Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das ‘Problem’
Simmel: Einige Überlegungen zu Methode und Stil
3. Persönliche und
sachliche Kultur: Eine Lektüre
3.1 Wechselwirkung und
Kulturentwicklung
3.2 Der „würdelose Zustand“
3.3 Arbeitsteilung und Differenzierung
3.4 „Tempo“ und „Stil“: Die
„psychologische Distanzierung“
4. Kulturevolution und
Individualisierung
4.1 Vergesellschaftung
4.1.1 Homogenität
und Heterogenität
4.1.2 Ein relationaler
Persönlichkeitsbegriff
4.2 „Die Tragödie
der Kultur“
4.2.1 Die
Auflösung traditionaler Orientierung
4.2.2 Exkurs: Die Kategorie des „Erlebens“
4.2.3 Die ‘moderne Gesellschaft’
4.2.4 Zusammenfassung
4.3 ‘Chancen’ des
Individuums
4.3.1 „Vornehmheit“
4.3.2 Die Mesoebene: Zweckverbände
5. Organisationen als
soziale Akteure
6. Resümee
Bibliographie
1.
Einleitung
Die Beschäftigung mit
der formalen Soziologie Simmels - des neben Marx, Weber und
Durkheim wichtigsten Begründers der Soziologie als eigenständige
wissenschaftliche Disziplin - sieht sich mit verschiedenen
Problemen konfrontiert. Zum einen sorgt das an vielen Stellen
unscharfe Vokabular und die methodische Vielfalt, die auf die
historische Situation einer Soziologie zwischen
Geschichtswissenschaft und (erkenntnistheoretischer) Philosophie
zurückgeht, für einige Verwirrung.
Zum andern macht diese
Vermischung von ökonomischer, ästhetischer und
individualpsychologischer Perspektive zu einer umfassenden Analyse
der Kulturevolution zum Zeitpunkt der frühen Moderne eine Analyse
der Überlegungen Simmels unter soziologischer Perspektive
schwierig: Begriffe wie Individualität, Wechselwirkung,
Differenzierung, Distanzierung usw. sind jeweils gleichzeitig
positiv und negativ, rein formal und zeitkritisch besetzt. Diese
Problematik wird noch durch die strikt relationale Pespektive
Simmels verschärft, die Individualisierung und Sozialisierung
miteinander eng verknüpft denkt. Eine Untersuchung dessen, wie
die ‘Chancen’ des individuellen Akteurs in einer modernen,
durchrationalisierten Gesellschaft zu bewerten sind, muss also
innerhalb eines komplizierten Kräfteverhältnisses gedacht
werden.
Die vorliegende Arbeit
versucht nun, dieses von Simmel beschriebene Kräfteverhältnis
von verschiedener Seite zu beleuchten und seine Konstituierung im
Laufe der Kulturevolution nachzuvollziehen. Dabei soll die Frage
nach der Ausbildung, aber auch nach der Gefährdung des ‘Individuums’[1]
als sozialen Sinn konstituierendes Wesen - also als ‘Akteur’ -
im Zentrum stehen und innerhalb der theoretischen Ansätze Simmels
diskutiert werden. Der vielleicht etwas ausschweifende Gebrauch
von Fussnoten lässt sich dabei auf die Simmel eigene Vermischung
seiner ‘Lieblingsdisziplinen’ (Philosophie, Soziologie,
Geschichtswis-senschaft und Ästhetik) zurückführen: Der genaue
Sinngehalt verwendeter Begriffe muss jeweils erst genauer
definiert werden.
Die Untersuchung ist in
vier Teile gegliedert: Auf eine Problematisierung der
Methodenvielfalt Simmels und eine eingehende Lektüre des dieser
Arbeit zugrunde liegenden Aufsatzes - Persönliche und
sachliche Kultur - folgt in einem dritten Teil eine eingehende
Beschäftigung mit Simmels Theorie der Konstituierung des modernen
Individuums. In einem vierten und letzten Teil sollen diese
Überlegungen - in Form eines kleinen Ausblicks auf die heutige
Handlungs- und Interaktionstheorie - abgerundet werden.
Inhalt
2.
Das ‘Problem’ Simmel: Einige Überlegungen zu Methode und Stil
„Simmel besass eine
Sammlung kostbaren Porzellans. Schüler berichten von einer
Berliner Vorlesung vor einer grossen, in die Hunderte gehenden
Hörerschaft, in welcher er über eine chinesische
Porzellanschale mit einer feinen Tuschzeichnung dozierte. Er
verwies dabei auf die augenblickliche Lebensbewegung des
Auftragens der Tusche auf den Gegenstand und die endgültige
Fixierung dieses flüchtigen Moments im Akt des Brennens, dem
Akt definitiver Gestaltwerdung. Er erläuterte an dem
zerbrechlichen Objekt die gespannte Ambivalenz von Liquidität
und Erstarrung, von fliessender Dynamik des Lebens und
statischer Verhärtung objektiver Gebilde, die sein gesamtes
Denken ausmachte.“
[2]
Diese kurze, von der
Sekundärliteratur gern in verschiedenen Variationen aufgenommene
(und mit verschiedenen Wertungen verbundene) Anekdote umreisst in
einem einfachen Bild jene methodische Eigenart, die das ganze Werk
Simmels auszeichnet und eine Beschäftigung damit, wie wir zeigen
werden, gleichzeitig fruchtbar, aber auch schwierig macht.
Zum einen leuchtet darin
der seltsam orale, diskursive und oft vage ‘Vorlesungsstil’
Simmels auf, der auch seine zur schriflichen Publikation
vorgesehenen Texte kennzeichnet und die summarische
Zusammenfassung bereits eines kurzen Aufsatzes kompliziert: Seine
Texte sind voller Wiederholungen und Wiederaufnahmen, voller
Perspektivenwechsel und angerissenen Hypothesen. Verschiedene
Begriffe werden für das gleiche soziale Faktum verwendet, oder
dieses Faktum wird auf verschiedene, oft widersprüchliche
begriffliche Art gefasst. Nicht zu Ende geführte Gedanken werden
‘auf später’ vertagt, um einem andern nachzugehen. Und wie in
der obigen Anekdote werden Begriffskategorien vornehmlich nicht in
einem ersten Schritt als theoretisches System formalisiert und
erst dann mit Beispielen illustriert, sondern die
Kategorienbildung folgt aus kunsthistorischen, lebensweltlichen
usw. Beispielen heraus, die damit die angestrebte
Kategorienbildung als ‘work in progress’ auszeichnen. Der
Leser wohnt so weniger der Systematisierung der ‘faits sociaux’
zu einer Universaltheorie der (modernen) Gesellschaft bei, wie das
beispielsweise Durkheim unternommen hat, sondern vielmehr einer
Auslotung der Möglichkeiten und Gefahren der sozialen Existenz
zwischen (chancenreicher) „Liquidität“ und („tragischer“)
„Erstarrung“ des Gesellschaftsgefüges, wobei die
Simmelsche Methode das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen
nachzeichnet [3].
Zum andern zeigt sich in
der Anekdote der weite wissenschaftliche Horizont Simmels, der ihn
von einer „feinen Tuschzeichnung“ auf einer
chinesischen Vase über den Umweg lebensphilosophischer
Betrachtungen zu einer jener Oppositionen („Liquidität“
und „Erstarrung“) gelangen lässt, die generalisierbar
und damit theoretisch fruchtbar sind. Solche Übergänge - von
einem essayartig einsetzenden Text zu einem Versuch, die
beschriebenen Erscheinungen zu formalisieren, von der blossen
Beschreibung des modernen ‘Lebens’ zu dem Versuch einer Art
Metaphysik und umgekehrt - sind die Simmel eigene Arbeitsmethode:
Kunsttheorie mischt sich mit Transzendentalphilosophie,
historische Anekdoten und Beispiele aus dem zeitgenössischen (Salon-)Leben
mit einer pessimistischen Lebensphilosophie, Evolutionstheorie
Darwinscher Prägung mit einer erkenntnistheoretischen Theorie des
„individuellen Gesetzes“ [4].
Diese enge Bindung von
Einzelanalyse - z. B. der „materiellen Kulturgüter“ [5]
-
und formalem Anspruch, diese Durchdringung verschiedener
Theorieansätze [6] macht eine Beschäftigung mit Simmel wie erwähnt
schwierig: Indem, in Persönliche und sachliche Kultur, die
Untersuchung der Gesellschaft um 1900 zugleich unter
wirtschaftlicher, kultureller, religiöser und
individualpsychologischer Perspektive geleistet wird und im
pessimistischen Fazit einer Art universellen Entfremdung, der
Postulierung von „zwei Evolutionen“ gipfelt, lässt
sich weder in Bezug auf eine qualitative (d. h. hier: akteur- oder
handlungsbezogene), noch auf eine quantitative (d. h. hier: die
Gesellschaft als Gesamtes betreffende) Systematisierung
verdichten. Alles, so scheint es, ist miteinander verknüpft, die
Ausdifferenzierung der sozialen Beziehungen gleichzeitig positiv und
negativ zu bewerten. Dies wäre nicht weiter problematisch, wenn
nicht darüber hinaus ein „Kulturideal“ beschworen
würde, das mit Begrifflichkeiten wie „Seelenhaftigkeit“
besetzt ist und mit einem frühbürgerlichen Idealtypus (Goethe)
kokettiert, dessen Uneinholbarkeit in der Moderne zwar
zugestanden, aber gleichzeitig als Endpunkt der Evolution
gefordert wird.
Diese Eigenart Simmels -
nämlich pessimistische Zeitanalyse mit dem Begriffapparat eines
fortschrittsgläubigen deutschen Idealismus zu betreiben - ist an
sich widersprüchlich. Dies tut natürlich der Genauigkeit und
höchsten Sensibilität der Zeitdiagnose keinen Abbruch; zugleich
darf aber nicht vergessen werden, dass einem methodischen,
idealistisch gefärbten Pluralismus wie dem Simmels die
Möglichkeit verschlossen bleibt, die sozialen ‘Fakten’ unter
rein formalen Gesichtspunkten zu betrachten, da die funktionale
Abgeschlossenheit der beiden System - Gesllschaft und Individuum -
zwar konstatiert, dann aber sofort wieder in ein
unübersichtliches Gewebe von Wechselwirkungen aufgelöst wird.
Etwas salopp gesagt liegt das methodische Problem darin, dass
Simmel das Individuum als ‘Umwelt’ der Gesellschaft nicht
akzeptieren will und es mit einer „Religiosität ohne
Religion“, einem überzeichneten Künstlerideal und
schliesslich in der Idee des Weltbürgers zu retten versucht.
Der Leser der Werke
Simmels sieht sich also gleichzeitig mit einem modernen, heute
auch als bahnbrechend anerkannten Soziologen und mit einer
Art spätidealistischen Philosophen konfrontiert. Wie Lichtblau [7]
in
diesem Zusammenhang bemerkt, verstand sich Simmel in erster Linie
als Philosoph, der seine Arbeit als Soziologe nur als
Nebenbeschäftigung ansah, wobei ihm die von ihm geforderte
Abgrenzung der beiden Disziplinen nicht immer gelang. Das Ziel der
vorliegenden Arbeit soll es nun sein, den genannten Aufsatz als
genuin soziologischen zu untersuchen, ohne dabei die
philosophischen Implikationen aus den Augen zu verlieren [8].
Die
grosse formalisierende Arbeit des Soziologen und
Alltagsästhetikers Simmel soll so die kritische oder vielmehr
pessimistische des Philosophen nicht verdecken, sondern die
methodischen Spannungen sollen nachvollzogen und unter
soziologischen Gesichtspunkten problematisiert werden.
Um der bei Simmel aus
obigen Gründen sich anbietenden Gefahr der essayartigen,
sprunghaften Rezeption zu entgehen, lehnt sich die folgende
Untersuchung eng an Persönliche und sachliche Kultur an.
Aus dieser Lektüre heraus sollen dann einige Begrifflichkeiten
genauer untersucht und im Gesamtzusammenhang des Simmelschen Werks
problematisiert werden.
Inhalt
3.
Persönliche und sachliche Kultur : Eine Lektüre
3.1
Wechselwirkung und Kulturideal
Gleich zu Beginn des
Aufsatzes führt Simmel die für seine soziologische Theorie
zentrale Kategorie der Wechselwirkung ein: Indem der „intelligente
Wille“ im Zivilisationsprozess die „Dinge“ [9],
d. h.
die objektive Welt kultiviert, „leistet er seine Kulturarbeit
nicht an ihnen, sondern an uns“. Die Entfaltung der „materiellen
Kulturgüter“ ist so gleichzeitig Selbstentfaltung, und
ebenso verhält es sich bei der Kultur insgesamt: Die Entfaltung
der zwischenmenschlichen Beziehungen - bis zu ihrer komplexesten
Form, der Gesellschaft - entfaltet die einzelnen Individuen an
sich. Es findet im Lauf des Evolutionsprozesses also ein „Werterhöhungsprozess“
[10] statt, der, indem er von den Individuen ausgehend auf die „Dinge“
wirkt, in diese selbst zurückkehrt. Der Künstler - Simmels
liebstes Sinnbild des freien Subjekts - arbeitet so an der „Entwicklung
des menschlichen Wesens über seinen Naturzustand hinaus“,
indem er den Gegenstand seiner Kunst „zu seiner eigensten
Bedeutung“ entwickelt: Die Dinge sind dabei nur die
sichtbare Seite für die Entfaltung „unserer Energien“
[11].
Inhalt
3.2
Der „würdelose Zustand“
Diesem kurz umrissenen
„Kulturideal“, aus dem das selbstgenügsame „l’art
pour l’art“ wie auch entfremdete Arbeit im Marxschen Sinn
als sinnlos für den evolutionären Prozess der Individualisierung
ausgeklammert bleiben müssen, stellt Simmel „ein besonderes
Verhältnis innerhalb der gegenwärtigen Kultur“ gegenüber,
und es zeigt sich, dass sich in der Moderne die Relationen
zwischen subjektiver und objektiver Welt bedeutend verschoben
haben: Der Zivilisationsprozess der gegenseitigen Wertsteigerung
im Verhältnis Mensch-Ding hat sich in einen andern verwandelt.
Während nämlich die „sachliche Kultur unsäglich kultiviert“
ist - was die Wissenschaft, die Produktionsmittel usw. betrifft -,
ist die subjektive Kultur - im Vergleich zu ihrer Blüte zur Zeit
der deutschen Klassik - zurückgegangen, es hat sich ein „würdeloser
Zustand“ der Kultur eingestellt [12].
Diese Diskrepanz zwischen
sachlich-objektiver und subjektiver Kultur steigert sich stetig
und hat, so Simmel, bereits dazu geführt, dass sich das „unmittelbare“
Verhältnis zu den Dingen in ein „symbolisches“, also
rein zweckmässiges verwandelt hat. Der im Evolutionsprozess
wirksame „Geist“ hat sich verobjektiviert und den
Individuen entfremdet, die Individuen sehen sich einer
geschlossenen „Gesamtkultur“ gegenübergestellt, die
von der „Geringfügigkeit ihrer Anteile“ ebenso
unberührt bleibt, „wie es irgendein körperliches Sein von
seinem Wahrgenommen- oder Nichtwahrgenommenwerden bleibt"
[13]. Die in die Gesellschaft ‘investierten’ Bewusstseinsinhalte
haben sich vergegenständlicht, was zwar die Kulturevolution als
„geschichtliche Tatsache“ sichert, sie aber
gleichzeitig vom Idividuum trennt. Kurz: Die moderne Kultur ist
„unwirklich“, d. h. sie bildet eine eigene, von ihren
idividuellen Gliedern abgetrennte Wirklichkeit. Die von Luhmann
später akribisch formulierte Theorie vom Menschen als Umwelt der
Gesellschaft, als quantité négligeable gegenüber den
kulturellen Kristallisationen wird hier vorweggenommen.
Inhalt
3.3
Arbeitsteilung und Differenzierung
Anstatt eine Theorie
abgeschlossener, interagierender Systeme zu postulieren - also das
Auseinandertreten von subjektiver und objektiver Kultur als
Grundlage einer historischen Kulturwissenschaft, als logische
Voraussetzung für Gesellschaft zu verstehen -, definiert Simmel
diesen Zustand als Defizit und nennt auch sofort den Grund für
diese Aberration des menschlichen Fortschritts: die Aufsplitterung
der individuellen Bewusstseinsakte in ein komplexes,
zweckorientiertes System der Arbeitsteilung. Während im Idealfall
das Individuum - womit Simmel wieder den Künstler meint - „alle
Realitätsmöglichkeiten ausserhalb des gewünschten Rahmens
vernichtet“ und sich so selber als soziales Wesen definiert,
wird in der modernen Kultur gewissermassen das Individuum ‘gerahmt’
und ausserhalb dieses Rahmens ‘vernichtet’ [14].
In der
Spezialisierung der gesellschaftlichen Arbeitsleistung wird die
objektiv produzierte Realität vom Individuum - vom „Arbeiter“
- abgetrennt, Arbeiter und Produkt sind „zwei Existenzen“,
die nicht mehr im gleichen „Lebenssystem“ verwurzelt
sind. Die Arbeit verliert so, durch die Konstituierung von
Funktionsketten, nicht nur den Charakter des individuellen
Ausdrucks, sondern sie wird etwas prinzipiell Objektives: Sie wird
zu etwas, das „geleistet“ werden kann und gemäss
dieser Leistung „wertvoll“ ist.
Simmels Kritik der
Moderne macht aber nicht bei der Formulierung dieser prinzipiellen
Entfremdung halt. Denn das Ware-Werden der Arbeit, so Simmel, ist
nur ein Aspekt eines umfassenden evolutionären
Differenzierungsprozesses. Dieser stellt dem Individuum die
eigenen Inhalte als Objekte gegenüber, indem die Arbeit am Objekt
nicht als Wertsteigerung ins Individuum zurückkehren kann. Nicht
nur, dass, als quasi zynischer Ausdruck des neuen
Arbeitsverhältnisses, die vom Arbeiter produzierten Objekte von
diesem wieder gekauft werden müssen, sondern der
gesellschaftliche Differenzierungsprozess „verkehrt die
sozialen Unterschiede“ und macht sie in letzter Konsequenz
bedeutungslos: Wissenschaftliche Arbeit ist genauso käuflich wie
die Arbeit eines Analphabeten. Die Subjekte finden sich, als
funktionalisierte Arbeitskräfte, aus allen sozialen Unterschieden
herausgestellt und so jeder traditionellen Orientierung beraubt.
Die gesellschaftliche „Macht“ überträgt sich auf die
Dinge, die einzige Möglichkeit personaler Freiheit besteht in
ihrer Geringschätzung, in der „Gleichgültigkeit“
gegenüber dem „Fetischdienst“ an den Dingen [15].
Fassen wir zusammen: Im
Moment der gesellschaftlichen Evolution, den Simmel beschreibt,
sind durch Arbeitsteilung und andere Differenzierungsprozesse die
Kulturobjekte zu einer in sich zusammmenhängenden ‘Welt’
geworden. Diese ‘Welt’ ist funktional mehr oder weniger
autonom und greift nur noch selten auf das Subjekt als Gesamtheit
- die „Seele“ - zu. Traditionelle gesellschaftliche
Formen - wie die soziale Schichtung usw. - sind in dieser letzten
Konsequenz nur noch normativ wirksame „Gebilde“ ohne
lebensweltlichen Inhalt, da es dazu lebendiger Wechselwirkung im
oben beschriebenen Sinn bedarf. Die Komplexität der Gesellschaft
verschafft zwar dem Individuum eine grösstmögliche Freiheit in
Bezug auf Rollenwahl usw., dafür ist das Verhältnis von
Individuum und Arbeit, von Individuum und Gesamtkultur kein
organisches mehr, sondern ein rein symbolisch-intellektuelles. Die
Kultur wächst gewissermassen nicht mehr in und durch die
sinnbestimmten Handlungen der sozialen Akteure, sondern diese
verhalten sich zu ihr. Das substantielle Ich hat sich in ein rein
funktionales verwandelt. Der Mensch als sinnproduzierendes Wesen,
so Simmels pessimistisches Fazit, ist „vernichtet“.
Inhalt
3.4
„Tempo“ und „Stil“: Die „psychologische
Dsitanzierung“
Simmel differenziert im
Anschluss seine These vom von der Gesamtkultur und sich selbst
entfremdeten Individuum in einer genaueren Zeitanalyse. Nicht nur
hat sich die objektive Gesamtkultur als solche vom Individuum
gelöst, sondern diese ist in sich selbst zersplittert in
voneinander unabhängige, sich nur noch reflexiv aufeinander
beziehende evolutionäre Welten: Wissenschaft, Mode usw. Durch
diese radikale Spezialisierung der rationalen Bewusstseins-, oder
besser Produktionsakte, die sich jeweils nur auf einen
verschwindenen Teil eines der Subsysteme beziehen können und
ausschliesslich ihrem (Geld)-Wert nach miteinander in Beziehung
stehen, ist der Mensch zum Beobachter der gesellschaftlichen
Evolution geworden. Das evolutionäre „Tempo“ der
Gesamtkultur ist nicht mehr lebensweltlich nachvollziehbar. „Stil“,
einer der Grundbegriffe der klassischen Ästhetik und
Anthropologie, ist nicht mehr die quasi-künstlerische Fähigkeit,
seine Umgebung gemäss seiner Pesönlichkeit zu gestalten, sondern
er ist schlicht die Wahl zwischen verschiedenen objektivierten
Angeboten. Die moderne Kultur gleicht so einer Art Warenhaus, in
dem die „kulturelle Fähigkeit“ darin besteht, das „Passende“
zu wählen, ohne es aber beeinflussen zu können. Das „Tempo“
des (materiellen) Fortschritts führt zu einer „psychologischen
Distanzierung“ [16] des Individuums von seiner Lebenswelt, die
gleichzeitig die an sich formlose moderne Lebensform erst
ermöglicht. Die Wahl des „Passenden“, da reflexiv und
damit der Entwicklung der Dinge nachgängig, ist nur scheinbar
frei. Der Mensch sieht sich von der Objektwelt überholt [17].
Simmels Schlussfolgerung
ist damit absehbar: Eine das Individuum und die
Gesellschaft miteinbeziehende Untersuchung ist unter
evolutionären Gesichtspunkten nicht mehr möglich, denn „Fortschritt
und Stagnation können direkt nebeneinander liegen, je nachdem man
die Evolution der Subjekte oder der Gebilde ins Auge fasst.“
Mikro- und makrosoziale
Perspektive des gleichen sozialen Faktums können so zu
entgegengesetzten Resultaten führen, aber da es Simmels erklärte
methodische Absicht ist, die beiden Perspektiven miteinander zu
vereinen - eben die Individualisierung aus der Sozialisierung zu
erklären - muss er zu einem pessimistischen Schluss gelangen: Das
Projekt ‘Aufklärung’ ist gescheitert, da sie die
verschiedenen persönlichen Inhalte des Menschen nicht im Duchlauf
durch die gesellschaftliche Evolution zur „Einheit“
gebracht, sondern sie von ihm abgetrennt und ihm als objektive
Welt gegenübergestellt hat. Der Mensch ist von der Evolution
enteignet worden, „Seelenhaftigkeit“ ist nur noch in
der grösstmöglichen Abstraktion, dem „Kosmopolitismus“
[18], oder in der reinen Innerlichkeit erreichbar.
Inhalt
4.
Kulturevolution und Individualisierung
Wie wir im vorhergehenden
Kapitel angedeutet haben, liegt der beobachtete Kulturpessimismus
Simmels in der Ausrichtung seiner formalen Soziologie am Vorbild
eines klassisch-bürgerlichen Kulturideals, in dem „Seele“
und „Geist“, also subjektive und objektive Evolution
zusammenfallen: Die annähernd manische Beschäftigung Simmels mit
Goethe und Kant, seine Begeisterung angesichts des deutschen
Eroberungskriegs und die damit verbundenen Hoffnungen auf eine
endlich wieder „seelenhafte“ Aufladung der
zeitgenössischen Lebenswelt weisen auf eine gewisse
romantisch-mythische Färbung des Simmelschen Idealbilds der
modernen Gesellschaft hin. Dies hat natürlich dazu beigetragen,
dass er für die unter der Vorherrschaft der Frankfurter Schule
bis in die 70er Jahre marxistisch gefärbte deutsche Soziologie
nichts als ein „geistreicher Entertainer“ war, der mit
der „prästabilisierten Apparatur“ einer
spätidealistisch geprägten „Scheinphilosophie“ [19]
seine
Spielchen treibt.
Genauer betrachtet liegt
aber gerade in der „hemmungslosen Sensibilität [20]“,
der
ungeheuren Bandbreite seines Werks das eigentliche Interesse
Simmels: Wurde hier doch der Versuch unternommen, mikro- und
makrosoziale Perspektive miteinander zu verknüpfen, den für die
Soziologie häufig konstitutiven Gegensatz von Individuum und
Gesellschaft aufzulösen und eine gesamtheitliche Geschichte der
menschlichen Kulturevolution zu schreiben. Dass diese seltsam
verwickelte Methodologie ihr geheimes Zentrum, ihr Gleichgewicht
aus einem klar umreissbaren Kulturideal bezieht - dem der ideal
funktionierenden Wechselwirkung im Sinne des sozialen Akteurs als
bürgerlichem Künstler, der die Gesellschaft und damit
gleichzeitig sich selbst erschafft -, kann einfach festgestellt
und kritisiert werden. Jede wissenschaftliche Methode ist ja per
se „prästabilisiert“, einfach dadurch, dass sie eine
ist, und in dieser Hinsicht kommt Simmels Methode immerhin der
Vorteil zu, dass sie ständig in Arbeit war, ständig durch neue
Detailanalysen aktualisiert wurde und damit ein Höschstmass an
Reflexivität entwickelt hat. Die seltsame theoretische Spannung [21]
und die damit verbundene rhetorische Elastizität der Simmelschen
Theoriekonstruktion, die „weder eine rein atomistische noch
eine rein systemische, sondern eine konsequent relationale
Perspektive verfolgt (!) “ [22]
erweist sich gerade in ihrer „hemmungslosen“
Verflüssigung als äusserst fruchtbar.
Die folgende Untersuchung
zu einigen Grundkategorien in Simmels soziologischer Methode
versucht dieser Vermengung von „atomistischer“ und „systemischer“
Perspektive zu folgen und sie nach ihrer analytischen Ergibigkeit
zu befragen. Dabei sollen die beiden miteinander verbundenen
Konzepte der Kulturevolution und der Individualisierung im
Mittelpunkt stehen, um schliesslich zu der zentralen Frage der
vorliegenden Arbeit zu gelangen: Falls die menschliche Evolution
als Zielpunkt die Befreiung - im Sinn einer kreativen Wahlfreiheit
- des Individuums von natürlichen, sozialen usw. Zwängen „verfolgt“,
wie müssen dann in der modernen (1900) und der heutigen (2000)
gesellschaftlichen Konstellation die diesbezüglichen Chancen
bewertet werden [23]?
Inhalt
4.1
Vergesellschaftung: Evolution als Differenzierung und
Individualisierung
Der Prozess der
Vergesellschaftung wird von Simmel in einer grossen Zahl von
Essays und Büchern angegangen, und dies geschieht - im Bezug auf
die oben gestellte Frage - unter gleichzeitig positiven und
negativen Vorzeichen: Einerseits ermöglicht der Prozess
zunehmender sozialer Differenzierung erst die Individualität des
(modernen) Menschen, da nach Simmel Individualität auf der
Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen beruht. Erst indem der
einzelne Mitglied wechselnder und untereinander konkurrenzierender
sozialer „Kreise“ wird, wird er sich selbst dessen
bewusst, was ihn von den andern unterscheidet: Das je einmalige
Rollensetting, verbunden mit der bereits ausführlich
beschriebenen Distanzierung von Person und Sache lässt im
einzelnen Individualität als relative Autonomie gegenüber
traditionalen und dinghaften Gegebenheiten entstehen. Andererseits
aber führt die hohe Komplexität sozialer Differenzierung zu
Entfremdungserscheinungen, da die individuelle „Seele“
das Tempo des Kultivierungsprozesses nicht mehr nachvollziehen
kann. Das Individualitätsversprechen verwandelt sich in
Orientierungslosigkeit angesichts des unübersichtlichen ‘Persönlichkeitsangebots’
der verobjektivierten Kultur. Autonomie und Anomie sind so
miteinander verknüpft, sie sind Komplementärerscheinungen ein
und derselben Entwicklung, die eben darum von Simmel als ein
ambivalentes Phänomen betrachtet wird.
4.1.1
Homogenität und Heterogenität
Doch untersuchen wir den
Prozess der Vergesellschaftung genauer. Obwohl Simmels Augenmerk
vor allem dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gilt, setzt
seine Analyse der Entwicklung des modernen Lebensstils doch beim
„Anfangszustand der phylo- und der ontogenetischen
Entwicklung“ [24] ein. Hier findet sich der einzelne in einer
Umgebung, die gegen seine Individualität gleichgültig ist und
ihm ein Zusammensein mit denjenigen auferlegt, neben die er durch
den „Zufall der Geburt“ [25]
gestellt ist. Objektive
Gesellschaftsform und Individuen bilden eine homogene Einheit - d.
h. das Verhältnis zwischen Individuen und Institutionen und der
Individuen untereinander ist unmittelbar, nicht durch symbolische
Formen wie Sprache, Geld, Recht usw. vermittelt [26]
-, die sich erst
in Folge des Bevölkerungswachstums und der spatialen Ausdehnung
der Gesellschaftsverbände in „assoziative Verhältnisse“
[27] zu einem System aus „heterogenen Kreisen“
[28] entwickelt.
Die sich daraus ergebende verschärfte Konkurrenz erfordert
wiederum eine Ausdifferenzierung der homogenen Gesellschaft zu
einer heterogenen, arbeitsteiligen. Erst diese erzwungene
Spezialisierung der Individuen in der Form der Arbeitsteilung -
und hier entfernt sich Simmels Evolutionstheorie von einer simplen
Variation darwinistischer Kategorien - bildet die eigentliche
Individualität der Gesellschaftsmitglieder aus: Soziale
Differenzierung führt zu persönlicher Differenzierung - sowohl
im Sinne einer qualitativen Unterscheidung zwischen Personen als
auch im Sinne verschiedener Qualitäten in einer Person. Kurz
gesagt wird der einzelne erst durch die Form der Arbeitsteilung
‘erkennbar’, indem er nämlich unterschiedliche produktive
Tätigkeiten wahrnimmt und sich innerhalb der Gesellschaft (selbst)reflexiv,
als Schnittpunkt verschiedener „sozialer Kreise“
positioniert. Die anfängliche Homogenität der Gesellschaft (im
Weberschen Vokabular: Gemeinschaft) zerfällt in heterogene
gesellschaftliche Institutionen und Organisationen, zu denen das
Individuum ebenfalls eine reflexive, nicht mehr emotionale Haltung
einnimmt und sich dadurch selbst als gesellschaftliches Wesen
identifiziert.
4.1.2
Ein relationaler Persönlichkeitsbegriff
Simmel beschreibt diesen
Prozess als kompliziertes „Reziprozitätsverhältnis von
Individualisierung und Verallgemeinerung“ [29]:
„Die
Differenzierung und Individualisierung lockert das Band mit dem
Nächsten, um dafür ein neues - reales und ideales - zu den
Entfernteren zu spinnen.“ [30]
Nicht mehr äusserlich-konkrete,
wie etwa lokale Zusammengehörigkeit, sondern abstrakt-rationale
Prinzipien gemeinsamer Zwecke und Interessen entscheiden nun über
die Gruppenzugehörigkeit. Die anfangs triebgesteuerten
Handlungsmuster stabilisieren sich und werden innerhalb eines
institutionellen Rahmens ausgebildet und internalisiert, die
sozialen Beziehungen der Individuen untereinander werden, in einem
Prozess der Verallgemeinerung dieser Handlungsmuster, versachlicht
und funktionalisiert. Parallel zu dieser gesellschaftlichen
Gerinnung von Handlungsmustern und der Auflösung von lokalen
Beziehungen zugunsten „idealer“, bestimmt Simmel,
vereinfachend gesagt, den Grad der Individualität anhand der Zahl
von sozialen Kreisen, zu denen der einzelne gehört, der Summe der
sozialen Rollen: Je vielfältiger die Kreise sind, zu denen jemand
gezählt werden kann, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die
gleiche Kombination gewählter Zugehörigkeiten bei anderen
Personen in gleicher Weise vorkommt. Individualität ist damit als
subjektive Kombination von Kulturelementen, als Positionierung
innerhalb des Systems Gesellschaft gegeben. Der
Persönlichkeitsbegriff wird also relational gefasst, das
Individuum in eine unübersichtliche Anzahl von Zugehörigkeiten
aufgesplittert, zugleich aber in dem „Erleben“ der
qualitativen „Einheit“ der verschiedenen Rollen erst
als ‘Person’ definiert: Das soziale Sein wird in der „individuellen
Seele“ zur Einheit zusammengeführt [31].
Dieses Gleichgewicht von
Objektivität und Subjektivität, von Rolle und dem Erleben dieser
Rolle als subjektiv gefärbter Wahl - Simmel spricht in diesem
Zusammenhang von „Berufung“, die dem Individuum durch
seine personale Qualität eine bestimmte gesellschaftliche Stelle
zuweist [32] - macht es möglich, dass der einzelne sich gleichzeitig
als Produkt und als konstitutives individuelles Glied der
Gesellschaft versteht.
Inhalt
4.2
„Die Tragödie der Kultur“
Wie ist es nun aber
möglich, wird man sich fragen, dass dieser scheinbar so glatt und
zielgerichtet ablaufende Prozess der gesellschaftlichen
Differenzierung und parallelen Individualisierung seiner Glieder
zu einer derart totalen „Vernichtung“ des Menschen als
Sinnproduzent führt, die wir im letzten Kapitel besprochen haben?
Wie kann sich die beschriebene Chancenvielfalt des Individuums zu
jener „würdelosen“ Orientierungslosigkeit verkehren,
die Simmel in Persönliche und sachliche Kultur beschreibt.
4.2.1
Die Auflösung traditionaler Orientierung
Einer der Gründe liegt -
als liebstes Argument des spätbürgerlichen Kulturpessimismus -
auf der Hand: Die gesellschaftlich getragenen
Individualisierungsprozesse bringen, als Nebenerscheinung der
fortschreitenden Vergrösserung und funktionalen Differenzierung
der Gesellschaftsverbände, Nivellierungsprozesse mit sich, die
die Individualität sozialer Kollektive auflöst. Damit steigt
zwar, wie beschrieben, die individuelle Handlungsfreiheit -
traditionale Bindungen lösen sich, ethische, moralische und
religiöse Normen, die an kleinere, homogene soziale Einheiten
geknüpft sind, werden durchlässig -, gleichzeitig vereinsamt
aber die Persönlichkeit, da sie in der modernen Gesellschaft
hochgradig auf sich selbst gestellt ist. Ohne die Stützen der
früheren eng geschlossenen Gruppen stellt sich das Problem der
Ohnmacht des Individuums gegenüber der Übermacht einer
durchrationalisierten Gesellschaft. Die von Beck später in
Hinsicht auf die post-moderne Gesellschaft aufgestellte
Beobachtung, „dass das, was früher wenigen zugemutet wurde -
ein eigenes Leben zu führen - nun (...) allen abverlangt wird“
[33] wird hier zum Problem, das die Ausformung der „personalen
Einheit“ gefährde [34]t. Die riesige Zahl von möglichen Rollen
und Lebensentwürfen wird so zur Gefährdung für die Ausbildung
einer einheitlichen Persönlichkeit, da Reste von traditionaler
Prägung nur noch ein Defizit darstellen in einer Gesellschaft,
die auf einer perfekten, persönlichkeitsunabhängigen
Funktionalisierung ihrer Mitglieder beruht und diese ohne
Rücksicht auf „qualitative Individualität“ in den
Dienst nimmt. Das Simmelsche Konzept der „Berufung“,
der Entfaltung der Person in der Gesellschaft, verkehrt sich in
ihr Gegenteil: In den „Widerstand des Subjekts, in einem
gesellschaftstechnischen Mechanismus nivelliert und verbraucht zu
werden.“ [35] Diese Linie wurde später von den „Rechtshegelianern“
[36] weiterverfolgt, im Sinne eines radikalen, antigesellschaftlichen
Subjektivismus.
4.2.2
Exkurs: Die Kategorie des „Erlebens“
Der zweite und komplexere
‘Grund’ ergibt sich aus einer genaueren Synthese der bereits
angestellten Überlegungen und ist deshalb schwieriger
nachzuvollziehen, weil er mit der von Simmel lebensweltlich
gefassten Kategorie des individuellen „Erlebens“
zusammenhängt. Diese ist soziologisch schwierig nachzuvollziehen,
da, mit einem empirisch-quantitativen Ansatz, aus den Fragmenten
menschlichen Erlebens kaum eine qualitative Totalität, eine
zumindest formale „Einheit der (modernen) Seele“
gewonnen werden kann: Der empirische Ansatz bleibt blind für die
eigentlichen Bewusstseinsakte des sozialen Akteurs, für jene
kleinen, unsichtbaren Geistesleistungen, mit denen sich das
Individuum in der Gesellschaft orientiert und die Garfinkel
später als die „kunstvollen Praktiken des Alltagslebens“
ins Zentrum der soziologischen Forschung stellen sollte. Der
sprunghafte, analogisierende, fragmentarisch-qualitative Ansatz
Simmels wird in diesem Zusammenhang verständlich als Versuch, das
soziale oder ästhetische Fragment als Symbol einer Totalität zu
interpretieren, nämlich als Versuch aus einer Kette von Versuchen
des Individuums, sich die objektive Gesellschaft als individuelle
anzueignen [37]. Es geht hier also, neben einer formensoziologischen
Untersuchung der evolutionären Ausformung von Gesellschaft, um
eine genauere Analyse der jeweiligen individuellen
Bewusstseinsakte, die nötig sind, um diese im alltäglichen Leben
zu aktualisieren, schliesslich um die Auswirkungen dieses
gesellschaftlichen Erlebens auf die menschliche Psyche. Damit ist
die Simmelsche Soziologie als eine Art qualitative Sozialforschung
zu verstehen, denn, wie Frisby ausführt: „Jedes Fragment,
jede gesellschaftliche Momentaufnahme schliesst in sich die
Möglichkeit ein, den „ganzen Sinn des Weltganzen“ zu
enthüllen.“ [38]
Diese Eigenart Simmels,
Einzelnes im Ganzen, Qualitatives in Quantitaivem zu spiegeln,
wollen wir im Folgenden anhand einer genaueren Analyse seiner
Zeitdiagnose der modernen Gesellschaft untersuchen.
4.2.3
Die ‘moderne Gesellschaft’
Kennzeichnend für die
sozialen Beziehungen der modernen Gesellschaft sind nach Simmel
die Verstandesmässigkeit, die Sachlichkeit, schliesslich die
Rechenhaftigkeit derselben, die er als Ausprägungen einer
Herrschaft des Rationalen im Zusammenhang mit der entwickelten
Arbeitsteilung und den Auswirkungen der Geldwirtschaft
interpretiert [39]. Kurz gesagt führen die Manigfaltigkeit und
Kompliziertheit der sozialen Beziehungen, sowie die grossen
Entfernungen, die, um koordinierbar zu sein, in ein festes,
unpersönliches Zeitschema [40] eingeordnet werden müssen, zur
Kreation eines neuen Menschen, oder, wie Simmel es formuliert:
„Dieselben Faktoren,
die so in der Exaktheit und minutenhaften Präzision der
Lebensorm zu einem Gebilde höchster Unpersönlichkeit
zusammengeronnen sind, wirken andererseits auf ein höchst
persönliches hin.“
[41]
Simmel formalisiert diese
Übertragung der unpersönlichen, rationalisierten
Produktionsgesellschaft in die psychische Struktur des Einzelnen -
ins „höchst persönliche“ - in den Begriffen der „Distanz“,
des „Rhythmus“ und des „Tempos“ [42],
dem wir
bereits begegnet sind.
Der Begriff der „Distanz“
ist dabei zentral. Durch die mediale, symbolische Struktur des
modernen sozialen Handelns ist das Individuum von den „Zwecken“
seiner Handlungen entfernt. Da Mittel (subjektive Arbeit) und
Zweck (objektives Produkt) durch die Arbeitsteilung voneinander
getrennt und nur durch das Medium ihres Geldwertes verknüpft
sind, d. h. ihre Beziehung wie auch die Beziehung der Dinge
untereinander nur noch symbolisch vermittelt sind und alles gegen
alles getauscht werden kann, unabhängig von lokalen oder
psychischen Bewertungen, erlebt sich das Individuum als von sich
selbst abgetrennt: Das Individuum als Produzent und Konsument, als
Angehöriger verschiedener sozialer Kreise erlebt sich nicht mehr
als Einheit, da die Motivationen seiner sozialen Handlungen nicht
mehr unmittelbar nachvollziehbar sind. Die evolutionär notwendige
Verschiebung von kurzzeitiger Trieberfüllung zu langfristiger,
gesellschaftlicher Planung hat, in der durchrationalisierten
Gesellschaft, in letzter Konsequenz zu einer Auflösung des
subjektiven Sinns sozialen Handelns geführt. Das Individuum ist
gezwungen, sich zur Gesellschaft als einer objektiven Gegebenheit
zu verhalten, die natürlichen Notwendigkeiten der Urgesellschaft
haben sich in soziale verwandelt. Salopp gesagt: Zwar hat die
Evolution der Gesellschaft das Individuum von der Natur befreit,
aber gleichzeitig dazu hat sich die Gesellschaft von der
Individualität befreit. Das Individuum erlebt so sein Verhältnis
zur Gesellschaft als Distanz, und dieses Erleben wird, da
Individualität immer sozial vermittelt ist, ins Erleben der
eigenen Person übertragen.
Verschärft wird dieser
Zustand durch das, was Simmel „Rhythmus“ und „Tempo“
nennt: Einerseits ist damit die sorgfältige Abstufung der
Interessen und Tätigkeiten des Einzelnen gemeint, wie sie z. B.
in der modernen Produktion in Fabriken zum Ausdruck kommt und sich
in die Psyche des Individuums überträgt:
„Die einzelnen
Betätigungen regelmässig abwechselnd, zwischen Aktivitäten
und Pausen ein festgestellter Turnus, kurz, Im Nebeneinander wie
im Nacheinander eine Rhythmik, die weder der unberechenbaren
Fluktuation der Bedürfnisse, Kraftentladungen, Stimmungen, noch
dem Zufall äusserer Anregungen, Situationen und Chancen
Rechnung trägt.“
[43]
Andererseits - und hier
kippt die beschriebene ‘Entfremdung’ ins Tragische - ist damit
aber der „absolute Bewegungscharakter“ [44]
der modernen
Welt gemeint, die vom Einzelnen als Überforderung wahrgenommen
wird. Simmel konstatiert - parallel zur Erhöhung des
Warenproduktion, der Vermehrung des Geldquantums und der damit
notwendigen lokalen und zeitlichen Komprimierung von
Geldgeschäften und Produktionsabläufen - ein Aufkommen von „fortwährenden
Differenzgefühlen und psychischen Chocs“ [45]. Die „Buntheit
und Fülle“ [46] des Lebens ist in seiner Unzahl von
Differenzierungen und kleinsten Unterschieden, seiner totalen
Beweglichkeit lebensweltlich nicht mehr nachvollziehbar. Das
Gefühl des Ungenügens gegenüber einer Unsumme von nur noch
symbolisch vermittelten Wahlmöglichkeiten - d. h.: Jede ‘Wahl’
hat ihren Preis, bzw. ihre damit korrespondierende Menge an
Lohnarbeit - erzeugt im Individuum ein Gefühl der Labilität, der
Formlosigkeit und schliesslich Orientierungslosigkeit, die sich in
der Zufälligkeit sozialer Bindungen jenseits traditionaler und
familiärer Bindungen spiegelt.
Die neue Persönlichkeit
konstituiert sich nun als das, was Simmel „das Wesen der
Blasiertheit“ [47] nennt: Diese stellt eine Art Schutzmechanismus
der Persönlichkeit dar. Die Entfremdung von den Dingen und der
Gesellschaft, die unübersichtliche Raschheit im Wechsel von
Eindrücken wird im Desinteresse an den Dingen überhaupt, ihrer
Missachtung aufgelöst. Nicht in dem Sinne, wie Simmel betont,
dass sie nicht mehr wahrgenommen würden, sondern dass der „Wert
der Unterschiede der Dinge und damit der Dinge selbst als nichtig
empfunden wird“ [48]. Indem sich dieses Desinteresse gegenüber
den Dingen und die Entfremung von sich selbst zuletzt auf das
gesellschaftliche Leben überträgt - also der Einzelne die
Beziehung zum andern als Gefährdung der ohnehin labilen
Persönlichkeit erfährt und damit als „nichtig“
erachtet -, sieht sich der Einzelne von den Andern abgetrennt [49].
4.2.4
Zusammenfassung
Fassen wir zusammen: Das
„Tempo“ des Kultivierungsprozesses ist für die
individuelle „Seele“ nicht mehr nachvollziehbar,
persönliche und sachliche Kultur haben sich voneinander getrennt,
es kann von zwei Evolutionen gesprochen werden, einer objektiven
und einer rückläufigen subjektiven. Das Individuum sieht sich
angesichts dieser Lage in seinen Existenzmöglichkeiten
beschnitten, paradoxerweise gerade dadurch, dass diese
Möglichkeiten bis zum Zerreissen expansiv und diversifiziert sind
und deshalb vom Individuum als zufällig, sich selbst äusserlich
erfahren werden. Dieses Gefühl der existenziellen
Orientierungslosigkeit bringt, als letzte Zuflucht der
Individualität, eine Vereinzelung mit sich, die Simmel mit
Begriffen wie „Blasiertheit“, „Desinteresse“
und schliesslich „Aversion“ umschreibt: Individualität
wird hier dadurch erreicht, dass sich der Einzelne der
Gesellschaft entzieht und die damit verbundenen sozialen
Handlungen missachtet, um so gewissermassen seinem „würdelosen“
Zustand den Stempel der Absichtlichkeit aufzudrücken. Der Zustand
des modernen Individuums ist einer der zunehmenden psychischen
Ausgrenzung des Einzelnen, die mit einer physischen Eingrenzung
auf eine bestimmte gesellschaftliche Position/Funktion einhergeht.
Wie Simmel bemerkt, wird das psychische Innenleben der Individuen
immer komplizierter, während ihre wenigen arbeitstechnischen
Handgriffe immer einfacher werden. Dieses Gefühl der totalen
Auswechselbarkeit als gesellschaftlisches Wesen wird psychisch im
ganz und gar virtuellen Gefühl einer nicht weiter definierbaren
Einzigartigkeit negiert. Der ‘Mensch’ zieht sich so in die wie
auch immer besetzte Innerlichkeit zurück, er wird in letzter
Konsequenz zum soziologisch nicht mehr beobachtbaren Wesen [50].
Inhalt
4.3
‘Chancen’ des Individuums
Mit einer Art Genugtuung
beschreibt Simmel am Ende seines Aufsatzes Persönliche und
sachliche Kultur die „Ohnmacht“, aber auch die „Feindseligkeit,
mit der sehr individualistische und vertiefte Naturen jetzt so
häufig dem „Fortschritt der Kultur“ gegenüberstehen.“
Die Unterwerfung des Menschen unter den ungeheuren
Rationalisierungsapparat ‘Gesellschaft’ wird hier als „Ohnmacht“
verstanden, also als Machtlosigkeit, der nur mit Widerstand zu
begegnen ist. Dieses seltsame Doppelverhältnis - dass nämlich
die „vertieften Naturen“ oder die Subjekte, wie wir
gesehen haben, erst in der Gesellschaft individualisiert werden,
dies dann aber als Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein erfahren -
erinnert an die Foucaultsche ‘Genealogie der Macht’: Auch dort
wird das moderne Subjekt als Unterwerfungsprodukt beschrieben, die
Prozesse der Individualisierung als moderne Form der
Disziplinargesellschaft. Das Individuum übernimmt dabei die
Zwangsmittel der Gesellschaft, internalisiert sie und spielt sie
gegen sich selber aus. Bereits Simmel hat die zwanghafte,
ständige Selbstanalyse des modernen Menschen, seine zu Markte
getragene Übersensibilität als psychische Spiegelungen der
rationalisierten Gesellschaft erkannt. Die von Foucault in
Mikroanalysen untersuchten „Wahrheitsrituale“ [51]
und
damit: Unterwerfungsrituale der Moderne, die Verteilung der
Individuen auf Funktionsstellen, die „panoptische“ [52]
Organisation des psychischen und physischen Lebens, findet bei
Simmel ihre Entsprechung und gipfelt in der defizitären
Vorstellung eines Subjekts, das sich „nervös“ und „ohnmächtig“
aus dem Wissens- und Objektfundus der Gesellschaft das „Passende“
aussucht, und sich damit, indem es sich selbst beschreibt, von
neuem der Gesellschaft ausliefert, die an seiner Individualität
nur als Funktionsstelle interessiert ist.
Simmel arbeitet nun - im
Zusammenhang mit der oben gestellten Frage nach den Chancen des
Individuums in der modernen Gesellschaft - zwei entgegengesetzte
Möglichkeiten zur Verwirklichung des Individuums aus.
4.3.1
„Vornehmheit“
Die eine Möglichkeite,
die man radikalsubjektivistisch nennen könnte und oft kritisiert
worden ist, zielt auf eine neue Innerlichkeit ab: Simmel
beschreibt sie, in Anlehnung an das „Pathos der Distanz“
[53] Nietzsches, als „Vornehmheit“
[54]:
„Kraft und
Schönheit, Denktiefe und Gesinnungsgrösse, Milde und
Vornehmheit, Mut und Herzensreinheit - von einer autonomen
Bedeutung, die von ihren sozialen Verflechtungen völlig
unabhängig ist. Es sind Werte des menschlichen Seins und als
solche von den sozialen Werten, die immer auf den Wirkungen
von Personen beruhen, durchaus getrennt.“
Die „Vornehmheit“
erscheint hier als eine völlig eigendynamische Entfaltung des
Individuums, die sich der Wechselwirkung von gesellschaftlicher
und persönlicher Entwicklung kategorial entzieht. Gleichzeitig,
und das sei hier nur angedeutet, kehrt sie den Sinn der Evolution
um: Diese wird nun nicht mehr nach dem grösstmöglichen Nutzen
für die Entfaltung aller betrachtet, sondern an der
Entwicklungshöhe einiger Luxusmenschen gemessen. Der Nihilismus
der modernen Kultur, der auf die „Distanzierung“ der
Dinge vom Menschen [55], schliesslich vom Menschen von sich selber zu
beobachten ist, wird gewissermassen in einer andern Distanzierung
überwunden, nämlich der der „Vornehmen“ vom Sozialen
überhaupt. Auf diese seltsame Nietzscherezeption muss wohl nicht
weiter eingegangen werden.
4.3.2
Die Mesoebene: Zweckverbände
Die zweite Möglichkeit
ist gleichzeitig komplexer und fruchtbarer und lässt sich, in
ganz und gar veränderter Form, bis in die heutige Soziologie
verfolgen [56].
Wie wir gesehen haben,
basiert Simmels Zeitdiagnose auf einer Dialektik von
Individualisierung und Sozialisierung, also einer Untersuchung der
Ausbildung moderner Individualität im Lauf der Kulturevolution.
Dabei konzentriert sich Simmel fast ausschliesslich auf die Mikro-
und die Makroebene des Sozialen: Gesellschaft als Ganzes und
Individuum als Ganzes. Den Mesobereich schliesst er weitgehend von
seiner Untersuchung aus, nicht zuletzt als klare Abgrenzung zur
Klassentheorie des Historischen Materialismus. Hypothetische
Gruppenbildung und die Ableitung von gesellschaftlichen Zuständen
und Veränderungen aus Gruppen, Verbänden und Klassen bezeichnet
er an verschiedener Stelle als soziologisch unzulässig und „metaphysisch“
[57].
Gleichzeitig beobachtet
Simmel aber - und das ist einer der wenigen Punkte, an denen sich
Simmel auf den Mesobereich des Sozialen einlässt - das Entstehen
von Zweckverbänden: Durch die Differenzierung der Persönlichkeit
sind Assoziationen auf rein abstrakt-sachlicher Basis möglich
geworden, die nur eine spezifische Rolle ihrer Mitglieder
tangieren. Simmel gibt dafür das Beispiel der
Aktiengesellschaften, in denen nur das jeweils investierte Geld
die Gemeinschaft ihrer Mitglieder ausmacht. In gleicher Weise ist
es bei einer politischen Partei ausschliesslich das politische
Interesse oder - im Fall der Sozialdemokratie - die Rolle als
Lohnarbeiter usw., die die Mitglieder der entsprechenden
Assoziation gemeinsam haben. Simmel bezeichnet deshalb diese
Verbände als „jene Organisationsart, die sozusagen das
Unpersönliche an den Individuen zu einer Aktion vereinigt und uns
die bisher einzige Möglichkeit gelehrt hat, wie sich Personen
unter absoluter Reserve alles Persönlichen und Spezifischen“
[58] vereinigen können.
Interessant ist in dieser
Hinsicht, dass sich Simmel scheinbar die Vereinigung von
Individuen nur unter Beibehaltung der weiter oben beschriebenen
„Reserve alles Persönlichen“ vorstellen kann: Nur so,
auf rein sachlicher Ebene, ist eine gemeinsame „Aktion“,
also eine zweckmotivierte Einmischung in die Gesellschaft möglich
[59]. Kurz gesagt ermöglichen Zweckverbände den Individuen
das, was Simmel dem einzelnen Individuum abspricht: Einfluss zu
nehmen auf die „objektive Kultur“, sich am
Evolutionsprozess der Gesamtkultur aktiv zu beteiligen. Dass dabei
seine „Persönlichkeit“, seine „lebensweltlichen
Interessen“ [60] nicht zur Geltung gebracht werden können,
sondern ausschliesslich seine rein sozialen (d. h. vor allem
ökonomischen), lässt der pessimistische Ansatz Simmels
natürlich auch hier nicht unbetont [61].
Im Folgenden soll nun
versucht werden, im Anschluss an diese zuletzt ausgeführten
Überlegungen Simmels zu den Chancen des Individuums als sozialem
Akteur einen weiteren, wesentlich neueren (1990) soziologischen
Ansatz - Organisationen als soziale Akteure - zu
untersuchen, ohne dabei die Parallelen zu Simmels Überlegungen
aus den Augen zu verlieren. Es geht dabei mehr um einen
abrundenden Ausblick, als um eine tiefere Beschäftigung mit
Gesers Ansatz einer „soziologischen Handlungs- und
Interaktionstheorie“ [62] formaler Organisationen.
Inhalt
5.
Organisationen als soziale Akteure
Bereits in der Einleitung
betont Geser - wie in Abgrenzung zu Simmels Ausklammerung des
Mesobereichs aus seiner soziologischen Theorie - dass „praktisch
alle wesentlichen Ereignisse und Entwicklungen auf sozietaler
Ebene im Mesobereich formaler Organisationen ihre kausale Wurzel
haben.“ Zwar wird dabei explizit auf den Akteurstatus von
Organisationen hingewiesen - weil die „Entwicklungen“
auf sozietaler Ebene „zwingend dem Kollektiv als
Verursachungsinstanz zugerechnet werden können“, also eine Kausalität
besteht, die auf einen autonomen Verursacher hinweisen -,
gleichzeitig aber ein Hiatus festgestellt wird zwischen dieser „exotischen
Welt von sich immer weiter ausbreitenden corporate actors“
und der „Lebenswelt“ ihrer Mitglieder, den Individuen.
Geser betont hier, im Gegensatz zu Simmel, die Möglichkeit einer
kausal rückführbaren Einflussnahme auf das, was Simmel
Gesamtkultur nennt - aber wiederum sind dabei die Individuen nur
als Mitglieder, nicht in ihrer lebensweltlichen Persönlichkeit
beteiligt [63]. Die Möglichkeit der Einflussnahme ist hier nicht vom
Individuum zur Gesellschaft als objektiver Totalität
übergegangen - wie in Simmels pessimistischer Sicht -, sondern
hat sich im Bereich von organisierten Akteuren angesiedelt.
Während bei Simmel der Begriff „social actor“
eigentlich nur noch auf die Kultur als Gesamtes anwendbar ist [64]
-
und damit seinen Sinn verliert -, spricht ihn Geser den formalen
Organisationen zu. Diese sind, da sie kein biologisches oder
psychologisches System darstellen, ganz und gar durch
zielgerichtete soziale Aktionen konstituiert und deshalb
empirischen Studien zugänglicher als Individuen, die immer über
einen ‘unsichtbaren’ Teil, das „Privat- oder Innenleben“
verfügen. Ihrer hohen systemischen Komplexität wegen bezeichnet
sie Geser als „role-making actors“: Sie sind nicht, wie
Simmels „würdeloses“ Individuum, gezwungen, Normen
schlicht zu applizieren und sich demgemäss zu verhalten, sondern
sie selbst sind befähigt, Normen zu konstituieren und sie - gegen
Staat und Individuum - durchzusetzen [65]. Damit ist eine neue
Gesellschaftsform entstanden, die von interorganisationellen
Beziehungen geprägt ist:
„(Es) konstituiert
sich eine neuartige, überraschend improvisiert anmutende
gesellschaftliche Gesamtordnung, die sich dem Zugriff
privatrechtlicher Normierungen (die primär auf
interindividuelle Verhältnisse zugeschnitten sind) und der
Steuerung durch staats- und verwaltungsrechtliche Setzungen in
gleicher Weise entzieht.“
Wenn man sich nun diese
neuartige, multiorganisationelle Gesellschaftsform nicht, wie
Geser es tut, als Übergang des Akteurstatus’ von Individuen zu
Organisationen, sondern umgkehrt von der „Gesamtkultur“
zu den jeweiligen „Kulturen“ der formalen
Organisationen vorstellt, dann ergibt sich eine überraschende
Parallelität zu den Überlegungen Simmels [66]. Wieder sieht sich das
Individuum einem ausserhalb seines Einflussbereiches
interagierenden Gesamtsystem gegenüber, wieder ist ein mehr oder
weniger autonomer Rationalisierungs- und Normierungskomplex
entstanden, wieder hat sich - in totaler Parallelität zu der von
Simmel beschriebenen Umkehrung der sozialen Schichtung von Käufer
und Verkäufer - eine Wirtschaft ausgebildet, in der „hochqualifizierte
Unternehmungen“ „unbedarften Laienpersonen“ als
Produzenten gegenüberstehen. Damit ist es nicht weiter
verwunderlich, dass Gesers im Hinblick auf die heutigen Chancen
des Individuums pessimistisches Fazit fast deckungsgleich ist mit
Simmels Verabschiedung des aufklärerischen
Individualisierungskonzepts:
„ (...) die
moderne Gesellschaft (stellt) zunehmend eine von und für
Organisationen erzeugte Sozialordnung (dar), innerhalb der die
Individuen neue Strategien finden müssen, um ihre ‘lebensweltlichen’
Interessen zur Geltung zu bringen.“
Die Definition dieser
Strategien, ja, der Suche danach, steht aber - solange sie nicht
rechtliche Einschränkungen betreffen [67]
- noch an.
Inhalt
6.
Resümee
Ob man nun die
Konstatierung der ‘Vernichtung’ des Individuums und seine
Verwandlung in ein orientierungsloses, sozial und psychisch
vereinzeltes und gegenüber der „objektiven Kultur“
marginalisiertes Wesen als Folge einer spezifischen methodischen
Beobachterposition - des Simmelschen Kulturpessimismus’ oder der
heutigen Handlungstheorie - verstehen will, oder sie als objektive
gesellschaftliche Zeitdiagnose anerkennt: Es scheint, dass der
Handlungsspielraum des Individuums - eben seine Möglichkeit,
seine „’lebensweltlichen’ Interessen zur Geltung zu
bringen“ - in der Moderne und ihrer Folgezeit auf ein
Minimum beschränkt worden ist, das für eine an
gesamtgesellschaftlichen Erklärungsmodellen interessierte
Soziologie nicht mehr relevant ist.
So verwundert es nicht,
dass die „Lebenswelt“ des Einzelnen auf der einen und
das „System“ Gesellschaft auf der anderen Seite heute
mit aller Selbstverständlichkeit als zwei verschiedene
Soziologien betrieben werden [68], die über verschiedene theoretische
und statistische Apparate verfügen. Der ‘Abgrenzungskampf’
der frühen Ethnomethodologie - die eine dezidiert subjektive
Perspektive einnahm - gegenüber der quantitativen ‘Schulsoziologie’
ist ein Beispiel dafür: Insofern lässt sich natürlich Simmels
Ansatz - nämlich das Individuelle sozial, also rollentheoretisch
als Überschneidung verschiedener „sozialer Kreise“ zu
definieren, gleichzeitig aber das Uneinholbare des Individuellen
zu behaupten - als methodische Vermischung kennzeichnen.
Heutige Soziologie muss
deshalb unserer Ansicht nach - und in Hinsicht auf den Simmelschen
Relationalismus - gerade diese ‘methodische Vermischung’,
diese Grauzone untersuchen: Wie es dem Individuum gelingt, sich
zugleich als soziales und ganz und gar unabhängiges Wesen
zu verstehen. Dass es dabei nicht mehr um die „kausale“
Erklärung von gesellschaftlichen Veränderungen gehen kann,
sondern höchstens um die Repräsentation des Gesellschaftlichen
im Subjekt, ist klar: Aber vielleicht können gerade dadurch neue
Perspektiven gewonnen werden, die uns über die ‘Chancen’
jedes Einzelnen aufklären.
Inhalt
Bibliographie
Adorno, Th. W.: Henkel, Krug und frühe
Erfahrung. In: Unseld, S.: Ernst Bloch zu Ehren. Beiträge zu
seinem Werk, S. 9-20. Frankfurt a. M. 1965.
Bachmaier, H., Rentsch, T.: Georg Simmel.
In: Metzler Philosophen Lexikon. Von den Vorsokratikern bis zu den
Neuen Philosophen, S.830-833. Stuttgart, Weimar 1995.
Coser, L. A.: Georg Simmels
vernachlässigter Beitrag zur Soziologie der Frau. In: Georg
Simmel und die Moderne, S.80-90. Frankfurt a. M. 1984.
Decroche-Gurcel, L.: Simmel et la
Modernité. Paris 1997.
Ebers, N.: „Individualisierung“.
Georg Simmel, Norbert Elias, Ulrich Beck. Würzburg 1995.
Frisby, D. P.: Georg Simmels Theorie der
Moderne. In: Georg Simmel und die Moderne, S.9-79. Frankfurt a. M.
1984.
Geser, H.: Organisationen als soziale
Akteure. In: Zeitschrift für Soziologie 19, S.401-417. Stuttgart
1990.
Geser, H.: Towards an Interaction Theory
of Organizational Actors. In: Organization Studies 3, S.429-451.
Berlin, New York 1992.
Helle, H.-J.: Soziologie und
Erkenntnistheorie bei Georg Simmel. Darmstadt 1988.
Hillebrandt, F.: Disziplinargesellschaft.
In: Kneer, G., Nassehi, A., Schroer, M.: Soziologische
Gesellschaftsbegriffe, S.101-126. München 1997.
Kauffmann, M.: Struktur und Dynamik
sozialer Prozesse. Makrosoziologische Aspekte der
Kulturentwicklung bei Georg Simmel. München 1990.
Kiss, G.: Einführung in die
soziologischen Theorien, Bd. 1 und 2. Vergleichende Analyse
soziologischer Hauprichtungen. Opladen 1977.
Kneer, G.: Zivilgesellschaft. In: Kneer,
G., Nassehi, A., Schroer, M.: Soziologische Gesellschaftsbegriffe,
S. 228-251. München 1997.
Kneer, G., Nollmann, G.: Funktional
differenzierte Gesellschaft. In: Kneer, G., Nassehi, A., Schroer,
M.: Soziologische Gesellschaftsbegriffe, S.76-100. München 1997.
Lukacs, G.: Die Zerstörung der Vernunft.
Berlin 1954.
Levine, D. E.: Ambivalente Begegnungen:
„Negationen“ Simmels durch Durkheim, Weber, Lukacs, Park und
Parsons. In: Georg Simmel und die Moderne. Frankfurt a. M. 1984.
Lichtblau, K.: Georg Simmel. Frankfurt a.
M., New York 1997.
Lichtblau, K.: Das „Pathos der Distanz“.
Präliminarien zur Nietzsche-Rezeption bei Georg Simmel. In: Georg
Simmel und die Moderne. Frankfurt a. M. 1984.
Schroer, M.: Individualisierte
Gesellschaft. In: Kneer, G., Nassehi, A., Schroer, M.:
Soziologische Gesellschaftsbegriffe, S.157-183. München 1997.
Simmel, G.: Die Kreuzung sozialer Kreise.
In: Simmel, G.: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der
Vergesellschaftung, S. 403-453. Leipzig 1908.
Simmel, G.: Philosophische Kultur. Über
das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne.
Gesammelte Essais. Mit einem Nachwort von Jürgen Habermas. Berlin
1983.
Simmel, G.: Die Grossstädte und das
Geistesleben. In. Simmel, G.: Das Individuum und die Feiheit,
S.212-219. Berlin 1984.
Simmel, G.: Die Arbeitsteilung als
Ursache für das Auseinandertreten der subjektiven und der
objektiven Kultur. In: Georg Simmel. Schriften zur Soziologie.
Hrsg. von Dahme, H.-J., Rammstedt, O. Frankfurt 1986.
Simmel, G.: Das individuelle Gesetz.
Philosophische Exkurse. Hrsg. von Landmann, M. Frankfurt a. M.
1987.
Simmel, G.: Über sociale
Differenzierung. In: Simmel, G.: Gesamtausgabe, Bd. 2: Aufsätze
1887 bis 1890. Hrsg. von Dahme, H.-J., S.109-294. Frankfurt a. M.
1989.
Simmel, G.: Gesamtausgabe, Bd. 6:
Philosphie des Geldes. Hrsg. von Frisby, D. P. und Köhnke, K. C.
Frankfurt a. M. 1989.
Stehr, N.: Die Zerbrechlichkeit moderner
Gesellschaften. Sie Stagnation der Macht und die Chancen des
Individuums. Weilerswist 2000.
Weinstein, D., Weinstein, M.:
Postmodern(ized) Simmel. London 1993.
Inhalt
Fussnoten:
[1] Der
Begriff des Individuums ist innerhalb der Arbeit noch genauer zu
definieren. Etymologisch gesehen ist er natürlich schlecht
gewählt, bezeichnet er doch gerade das ‘Ungeteilte’, während
Simmel von der Entstehung des Individuums als Folge sozialer
Differenzierungsprozesse ausgeht. Begriffe wie ‘Glied der
Gesellschaft’, ‘Subjekt’, ‘der Einzelne’ usw. werden
hier als deckungsgleich verwendet.
[2] Bachmaier,
H., Rentsch, T.: Simmel, Georg. In: Metzler Philosophen Lexikon.
Von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosphen. Zweite,
aktualisierte und erweiterte Auflage.
[3]
Kennzeichnend dafür sind die bei Simmel häufigen binären
Begriffspolaritäten: Möglichkeit-Wirklichkeit;
rational-einfühlend; Wille-Seele; subjektiv-objektiv;
qualitativ-quantitativ usw. Diese organische Schreibweise, die
Begriffspolaritäten perspektivisch verwendet und sich gerne
selbst widerspricht, lässt sich auch in der Rezeption Simmels
nachzeichnen: So gilt Simmel gleichzeitig als der Verkünder der „Tragödie
der Kultur“, in der die „objektive Kultur“ das
Individuum an die Peripherie des kulturellen Gesamtzusammenhangs
gerückt hat (Lichtblau), und als Theoretiker des „chancenreichen
Individuums“, das seine Individualität erst durch die
sozialen Bedingungen der Moderne zu entwickeln befähigt ist (Schroer).
Dies lässt sich, wie wir zeigen werden, darauf zurückführen,
dass Simmels theoretischer Zugang zum Problem der
gesellschaftlichen Evolution weder bei ‘der’ Gesellschaft noch
bei ‘dem’ Individuum ansetzt, sondern beide Perspektiven
miteinander verbindet (Vgl. dazu den Begriff der „Wechselwirkung“,
das eigentliche Herzstück der Simmelschen Methode, auf das wir
zurückkommen werden).
[4] Bachmaier,
H., Rentsch, T.: op. cit.
[5]
Simmel, G.: Persönliche und sachliche Kultur, Handout, S. 1. Die
folgenden Zitate stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus
diesem Aufsatz.
[6]
Aufgrund dieses eigentlich wilden Theoretisierens, das
Philosophie, formale Soziologie im Stile Webers und allgemeine
Kulturtheorie miteinander verbindet, hat Simmel - wie viele andere
- lange Jahre unter dem Vorwurf des „Ästhetizismus“ (Lichtblau)
zu leiden gehabt. Natürlich hängt dies mit der zeitgenössischen
Situation der Simmelschen Soziologie zusammen, die sich ja erst,
neben Geschichtswissenschaft und Philosophie, als eigenständige
Disziplin etablieren musste: Die theoretischen Begrifflichkeiten
Simmels sind so aus den verschiedensten Fachbereichen
zusammengetragen, in erster Linie aus der (Transzendental)Philosophie
und einer Art historischen Hermeneutik Diltheyscher Prägung. Das
„ästhetische“ oder „metaphysische“
Vokabular ergibt sich also aus der zeitgenössichen
theoriesprachlichen Situation heraus. Erst in seinem ‘mittleren
Werk’ (z. B. der Philosophie des Geldes oder dem dieser
Arbeit hauptsächlich zu Grunde liegenden Aufsatz Persönliche
und sachliche Kultur) beginnen die werkgeschichtlichen Fäden
in einer eigenständigen ‘Soziologie’ zusammenzulaufen. Das
absichtsvoll spannungsvolle, ‘oberflächliche’ Theoretisieren
Simmels, das sich vornehmlich an zeitgenössischen Erscheinungen
(Mode, Lebensstile, Rollenmodelle, Literatur usw.) entzündet und
Formalisierungen mehr anbietet als behauptet, wurde so lange Zeit
nicht in seiner eigenartigen Dialektik gewürdigt, sondern als
wirre Theorie des „Vielleicht“ und des „Als-Ob“
abgelehnt, die für „Gesamtprozesse“ blind bleibe, weil
sie sich zu sehr auf das „Beispielhafte“, das „Künstliche“
reduziere (Adorno, Th. W.: Brief an Walter Benjamin.) - und
überhaupt nicht mehr sei als ein „Spiel mit gedanklichen
Zuspitzungen“ (Lukács: Die Zerstörung der Vernunft.).
Dieser verkannte ‘qualitative’ Anspruch der Simmelschen
Soziologie wurde so, vor allem durch den Einfluss der Frankfurter
Schule, aus der soziologischen Diskussion verbannt und erst in den
60er-Jahren (praxisorientiert) wieder aufgenommen, etwa in der
Ethnomethodologie.
[7] Lichtblau,
K.: Georg Simmel.
[8]
Dieses Problem wird von der Simmelrezeption immer wieder
herausgestellt: Auf der einen Seite der Philosoph, der es, auf der
Grundlage eines klassischen Kunstverständnisses, mit Ideen und
Idealen zu tun hat, auf der andern der Soziologe, der eine formale
Analyse der Moderne anstrebt. Gerade in den Diskussionen im Umfeld
der sog. ‘Postmoderne’ wurde dieser ‘doppelte Simmel’ gern
als Ausdruck der Zerrissenheit der Moderne verwendet, ohne die
nötigen Abgrenzungen zu treffen, die für ein Verständnis
Simmels als Soziologen (leider) notwendig sind. Vg. dazu: Weinstein,
D., Weinstein, M.: Postmodern(ized) Simmel.
[9]
Die von Simmel gewählten Begriffe werden, um sie von ihrer
umgangssprachlichen Bedeutung abzuheben und als ‘noch zu
definierende’ zu kennzeichnen, in Anführungszeichen gesetzt.
[10]
Der Begriff des „Wertes“ ist bei Simmel eng gekoppelt
an die Konzepte der Wechselwirkung und der Differenzierung: Erst
indem sich ein „Ding“, also ein Objekt vom Subjekt als
etwas „Begehrtes“ abhebt und in Bezug auf dieses
Begehren wertvoll wird, differenziert sich das Begehren des
Subjekts und hebt sich so vom nicht zielgerichteten triebhaften
Verhalten ab. Indem also ein Ding wertvoll wird, überträgt sich
dieser Wert ins Subjekt: Es entsteht sinnvolles, auf ein Objekt
gerichtetes Handeln, es entwickelt sich ein ‘sozialer Akteur’.
Vgl. dazu: Ebers, N.: „Individualisierung“.
[11]
Natürlich gilt dies auch für die Gesellschaft als Ganzes: Da
auch die Gesellschaft von Simmel als Realobjekt (und nicht als
Erkenntnisobjekt) - d. h. als geformtes „Ding“ -
betrachtet wird, erhalten die Individuen erst in der
gesellschaftlichen Interaktion (also im gesellschaftlichen
Werterhöhungsprozess) ihre reale Individualität. So wie der
Künstler, um Simmels Beispiel wiederaufzunehmen, in seiner „Wirkung“
auf die Dinge wächst, so individualisiert sich der Mensch
parallel zur Ausformung der Gesellschaft in Rollenmustern etc: Je
feiner sich die Gesellschaft differenziert, desto feiner
differenziert sich der Mensch. „Reine Individualität“
ist in soziologischen Masstäben nicht erkennbar und
deshalb uninteressant: Individualität muss den ‘Umweg’ über
die Gesellschaft nehmen, das Individuum ist zugleich Glied und
Produkt der Gesellschaft. Individualität ist damit eine Form des
Vergesellschaftetseins. Auf diese dynamische Vorstellung von
Gesellschaft werden wir noch zurückkommen.
[12]
Simmel gibt dafür das Beispiel der Dikrepanz zwischen virtuell
vorhandener „Sprachmöglichkeit“ und der individuell
aktualisierten „Umgangssprache“: Während das Deutsche
zu diesem Zeitpunkt (Ende des 19. Jahrhunderts) zu den grossen
Kultursprachen Europas gehört und die Universitäten des
Deutschen Reiches im Bereich der (historischen) Sprachwissenschaft
führend sind, hat sich die Alltagssprache zunehmend vulgarisiert.
Dass diese neue, verbürgerlichte und zunehmend proletarisierte
Umgangssprache ihrerseits die „Sprachmöglichkeiten“
beeinflusst - also durchaus eine Wechselwirkung zwischen Umgangs-
und Literatursprache (z. B. in der naturalistischen Dramatik oder
in der zu dieser Zeit aufkommenden sozialdemokratischen
Pamphletliteratur) zu beobachten ist -, davon sieht Simmel in
diesem Zusammenhang ab, da er sich strikt an einem klassischen
Kulturideal orientiert.
[13]
Diese Tatsache gilt, wie erwähnt, für die ‘Form’
Gesellschaft prinzipiell: Ihre Realität ist a priori nicht vom
Wahrgenommenwerden eines Beobachters abhängig. Zwar ist die
Gesellschaft für Simmel die Summe der Bewusstseinsakte ihrer
Teile (also der Individuen), aber diese Bewusstseinsakte (die man
sich als eine Unzahl von ständig ablaufenden
Sozialisierungsprozessen vorstellen muss) sind die ganze
Einheit - es bedarf keiner externen Beobachtung. Die von
Simmel beschriebene „Tragödie“ besteht hier also
schlicht darin, dass die Bedeutsamkeit dieser Bewusstseinsakte
abgenommen hat. (Vgl. dazu Ebers, der ganz allgemein zu
Simmels Gesellschaftsbegriff formuliert: „Es geht ihm um eine
subjektunabhängige Wesensbestimmung des Gesellschaftlichen“.)
[14]
Natürlich betrifft diese ‘Vernichtung’ nur die Wechselwirkung
zwischen Gesellschaft und Individuum und nicht die von Simmel so
genannte „reine Individualität“. Da diese „reine
Individualität“ soziologisch aber nicht beobachtbar ist,
findet erkenntnistheoretisch tatsächlich eine ‘Vernichtung’
statt: Die von der objektiven Kultur ausgehende Festlegung des
Individuums auf eine bestimmte Rolle im Gefüge der
Arbeitsteilung, die Abdrängung des Individuellen ins soziologisch
Unsichtbare.
[15]
Freiheit als nur durch eine wie auch immer besetzte „Gleichgütligkeit“
erreichbar: Das ist wohl eine Beobachtung, die mit der von Simmel
hier verwendeten Perspektive zusammenhängt, die den sozialen
Mesobereich ausklammert. Denn, wie er an anderer Stelle
feststellt: „Nachdem die Differenzierung der Arbeit ihre
verschiedenartigen Zweige gestaltet, legt das abstraktere
Bewusstsein wieder eine Linie hindurch, die das Gemeinsame dieser
zu einem neuen sozialen Kreise umschliesst.“ (Simmel, G.:
Die Kreuzung sozialer Kreise) Simmel hat diese moderne
Handlungsfähigkeit des Individuums „in einem neuen sozialen
Kreise“ am Beispiel der Frauenbewegung und der aufkommenden
Sozialdemokratie untersucht. Darauf werden wir, im Zusammenhang
auch einer Lektüre zweier Geser-Texte, zurückkommen. Dass
aber die von der Moderne gewährleistete ‘Freiheit’ in erster
Linie eine Freiheit von etwas (nämlich von traditionellen
Bindungen), weniger aber eine Freiheit für etwas (eine
neuartige Form der Individualität) ist, dieses Problem bleibt
bestehen.
[16]
Simmel, G.:
Gesammtausgabe, Band 6: Philosophie des Geldes, S. 665.
[17]
Simmel gibt auch Gegenbeispiele. In der Ehe z. B. bleibe die
objektive Entwicklung hinter der subjektiven zurück: Die
Evolution der modernen Paarbeziehung sei soweit fortgeschritten,
dass sie die normativ-juristische Gegebenheit der Ehe überholt
habe.
[18]
Die Vorstellung des Weltbürgers taucht erst in Simmels Spätwerk
explizit auf. Sie bezeichnet eigentlich die extreme Rücknahme der
Forderung auf Individualität: Der Mensch schützt sich gerade
dadurch vor der objektiven Welt, indem er ein Mensch und sonst gar
nichts ist.
[19]
Adorno, Th. W.: Henkel,
Krug und frühe Erfahrung.
[20]
Adorno, Th. W: op. cit.
[21]
Habermas selbst weist in seinem Nachwort zu Philosophische
Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der
Moderne. Gesammelte Essays. auf diese ständigen „Orientierungsumschwünge“
in Simmels soziologischer Theorie hin, meint sich aber - wie
nicht? - vom „expressivistischen Bildungsideal“ Simmels
distanzieren zu müssen.
[22]
Ebers, N., op. cit.
[23]
Die Frage ist absichtlich naiv gestellt und einem „expressivistischen
Bildungsideal“ verpflichtet, so als habe die Evolution einen
Zielpunkt und sei deshalb erst in Gang gekommen. Aber es ist wohl
sinnvoll, die Evolution (in einer Versuchsanordnung) als
zielgerichtetes Projekt zu betrachten, dementsprechend dann die
verschiedenen Zeitanalysen eingeordnet werden können.
[24]
Ebers, N.: op. cit.
[25]
Simmel, G.: Die Kreuzung sozialer Kreise.
[26]
Anzumerken wäre hier, dass auch das Verhältnis des Individuums
zu sich selber noch ein direktes, da nicht gesellschaftlich
funktionalisiertes ist. Das Individuum ‘erfährt’ sich als
homogen. Da aber diese Urgesellschaft in sich homogen ist, „qualitative“
Individualität aber erst durch „quantitative“ - also
rollendefinierte - Inbesitznahme des Individuums durch die
Gesellschaft erreicht werden kann, darf von ‘Individuen’ im
Sinne Simmels eigentlich noch nicht die Rede sein.
[27]
Simmel, G.: op. cit.
[28]
Simmel, G.: op. cit.
[29]
Ebers, N.: op. cit.
[30]
Simmel, G.: Die
Erweiterung der Gruppe und die Ausbildung der Individualität.
[31]
Simmel hat eine komplizierte Theorie zu dieser
Persönlichkeitskonstitution geliefert: Das sozialisierte
Individuum ist, über seine Definition als Träger einer oder
mehrerer bestimmter Rollen hinaus, „ausserdem noch etwas“
(Ebers), das die Erfahrung der Zersplitterung als Einheit
ermöglicht. Simmel spricht von einem Kontinuum, dessen einer Pol
die Annäherung des Aussersozialen an Null bezeichnet (Liebe,
Freundschaft), dessen anderer Pol aber ein fast vollständiges
Aufgehen in der sozialen Rolle, also eine Verobjektivierung der
Person bezeichnet.
[32]
„(...) die Vorstellung, dass für jede
Persönlichkeit eine Position und Leistung innerhalb der
Gesellschaft bestehe, zu der sie „berufen“ ist, und der
Imperativ, so lange zu suchen, bis man sie findet.“
(Simmel, G.: Exkurs über das Problem: Wie ist Gesellschaft
möglich?)
[33]
Beck, U.: Riskante
Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften.
[34]
Simmel hebt die Bedeutung der Familie hervor, da sie ihren
Mitgliedern eine vorläufige - z. B. in der Rolle als Sohn -
Differenzierung als Vorbereitung auf die absolute Individualität
im weitesten sozialen Kreis (der Gesellschaft) ermöglicht.
[35]
Simmel, G.: Die Grossstädte und das Geistesleben. Simmel
nennt als Beispiele dieser Verweigerung das in der Moderne
aufkommende „romantische Naturgefühl“ - also die
Naturflucht in der Form bürgerlicher Landpartien, bzw. die
neoromantische Besteigung von Berggipfeln -, das sich wiederum am
klassischen Ideal der Naturverbundenheit orientiert.
[36]
Habermas, J.: op. cit. Habermas nennt Namen wie Hans Freyer
und Joachim Ritter.
[37]
Der Ansatz Garfinkels - nämlich dass der Akteur die soziale
Wirklichkeit gerade hervorbringt, indem er sich darin
orientiert - ist von Simmel zwar im Konzept der Wechselwirkung
vorweggenommen, aber so nicht denkbar. Für Simmel ist die
Struktur der Gesellschaft ein soziologisches Apriori, und, im
schlimmsten Fall, vom Bewusstsein seiner Teile ganz und gar
unabhängig. Im Übrigen ist auch das heute beliebte Konzept der
Biographiekonstruktion von Simmel zwar vorgedacht worden, aber
unter andern Vorzeichen: Das „Leben“ - und darin ist
Simmel ein Kind seiner Zeit - ist für ihn per se eine
unauflösbare Totalität, und dieses Leben findet seine innerliche
Totalität in der sog. „Seele“ - jedoch nur über den
Umweg der Objektivierung (in der Gesellschaft), und darin liegt,
wie wir gesehen haben, das Problem.
[38]
Frisby, D. P.: Georg
Simmels Theorie der Moderne.
[39]
Es wäre sinnlos, den oben kurz zusammengefassten Prozess der
gesellschaftlichen Evolution nach Simmel hier noch einmal
nachzuvollziehen, obwohl vieles (z. B. die zentrale Bedeutung des
Geldes) übergangen wurde. Die weiteren Untersuchungen
konzentrieren sich deshalb auf Simmels Zeitdiagnose.
[40]
In Anlehnung an Bergsons Theorie der durée unterscheidet
Simmel zwischen einer inneren (individuellen) und einer äusseren
Zeit, deren extremste Ausprägung die minutengenaue Koordination
der Massenproduktion ist.
[41]
Simmel, G.: Die
Grossstädte und das Geistesleben.
[42]
Simmel, G.: op. cit.
[43]
Simmel, G.: Philosophie
des Geldes.
[44]
Simmel, G.: op. cit.
[45]
Simmel, G.: op. cit.
[46]
Simmel, G.: op. cit.
[47]
Simmel, G.: Die
Grossstädte und das Geistesleben.
[48]
Simmel, G.: op. cit.
[49]
Wiederum nicht in dem Sinn, als der Andere einfach „nicht
wahrgenommen“ wird. Vielmehr wird der andere als
Überforderung der, wie Simmel sagen würde, „Nerven“
erfahren, als zu komplex und damit zu anstrengend. Da gleichzeitig
der Mensch in der modernen Massengesellschaft zu einem durch und
durch quantitativen Begriff geworden ist, erscheint es angesichts
der Kontingenz einer Begegnung als sinnlos, sich mit genau
diesem abzugeben. Dies wird noch genauer ausgeführt.
[50]
Simmel betont, dass es die Soziologie mit Realien und mit Akten
(im Husserlschen Sinn) zu tun haben müsse. Wenn aber der ‘eigentliche’
Mensch gerade im Unsichtbaren, also jenseits seiner sozialen
Erscheinungsformen, zu finden ist: Was ist dann die Aufgabe der
Soziologie - wenn sie sich nicht am postmodernen Spiel um die „Vernichtung
des Realen“ beteiligen will, oder, um es mit Baudrillard
auszudrücken: „L’Homme n’a pas eu lieu“.
[51]
Foucault, M.: Überwachen und Strafen. Die Geburt des
Gefängnisses. Gemeint sind die Rituale der Selbstbezichtigung
und Selbstanalyse, die Foucault v. a. anhand der Liebe untersucht,
und die den Zweck haben, das Subjekt immer von neuem in die
Disziplinargesellschaft einzubinden, indem eine vorgebliche
Individualisierung stattfindet.
[52]
Foucault, M.: op. cit.
[53]
Nietzsche, F.: Götzendämmerung. Streifzüge eines
Unzeitgemässen. Vgl. dazu: Lichtblau, K.: Das „Pathos
der Distanz“
[54]
Simmel, G.: Grundfragen der Soziologie. Zitiert nach: Lichtblau,
K.: op. cit.
[55]
Wie erwähnt ist auch der Wertbegriff Simmels eine Funktion
dieser Distanzierung: Der Aufschub des Begehrens in der
Distanzierung des Objekts vom Subjekt und der daraus entstehenden
Notwendigkeit der Handlung schafft erst den Wert. Wie genau der
neue, nicht mehr sozial transportierte Wert in der Gesellschaft
der „Vornehmen“ aussieht, darüber gibt Simmel keine
Auskunft - ausser, dass es eben „Werte des menschlichen Seins
sind“.
[56]
Vgl. dazu: Geser, H.: Organisationen als soziale Akteure.
[57]
Der Begriff „metaphysisch“ hat bei Simmel eine doppelte
Bedeutung: Einerseits ist er ein Synonym für Philosophie (in
Abgrenzung zur Soziologie), andererseits ist damit eine unscharfe
Soziologie bezeichnet (wie z. B. der Marxismus).
[58]
Simmel, G.: Philosophie
des Geldes.
[59]
Ein Grenzfall dieser Bestimmung würde die Frauenbewegung
darstellen: Die Entscheidung, ob „weiblich“ eine
eigene, ‘existenzielle’ Kategorie darstellt oder nur in einer
Relation (d. h. zum Männlichen) denkbar ist, ob sie also den
persönlichen, vorsozialen Kern einer Person betrifft oder nicht,
das hat Simmel ganz klar im Sinne eines weiblichen Prinzips - dem
„Gegensatz der Geschlechter“ - entschieden. In diesem
Zusammenhang hat er sogar eingeräumt, dass die sozialen Normen
bis hin zum Menschheitsbegriff von einer
männlich-patriarchalischen Kulturevolution geprägt sind, d. h.
dass im gesellschaftlichen Diskurs die Bestimmung „objektiv=männlich“
gilt, gleichzeitig von der Frau aber paradoxerweise verlangt wird,
dass sie sich anders, eben nicht „männlich=objektiv“
verhalte. Die Frau muss gewissermassen innerhalb der Gesellschaft
die durch die Rationalisierung der Arbeitsverhältnisse
entstandene subjektivistische Leerstelle ausfüllen. Das Ziel der
Frauenbewegung kann es demnach gemäss Simmel nur sein, neben der
männlichen eine „weibliche Kultur“ zu bilden, also
Objektivierungen der Kategorie „Frau“. Nach Simmel ist
dies auf zwei Gebieten möglich: In der Kunst (Schauspiel usw.)
und dem „Heim als Kunstwerk“. Ob Simmel der Frau die
„Tragödie“ des enfremdeten Mannes ersparen will oder
einmal mehr dem klassischen Kulturideal auf den Leim gegangen ist,
bleibt unklar: Auf jeden Fall scheint es so, als wäre die
eigentliche Aufgabe der Frau, die zurückgebliebene Evolution der
subjektiven Kultur voranzutreiben. Dass es der Frauenbewegung aber
schlicht um die mit bezahlter Arbeit verbundene soziale Freiheit
ging, hat Simmel paradoxerweise übersehen. (Alle Zitate nach: Coser,
L. A.: Georg Simmels vernachlässigter Beitrag zur Soziologie der
Frau.)
[60]
Geser, H.: Organisationen
als soziale Akteure.
[61]
Damit wird auch die Distanz klar, die Simmels Auffassung von
Zweckverbänden von den heute gängigen Theorien des
Kommunitarismus (also einer Zivilgesellschaft) trennt: Während
bei Simmel das wirklich Individuelle nur und ausschliesslich
atomistisch gefasst ist, fussen diese Theorien auf der Vorstellung
einer Verankerung der Individualität in sozialen
Verständigungsprozessen. Für Simmel ist die Individualität -
als einziger so zu sein, wie man ist - einfach ein Apriori, und
auch die ethischen und moralischen Massstäbe (Weltbürger etc.)
sind letztlich metaphysisch gefasst. Seine Vorstellung der
Weltgesellschaft - die dritte, hier nicht weiter untersuchte
Möglichkeit der Einbringung des Individuums in die Gesellschaft -
ist deshalb nicht kommunitaristisch zu verstehen. Es geht Simmel
nicht darum, dass sich die Individuen auf der Grundlage ihrer
gegenseitigen Anerkennung als Bürger zu einer transparenten,
machtfreien Gesellschaft zusammenschliessen, in der die Evolution
gewissermassen diskursiv ausgehandelt wird. Vielmehr stellt er
sich diese Utopie einer Weltgemeinschaft als Gesellschaft vor, in
der das Apriori das Individualität - alle Elemente sind einander
ungleich - die einzige Wertungsgrundlage darstellt: Eine durch und
durch liberalististische Utopie natürlich.
[62]
Geser, H.: Organisationen als soziale Akteure. Alle folgenden
Zitate sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, diesem Aufsatz oder
dem damit korrespondierenden des gleichen Autors - Toward an
Interaction Theory of Organizational Actors - entnommen.
[63]
Geser beschreibt dies gewissermassen als Vorteil, weil so die
einzelnen Individuen, sobald sie sich zu corporate actors
zusammenschliessen, rechtlich nicht mehr haftbar sind.
[64]
Simmel spricht von der „Selbstbeweglichkeit der Objekte“.
[65]
Geser macht hier die Einschränkung der „Verwundbarkeit“
der Organisationen, die sich der Staat mit „jeweils
spezifischen Sanktionsstrategien“ zunutze machen kann.
[66]
Die Konzentration auf das Verhältnis Organisationen-Individuen
ergibt sich in Gesers Ansatz aus der soziologischen Handlungs- und
Interaktionstheorie: Dort gilt das Interesse in erster Linie dem
Inidividuum als sozialer Akteur, und das Aufkommen der
Organisationen als Ablösung der Individuen in der sozialen
Interaktion bietet sich an. Wenn man aber davon ausgeht, dass die
Individuen bereits im Prozess der Moderne ‘entmachtet’ worden
sind, dann verlagert sich bei den hier abgehandelten Verschiebung
des gesellschaftlichen Role-makings die „Selbstbeweglichkeit“
der objektiven „Gesamtkultur“ schlicht auf ein System
der interorganisationellen Selbstbeweglichkeit.
[67]
Geser nennt vor allem rechtliche Einschränkungen der
Organisationen, die auf rigorosen normativen Verhaltenserwartungen
basieren. Die momentane massive ethische und gesellschaftliche
Inveantwortungsnahme der Tabakkonzerne ist ein Beispiel dafür.
[68]
Eine Ausnahme davon wäre vielleicht Habermas’ Theorie (oder
Utopie) des „kommunikativen Handelns“, das aber
trotzdem zwischen System (Gesellschaft) und Lebenswelt (des
Individuums) strikt unterscheidet.
Inhalt |