Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
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Georg Simmel: Über Geiz, Verschwendung und Armut

ex: Ethische Kultur. Wochenschrift für sozial-ethische Reformen. 7.Jg. 1899; Heft 42 (21.10.) , S. 332-335; Heft 43 (28.10.) S. 340-341.

Unter den vielfachen Versuchen, das menschliche Wesen von seinen Vorstufen im Tierreich durch einen ihm allein eigenen Begriff zu scheiden, ist es einer der tiefgreifendsten: der Mensch sei das zwecksetzende Wesen.

Dass wir nicht in der Unmittelbarkeit des Begehrens und Genießens hinleben, sondern uns Mittel bereiten, die ihrerseits erst das Erwünschte herbeiführen; dass auch die Mittel oft genug erst indirekt erreicht werden und einen weitverzweigten Stufenbau mit weit hinausgeschobenem Abschluss bilden - das ist allerdings die Formel des menschlichen Wesens, und je ausgebildeter und spezifisch »menschlicher« es ist, desto höher wird jener Stufenbau geführt, ein desto reicherer Mechanismus von Mitteln schiebt sich vor unsere Endziele: der Mensch, so könnte man sagen, ist das indirekte Wesen.

Dieser Ablauf der Mittel- und Zwecksetzungen aber erhält von innen heraus einen eigenartigen Rhythmus.

Unser Bewusstsein spiegelt keineswegs immer das Verhältnis jener beiden in seiner sachlichen Bedeutung ab: vielmehr es vergisst tausendmal über das Mittel den Zweck.

Das Mittel wächst uns zu der Bedeutung eines selbständigen Zweckes aus. Und eben dies ist selbst eine tiefe Zweckmäßigkeit des Lebens. Wären uns die letzten Zwecke unseres Handelns immer im Bewusstsein, so würde der nächstnotwendigen Arbeit an den Mitteln ein großer Teil unserer seelischen Kraft entzogen; auf die je nächste Stufe jenes Baues müssen wir die gesammelte Energie unseres Wesens verwenden, um sie möglichst gründlich zu erreichen, wir müssen sie mit all der Intensität erstreben, als wäre sie ein Zweck selbst, der Zweck selbst.

Was die Menschheit dieser scheinbar so irrationalen Tatsache verdankt, ist nicht auszusagen. Wir würden wahrscheinlich über die primitivsten Zwecksetzungen nie hinausgekommen sein, wenn unser Bewusstsein immer an diesen hängen und so für den Bau mannigfaltigerer Mittel nur unvollkommen frei sein würde; oder wir würden eine unerträgliche und lähmende Zersplitterung erfahren, wenn wir bei der Arbeit an jedem untergeordneten Mittel die ganze Reihe darüber gebauter weiterer Mittel mit dem schließlichen Endzweck fortwährend im Bewusstsein haben müssten; wir würden endlich für die Aufgabe des Augenblicks oft überhaupt weder Kraft noch Lust haben, wenn wir uns ihre Minimität gegenüber den letzten Zielen immer mit logischer Gerechtigkeit vor Augen hielten und nicht alle Kräfte gesammelt in den Dienst des vorläufig Notwendigen stellten.

Welche tiefen Schatten andrerseits diese psychologische Steigerung der Mittel zur Würde des Endzwecks begleiten, werden diese Überlegungen zeigen, die sich an das reinste, abstrakteste »Mittel« des Kulturlebens knüpfen: an das Geld. Niemals sonst ist ein bloßes Mittel, ein so völlig farbloses, für sich allein so völlig sinnloses Objekt, wie das Geld ist, zu einem so beherrschenden Endzweck ausgebildet; während es nichts anderes ist, als ein Mittel, andere Dinge zu erreichen, sind für das Bewusstsein unzähliger Menschen alle Dinge nur Mittel geworden, um Geld zu erreichen. Indem unübersehbar viele Zweckreihen des Lebens in ihm ihr Gemeinsames, ihren Schnittpunkt haben, stellt es sich jenseits jeder besonderen Bestimmung, jedes besonderen Lebensinhaltes - der absolute Herrscher, der über allen Parteien steht. An diese Kombination knüpfen sich eine Reihe von Erscheinungen, die das Kultur- und Seelenleben der Geldwirtschaft in scharfen Gegensatz gegen die Epochen stellen, in denen das Geld noch nicht durch seine Allverbreitung, unbedingte Notwendigkeit, an tausend Mannigfaltigkeiten erfahrene Verwendbarkeit zum Mittelpunkt aller Interessen, zum Endpunkt unzähliger Zweckreihen geworden war.

Der abstrakte Charakter des Geldes, die Entfernung, in der es sich an und für sich von jedem Einzelgenuss hält, begünstigen eine objektive Freude an ihm, das Bewusstsein eines Wertes, der über alle einzelne und persönliche Nutznießung weit hinübergreift. Wenn das Geld zunächst nicht mehr in dein Sinne Zweck ist, wie irgend ein sonstiges Werkzeug, nämlich um seiner Erfolge willen, sondern dem Geldgierigen als Endzweck gilt, so ist es nun weiter nicht einmal in dem Sinne Endzweck, wie ein Genuss es ist, sondern für den Geizigen hält es sich jenseits dieser persönlichen Sphäre, es ist ihm ein Gegenstand scheuer Achtung, der für ihn selbst tabu ist.

Der Geizige liebt das Geld, wie man einen sehr verehrten Menschen liebt, in dessen bloßem Dasein und darin, dass wir ihn wissen und unser Mit-Ihm-sein empfinden, schon Seligkeit liegt, auch ohne dass unser Verhältnis zu ihm in die Einzelheit konkreten Genießens einginge.

Indem der Geizige von vornherein und Bewussterweise darauf verzichtet, das Geld als Mittel zu irgend welchen Genüssen zu benutzen, stellt er es zu seiner Subjektivität in eine brückenlose Distanz, die er dennoch durch das Bewusstsein seines Besitzes immerfort zu überwinden sucht.

Bewirkt so der Mittelcharakter des Geldes, dass es als die abstrakte Form von Genüssen, die man dennoch nicht genießt, auftritt, so hat die Schätzung seines Besitzes, insoweit es unausgegeben bewahrt wird, eine Färbung von Objektivität, es umkleidet sich mit jenem feinen Reize der Resignation, der alle objektiven Endzwecke begleitet und die Positivität und Negativität des Genießens in eine einzigartige und mit Worten nicht weiter ausdrückbare Einheit zusammenschließt.

Beide Momente erreichen im Geize ihre äußerste Spannung gegen einander, weil das Geld als das absolute Mittel auf unbegrenzte Möglichkeiten des Genießens hinaussieht und zugleich als das absolute Mittel in seinem unausgenützten Besitz den Genuss noch völlig unangerührt lässt.

Nach dieser Seite hin fällt die Bedeutung des Geldes mit der der Macht zusammen; wie diese ist es ein bloßes Können, das die Reize einer nur subjektiv antizipierbaren Zukunft in der Form einer objektiv vorhandenen Gegenwart sammelt.

Der Wunsch, der darauf konzentriert war, hat aber schließlich doch nur etwas in der Hand, was sich seinem völlig leeren Wesen nach jedem eigentlichen Verhältnis zu uns entzieht; wenn er also nicht sofort darüber hinaus zu einem konkreten Ziel schreitet, so muss er in eine tödliche Enttäuschung auslaufen; wie sie denn auch unzählige Mal da eintritt, wo der leidenschaftlich und als fraglose Beglückung ersehnte Geldreichtum sich nach seiner Erreichung als das enthüllt, was er wirklich ist: als ein bloßes Mittel, dessen Hinaufschraubung zu einem Endzweck seine Erreichung nicht überstehen konnte.

Während hier also die fürchterlichste Diskrepanz zwischen Wunsch und Erfüllung besteht, findet genau das Umgekehrte statt sobald der psychologische Endzweckcharakter des Geldes sich für die Dauer gefestigt hat und die Geldgier also ein chronischer Zustand geworden ist.

In diesem Fall nämlich, wo die begehrte Sache überhaupt nichts gewähren soll als ihren Besitz, und wo diese Beschränkung des Wunsches nicht nur eine vorübergehende Selbsttäuschung ist, da ist auch jeder Enttäuschung vorgebeugt.

Alle Dinge, die wir sonst zu besitzen begehren, sollen uns doch mit ihrem Besitz etwas leisten und in der unzulänglichen Vorberechnung dieser Leistung liegt die ganze oft tragische, oft humoristische Inkommensurabilität zwischen Wunsch und Erfüllung, von der ich eben sprach.

Das Geld aber soll dem Geizhals von vornherein nichts über seinen bloßen Besitz hinaus leisten. Das Geld als solches kennen wir genauer, als wir irgend einen Gegenstand sonst kennen; weil nämlich überhaupt nichts an ihm zu kennen ist, so kann es uns auch nichts verbergen.

Als absolut qualitätloses Ding kann es nicht, was doch sonst das armseligste Objekt kann: Überraschungen oder Enttäuschungen in seinem Schoße bergen. Wer also wirklich und definitiv nur Geld will, ist vor diesen absolut sicher.

Die allgemeine menschliche Unzulänglichkeit, dass das Gewonnene anders aussieht als das Ersehnte, erreicht einerseits ihren Gipfel in der Geldgier, sobald diese das Zweckbewusstsein nur in illusionärer und nicht haltbarer Weise erfüllt; sie ist aber andrerseits völlig ausgelöscht, sobald der Wille wirklich definitiv am Geldbesitz Halt macht.

Wenn man die menschlichen Lose in das Schema des Verhältnisses zwischen dem Wunsch und seinem Gegenstand fassen will, so muss man sagen, dass je nach dem Haltpunkt der Zweckreihe das Geld zwar der inadäquateste, aber auch der adäquateste Gegenstand unseres Begehrens ist.

Indem die auseinandergesetzte Art des im Geld verkörperten Könnens ihm ein sublimiertes Machtgefühl grade vor seinem Ausgegebenwerden zuwachsen lässt - der »fruchtbare Moment ist in ihm gleichsam zum Stehen gekommen -, ist der Geiz eine Gestaltung des Willens zur Macht und zwar, den Charakter des Geldes als des absoluten Mittels beleuchtend, so, dass die Macht wirklich nur Macht bleibt und sich nicht in ihre Ausübungen und deren Genuss umsetzt.

Dies ist ein wichtiges Erklärungsmoment für den Geiz des hohen Lebensalters. Gewiss ist diese Tendenz als Fürsorge für die nächste Generation zweckmäßig - so wenig dieses Motiv grade dem Geizhals bewusst zu sein pflegt, der vielmehr, je älter er wird, um so weniger an die Trennung von seinen Schätzen denken mag.

Subjektiv ist vielmehr wohl der Umstand wesentlich, dass im Alter einerseits die sinnlichen Seiten des Lebens ihren Reiz oder die Möglichkeit des Genossenwerdens verlieren, andrerseits die Ideale durch Enttäuschungen und Mangel an Schwung ihre erregende Kraft einbüßen; so bleibt als letztes Willensziel und Lebensreiz oft nur noch die Macht übrig, die sich zum Teil in der Neigung des Alters zu tyrannisieren offenbart, und darin, dass Personen höherer Stellungen im Alter oft eine krankhafte Sucht nach »Einfluss« zeigen; zum Teil aber im Geize, für den eben dieselbe abstrakte »Macht«, sich im Geldbesitz verkörpert.

Ich halte es für einen Irrtum, wenn man sich jeden Geizigen mit der Ausmalung aller ihm zur Verfügung stehenden Genüsse, all der reizvollen Verwendungsmöglichkeiten des Geldes beschäftigt denkt.

Die reinste Form des Geizes ist vielmehr die, in der der Wille wirklich nicht über das Geld hinausgeht, es auch nicht einmal im spielenden Gedanken als Mittel für anderes behandelt, sondern die Macht, die es gerade als nicht ausgegebenes repräsentiert, als definitiven und absolut befriedigenden Wert empfindet.

Für den Geizigen liegen alle sonstigen Güter in der Peripherie des Daseins und von jedem derselben führt ein eindeutig gerichteter Radius seinem Zentrum, dem Gelde, zu, und es hieße das ganze spezifische Lust- und Machtgefühl verkennen, wenn man diese Richtung umdrehen und sie von ihrem Endpunkt auch nur innerlich wieder auf die Peripherie zurückleiten wollte.

Denn indem die Macht, die in jenem Zentrum ruht, in das Genießen konkreter Dinge umgesetzt würde, ginge sie als Macht verloren.

Es ist nun für die Herrschaft, die das Geld über die allgemeine Denkart gewonnen hat, sehr bezeichnend, dass man eine Reihe von Erscheinungen als Geiz - im Sinne des Geldgeizes - zu bezeichnen pflegt, die in Wirklichkeit das genaue Gegenteil desselben sind.

Es handelt sich um die Menschen, die ein abgebranntes Streichholz nochmals benutzen, leere Briefseiten sorgfältig abreißen, kein Stückchen Bindfaden wegwerfen und auf jede verlorene Stecknadel eine Mühe des Suchens verwenden.

Man nennt solche Menschen geizig, weil man sich gewöhnt hat, den Geldpreis der Dinge ganz unbefangen als ihren Wert anzusehen.

Tatsächlich aber denken sie gar nicht an den Geldwert jener Objekte, die Stärke ihres Gefühles gilt gerade dem sachlichen Wert derselben, auf den ihr Geldwert gar keine irgend proportionierte Hinweisung gibt. Wenigstens in sehr vielen Fällen sind es durchaus nicht die Bruchteile eines Pfennigs, um deren Rettung es sich für jene Sparsamen handelt; gerade sie sind von der Rücksicht auf das Geld, durch das die Objekte ohne weiteres wieder beschaffbar sind, oft genug unabhängig und werten eben bloß die Sache selbst.

In diese Kategorie gehören auch jene sonderbaren, aber nicht allzu seltenen Menschen, die ohne Bedenken hundert Mark, aber nur mit wahrer Selbstüberwindung einen Bogen Papier aus ihrem Schreibvorrat oder Ähnliches verschenken.

Dass auch auf dieser Basis der bloßen Gebrauchswertschätzung etwas dem Geize Analoges stattfinden kann, ist natürlich nicht zu leugnen.

In dem Sinne aber, wie es meistens verstanden wird: es sei doch der Geldwert der Objekte, den die so charakterisierten Personen retten wollten, ist es sicher oft nicht der Fall.

Denn dem Geizigen sind die Dinge gerade gleichgültig, weil das Geld sie ihres Endzweckcharakters beraubt hat, während das Verhalten jener ganz sinnlos wäre, wenn es durch den Geldwert der Dinge bestimmt wäre; freilich kann es durch das völlige Außerachtlassen desselben auch wieder unvernünftig werden.

Sie vergessen über den Zweck das Mittel, das ihn Jederzeit wieder erreichbar macht, während der Geizige über das Mittel den Zweck vergisst, der jenem allein Bedeutung gibt.

Allein so logisch, wie hiermit gefordert wird, geht es in der Seele nicht zu, und der Reiz der gesammelten Macht, die gerade nur in dem Mittel, so lange es noch reines unausgegebenes Mittel ist, ruht, macht das Abbrechen der Zweckreihe an diesem Punkte durchaus verständlich.

Die Stellung des Geldes, insoweit sie seinen Charakter über das bloße Mittlertum hinaus zu einem selbständigen Interesse steigert, will ich nun noch nach zwei negativen Instanzen hin verfolgen.

Die Verschwendung ist nach mehr als einer Richtung dem Geize verwandter, als die Entgegengesetztheit ihrer Erscheinungen zu verraten scheint.

Es ist hier zu bemerken, dass in Zeiten naturaler Wirtschaft die geizige Konservierung der Werte mit deren Natur, mit der sehr begrenzten Aufhebbarkeit der landwirtschaftlichen Produkte nicht vereinbar ist.

Wo daher deren Umsetzung in das unbegrenzt aufhebbare Geld nicht tunlich oder wenigstens nicht selbstverständlich ist, findet man selten ein eigentlich geiziges Aufhäufen derselben; wo Bodenprodukte unmittelbar gewonnen und konsumiert werden, besteht meistens eine gewisse Liberalität, besonders etwa Gästen und Bedürftigen gegenüber, wie sie das zum Sammeln viel mehr einladende Geld weniger nahe legt; so dass Petrus Martyr die Kakaosäcke rühmt, die den alten Mexikanern als Geld dienten, weil sie nicht lange aufgehäuft und verborgen aufbewahrt werden konnten und also keinen Geiz gestatteten. ja, es scheint, als ob das Geld schon seinem Begriffe nach einen Anspruch, gewissermaßen ein Recht auf egoistische Reserve enthielte: wo Engherzigkeit und Hartherzigkeit sich weigern, sich von einem konkreten Besitzstück zu trennen, hört man regelmäßig als rechtfertigende Begründung, es habe doch so und so viel Geld gekostet.

Ganz entsprechend beschränken naturale Verhältnisse die Möglichkeit und den Reiz der Verschwendung.

Die verschwenderische Konsumtion und leichtsinnige Vergeudung innerhalb derselben haben doch, abgesehen von sinnloser Zerstörung, an der Aufnahmefähigkeit des eigenen und fremder Subjekte ihre Grenze. Die Hauptsache aber ist, dass die Verschwendung des Geldes überhaupt einen ganz anderen Sinn, eine ganz neue Nuance gegenüber der Verschwendung konkreter Gegenstände enthält: die letztere bedeutet, dass der Wert für die vernünftigen Zweckreihen des Individuums schlechthin vernichtet ist, die erstere, dass er in unzweckmäßiger Weise in andere Werte umgesetzt ist.

Der Typus des Verschwenders in der Geldwirtschaft ist nicht jemand, der das Geld in natura sinnlos verschenkt, sondern der es zu sinnlosen, bzw. seinen Verhältnissen nicht angemessenen Käufen verwendet.

Die Lust am Verschwenden, die genau von der Lust etwa an dem flüchtigen Genuss der Gegenstände, an dem damit verbundenen Protzentum, an dem anregenden Wechsel zwischen Erwerb und Verbrauch der Objekte zu unterscheiden ist, die also die reine Funktion des Verschwendens, ohne Rücksicht auf ihren substanziellen Inhalt und ihre Begleiterscheinungen betrifft - heftet sich also an den Moment des Geldausgebens für irgend welche Gegenstände; der Reiz dieses Momentes überdeckt beim Verschwender die sachgemäße Schätzung des Geldes einerseits, der Gegenstände andererseits.

Hiermit wird die Stellung des Verschwenders in der Zweckreihe deutlich bezeichnet.

Wenn das Endglied derselben der Genuss aus dem Besitz des Objekts ist, so ist ihre erste uns hier wesentliche Mittelstufe, dass man das Geld besitze, die zweite, dass man es für den Gegenstand ausgebe.

Für den Geizigen nun wächst jene erste zu einem für sich lustvollen Selbstzweck aus, für den Verschwender die zweite.

Das Geld ist für ihn kaum weniger wesentlich, als für jenen, nur nicht in der Form des Habens, sondern in der des Ausgebens. Sein Wertgefühl baut sich in dem Augenblick des Überganges des Geldes in andere Wertformen an und zwar mit solcher Intensität, dass er sich den Genuss dieses Augenblicks um den Preis erkauft, alle definitiveren Werte damit zu vergeuden.

Wegen ihrer engen Beziehung zum Gelde gewinnt die Verschwendungssucht so leicht einen ungeheueren Beschleunigungszuwachs und raubt dem davon Befallenen alle vernünftigen Maßstäbe: weil die Regulierung fehlt, die durch das Maß der Aufnahmefähigkeit konkreten Objekten gegenüber gegeben ist.

Das ist die genau gleiche Maßlosigkeit, die die geizige Geldgier charakterisiert: die bloße Möglichkeit, die sie statt des Genusses der Wirklichkeiten sucht, geht an und für sich ins Unendliche und findet nicht wie diese, äußere und innere Gründe ihrer Einschränkung.

Geiz und Verschwendung streben ihrem Wesen nach ins Grenzenlose, weil sie beide prinzipiell die Wertbemessung ablehnen, die allein der Zweckreihe Halt und Grenze gewähren kann, nämlich die an dem abschließenden Genusse der Objekte.

Indem der eigentliche Verschwender - der nicht mit dem Epikureer und dem bloß Leichtsinnigen zu verwechseln ist, so sehr in der individuellen Erscheinung all diese Elemente sich mischen mögen - gegen das Objekt, wenn es einmal in seinem Besitz ist, gleichgültig wird, ist sein Genießen mit dem Fluche behaftet, nie Rast und Dauer zu finden; der Augenblick seines Eintritts enthält zugleich seine Aufhebung in sich, sein Leben hat dieselbe dämonische Formel wie das des Geizigen: dass jeder erreichte Moment den Durst nach seiner Steigerung weckt, der aber nie gelöscht werden kann; denn die ganze Bewegung sucht die Befriedigung, wie sie aus einem Endzweck fließt, innerhalb einer Kategorie, die sich ja von vornherein den Zweck versagt und sich auf das Mittel und den vordefinitiven Moment beschränkt hat.

Der Geizige ist der Abstraktere von beiden; sein Zweckbewusstsein macht in noch größerer Distanz vor dem Endzweck halt; der Verschwender geht immerhin noch näher an die Dinge heran, er verlässt die auf das rationelle Ziel gerichtete Bewegung an einer späteren Station, um sich an ihr, als sei sie selbst das Endziel, anzubauen.

Einerseits diese formale Gleichheit bei vollständiger Entgegengesetztheit des sichtbaren Erfolges, andererseits das Fehlen eines regulierenden substanziellen Zweckes, das durch die gleichmäßige Sinnlosigkeit beider Tendenzen ein launenhaftes Spiel zwischen ihnen nahe legt - erklärt es, dass Geiz und Verschwendung sich oft an derselben Persönlichkeit finden, sei es in Verteilung auf verschiedene Interessenprovinzen, sei es in Zusammenhang mit Lebensstimmungen; Kontraktion und Expansion derselben drücken sich in Geiz und Verschwendung, wie in derselben, nur jedes Mal mit anderem Vorzeichen versehenen Bewegung aus.

Nach einer ganz anderen Dimension hin als die Verschwendung es tut, steht der Geldgier und dem Geize eine zweite negative Erscheinung gegenüber: die Armut als definitiver Wert, als für sich befriedigender Lebenszweck.

Das Auswachsen eines Gliedes der Zweckreihe zu absoluter Bedeutung hat sich hier in eine ganz andere Richtung derselben verpflanzt als beim Geiz und der Verschwendung; denn während diese bei den Mitteln zu Endzwecken stehen blieben, verharrt die Armut bei dem Ausbleiben der Mittel oder rückt in den hinter dem Endzweck liegenden Teil, in so weit sie sich als der Erfolg abgelaufener Zweckreihen einstellt.

Ähnlich wie Geiz und Verschwendung tritt Armut in ihrer reinsten und spezifischen Erscheinung nur bei irgend einem Maße von Geldwirtschaft auf.

In naturalen Verhältnissen, die noch nicht geldwirtschaftlich bestimmt sind, so lange also die Bodenprodukte noch nicht als bloße Waren, d. h. unmittelbar als Geldwerte figurieren, kommt es nicht so leicht zu absoluter Bedürftigkeit Einzelner, nicht zur Armut im sozialen Sinne: noch bis in die letzte Zeit hinein hat man sich in Russland gerühmt, dass die wenig geldwirtschaftlich entwickelten Bezirke daselbst keine persönliche Armut kennten.

Als allgemeine Erscheinung liegt das nicht nur an der leichteren Zugängigkeit des unmittelbar Nötigen, zu dem es nicht erst der Beschaffung des Geldmittels bedarf, sondern auch daran, dass die humanen und sympathischen Gefühle der Armut gegenüber in jenen Verhältnissen leichter erweckt werden, als wenn das, was dem Armen fehlt und womit man ihm helfen soll, gar nicht das ihm unmittelbar Nötige ist. Das Mitgefühl hat in reinen Geldverhältnissen erst einen Umweg zu machen, ehe es auf den Punkt seines eigentlichen Interesses kommt. Auf diesem Umwege erlahmt es oft.

Dem entspricht es, dass gerade praktisch hilfreiche und mitleidige Menschen dem Armen lieber mit Nahrung und Kleidung als mit Geld zu Hilfe kommen. Wo die Armut als sittliches Ideal auftaucht, da ist es deshalb auch der Besitz an Geld, den sie als die schlimmste Versuchung, als das eigentliche Übel verabscheut.

Wo das Heil der Seele als Endzweck empfunden wird, da erscheint zu ihm die Armut in manchen Doktrinen als ein ganz positives und unerläßliches Mittel, das sich aus dieser Stellung dann zu der Würde eines durch sich selbst bedeutungsvollen und gültigen Wertes erhebt. Das kann nun auf verschiedenen Staffeln der Zweckreihen und von verschiedenen Motiven aus geschehen. Zunächst kann die bloße Gleichgültigkeit gegen alles irdische Genießen und Interessiertsein dahin führen.

Von der Seele, die zum Höchsten aufstrebt, fällt dieser Ballast wie von selbst ab ohne dass es eines besonders darauf gerichteten Willens bedürfte. So mögen sich vielfach die ersten Christen verhalten haben: nicht direkt feindselig und aggressiv den Gütern der Sichtbarkeit gegenüber, sondern einfach ohne Beziehung zu ihnen, wie zu Dingen, für deren Wahrnehmung man kein Organ besitzt. In Hinsicht auf das Geld muss dies freilich entschiedenere und positivere Formen annehmen, da man auf dem Wege auch zum Unentbehrlichsten ihm immerwährend begegnet und da der Erwerb seiner mehr Aufmerksamkeit und Willensbeschäftigung fordert, als die daraufhin erfolgende Beschaffung des Unterhaltes selbst.

Wer gegen diesen selbst so abgestumpft ist, dass er wie jener Kirchenvater Wagenschmiere für Butter aß, ohne es zu merken, kann, wenn er in einer Zeit des Geldverkehrs überhaupt existieren will, für den Erwerb auch der bescheidensten Summe sein Bewusstsein nicht in derselben Weise ablenken lassen.

Deshalb wird, wo prinzipiell nur Gleichgültigkeit gegen alles Äußere herrscht, diese grade dem Geld gegenüber leicht in wirklichen Hass übergehen.

Darauf wirkt zweitens der versucherische Charakter des Geldes noch entschiedener ein. Weil es in jedem Augenblick zur Verwendung bereit ist, ist es der schlimmste Fallstrick der schwachen Stunden, und da es alles zu beschaffen dient, so bietet es der Seele das ihr jeweilig Verführerischste dar; und alles dies ist von um so unheimlicherer Gefährlichkeit, als das Geld, so lange es wirklich bloß als Geld in unseren Händen ist, das indifferenteste und unschuldigste Ding von der Welt ist.

So wird es für asketische Empfindungsweisen das richtige Symbol des Teufels, der uns in der Maske der Harmlosigkeit und Unbefangenheit verführt; so dass dem Teufel wie dem Gelde gegenüber die einzige Sicherung im absoluten Fernhalten liegt, in der Ablehnung jeglicher Beziehung, wie ungefährlich sie auch scheine.

In der frühsten Gemeinde Buddhas ist dies zum prinzipiellen Ausdruck gekommen. Der Mönch, der in die Gemeinde eintritt, gibt eben damit seinen Besitz überhaupt auf, wie er seine Familienbeziehungen und seine Gattin aufgibt, und darf, gelegentliche Ausnahmen abgerechnet, nichts weiteres als die kleinen Gegenstände des täglichen Bedarfs besitzen, und auch diese eigentlich nur, wenn sie ihm als Almosen zufließen.

Wie fundamental diese Bestimmung war, zeigt der Name, mit dem sich die Mönche bezeichneten: die Gemeinde der Bettler.

Indem sie täglich erbettelten - und nicht einmal durch ausgesprochene Bitten, sondern das Almosen stillschweigend erwartend - was sie täglich bedurften, war die Bindung an jegliches Eigentum soweit gelöst, wie es überhaupt möglich war.

Wie es bei gewissen arabischen Nomadenstämmen durch Gesetz verboten war, Getreide zu säen, ein Haus zu bauen und Ähnliches, damit keine Verführung zur Sesshaftigkeit den Einzelnen den Lebensbedingungen des Stammes untreu mache, so galt dasselbe in innerlicher Wendung von den buddhistischen Mönchen.

Sie, die sich den Vögeln vergleichen, die nichts mit sich tragen, als die Flügel, wohin sie auch fliegen, dürfen kein Ackerland, kein Vieh, keine Sklaven zum Geschenk nehmen.

Am strengsten ist nun dies Verbot in Bezug auf Gold und Silber. Der Wohltäter, der den Mönchen ein Geldgeschenk zugedacht hat, darf es nicht ihnen geben, sondern einem Handwerker oder Händler, der dann den Mönchen dafür die Naturalien liefert, die sie annehmen dürfen. Hat aber dennoch ein Bruder Gold oder Silber angenommen, so muss er vor der Gemeinde Buße tun und das Geld wird, wenn ein gutgesonnener Laie in der Nähe ist, diesem zum Einkauf von Lebensmitteln gegeben; selbst darf kein Mönch dies besorgen. 

Ist aber keiner gleich zur Hand, so wird das Geld einem Mönch zum Fortwerfen überliefert und zwar einem »der frei ist von Begehren, frei ist von Hass, frei von Verblendung« - und der so die Garantie gibt, dass er es auch wirklich wegwirft. Hier ist - wenn auch mit der eigentümlichen anämischen Gedämpftheit dieser gleichsam in einem Gedanken erstarrten Seelen - das Geld zu einem Gegenstand der Furcht und des Abscheus, die Armut zu einem eifersüchtig gehüteten Besitz, zu einem kostbaren Stück in dem Wertinventar dieses aller Vielheit und Interessiertheit der Welt abgewandten Daseins geworden.

Die innere Formung, die sich zum absoluten Werte der Armut aufgipfelt, wird nun mit reinster Entschiedenheit und unvergleichlicher Leidenschaft von den ersten Franziskanermönchen dargestellt.

Hier gilt es nicht nur eine Reaktion gegen jene furchtbare Verweltlichung der italienischen Kirche des 12. und 13. Jahrhunderts, die in der Simonie ihren gedrängtesten Ausdruck gefunden hatte: auf Geld war alles gestellt und für Geld alles zu haben, von der Papstwahl bis zur Einsetzung des armseligsten Landpfarrers, von der großartigsten Klostergründung bis zum Aussprechen der Formel, durch die Florentiner Priester den Wein, in dem Mäuse ertrunken waren, wieder sühnten und genießbar machten.

Die Käuflichkeit war innerhalb des kirchlichen Wesens so selbstverständlich geworden, dass schon lange vor der Zeit des Franziskus ein darob empörter Bischof von Fiesole sagen konnte, er wolle die Papstwürde kaufen und wenn sie ihn tausend Dukaten kosten sollte, bloß um die verfluchten Simonisten vertreiben zu können!

Innerhalb der Reformbewegung hiergegen, die seit dem 5. Jahrhundert nie völlig ausgesetzt hatte, war freilich schon sonst die Armut als die ideale Forderung für den Geistlichen laut geworden, weil damit der Verweltlichung der Kirche so Wurzel wie Krone abgeschnitten wäre.

Allein zu einem selbständigen Werte oder zu einem Korrelat der tiefsten inneren Bedürfnisse wurde die Armut doch erst bei den Franziskanern.

Von der ersten Zeit des Ordens sagt ein Spezialhistoriker: "In der Armut hatte die gente poverella Sicherheit, Liebe und Freiheit gefunden: Was Wunder, dass alles Dichten und Trachten der neuen Apostel einzig der Bewahrung dieses köstlichen Schatzes galt. Ihre Verehrung kannte keine Grenzen: mit der vollen Glut bräutlicher Liebe warben sie täglich aufs neue um die Freundin ihres Herzens."

Die Armut wurde hier zu einem positiven Besitz, der einerseits gleichsam den Erwerb der höchsten Güter vermittelte, ihnen gegenüber das leistete, was das Geld den irdischen Verächtlichkeiten gegenüber: so heißt es über Franziskus selbst: "er wollte kein Eigentum haben, damit er alles um so voller in Gott besäße."

Andrerseits aber war die Armut schon ganz unmittelbar eine Seite oder ein Ausdruck davon, dass dem Entsagenden die Welt in einem höheren, dem höchsten Sinne gehörte; er war eigentlich kein Entsagender, sondern in der Armut besaß er den reinsten, feinsten Extrakt der Dinge, wie der Geizige ihn im Gelde besitzt.

Wie die buddhistischen Mönche sagten: »ln hoher Freude leben wir, die wir nichts besitzen; Fröhlichkeit ist unsere Speise, wie den Göttern des Lichtreichs« - so charakterisierte man die Franziskaner als nihil habentes, omnia possidentes.

Die Armut hat hier ihr asketisches Wesen verloren: die inneren Güter, zu deren Gewinn sie die negative Bedingung bildete, sind zu ihr selbst herabgestiegen, der Verzicht auf das Mittel, das der Welt sonst als der volle Repräsentant ihrer Endzwecke gilt, hat die gleiche Steigerung zu einem definitiven Werte erfahren.

Die ungeheure und ausgreifende Macht des Prozesses, durch den das Geld aus seiner Mittlerstellung zu der Bedeutung eines Absoluten aufsteigt, kann durch nichts ein schärferes Licht erhalten als dadurch, dass die Verneinung seines Sinnes sich zu der gleichen Form steigert.


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
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