der Mensch aus der Unterdrückung des Unterdrückers zu ziehen, irgend ein Superioritätsgefühl pflegt von ihm aus zu dem Herrn seines Herrn empor zureichen, auch wo diese soziologische Konstellation keinerlei reale Hebung des Druckes für ihn bedeutet.

Wo nun Inhalt oder Form des soziologischen Aufbaus die Berührung zwischen der höchsten und der tiefsten Schicht zu gemeinsamer Gegnerschaft gegen die mittlere ausschließt und eine sich nicht zurückbiegende Kontinuität zwischen oben und unten stattfindet, wird der Raum für ein typisches soziologisches Ereignis frei, das man als Abwälzung des Druckes bezeichnen kann.

Gegenüber dem einfachen Fall, dass ein Mächtiger seine Position zur Ausbeutung eines Schwächeren ausnutzt, handelt es sich hier darum, dass er eine Verschlechterung seiner Position, gegen die er sich nicht wehren kann, auf einen Wehrlosen überträgt und sich dadurch im status quo ante zu erhalten sucht.

Der Detaillist wälzt die Schwierigkeiten, die ihm durch die Ansprüche und Launen des Publikums entstehen, auf den Großkaufmann ab, dieser auf den Fabrikanten, dieser auf seine Arbeiter.

In jeder Hierarchie bewegt sich ein neuer Druck oder Zumutung längs der Linie des geringsten Widerstandes, welche schließlich, wenn auch nicht der Erscheinung oder dem ersten Stadium nach, die nach unten laufende zu sein pflegt.

Dies ist die Tragödie des Tiefsten in jeder sozialen Ordnung.

Er hat nicht nur unter den Entbehrungen, Anstrengungen und Zurücksetzungen zu leiden, deren Summe eben seine Stellung charakterisiert, sondern jeder neue Druck, der die ihm übergeordneten Schichten an irgend einer Stelle trifft, wird, wenn es technisch irgend möglich ist, nach unten weitergegeben und macht erst an ihm Halt.

Die irischen Agrarzustände geben ein sehr reines Beispiel.

Der englische Lord, der ein Gut in Irland besaß, es aber nie besuchte, verpachtete es an einen Oberpächter, dieser wieder an kleinere Pächter usw., so dass der arme Bauer sein bisschen Acker oft vom 5. oder 6. Middleman pachten musste.

Dadurch kam es zunächst vor, dass er für einen Acker 6 Pf. Sterling bezahlen musste, von denen der Besitzer nur 10 Schilling erhielt; weiterhin aber kam jede Erhöhung des Pachtzinses um einen Schilling, die der Besitzer dem Pächter, mit dem er unmittelbar verhandelte, auferlegte, nicht als Erhöhung um einen Schilling, sondern um das 12fache davon an den Bauern.

Denn es liegt auf der Hand, dass die ursprüngliche Vermehrung des Druckes nicht in ihrer absoluten Größe, sondern in der relativen abgewälzt wird, welche dem sonst schon bestehenden Maß der Gewalt des Höheren über den Tieferen entspricht.

So mag der Verweis, den ein Beamter von seinem Vorgesetzten erhält, sich in den gemäßigten Ausdrücken der höheren Bildungsschicht halten; dieser Beamte aber wird vielleicht seinem Verdruss darüber schon durch ein grobes Anschreien seines Subalternen äußern, und dieser prügelt im Ärger darüber seine Kinder um einer sonst ganz folgenlosen Veranlassung willen durch.

Während die besonders ungünstige Lage des untersten Elementes in einer mehrgliedrigen Über- und Unterordnungsreihe darauf beruht, dass deren Struktur ein gewisses kontinuierliches Gleiten des Druckes von oben nach unten zulässt, führt eine formal ganz anders aussehende zu ganz ähnlichen Ergebnissen für den Tiefstehenden, insoweit auch sie jene Verbindung mit dem höchsten Element vernichtet, die sein Rückhalt gegen die mittlere Schicht war.

Wenn sich nämlich diese letztere so breit und mächtig zwischen die beiden andren schiebt, dass alle Maßregeln der höchsten Instanz zugunsten der tiefsten durch die mittlere, die im Besitz von Herrschaftsfunktionen ist, hindurchgeleitet werden müssen, so bringt dies leicht, statt einer Verbindung zwischen oben und unten, eine Abschnürung zwischen ihnen zuwege.

Solange Gutsuntertänigkeit bestand, war der Adel ein Träger der Verwaltungsorganisation des Staates, er übte seinen Untertanen gegenüber richterliche, ökonomische, steuerliche Funktionen, ohne die der damalige Staat nicht hätte bestehen können, und band allerdings auf diese Weise die untertänigen Massen an das allgemeine Interesse und die höchste Macht.

Da nun aber der Adel noch Privatinteressen hat, in denen er den Bauern für sich ausnutzen will, so benutzt er dazu jene Stellung als Verwaltungsorgan zwischen Regierung und Bauern und annulliert tatsächlich sehr lange diejenigen Maßregeln und Gesetze, durch die die Regierung sich unmittelbar des Bauern annehmen möchte - was sie sehr lange eben nur durch den Adel hindurch kann.

Es liegt auf der Hand, dass diese isolierende Schichtungsform nicht nur das unterste, sondern auch das oberste Glied der Reihe schädigt, denn ihr entgehen die von jener nach oben strömenden Kräfte.

So wurde das deutsche Königtum im Mittelalter dadurch außerordentlich geschwächt, dass der aufkommende niedere Adel nur dem Hochadel verpflichtet, weil nur von ihm belehnt war.

Das Mittelglied des hohen Adels schnürte den niederen schließlich ganz von der Krone ab.

Der Erfolg dieser Struktur, mit ihren Scheidungen und Vereinigungen, hängt übrigens für das unterste Glied natürlich von der Tendenz ab, die die oberen Glieder ihm gegenüber besitzen.

Durch Modifikationen dieser kann, im Gegensatz zu den bisher beobachteten Erscheinungen, die Abtrennung durch das Mittelglied ihm günstig, das Übergreifen über dieses hinweg ihm ungünstig sein.

Der erstere Fall trat in England seit Eduard I. ein, als die Ausübung der Gerichts-, Finanz- und Polizeihoheit allmählich in gesetzlichem Auftrag an die in den Grafschafts- und Stadtverbänden organisierten besitzenden Klassen überging.

Diese übernahmen als Gesamtheiten den Schutz des einzelnen gegen die absolute Gewalt.

Indem die kommunalen Einheiten sich im Parlament zusammenfassten, wurden sie zu jenem Gegengewicht der obersten Gewalt, das den schwachen Einzelnen gegen gesetzlose und ungerechte Übergriffe des Staatsregimentes deckte.

Umgekehrt verlief der Prozess im Frankreich des ancien régime.

Hier war der Adel von jeher aufs engste mit dem lokalen Kreise verbunden, in dem er verwaltete und herrschte und dessen Interessen er der Zentralregierung gegenüber vertrat.

In dieses Verhältnis zwischen Adel und Bauer drängte sich nun der Staat und nahm jenem allmählich seine Herrschaftsfunktionen ab: die Rechtsprechung wie die Armenpflege, die Polizei wie den Wegebau.

Mit diesem zentralistischen Regime, das nur auf Herausziehen von Geld gerichtet war, wollte der Adel nichts zu tun haben, er zog sich von seinen sozialen Aufgaben zurück und überließ den Bauer den königlichen Intendanten und Delegierten, die nur an die Staatskasse oder auch an die eigne dachten und den Bauern von seinem ursprünglichen Rückhalt am Adel völlig abdrängten.

Ich komme nun endlich zu dem dritten Formtypus: in dem die Unterordnung weder unter einen einzelnen, noch unter eine Mehrheit, sondern unter ein unpersönliches, objektives Prinzip stattfindet.

Dass hier eine eigentliche Wechselwirkung, zum mindesten eine unmittelbare, ausgeschlossen ist, scheint dieser Unterordnungsform das Element der Freiheit zu nehmen.

Wer einem objektiven Gesetz untergeordnet ist, fühlt sich von diesem bestimmt, er selbst aber bestimmt jenes in keiner Weise, er hat keine Möglichkeit, in einer das Gesetz selbst treffenden Weise darauf zu reagieren, wie doch der armseligste Sklave es noch immer in irgend einem Maße seinem Herrn gegenüber kann.

Denn wer dem Gesetze etwa nicht gehorcht, ist ihm insofern überhaupt nicht real untergeordnet, und wenn er das Gesetz abändert, so ist er dem alten Gesetz gar nicht, dem neuen aber wieder in jener schlechthin unfreien Weise untergeordnet.

Dennoch ist für den modernen, objektiven Menschen, der das Gebiet spontaner Wirksamkeit und das des Gehorsams auseinander zuhalten weiß, die Unterordnung unter ein Gesetz, das von unpersönlichen, unbeeinflussbaren Mächten exekutiert wird, der würdigere Zustand.

Anders aber, wo die Persönlichkeit ihr Selbstgefühl nur bei jener vollen Spontaneität bewahren konnte, die auch bei voller Unterordnung noch immer mit der Gegenwirkung von Person zu Person verbunden ist.

Darum erfuhren noch die Fürsten des 16. Jahrhundert in Frankreich, Deutschland, Schottland, den Niederlanden oft erheblichen Widerstand, wenn sie durch gelehrte Substitute oder durch Verwaltungskörper, also mehr nach Gesetzen, regieren ließen.

Der Befehl wurde als etwas Persönliches empfunden; Gehorsam wollte man ihm nur aus persönlicher Hingabe leisten, die bei aller Unbedingtheit doch immer die Form einer freien Gegenseitigkeit hat.

Fast in die Karikatur schlägt dieser leidenschaftliche Personalismus des Unterordnungsverhältnisses um, wenn aus Spanien am Beginn der Neuzeit berichtet wird: ein verarmter Adeliger, der in einem großen Hause Koch oder Lakai wurde, verlor damit seinen Adel nicht definitiv - dieser schlief nur und konnte, bei einer günstigen Wendung des Schicksals, wieder geweckt werden.

War ein solcher Edelmann aber einmal Handwerker geworden, so war sein Adel vernichtet.

Der modernen Empfindung, die die Leistung und die Person sondert und deshalb in einer möglichsten Objektivität des Abhängigkeitsinhaltes die persönliche Würde am besten gewahrt sieht, widerspricht dies unmittelbar: ein amerikanisches Mädchen etwa, das ohne jedes Gefühl von Entwürdigung in einer Fabrik arbeiten würde, käme sich als Köchin in einer Familie völlig deklassiert vor.

Und schon im 13. Jahrhundert enthalten in Florenz die unteren Zünfte die Beschäftigungen im unmittelbaren Dienste von Personen: Schuster, Gastwirte, Schullehrer, während die zwar noch immer dem Publikum Dienenden, aber doch Objektiveren, von der Einzelperson Unabhängigeren, die höheren Zünfte bilden, wie Tuchmacher und Krämer.

In Spanien aber, wo die ritterlichen Traditionen, mit ihrem Einsatz der Person in alles Tun, noch lebendig waren, musste jedes noch einigermaßen von Person zu Person gehende Verhältnis als erträglich gelten, jede Unterordnung unter mehr sachliche Anforderungen dagegen, jede Einfügung in einen Zusammenhang unpersönlicher, weil vielen und anonymen Personen dienender Leistungen als gänzlich entwürdigend.

Noch in den Rechtstheorien des Althusius klingt eine Aversion gegen die Objektivität des Gesetzes nach.

Der summus magistratus übt bei ihm zwar fremdes Recht, aber nicht als Vertreter des Staates, sondern nur, weil er vom Volk bestellt ist; dass statt der vom Volk persönlich erfolgenden oder vorausgesetzten Berufung auch die Berufung durch Gesetz den Herrscher zum Vertreter des Staates designieren könnte, ist eine ihm noch fremde Idee.

Dem Altertum dagegen war die Unterordnung unter das Gesetz grade wegen seines Mangels an Personalcharakter besonders angemessen erschienen.

Aristoteles pries das Gesetz als tomeson, das Gemäßigte, Unparteiische, von Leidenschaften Freie, und schon Plato hatte im gleichen Sinne die Herrschaft des unpersönlichen Gesetzes als das beste Mittel anerkannt, um der Selbstsucht entgegenzuwirken.

Weil dies aber nur eine psychologische Motivierung war, die den Kern der Frage, die prinzipielle und nicht von utilitarischen Konsequenzen hergeleitete Wendung vom Personalismus zum Objektivismus des Gehorsamsverhältnisses nicht traf, findet sich bei Plato auch noch die andere Theorie: im idealen Staat stehe die Einsicht des Herrschers über dem Gesetze; sobald das Wohl des Ganzen es ihm zu erfordern scheine, müsse er auch gegen seine eignen Gesetze handeln können.

Nur wo es keine wahren Staatsmänner gäbe, wären Gesetze erfordert, die unter keinen Umständen durchbrochen werden dürften.

Das Gesetz erscheint hier also als das geringere Übel, aber nicht weil die Unterordnung unter eine Person, wie für jene germanische Empfindung, ein Element von freier Würde besäße, der gegenüber aller Gesetzesgehorsam etwas mechanisches und passivistisches hat.

Sondern als der Mangel des Gesetzes wird seine Starrheit empfunden, durch die es den wechselnden und nicht vorauszusehenden Forderungen des Lebens ungefüge und ungenügend gegenübersteht - ein Übel, dem nur die an kein Präjudiz gebundne Einsicht eines persönlichen Herrschers entgeht, und das sich nur, wo diese Einsicht fehlt, in einen relativen Vorteil verwandelt.

Es bleibt also hier immer der Inhalt des Gesetzes und, sozusagen, dessen Aggregatzustand, der seinen Wert oder Unwert gegenüber der Unterordnung unter Personen bestimmt.

Dass das Gehorsamsverhältnis in seinem inneren Prinzip und dem ganzen Lebensgefühl des Gehorchenden nach ein anderes ist, ob es von einem Gesetz oder einer Person ausgeht, tritt in diese Erwägungen nicht ein.

Die ganz allgemeine oder formale Relation zwischen Gesetzesherrschaft und Personenherrschaft ist zunächst freilich praktisch auszudrücken: wo das Gesetz nicht kräftig oder weit genug ist, bedarf es der Personen - und wo die Personen nicht zulänglich sind, bedarf es des Gesetzes.

Aber, weit darüber hinaus, hängt es von Entscheidungen letzter, indiskutabler soziologischer Wertgefühle ab, ob man die Herrschaft von Menschen als das Provisorium für die Herrschaft des vollendeten Gesetzes ansieht, oder umgekehrt die Herrschaft des Gesetzes nur für einen Lückenbüßer oder ein faute de mieux gegenüber der Herrschaft der zum Herrschen absolut qualifizierten Persönlichkeit. -

Die objektive Instanz kann noch in anderer Gestalt zum Drehpunkt des Verhältnisses zwischen dem Über- und dem Untergeordneten werden: indem nicht ein Gesetz oder ideelle Norm, sondern ein konkreter Gegenstand die Herrschaftsbeziehung vermittelt.

So unter der Gültigkeit des Patrimonialprinzips, nach dem die Untertanen als solche nur Kompetenzen des Landgebietes sind, innerhalb der Leibeigenschaft, wo »die Luft eigen machte«, am radikalsten bei der russischen Leibeigenschaft, denn ihre furchtbare Härte schloss doch die persönliche Versklavung, die auch den Verkauf des Sklaven gestattet hätte, aus und band das Untertänigkeitsverhältnis derartig an das Landgut, dass der Leibeigene nur mit diesem zugleich veräußert werden konnte.

Bei aller inhaltlichen und quantitativen Differenz wiederholt sich diese Form doch manchmal an der Lage des modernen Fabrikarbeiters, den sein eigenes Interesse vermittels gewisser Veranstaltungen an eine Fabrik fesselt: wenn ihm etwa die Erwerbung eines eigenen Häuschens ermöglicht worden ist, wenn er sich an Wohlfahrtseinrichtungen mit eigenem Aufwand beteiligt hat, der für ihn verloren ist, sobald er die Fabrik verlässt usw.

So ist er, rein durch Objekte, in einer Weise gefesselt, die ihn dem Unternehmer gegenüber in einer ganz besonderen Weise wehrlos macht.

Ja, schließlich war es dieselbe Herrschaftsform, die in dem primitivsten patriarchalischen Verhältnis nicht durch ein bloß räumliches, sondern durch ein lebendiges Objekt vermittelt wurde: die Kinder gehörten dem Vater, nicht weil er ihr Erzeuger war, sondern weil die Mutter ihm gehörte - wie dem Besitzer eines Baumes auch dessen Früchte gehören; so dass auch die von anderen Vätern erzeugten Kinder nicht weniger sein Eigentum waren.

Dieser Herrschaftstypus pflegt eine entwürdigende Härte und Unbedingtheit des Unterworfenseins mit sich zu bringen.

Denn indem der Mensch daraufhin unterworfen ist, dass er einem Ding zugehört, sinkt er psychologisch selbst in die Kategorie eines bloßen Dinges.

Wo das Gesetz die Herrschaft vermittelt - so könnte man unter den nötigen Vorbehalten sagen - da rückt der Übergeordnete in die Schicht der Objektivität, wo ein Ding es tut, geschieht eben dies dem Untergeordneten.

Die Situation dieses pflegt deshalb im ersteren Fall im allgemeinen eine günstigere, im zweiten eine ungünstigere zu sein, als in vielen Fällen rein personaler Unterordnung.

Ein soziologisches Interesse im unmittelbaren Sinne heftet sich nun an die Unterordnung unter ein objektives Prinzip in zwei wesentlichen Fällen.

Einmal dann,, wenn jenes ideale, übergeordnete Prinzip sich als die psychologische Verdichtung einer realen sozialen Macht deuten lässt, und zweitens, wenn es unter denjenigen, welche ihm gemeinsam untergeordnet sind, spezifische und charakteristische Verbindungen stiftet.

Das erstere ist vor allem angesichts der sittlichen Imperative in Betracht zu ziehen.

Im sittlichen Bewusstsein fühlen wir uns einem Gebot untergeordnet, das von keiner menschlichen, personalen Macht getragen scheint.

Wir vernehmen die Stimme des Gewissens nur in uns, wenn gleich mit einer Kraft, einer Entschiedenheit gegenüber allem subjektiven Egoismus, wie sie nur einer außerhalb des Subjekts gelegenen Instanz scheint entstammen zu können.

Diesen Widerspruch hat man bekanntlich dadurch zu lösen versucht, dass man die Inhalte der Sittlichkeit aus sozialen Geboten herleitete: was der Gattung und der Gruppe nützlich ist, und was diese deshalb um ihrer Selbsterhaltung willen von ihren Mitgliedern fordert, das werde den Individuen allmählich als Instinkt angezüchtet, so dass es als eigene autonome Empfindung neben den eigentlich persönlichen und deshalb oft im Gegensatz gegen diese in ihnen aufträte.

Dadurch erkläre sich der Doppelcharakter des sittlichen Gebots: dass es uns einerseits als ein unpersönlicher Befehl entgegentritt, dem wir uns einfach unterzuordnen haben, und dass doch andrerseits keine äußere Macht, sondern nur unser eigenster und innerster Impuls es uns auferlegt.

Jedenfalls liegt hier einer der Fälle vor, in denen das Individuum innerhalb seines Bewusstseins die Beziehungen wiederholt, die zwischen ihm als Ganzem und der Gruppe bestehen.

Es ist eine alte Beobachtung, dass die Vorstellungen der Einzelseele in ihren ganzen Verhältnissen der Assoziation und der Scheidung, der Differenzierung und der Vereinheitlichung sich so verhalten, wie sich Individuen zu einander verhalten.

Hiervon bildet es eine eigentümliche Spezialisierung, dass jene innerpsychologischen Relationen nun nicht nur die zwischen Individuen überhaupt, sondern zwischen dem Individuum und dem umgebenden Kreis repetieren.

Was die Gesellschaft von ihrem Mitglied fordert: Einordnung und Treue, Altruismus und Arbeit, Selbstbeherrschung und Wahrhaftigkeit - alles dies fordert der einzelne von sich selbst.

Es gehen dabei mehrere sehr bedeutsame Motive durcheinander.

Die Gesellschaft tritt dem einzelnen mit Vorschriften gegenüber, an deren Zwang er sich gewöhnt, bis er der gröberen und feineren Mittel, die diesen Zwang trugen, nicht mehr bedarf.

Entweder wird seine Natur dadurch so gebildet oder umgebildet, dass er wie triebhaft in diesem Sinne handelt, mit einheitlich unmittelbarem Wollen, das kein Bewusstsein eines Gesetzes einschließt: so fehlte den vorislamitischen Arabern jeder Begriff eines objektiv rechtlichen Zwanges, die letzte Instanz war überall die rein persönliche Entscheidung; allein diese war durchaus von dem Stammesbewusstsein und den Erfordernissen des Stammeslebens durchtränkt und normiert.

Oder das Gesetz lebt, als befehlendes, durch den Autoritätswert der Gesellschaft getragenes, im individuellen Bewusstsein, aber unabhängig davon, ob die Gesellschaft wirklich noch mit ihrer Zwangsmacht oder selbst nur mit ihrem ausgesprochenen Willen dahintersteht.

Das Individuum vertritt so sich selbst gegenüber der Gesellschaft, das äußere Sich-Gegenüberstehen, mit seinen Unterdrückungen, Befreiungen, wechselnden Akzentuierungen, ist zum Wechselspiel zwischen seinen sozialen Impulsen und denen seines Ich im engeren Sinne geworden, wobei beides vom Ich im weiteren Sinne umfasst ist.

Allein dies ist noch nicht die oben angedeutete, wirklich objektive Gesetzlichkeit, in deren Bewusstsein sich kein historisch-sozialer Ursprung mehr verrät.

Auf einer gewissen höheren Stufe der Sittlichkeit liegt das Motiv des Handelns nicht mehr in einer real-menschlichen, wenn auch überindividuellen Macht; sondern der Quell der sittlichen Notwendigkeit fließt hier jenseits des Gegensatzes von Individuum und Gesamtheit.

Denn ebenso wenig wie aus der letzteren stammen sie aus der singulären Wirklichkeit des individuellen Lebens.

Nur ihren Träger, nur den Ort ihrer Wirksamkeit haben sie an dem freien Gewissen des Handelnden, an der individuellen Vernunft.

Ihre verpflichtende Kraft stammt aus ihnen selbst, aus ihrer inneren, überpersönlichen Geltung, aus einer objektiven Idealität, die wir anerkennen müssen, ob wir wollen oder nicht, wie eine Wahrheit, deren Gültigkeit von ihrem Realwerden in einem Bewusstsein völlig unabhängig ist.

Der Inhalt aber, der diese Formen erfüllt, ist - nicht notwendig, aber häufig - das gesellschaftliche Erfordernis, das jetzt sozusagen nicht mehr mit seinem sozialen Impetus wirkt, sondern wie in der Metempsychose in eine Norm, die um ihrer selbst willen, nicht meinethalben und nicht deinethalben, erfüllt werden soll.

Es handelt sich hier um Unterschiede, die psychologisch nicht nur von der größten Zartheit sind, sondern deren Grenzen auch in der Praxis fortwährend verschwimmen.

Aber dieses Durcheinander der Motivierungen, in denen die seelische Wirklichkeit sich bewegt, macht ihre prinzipielle Sonderung um so dringlicher.

Ob die Gesellschaft und das Individuum sich wie Macht und Macht gegenüberstehen und die Unterordnung des letzteren durch eine wie aus ununterbrochener Quelle fließende, sich stetig erneuernde Energie der ersteren bewirkt wird; oder ob diese Energie sich in einen psychologischen Impuls in der Seele des Individuums transformiert und dieses, sich als Sozialwesen fühlend, seine gegen sein »egoistisches« Teil selbst gerichteten Impulse bekämpft und unterdrückt; ob das Sollen, das der Mensch über sich vorfindet, als eine ebenso objektive Tatsächlichkeit wie das Sein, sich mit dem Inhalte gesellschaftlicher Lebensbedingungen füllt - das sind Typen, die die Unterordnungsarten des einzelnen über seine Gruppe erst erschöpfen.

Die drei Potenzen, die das geschichtliche Leben erfüllen: die Gesellschaft, die Individuen, die Objektivität- werden hier der Reihe nach zu normgebenden, aber so, dass jede von ihnen den sozialen Inhalt, das Überordnungsquantum der Gesellschaft über den einzelnen, in sich aufnimmt, jede von ihnen die Macht, den Willen, die Notwendigkeiten der Gesellschaft in besonderer Weise formt und vorträgt.

Die Objektivität ist in dem Verhältnis dieser drei nicht nur als das schlechthin gültige, über den beiden anderen in einem idealen Reiche thronende Gesetz, sondern gleichsam noch nach einer anderen Dimension hin bestimmbar.

Die Gesellschaft ist oft das Dritte, das die Konflikte zwischen dem Individuum und der Objektivität löst oder zwischen ihren Zusammenhangslosigkeiten Brücken schlägt.

Auf dem Gebiet des genetischen Erkennens hat der Gesellschaftsbegriff uns von der Alternative früherer Zeiten befreit: dass ein Kulturwert entweder aus einem Individuum entsprungen oder von einer objektiven Macht verliehen sein müsste.

Die Sprache z.B. erschien als die Erfindung genialer Individuen oder als Geschenk der göttlichen, jenseits aller Subjekte stehenden Macht; erst indem sie sich als in der Wechselwirkung zwischen Menschen entstanden, als eine Wechselwirkung zeigte, ist das Unzulängliche jener Wahl überwunden.

Im Praktischen ist es die gesellschaftliche Arbeit, durch die der einzelne seine Ansprüche an die objektive Ordnung befriedigen kann.

Dass die Kooperation der Vielen, die Bemühung der Gesellschaft als einer Einheit, im Nebeneinander und im Nacheinander, der Natur nicht nur ein höheres Quantum, sondern Qualitäten und Typen von Bedürfnisbefriedigungen entlockt, die der Einzelarbeit versagt bleiben müssen - das ist ein Symbol der tieferen, prinzipiellen Tatsache, dass die Gesellschaft zwischen dem Einzelmenschen und der allgemeinen Naturgesetzlichkeit steht: sie berührt sich als Seelisch-Konkretes mit dem ersteren, als Allgemeines mit der letzteren.

Sie ist das Allgemeine, das doch nicht abstrakt ist.

Freilich ist jede historische Gruppe ein Individuum, wie ein historischer Mensch; allein das ist sie im Verhältnis zu anderen Gruppen, im Verhältnis zu ihren Mitgliedern ist sie überindividuell.

Aber nicht so wie der Begriff über seinen Einzelverwirklichungen, der das ihnen Gemeinsame zusammenschließt, sondern in einer besonderen Art des Allgemeinen, wie der organische Körper das Allgemeine über seinen Gliedern oder etwa eine »Zimmereinrichtung« das Allgemeine über Tisch und Stuhl, Schrank und Spiegel.

Und diese besondere Allgemeinheit deckt sich mit der besonderen Objektivität, die die Gesellschaft für ihre Mitglieder als Subjekte besitzt.

Das Individuum steht ihr nicht gegenüber wie der Natur, deren Objektivität die Gleichgültigkeit dagegen bedeutet, ob ein Subjekt an ihr geistigen Teil hat oder nicht, sie richtig oder falsch oder gar nicht vorstellt; ihr Sein ist und ihre Gesetze gelten, unabhängig von der Bedeutung, die beides für ein Subjekt haben mag.

Die Gesellschaft aber greift freilich auch über den einzelnen hinweg, lebt ein eigenes gesetzliches Leben, steht ihm mit historischer und imperativischer Festigkeit gegenüber; allein dieses Gegenüber ist zugleich ein Darin, die harte Indifferenz gegen ihn ist zugleich ein Interesse, die soziale Objektivität bedarf, wenn nicht dieser bestimmten, so doch der individuellen Subjektivität überhaupt.

Durch diese Bestimmungen wird die Gesellschaft zu einem mittleren Gebilde zwischen dem Subjekte und jeder absolut unpersönlichen Allgemeinheit und Objektivität.

Nach dieser Richtung hin liegt etwa die folgende Beobachtung.

Solange die Wirtschaft es noch nicht zu eigentlich objektiven Preisen gebracht hat, solange noch nicht die Kenntnis und Regulierung von Nachfrage, Angebot, Produktionskosten, Risikoprämien, Gewinn usw. zu der Vorstellung geführt hat, diese Ware sei eben so und so viel wert und müsse diesen und diesen festen Preis haben - solange sind die unmittelbaren Eingriffe der Gesellschaft, ihrer Organe und Gesetze in die Handelsgeschäfte, in bezug auf Preis und Solidarität des Handels, viel stärker und rigoroser.

Preistaxen, Überwachung von Quantität und Qualität der Produktion, ja, in weiterem Sinne sogar Luxusgesetze und Konsumverpflichtungen, sind vielfach in dem Stadium der Wirtschaft eingetreten, wo die subjektive Freiheit des Handelsgeschäftes zu einer haltgewährenden Objektivität aufstrebte, ohne doch schon eine reine, abstrakte Sachlichkeit der Preisbestimmungen erreichen zu können; hier tritt die konkrete Allgemeinheit, die lebendige Objektivität der Gesellschaft ein, oft ungeschickt, hemmend, schematisch, aber immerhin eine transsubjektive Macht, die dem einzelnen eine Norm gibt, bevor er diese aus der Struktur der Sache selbst und ihrer erkannten Gesetzlichkeit erhält.

In noch viel breiterem Maße findet auf dem intellektuellen Gebiet eben die selbe formale Entwicklung statt: über die Unterordnung unter die Gesellschaft zur Unterordnung unter die Objektivität.

Die ganze Geistesgeschichte zeigt, wie der Intellekt des einzelnen, bevor er sich dem Objekt unmittelbar gegenüberstellt, um von dessen Sachlichkeit den Inhalt seiner Wahrheitsbegriffe zu empfangen, diese ausschließlich mit traditionellen, autoritären, »von allen angenommenen« Vorstellungsweisen erfüllt.

Halt und Norm des Geistes, der wissen will, ist zunächst nicht das Objekt, dessen unmittelbarer Beobachtung und Deutung er überhaupt nicht gewachsen ist, sondern die allgemeine Meinung über das Objekt; diese vermittelt ihm seine theoretischen Vorstellungen, vom blödesten Aberglauben bis zu den feinsten, die Unselbständigkeit des Aufnehmenden und die Unsachlichkeit des Inhaltes fast ganz verschleiernden Vorurteilen.

Es ist, als ob der Mensch es nicht so leicht ertrüge, dem Objekt Auge in Auge gegenüberzustehen, weder der Härte seiner Gesetzlichkeit noch der Freiheit gewachsen wäre, die es der Person, im Unterschied gegen allen von Menschen kommenden Zwang, gibt.

Die Beugung unter die Autorität der Vielen oder ihrer Vertreter, unter die tradierte Meinung, unter die sozial akzeptierte Ansicht ist ein Mittleres: sie ist immerhin modifizierbarer als das Gesetz der Sache, die Vermittlung des Seelischen ist in ihr spürbar, sie überliefert sozusagen schon ein seelisches Verdauungsprodukt - und andererseits gewährt sie eine Anlehnung, ein Abnehmen der Verantwortlichkeit, das die Entschädigung für den Mangel jener Selbständigkeit in dem reinen, auf sich gestellten Verhältnis zwischen dem Ich und der Sache ist.

Nicht weniger als der Begriff der Wahrheit findet der der Gerechtigkeit im objektiven Sinn sein vermittelndes, das Individuum zu diesem aufwärts führendes Stadium in den Verhaltungsweisen der Gesellschaft.

Im Sinne des Strafrechts wie in den sonstigen Regulierungen des Lebens ist die Korrelation von Schuld und Sühne, Verdienst und Lohn, Leistung und Gegenleistung offenbar zuerst Sache sozialer Zweckmäßigkeit oder sozialer Impulsivitäten.

Vielleicht ist die Äquivalenz von Aktion und Reaktion, in der die Gerechtigkeit besteht, niemals eine aus diesen Elementen unmittelbar sich ergebende, analytische - sondern bedarf immer eines Dritten: eines Ideals, eines Zweckes, eines maßgebenden Zustandes, damit an ihm erst jene ihr Sich-Entsprechen synthetisch herstellten oder erwiesen.

Dieses Dritte sind ursprünglich die Interessen und Formen des Gesamtlebens, das die Individuen, die Subjekte des Gerechtigkeitsprozesses, umgibt.

Dieses Gesamtleben schafft die Maßstäbe und führt sie durch, an denen die an jenen Elementen in ihrer Isolierung nicht auffindbare Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit ihres Verhältnisses hervortritt.

Darüber und dadurch vermittelt erst erhebt sich, als die sachlich und historisch spätere Stufe, die innere, in der Gegenhaltung jener Elemente selbst auftauchende Notwendigkeit ihres »gerechten« Sich-Entsprechens.

Die höhere Norm, die vielleicht auch in diesem Fall noch Gewicht und Gegengewicht ihren Maßverhältnissen nach bestimmt, ist jetzt in die Elemente völlig hineingegangen, ist eine aus ihnen selbst herauswirkende Wertpotenz geworden.

Die Gerechtigkeit erscheint jetzt als ein objektives, aus der inneren Bedeutung der Sünde und des Schmerzes, der Guttat und des Glückes, der Darbietung und der Erwiderung selbst heraus notwendiges Verhältnis; um seiner selbst willen soll es realisiert werden: fiat justitia, pereat mundus - während auf dem früheren Standpunkt grade die Erhaltung des mundus den Rechtsgrund der Gerechtigkeit ausmachte.

Gleichviel welches der ideelle, hier nicht diskutierte Sinn der Gerechtigkeit ist - historisch und psychologisch ist das objektive Gesetz, in dem sie sich rein um ihrer selbst willen verkörpert, und das um seiner selbst willen Erfüllung fordert, eine spätere Entwicklungsstufe, der vorbereitend und vermittelnd die Gerechtigkeitsforderung der nur sozialen Objektivität vorangeht.

Endlich findet dieselbe Entwicklung innerhalb des Moralischen im engeren Sinne statt.

Der zunächst gegebene Inhalt der Sittlichkeit ist altruistisch-sozialer Natur; nicht so, als hätte sie an und für sich ein davon unabhängiges Wesen, das diesen Inhalt nur aufnähme; sondern die Hingabe des Ich an ein Du (in der Einzahl oder Mehrzahl) erscheint als der Begriff des Sittlichen selbst, als seine Definition.

Dem gegenüber stellen die philosophischen Sittenlehren, die sich mit einem schlechthin objektiven Sollen von der Frage nach dem Ich und dem Du lösen, die viel spätere Stufe dar.

Wenn es für Plato darauf ankommt, dass die Idee des Guten realisiert werde, für Kant, dass das Prinzip der individuellen Handlung sich zum allgemeinen Gesetz eigne, für Nietzsche, dass der Typus Mensch seine momentane Entwicklungsstufe überschreite - so mögen diese Normen gelegentlich auch das Füreinander der Subjekte decken; innerhalb der prinzipiellen Schicht kommt es jetzt aber nicht auf dieses, sondern auf die Realisierung eines objektiven Gesetzes an, das nicht nur die Subjektivität des Handelnden hinter sich lässt, sondern auch die Subjektivität der Wesen, auf die sich das Handeln eventuell bezieht.

Denn von hier aus gesehen ist auch die Beziehung auf den gesellschaftlichen Komplex der Subjekte nur die zufällige Erfüllung einer viel allgemeineren Norm und Verpflichtungsgrundes, die dem sozial und altruistisch gerichteten Handeln die Legitimation gewähren, aber auch verweigern können.

Der ethische Gehorsam für die Forderungen des Du und der Gesellschaft ist, in der Entwicklung des einzelnen wie der Gattung, die erste Lösung aus dem vorsittlichen Zustand, aus dem naiven Egoismus; auf dieser Stufe bleiben Unzählige stehen: prinzipiell aber ist sie Vorbereitung und Übergang für die Unterordnung unter ein objektiv ethisches Gesetz, das ebenso jenseits des Du wie des Ich steht und erst von sich aus die Interessen des einen oder des anderen als sittliche Inhalte zulässt. -

Was nun die zweite soziologische Frage gegenüber der Unterordnung unter ein unpersönlich-ideales Prinzip betrifft: wie dies auf das gegenseitige Verhältnis der gemeinsam Untergeordneten wirkt, so ist auch hier vor allem festzuhalten, dass jener idealen Unterordnung vielfach eine reale vorausging.

Häufig sehen wir eine Persönlichkeit oder Klasse ihre Über-Ordnung im Namen eines idealen Prinzips ausüben, dem auch sie ihrerseits untergeordnet wären.

So scheint denn logisch dieses letztere voranzugehen und die reale Herrschaftsorganisation unter den Menschen sich in Konsequenz dieser idealen Abhängigkeit zu entwickeln.

Historisch indes ist der Weg in der Regel der umgekehrte: aus sehr realen persönlichen Machtverhältnissen heraus entstehen Über- und Unterordnungen, über welche allmählich, durch Vergeistigung der übergeordneten Macht oder durch Vergrößerung und Entpersonalisierung des ganzen Verhältnisses, eine ideale, objektive Macht hinauswächst, als deren nächster Vertreter dann der Übergeordnete nur noch seine Macht übt.

Die Entwicklung der Stellung des pater familias bei den Ariern zeigt dies deutlich.

Ursprünglich - so wird dieser Typus dargestellt - war die Macht desselben eine unumschränkte und durchaus subjektive, d.h. er ließ sein momentanes Belieben, seinen persönlichen Vorteil über alle Anordnungen entscheiden.

Allein die Willkürmacht trat allmählich unter ein Gefühl von Verantwortlichkeit, die Einheit der Familiengruppe, verkörpert in dem spiritus familiaris, wurde zu der idealen Macht, der gegenüber sich auch der Herr des Ganzen als ein bloß Ausführender, ein Gehorchender empfand.

In diesem Sinne geschieht es, dass Sitte und Gewohnheit, statt subjektiven Beliebens, seine Handlungen, seine Entscheidungen und Richtersprüche bestimmen, dass er sich nicht mehr als unbedingter Herr des Familieneigentums benimmt, sondern mehr als Verwalter desselben im Interesse des Ganzen, dass seine Stellung mehr den Charakter eines Amtes als den eines unumschränkten Rechtes trägt.

So wird das Verhältnis zwischen Über- und Untergeordneten auf eine ganz neue Basis gestellt: während im ersten Stadium die letzteren sozusagen nur eine persönliche Kompetenz der ersteren bildeten, ist jetzt die objektive Idee der Familie geschaffen, die über allen einzelnen steht, und der der führende Patriarch ebenso untergeordnet ist, wie jedes andere Mitglied, dem jener nun bloß noch im Namen der idealen Einheit zu befehlen hat.

Hier kommt der äußerst wichtige Formtypus auf: dass der Befehlende sich selbst dem Gesetze unterordnet, das er gegeben hat.

Sein Wille erhält in dem Augenblick, in dem er Gesetz wird, objektiven Charakter und löst sich damit von seinem subjektiv-personalen Ursprung.

Sobald der Herr das Gesetz als Gesetz gibt, dokumentiert er sich insoweit als das Organ einer ideellen Notwendigkeit, er offenbart damit nur eine Norm, die aus ihrem inneren Sinn und dem der Situation heraus schlechthin gilt, ob er sie nun wirklich gibt oder nicht.

Ja, wenn, statt dieser dunkler oder deutlicher vorgestellten Legitimation, der Wille des Herrschers wirklich aus sich allein heraus zum Gesetz wird, so kann er es gar nicht vermeiden, damit aus der Sphäre der Subjektivität herauszutreten; er trägt dann jene überpersönliche Legitimation sozusagen a priori in sich.

Dadurch bringt es die innere Form des Gesetzes mit sich, dass der Gesetzgeber, indem er es gibt, sich als Person ihm ebenso unterordnet wie alle anderen Personen.

So ist in den Privilegien mittelalterlicher flandrischer Städte ausdrücklich ausgesprochen, die Schöffen sollten jedermann gerechtes Gericht gewähren, auch gegen den Grafen selbst, der das Privileg erteilt, und ein so souveräner Herrscher wie der große Kurfürst führt, ohne die ständische Bewilligung nachzusuchen, eine Kopfsteuer ein - dann aber lässt er nicht nur seinen Hof sie bezahlen, sondern entrichtet sie selbst!

Für das Aufwachsen einer objektiven Übermacht, der der ursprünglich und auch weiterhin Befehlende sich gemeinsam mit den ihm Untergeordneten unterzuordnen hat, bietet die neuste Zeit ein jenem familiengeschichtlichen formal verwandtes Beispiel, wo ihre Produktionsweise die objektiven und technischen Elemente über die personalen dominieren lässt.

Vielerlei Über- und Unterordnungen, die früher persönlichen Charakter trugen, so dass also in dem fraglichen Verhältnis der eine schlechthin der Über-, der andere der Untergeordnete war, haben sich jetzt so geändert, dass beide gleichmäßig einem objektiven Zweck untertan sind, und erst innerhalb dieses gemeinsamen Verhältnisses zu dem höheren Prinzip die Unterordnung des einen unter den anderen als technische Notwendigkeit fortbesteht.

Solange das Lohnarbeitsverhältnis als ein Mietsvertrag angesehen wird - der arbeitende Mensch wird gemietet - solange enthält es wesentlich ein Moment der Unterordnung des Arbeiters unter den Unternehmer.

Dies Moment wird aber ausgeschaltet, sobald man den Arbeitsvertrag nicht als Miete der Person, sondern als Kauf der Ware Arbeit ansieht.

Dann ist die Unterordnung, die er vom Arbeiter verlangt - so hat man dies ausgedrückt - nur die »unter den kooperativen Prozess, die für den Unternehmer, sobald er nur irgend eine Tätigkeit vollzieht, ebenso notwendig ist, wie für den Arbeiter«.

Dieser ist nun nicht mehr als Person untertänig, sondern nur als Diener eines objektiven wirtschaftlichen Verfahrens, innerhalb dessen das Element, das ihm als Unternehmer oder Leiter übergeordnet ist, gar nicht mehr als personales, sondern nur als sachlich erforderliches wirkt.

Das gewachsene Selbstgefühl des modernen Arbeiters muss zum Teil mit diesem Grunde zusammenhängen, der seinen rein soziologischen Charakter auch darin zeigt, dass er auf das materielle Wohl des Arbeiters häufig ganz ohne Einfluss bleibt.

Indem dieser nur noch eine quantitativ umschriebene Leistung verkauft - mag sie kleiner oder größer sein als die in der Personalform von ihm erforderte - befreit er sich als Mensch aus dem Unterordnungsverhältnis, dem er jetzt nur noch als Faktor des Produktionsprozesses, insofern also dem Leiter der Produktion koordiniert, angehört.

Diese technische Sachlichkeit hat ihr Symbol in der rechtlichen des Kontraktverhältnisses: ist der Kontrakt einmal geschlossen, so steht er als objektive Norm über beiden Parteien.

Im Mittelalter bezeichnet dies den Wendepunkt des Gesellenverhältnisses, das ursprünglich volle persönliche Untertänigkeit dem Meister gegenüber bedeutet: der Geselle hieß allgemein Knecht.

Der Zusammenschluss der Gesellen zu einem besonderen Stande zentriert um den Versuch, dies personale Dienstverhältnis in ein Kontraktverhältnis umzugestalten.

Höchst bezeichnend tritt, sobald die Organisation der Knechte gelungen ist, für sie der Name Geselle auf.

Die Kontraktform, welches auch ihr materieller Inhalt sei, hat die relative Nebenordnung statt der absoluten Unterordnung zum Korrelat.

Sie verstärkt ihre Objektivität noch weiter, wenn der Kontrakt, statt zwischen Einzelpersonen ausgemacht zu sein, in Kollektivbestimmungen zwischen einer Gruppe von Arbeitern auf der einen Seite und einer Gruppe von Arbeitgebern auf der anderen besteht, wie es besonders durch die englischen Gewerkvereine ausgebildet ist.

Die Gewerkvereine und die Unternehmerverbände in gewissen weit vorgeschrittenen Industrien schließen Verträge über Lohnsatz, Arbeitszeit, Überstunden, Feiertage usw., denen sich kein zwischen Individuen dieser Kategorien geschlossener Vertrag entziehen darf.

Hierdurch wird ersichtlich die Unpersönlichkeit des Arbeitsverhältnisses außerordentlich gesteigert, seine Objektivität findet an der überindividuellen Kollektivität ihren angemessenen Träger und Ausdruck.

Endlich wird dieser Charakter noch besonders garantiert, wenn die Arbeitsverträge auf möglichst kurze Zeit geschlossen werden.

Die englischen Gewerkvereine haben darauf immer gedrungen, trotz der daraus hervorgehenden größeren Unsicherheit der Beschäftigung.

Durch das Recht, seine Arbeitsstätte zu verlassen, so hat man dies expliziert, unterscheide sich der Arbeiter vom Sklaven; wenn er aber dies Recht für lange Zeit aufgibt, so ist er für deren ganze Ausdehnung allen Bedingungen unterworfen, die ihm der Unternehmer mit Ausnahme der ausdrücklich stipulierten auferlegt, und hat den Schutz eingebüßt, den ihm jenes Recht der Aufhebung des Verhältnisses gewährt.

Statt der Breite der Bindung, mit der früher die Gesamtpersönlichkeit gefesselt war, tritt bei sehr langer Kontraktdauer die Länge der Bindung ein.

Was bei kurzen Kontrakten die Objektivität entschiedener wahrt, ist nichts Positives, sondern nur dies: zu verhindern, dass das objektiv festgelegte Leistungsverhältnis in ein durch subjektive Willkür bestimmtes übergehe, wogegen es bei langen Kontrakten keinen hinreichenden Schutz gibt.

- Dass innerhalb des Dienstbotenverhältnisses, wie es wenigstens in Mitteleuropa zur Zeit im wesentlichen besteht, sozusagen noch der ganze Mensch in die Unterordnung eintritt und diese noch nicht zu der Objektivität einer sachlich fest umschriebenen Leistung entwickelt ist - darauf beruhen die hauptsächlichen Unzuträglichkeiten dieser Einrichtung.

Tatsächlich nähert sie sich jener vollkommneren Form, wo sie durch die Dienstleistungen von Personen abgelöst wird, die nur bestimmte sachliche Funktionen innerhalb des Hauses zu leisten haben und insofern der »Hausfrau« koordiniert sind, während das frühere bzw.

jetzige Verhältnis sie als ganze Persönlichkeiten engagiert und sie, wie der Begriff des »Mädchens für alles« am deutlichsten zeigt, zu »ungemessenen Diensten« verpflichtet; eben durch diesen Mangel sachlicher Bestimmtheit werden sie der Hausfrau als Person untertänig.

Bei entschiedener patriarchalischen Zuständen galt, den jetzigen gegenüber, das »Haus« als ein objektiver Selbstzweck und -wert, zu dem die Hausfrau und die Dienstboten zusammenwirkten.

Dies ergibt, selbst bei völliger persönlicher Unterordnung, eine gewisse Koordination, getragen durch das Interesse, das gerade der fester und dauernd an das Haus gebundene Dienstbote für dieses zu empfinden pflegt.

Das »Du« dem Dienstboten gegenüber drückte einerseits seine Subordination als Person aus, näherte ihn aber doch den Kindern des Hauses und fügte ihn so enger in dessen Organisation ein.

So gilt dies Gehorsamsverhältnis eigentümlicher Weise gerade an den Gegenpolen seiner Entwicklung in irgend einem Maße einer objektiven Idee: bei der vollen patriarchalischen Subordination, wo das Haus sozusagen noch einen absoluten Wert hat, dem die Arbeit der Hausfrau ebenso, wenn auch an höherer Stelle, dient, wie die des Dienstboten; und dann bei vollkommener Differenzierung, wo Leistung und Gegenleistung objektiv vorbestimmt sind und das persönliche Attachement, das das Korrelat des grenzunbestimmten Unterordnungsquantums ist, nicht in Frage kommt.

Die heutige Stellung des Dienstboten als Hausgenossen, insbesondere in den Großstädten, hat die eine Objektivität verloren, ohne die andere schon gewonnen zu haben, die Gesamtpersönlichkeit ist nicht mehr für die objektive Idee des »Hauses« innerlich engagiert, ohne sich doch, nach der ganzen Art der verlangten Leistung, aus dieser wirklich zurückziehen zu können.

- Zuletzt mag diesen Formtypus das Verhältnis zwischen Offizieren und gemeinen Soldaten exemplifizieren.

Hier ist die Spannung zwischen der Subordination innerhalb des Gruppenorganismus und der Koordination, die sich durch den gemeinsamen Dienst unter der Idee der Vaterlandsverteidigung ergibt, die denkbar weiteste; und begreiflicher Weise offenbart sich diese Weite am bemerklichsten im Felde, wo einerseits die Disziplin die unbarmherzigste ist, andererseits aber das kameradschaftliche Verhältnis zwischen Offizieren und Gemeinen teils durch einzelne Situationen, teils durch die Gesamtstimmung gefördert wird.

Im Frieden, wo das Militär in die Position des nicht zu seinem Zweck gelangenden Mittels gebannt bleibt, wächst unvermeidlich seine technische Struktur zum psychologischen Endzweck aus, so dass die Über- und Unterordnung, auf der diese Technik der Organisation beruht, im Vordergrund des Bewusstseins steht und jene eigentümliche soziologische Kreuzung mit der Koordination durch gemeinsame Unterordnung unter eine objektive Idee erst erfährt, wenn die Situation diese Idee als den eigentlichen Zweck des Militärs ins Bewusstsein ruft.

Solche Doppelrollen des Individuums: dass es innerhalb der Organisation seines speziellen Lebensinhaltes eine über- oder untergeordnete Stellung einnimmt; dass diese Organisation als ganze aber unter einer beherrschenden Idee steht, die jedem ihrer Mitglieder eine gleiche oder nahezu gleiche Position gegenüber allen außerhalb Stehenden verschafft - diese Doppelrollen lassen die rein formale, soziologische Lage zum Träger eigentümlich gemischter Lebensgefühle werden.

Der Angestellte eines großen Geschäfts mag in diesem eine leitende Stellung haben, die er die Untergebenen überlegen und herrisch fühlen lässt; sobald er aber dem Publikum gegenübersteht und deshalb unter der Idee des Geschäfts als ganzen handelt, wird er sich dienstbeflissen und devot benehmen.

Umgekehrt verwachsen diese Elemente in dem häufigen Hochmut der Subalternen, der Diener in vornehmen Häusern, der Zugehörigen eximierter geistiger oder gesellschaftlicher Kreise, die in diesen grade nur noch an der Peripherie stehen, umso energischer aber allen Draussenstehenden gegenüber die Würde des ganzen Kreises und seiner Idee repräsentieren - denn die feste innerlich-äußerliche Position, die ihnen ihre positive Beziehung zu dem Kreise nur mangelhaft gewährt, suchen sie auf dem negativen Wege des Unterschiedes gegen andere zu gewinnen.

Die größte formale Vielfältigkeit dieses Typus bietet vielleicht die katholische Hierarchie.

Indem ein blinder, widerspruchsloser Gehorsam jedes Glied bindet, steht doch auch das niedrigste jedem Laien gegenüber in der absoluten Höhe, in die sich die Idee des Ewigen über alles Zeitliche hebt - und zugleich bekennt sich ihr höchstes Glied als »der Knecht der Knechte«; der Bettelmönch, der innerhalb seines Ordens unumschränkter Machthaber sein mag, kleidet sich jedem Bettler gegenüber in die tiefste Demut und Unterwürfigkeit; aber der niedrigste Ordensbruder ist dem irdischen Fürsten mit aller Unbedingtheit kirchlicher Autorität überlegen.

Wie hier die verschiedenartigen Strukturen nach ihrem Oben und Unten durcheinander wachsen, erläutert aufs klarste die Bedeutung dieser formalen, nur die Art der Gegenseitigkeit angehenden Betrachtung.

Wie die Menschen sich zueinander verhalten, ist weder aus dem militärischen noch aus dem wirtschaftlichen, weder aus dem erotischen noch aus dem religiösen Interesseninhalt unmittelbar zu entwickeln.

Was die Tatsache der Vergesellschaftung, d. h. dass der Mensch mit anderen in Wechselwirkung steht, für ihn besagen will, ist nur durch solche Herauslösung der Rangstufen - wenn auch natürlich nicht allein durch sie, sondern durch sie und all die unzähligen methodisch gleichstehenden Formverhältnisse - begreiflich, die ihn in den angedeuteten Fällen scheinbar in miteinander unvereinbaren Höhenlagen fixieren; aber dieses allein trägt sein Gefühl und unsere Erkenntnis davon, was er als Gesellschaftswesen und rein als solches ist, und wofür alle jene Inhalte in soziologischer Hinsicht nur als Träger und Veranlassungen dienen.


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
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Tel. ++41 55 2444012