Georg Simmel: Zur Philosophie der Herrschaft
Bruchstücke aus einer Soziologie
ex: Jahrbuch
für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich (Des
»Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege des Deutschen
Reiches« Neue Folge), hrsg. von Gustav Schmoller, 31.Jg., 2. Heft (April-Juni
1907), S. 1-33 (Leipzig)
Inhaltsverzeichnis
Fälle eines allgemeinen Superioritätscharakters
der Gruppe, ohne korrelative Unterordnung.
Befreiung von Unterordnung als Gewinn von
Überordnung: die Gleichheit als Durchgangspunkt der Pleonexie.
Die eigne Jurisdiktion der Teilgruppen.
Das gemeinsame Aufsteigen von Gruppen, die schon
Über- und Unterordnung einschließen.
Die Beseitigung von Über- und Unterordnung durch
Differenzierung von Persönlichkeit und Leistung durch Wechselseitigkeit
des Herrschens.
Das Verhältnis der persönlichen Qualität zu der
sozialen Höhe in historischer und prinzipieller Hinsicht.
Die »Herrschaft der Besten« und die Notwendigkeit
der Herrschaft überhaupt.
Die unvermeidliche Diskrepanz zwischen der
Fähigkeit zur höhern Position und der Möglichkeit ihres Gewinnes.
Wo in einer Gruppe vielfache und energische Über- und
Unterordnungen bestehen - sei es als einheitlicher hierarchischer Aufbau,
sei es als eine Mannigfaltigkeit nebeneinander bestehender
Herrschaftsverhältnisse - wird die Gruppe als ganze ihren Charakter
wesentlich der Unterordnung entlehnen, wie es besonders klar in
bürokratisch regierten Staaten hervortritt. Denn die Schichten dehnen sich nach unten zu in rascher
Proportion aus.
Wo also Über- und Unterordnung überhaupt im
Vordergrunde des formal soziologischen Bewusstseins steht, wird die
quantitativ überwiegende Seite dieser Korrelation, die der Unterordnung,
die Gesamtheit des Bildes färben.
Auf ganz besondere Kombinationen hin kann allerdings
auch der Eindruck und das Gefühl einer allgemeinen Überordnung einer
Gruppe entstehen.
Der Stolz und die Arbeitsverachtung der Spanier
entsprang daraus, dass sie lange Zeit die unterworfenen Mauren zu ihren
Arbeiten hatten; als sie diese und die Juden später vernichtet oder
ausgetrieben hatten, blieb ihnen nun freilich noch das Air der
Übergeordneten, während gar kein Untergeordneter mehr da war, der das
Korrelat dazu bildete.
Zur Zeit ihres höchsten Glanzes wurde es unter den
Spaniern direkt ausgesprochen, dass sie als Nation in der Welt die Stelle
einnehmen wollten, die im einzelnen Staate die Edelleute, Offiziere und
Beamten einnehmen.
Etwas Ähnliches, nur auf soliderer Grundlage, war
schon in der spartanischen Kriegerdemokratie aufgetreten.
Denn indem sie die benachbarten Stämme unterwarf, sie
aber nicht versklavte, sondern ihnen ihr Land ließ, und sie nur als
Hörige behandelte, wuchsen diese zu einer niedern Schicht zusammen, der
gegenüber die Gesamtheit der Vollbürger einen Herrenstand bildete - so
sehr sie unter sich demokratisch verfuhren.
Dies war nicht eine einfache Aristokratie, die von
vornherein mit den rechtlosern Elementen zusammen eine Gruppeneinheit
bildete.
Sondern es war tatsächlich der ganze ursprüngliche
Staat, der, im Status quo verharrend, durch den Unterbau jener Schicht die
Totalität seiner Mitglieder sozusagen zu einem Adel machte.
Auch in speziellerer Hinsicht wiederholten die
Spartaner dies Prinzip der allgemeinen Überordnung: das spartanische Heer
war so abgestuft, dass es zum großen Teil aus Befehlshabern bestand.
Hier tritt der eigentümliche soziologische Formtypus
auf: dass Bestimmungen eines Elementes, die nur in dessen Beziehung zu
einem andern entstehen konnten und an dieser ihren Inhalt und Sinn
besitzen, dennoch zu selbständigen, von aller Wechselwirkung
unabhängigen Qualitäten jenes Elementes werden.
Dass man der Herrschende ist, setzt ein Objekt der
Beherrschung voraus; allein die seelische Wirklichkeit kann diese
begriffliche Notwendigkeit bis zu einem gewissen Grade umgehen.
Das eine, innere, Motiv dazu deutet schon Plato an.
Zwischen den nach Umfang und Inhalt unendlich
verschiedenen Gebieten von Herrschaft sei in Hinsicht der Herrschaft als
solcher, als Funktion, kein Unterschied: es sei ein und dieselbe
Fähigkeit, zu befehlen, die der
p o l i t i k o V
wie der b a s i l e u V , der d
e s p o t h V wie der
o i k k o m o V besitzen
müssen.
Darum ist für ihn der eigentliche
p
o l i t i k o V nicht notwendig der Ausüber der höchsten
Staatsgewalt, sondern derjenige, der die »Befehlswissenschaft« besitzt -
gleichviel ob er etwas zu befehlen hat oder nicht.
Hier wird also auf den subjektiven Grund des
Herrschaftsverhältnisses zurückgegangen, der sich nicht erst in der
realen Korrelation eines Herrschaftsverhältnisses erzeugt, sondern
unabhängig von dessen Existenz besteht.
Der »geborene König« bedarf sozusagen keines Landes,
er ist König, er braucht es nicht zu werden.
Wenn die Spartaner unter sich keinen Adel ausbildeten,
aber sich dennoch adlig fühlten, die Spanier das Bewusstsein der Herren
hatten, auch als sie keine Diener mehr hatten - so hat dies jenen tiefern
Sinn: dass die Wechselwirkung des Herrschaftsverhältnisses der
soziologische Ausdruck oder die Aktualisierung innerer, im Subjekt
beschlossener Qualitäten ist; wer diese besitzt, ist d
u n m e i Herrscher, aus dem zweiseitigen Verhältnis ist sozusagen
die eine Seite ausgefallen, und es besteht nur in ideeller Form, ohne dass
die andre darum die ihr von innen her in dem Verhältnis zukommende
Bedeutung verlöre.
Indem dies nun bei sämtlichen Mitgliedern einer
grösseren Gruppe stattfindet, drückt es sich darin aus, dass sie sich
überhaupt nur als untereinander »Gleiche« bezeichnen, ohne in ihrer
Benennung besonders hervorzuheben, in bezug worauf sie gleich sind.
Die stimmfähigen Vollbürger Spartas hießen die o
m o i o i schlechthin.
Der Aristokratismus ihrer politischen und ökonomischen
Stellung den andern Ständen gegenüber ist völlig selbstverständlich,
so dass sie als Bezeichnung für sich nur ihr formales Verhältnis
zueinander verwenden und das zu den andern Ständen, das doch eigentlich
den Inhalt einer Standesbezeichnung ausmachen musste, gar nicht erwähnen.
Ein ähnliches Gefühl liegt überall zu Grunde, wo die
Aristokratie sich als die Pairs bezeichnet.
Sie existieren sozusagen nur für einander, die andern
gehen sie nicht einmal soviel an, um in der Kollektivbezeichnung ihre
Überlegenheit über diese zum Ausdruck zu bringen - um derentwillen es
doch überhaupt nur einer derartigen Bezeichnung bedarf.1)
Die andre Art, den Begriff der Überordnung ohne das
logisch erforderte Korrelat der entsprechenden Unterordnung zu realisieren,
liegt in der Übertragung von Formen, die sich innerhalb eines großen
Kreises gebildet haben, auf einen kleinen, dessen Verhältnisse sie von
sich aus nicht rechtfertigen.
Bestimmte Stellungen in einem ausgedehnten Kreise
schließen eine Macht, ein Überordnungsquantum, eine Bedeutung in sich,
die sie verlieren, sobald sie, ohne ihre Form zu wechseln, in einem
kleinern wiederholt werden.
Dennoch bringen sie auch in diesen den Ton von
Superiorität und Befehlshabertum mit sich, den sie dort besaßen, und der
sozusagen zu einer substantiellen, von der Relation, die sie trug,
unabhängigen Bestimmung solcher Stellung geworden ist.
Das Vermittelnde ist hier oft ein »Titel«, dem enge
Verhältnisse kaum eine Spur der Machtbedeutung lassen, deren Aplomb ihm
doch noch von seinem Ursprung in einer weiten Gruppe her geblieben ist.
Die holländischen Rederykers, eine Art Meistersinger
im 15. Jahrhundert, hatten in jeder ihrer vielen Gruppen Könige, Prinzen,
Archidiakone usw. Ich erinnere an die »Offiziere« der Heilsarmee, an die
»Hochgrade« der Freimaurerei: ein Freimaurerkapitel in Frankreich
erklärte, 1756, seine Mitglieder für »souveräne und geborne Fürsten
des gesamten Ordens«, ein andrer, wenig spätrer, nannte sich Conseil des
Empereurs d'Orient et d'Occident.
Es ist natürlich nicht nur die rein
extensiv-numerische Größe der Gruppen, deren Wandlungen die
Transposition einer ursprünglich übergeordneten Stellung in
Verhältnisse bewirken, die die logisch erforderte Unterordnung von ihr
lösen und ihr trotzdem das Cachet der Überordnung lassen.
Kontraktionen des Gruppenlebens im Sinne der
Intensität können dies ebenso bedingen.
Was die ganze hellenische Existenz während der
Kaiserzeit zerstörte, war die Beschränktheit ihrer Bedeutungssphäre,
die Entleerung von allem tiefern oder ausgreifenden Inhalt - während ein
Gefühl, noch irgend eine Superiorität bewahren zu können oder zu
müssen, ein Ehrgeiz, der seine Ideale von der großen Vergangenheit zu
Lehen trug, diese Vergangenheit überlebt hatte.
Damit entstand jene leere Ambition, die schließlich
dem Sieger in den Festspielen, dem Beamten einer bedeutungslosen Kommune,
dem Inhaber eines Ehrensitzes oder einer Anerkennung durch Statuensetzung,
dem Redner, der mangels jedes politischen Einflusses nur noch für seine
Wortkünste von einem Publikum von Tagedieben bejubelt wurde - die
Ambition entstand, die allen diesen ein Gefühl von Bedeutung und
Prärogative ohne jede reale Superiorität suggerierte.
Die Höhe über dem Durchschnittsniveau, in welche sich
die sozialen Bevorzugungen und Vorrechte dieser Schicht von Personen
erhoben, hätte die damalige griechische Gesellschaft aus ihrer realen
Struktur gar nicht aufbringen können.
Der ehemaligen Bedeutung vom Gemeinwesen entstammend,
die überhaupt derartigen Superioritäten ein Fundament gab, waren sie
nun, ohne ihre Dimensionen zu ändern, in viel kleinere Proportionen
eingesetzt und ermöglichten gerade wegen ihrer Inhaltslosigkeit eine
allgemeine Sucht nach sozialen Höhelagen, denen das Korrelat nach unten
fehlte.
Und es wirkt hier, gewissermaßen rückläufig, ein
merkwürdiger, in menschliches Tun vielfach verflochtener Zug mit, den die
primitive, »sympathische Zauberei« in großer Reinheit zeigt: man glaubt,
Erscheinungen, die außerhalb der menschlichen Machtsphäre liegen,
dadurch hervorrufen zu können, dass man sie in geringern Maßen selbst
hervorbringt.
So ist bei vielerlei Völkern das Ausgießen von Wasser
ein starker Regenzauber.
Die Macht des Allgemeinbegriffes ist allenthalben so
weitgreifend, dass man mit irgend einer minimalen oder einseitigen
Realisierung seiner ihn überhaupt, also auch seine Wirklichkeit auf viel
höhern Stufen der Extensität und Intensität gewonnen zu haben meint.
Eine Erscheinung der »Autorität« zeigt den uns hier
interessierenden Typus dieses Verhaltens in einer besondern Modifikation.
Das innere Übergewicht, das jemand auf Grund einer
einseitigen Leistung oder Qualität gewonnen hat, verhilft ihm sehr oft
zur »Autorität« in Fragen und Angelegenheiten und nach Seiten hin, die
mit jenem wirklich bewährten Vorzug seiner gar nichts zu tun haben.
Auch hier also wird die partiell bestehende und
gerechtfertigte »Überordnung« auf ein Gesamtverhältnis übertragen,
auf dem es ihr an dem Korrelat eines wirklich »beherrschten« Gebietes
fehlt.
Nur wie in eine andre Dimension ist hier die paradoxe
Erscheinung der absolut gewordenen Überordnungsschicht übergegangen,
für die die logisch erforderte Unterordnungsschicht mangelt, die diese
gleichsam aufgesogen hat oder sie nur ideell besitzt.
Ich ging davon aus, dass eine Gruppe als Ganzes den
Charakter der Unterordnung tragen kann, ohne dass das eigentlich
entsprechende Maß von Überordnung in ihr praktisch und fassbar bestände;
das Gegenstück bilden die hier behandelten Fälle, in denen eine
Überordnung wie eine absolute Qualität zu bestehen scheint, die auf
keinem korrespondierenden Unterordnungsquantum beruht.
Allein dies ist eine seltene Form; als der Gegensatz
der ersteren erscheint vielmehr im allgemeinen die Freiheit aller.
Sieht man nun näher zu, so zeigt die Befreiung von
Unterordnung sich fast immer zugleich als der Gewinn irgend einer
Herrschaft - sei es den bisher Übergeordneten gegenüber, sei es einer
neugebildeten, jetzt zu definitiver Unterordnung bestimmten Schicht.
So bemerkt der größte englische Verfassungshistoriker
über den Quarrel of Puritanism einmal: Like every other struggle for
liberty it ended in being a struggle for supremacy.
Dies allgemeine Schema nun verwirklicht sich natürlich
nicht oft in ganz reiner Art, vielmehr meistens als eine Tendenz unter
vielen gleichzeitig wirkenden, in fragmentarischen, abgelenkten,
modifizierten Formen, aus denen dennoch jener Grundwille: der Freiheit die
Überordnung zu substituieren, immer herauserkennbar ist, und deren
wesentlichen Typen ich mich jetzt zuwende.
Für den griechischen Bürger waren beide Werte auf dem
politischen Gebiet überhaupt nicht scharf zu trennen.
Es fehlte ihm die individuelle Rechtssphäre, die ihn
vor den Ansprüchen und der Willkür auch der Allgemeinheit geschützt und
ihm eine wirklich unabhängige Existenz, die konstitutionelle Freiheit
auch gegenüber dem Staate gewährleistet hätte.
Darum gab es Freiheit eigentlich nur in einer Form: als
Anteil an der Staatsherrschaft selbst.
Dies entspricht im soziologischen Typus genau den
kommunistischen Bewegungen des Altertums, in denen es auch nicht auf
Abschaffung des Privateigentums, sondern auf grösseren Anteil an ihm
seitens der Enterbten abgesehen war.
Und endlich auf der niedrigsten Stufe, auf der vom
Gewinn einer Superiorität nicht die Rede sein kann, wiederholt sich doch
diese prinzipielle Form des Verhaltens: die griechischen Sklavenaufstände
gehen kaum je auf die Sprengung der Sklavenfesseln überhaupt, sondern auf
einen geringern, erträglichern Druck dieser, sie entspringen mehr der
Empörung gegen den individuellen Missbrauch der Institution, als dem
Verlangen ihrer grundsätzlichen Abschaffung.
Es ist ein typischer Unterschied, ob der Schutz vor
Gefahren, die Abstellung von Missständen, der Gewinn ersehnter Werte
durch Abschaffung der soziologischen Form, die der Träger all jener
Negativitäten war, oder noch innerhalb dieser bewahrten Form erreicht
werden soll.
Wo auf Über- und Unterordnung gebaute
Gesamtverhältnisse sehr fest sind, wird die Befreiung der Untergeordneten
oft gar nicht die generelle Freiheit bedeuten, die eine Änderung der
Sozialform von Grund aus voraussetzte, sondern nur ein Aufsteigen jener in
die Schicht der Herrschenden; zu welchen praktischen Widersprüchen der
hierin enthaltene logische führt, ist nachher zu beleuchten.
Der Erfolg der französischen Revolution für den
dritten Stand - scheinbar seine bloße Befreiung von den Privilegien der
Privilegierten - bedeutete den Gewinn einer Überordnung in den beiden
oben angeführten Bedeutungen: er machte durch seine ökonomischen
Machtmittel die bisher höheren Stände von sich abhängig, dann aber war
dies und seine ganze Emanzipation nur dadurch inhalt- und folgenreich,
dass ein vierter Stand da war bzw. sich in dem gleichen Prozess bildete,
den der dritte ausbeuten, über den er sich erheben konnte.
Deshalb kann man keineswegs die einfache Analogie
ziehen, dass der vierte Stand heute tun wollte, was damals der dritte
getan hätte.
Dies ist ein Punkt, an dem die Freiheit ihre Beziehung
zur Gleichheit, freilich auch das notwendige Auseinanderbrechen dieser
Beziehung zeigt.
Wenn allgemeine Freiheit herrscht, so besteht insoweit
auch allgemeine Gleichheit; denn mit jener ist nur das Negative gesetzt,
dass keinerlei Herrschaft besteht - eine Bestimmung, die eben ihrer
Negativität wegen den sonst differenziertesten Elementen gemeinsam sein
kann.
Die Gleichheit aber, die so als die erste Folge oder
Akzidenz der Freiheit auftritt, ist in Wirklichkeit nur der
Durchgangspunkt, den die Pleonexie der Menschen passieren muss, sobald sie
die unterdrückten Massen ergreift.
Niemand begnügt sich, typischer Weise, mit der
Stellung, die er seinen Mitgeschöpfen gegenüber einnimmt, sondern jeder
will eine in irgend einem Sinne günstigere erobern.
Wenn nun die zu kurz gekommene Majorität den Wunsch
nach erhöhter Lebenshaltung empfindet, so wird der nächstliegende
Ausdruck dafür sein, dass sie dasselbe haben und sein will, wie die obern
Zehntausend.
Die Gleichheit mit den Höhern ist der erste sich
darbietende Inhalt, mit dem sich der Trieb eigner Erhöhung erfüllt, wie
es sich in jedem beliebigen engern Kreise zeigt, mag es eine Schulklasse,
ein Kaufmannsstand, eine Beamtenhierarchie sein.
Das gehört zu den Gründen der Tatsache, dass der
Groll des Proletariers sich meistens nicht gegen die höchsten Stände,
sondern gegen den Bourgeois wendet; denn diesen sieht er unmittelbar über
sich, er bezeichnet für ihn diejenige Stufe der Glücksleiter, die er
zunächst zu ersteigen hat, und auf die sich deshalb für den Augenblick
sein Bewusstsein und sein Wunsch nach Erhöhung konzentriert.
Der Niedre will zunächst dem Höhern gleich sein; ist
er ihm aber gleich, so zeigt tausendfache Erfahrung, dass dieser Zustand,
früher der Inbegriff seines Strebens, nichts weiter als der Ausgangspunkt
eines weiteren ist, nur die erste Station des ins Unendliche gehenden
Weges zur begünstigtsten Stellung.
Überall, wo man die Gleichmachung zu verwirklichen
suchte, hat sich von diesem neuen Boden aus das Streben des einzelnen, die
andern zu überflügeln, in jeder möglichen Weise geltend gemacht.1
1 Ich entnehme diese Sätze meiner »Sozialen
Differenzierung«, S. 232 f.
Das Gleichsein, das die Freiheit logisch mit sich
führt, solange sie in ihrem reinen und negativen Sinn als
Nicht-Beherrschtwerden gilt, ist keineswegs ihr definitives Absehen - so
oft auch die Neigung des Menschen, die nächst erforderliche oder
erreichbare Stufe seiner Willensreihen für die abschließend
befriedigende zu halten, ihm dies vorgespiegelt hat.
Ja, die naive Unklarheit verlegt die Superiorität, zu
der die Freiheit, über das Stadium der Gleichheit hinweg, drängt, schon
unmittelbar in dieses hinein; denn, ob wirklich getan oder nicht, von
typischer Wahrheit jedenfalls ist die Äußerung einer Kohlenträgerin zu
einer reichgekleideten Dame im Jahre 1848: »Ja, Madame, jetzt wird alles
gleich werden: ich werde in Seide gehen, und Sie werden Kohlen tragen.«
Dies ist der unvermeidliche Erfolg davon, dass man die
Freiheit doch nicht nur haben, sondern sie auch zu etwas benutzen will.
So pflegt die »Freiheit der Kirche« keineswegs bloß
in der Befreiung von übergeordneten irdischen Mächten, sondern eben
damit in einer Beherrschung derselben zu bestehen: die Lehrfreiheit der
Kirche z. B. bedeutet, dass der Staat Bürger erhält, die von ihr
imprägniert sind und unter ihrer Suggestion stehen, wodurch er dann oft
genug unter ihre Herrschaft geraten ist.
Über die Klassenprivilegien des Mittelalters ist
gesagt worden, dass sie oft ein Mittel waren, bei einem auf alle wirkenden
tyrannischen Druck die Freiheit aller, auch der Nicht-Privilegierten,
gewinnen zu helfen.
Ist dies aber erreicht, so wirkt nun das Weiterbestehen
des Privilegs in einem Sinne, der die Freiheit aller wieder
beeinträchtigt.
Die Freiheit der Privilegierten erzeugt einen Zustand,
dessen innere Struktur zwar die Freiheit aller als seine Folge oder
Bedingung mit sich bringt; aber diese Freiheit trägt latent in sich die
Bevorzugung jener Elemente, von der sie ausgegangen ist, und die im Lauf
der Zeit, unter der jetzt gewonnenen Bewegungsfreiheit, wieder aktuell
wird, d. h. die Freiheit aller übrigen wieder herabdrückt.
Diese Ergänzung der Freiheit durch die Herrschaft
gewinnt eine besondre Form da, wo die Freiheit einer Teilgruppe innerhalb
eines grösseren, insbesondere des staatlichen Verbandes in Frage steht.
Solche Freiheit stellt sich historisch vielfach als
mehr oder weniger ausgedehnte, eigne Jurisdiktion jener Gruppe dar.
Damit also bedeutet die Freiheit, dass die Gruppe als
Ganzes, als überindividuelle Einheit, zum Herrn über ihre einzelnen
Mitglieder gesetzt ist.
Das Entscheidende ist, dass der Sonderkreis nicht ein
Recht auf irgend welches Belieben hat - dies würde ihm seine Mitglieder
noch nicht prinzipiell unterordnen -, sondern ein Recht auf eignes Recht;
denn dies koordiniert sie dem großen, sie umgebenden Kreise, der im
übrigen das Recht verwaltet und damit jeden ihm Zugehörigen
bedingungslos unterwirft.
Die engere Gruppe pflegt dann mit äußerster Strenge
darauf zu halten, dass ihr Mitglied sich auch ihrem Gericht unterwirft,
weil sie ihre Freiheit darauf beruhen weiß.
Im mittelalterlichen Dänemark darf ein Gildebruder
sein Recht gegen den andern nur vor dem Gildegericht suchen.
Er ist äußerlich nicht gehindert, dies auch vor dem
öffentlichen, dem Königs- oder Bischofsgericht zu tun; allein dies gilt
- wo nicht etwa die Gilde es ausdrücklich gestattet hat - als ein Unrecht
sowohl gegen sie wie gegen den betreffenden Gildebruder und wird deshalb
mit Bußen an beide heimgesucht.
Die Stadt Frankfurt hatte von den Kaisern das Privileg
erhalten, dass gegen ihre Bürger niemals ein auswärtiges Gericht
angerufen werden sollte; daraufhin wurde 1396 ein Frankfurter Bürger
verhaftet, weil er andre Frankfurter, die ihm Geld schuldeten, vor einem
auswärtigen Gerichte verklagt hatte.
Da Freiheit immer die beiden Seiten haben kann:
einerseits ein Geachtetsein, ein Recht, eine Macht vorzustellen,
anderseits eine Ausschließung, eine verächtliche Gleichgültigkeit
seitens der höhern Macht - so ist es keine Gegeninstanz, dass die eigne
Jurisdiktion, die die mittelalterlichen Juden bei Rechtsstreitigkeiten
untereinander genossen, eher eine Deklassierung und Vernachlässigung
bedeutet zu haben scheint.
Ganz anders lag es bei den oströmischen Juden der
Kaiserzeit; von den alexandrinischen z. B. erzählt Strabo, dass sie einen
eignen Oberrichter hätten, der ihre Prozesse entschiede.
Und zwar geschah dies, weil die Juden behaupteten, ihre
Religion fordere eine besondre, nur ihnen eigne Rechtsprechung.
Und tatsächlich war diese rechtliche Sonderstellung
der Juden im Orient mindestens eine Quelle des Judenhasses.
Der einzelne war dabei gewiss nicht freier als auch
unter der Herrschaft des gemeinen Rechts; allein ihre Gesamtheit genoss
damit eine Freiheit, die die übrigen Staatsbürger als eine ostentative
Exemtion empfanden.
Es gründet sich eben der Vorzug eines Kreises mit
eigner Rechtsprechung keineswegs auf den besondern Inhalt des von ihm
verwalteten Rechts; dass seine Mitglieder eben nur ihm unterworfen sind,
ist schon als Form eine Freiheit.
Die Zunftmeister kämpften gegen die
genossenschaftliche Gerichtsbarkeit der Gesellenverbände, auch wo deren
inhaltliches Gebiet ganz gering war und etwa nur die Aufrechterhaltung des
Anstandes und der guten Sitte einschloss.
Denn sie wussten sehr wohl, dass die von den
Gesellenverbänden kodifizierte und geübte Sittenpolizei ihnen ein
Bewusstsein der Solidarität, der Standesehre, der organisierten
Unabhängigkeit gab, das als Rückhalt und feste Zusammengehörigkeit den
Meistern gegenüber wirkte.
Und sie wussten, dass diese soziologische Form das
Wesentliche war und, wenn sie einmal konzediert war, die weitere
Ausdehnung ihrer Inhalte nur noch von den jeweiligen Macht- und
Wirtschaftsverhältnissen abhing.
Der generelle Inhalt dieser Freiheit des Ganzen ist die
Unterworfenheit des einzelnen - womit dann das oben Angedeutete schon
gegeben ist, dass sie in keiner Weise eine materiell größere Freiheit
des Individuums zu bedeuten braucht.
Die Lehre der Volkssouveränität, gegenüber der
fürstlichen, wie sie im Mittelalter auftaucht, besagte durchaus nicht die
Freiheit des Individuums, sondern die der Kirche, anstelle des Staates
über das Individuum zu herrschen; und als im 16. Jahrhundert die
Monarchomachen den Gedanken des souveränen Volkes aufnehmen und die
Herrschaft auf eine Art privatrechtlichen Vertrags zwischen Fürsten und
Volk gründen, soll auch nicht das Individuum frei werden, sondern es soll
grade der Herrschaft seiner Konfession und der gesellschaftlichen Stände
unterworfen sein.
Ja, das eminente Interesse des relativen Ganzen an der
Herrschaft über seine Individuen, die exponierte Stellung solcher
besonders abgegrenzter und bevorrechteter Kreise führt oft dazu, dass
Sondergerichtsbarkeiten rigoroser sind als der große umgebende Kreis, der
ihnen diese Exemtion gestattet, es in seinem Rechte ist. Die dänischen
Gilden, von denen ich schon sprach, bestimmten, dass wenn ein Gildebruder
den mit einem andern abgeschlossenen Kaufvertrag bricht, er, als
Verkäufer, zweimal soviel an den Käufer büßen soll, als er an des
Königs Beamten büßen müsste, wenn er nicht Gildebruder wäre, und
zweimal soviel an alle Gildebrüder, als er an die Stadt büßen müsste.
Die Struktur des grösseren Kreises als solchen
gestattet ihm, dem Individuum mehr Freiheit zu geben als der kleinere,
dessen Bestand unmittelbarer von dem ihm zuträglichen Verhalten jedes
einzelnen Mitgliedes abhängt; auch muss er durch die Strenge seiner
Rechtsprechung immer von neuem beweisen, dass er die ihm anvertraute
Herrschaft über seine Mitglieder auch fest und würdig ausübt und der
Staatsgewalt keine Veranlassung zu korrigierendem Eingreifen gibt.
Aber dieses Regime über seine Mitglieder, in dem seine
Freiheit besteht, kann zu Schlimmerem als zu rechtlicher Härte werden.
Die große Selbständigkeit der deutschen Städte hat
freilich bis ins 16. Jahrhundert hinein ihre Entwicklung äußerst
gefördert, dann aber eine oligarchische Klassen- und Vetternherrschaft
erzeugt, die alle nicht am Regiment Teilhabenden aufs härteste bedrückte;
erst die aufkommenden Staatsgewalten haben, in nahezu zweihundertjährigem
Kampfe, dieser tyrannischen Ausnutzung der städtischen Freiheit Einhalt
tun und die Freiheit des Individuums ihr gegenüber wieder garantieren
können.
Die Selbstverwaltung, deren Segen im Prinzip erwiesen
ist, birgt eben doch die Gefahr lokaler Parlamente, in denen egoistische
Klasseninteressen dominieren.
In diese gleichsam pathologische Übertreibung schlägt
die Korrelation um, die den Gewinn der Freiheit von dem Gewinn der
Herrschaft wie von ihrer Ergänzung und ihrem Inhalt begleiten lässt.
Nach einer ganz andern Seite hin gestaltet sich der
hier fragliche Typus: die Entwicklung jeder gruppenmässigen, für viele
gleichmäßigen, keiner Unterordnung andrer bedürftigen Befreiung oder
Erhöhung zu dem Erstreben oder Gewinnen einer Überordnung - wenn wir die
Differenzierung beobachten, die über eine tiefstehende Schicht bei ihrem
Aufsteigen zu freiern oder überhaupt bessern Lebensbedingungen zu kommen
pflegt.
Der Erfolg ist sehr oft der, dass zwar gewisse Teile
der gleichmäßig in die Höhe strebenden Gruppe wirklich in die Höhe
kommen, was aber nur bedeutet, dass sie ein Teil der schon vorher
übergeordneten Schichten werden und die übrigbleibenden untergeordnet
bleiben.
Insbesondre tritt dies natürlich da ein, wo innerhalb
der emporstrebenden Schichten schon eine Scheidung Übergeordneter und
Untergeordneter besteht; da wird, nachdem die Rebellion gegen die ihnen
gemeinsam übergebaute Schicht beendet ist, jener während der Bewegung in
den Hintergrund getretene Unterschied der Rebellen sogleich wieder
hervortreten und bewirken, dass die schon vorher Höherstehenden sich
jetzt jener höchsten Schicht assimilieren, ihre frühern Mitstreiter aber
um so tiefer herabgedrückt werden.
Nach diesem Typus vollzog sich ein Teil der englischen
Arbeiterrevolution von 1830.
Die Arbeiter bildeten, um das parlamentarische
Wahlrecht für sich zu gewinnen, eine Vereinigung mit der Reformpartei und
den Mittelklassen; das Ergebnis war die Durchbringung eines Gesetzes, das
allen Klassen das Wahlrecht verlieh - nur grade den Arbeitern nicht.
Nach der gleichen Formel war, etwa im 4. Jahrhundert v.
Chr., schon der Ständekampf in Rom verlaufen.
Die reichen Plebejer, die das Konnubium und eine
demokratischere Ämterbesetzung in dem Interesse ihrer Schicht wünschten,
schlossen ein Bündnis mit dem Mittelstand und den tiefern Schichten.
Der Erfolg der Gesamtbewegung war, dass jene Punkte
ihres Programms, die hauptsächlich die Großbürger angingen, erreicht
wurden, die Reformen aber, die dem Mittelstand und den Kleinbauern
aufhelfen sollten, sich bald im Sande verliefen.
Und ebenso entwickelte sich die böhmische Revolution
von 1848, in der die Bauern die letzten Reste der Fronverfassung
beseitigten.
Sowie dies erreicht war, machten sich sofort die
Unterschiede in der Lage der Bauern geltend, die vor und während der
Revolution auf Grund der gemeinsamen Untertänigkeit zurückgetreten waren.
Die niedern Klassen der ländlichen Bevölkerung
verlangten Teilung der Gemeindegründe.
In den wohlhabenderen Bauern weckte dies sogleich alle
konservativen Instinkte, und sie sträubten sich gegen die Ansprüche des
ländlichen Proletariats, mit dem zusammen sie eben gegen die Herren
gesiegt hatten, ebenso wie diese sich gegen die ihrigen gesträubt hatten.
Es ist ein ganz typisches Vorkommnis: dass der
Stärkere, der allerdings vielleicht am meisten getan hat, dann die
Früchte des Sieges allein ernten möchte; der relativ überwiegende
Anteil am Gewinne wächst zu dem Anspruch auf absolut überwiegenden
Anteil am Gewonnenen aus.
Dieses Schema findet für seine Verwirklichung eine
große soziologische Hülfe an dem bereits Hervorgehobenen: dass eine, im
weitesten Sinne, standesmässige Schichtung vorliegt und aus der als
Ganzes gehobenen tiefern Schicht die in ihr kräftigern Elemente den
Anschluss an die höhere, bisher bekriegte Schicht gewinnen.
Damit wird die bisher relative Differenz zwischen den
besser und den schlechter gestellten Elementen jenes Standes zu einer
sozusagen absoluten, das Quantum errungener Vorteile hat bei den ersteren
die Schwelle erreicht, an der es in eine neue Vorteilsqualität übergeht..
In formal ähnlichem Sinne wurde gelegentlich im
spanischen Amerika verfahren, wenn sich unter seiner farbigen Bevölkerung
ein besonders begabter Kopf zeigte, der eine freiere und bessere Stellung
seiner Rasse entweder schon involvierte oder befürchten ließ.
Diesem erteilte man dann ein Patent, »dass er für
weiß gelten sollte«.
Indem man ihn der herrschenden Schicht assimilierte,
trat an die Stelle der Gleichheit mit dieser, die er eventuell für seine
Rasse und erst dadurch auch für sich hätte gewinnen können, die
Superiorität seinen Rassegenossen gegenüber.
Aus dem Gefühl für diesen soziologischen Typus heraus
sind z. B. in Österreich grade von arbeiterfreundlichen Politikern
Bedenken gegen die Arbeiterausschüsse erhoben worden, durch die man doch
die Unterdrückung der Arbeiter mildern will.
Man fürchtet, dass diese Ausschüsse zu einer
Arbeiteraristokratie werden könnten, die durch ihre dem Unternehmer sich
nähernde Machtstellung von diesem leichter in seine Interessen
hineingezogen werden würden, und dass so die übrige Arbeiterschaft durch
diesen scheinbaren Fortschritt noch mehr preisgegeben wäre.
So ist auch im allgemeinen die Chance der besten
Arbeiter, in die besitzende Klasse aufzusteigen, auf den ersten Blick eine
Dokumentierung des Fortschritts der Arbeiterklasse als ganzer, ihr in
Wirklichkeit keineswegs günstig.
Denn sie wird dadurch ihrer besten und führenden
Elemente beraubt, diese absolute Erhöhung ihrer Mitglieder ist zugleich
eine relative Erhöhung dieser über die Klasse, und damit eine Abtrennung
von ihr, ein regelmäßiger Aderlass, der sie ihres besten Blutes beraubt.
Darum ist es für eine Obrigkeit, gegen die eine Masse
sich empört, von vornherein günstig, wenn es ihr gelingt, diese zur Wahl
von Vertretern zu bewegen, die die Verhandlungen führen sollen.
Dadurch wird jedenfalls der überwältigende,
überrennende Ansturm der Masse als solcher gebrochen, sie wird zunächst
durch ihre eignen Anführer nun so im Zaum gehalten, wie es der Obrigkeit
selbst nicht mehr gelingt, jene üben ihr gegenüber die formale Funktion
dieser, und bereiten dadurch das Wiedereintreten der letzteren in das
Regiment vor.
In all diesen, nach den verschiedensten Seiten hin
ausladen den Erscheinungen bleibt ein immer gleicher soziologischer Kern:
dass das Erstreben und Gewinnen von Freiheit, in ihren mannigfachen,
negativen und positiven Bedeutungen, sogleich das Erstreben und Gewinnen
von Herrschaft zum Korrelat oder zur Folge hat.
Der Sozialismus wie der Anarchismus werden die
Notwendigkeit dieses Zusammenhanges leugnen.
Während das dynamische Gleichgewicht der Individuen,
das man als soziale Freiheit bezeichnen kann, hier nur als ein
Durchgangspunkt - realen oder sogar nur ideellen Wesens - erscheint, über
den hinaus die Waage sogleich wieder nach einer Seite ausschlägt, werden
sie seine Stabilität für möglich erklären, sobald nur die soziale
Organisation überhaupt nicht mehr als Über- und Unterordnung, sondern
als Koordination aller Elemente gestaltet wäre.
Die Gründe, die man gegen diese Möglichkeit
anzuführen pflegt, die aber hier nicht zur Diskussion stehen, sind als
die des terminus a quo und die des terminus ad quem zusammenzufassen: die
natürliche und durch keinerlei Maßregeln zu beseitigende Verschiedenheit
der Menschen werde sich ihren Ausdruck in einer Rangierung nach Oben und
Unten, nach Befehlenden und Gehorchenden nicht nehmen lassen; und die
Technik kultivierter Arbeit fordere zu ihrer großen Vollkommenheit einen
hierarchischen Bau der Gesellschaft, den »einen Geist für tausend Hände«,
die Struktur aus Anführenden und Ausführenden.
Dass so die Konstitution der Subjekte und die
Ansprüche der objektiven Leistung, die Träger der Arbeit und die
Vollendung ihrer Ziele sich in der Notwendigkeit von Herrschaft und
Unterordnung begegnen, Kausalität und Teleologie gleichmäßig auf diese
Form dringen, das gerade sei ihre entschiedenste und entscheidendste
Rechtfertigung und Unentbehrlichkeit.
Es treten indes in der geschichtlichen Entwicklung
sporadische Ansätze zu einer Sozialform auf, deren prinzipielle
Vollendung das Weiterbestehen von Über- und Unterordnung mit den
Freiheitswerten vereinigen könnte, um derentwillen Sozialismus und
Anarchismus für die Abschaffung jener eintreten.
Das Motiv zu solcher Bestrebung liegt doch
ausschließlich in den Gefühlszuständen der Subjekte, in dem Bewusstsein
von Entwürdigung und Unterdrücktheit, in dem Herabziehen des ganzen Ich
in die Niedrigkeit der sozialen Stufe, in dem persönlichen Hochmut, zu
dem die äußerlich führende Stellung das Selbstgefühl steigert.
Könnte irgend eine Organisation der Gesellschaft diese
psychologischen Folgeerscheinungen der sozialen Ungleichheit vermeiden, so
könnte eine solche ohne weiteres fortbestehen.
Man übersieht vielfach den rein technischen Charakter
des Sozialismus: dass er ein Mittel zur Herbeiführung gewisser
subjektiver Reaktionen ist, dass seine letzte Instanz in den Menschen und
ihrem, von ihm auszulösenden Lebensgefühl liegt.
Freilich ist, wie es nun einmal unsere seelische Art
ist, das Mittel vielfach zum Zweck ausgewachsen, die rationelle
Organisation der Gesellschaft und die Aufhebung von Befehl und
Unterworfenheit erscheint als nicht über sich hinausfragender Wert, der
ganz ohne Rücksicht auf jene personal-eudämonistischen Erfolge
Realisierung fordert.
In diesen aber liegt dennoch die eigentliche
psychologische Kraft, die der Sozialismus in die historische Bewegung
einzusetzen hat.
Als bloßes Mittel aber unterliegt er dem Verhängnis
jedes Mittels: prinzipiell nie das einzige zu sein; da mannigfaltige
Ursachen die gleiche Wirkung haben können, so ist es niemals
ausgeschlossen, dass der gleiche Zweck durch verschiedene Mittel erreicht
werden kann.
Der Sozialismus, insoweit er eine vom Willen der
Menschen abhängende Einrichtung ist, ist nur der erste Vorschlag zur
Beseitigung jener aus der historischen Ungleichheit entspringenden
eudämonistischen Unvollkommenheiten und darum mit der Sehnsucht nach
deren Aufhebung so eng assoziiert, dass er mit ihr solidarisch erscheint.
Es gibt aber keinen logischen Grund, das definitiv
entscheidende Gefühl von Würde und sich selbst gehörendem Leben
ausschließlich an ihn zu knüpfen, sobald es nur möglich wäre, die
entsprechende Assoziation auszulösen: zwischen der Über- und
Unterordnung einerseits und dem Gefühl von persönlicher Entwertung und
Unterdrücktheit anderseits.
Vielleicht gelingt dies einem Wachstum der
psychologischen Unabhängigkeit des individuellen Lebensgefühls von der
äußern Tätigkeit überhaupt und der Stellung, die der einzelne
innerhalb dieser einnimmt.
Es ließe sich denken, dass im Laufe der Kultur die
Produktionstätigkeit immer mehr bloße Technik wird, immer vollständiger
ihre Folgen für die Innerlichkeit und Persönlichkeit des Menschen
verliert.
Tatsächlich finden wir die Annäherung an diese
Scheidung als den soziologischen Typus von vielerlei Entwicklungen.
Wenn Persönlichkeit und Leistung ursprünglich eng
verschmolzen sind, so bewirkt dann die Arbeitsteilung und die Herstellung
der Produkte für den Markt, d. h. für gänzlich unbekannte und
gleichgültige Konsumenten, dass die Persönlichkeit sich immer mehr aus
der Leistung heraus und auf sich selbst zurückzieht.
Nun mag der geforderte Gehorsam noch so unbedingt sein
- er dringt mindestens nicht mehr in die für das Lebensgefühl und den
Persönlichkeitswert entscheidende Schicht, weil er nur eine technische
Notwendigkeit ist, eine Organisationsform, die ebenso auf dem abgegrenzten
Gebiet der Äußerlichkeiten verbleibt, wie die manuelle Arbeit selbst.
Diese Differenzierung der objektiven und der
subjektiven Lebenselemente, bei der die Unterordnung in ihrem
technisch-organisatorischen Werte erhalten bleibt, aber ihre personal und
innerlich deprimierenden und deklassierenden Folgen abwirft - ist
selbstverständlich keine Panacée gegen sämtliche Schwierigkeiten und
Leiden, die das Herrschen und Gehorchen auf allen Gebieten mit sich bringt;
sie ist an dieser Stelle nur der prinzipielle Ausdruck einer sehr partiell
wirksamen Tendenz, die in der Wirklichkeit niemals zu einer unabgelenkten
und abschließenden Leistung kommt.
Eines der reinsten Beispiele bietet der
Freiwilligendienst des heutigen Militärs.
Der geistig und sozial höchststehende Mann mag sich
hier dem Unteroffizier unterordnen, ja eine Behandlung ertragen, die ihn,
wenn sie wirklich sein Ich und sein Ehrgefühl träfe, zu den
verzweifeltsten Reaktionen bewegen würde.
Aber das Bewusstsein, dass er gar nicht als
individuelle Persönlichkeit, sondern nur als unpersönliches Glied sich
einer objektiven, solche Disziplin fordernden Technik zu beugen hat,
lässt es zu dem Gefühl der Entwürdigung und Unterdrückung - mindestens
in vielen Fällen - nicht kommen.
Innerhalb der Wirtschaft ist es insbesondere der
Übergang der Lohnarbeit zur Maschinenarbeit und der Naturalentlohnung zum
Geldlohn, der dies Objektivwerden der Über- und Unterordnung begünstigt,
gegenüber dem Gesellenverhältnis, in dem sich die Aufsicht und
Herrschaft des Meisters auf alle Lebensbeziehungen des Gesellen, ganz
über die rein im Arbeitsverhältnis gelegene Prärogative hinaus,
erstreckte.
Dem gleichen Entwicklungsziel könnte ein weiterer
wichtiger Typus soziologischer Formung dienen.
Proudhon will bekanntlich alle Über- und Unterordnung
aufheben, indem er diejenigen regierenden Gebilde, welche sich unter
Wechselwirkung der Individuen als Träger der sozialen Kräfte
herausdifferenziert haben, auflösen und alle Ordnung und allen
Zusammenhalt wieder auf die unmittelbare Wechselwirkung zwischen freien,
koordinierten Individuen gründen will.
Nun ist aber diese Koordination vielleicht auch bei
Weiterbestehen von Über- und Unterordnung zu erreichen, wenn diese
nämlich eine wechselseitige ist; eine ideale Verfassung, in der A. dem B.
in einer Beziehung oder zu einer Zeit übergeordnet ist, in einer andern
Beziehung oder zu einer andern Zeit aber B. dem A.
Damit wäre der organisatorische Wert der Über- und
Unterordnung gewahrt, während ihre Bedrückung, Einseitigkeit und
Ungerechtigkeit fortfiele.
Es gibt nun tatsächlich außerordentlich viele
Erscheinungen des Gesellschaftslebens in denen dieser Formtypus sich
verwirklicht, wenn auch nur in embryonaler, verstümmelter und verdeckter
Art.
Ein Beispiel in engem Rahmen ist etwa eine
Produktivassoziation von Arbeitern zu einem Betrieb, für den sie einen
Meister und Werkführer wählen.
Während sie diesem in der Technik des Betriebes
untergeordnet sind, sind sie ihm doch in bezug auf dessen allgemeine
Leitung und Ergebnisse übergeordnet.
Indem alle Gruppen, in denen der Führer entweder durch
häufigere Wahl oder nach regelmäßigem Turnus wechselt - bis herab zu dem
Vorsitz in geselligen Vereinen -, diese Vereinigung von Über-und
Unterordnung aus der homochronen Form in die zeitliche Alternierung
übertragen, gewinnen sie die technischen Vorteile der Über- und
Unterordnung unter Vermeidung ihrer personalen Nachteile.
Alle entschiedenen Demokratien suchen dies durch die
kurze Funktionsdauer ihrer Beamten zu erreichen.
Hierdurch wird das Ideal, dass jeder einmal an die
Reihe kommt, möglichst erreicht; daher auch das häufige Verbot der
Wiederwahl.
Die gleichzeitige Über- und Unterordnung ist eine der
kraftvollsten Formen der Wechselwirkung und kann, in richtiger Verteilung
auf die verschiedensten Gebiete, schon durch die enge Wechselwirkung, die
sie bedeutet, ein sehr starkes Band zwischen Individuen bilden.
Stirner sieht hierin das Wesentliche des
Konstitutionalismus: »Die Minister dominieren über ihren Herrn, den
Fürsten, die Deputierten über ihren Herrn, das Volk.« Und noch in einem
tiefem Sinne enthält der Parlamentarismus diese Korrelationsform.
Wenn die moderne Jurisprudenz alle Rechtsverhältnisse
in solche der Gleichordnung und solche der Über- und Unterordnung teilt,
so dürften auch die erstem vielfach solche von Über- und Unterordnung,
aber in wechselseitiger Ausübung, sein.
Die Gleichordnung zweier Bürger mag darin bestehen,
dass keiner eine Prärogative vor dem andern besitzt.
Aber indem jeder einen Abgeordneten wählt, und dieser
über Gesetze, die auch für den andern gelten, mitzubestimmen hat,
entsteht ein Verhältnis wechselseitiger Über- und Unterordnung, und zwar
als Ausdruck der Koordination.
Für die Verfassungsfragen ist diese Form überhaupt
von entscheidender Bedeutung, wie schon Aristoteles erkannt hat, wenn er
den Anteil an der Staatsgewalt dem Rechte nach von dem Anteil an der
Staatsgewalt der Ausübung nach unterscheidet.
Dadurch, dass ein Bürger, im Gegensatz zu den
Nicht-Bürgern, ein Träger der Staatsgewalt ist, ist noch nicht gesagt,
dass er nicht etwa innerhalb der Organisation dieser lediglich und dauernd
zu den bloß Gehorchenden gehört.
Wer in bezug auf die Frage der Bürgerwehrfähigkeit zu
den o l i g o i
, zu den Besitzenden, zählen mag, kann hinsichtlich des Anteils
an der Ausübung der Staatsgewalt zu den weniger Besitzenden, dem d h m o V
gehören,
indem zu Ämtern etwa nur Leute mit hoher Schätzung wählbar sind,
niedrigere Schätzung aber lediglich zur Teilnahme an der e
k k l h s i a berechtigt.
Ein Staat, welcher sich in Richtung auf das erste
Verhältnis vielleicht als o l i a r c i a
darstellte, ist in bezug auf das zweite unter Umständen Demokratie.
Der Beamte ist hier der allgemeinen Staatsgewalt
unterworfen, deren Träger in der praktischen Organisation ihm wieder
unterworfen sind.
Man hat dieses Verhältnis zugleich verfeinerter und
allgemeiner ausgedrückt, Individuum als allen andern koordiniertes Glied
des Staates gegenüberstellte: der einzelne sei in jener Hinsicht
Pflichtobjekt, in dieser Rechtsobjekt.
Und zwar steigert sich diese Differenzierung und
zugleich die durch die Wechselseitigkeit der Über-und Unterordnung
bewirkte Einheitlichkeit des Gruppenlebens noch, wenn man auf gewisse
Inhalte achtet, auf die sich diese Form bezieht.
Man hat als die Stärke der Demokratie hervorgehoben -
mit vollem Bewusstsein der darin gelegenen indem man das Volk als Objekt
des Imperiums dem Individuum als allen andern koordiniertes Glied des
Staates gegenüberstellte: der einzelne sei in jener Hinsicht
Pflichtobjekt, in dieser Rechtsobjekt.
Und zwar steigert sich diese Differenzierung und
zugleich die durch die Wechselseitigkeit der Über-und Unterordnung
bewirkte Einheitlichkeit des Gruppenlebens noch, wenn man auf gewisse
Inhalte achtet, auf die sich diese Form bezieht.
Man hat als die Stärke der Demokratie hervorgehoben -
mit vollem Bewusstsein der darin gelegenen Paradoxie- dass ein jeder in
den Dingen Diener ist, in denen er die genaueste Sachkenntnis besitzt,
nämlich in den beruflichen, wo er den Wünschen der Konsumenten, den
Anweisungen des Unternehmers oder sonstigen Auftragerteilenden gehorchen
muss - während er in den allgemeinen bzw. politischen Interessen der
Gesamtheit mit Herr ist, von denen er kein spezielles, sondern nur das
allen andern auch eigene Verständnis hat.
Wo der in letzter Instanz Herrschende zugleich der
Sachverständige ist, da sei die absolute Unterdrückung der
Tieferstehenden ganz unvermeidlich; und wenn in der Demokratie die
jeweilige Zahlenmajorität diese Konzentration von Wissen und Macht
besäße, würde sie keine weniger schädliche Tyrannei als die Autokratie
üben.
Um es zu dieser Spaltung zwischen Oben und Unten nicht
kommen zu lassen, sondern eine Einheit des Ganzen zu bewahren, bedürfe es
dieser eigentümlichen Verschränkung, mit der die höchste Macht denen
anvertraut sei, die in Hinsicht des Sachverständnisses subaltern wären!
Auf der Verflechtung von alternierenden Über-und Unterordnungen zwischen
denselben Potenzen ruhte nicht weniger die Einheit des Staatsgedankens, zu
der nach der glorreichen Revolution in England die parlamentarische und
die Kirchenverfassung zusammenwuchsen.
Die Geistlichkeit hatte eine tiefe Abneigung gegen das
parlamentarische Regime und vor allem gegen die Prärogative, die dieses
auch ihr gegenüber verlangte.
Der Friedensschluss kam - den Hauptsachen nach - so
zustande, dass die Kirche eine besondre Gerichtsgewalt über Ehe und
Testamente behielt und ihre Strafbestimmungen über Katholiken und
Nicht-Kirchenbesucher.
Dafür vergaß sie ihre Lehre vom unabänderlichen »Gehorsam«
und erkannte an, dass die göttliche Weltordnung Platz für eine
parlamentarische hatte, deren besondern Bestimmungen auch die
Geistlichkeit unterworfen sei.
Wiederum aber dominierte die Kirche das Parlament,
indem zum Eintritt in dieses Eide erforderlich waren, die nur die
Staatskirchler ohne weiteres, Dissenters auf Umwegen, Andersgläubige
überhaupt nicht ablegen durften.
Die regierende geistliche und weltliche Klasse
verkettete sich in der Weise, dass die Erzbischöfe ihren Platz im
Oberhause über den Herzögen, die Bischöfe über den Lords behielten,
während sich alle Pfarren dem Patronat der weltlichen regierenden Klasse
unterordneten.
Dafür überließ man den Ortsgeistlichen wieder die
Leitung der Ortsgemeindeversammlung.
Dies war die Wechselwirkungsform, die die sonst
einander widerstrebenden Machtfaktoren gewinnen konnten, damit die
Staatskirche des 18. Jahrhunderts und eine einheitliche Organisation des
englischen Lebens überhaupt zustande kam.
So verdankt das eheliche Verhältnis seine innere und
äußere Festigkeit und Einheit wenigstens zum Teil der Tatsache, dass es
eine große Anzahl von Interessengebieten umfasst und auf manchen
derselben der eine Teil, auf andern der andre übergeordnet ist.
Dadurch entsteht ein Ineinanderwachsen, eine
Einheitlichkeit und zugleich doch innere Lebendigkeit des Verhältnisses,
wie sie bei andern soziologischen Formen kaum zu erreichen ist.
Was man die »Gleichberechtigung« von Mann und Frau in
der Ehe nennt - als Tatsache oder als frommer Wunsch - wird sich wohl zum
großen Teil als solche alternierende Über- und Unterordnung
herausstellen.
Wenigstens ergäbe sich hierbei, insbesondere wenn man
auf die tausend feinen, nicht in Prinzipien zu fassenden Beziehungen des
täglichen Lebens achtet, ein mehr organisches Verhältnis, als bei einer
mechanischen Gleichheit im unmittelbaren Sinn; jene Alternierung brächte
es schon mit sich, dass die jeweilige Überordnung nicht als brutaler
Befehl auftritt.
Diese Verhältnisform bildete auch eines der festesten
Bänder für die Armee Cromwells.
Derselbe Soldat, der in militärischen Angelegenheiten
seinem Vorgesetzten blind gehorchte, machte sich oft in der Gebetstunde
zum Sittenprediger diesem Vorgesetzten gegenüber, ein Korporal konnte die
Andacht leiten, an der sein Hauptmann nur ebenso wie alle Gemeinen
teilnahm, die Armee, die ihrem Führer unbedingt folgte, wenn einmal ein
politischer Zweck akzeptiert war, fasste vorher doch ihrerseits politische
Entschlüsse, denen sich die Führer unterordnen mussten.
Durch diese Wechselseitigkeit von Über- und
Unterordnung erhielt die puritanische Armee, solange sie bestand, eine
außerordentliche Festigkeit.
Nun ist dieser günstige Erfolg der in Frage stehenden
Vergesellschaftungsform aber davon abhängig, dass die Sphäre, innerhalb
deren das eine Sozialelement übergeordnet ist, sehr genau und
unzweideutig von denjenigen abgegrenzt ist, in denen das andere
übergeordnet ist.
Sobald dies nicht der Fall ist, werden fortwährende
Kompetenzkonflikte entstehen, und der Erfolg wird nicht Stärkung, sondern
Schwächung der Verbindung sein.
Insbesondere wo ein im allgemeinen Untergeordneter
gelegentlich eine Überordnung erringt, die auf dem Gebiet seiner
sonstigen Unterordnung bleibt, da wird teils durch den Charakter des
Rebellentums, den dieser Zustand meistenteils tragen wird, teils durch die
mangelnde Fähigkeit des immer Untergeordneten zur Überordnung auf dem
gleichen Gebiete - die Festigkeit der Gruppe leiden.
So brachen zur Zeit der Weltmacht Spaniens im
spanischen Heer, z. B. in den Niederlanden, periodische Rebellionen aus.
Mit so furchtbarer Disziplin es im ganzen
zusammengehalten wurde, so zeigte es doch gelegentlich eine
ununterdrückbare demokratische Energie.
In gewissen, fast berechenbaren Zwischenräumen
rebellierten sie gegen die Offiziere, setzten sie ab und wählten eigne
Offiziere, die aber unter Aufsicht der Soldaten standen und nichts tun
durften, was nicht alle Untergebenen billigten.
Die Schädlichkeit solchen Durcheinandergehens von
Über- und Unterordnung auf einem und demselben Gebiete bedarf keiner
Erörterung.
Sie liegt in indirekter Form ebenso in der kurzen
Amtsdauer wählbarer Beamten vieler Demokratien; es wird dadurch
allerdings erreicht, dass eine möglichst große Anzahl von Bürgern
einmal in eine führende Stellung gelangt - aber anderseits werden
langsichtige Pläne, kontinuierliche Aktionen, konsequent durchgeführte
Maßregeln, technische Vollkommenheit oft genug dadurch verhindert.
In den antiken Republiken freilich war dieses rasche
Alternieren noch nicht in diesem Maße schädlich, insoweit ihre
Verwaltung einfach und durchsichtig war, und die meisten Bürger die für
die Ämter erforderlichen Kenntnisse und Schulung besaßen.
Die soziologische Form jener Vorkommnisse im spanischen
Heere zeigten, bei sehr verschiedenem Inhalt, die großen
Unzuträglichkeiten, die sich im Anfang dieses Jahrhunderts in der
amerikanischen Episkopalkirche herausstellten.
Die Gemeinden wurden nämlich von einer fieberhaften
Leidenschaft ergriffen, eine Kontrolle über ihre Geistlichen auszuüben,
die doch grade um der sittlichen und kirchlichen Kontrolle über die
Gemeinde willen angestellt waren! In Nachwirkung dieser Aufsässigkeit der
Gemeinden wurden in Virginien noch lange Zeit nachher die Geistlichen
immer nur auf ein Jahr angestellt.
Mit einer kleinen Verschiebung, in der Hauptsache aber
doch formal gleich, tritt dies soziologische Vorkommnis in
Beamtenhierarchien ein, wo der Vorgesetzte technisch vom Untergebenen
abhängig ist.
Dem höhern Beamten fehlt oft die Kenntnis der
technischen Details oder der aktuellen Sachlage.
Der untere Beamte bewegt sich meistens sein Leben lang
in demselben Kreise von Aufgaben und gewinnt dadurch eine spezialistische
Kenntnis seines engen Gebietes, die demjenigen entgeht, der rasch durch
verschiedene Stufen vorwärts eilt - während seine Beschlüsse doch nicht
ohne jene Detailkenntnisse ausgeführt werden können.
Bei dem Vorrecht zum Staatsdienst, das in der
römischen Kaiserzeit Ritter und Senatoren hatten, gab man sich mit keiner
theoretischen Vorbildung zu ihm ab, sondern überließ den Erwerb der
erforderlichen Kenntnisse einfach der Praxis.
Dies hatte aber - schon in den letzten Zeiten der
Republik - die Folge gehabt, dass die höhern Beamten von ihrem
Unterpersonal abhängig waren, welches, nicht ständig wechselnd, sich
eine gewisse Geschäftsroutine zu verschaffen in der Lage war.
Dies ist in Russland eine durchgehende Erscheinung, die
durch die dortige Art der Ämterbesetzung besonders begünstigt wird.
Das Avancement findet dort nach Rangklassen statt, aber
nicht nur innerhalb derselben Ressorts, sondern wer eine bestimmte Klasse
erreicht hat, wird oft - auf seinen Wunsch oder den des Vorgesetzten - mit
eben dem selben Rang in ein ganz anderes versetzt werden.
So war es, wenigstens bis vor kurzem, kein seltner
Fall, dass der graduierte Student nach sechsmonatiger Dienstleistung in
der Front ohne weiteres Offizier wird, ein Offizier dagegen unter
Übertritt in die seiner militärischen Charge entsprechende
Beamtenrangstufe irgend ein ihm mehr zusagendes Amt im Zivilstaatsdienst
erhält.
Wie sich dann beide mit ihrer den neuen Verhältnissen
nicht angepassten Vorbildung zurechtfinden, bleibt ihnen überlassen.
Mit unvermeidlicher Häufigkeit muss hieraus technische
Unkenntnis des höhern Beamten für seine Stelle hervorgehen, die ihn
ebenso unvermeidlich von seinem Untergebenen und dessen Sachkenntnis
abhängig macht.
Diese Reziprozität von Über- und Unterordnung lässt
also oft den tatsächlich Leitenden als den Untergeordneten, den
tatsächlich nur Ausführenden als den Übergeordneten erscheinen und
schädigt damit die Gediegenheit der Organisation ebenso, wie eine
zweckmäßig verteilte Alternierung von Über- und Unterordnung sie
stützen kann.
Jenseits dieser speziellern Formungen stellt die
Tatsache der Herrschaft folgendes ganz allgemeine soziologische Problem.
Über- und Unterordnung bilden einerseits eine Form der
objektiven Organisation der Gesellschaft; sie sind anderseits der Ausdruck
der persönlichen Qualitätsunterschiede zwischen den Menschen.
Wie verhalten sich nun diese beiden Bestimmungen
zueinander, und wie wird die Form der Vergesellschaftung durch die
Verschiedenheiten dieses Verhältnisses beeinflusst?
Am Anfang der gesellschaftlichen Entwicklung muss die
Überordnung einer Persönlichkeit über andre der adäquate Ausdruck und
Folge persönlicher Überlegenheit gewesen sein.
Es liegt gar kein Grund vor, weshalb in einem sozialen
Zustande ohne feste Organisation, die dem einzelnen a priori seine Stelle
anweist, irgend jemand sich dem andern unterordnen sollte, wenn ihn nicht
Gewalt, Pietät, körperliche, geistige oder willensmässige
Überlegenheit, Suggestion, kurz das Verhältnis seines persönlichen
Seins zu dem des andren dazu bestimmte.
Wenigstens müssen wir, da uns das Anfangsstadium
gesellschaftlicher Bildung historisch unzugängig ist, aus methodischem
Prinzip die möglichst einfache Annahme: einer annähernden
Gleichgewichtslage, machen.
Dies verhält sich wie mit den kosmologischen
Herleitungen.
Weil wir den Ausgangszustand des Weltprozesses nicht
kennen, musste man sich bemühen, von dem möglichst Einfachen, der
Homogenität und Gleichgewichtslage der Weltelemente aus, Beginn und
Fortschritt der Mannigfaltigkeiten und Differenzierungen zu deduzieren.
Nun ist freilich kein Zweifel, dass wenn jene
Voraussetzungen im absoluten Sinne gemacht werden, kein Weltprozess
beginnen konnte, weil sie keine Ursache für Bewegung und Besonderung
bieten: vielmehr muss irgend ein differentielles Verhalten von Elementen,
wie minimal auch immer, an den Anfangszustand gesetzt werden, um von ihm
aus die weitern Differenzierungen begreiflich zu machen.
So sind wir auch genötigt, in der Entwicklung der
sozialen Mannigfaltigkeiten von einem fiktiven einfachsten Zustande
auszugehen; das Minimum von Mannigfaltigkeit, dessen es als des Keimes
aller spätern Differenzierungen bedarf, wird wohl in die rein personalen
Unterschiedenheiten innerhalb der Anlagen der Individuen gesetzt werden
müssen.
Die nach außen gerichteten Unterschiedlichkeiten der
Menschen in den auf einander bezüglichen Positionen werden also zu aller
erst von solchen qualitativen Individualisierungen abzuleiten sein.
So werden von dem Fürsten in primitiven Zeiten
Vollkommenheiten gefordert oder vorausgesetzt, die in ihrem Grade oder in
ihrer Vereinigung ungewöhnlich sind.
Der griechische König der heroischen Zeit muss nicht
nur tapfer, weise und beredt sein, sondern auch hervorragend in den
athletischen Übungen und möglichst auch ein vortrefflicher Zimmermann,
Schiffsbauer und Ackersmann.
Die Stellung des Königs David beruhte, wie man
hervorgehoben hat, zum großen Teil darauf, dass er zugleich Sänger und
Kriegsmann, Laie und Prophet war und die Fähigkeiten dazu besaß, die
weltliche Staatsmacht mit der geistlichen Theokratie zu verschmelzen.
Aus diesem Ursprung von Über- und Unterordnung, der
natürlich noch in jedem Augenblick innerhalb der Gesellschaft wirksam ist
und fortwährend neue Verhältnisse stiftet, entwickeln sich nun aber
feststehende Organisationen von Über- und Unterordnung, in welche die
Individuen entweder hineingeboren werden, oder in denen sie die einzelnen
Positionen auf Grund ganz andrer Qualitäten erringen, als die sind,
welche die fragliche Über- und Unterordnung ursprünglich begründet
haben.
Dieser Übergang vom Subjektivismus der
Herrschaftsverhältnisse zu einer objektiven Formation und Fixierung wird
durch die rein quantitative Erweiterung der Herrschaftsgebiete bewirkt.
Für diese allenthalben bemerkbare Beziehung zwischen
der steigenden Quantität von Elementen und der Objektivität der für sie
gültigen Normierungen sind zwei eigentlich entgegengesetzte Motive von
Bedeutung.
Die Vermehrung von Elementen enthält zugleich eine
Vermehrung der in ihnen vorkommenden qualitativen Besonderheiten.
Damit steigt die Unwahrscheinlichkeit, dass irgend ein
Element von subjektiver Individualität ein gleiches oder ein
gleichmäßig genügendes Verhältnis zu jedem von ihnen habe.
In dem Maß, in dem die Differenzen innerhalb des
Herrschafts- oder Normierungsgebietes zunehmen, muss der Herrscher oder
die Norm ihren Individualcharakter abzutun und einen allgemeinen, über
die Fluktuierungen des Subjektiven erhabnen anzunehmen suchen.
Anderseits führt eben die selbe Erweiterung des
Kreises auf Arbeitsteilung und Differenzierung unter ihren führenden
Elementen.
Der Herrscher einer großen Gruppe kann nicht mehr wie
der griechische König für alle ihre wesentlichen Interessen Maß und
Führer sein; es bedarf vielmehr einer vielfältigen Spezialisierung und
sachmässigen Einteilung des Regimes.
Arbeitsteilung aber steht überall in Wechselbeziehung
mit der Objektivierung des Handelns und der Verhältnisse, sie rückt die
Leistung des einzelnen in einen außerhalb seiner Sphäre gelegnen
Zusammenhang, die Persönlichkeit als ganze und innere stellt sich
jenseits ihres einseitigen Tuns, dessen rein sachlich umschriebne
Resultate sich erst mit denen andrer Persönlichkeiten wieder zu einer
Ganzheit zusammentun.
Der Umkreis solcher Ursachen wird die von Fall zu Fall,
von Person zu Person entstehenden Herrschaftsverhältnisse in die
objektive Form übergeführt haben, in der sozusagen nicht der Mensch,
sondern die Stellung das Übergeordnete ist.
Das Apriori der Beziehung sind jetzt nicht mehr die
Menschen mit ihren Eigenschaften, aus denen die soziale Relation entsteht,
sondern diese Relationen als objektive Formen, »Stellungen«, gleichsam
leere Räume und Umrisse, die erst von Individuen »ausgefüllt« werden
sollen.
Je fester und technisch ausgearbeiteter die
Organisation der Gruppe ist, desto objektiver und formaler bieten sich die
Schemata der Über- und Unterordnung dar, zu denen dann erst nachträglich
die geeigneten Personen gesucht werden, oder die durch die bloßen
Zufälle der Geburt und sonstiger Chancen ihre Ausfüllungen finden.
Hierbei ist keineswegs nur an die Hierarchie
staatlicher Stellungen zu denken.
Die Geldwirtschaft schafft auf den von ihr beherrschten
Gebieten eine ganz ähnliche Formung der Gesellschaft.
Der Besitz oder der Mangel einer bestimmten Geldsumme
bedeutet eine bestimmte soziale Stellung, fast ganz unabhängig von den
personalen Qualitäten dessen, der sie ausfüllt.
Das Geld hat die vorhin betonte Scheidung zwischen dem
Menschen als Persönlichkeit und als Träger einer bestimmten
Einzelleistung oder -bedeutung auf den Gipfel gehoben; sein Besitz
gewährt jedem, der ihn erobern oder irgendwie erwerben kann, eine Macht
und eine Stellung, die mit dem Innehaben dieses Besitzes, nicht aber mit
der Persönlichkeit und ihren Eigenschaften auftritt und verschwindet.
Die Menschen traversieren durch die Positionen, die
bestimmten Geldbesitzen entsprechen, wie rein zufällige Ausfüllungen
durch feste, gegebene Formen hindurchgehen.
Dass übrigens die moderne Gesellschaft diese
Diskrepanz zwischen Stellung und Persönlichkeit nicht etwa durchgehend
aufweist, bedarf keiner Betonung.
Vielmehr wird sich vielfach sogar durch die Lösung des
objektiven Inhaltes der Position von der Persönlichkeit als solcher eine
gewisse Gelenkigkeit ihrer Zuordnung herstellen, die die angemessene
Proportion auf neuer, oft rationellerer Basis realisiert - ganz abgesehen
von den ungeheuer gesteigerten Möglichkeiten, die die liberalen Ordnungen
überhaupt für den Gewinn der den Kräften entsprechenden Stellung geben:
wenngleich die hier in Frage kommenden Kräfte oft so spezialistische sind,
dass die durch sie gewonnene Überordnung dennoch der Persönlichkeit nach
ihrem Gesamtwert nicht zukommt.
Grade an gewissen mittlern Gestaltungen, wie der
ständischen und der zünftischen, wird jene Diskrepanz gelegentlich ihr
Maximum erreichen.
Man hat mit Recht hervorgehoben, dass das System der
Großindustrie dem ausnehmend begabten Manne mehr Gelegenheit gebe, sich
auszuzeichnen, als er vordem besaß.
Das Zahlenverhältnis von Werkführern und Aufsehern zu
Arbeitern sei zwar heutzutage kleiner, als das Zahlenverhältnis von
Kleinmeistern zu Lohnarbeitern vor zweihundert Jahren.
Aber das besondre Talent könne viel sichrer zu
höherer Stellung aufsteigen.
Worauf es an dieser Stelle ankommt, ist nur die
eigentümliche Chance des Auseinanderfallens der personalen Qualität und
ihrer Stellung nach Herrschen oder Beherrscht werden, die durch die
Objektivierung der Stellungen, durch ihre Differenzierung von dem rein
Personalen der Individualität gegeben ist.
So sehr der Sozialismus dieses blind zufällige
Verhältnis zwischen der objektiven Stufenfolge der Positionen und den
Qualifikationen der Personen perhorresziert, so kommen doch seine
Organisationsvorschläge auf dieselbe soziologische Gestaltung heraus.
Denn er fordert eine absolut zentralisierte, also
notwendigerweise streng gegliederte und hierarchische Verfassung und
Verwaltung, setzt aber alle Individuen als a priori gleich befähigt
voraus, jede beliebige Stelle dieser Hierarchie auszufüllen.
Damit aber wird grade das, was an den jetzigen
Zuständen als sinnlos erschien, mindestens nach einer Seite hin zum
Prinzip erhoben.
Denn dass, in der reinen demokratischen Konsequenz, die
Geleiteten den Leiter wählen, bietet keine Garantie gegen die
Zufälligkeit des Verhältnisses zwischen Person und Stellung, nicht nur
weil man, um den besten Sachkenner zu wählen, selbst Sachkenner sein
muss; sondern weil das Prinzip der Wahl von unten her in allen weit
ausgedehnten Kreisen durchaus zufällige Resultate liefert; ausgenommen
hiervon sind reine Parteiwahlen, bei denen aber grade das Moment, für das
Sinn oder Zufall hier in Frage steht, ausgeschaltet ist: denn die
Parteiwahl als solche gilt doch nicht der Person, weil sie diese
bestimmten persönlichen Qualitäten besitzt, sondern weil sie der -
extrem gesprochen - anonyme Vertreter eines bestimmten objektiven Prinzips
ist.
Die Form der Kreierung des Führers, zu der der
Sozialismus folgerichtig greifen müsste, ist die Auslosung der Positionen.
Viel mehr als der Turnus, der in ausgedehnten
Verhältnissen doch nie vollständig durchzuführen ist, bringt die Losung
den ideellen Anspruch eines jeden zum Ausdruck.
Sie ist deshalb keineswegs an sich demokratisch; nicht
nur, weil sie auch in einer herrschenden Aristokratie gelten kann und als
reines Formprinzip ganz jenseits dieser Gegensätze steht; sondern vor
allem, weil die Demokratie die reale Mitwirksamkeit aller bedeutet, die
Auslosung führender Positionen aber diese grade in eine ideelle umsetzt,
in das bloß potentielle Recht jedes einzelnen, in eine leitende Stellung
zu gelangen.
Das Losprinzip schneidet die Vermittlung subjektiver
Geeignetheit zwischen dem Menschen und seiner Stellung völlig durch, mit
ihm ist die formal-organisatorische Forderung der Oberund Unterordnung
überhaupt völlig Herr über die personalen Qualitäten geworden, von
denen sie ausgegangen war.
An dem Problem des Verhältnisses zwischen personaler
und nur stellungsmässiger Superiorität scheiden sich zwei bedeutsame
soziologische Formgedanken.
In Anbetracht der tatsächlichen und nur in einer
Utopie zu beseitigenden Ungleichheit in den Qualitäten der Menschen ist
die »Herrschaft der Besten« jedenfalls diejenige Verfassung, die das
innere und ideelle Verhältnis der Menschen am genausten und
zweckmäßigsten in ihrem Äußern zum Ausdruck bringt.
Dies ist vielleicht der tiefste Grund, aus dem
Künstler so oft aristokratisch gesonnen sind; denn alles Künstlertum
ruht auf der Voraussetzung, dass der innere Sinn der Dinge sich in ihrer
Erscheinung adäquat offenbare, wenn man diese nur richtig und
vollständig zu sehn verstände; die Trennung der Welt von ihrem Werte,
der Erscheinung von ihrer Bedeutung ist die schlechthin antikünstlerische
Sinnesart - so sehr der Künstler auch die unmittelbare Gegebenheit
umgestalten muss, damit sie ihre wahre, überzufällige Form hergebe, die
nun aber zugleich das Wort für ihren seelischen oder metaphysischen Sinn
ist.
Der psychologische und historische Zusammenhang
zwischen aristokratischer und künstlerischer Lebensauffassung dürfte so
mindestens zum Teil darauf zurückgehen, dass nur eine aristokratische
Ordnung den innern Wertrelationen der Menschen eine sichtbare Form,
sozusagen ihr ästhetisches Symbol verschafft.
Nun aber ist eine Aristokratie in diesem reinen Sinne,
als die Herrschaft der Besten, wie Plato sie dachte, empirisch nicht zu
realisieren.
Zunächst, weil bisher kein Verfahren gefunden worden
ist, durch das »die Besten« mit Sicherheit erkannt und an ihren Platz
gestellt würden; weder die apriorische Methode der Züchtung einer
herrschenden Kaste, noch die aposteriorische der natürlichen Auslese im
freien Kampf um die begünstigte Stellung, noch die gewissermaßen
mittlere der Personenwahl von unten oder von oben her haben sich als
dafür zugänglich erwiesen.
Indem zu diesen Schwierigkeiten der Voraussetzung noch
die weitern kommen: dass die Menschen sich mit der Superiorität selbst
des Besten unter ihnen selten beruhigen, weil sie überhaupt keine
Superiorität wollen oder wenigstens keine, an der sie nicht selbst teil
hätten; und ferner dass der Besitz der Macht, auch der ursprünglich mit
Recht verdiente, zu demoralisieren pflegt, freilich nicht immer das
Individuum, aber fast immer Körperschaften und Klassen - so wird die
Meinung des Aristoteles begreiflich: es komme zwar, vom abstrakten
Standpunkt aus, dem einzelnen oder dem Geschlecht, das etwa alle andern
a
n
a r e t h überrage, die absolute Herrschaft über diese andern zu; von
den Anforderungen der Praxis aus sei dagegen eine Mischung dieser
Herrschaft mit der der Masse zu empfehlen; deren numerisches Übergewicht
müsse mit jenem qualitativen zusammenwirken.
Über diesen vermittelnden Gedanken hinaus aber können
die hervorgehobnen Schwierigkeiten einer »Herrschaft der Besten« zu der
Resignation führen, die allgemeine Gleichheit als die praktische
Regulative gelten zu lassen, weil sie jenem Nachteile der - logisch allein
gerechtfertigten - Aristokratie gegenüber das geringere Übel darstelle.
Da es nun doch einmal unmöglich sei, die subjektiven
Differenzen mit Sicherheit und Dauer in objektiven
Herrschaftsverhältnissen auszudrücken, so solle man sie überhaupt aus
der Bestimmung der sozialen Struktur ausschalten und diese so regulieren,
als ob jene nicht existiere.
Die gleiche pessimistische Stimmung indes kann, da die
Frage des größeren oder kleinern Übels in der Regel nur nach
persönlicher Schätzung zu entscheiden ist, zu der genau
entgegengesetzten Überzeugung gelangen: dass überhaupt nur regiert
werden muss - in großen wie in kleinen Kreisen -, besser von ungeeigneten
Personen als gar nicht; dass die gesellschaftliche Gruppe die Form der
Über- und Unterordnung aus innerer und objektiver Notwendigkeit heraus
annehmen muss, so dass es dann sozusagen nur ein wünschenswertes Akzidenz
ist, wenn an der mit objektiver Notwendigkeit präformierten Stelle auch
das subjektiv zulängliche Individuum steht.
Diese Tendenz geht von ganz primitiven Erfahrungen und
Notwendigkeiten aus.
Zunächst davon, dass die Herrschaftsform eine
Verbindung bedeutet oder schafft: unbehilflichere, über keine Vielheit
von Wechselwirkungsformen verfügende Zeiten haben oft kein andres Mittel,
die formale Zugehörigkeit zum Ganzen zu bewirken, als die Unterordnung
der ihm nicht unmittelbar verbundnen Individuen unter seine a priori ihm
zugehörigen Mitglieder.
In der Zeit, als in Deutschland die frühste Verfassung
völliger personalen und Besitzgleichheit in der Gemeinde aufgehört
hatte, fehlen dem landlosen Manne die aktiven Freiheitsrechte - wenn er
nicht ohne jede Verbindung mit dem Gemeinwesen bleiben wollte, musste er
sich einem Herrn anschließen, um so mittelbar als Schutzgenosse an den
öffentlichen Verbänden teilzunehmen.
Daran, dass er dies tat, hatte die Gesamtheit ein
Interesse, denn sie konnte keinen unverbundnen Mann in ihrem Gebiete
dulden, und deshalb machte das angelsächsische Gesetz dem Landlosen
ausdrücklich zur Pflicht, sich zu »verherren«.
Ebenso fordert im mittelalterlichen England das
Interesse der Gemeinde, dass der Fremde sich einem Schutzherrn
unterstelle.
Man gehörte zur Gruppe, wenn einem ein Stück ihres
Geländes gehörte: wer dessen ermangelte und doch zu ihr gehören wollte,
der musste selbst jemandem gehören, der auf jene primäre Weise zu ihr
gehörte.
Die generelle Wichtigkeit führender Persönlichkeiten,
bei einer relativen Gleichgültigkeit gegen deren personale Qualifikation,
wiederholt sich formal ähnlich an manchen frühen Erscheinungen des
Wahlprinzips.
Die Wahlen zum mittelalterlichen englischen Parlament
z. B. scheinen mit erstaunlicher Fahrlässigkeit und Indifferenz geführt
worden zu sein: nur darauf, dass der Bezirk ein Parlamentsmitglied
designierte, scheint es angekommen zu sein, wer es war, tritt an
Wichtigkeit dagegen zurück - was sich nicht weniger an der
Gleichgültigkeit gegen die Qualifikation der Wähler zeigte, die im
Mittelalter vielfach auffällt.
Wer grade anwesend ist, wählt mit, auf Legitimation
oder auf eine bestimmte Anzahl der Wähler scheint oft kein Wert gelegt
worden zu sein.
Ersichtlich ist diese Unbekümmertheit um die
Wahlkörper nur der Ausdruck für die Unbekümmertheit um die
qualitativ-personalen Resultate der Wahl. –
Ganz allgemein endlich wirkt in dem gleichen Sinn die
Überzeugung von der Notwendigkeit des Zwanges, den die menschliche Natur
nun einmal brauche, um nicht völliger Zweck- und Formlosigkeit des
Handelns zu verfallen.
Es ist für den generellen Charakter dieses Postulats
gleichviel, ob die Unterordnung unter eine Person und ihre Willkür oder
unter ein Gesetz erfolgt: gewisse extreme Fälle vorbehalten, in denen der
Wert der Unterordnung als Form über den Widersinn ihres Inhalts nicht
mehr Herr werden kann, ist es nur ein sekundäres Interesse, ob das Gesetz
inhaltlich etwas besser oder schlechter ist, grade wie es sich mit der
Qualität der herrschenden Persönlichkeit verhielt.
Man konnte hier auf die Vorzüge des erblichen - also
von den Qualitäten der Person bis zu einem gewissen Grade unabhängigen -
Despotismus hinweisen, insbesondre wo es sich um das einheitliche
politische und kulturelle Leben großer Gebiete handelt, und wo er so vor
der freien Föderation manches voraus hat, was der Prärogative der Ehe
über die freie Liebe ähnlich ist.
Niemand kann leugnen, dass der Zwang des Rechts und der
Sitte unzählige Ehen zusammenhält, die sittlicherweise auseinander gehen
müssten: die Personen ordnen sich hier einem Gesetz unter, das für ihren
Fall eben nicht passt.
In andern aber ist der gleiche Zwang, so hart er
momentan und subjektiv empfunden werde, ein unersetzlicher Wert, weil er
diejenigen zusammenhält, die sittlicherweise zusammenbleiben sollen, aber
in irgend einer augenblicklichen Verstimmung, Gereiztheit oder
Gefühlsschwankung auseinandergehen würden, wenn sie nur könnten und
damit ihr Leben irreparabel verarmen oder zerstören würden.
Das Ehegesetz mag inhaltlich gut oder schlecht, für
den jeweiligen Fall passend oder nicht sein: der bloße Zwang des
Zusammenbleibens, der von ihm ausgeht, entwickelt individuelle Werte
eudämonistischer und ethischer Art - von denen der sozialen
Zweckmäßigkeit noch ganz abgesehen -, die für den hier vorausgesetzten,
vielleicht einseitig pessimistischen Standpunkt, bei Fortfall jedes
Zwanges überhaupt nicht zu realisieren wären.
Schon das Bewusstsein eines jeden, dass er an den
andern zwangsmäßig gebunden ist, mag in manchen Fällen dem Zusammensein
seine äußerste Unerträglichkeit geben; in andern aber wird es eine
Nachgiebigkeit, Selbstbeherrschung, Durchbildung der Seele mit sich
bringen, zu der bei jederzeit möglichem Auseinandergehen sich niemand
bewogen fühlen würde, sondern die nur der Wunsch hervorlockt, die nun
doch einmal unvermeidliche Gemeinsamkeit der Existenz wenigstens so
erträglich wie möglich zu gestalten.
Das Bewusstsein, überhaupt unter einem Zwänge zu
stehen, einer übergeordneten Instanz unterworfen zu sein - mag diese ein
ideelles oder ein soziales Gesetz sein, eine willkürlich schaltende
Persönlichkeit oder ein Verwalter höherer Normen -, dieses Bewusstsein
ist gelegentlich revoltierend oder erdrückend, wahrscheinlich aber für
die Mehrzahl der Menschen ein unersetzlicher Halt und Zusammenhalt des
innern und äußern Lebens.
Unsre Seele scheint - in dem unvermeidlich symbolischen
Ausdruck aller Psychologie - in zwei Schichten zu leben: einer tiefen,
schwer oder gar nicht beweglichen, die den wirklichen Sinn oder Substanz
unsers Daseins trägt, während die andre sich aus im Moment herrschenden
Impulsen und isolierten Reizbarkeiten zusammensetzt.
Die zweite würde nun noch öfter, als es tatsächlich
geschieht, den Sieg über die erste davontragen und durch das Sichdrängen
und rasche Sichablösen ihrer Glieder jener keine Lücke lassen, an die
Oberfläche zu treten, wenn nicht das Gefühl eines von irgendwoher
eingreifenden Zwanges ihre Strömung staute, ihre Schwankungen und
Launenhaftigkeiten bräche und damit der beharrenden Unterströmung immer
wieder Raum und Übergewicht verschaffte.
Gegenüber dieser funktionellen Bedeutung des Zwanges
als solchen ist sein besonderer Inhalt erst von sekundärer Wichtigkeit.
Der sinnlose mag von einem sinnvollen abgelöst werden,
aber auch dieser hat seine jetzt fragliche Bedeutung nur in dem, was er
mit jenem teilt; ja, nicht nur das Dulden des Zwanges, sondern auch die
Opposition gegen ihn, gegen den ungerechten wie gegen den
gerechtfertigten, übt an dem Rhythmus unsers Oberflächenlebens diese
Funktion der Hemmung und Unterbrechung, wodurch denn die tiefern und
überhaupt nicht von außen zu hemmenden Strömungen des eigensten und
substantiellen Lebens zu Bewusstsein und Wirksamkeit gelangen.
Insofern nun der Zwang mit irgend einer Art von
Herrschaft identisch ist, zeigt dieser Zusammenhang das Element in ihr
auf, das gegen die Qualität des Herrschenden, gegen das Recht seiner
Individualität auf Herrschaft gewissermaßen gleichgültig ist, und das
so den tiefern Sinn einer Forderung von Autorität schlechthin offenbart.
Ja, dass persönliche Qualifikation und soziale
Stellung in der Reihe der Über- und Unterordnungen sich durchgehends und
restlos entsprächen, ist prinzipiell unmöglich, welche Organisation man
auch zu diesem Zwecke vorschlagen möge.
Und zwar auf Grund der Tatsache, dass es immer mehr
Menschen gibt, die zu übergeordneten Stellungen qualifiziert sind, als es
übergeordnete Stellungen gibt.
Von den gewöhnlichen Arbeitern einer Fabrik gibt es
sicher sehr viele, die ebenso gut Werkführer oder Unternehmer sein
könnten; von den gemeinen Soldaten sehr viele, die die volle Befähigung
zum Offizier besäßen; von den Millionen Untertanen eines Fürsten
zweifellos eine große Anzahl, die eben so gute oder bessre Fürsten sein
würden.
Das Gottesgnadentum ist grade der Ausdruck dafür, dass
die subjektive Qualität nicht entscheiden soll, sondern eine andre, über
die menschlichen Maßstäbe erhabne Instanz.
Der Bruch zwischen den zu einer leitenden Stellung
Gelangten und den zu ihr Befähigten darf auch nicht etwa daraufhin
größer angesetzt werden, dass es umgekehrt vielerlei Personen in
übergeordneten Stellen gibt, die für sie nicht qualifiziert sind.
Denn diese Richtung des Missverhältnisses zwischen
Person und Stellung erscheint aus mancherlei Gründen erheblicher, als sie
in Wirklichkeit ist.
Zunächst tritt die Unfähigkeit innerhalb einer
Stellung, von der aus andre geleitet werden, besonders grell hervor,
lässt sich aus naheliegenden Ursachen schwerer verheimlichen, als sehr
viele andre menschliche Unzulänglichkeiten - und zwar insbesondre, weil
ebenso viele andre, wahrhaft zu der Stellung qualifizierte, untergeordnet
daneben stehen.
Ferner entsteht diese Unangemessenheit vielfach gar
nicht aus individuellen Mängeln, sondern aus den widerspruchsvollen
Anforderungen des Amtes, deren unvermeidlicher Erfolg dennoch leicht dem
Inhaber des Amtes als subjektive Schuld zugerechnet wird.
Die moderne »Staatsregierung« z. B. hat ihrem
Begriffe nach eine Unfehlbarkeit, die der Ausdruck ihrer - prinzipiell -
absoluten Objektivität ist.
An dieser ideellen Unfehlbarkeit gemessen, erscheinen
ihre realen Träger natürlich oft unzureichend.
In Wirklichkeit sind die rein individuellen
Unzulänglichkeiten leitender Persönlichkeiten relativ selten.
Bedenkt man die unsinnigen und unkontrollierbaren
Zufälle, durch die die Menschen auf allen Gebieten in ihre Positionen
gelangen, so wäre es ein unbegreifliches Wunder, dass nicht eine sehr
viel größte Summe von Unfähigkeit in deren Ausfüllung hervortritt,
wenn man nicht annehmen müsste, dass die latenten Qualifikationen für
die Stellungen in sehr großer Verbreitung vorhanden sind.
Es ruht auf dieser Voraussetzung, dass republikanische
Verfassungen manchmal bei der Kreierung ihrer Beamten nur nach negativen
Instanzen fragen, d. h. danach, ob der Anwärter sich durch irgend etwas
des Amtes unwürdig gemacht hätte - wenn also etwa in Athen die Ernennung
durch das Los geschah und nur untersucht wurde, ob der Betreffende seine
Eltern gut behandelt, seine Steuern bezahlt habe usw. -, also nur, ob
etwas gegen ihn vorlag, so dass vorausgesetzt wurde, dass a prioi
jeder würdig wäre.
Dies ist das tiefe Recht des Sprichworts: wem Gott gibt
ein Amt, dem gibt er auch den Verstand.
Denn der zur Ausfüllung höherer Stellungen erforderte
»Verstand« ist eben bei vielen Menschen vorhanden, aber er bewährt,
entwickelt, offenbart sich erst, wenn sie die Stellung einnehmen.
Diese Inkommensurabilität zwischen dem Quantum der
Befähigungen zur Überordnung und dem ihrer möglichen Betätigungen
erklärt sich vielleicht aus dem Unterschiede zwischen dem Charakter des
Menschen als Gruppenwesen und als Individuum.
Die Gruppe als solche ist niedrig und
führungsbedürftig, die Eigenschaften, die sie als die schlechthin
gemeinsamen entfaltet, sind nur die sicher vererbten, also die primitivern
und undifferenzierten, oder die leicht suggerierbaren, also die
»untergeordneten«.
Sobald also überhaupt eine Gruppenbildung größeren
Maßes stattfindet, ist es zweckmäßig, dass die ganze Masse sich in der
Form der Unterordnung unter wenige organisiere.
Das verhindert aber ersichtlich nicht, dass jeder
einzelne aus dieser Masse höhere und feinere Eigenschaften besitze.
Nun sind diese individueller Art, gehen nach
verschiednen Seiten über den Gemeinbesitz hinaus und helfen deshalb der
Niedrigkeit derjenigen Qualitäten nicht auf, in denen sich alle mit
Sicherheit begegnen.
Aus diesem Verhältnis folgt, dass einerseits die
Gruppe als ganze des Führers bedarf, und es also viele Untergeordnete und
nur wenige Übergeordnete geben kann, anderseits aber jeder einzelne aus
der Gruppe höher qualifiziert ist denn als Gruppenelement und also als
Untergeordneter.
Mit diesem, allen sozialen Bildungen eignen Widerspruch
zwischen dem gerechten Anspruch auf übergeordnete Stellung und der
technischen Unmöglichkeit, ihm zu genügen, findet sich das ständische
Prinzip und die jetzige Ordnung ab, indem sie Klassen pyramidenförmig mit
einer immer geringern Mitgliederzahl übereinander bauen und dadurch die
Zahl der zu leitenden Stellungen »Qualifizierten« a priori
einschränken.
Diese Auswahl richtet sich nicht nach den gegebenen
Individuen, sondern, umgekehrt, sie präjudiziert diese.
Aus einer Menge von Gleichen kann man nicht jeden in
die verdiente Stellung bringen.
Darum könnten jene Ordnungen als der Versuch gelten,
umgekehrt vom Gesichtspunkt der vorherbestimmten Stellung aus die
Individuen für diese zu züchten.
Statt der Langsamkeit, mit der dies der Vererbung und
der Standesmässigen Erziehung gelingen kann, werden auch sozusagen akute
Verfahren angewendet, die die Persönlichkeiten, gleichgültig gegen deren
bisherige Qualität, durch autoritative oder mystische Satzung zu der
Fähigkeit des Führens und Herrschens emporheben.
Für den Bevormundungsstaat des 17. und 18.
Jahrhunderts war der Untertan zu keinerlei Mitwirkung an den öffentlichen
Angelegenheiten fähig; in politischer Hinsicht blieb er dauernd
führungsbedürftig.
In dem Augenblick aber, in dem er in ein Staatsamt
eintrat, erhielt er mit einem Schlage die höhern Einsichten und den
Gemeinsinn, die ihn zur Lenkung der Allgemeinheit befähigten - als ob
durch die Beamtung aus dem Unmündigen wie durch generatio aequivoca nicht
nur der Mündige, sondern der Führer, mit allen erforderlichen
Eigenschaften des Intellekts und Charakters, entsprungen wäre.
Die Spannung zwischen der apriorischen
Unqualifiziertheit eines jeden zu einer bestimmten Superiorität und der
absoluten Qualifikation, die er a posteriori durch die Einwirkung einer
höhern Instanz erwirbt, erreicht ihr Maximum innerhalb des katholischen
Priesterstandes.
Hier spielt keine Familientradition, keine von Kindheit
an wirkende Erziehung mit, ja die persönliche Qualität des Kandidaten
ist prinzipiell unwichtig gegenüber dem in mystischer Objektivität
bestehenden Geiste, mit dem die Priesterweihe ihn begabt.
Die superiore Leistung wird ihm nicht übertragen, weil
grade nur er von Natur zu ihr bestimmt ist (obgleich dies natürlich
mitwirken kann und eine gewisse Unterschiedlichkeit der Zugelassnen
begründet), auch nicht auf die Chance hin, ob er nun von vornherein ein
Berufner oder Nichtberufner ist - sondern die Weihe schafft, weil sie den
Geist überträgt, die besondre Qualifikation für die Leistung, zu der
sie beruft.
Dass Gott dem, dem er ein Amt gibt, auch den Verstand
dazu gibt - dies Prinzip ist nach seinen beiden Seiten: der vorherigen
Ungeeignetheit und der nachherigen, durch das »Amt« geschaffnen
Geeignetheit hier aufs radikalste realisiert.
Anmerkung:
1) Dies ist nur ein Beispiel für ein
allgemeines soziologisches Vorkommnis. Eine Anzahl von Elementen haben die
gleiche Relation zu einer bestimmten Bedingung, welch letztre dem gerade
fraglichen Gruppeninteresse Inhalt und Bedeutung gibt. Nun kommt es vor,
dass dieser entscheidende Punkt, auf den die Elemente konvergieren, aus
der Bezeichnung, ja vielleicht aus dem Bewusstsein entschwindet, und nur
die Tatsache der Gleichheit der Elemente - so sehr sie ausschließlich in
bezug auf jenen Punkt stattfindet - Hervorhebung findet. So hat sich nicht
nur, wie erwähnt, der Adel oft als die Pairs bezeichnet; sondern mit
demselben Namen benannten viele französische Städte im 12. und 13.
Jahrhundert ihre Geschwornen und Schöffen. Als die »Gesellschaft für
ethische Kultur« in Berlin begründet werden sollte, erschien darüber
eine Broschüre unter dem Titel: »Vorbereitende Mitteilungen eines
Kreises gleichgesinnter Männer und Frauen«. Mit keinem Worte war
ausgesprochen, in bezug worauf eigentlich die Gleichheit der Gesinnung
bestand. Eine Parteigruppe der Münchener Künstlergenossenschaft in den
neunziger Jahren nannte sich »die Gruppe der Kollegen«, ohne diesem ganz
offiziell gebrauchten Titel hinzuzufügen, was denn den Inhalt dieser
Kollegialität ausmachte, und diese Vereinigung von einer
Kollegenvereinigung unter Schullehrern oder Schauspielern, Agenten oder
Redakteuren unterschied. Diese unscheinbaren Vorkommnisse enthalten die
soziologisch höchst markante Tatsache, dass die formale Relation gewisser
Individuen Herr über den Inhalt und Zweck dieser Relation werden kann;
denn dies könnte nicht in all jenen Benennungen geschehen, wenn diese
nicht die Richtung des soziologischen Bewusstseins irgendwie verrieten.
Dass die Elemente einer Gruppe gleichberechtigt, dass sie gleichgesinnt,
dass sie Kollegen sind, hat gegenüber der Materie, die sich in diese
soziologischen Formen kleidet und in Hinsicht auf die die letztern
überhaupt erst einen Sinn haben, eine außerordentliche Wichtigkeit
gewonnen. Und so sehr das praktische Verhalten durch diese, aus der
Titulatur ausgeschaltete Materie bestimmt wird, so zeigt doch auch dies
sich, bei genauerem Hinsehen auf solche Gruppierungen, unzählige Male
durch die Berücksichtigung und die Wirksamkeit jener reinen
Relationsarten und formalen Strukturen mitbestimmt.
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