Georg Simmel: Der Mensch als Feind
Zwei Fragmente aus einer Soziologie
ex: Der Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, begründet und hrsg. von Werner Sombart zusammen mit Richard Strauss, Georg Brandes und Richard Muther unter Mitwirkung von Hugo von Hofmannsthal Jg. No.2 vom 10.Januar 1907, S.
55-60 (Berlin)
I.
Von einer natürlichen
Feindseligkeit zwischen Mensch und Mensch reden die skeptischen
Moralisten, für die homo homini lupus ist und »im Unglück
unserer besten Freunde etwas ist, was uns nicht völlig missfällt«.
Aber auch die völlig
entgegengesetzte moralphilosophische Gesinnung, die die sittliche
Selbstlosigkeit von den transzendenten Grundlagen unseres Wesens
herleitet, entfernt sich damit gar nicht so sehr weit von jenem
Pessimismus.
Denn sie gesteht doch ein,
dass sich in der Erfahrbarkeit und Berechenbarkeit unserer Wollungen die
Hingabe an das Du nicht auffinden lässt.
Empirisch, verstandesmäßig
ist danach der Mensch schlechthin Egoist, und jede Umbiegung dieser natürlichen
Tatsache kann nicht mehr durch die Natur selbst, sondern nur durch den deus
ex machina eines metaphysischen Seins in uns geschehen.
So scheint sich eine
naturgegebene Gegnerschaft als eine Form oder Grundlage der menschlichen
Beziehungen zum mindesten neben die andere, die Sympathie zwischen
Menschen, zu stellen.
Das merkwürdig starke
Interesse z. B., das der Mensch gerade am Leiden anderer zu nehmen
pflegt, ist nur aus einer Mischung beider Motivierungen zu erklären.
Auf die mit unserem Wesen
gegebene Antipathie weist auch die nicht seltene Erscheinung des »Widerspruchsgeistes«
hin, die keineswegs nur in jenen prinzipiellen Nein-Sagern wohnt, wie sie
in Freundes- wie in Familienkreisen, in Komitees wie unter dem
Theaterpublikum die Verzweiflung ihrer Umgebung sind; er feiert auch
keineswegs auf dem politischen Gebiet seine charakteristischsten Triumphe,
in den Oppositionsmännern, deren klassischen Typus Macaulay in Robert
Ferguson beschreibt: His hostility
was not to Popery or to Protestantism, to monarchical government or to
republican government, to the house of Stuarts or to the house of Nassau,
but to whatever was at the time established.
All solche Fälle, die man
für Typen der »reinen Opposition« hält, brauchen dies
wenigstens nicht zu sein; denn derartige Opponenten pflegen sich als
Verteidiger bedrohter Rechte zu geben, als Verfechter des objektiv
Richtigen, ritterliche Beschützer der Minorität als solcher.
Viel weniger markante
Vorkommnisse scheinen mir einen abstrakten Oppositionstrieb deutlicher zu
verraten: der leise, oft kaum bewusste, oft sogleich verfliegende Anreiz,
einer Behauptung oder Anforderung, namentlich wenn sie uns in
kategorischer Form entgegentritt, die Verneinung entgegenzusetzen.
Selbst in durchaus
harmonischen Verhältnissen, bei manchen durchaus nachgiebigen Naturen
tritt dieser Oppositionsinstinkt mit der Unvermeidlichkeit einer
Reflexbewegung auf und mischt sich, wenn auch ohne bemerkbaren Erfolg, in
das Gesamtverhalten ein.
Und wenn man dies etwa
wirklich als einen Schutzinstinkt bezeichnen wollte - wie manche Tiere auf
bloße Berührung hin ihre Schutz- oder Angriffsvorrichtungen automatisch
hervorstrecken -, so würde dies gerade den primären, fundamentalen
Charakter der Opposition beweisen; denn es hieße, dass die Persönlichkeit,
selbst wo sie gar nicht angegriffen wird, sondern rein objektiven Äußerungen
anderer gegenüber, sich nicht anders als durch Opposition behaupten kann,
dass der erste Instinkt, mit dem sie sich bejaht, die Verneinung des
anderen ist.
Vor allem scheint man auf
einen apriorischen Kampfinstinkt nicht verzichten zu können, wenn man auf
die unglaublich kleinlichen, ja läppischen Veranlassungen der
ernsthaftesten Kämpfe achtet.
Ein englischer Historiker
erzählt, dass vor nicht langer Zeit zwei irische Parteien durch das ganze
Land hin sich wütend gerauft hätten, deren Gegnerschaft aus einem Streit
über die Farbe einer Kuh entstanden sei. In Indien fanden vor einigen
Jahrzehnten gefährliche Aufstände statt infolge der Fehde zweier
Parteien, die nichts voneinander wussten, als dass sie die Partei der
rechten und der linken Hand waren.
Und nur sozusagen am andern
Ende tritt diese Nichtigkeit der Streitveranlassungen daran hervor, dass
der Streit auch oft in gleich kindischen Erscheinungen mündet.
Mohammedaner und Hindus
leben in Indien in steter, latenter Feindschaft und markieren diese darin,
dass die Mohammedaner ihr Obergewand nach rechts knöpfen, die Hindus nach
links, dass bei gemeinsamen Mahlzeiten jene im Kreise, diese in Reihen
sitzen, dass die armen Mohammedaner eine Seite eines bestimmten Blattes
als Teller benutzen, die armen Hindus aber die andere.
In den menschlichen
Gegnerschaften stehen Ursache und Wirkung oft so außer Zusammenhang und
vernünftiger Proportion, dass man nicht recht unterscheiden kann, ob der
angebliche Gegenstand des Streites wirklich dessen Veranlassung oder nur
ein Ausläufer schon bestehender Gegnerschaft ist; mindestens gegenüber
vielen Einzelvorgängen der Kämpfe zwischen den römischen und
griechischen Zirkusparteien, der Parteiungen von
dhoondiox
und
dmoionsio,
der Kriege der roten und der weißen Rose setzt uns die Unauffindbarkeit
eines irgend rationalen Kampfgrundes in diesen Zweifel.
Im ganzen hat man den
Eindruck, dass die Menschen sich niemals um solcher Kleinigkeiten und
Nichtigkeiten willen liebten, wie sie sich hassen.
Endlich scheint mir auf ein
ganz primäres Feindseligkeitsbedürfnis die oft unheimlich leichte
Suggerierbarkeit der feindseligen Stimmung hinzuleiten.
Es gelingt dem
Durchschnittsmenschen im allgemeinen sehr viel schwerer, einem anderen
ebensolchen Zutrauen und Neigung für einen Dritten, bisher Gleichgültigen,
einzuflößen, als Misstrauen und Abneigung.
Besonders bezeichnend
erscheint hier, dass dieser Unterschied namentlich da relativ krass ist,
wo es sich um niedere Maße von beiden, um die ersten Ansätze der
Stimmung und des Vorurteils für oder gegen jemanden handelt; über die höheren,
zur Praxis führenden Grade entscheidet dann nicht mehr diese flüchtige,
aber den Grundinstinkt verratende Geneigtheit, sondern bewusstere Abwägungen.
Es zeigt dieselbe
Grundtatsache, nur wie in einer anderen Wendung, dass uns jene leichten,
unser Bild eines anderen nur wie ein Schatten überfliegenden Präjudizierungen
auch von ganz indifferenten Persönlichkeiten suggeriert werden können, während
ein günstiges Vorurteil schon eines autoritativen oder uns gemütlich
nahestehenden Veranlassers bedarf.
Vielleicht würde ohne
diese Leichtigkeit oder Leichtsinn, mit dem der Durchschnittsmensch gerade
auf Suggestionen ungünstiger Art reagiert, das aliquid haeret seine
tragische Wahrheit nicht gewinnen.
Die Beobachtung mancher
Antipathien und Parteiungen, Intrigen und offenen Kämpfe könnte
allerdings die Feindseligkeit unter jene primären menschlichen Energien
einreihen lassen, die nicht durch die äußere Wirklichkeit ihrer Gegenstände
entfesselt werden, sondern sich von sich aus ihre Gegenstände schaffen.
So hat man gesagt, der
Mensch habe nicht Religion, weil er an Gott glaube, sondern weil er
Religion, als eine Stimmung der Seele, habe, so glaube er an einen Gott.
Für die Liebe ist dies
wohl allgemein anerkannt, dass sie, insbesondere in jungen Jahren, nicht
die bloße Reaktion unserer Seele ist, die durch ihren Gegenstand so
hervorgerufen wird, wie es eine Farbenempfindung in unserem optischen
Apparat wird; sondern die Seele hat das Bedürfnis, zu lieben und ergreift
nun von sich aus irgendeinen Gegenstand, der diesem genugtue, indem sie
ihn sogar unter Umständen erst von sich aus mit den Eigenschaften
bekleidet, die scheinbar die Liebe hervorriefen.
Es spricht nichts dagegen,
dass dies - mit der gleich hervorzuhebenden Einschränkung - nicht auch
die Entwicklung des entgegengesetzten Affekts sein könne, dass die Seele
nicht auch ein in ihr autochthones Bedürfnis, zu hassen und zu kämpfen
besäße, das oft erst seinerseits auf die Gegenstände, die es für sich
designiert, deren Hasserregende Eigenschaften projiziert.
Dass dieser Fall nicht so
flagrant hervortritt wie der entsprechende der Liebe, mag daran liegen,
dass der Liebestrieb, durch seine ungeheure physiologische Zuspitzung in
der Jugend, ganz unverkennlich seine Spontaneität, seine Bestimmtheit von
dem terminus a quo her dokumentiert.
Der Hasstrieb hat in sich
wohl nur ausnahmsweise so akute Stadien, durch die sein
subjektiv-spontaner Charakter in gleicher Weise bewusst würde.
Wenn nun wirklich ein
formaler Feindseligkeitstrieb als Gegenstück des Sympathiebedürfnisses
im Menschen besteht, so scheint er mir doch historisch einem jener
seelischen Destillationsprozesse zu entstammen, in denen innere Bewegungen
schließlich die ihnen gemeinsame Form als einen selbständigen Trieb in
der Seele zurücklassen.
Interessen jeder Art
zwingen so häufig zum Kampf um bestimmte Güter, zur Opposition gegen
bestimmte Persönlichkeiten, dass als Residuum davon sehr wohl ein
Reizzustand, von sich aus zu antagonistischen Äußerungen drängend, in
das vererbliche Inventar unserer Gattung mag übergegangen sein.
Das gegenseitige Verhältnis
primitiver Gruppen ist bekanntlich und aus oft erörterten Gründen fast
durchgehends ein feindseliges. Das entschiedenste Beispiel geben
vielleicht die Indianer, bei denen jeder Stamm prinzipiell als im
Kriegszustande mit jedem anderen befindlich galt, mit dem er keinen ausdrücklichen
Friedensvertrag geschlossen hatte.
Es ist aber nicht zu
vergessen, dass in frühen Kulturzuständen der Krieg fast die einzige
Form bildet, in der es überhaupt zu einer Berührung mit fremden Gruppen
kommt.
Solange der
interterritoriale Handelsverkehr unentwickelt, individuelle Reisen
unbekannt waren, geistige Gemeinsamkeiten noch nicht über die
Gruppengrenzen hinausgriffen, gab es außer dem Krieg gar keine
soziologische Beziehung zwischen den verschiedenen Gruppen.
Hier zeigt das Verhältnis
der Gruppenelemente zueinander und das der - primitiven - Gruppen
zueinander völlig entgegengesetzte Form. Innerhalb des geschlossenen
Kreises bedeutet Feindschaft in der Regel den Abbruch von
Beziehungen, das Sichzurückziehen und Vermeiden von Berührungen; von
diesen negativen Erscheinungen wird hier selbst die leidenschaftliche
Wechselwirkung des offenen Kampfes begleitet.
Dagegen liegen die
charakterisierten Gruppen als ganze gleichgültig nebeneinander, solange
Frieden ist, und gewinnen erst im Kriege eine aktive Bedeutung füreinander.
Deshalb kann ebenderselbe
Expansions- und Wirksamkeitstrieb, der im Innern einen unbedingten Frieden
als Grundlage der Interessenverschlingung und unbehinderten
Wechselwirkungen fordert, nach außen hin als kriegerische Tendenz
auftreten.
II.
Ein Kampf, der sich auf der
Basis einer Einheit und Gleichheit erhebt, pflegt in vielerlei Fällen
leidenschaftlicher und radikaler zu sein, als wo er keinerlei
vorhergehende oder gleichzeitig bestehende Zusammengehörigkeit der
Parteien vorfindet.
Wo das altjüdische Gesetz
Bigamie gestattet, verbietet es doch die Ehe mit zwei Schwestern (obgleich
man nach dem Tode der einen die andere heiraten darf); denn diese wäre
besonders dazu angetan, Eifersucht zu erregen! Es wird also ohne weiteres
als Erfahrungstatsache vorausgesetzt, dass auf dem Boden der
verwandtschaftlichen Gemeinsamkeiten sich ein stärkerer Antagonismus
erhebt als unter Fremden.
Der gegenseitige Hass ganz
kleiner Nachbarstaaten, deren ganzes Weltbild, deren lokale Beziehungen
und Interessen unvermeidlich höchst ähnlich sind, ja vielfach
zusammenfallen müssen, ist oft viel leidenschaftlicher und unversöhnlicher
als der zwischen großen Nationen, die räumlich wie sachlich einander völlig
fremd sind.
Das war das Verhängnis von
Griechenland und dem nachrömischen Italien, und noch eine Steigerung
davon erschütterte England, bevor es nach der normannischen Eroberung zur
Verschmelzung beider Rassen kam.
Der Hass dieser beiden, die
auf demselben Territorium durcheinander wohnten, durch fortwährend
wirksame Lebensinteressen aneinandergebunden, von einem einheitlichen
Staatsgedanken zusammengehalten - und doch innerlich sich völlig fremd,
in der ganzen Wesensart ohne gegenseitiges Verständnis und in den
Machtinteressen einander absolut feindlich - dieser Hass war, wie man mit
Recht betonte, erbitterter, als er zwischen äußerlich und innerlich
getrennten Stämmen überhaupt aufkommen kann.
Kirchliche Verhältnisse
geben mit die stärksten Beispiele, weil in ihnen die kleinste Divergenz
wegen ihrer dogmatischen Fixierung sogleich eine logische Unversöhnlichkeit
erhält: wenn überhaupt Abweichung da ist, so ist es begrifflich gleichgültig,
ob sie groß oder klein ist.
So in den
konfessionalistischen Streitigkeiten zwischen Lutheranern und
Reformierten, namentlich im 17. Jahrhundert.
Kaum war die große
Absonderung gegen den Katholizismus geschehen, so spaltet sich das Ganze
um der nichtigsten Dinge willen in Parteien, die man öfters äußern hört,
man könnte eher mit den Papisten Gemeinschaft halten als mit denen von
der andern Konfession!
Und als 1875 in Bern eine
Schwierigkeit über den Ort des katholischen Gottesdienstes stattfand,
erlaubte der Papst nicht, dass er in der Kirche, die die Altkatholiken
benutzten, abgehalten würde, wohl aber in einer reformierten Kirche.
Zwei Arten von
Gemeinsamkeit kommen als Fundamente eines ganz besonders gesteigerten
Antagonismus in Betracht: die Gemeinsamkeit der Qualitäten und die
Gemeinsamkeit durch Befasstsein in einem sozialen Zusammenhang.
Das erstere geht ausschließlich
auf die Tatsache zurück, dass wir Unterschiedswesen sind. Eine
Gegnerschaft muss das Bewusstsein um so tiefer und heftiger erregen, von
einer je größeren Gleichheit unter den Parteien sie sich abhebt.
Bei friedlicher oder
liebevoller Gesinnung ist dies eine ausgezeichnete Schutzvorrichtung der
Vereinigung, vergleichbar der Warnungsfunktion des Schmerzes innerhalb des
Organismus; denn gerade die energische Bewusstheit, mit der sich die
Dissonanz bei sonst durchgehender Harmonie des Verhältnisses geltend
macht, mahnt sogleich zur Beseitigung des Streitgrundes, so dass er nicht
erst im Halbbewussten sich weiter und bis zu dem Fundament der Beziehung
durchnage.
Wo es aber an dieser
Grundabsicht, sich unter allen Umständen schließlich zu vertragen,
fehlt, wird das an der sonstigen Gleichheit geschärfte Bewusstsein des
Antagonismus ihn selbst verschärfen. Menschen, die viel Gemeinsames
haben, tun sich oft schlimmeres, ungerechteres Unrecht als ganz Fremde.
Manchmal, weil das große
gemeinsame Gebiet zwischen ihnen selbstverständlich geworden ist und
deshalb nicht dies, sondern das momentan Differente ihre gegenseitige
Stellung bestimmt; hauptsächlich aber, weil eben nur weniges zwischen
ihnen different ist, so dass jeder kleinste Antagonismus eine ganz andere
relative Bedeutung hat als zwischen Fremderen, die beiderseitig von
vornherein auf alle möglichen Differenzen gefasst sind.
Daher die Familienkonflikte
um die wunderlichsten Kleinigkeiten, daher die Tragik der »Lappalie«, um
die völlig zusammenstimmende Menschen manchmal auseinander kommen.
Dies beweist keineswegs
immer, dass die harmonisierenden Kräfte schon vorher in Verfall geraten
sind; es kann gerade aus einer so großen Gleichheit der Eigenschaften,
Neigungen, Überzeugungen hervorgehen, dass das Auseinandergehen an einem
ganz unbedeutenden Punkte sich durch die Schärfe des Gegensatzes als
etwas ganz Unerträgliches fühlbar macht.
Es kommt dies dazu: dem
Fremden, mit dem man weder Qualitäten noch weitere Interessen teilt,
steht man objektiv gegenüber, man reserviert die eigene Persönlichkeit,
deshalb nimmt die einzelne Differenz nicht so leicht den ganzen Menschen
mit.
Mit dem sehr Verschiedenen
begegnet man sich eben gerade nur an den Punkten einer einzelnen
Verhandlung oder Interessenkoinzidenz, und deshalb wird die Austragung
eines Konflikts auch auf diese selbst beschränkt.
Je mehr wir als ganze
Menschen mit einem andern gemein haben, desto leichter wird sich unsere
Ganzheit jeder einzelnen Beziehung zu ihm assoziieren. Daher die ganz
unverhältnismäßige Heftigkeit, zu der sich sonst durchaus beherrschte
Menschen manchmal gerade ihren Intimsten gegenüber fortreißen lassen.
Das ganze Glück und die
Tiefe in den Beziehungen zu einem Menschen, mit dem wir uns sozusagen
identisch fühlen, dass keine einzelne Beziehung, kein einzelnes Wort,
kein einzelnes gemeinsames Tun oder Leiden wirklich einzeln bleibt,
sondern jedes ein Gewand für die ganze Seele ist, die sich in ihm ohne
Rest gibt und empfangen wird - eben dies macht unter solchen einen
entstehenden Zwist oft so verhängnisvoll leidenschaftlich und gibt das
Schema zu dem verhängnisvollen: »Du - überhaupt.«
Einmal so verbundene
Menschen sind zu sehr gewöhnt, in die Seite, der sie sich gerade
zuwenden, die Totalität ihres Seins und Fühlens hineinzulegen, um nicht
auch den Streit mit Akzenten und gleichsam mit einer Peripherie
auszustatten, durch die er weit über seine Veranlassung und ihre
objektive Bedeutung hinauswächst und die Gesamtpersönlichkeiten in die
Entzweiung hineinreißt.
Auf der höchsten geistigen
Ausbildungsstufe mag dies vermieden werden; denn dieser ist es eigen, die
völlige Hingabe der Seele an eine Person doch mit einer völligen
gegenseitigen Sonderung der Elemente der Seele zu verbinden; während die
undifferenzierte Leidenschaft die Totalität des Menschen mit der Erregung
eines Teiles oder Momentes verschmilzt, lässt die Bildung keinen solchen
über sein eigenes, fest umschriebenes Recht hinausgreifen und gewährt
dadurch der Beziehung harmonischer Naturen den Vorteil, dass sie sich
gerade an dem Konflikt bewusst werden, wie geringfügig er im Verhältnis
zu den verbindenden Kräften ist.
Abgesehen hiervon wird aber
gerade bei tiefen Naturen die verfeinerte Unterschiedsempfindlichkeit Zu-
und Abneigungen dadurch um so leidenschaftlicher machen, dass sie sich von
der entgegengesetzt gefärbten Vergangenheit abheben; und zwar bei
einmaligen, unwiderruflichen Entscheidungen ihres Verhältnisses, ganz
unterschieden von dem Hin- und Herpendeln in den Alltäglichkeiten eines
im ganzen unfraglichen Zusammengehörens.
Zwischen Männern und
Frauen ist eine ganz elementare Aversion, ja ein Hassgefühl, nicht auf
bestimmte Gründe hin, sondern als die gegenseitige Repulsion des ganzen
Seins der Personen - manchmal ein erstes Stadium von Beziehungen, dessen
zweites leidenschaftliche Liebe ist.
Man könnte auf die
paradoxe Vermutung kommen, dass bei Naturen, die zu dem allerengsten Gefühlsverhältnis
bestimmt sind, dieser Turnus durch eine instinktive Zweckmäßigkeit
hervorgerufen wäre, um dem definitiven Gefühl durch sein
entgegengesetztes Präludium - wie durch einen Anlaufrückschritt - die
leidenschaftlichste Zuspitzung und Bewusstsein dessen, was man nun
gewonnen hat, zu verschaffen.
Die gleiche Form zeigt die
entgegengesetzte Erscheinung: der tiefste Hass wächst aus gebrochener
Liebe.
Hier ist wohl nicht nur die
Unterschiedsempfindlichkeit entscheidend, sondern vor allem das Dementi
der eigenen Vergangenheit, das in einem solchen Gefühlswechsel liegt.
Eine tiefe Liebe - und zwar
nicht nur eine sexuelle - als einen Irrtum und eine Instinktlosigkeit zu
erkennen, ist eine solche Bloßstellung vor uns selbst, ein solcher Bruch
durch die Sicherheit und Einheit unseres Selbstbewusstseins, dass wir
unvermeidlich den Gegenstand dieser Unerträglichkeit für sie büßen
lassen.
Das geheime Gefühl der
eigenen Schuld an ihr überdecken wir sehr zweckmäßigerweise durch den
Hass, der es uns leicht macht, die ganze Schuld dem andern zuzuschieben.
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