Georg Simmel:
Michelangelo als Dichter
ex: Vossische Zeitung Berlin, Sonntagsbeilage Nr. 36 vom 8. 9. 1889
Beim Anblick erhabenster
Naturschauspiele empfinden wir neben aller Grossartigkeit und Schönheit,
mit der sie uns fesseln, oft eine Beengung, ein Fremdsein, ein leises
Unbehagen; wir fühlen uns ihnen gegenüber gewissermassen ausgelöscht,
und wenn es eben noch schien, als könnte die Seele sie ganz in sich
aufnehmen, sinkt sie im nächsten Augenblick vor dieser Aufgabe zurück,
entmutigt, dieses Gewaltige nicht zu begreifen, weil wir ihm nicht
gleichen, ihm nicht zu gleichen, weil wir es nicht begreifen.
Grössten Menschen gegenüber
ist es manchmal ähnlich; mag es ein Gefühl eigner Kleinheit sein oder
das Missbehagen an allem Unbegreiflichen, oder an einem Mangel, der uns in
dem gewaltigen Gesamtbilde doppelt peinlich an alle menschliche Unzulänglichkeit
erinnert, kurz, nicht immer kommen wir solchen Persönlichkeiten gegenüber
zu der reinen Freude, mit der sich unser Gemüt oft minder grossen
Erscheinungen traulich und treulich hingibt.
Vielleicht wird sich
Niemand mit Michelangelo eingehender beschäftigen können, ohne solchem
Mischgefühl öfters zu unterliegen.
Seine Werke reissen uns
widerstandslos in eine Welt, in der wir dann plötzlich empfinden, dass
wir so ganz heimisch in ihr weder sind noch auch sein möchten; während
ihre nie erreichte Kraft des Ausdrucks zulangt, um uns gewissermassen
niederzuzwingen, fühlen wir, wie ihre Gedanken und Leidenschaften noch über
den Stein hinausragen und dass der Künstler am wenigsten zur Versöhnung
und Beruhigung gekommen ist, so dass sie namentlich schwächlichere Seelen
in einer gewissen Entfernung halten, wie man sich nicht nahe an ein
Schlachtgewühl heranwagt.
Und so zieht uns auch seine
Persönlichkeit mächtig an; schon wenn wir nichts Anderes von ihm wissen,
als dass er den Moses, die Medicäergräber, die Decke der Sixtinischen
Kapelle geschaffen hat, so ahnen wir den Reichtum seines Geistes, die
Tiefe seines Gemütes, die Reinheit seines Idealismus.
Aber näher tretend werden
wir von Manchem zurückgestossen: ein düsteres, verschlossenes, herbes
Wesen, das mehr war als die Folge jener Einsamkeit, zu der die Grösse
verurteilt; Züge von Grobheit und von Malice bösester Art; dabei
entschiedene Hypochondrie und Mangel an persönlichem Mut.
Und doch waren dies nur
Aussenseiten, die bei ihm mehr als bei irgend einem gleich grossen
Menschen im Gegensatz zum Innern standen, mehr vielleicht noch als selbst
bei Beethoven.
Er erschien geizig und
verschenkte im Geheimen Vermögen; er war Geistlichen und Päpsten gegenüber
selbstbewusst und sogar grob, und doch ein tief gläubiger Sohn der
Kirche; er war unliebenswürdig und ungehobelt in seinem Auftreten und
zeigte doch in seinen Gedichten, wie weich und widerstandslos, von
zartestem Empfinden durchgeistet, sein Inneres war; als sein Vater starb,
der ihm das Leben durch launenhaftes Temperament, durch Undankbarkeit und
Missbrauch seiner väterlichen Autorität verleidet hatte und dem gegenüber
er selbst oft genug kräftig und vielleicht heftig aufgetreten war,
trotzdem er mit der Tat stets der aufopferndste Sohn war, sagte er:
So gross nur sind im
Menschen Leid und Schmerzen, Wie er sie tiefer oder leichter fühlt: Mein Fühlen liest nur Gott in meinem Herzen.
Der innere Roman seines
Lebens ist nur aus seinen Gedichten ersichtlich und in seiner vollkommenen
Verinnerlichung, seiner überraschenden Weichheit und Hingegebenheit nun
doppelt rührend.
Bei einer lyrisch
angelegten Persönlichkeit nehmen wir die Äusserungen zarter und
hingebender Empfindungen als selbstverständlich hin; wo aber eine
unnahbare Titanennatur uns plötzlich ihr ganzes Innere zeigt, mit aller
Weichheit, aller Hilflosigkeit selbstvergessenen Empfindens, vor dem ihr
eherner Trotz geschmolzen ist, da ist der Kontrast geschaffen, durch den
uns auch rein lyrische Äusserungen mit tragischer Rührung ergreifen.
Nur durch seine Gedichte
bannt er jenen Hauch von Fremdheit und Übermenschlichkeit, der uns sonst
die liebende Hingabe an das Gesamtbild seiner Persönlichkeit zu versagen
schien; so viel Dissonanzen des Lebens, so viel ungestillte Sehnsucht, so
viel ungelöste Fragen in seinen Versen erklingen mögen, sie allein
weisen doch den Weg, auf dem unser Herz mit ihm Zwiesprach halten kann.
Drei Gedankenkreise, die
innerlichsten, die der Mensch überhaupt besitzt, bilden, vielfach sich
schneidend und zusammenfallend, die Elemente seines Dichtens: seine Liebe,
sein Leiden, seine Hinwendung zum Göttlichen, alle drei oft gekreuzt und
umspielt von den Ideen und Idealen seines Künstlertums.
So innerlich aber sein
Empfinden war, so konnte er doch der formelhaften Ausdrucksweise, die er
gerade für erotische Empfindungen schon fest geprägt vorfand, sich nicht
ganz entziehen.
Die abgegriffene Form der
Madrigale und Sonette, die einer oberflächlichen Galanterie und einem
spielerischen Dilettantismus dienstbar war, füllte er zwar oft genug mit
eigenstem, empfundenen Inhalt, aber ganz und gar ist er jenem Charakter
der Zeitpoesie nicht entgangen.
Wer will überhaupt die
Grenze ziehen, an der das rein Individuelle sich über das Konventionelle
erhebt? Wer wird ein Urteil darüber wagen, ob ein grosser Geist dem, was
uns Alle bändigt, dem Trivialen, unterlegen ist, oder ob er es schöpferisch
aus sich wiederholte, da es doch vielleicht nur auf Grund seiner tiefen
und einfachen Wahrheit zum Gemeingut Aller geworden ist? Gerade der
vornehmste Geist und der, in dem die Strahlen der Volksseele in ihrer grössten
Fülle sich schneiden, mag es am Meisten verschmähen um jeden Preis in
originellen Formen zu reden, wenn schon die hergebrachten für den
reichsten Inhalt die reinste Prägung sind.
Als er Vittoria Colonna
kennen und lieben lernte, muss es ihm eine besondere Gunst gewesen sein,
dass eine gewisse Übertriebenheit erotischer Ausdrücke, ein Herbeirufen
von Himmel und Hölle, allgemein angenommene Form war, von der von
vornherein vorausgesetzt wurde, dass sie ein sehr unstetiges Verhältnis
zwischen Ernst und Übertreibung, zwischen Leidenschaft und Konvention
darstelle.
So durfte er gewisse Dinge
aussprechen, die weder er sagen, noch sie hätte hören dürfen, wenn sie
nicht allgemeine konventionelle Münze gewesen wären, so dass ihm so zu
sagen Niemand nachweisen konnte, wie ernst er sie meinte.
So wenig die Frage, ob
seine Empfindung für Vittoria Colonna Freundschaft oder Liebe war, scharf
beantwortet werden kann, so wenig die, in wie weit seine Verse wahre oder
erdichtete Empfindung aussprechen und in wie weit seine Bewunderung der
Frauen ästhetisch oder erotisch war.
Was man bei modernen
Dichtern Gehirnsinnlichkeit genannt hat, jene Hindurchleitung sinnlich
leidenschaftlichen Fühlens durch die Reflexion oder gar den Ursprung aus
ihr, das war auch bei ihm vorhanden; aber auch umgekehrt die
Versinnlichung rein geistiger Probleme durch die Leidenschaft, mit der er
sie ergriff, und das künstlerische Vermögen, ihnen sinnlich greifbare
Gestalt anzubilden.
Es ist das falscheste Bemühen,
solche Naturen und ihre Äusserungen auf einheitliche Ausdrücke, auf die
unzweideutigen Begriffe bringen zu wollen, die wir auf weit einfachere
Erscheinungen hin geformt haben.
Wie sehr die Empfindungen
der Liebe ihn zunächst quantitativ beherrscht haben, spricht er unzählige
Male in seinen Versen aus.
Schon viele Male sei sein
Herz in Liebe entbrannt, sie sei ihm Gewohnheit vieler Jahre und wie sie
ihn noch im späten Alter in Fesseln schlägt, so kann er aus diesen sich
nicht befreien, weil er durch Gewohnheit, den mal uso, ihr zu sehr ergeben
ist, wie denn allerdings auch ihm die Gewohnheit offenbar die Ketten verstählt
hat, die die Liebe schmiedete; so fest, sagt er, hafte das Bild der
Geliebten in ihm, wie das goldene Bildwerk in der Form in die es gegossen
ist.
Denn wie man jenes nur
herauslösen kann, indem man die Form zerbricht, so würde sein Geist das
geliebte Bild nur lassen können, wenn er selbst zerbrochen und zerstückt
würde.
Seinem ganzen
Liebesempfinden, soweit er es dichterisch gestaltet hat, liegt ein Gedanke
zu Grunde: der Gegensatz seiner Persönlichkeit gegen die der Geliebten.
Er fühlt offenbar, was
seiner Natur fehlt, das Leichte, Anmutige, und etwas, was ich das
Musikalische nennen möchte, das ihn um so mehr an den Frauen anzieht;
daher offenbar das Aufschauen zu ihnen und nicht nur zu Vittoria Colonna,
die Vorstellung, dass sie ihm etwas geben, was er nicht besitzt, ihn zu
einer Höhe erheben sollen, die er für sich nicht erreichen kann.
Seit diese Liebe über ihn
gekommen, ist er sich selbst so viel mehr wert, wie ein Stein, aus dem ein
Kunstwerk gebildet ist, mehr wert ist als er vorher war, wie das
beschriebene Blatt wertvoller ist als das leere.
Du hebst mich himmelan, Weit über meine Bahnen, So hoch, dass kaum ich's ahnen, Viel weniger noch es jemals sagen kann.
Es beherrschte ihn jene
Empfindung, die durch die Lyrik aller Zeiten gehend, durch Rückkehrt
ihren klassischen Ausdruck gefunden hat.
Vor allen Dingen scheint
er, der Schönheitsfanatiker, seine eigene Hässlichkeit tragisch
empfunden zu haben, an der wohl nicht ausschliesslich jener Faustschlag
Schuld war, der ihm als jungem Manne das Nasenbein zerschmetterte.
In den Augen der
Geliebten sieht er sein Spiegelbild: alt, hässlich, gebeugt von den
Jahren und den Leiden, während sie sich glänzend und schön in den
seinigen spiegelt.
Dieser Gegensatz vermehre
natürlich ihre Härte gegen ihn, denn Liebe wolle gleiches Aussehen und
gleiche Jugend.
Er ist sich bewusst, mit
seinem alten und hässlichen Antlitz nur eine Folie ihrer Schönheit zu
sein, damit sie um so strahlender, er um so armseliger erschiene; er
bittet Amor, er möchte die Geliebte hässlich machen, damit sie ihm
missfalle und sich ihrerseits in ihn verliebe.
Aber nicht nur seine Hässlichkeit,
sondern auch sein Temperament, die düstere Melancholie seines Wesens,
empfindet er in tragischem Gegensatz gegen die Person, die er nun doch
einmal und vielleicht gerade um dieses Gegensatzes willen lieben muss und
die ihn um eben desselben willen nicht lieben kann.
Wie in dem Stoff des
Kunstwerks sich das Schöne und das Hässliche, die Fülle und die
Armseligkeit birgt und das Eine oder das Andere hervortritt, je nachdem
der Künstler beschaffen ist, so, meint er, ruhe in ihr sein Leid und
seine Lust; da er aber nur Trauriges darböte, so gewinne er auch nur
solches aus ihr.
So klingt denn der
unverholenste Pessimismus aus seinen Versen wider, die eigentlich nur ein
einziges grosses Buch der Klage sind.
Sein Herz unterliegt der
Liebe, sagt er, nur deshalb, weil es durch so viele Leiden geschwächt
ist; und andererseits erscheint es ihm als das höchste Wunder, dass er,
ein ausgedorrtes und verkohltes Holz, noch einmal Liebesblüten tragen könne.
Wenn er die Leerheit der
irdischen Freuden, das Trügerische ihrer Versprechungen ausmalt, fügt er
hinzu: ich sag' es und ich weiss es aus Erfahrung.
Er nennt sich einen, der
zum Elend geboren ist und mildert dies nur einmal dahin, dass es das höchste
Elend wäre, geboren zu sein, wenn nicht die Schönheit den Geist himmelan
zöge; es ist eine völlige Vorwegnahme des modernsten Pessimismus, wenn
er ausspricht, dass tausend Freuden nicht hinreichten, um einen einzigen
Schmerz aufzuwiegen.
Nichts Ergreifenderes als
damit die wenigen Verse zu vergleichen, die uns von Raphael aufbewahrt
sind.
Auch in ihnen freilich
klingt die Klage um ein entschwundenes Glück, aber das ist nur ein Dunkel
wie nach untergegangener Sonne, während es bei Michelangelo überhaupt
nie zum blauen Himmel gekommen ist; das einzige Gedicht, das von einer
vollständigen Vereinigung mit der Geliebten spricht, hat doch wieder nur
zur Pointe, einen drohenden oder vollzogenen Bruch mit ihr ausgleichen zu
wollen.
Wie man von Raphael sagen könnte,
dass er hässlichkeitsblind war, so scheint er auch mit dem sichern
Schritte eines Göttersohnes oder eines Nachtwandlers an den Abgründen
vorübergegangen zu sein, in denen ein Michelangelo sein Glück begrub,
er, der die Hässlichkeit so scharf empfand, weil sie sich von dem
Hintergrunde seines Schönheitsideales abhob.
Und so ist denn seinem des
Treibens müden Geiste die Nacht der dolce tempo:
Du Bild des Todes, Ende
alles Bösen, Mit dem die müde Seele streiten muss, Bis dass dein Zaubertrank sie will erlösen.
Und mit einem Gleichnis,
dessen Unverhülltheit in wunderlichem Kontrast zu seiner scholastischen
Austüftelung steht, sagt er: alle anderen Wesen würden am Tage erzeugt,
die Sonne liesse alle Pflanzen keimen; der Mensch allein würde in der
Nacht empfangen und deshalb stände die Nacht über dem Tage, wie der
Mensch über jedem andern Erzeugnis der Natur.
Auch wo er an den Medicäergräbern
eine Figur des »Tages« gebildet, ist es so zu sagen nur eine Nacht bei
Licht geworden und vielleicht sind ihm wenige Verse so aus
beziehungsreicher Tiefe gequollen, wie jene, mit denen er Giovanni Strozzi
erwiderte, als dieser von der berühmten »Nacht« gesagt hatte, sie würde
erwachen und reden, wenn man sie weckte:
Nun Schmach und Schande
tödlich uns betrafen, Ist mir des Steines Starrheit höchstes Glück, Ein Glück das taube Ohr, der blinde Blick, Drum schweige still und lass mich schlafen, schlafen.
Wenn er aber auch sagt,
dass, wie jedem sein Schicksal von Anbeginn zugeteilt ist, so sei ihm die
Nacht, der er selbst gleiche, als Lebensgebiet mitgegeben, so ist es denn
auch völlig verständlich, dass er nicht trotzdem sondern deshalb ein
gewisses Grauen vor der Nacht empfindet, dass sie, vielleicht besonders in
späteren Jahren, sein Herz erstarren lässt, während nur der Tag noch es
mit dem Lichte des Himmels erfüllt.
Aber auch ihm fehlte nicht
der Ausgleich, den die Natur auf so leidensvollen Wegen mitzugeben pflegt:
der Stolz und das Gefühl, wie gleichgültig das Leiden gegenüber den höchsten
Werten des Lebens sei.
In einem Sonett, das er
Dante weiht, möchte er gern alles Leiden, das dessen Leben erfüllte, auf
sich nehmen, würde das grösste Glück der Erde hingeben, wenn er nur
seinen Genius besässe.
Besser sei es, sagt er
einmal, wenn man verstände, viel zu verlieren als Geringfügiges zu
gewinnen.
Unter der Hülle der
konventionellen Demut, die sich der Geliebten gegenüber mit der kleinsten
Gunst begnügen will, liegt doch das unbändige Gefühl des: Alles oder
Nichts.
Ja, wie ihm das Schönste
gerade schön genug ist, wie er sich fragt, ob die Geliebte denn wirklich
seine Liebe verdiene, da doch nicht Alles an ihr gleich schön sei, so
spricht er sogar aus, dass alle Gunst, die sie ihm überhaupt gewähren könnte,
nicht ausreichen würde, die Glut seiner Leidenschaft zu stillen.
Nur der Vittoria Colonna
gegenüber scheint er sich wirklich und innerlich gedemütigt zu haben. Es
ist bekannt, wie sehr sie dazu angetan war, selbst einem Michelangelo neue
Ideale zu zeigen.
Eine ungewöhnliche
Naturanlage nach der gemütlichen wie nach der intellektuellen Seite hin,
die Stellung in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die den
individuellen Anlagen auch der Frauen freieste Entwicklung gewährte, die
Berührung mit den damaligen bedeutsamen Versuchen einer religiösen
Reform in Italien, endlich der grosse Schmerz ihres Lebens, der frühe
Verlust ihres Gatten, der ihrem Wesen eine unvergleichliche Verklärung
und Weihe gegeben haben muss, alles dies wirkte zusammen, um sie zu der
ersten Frau Italiens zu machen, zu der Einzigen, von der Michelangelo sich
verstanden wusste, und deren Freundschaft ihm das ganze nicht mehr
gehoffte Glück gab, dessen Umfang natürlich die Jahre begrenzten, in
denen sie sich fanden, er ein Sechziger, sie eine Vierzigerin, die das
Leben einer Nonne führte.
Wer so lange unverstanden
dahingelebt hat, wie es sein Schicksal war, immer nur von dem lebte, was
er selbst gab, der empfindet den Segen einer Natur, die ihm nun auch etwas
zu geben hat, unendlich viel stärker, als es in der Jugend der Fall ist,
wo man im Geben schon Genügen findet und wo die Hoffnung auf das absolute
Glück noch lebendig ist.
Gerade aus seinen Gedichten
geht hervor, wie oft er sich auf ein leidenschaftlich Stammeln beschränken
musste, in das allein ihm höchste Gedanken und tiefste Empfindungen
ausflossen; gerade daraus aber wird verständlich, wie selten Menschen nur
sein konnten, die ihn ganz verstanden, und was es ihm war, wenn er einen
fand.
Dass er jetzt, wo er so
viel erhielt, die Vorstellung hatte, er erhielte Alles, er sei nichts und
sie Alles, dies ist durchaus begreiflich; jedem, der ein grosses Glück
gefunden hat, geht es annähernd so, und ihm, alt, enttäuscht,
hoffnungslos und einsam, ihm vor Allem musste dieses Auslöschen des
eignen Seins die nächstliegende Empfindung sein.
Ich wähle die
Schlusszeilen eines Sonettes, das zwar nicht sicher an diese Frau
gerichtet ist, aber recht treffend die Empfindung charakterisiert, die er
hundertmal ihr gegenüber ausgesprochen hat:
Dein Wille hohe Frau ist
auch der meine, Aus Deinem Herzen sprosset mein Empfinden, Und wenn Du schweigst, spricht meine Lippe nicht. Dem Monde gleich' ich, arm an eignem Schein. Den unsre Augen nicht am Himmel finden, Strahlt Sonne ihn nicht an mit ihrem Licht.
Darum war er ihr so
dankbar, weil ihr gegenüber der Riss zwischen seinem Innern und Äussern,
den der Widerstand der stumpfen Welt hervorrief, versöhnt wurde; indem er
ihr, die ihn ganz verstand, sein Inneres auch nach Aussen geben konnte,
verhalf sie ihm insoweit zur Harmonie mit sich selbst.
Das gelang ihr nicht nur,
weil er sie liebte, sondern er liebte sie auch, weil ihr dies gelang.
Er kommt sich vor wie ein
erstes unvollkommenes Modell aus niedrigem Stoffe; die Vollendung zum
Kunstwerk, zur Schönheit des Schöpfergedankens, der ihm zu Grunde liegt,
erhofft er erst von ihren Händen.
So war denn diese Liebe
sowohl Ursache wie Folge einer Vergeistigung seines Wesens nach der religiösen,
wie nach der philosophischen Seite hin.
Wie diese Liebe unsinnlich
war, so betonte er auch die Unsinnlichkeit des wahrhaft Schönen und der
wahren Kunst.
Wenigstens bildlich
verwendet er jene platonische Idee von der Präexistenz der Seelen.
Wie Petrarka von dem Bilde
Laura's von Simone Martini sagte:
Doch war mein Meister
wohl im Paradiese, Daher die edle Frau herabgestiegen; Dort sah er sie, dass von den schönen Zügen Sein irdisch Werk ein himmlisch Zeugnis wiese?
so meint nun Michelangelo:
Du hast in Deinem Blick
das Paradies; Dorthin, wo unsre Seelen einst sich liebten, Führt mich der Weg, den Deine Augen weisen.
Die Seele schwingt sich
ihm, so berichtet er, oft nach den ersehnten Regionen auf, wo die Schönheit
wohne, die nicht mehr an stolze Frauen gebunden sei, offenbar also jener
überhimmlische Raum des platonischen Mythus, in dem die Ideen, die reinen
Formen der Dinge wohnen, die himmlischen Gestalten, die nicht nach Mann
und Weib fragen.
Darum meint er, die Schönheit
der Frauen sei der Erde nur verliehen, um uns zu zeigen, welches Leben
unser wartet, wenn der Schleier der Körperlichkeit gerissen sei.
Auch ein gewisses Schwanken
zwischen der kirchlich religiösen und der pantheistischen
Vorstellungsweise findet sich, das ebenso wohl dem poetischen Reize eines
solchen hin, und herspielenden Gefühles wie einer gewissen Unklarheit
entspriessen mochte: er sehnt sich nach dem Zusammensein mit der Geliebten
im Paradiese, wo er sich also zugleich des Gottes freuen wird, den er im
Himmel und dessen, den er auf Erden anbetet, wenn ihm auch, scheinbar im
Gegensatz und doch im tiefen Zusammenhange mit solchen Anschauungen der
Gedanke kommt, ob nicht das Idealbild des Schönen, das sein Geist in sich
gebildet, sich nur in der Geliebten widerspiegele, so dass es gar nicht
sie selbst, sondern ein Reflex seiner schönheitserfüllten Seele sei, was
ihn bezaubere.
Dies erinnert interessant
an die bekannten Worte Raphaels, dass er, um eine schöne Frau zu malen,
an denen in Wirklichkeit immer Mangel sei, sich einer »gewissen Idee«
(certa idea) bedienen müsse, die in seinem Geiste entsteht.
Wie die Kunst ihn von der
Sinnenschönheit durch die ewige Schönheit der Form hindurch zum Himmel
weist, so trägt ihn die unsinnliche Schönheit der Geliebten vom
Irdischen zum Ewigen; es ist der gleiche Prozess, den er auf dem Gebiet
der Liebe wie auf dem der Kunst durchmacht.
Will mir zur Sehnsucht
Deine Schönheit taugen, Es ist der Teil von ihr, der kaum geahnt Im jenseits erst sich bietet unsern Augen.
So oft er auch seine
Begeisterung für die Schönheit ausspricht, so wird er doch nicht müde,
die nur in den Sinnen wohnende Schönheit als niedrig und eines weisen und
männlichen Herzens unwürdig darzustellen, und nur deshalb liebe er diese
schöne Hülle, weil Gott in ihr und freilich deutlicher als in irgend
Anderem sich spiegele.
Und so weit führt ihn
dieser Prozess, dass er über alle irdische Verkörperung des Göttlichen
hinaus schliesslich ausruft:
Nicht Malen und nicht
Meisseln stillt mein Sehnen; Die Gottesliebe nur, die ihre Arme Am Kreuze ausstreckt, uns darein zu schliessen,
er, der früher gesagt
hatte, dass die Schönheit, die zu malen und zu meisseln er sich
anschicke, uns zum Himmel trage.
Aber nicht ohne Kämpfe und
Zweifel war er zu dieser religiösen Ergebenheit durchgedrungen.
Wie ein skeptischer Trotz
klingt jenes Sonett, das ich hier in der Übersetzung von Sophie
Hasenclever anführe:
Der Leib dem dürren
Holze gleich zu schätzen, Das Herz wie Schwefel, Werg das Fleisch und ach, Vernunft erlahmt und blind, die Seele schwach, Des Zügels los, bereit nur zum Ergötzen:
Dazu die Welt mit Ködern
und mit Netzen! Da ist's kein Wunder, denkst Du diesem nach, Dass schon die erste Glut auf einen Schlag Dem Blitze gleich mich mag in Flammen setzen.
Wenn für die Kunst, die
aus dem Himmel stammt Und die Natur besiegt durch Meisterhand, Mir Aug' und Ohr bei der Geburt.
Wenn das ich sah, was
mich mit Recht entflammt. So trägt die Schuld von solchem Seelenbrand, Der, der mich schuf, um in der Glut zu leben.
Und so fragt er denn,
weshalb Gott eigentlich die Welt geschaffen hätte, wenn alle unsere Gefühle
und Leidenschaften ihm missfielen; so spricht er die Frau von Schuld frei,
zu der die Liebe ihn vernichte, da eben der Himmel ihr zugleich mit der
Schönheit die Waffen, ihn zu Töten, in die Hand gegeben hätte, und ein
anderes Mal fragt er zweifelnd, ob der Himmel wirklich an uns denke und
sich um uns kümmere.
Und so schwer löst sich
sein Herz von den irdischen Reizen, dass er selbst ganz spät, wo er voll
Verzweiflung über die an die Lügen der Welt verschwendete Zeit sich nur
dem ewigen Helle zuwenden will, Gott noch besonders um Kraft bitten muss,
die Welt und ihre Schönheiten zu hassen, die er doch liebe und anbete.
Was ihn schliesslich ganz
auf die religiösen Wege führte, war nicht jenes Zukreuzekriechen, das so
oft aus der Schwäche und Furchtsamkeit des hohen Alters hervorgeht; immer
ist es nur das Allerinnerlichste, was er sucht, der Frieden der gequälten
Seele, den die Welt ihr nicht gewähren kann; nur die tiefe Erlösungsbedürftigkeit
bewegt ihn, wie sie auch ein Beethoven am Ende des Lebens in seiner Missa
solemnis ausgesprochen hat.
Wenn ich gesagt hatte, dass
es ein Mangel an Harmonie, an innerlicher und äusserlicher Ausgleichung
seiner Lebensmomente war, was seine Anbetung der Frauen, insbesondere der
Vittoria Colonna, erklärt, so ist es nur der gleiche Zug, der ihn über
alle Dissonanzen und Unzulänglichkeiten in ihm und ausser ihm hinweg zu
dem Höchsten aufsteigen liess, indem sie ihre Versöhnung, ihren
Ausgleich, ihre Einheit finden.
Wir können nicht sagen, ob
er in dieser Hinsicht den ganzen und dauernden Frieden gefunden hat oder
ob er auf dem Wege dazu geblieben ist und ob das Schicksal der meisten
seiner Bildwerke, nicht vollendet zu werden, nach dieser Richtung hin
nicht auch das Schicksal seiner Seele geblieben ist, die er so oft seinem
Kunstwerk vergleicht. |