Georg Simmel: Über die Liebe
(Fragment)
ex: Georg Simmel: Fragmente und
Aufsätze aus dem Nachlass und Veröffentlichungen der letzten Jahre.
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Dr. Gertrud Kantorowicz.
München: Drei Masken Verlag 1923, S. 47-125.
Zwischen dem Ich und dem Du erhebt sich für das
menschliche Bewusstsein der erste seiner Konflikte und die erste seiner
Vereinheitlichungen.
Die zeitliche Priorität dieses Verhältnisses hatte die
Folge, dass es weiterhin als das sozusagen absolute Material galt, an dem
sich unsere Entscheidungen und Wertungen, Recht und Unrecht unserer Praxis
und der Ansprüche an uns in letzter Instanz vollziehen: mit der Alternative
von Egoismus und Altruismus, die sich allerdings in unzähligen
Modifikationen und Mitteln, Verkleidungen und Folgen ergehen, erschöpfte
sich schließlich jegliche Intention unseres Verhaltens.
Auch wo dieses unter objektive Ideale gestellt wurde: von
Plato, Thomas v. Aquino, von Kant und dem Sozialismus galt als das innere
Gegenprinzip mehr oder weniger deutlich bezeichnet der Egoismus, während die
unmittelbare konkrete Forderung - wenn auch nicht die abstrakte - immer ein
Du, ein persönliches oder ein überindividuelles zum Inhalt hat.
Abgesehen nun davon, dass die eudämonistische Ebene, in
der als inhaltgebender, die Entscheidung zwischen Egoismus und Altruismus
sich nach der allgemeinen Meinung vollzieht, keineswegs alle Dimensionen,
nach denen diese Begriffe sich strecken können, einschließt - ist selbst der
vollste ihnen zuzusprechende Umfang nicht fähig, unsere tatsächlichen
letzten Motivierungen zutreffend auszudrücken.
Nur erwähnt sei das außerhalb unseres jetzigen Weges
gelegene Argument: dass unser Wille unzählige Male auf objektive Formungen
des Seins geht, darauf dass ein Zustand, ein Ereignis, eine Qualität der
Dinge einfach da sein soll, ohne im geringsten nach dem Erfolge zu fragen,
den die Verwirklichtheit dieses Wollens für ein Ich oder ein Du hat.
Dieses schlechthin objektive Wollen jenseits alles Ich
und Du und ihres unversöhnten oder versöhnten Dualismus scheint mir eine
unleugbare und gerade spezifisch menschliche Tatsache zu sein.
Und wie diese gleichsam oberhalb, liegt eine andere
unterhalb jenes Dualismus: das rein triebhafte Verhalten.
Wenn wir es egoistisch nennen, dass jemand seinen Trieben
hemmungslos folgt, so heben wir sein Verhalten schon über seine eigene
Sphäre hinaus in eine andere, in der eine altruistische Forderung erhoben
wird; indem es dieser freilich nicht genügt, erscheint es egoistisch, was es
an sich so wenig ist, wie das Wachstum der Pflanze oder der Fall des
Steines, die beide ihren rein eigenen Gesetzen folgen, egoistisch heißen
kann.
Egoismus bedeutet zu Recht immer ein teleologisches
Gerichtetsein - auf irgendeine Reaktion des Ich - und um eine Handlung
egoistisch zu nennen, setzen wir stillschweigend ein solches voraus, dem
sich doch gerade das Wesen des Triebes entzieht; kann doch der Inhalt eines
solchen ohne weiteres auf das Wohl eines Du, auf die Zerstörung des Ich, auf
etwas teleologisch völlig Sinnloses gehen.
Denn dass Triebe durchaus nur dem Subjekt nützliche
Anpassungen bedeuten, ist nicht einmal in physiologischer, geschweige denn
in psychologischer Hinsicht zutreffend.
Hat man an diesen einfachen Fällen die mögliche
Unabhängigkeit unseres Handelns von jener Alternative eingesehen, so wird es
auch gelingen, sich in das kompliziertere, aber ihre Schärfe nicht weniger
auflösende Verhältnis hineinzudenken, in dem sich das Handeln »aus Liebe«
bewegt.
Nennt man im reinen Sinne altruistisch ein Handeln zum
Besten einer ganz gleichgültigen oder einer unsympathischen ja feindseligen
Person, so kann man das Handeln aus Liebe nicht gut ebenso bezeichnen; zu
eng ist der eigene Trieb, die eigene Befriedigung darein verwebt, um sein Telos einfach in das Du zu setzen.
Aber darum trifft doch der Egoismusbegriff noch nicht
darauf zu; dies würde, abgesehen von aller Selbstlosigkeit im materialen
Inhalt solchen Tuns, seinem Adel und Wert nicht entsprechen.
Auch ist es endlich seiner tiefsten Quelle nach ein zu
einheitliches und ungebrochenes, um als eine gleichsam mechanische Mischung
beider Motivierungen zu gelten.
So bleibt nur das eine, die Motivierung durch Liebe für
eine eigene und primäre, von jener üblichen Reduktion nicht berührte
anzusehen.
Dass die Frage nach dieser letzteren hier falsch gestellt
ist, geht gerade daraus hervor, dass eine rationalistische Psychologie das
Handeln aus Liebe mit scheinbar gleichem Recht als ein altruistisches
inthronisieren wie als ein im Grunde egoistisches deklassieren kann. -
Dazu kommt, dass das Verhältnis vom Zweck und Trieb hier
ein ganz besonderes ist.
Wenn ich irgendeines Menschen Wünsche erfülle, weil ich
sie für recht und billig halte, so ist die Ausübung dieser Gerechtigkeit
mein Endzweck, seine Verwirklichung mein allein entscheidendes Motiv.
Tue ich eben dasselbe, weil ich den Menschen liebe, so
ist zwar dessen herbeizuführender Zustand, dem Phänomen nach, mein Endzweck;
allein dieser ist nicht mein eigentliches Motiv, sondern das ist meine
Liebe, deren triebhafte Kraft sich erst - aber sozusagen ganz von selbst -
in dieses Telos umsetzt.
Ueberall sonst ist unser Handeln, ob immer seine
Begründung ein positives Wertzeichen trägt, von seinem letzten Motiv durch
einen gewissen Abstand getrennt, den die Liebe nicht kennt.
Denn dies ist nun das unterschiedlich Entscheidende: dass
die Liebe zu einem Menschen, als das sozusagen allgemeine Motiv zu einer
bestimmten Handlung sich mit deren Inhalt solidarischer verbindet, ihn
unmittelbarer durchblutet als es bei jeder anderen Motivierung (außer
vielleicht dem Hass) der Fall ist.
Man kommt gewissermaßen von weiter her, wenn man jemanden
aus Moral oder innerer Widerstandslosigkeit, aus Religion oder sozialer
Solidarität heraus eine Wohltat erweist als wenn es aus Liebe geschieht.
Der Charakter der Wohltat mit ihrer Spannung zwischen dem
Ich und dem Du tritt hier überhaupt nicht in gleicher Schärfe hervor, denn
das Ich hat sich über diesen Hiatus hinweg an das Du herangefühlt, der
eigene Lebenswille fließt zu abstandloser Anschmiegung an den anderen, ohne
einer Brücke zu bedürfen, die ebenso trennt wie sie verbindet.
Dennoch ist das Bewegende hierbei ein anderes, als die
metaphysische Einheit aller Wesen überhaupt, aus der etwa Schopenhauer
Wohltat und Opfer herleitet.
Das eben ist doch das Wunder der Liebe, dass sie das
Fürsich-sein des Ich wie des Du nicht aufhebt, ja es zur Bedingung macht,
unter der jene Aufhebung der Distanz, des egoistischen Rückkehrens des
Lebenswillens auf sich selbst erfolgt.
Dies ist etwas völlig Irrationales, der Logik sonst
gültiger Kategorien sich Entziehendes.
Dass Schopenhauer diese Aufhebung durch die transzendente
Wesenseinheit erklären will, ist ein Rationalismus, mit dem sich das später
noch zu erörternde Unverständnis Schopenhauers für das Wesen der Liebe
zuerst offenbart.
Die nachträgliche Betrachtung von jenen Kategorien aus
kann das Handeln aus Liebe freilich auf die Korrelation von Egoismus und
Altruismus, ebenso wie von Trieb und Teleologie verteilen.
Seine innerlich eigentliche Natur wird damit aber ebenso
verkannt, wie wenn man die Sehnsucht des Liebenden nach körperlicher
Verschmelzung mit der Geliebten einfach als »Geschlechtstrieb« deklassiert.
Von der andern Dimension her, das eigentlich Triebhafte
enger in das Teleologische verflechtend, hat man die Liebe in ihrem
spezifisch erotischen Sinn und das ihr entsprechende Verhalten aus den
beiden Quellflüssen Sinnlichkeit und Gemüt zusammenströmen lassen.
Aber auch dieser Dualismus der Elemente verfehlt die
entscheidende Einheit; diese bleibt ersichtlich ein bloßes Wort, wenn man
nur zu sagen weiß, Sinnlichkeit und Gemüt bildeten eben in der Liebe eine
Einheit.
Denn es müsste doch die Kraft bezeichnet werden, die
diese beiden so verschiedenartigen seelischen Elemente in sich oder
aneinander bindet; dann aber läge das Wesen der Liebe in dieser Kraft, die
von dem einen wie von dem andern Element unterschieden ist, und wäre nicht
aus einem Teil des einen und des andern mechanisch zusammenzusetzen - wie
eben der Grundirrtum all solcher Versuche ihr mechanistischer Charakter ist,
der aus vorbestehenden Elementen kombinieren will, was als innerlich
Einheitliches dem Leben entsteigt.
Viel eher wäre deshalb anzunehmen, dass die sinnliche und
die gemütshafte Betätigung als zwei Auswirkungen dieser Einheit an der
Oberfläche des Bewusstseins oder bei ihrem Zusammenschlagen mit der
Mannigfaltigkeit des Natürlichen und Gegebenen entstehen; gleichsam
prismatische Zerlegungen, die unsere innere Organisation an der einheitlich
erotischen Tatsache vornimmt.
Denn wie unserm Intellekt unzählige Male das verstehende
Ergreifen einer Einheit versagt ist, so dass er sie aus einer Ahnung,
Forderung oder Intuition heraus in mehrere Elemente zerlegen und sie erst
durch deren Zusammenschluss als »synthetische Einheit« wiedergewinnen muss -
so scheint auch unsere Gefühlsrealität oft etwas Einheitliches, innerlich
Ungebrochenes zu sein, das sich aber, sobald es an die Oberfläche unseres in
jedem Sinn praktischen, vielfältig ausgebreiteten Lebens tritt, in eine
Mehrheit von Einzelgefühlen auseinanderlegt.
Halten wir dabei dennoch an seiner Einheit fest, so
erblicken wir sie in einem Zusammenwirken, Sich-Ergänzen, Ineinanderwachsen
dieser differenzierten Elemente.
Das ist nicht jene verstandesmäßige Zerlegung (obgleich
es das auch sein kann) sondern erlebte Gefühlsentwicklung.
Die Vielheit der Gefühle, die sich dem geglaubten Gott
gegenüber auftun, die oft divergenten Empfindungen, mit denen wir auf ein
Kunstwerk reagieren, die sonderbare »Mischung« der Gefühle, die ein uns
begegnendes Individuum oft in uns aufruft, das gefühlsmäßige Ineinander und
Durcheinander innerer Regungen, die sich bei einer Totalwertung des eigenen
Ich einstellen - alles dies möchte ich für schon sekundäre Erscheinungen
halten, Zerfällungen eines in sich selbst ganz einheitlichen Verhaltens,
subjektiven Gerichtetseins.
Es ist schließlich ein Wortstreit, ob man die innere
Tatsächlichkeit, die in diesem Gefühlsphänomen jeweils eine ist, ein
Schicksal, ein Getroffensein, ein Aktus - ob man sie selbst schon Gefühl
nennen oder als ein unbezeichenbares, unterbewusstes Sein und Verhalten
hinnehmen will.
Mir scheint das erstere berechtigt zu sein, ich sehe
nicht ein, weshalb man für die Spaltung, deren Produkte uns als Gefühle
gegeben sind, einen generell von diesen verschiedenen Grundvorgang
voraussetzen sollte.
Ein Phänomen dieser Art nun scheint vorzuliegen, wo man
die erotische Beziehung als die Synthese einer an sich sinnlichen und einer
an sich gemütshaften versteht.
Das Zusammen beider in der Bewusstseinsfläche des
Erlebens repräsentiert dann die Einheit, von der sie ausgegangen sind, das
an sich gar nicht zwiespältige innere So-Sein, das wir eben Liebe nennen.
Ich verfolge diese Beziehungen hier nicht weiter, wo es
nur die Widerlegung der Möglichkeit galt, die Liebe aus einer Mehrzahl von
Faktoren, deren keiner eben Liebe ist, gleichsam zusammenzusetzen.
Besteht sie einmal, so mögen Elemente der verschiedensten
Art an sie wachsen und mag deshalb ein vielgliedriges Gesamtphänomen sich
unter Führung ihres Namens darbieten.
Sie selbst aber ist ein auf diese Weise nicht zu
zerlegender, durch keine Kooperation anderer Elemente verständlich zu
machender seelischer Akt.
Und die Verschiedenartigkeit der vielen Erscheinungen,
die die Sprache auf ihren Begriff tauft, spricht nicht gegen ihre
fundamentale Einheit, sondern zeigt im Gegenteil, dass eine solche vorhanden
sein muss.
Denn höchst unwahrscheinlicherweise würde eine Tatsache,
zu deren bloßem Zustandekommen schon ein Element auf das Eintreten eines
andern warten muss, den immer gleichen Kern einer so unabsehlichen Fülle
fortwährend wechselnder Vorgänge bilden.
Die Liebe zu Gott und die zum Vaterland, die christliche
Nächstenliebe und die zwischen Mann und Weib, die Liebe zum Freunde und die
rationellpraktische des humanitären Ideals sind schon mannigfaltig genug;
allein noch weiterhin spricht man mit Recht von der Liebe zu unbelebten
Dingen, nicht nur zu Idealen oder Lebensstilen, sondern auch zu Landschaften
und Gebrauchsgegenständen und Kunstwerken.
Wenn ich die Landschaft von Florenz »liebe«, so ist damit
noch nicht gesagt, dass ich in ihr wirklich dauernd leben möchte, aber auch
nicht, dass ich sie ästhetisch bewundere.
Vielleicht ist beides der Fall; aber weder das sozusagen
praktische subjektive Genießen ihrer, noch das objektive Werturteil über sie
sind, getrennt oder zusammenwirkend, für das eigentümliche innere Verhalten
einzusetzen, das ich mit dem Ausdruck der Liebe für sie bezeichne.
Es erscheint sogar als das Geheimnis der sexuellen
Erotik, dass man selbst den Körper des andern in diesem Sinne liebt, nicht
nur »begehrt« und nicht nur ästhetisch schaut.
Ein Begehren und ein Schätzen mag sich mit ihr verbinden,
allein verglichen mit ihrer Haltung gegenüber dem Objekt tritt nicht nur das
erstere, sondern genau angesehen auch das zweite dem Objekt »zu nahe«.
Das eine geht auf eine Machtübung, das andere auf einen
Machtspruch über dieses, von welchem beidem die Liebe sich fernhält.
Gerade die Liebe zu dem nicht selbst Beseelten mag die
mit nichts anderem vergleichbare und deshalb aus nichts anderem
zusammensetzbare Beziehung des Subjekts zu einem Objekt, die wir Liebe
nennen, zu besonderer Reinheit klären.
Hier erkennen wir sie in ihrer völligen Gelöstheit von
allem Praktischen, allem Theoretischen, allen Sachwertsurteilen (denn nichts
hindert, dass wir auch das sachlich ganz Indifferente, ja Minderwertige
»lieben«).
Hier erkennen wir, wie sie aus völlig irrationalen
Lebenstiefen aufsteigt, ohne auf irgendeine Förderung oder Schädigung dieses
Lebens hinzielen zu müssen.
Hier erkennen wir sie als eine reine Zuständlichkeit oder
Bewegtheit des Subjekts, die doch eine Kategorie ist, in die der Sachgehalt
des Objekts gefasst wird: vermöge dieser transzendentalen Unvergleichbarkeit
steht der geliebte Gegenstand in formaler Nebenordnung mit dem erkannten
Gegenstand, dem geglaubten Gegenstand, dem beurteilten Gegenstand.
Ihn liebend vollziehen wir eine Ausgestaltung des
Grundverhältnisses zwischen Seele und Welt: dass die Seele zwar an ihr
Zentrum gebunden bleibt - woran sie ihre Grenze wie ihre Größe besitzt, dass
aber diese Immanenz nun doch die Form ist, mit der sie transzendent wird,
die Inhalte der Welt zu erfassen, in sich einzubeziehen vermag.
Wäre sie nicht in sich, so könnte sie sich nicht außer
sich begeben; welcher unvermeidlich temporale Ausdruck jedoch kein
scheidendes Nacheinander, sondern die fundamental einheitliche
Lebensbestimmtheit bezeichnet.
Hersehend aber von dem Subjekt-Objekt-Begriff offenbart
die Liebe am stärksten die seelische Immanenz der Welterfassung.
Denn wenn wir erkennen, wie wenn wir werten, fühlen wir
uns bindend umfasst von einem Etwas, das wir als Norm, Maß, Geltung nur sehr
unvollkommen und herabziehend benennen, das schlechthin jenseits von Subjekt
und Objekt steht.
Wenn wir aber lieben und zwar insbesondere einen
Gegenstand, der nicht wie alles Menschlich-Beseelte eine latente Intention
auf Geliebtwerden in sich trägt, so spüren wir eine entschiedene Freiheit in
Auswahl, Art und Maß der subjektiven Betätigung.
Dennoch, auch hier ist es der Gegenstand, den wir mit
dieser Betätigung formen, die Bewegung des Gefühls hat die Form der Ellipse,
in deren einem Brennpunkt das Objekt steht, wenn sie auch als ganze in der
Immanenz des Gefühles beschlossen bleibt.
Und so mag man auch an diesem äußersten Punkt, an dem die
Eigenbedeutung des Gegenstandes sich dem Grenzwert Null nähert, ja ihn
eigentlich erreicht hat, dennoch jenes umgreifende Etwas spüren, das
jenseits des gegensätzlichen Aussereinander von Seele und Welt ist, aber
selbst in dem Grenzfall der Liebe noch diese zu einem Weltverhältnis der
Seele macht.
Dass die Liebe zu den großen Gestaltungskategorien des
Daseienden gehört, wird durch gewisse seelische Tatsächlichkeiten wie durch
gewisse theoretische Vorstellungsweisen gleichwertig verschleiert.
Es ist gar keine Frage, dass der Liebesaffekt unzählige
Male das als objektiv anzuerkennende Bild seines Gegenstandes verschiebt und
fälscht, und insofern allerdings allgemein als »gestaltend« anerkannt wird;
ersichtlich aber in einer Weise, die den anderen geistigen Formkräften nicht
als koordiniert gelten kann.
Denn was geht hier eigentlich vor? Theoretische Faktoren
haben ein - der Voraussetzung nach - »wahres« Bild des geliebten Menschen
zustandegebracht.
Zu diesem erst tritt, gewissermaßen nachträglich, der
erotische Faktor hinzu, gewisse Seiten steigernd, andere wegschiebend, das
ganze umfärbend.
Es wird hier also nur ein bestehendes Bild in seiner
qualitativen Bestimmtheit abgeändert, ohne dass seine theoretische Ebene
verlassen und ein kategorial neues Gebilde geschaffen würde.
Diese Modifikationen, die die schon entstandene Liebe an
der objektiv richtigen Vorstellung anbringt, haben nichts mit der primären
Schöpfung zu tun, die den geliebten Menschen als solchen hinstellt.
Der Mensch, den ich anschaue und erkenne, der Mensch, den
ich fürchte oder den ich verehre, der Mensch, den das Kunstwerk geformt hat,
ist jeweils ein besonderes Gebilde, und wenn wir nur den verstandesmäßig
erkannten Menschen als ihn, wie er »in Wirklichkeit ist« anerkennen, alle
jene Modi aber nur als mannigfaltige Lagen, in die wir diese umgeänderte
Wirklichkeit innerlich einstellen, so ist dies nur dem Bedeutungsübergewicht
zu danken, das grade das intellektuelle Bild für unser praktisches Handeln
besitzt.
Tatsächlich sind alle diese Kategorien ihrem Sinne nach,
gleichviel wann oder unter welchen Umständen sie wirksam werden,
koordiniert.
Und zu ihnen gehört die Liebe, insofern sie ihren
Gegenstand als ein völlig genuines Gebilde schafft.
Aeußerlich und der zeitlichen Ordnung nach muss natürlich
der Mensch erst da sein und gewusst werden, ehe er geliebt wird.
Damit ist aber nicht mit diesem schon Bestehenden, der
als solcher auch ungeändert bliebe, etwas vorgenommen, sondern es ist in dem
Subjekt eine ganz neue Grundkategorie schöpferisch geworden.
Mit demselben Recht, mit dem der andre »meine
Vorstellung« ist, mit eben dem ist er »meine Liebe«; er ist nicht ein
invariables Element, das, wie in alle möglichen Konfigurationen, so auch in
die des Geliebtwerdens einginge oder dem die Liebe gewissermaßen noch
angehängt würde, sondern ein originäres einheitliches Gebilde, das vorher
nicht bestand.
Man denke nur an den religiösen Fall: der Gott, der
geliebt wird, ist eben dadurch ein andrer, als er bei Identität aller ihm
sonst und an sich zugesprochener Eigenschaften wäre, wenn er nicht geliebt
würde.
Selbst wenn er um bestimmter Eigenschaften oder
Bewirkungen willen geliebt wird, so stehen diese »Gründe« der Liebe doch in
einer ganz andren Schicht als die Liebe selbst, und sie werden, zugleich mit
dem Ganzen seines Wesens einer ganz neuen Kategorie einempfunden, sobald die
Liebe nun wirklich eintritt, gegenüber derjenigen, die sie bei etwaigem
Ausbleiben unserer Liebe einnehmen, selbst wenn sie in beiden Fällen
gleichmäßig »geglaubt« werden.
Allein eben dieser Begründung bedarf es gar nicht.
Ausdrücklich verkündet Eckhart, wir dürften Gott nicht um
dieser oder jener besonderen Qualität oder Veranlassung willen lieben,
sondern ausschließlich, weil er eben Er sei.
Unzweideutig offenbart dies die Liebe als eine
unbegründete primäre Kategorie.
Und eben dies ist sie, indem sie ihren Gegenstand in
seinem ganzen und letzten Wesen bestimmt, indem sie ihn als diesen, vorher
nicht bestehenden schafft.
Wie ich selbst als Liebender ein andrer bin als vorher -
denn nicht diese oder jene meiner »Seiten« oder Energien liebt, sondern der
ganze Mensch - was noch nicht eine sichtbare Aenderung aller sonstigen
Aeußerungen zu bedeuten braucht - so ist auch der Geliebte als solcher ein
anderes Wesen, aus einem andern A priori aufsteigend als der erkannte oder
der gefürchtete, der gleichgültige oder der verehrte Mensch.
So erst ist die Liebe absolut mit ihrem Gegenstand
verbunden und nicht bloß assoziiert: der Gegenstand der Liebe in seiner
ganzen kategorischen Bedeutung ist nicht vor ihr da, sondern erst durch sie.
Daraus erst wird ganz klar, dass die Liebe, und
erweiternd das ganze Verhalten des Liebenden als solchen, etwas schlechthin
Einheitliches, aus andren, sonst bestehenden Elementen nicht
Zusammensetzbares ist.
Als ganz vergebens also erscheinen die Versuche, die
Liebe als ein sekundäres Gebilde in dem Sinne anzusehen, dass sie sich
gewissermaßen als die Resultante aus anderen, primären seelischen Faktoren
motivierte.
Allein sie gehört einer zu hohen Stufe menschlicher
Wesensentwicklung an, als dass wir sie in derselben zeitlichen und
genetischen Schicht einordnen könnten wie das Atmen und die Ernährung oder
auch den Geschlechtstrieb.
Auch können wir uns nicht auf den naheliegenden Ausweg
retten: ihrem metaphysischen Sinn, ihrer zeitlosen Bedeutung nach gehöre sie
zwar in die erste oder letzte Ordnung der Werte und Ideen, ihre menschliche
oder psychologische Realisierung aber weise sie auf eine späte Stufe einer
kontinuierlich langen vielgliedrigen Entwickelungsreihe des Lebens.
Mit dieser gegenseitigen Fremdheit ihrer Bedeutungen oder
Reagierungen können wir uns nicht zufrieden geben.
Denn das Problem ihres Dualismus wird damit anerkannt und
auf einen reinlichen Ausdruck gebracht, aber nicht gelöst; an diesem Punkt
mit ihm abzuschließen, hieße an seiner Lösbarkeit verzweifeln.
Ich komme noch einmal auf den allgemeinsten Begriff der
Liebe zurück, der über ihr sexuelles Erscheinen hinaus nicht nur das von
Mensch zu Mensch überhaupt Gehende, sondern auch das allen möglichen
Weltinhalten Geltende einbegreift.
Es scheint mir von äußerstem Belang, das Lieben als eine
immanente, ich möchte sagen formale Funktion seelischen Lebens anzuerkennen,
auch sie freilich auf eine von der Welt herkommende Anregung aktualisiert,
über die Träger dieser Anregung aber nichts von vornherein bestimmend.
Mit der umfassenden Einheit des Lebens ist dies Gefühl
vollständiger verbunden als viele, vielleicht als die meisten andren.
Die Mehrzahl unserer Gefühle von Lust und Schmerz, von
Verehrung und Verachtung, von Furcht und Interessiertheit erheben sich und
leben in weiterer Entfernung von dem Punkt, an dem die Strömungen des
subjektiven Lebens sich vereinen, oder richtiger: an dem, als Zentrum, sie
entspringen.
Auch wo wir einen unbelebten Gegenstand »lieben«, statt
ihn als nützlich, angenehm oder schön zu bezeichnen, meinen wir eine
zentrale, wenn auch recht verschieden starke Empfindung, die er in uns
auslöst, während jene Wertungen mehr peripherischen Reaktionen entsprechen.
Das Bestehen von Interessiertheiten, Empfindungen,
inneren Verflechtungen neben einem Liebesgefühl drückt man, glaube ich, im
letzten Grunde nicht richtig als Differenzierung von Seelenprovinzen aus;
ich meine vielmehr, dass die Liebe unter allen Umständen eine Funktion der
relativ undifferenzierten Ganzheit des Lebens ist und jene Fälle nur ein
geringeres Intensitätsmaß ihrer anzeigen.
Liebe ist immer eine sozusagen aus der Selbstgenügsamkeit
des Innern sich erzeugende Dynamik, die durch ihr äußeres Objekt wohl aus
dem latenten in den aktuellen Zustand übergeführt, aber nicht im genauen
Sinn hervorgerufen werden kann; die Seele hat sie als eine letzte Tatsache
oder hat sie nicht, wir können nicht hinter sie auf irgendein äußeres oder
inneres Movens zurückgehen, das mehr als gleichsam ihre Gelegenheitsursache
wäre.
Dies ist der tiefste Grund, aus dem es ganz sinnlos ist,
sie auf irgendeinen Rechtstitel hin zu fordern.
Ich bin mir sogar nicht sicher, ob ihre Aktualisierung
immer von einem Objekt abhängt, ob nicht das was man Sehnsucht oder
Bedürfnis nach Liebe nennt, das dumpfe gegenstandslose Drängen besonders der
Jugend nach irgend etwas, was man lieben könnte - ob das nicht schon Liebe
ist, die sich nur noch in sich selbst bewegt, gewissermaßen ein Leergang der
Liebe.
Man wird wohl überhaupt den Trieb zu einem Verhalten als
die Gefühlsseite des schon beginnenden Verhaltens selbst ansehen können;
dass wir uns zu einer Aktion »getrieben« fühlen, bedeutet, dass die Aktion
innerlich schon angesetzt hat und ihr Vollbringen nichts andres ist, als die
Weiterentwicklung dieser ersten Innervationen; wo wir trotz des gefühlten
Triebes nicht zur Handlung fortschreiten, reicht entweder die Energie von
vornherein zu nichts weiterem als diesen ersten Gliedern der Aktionsweise,
oder diese wird durch Gegenkräfte gekreuzt, ehe ihre, dem Bewusstsein
bereits kundgegebenen Anfangsglieder sich bis zu dem sichtbaren Tun
fortsetzen konnten.
Auch die reale Möglichkeit, die apriorische Angelegtheit
der Verhaltensform, die Liebe heißt, wird unter Umständen ein Anfangstadium
ihrer Wirklichkeit aufleben lassen und ein dunkles, allgemeines Ge fühl zum
Bewusstsein bringen, noch bevor die hinzutretende Anregung durch ein
bestimmtes Objekt sie zu vollendeter Auswirkung führt.
Dass aber dieses objektlose, gleichsam immer wieder in
sich zurückgebogne Drängen vorkommt, ein rein innerlich erzeugter Vorklang
der Liebe, der doch schon ein Klang ihrer ist - das ist ein entschiedenstes
Zeugnis für das rein innerlich zentrale Wesen des Liebesereignisses, das
durch eine unklare Vorstellungsweise häufig verdeckt wird; als wäre sie eine
Art von außen kommenden Ergriffen- oder Vergewaltigtwerdens (als welches sie
übrigens in einer subjektiven oder metaphysischen Schicht auch auftreten
kann), der sein zutreffendstes Symbol im »Liebestrank« finde, statt eines
So-Seins, einer bestimmten Modifikation und eines
Von-sich-aus-Gerichtetseins des Lebens als solchen; als käme sie von ihrem
Objekt her, während sie in Wirklichkeit zu ihm hingeht.
Aber dieser von innen her bestimmte Typus und Rhythmus
der Lebensdynamik als welcher die Liebe sich darstellt - so dass der Mensch
liebend ist, wie er von sich aus gut oder böse, aufgeregt oder nachdenklich
ist -, hat seine Polarität.
Denn Liebe ist dasjenige Gefühl, das - abgesehen von
religiösen Gefühlen - enger und unbedingter als irgendein anderes an seinen
Gegenstand geknüpft ist.
Der Zugespitztheit, mit der sie sich aus dem Subjekt
erhebt, entspricht die gleiche, mit der sie sich auf das Objekt richtet.
Das Entscheidende ist, dass sich keine Instanz
allgemeiner Art dazwischen schiebt.
Wenn ich jemanden verehre, so wird das durch die
gewissermaßen allgemeine Eigenschaft der Verehrungswürdigkeit vermittelt,
die mitsamt ihrer besonderen Ausgestaltung dauernd dem Bilde dieses
Menschen, solange ich ihn eben verehre, einhaftet.
So ist dem Menschen, den ich fürchte, seine Furchtbarkeit
und ihre Veranlassung eingewebt, ja sogar den Menschen, den ich hasse, wird
in den allermeisten Fällen die Ursache dieses Hasses in meiner Vorstellung
nicht verlassen - einer der Unterschiede zwischen Liebe und Hass, die ihre
triviale Formangleichung dementieren'.
Und trotz der Eckhartschen Mahnung wird das seelische
Gesamtverhältnis zu Gott wohl beinahe durchgehends an seine Eigenschaften:
Güte und Gerechtigkeit, Väterlichkeit und Macht geheftet - sonst hätte es
jener Mahnung nicht bedurft.
Der Liebe aber ist es eigen, die vermittelnde, immer
relativ allgemeine Qualität ihres Gegenstandes, die etwa die Liebe zu ihm
entstehen ließ, aus der einmal entstandnen auszuschalten.
Sie steht dann als eine unmittelbar und zentral auf
diesen Gegenstand gerichtete Intention da und zeigt ihr echtes und
unvergleichliches Wesen gerade in den Fällen, wo sie sogar den
unzweideutigen Fortfall ihres Entstehungsgrundes überlebt.
Nur wo es wirklich sich um reine Liebe zu Gott handelt,
trifft die Eckhartsche Formel zu - aber sie trifft für alle Liebe zu, weil
diese alle Beschaffenheiten des Geliebten, die ihr den Ursprung gaben,
hinter sich gelassen hat.
Die ekstatischen Ausdrücke der Liebenden: dass der
Geliebte ihm »die ganze Welt sei«, dass es »außer ihm nichts gäbe« und
ähnliches bedeuten nur diese, ins Positive gewandte Exklusivität der Liebe,
mit der sie, ein ganz und gar subjektives Ereignis, nun gerade ihren
Gegenstand genau und vermittlungslos umschließt.
Soweit ich sehe, gibt es kein andres Gefühl, mit dem die
absolute Innerlichkeit des Subjekts sich so rein zu der Absolutheit seines
Gegenstandes hinlebte, indem der terminus a quo und der terminus ad quem
sich, bei unüberwindlichem Gegenüber, so unbedingt einer Strömung fügten,
die an keiner Stelle durch eine Zwischeninstanz verbreitert wird -
gleichviel ob etwa eine solche ursprünglich die Strömung leitete, und etwa
akzidentell noch einen verbindenden Nebenkanal unterhält.
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Diese Konstellation, unzählige Grade zwischen
Flüchtigkeit und höchster Intensität einschließend, wird in formaler
Gleichheit einer Frau wie einem Ding, einer Idee wie einem Freunde, dem
Vaterland wie einem Gott gegenüber erlebt.
Dies muss zunächst feststehen, wenn man ihre engere
Bedeutung, die auf dem Boden der Sexualität sich erhebende, strukturell
klären will.
Die Leichtherzigkeit, mit der die Alltagsmeinung den
Geschlechtstrieb und die Liebe verbindet, errichtet vielleicht eine der
trügerischsten Brücken innerhalb der an solchen Bauwerken überreichen
psychologischen Landschaft.
Indem sie noch in die, sich als wissenschaftlich gebende
Psychologie hineinreicht, möchte man oft genug glauben, dass diese letztere
in die Hände von Schlächtergesellen geraten ist.
Anderseits darf selbstverständlich die Beziehung nicht
einfach abgewiesen werden.
Unsere geschlechtliche Bewegtheit verläuft in zwei
Bedeutungsschichten.
Hinter dem unmittelbar subjektiven Getriebenwerden und
Begehren, Vollziehen und Lustempfinden steht, als Erfolg alles dieses, die
Fortpflanzung der Art.
An der Kontinuität des sich übertragenden Keimplasmas
entlang fließt das Leben seinen unabsehlichen Weg, durch alle jene Stadien
hindurch oder von ihnen von Punkt zu Punkt getragen.
So unzulänglich und in kleinmenschlicher Symbolik
befangen der Begriff von Zweck und Mittel gegenüber dem geheimnisvollen
Vollzuge des Lebens sein mag, so müssen wir jene doch als Mittel bezeichnen,
deren sich das Leben zum Zweck der Gattungserhaltung bedient, indem es die
Erreichung dieses Zweckes nicht mehr einem Mechanismus (im weiteren Sinne
des Wortes) sondern seelischen Vermittlungen anvertraut.
Dass sich aus ihnen in sprungloser Entwicklung auch Liebe
erhebt, ist nicht zu bezweifeln.
Denn weder kann das typische Zusammenfallen der Epoche
des Geschlechtstriebes mit der des Liebeserwachens ein bloßer Zufall sein,
noch wäre andernfalls die leidenschaftliche (wenn auch nicht ausnahmslose)
Ablehnung jeder andern Geschlechtsbeziehung als zu dem Geliebten und die
ebenso leidenschaftliche Sehnsucht nach eben dieser begreiflich.
Hier muss ein genetischer, kein nur assoziativer
Zusammenhang bestehen.
Der Trieb, nach seinem generellen wie seinem
hedonistischen Sinn zunächst auf das andre Geschlecht als solches gerichtet,
scheint in dem Maße, in dem seine Träger sich differenzierten, auch seinen
Gegenstand immer mehr individualisiert zu haben bis zur Singularisierung
hin.
Nun wird zwar der Trieb keineswegs schon allein durch
seine Individualisiertheit zur Liebe; jene kann einerseits hedonistisches
Raffinement sein, anderseits ein vital-teleologischer Instinkt für den
geeigneten Partner zur Erzeugung der besten Kinder.
Allein unzweifelhaft schafft sie eine formale Disposition
und sozusagen den Rahmen für jene Ausschließlichkeit, die das Wesen der
Liebe selbst dann bildet, wenn ihr Subjekt sie einer Vielzahl von
Gegenständen zuwendet.
Mir ist kein Zweifel, dass innerhalb dessen, was man ganz
allgemein die »Anziehung der Geschlechter« nennt, das erste Faktum, oder,
wenn man will, die Vorform der Liebe sich bildet.
Das Leben metamorphosiert sich auch in dieses Gebilde,
treibt seine Strömung auch bis zu dieser Welle empor, so frei deren Spitze
auch aufrage.
Sieht man den Lebensprozess überhaupt als eine Anordnung
von Mitteln an, die dem Zweck: Leben - dienen, und achtet man auf die
einfach tatsächliche Bedeutung der Liebe für die Fortpflanzung der Gattung,
so ist auch sie eines der Mittel, die das Leben für sich und aus sich
bereitet.
Dennoch: in dem Augenblick, in dem dies erreicht ist, in
dem die natürliche Entwicklung Liebe geworden ist, damit die Liebe wieder
natürliche Entwicklung werde - in eben diesem verwandelt sich das Bild;
sobald die Liebe in diesem gattungsmäßig-teleologischen Sinn dasteht, ist
sie auch schon etwas Andres, diesem Status Jenseitiges.
Sie ist zwar immer noch ein Leben, aber von der
besonderen Art, dass die eigentliche Dynamik, der natürlich abrollende
Prozess des Lebens nun um ihretwillen da ist, dass sie einen Sinn und ein
Definitivum bedeutet, das sich jener Teleologie vollkommen entzieht, ja -
insoweit die Verbindung mit ihr weiterbesteht - sie eigentlich umdreht: der
Liebende empfindet, dass das Leben jetzt der Liebe zu dienen hat, sozusagen
dazu da ist, um ihr zu ihrem Bestande seine Kraft zu leihen.
Das triebhafte Leben erzeugt in sich Höhepunkte, mit
denen es seine andre Ordnung berührt, und die ihm im Moment dieser Berührung
gewissermaßen entrissen werden, um nun aus eignem Recht, um des eignen
Sinnes willen zu existieren.
Auch hier gilt Goethes Wort, dass alles in seiner Art
Vollkommene über seine Art hinausgeht.
Dem Leben, dem immer in irgendeinem Sinne zeugenden ist
es eigen, mehr Leben hervorzubringen, ein Mehr-Leben zu sein; aber auch auf
der Stufe des Seelischen etwas hervorzubringen, was mehr als Leben ist, ein
Mehr-als-Leben zu sein.
Nun setzt es Gebilde aus sich heraus, erkenntnishafte wie
religiöse, künstlerische wie soziale, technische wie normative, die einen
Ueberschuss über den bloßen Lebensprozess und das, was ihm dient, darstellen.
Indem sie je eine eigene, ihrem Sachgehalt entsprechende
Logik und Wertsystematik ausbilden und zu Gebieten, die in ihren Grenzen
autonom sind, werden, bieten sie sich dem Leben wieder als Inhalte dar,
bereichernd und steigernd, oft aber auch als Erstarrtheiten, an denen seine
eigene Richtung und Rhythmik sich staut und ablenkt, Sackgassen, in denen es
sich totläuft.
Solche Zufälligkeit, bis zum Widerspruch, die diese als
»ideell« zu bezeichnenden Reihen gegen das Leben zeigen, das sie doch wieder
in sich realisiert - hat ihre tiefste Problematik darin, dass sie
schließlich doch als ganze aus dem Leben stammten und von ihm umfasst
werden.
Denn jene Reihen entsteigen dem Leben selbst, es ist sein
eigenstes Wesen, sich selbst zu überschreiten, das aus sich zu schaffen, was
nicht mehr es selbst ist, seinem Verlauf und seiner Gesetzlichkeit
schöpferisch sein Andres gegenüberzustellen.
Diese Transzendenz, diese Beziehung - als Produktion,
Berührung, Korrelation, Harmonie und Kampf - des Geistes zu dem ihm
Jenseitigen, die doch die Form seines inneren Lebens selbst ist - diese an
der Tatsache des Selbstbewusstseins, des Sich-selbst-zum-Objekt - Machens
des Subjekts am einfachsten offenbart, erscheint mir als die Urtatsache des
Lebens, soweit es Geist ist, des Geistes, soweit er Leben ist.
Und sie ist nicht nur da gegeben, wo die geistigen
Inhalte zu ideeller Festigkeit auskristallisiert sind; sondern noch vor
Erreichung dieses Aggregatzustandes kann das Leben, enger in sich selbst
verbleibend, Schichten aus sich, über sich erwachsen lassen, in die seine
spezifisch naturhafte, lebenszweckmäßige Strömung nicht mehr einrinnt.
In einer solchen Schicht scheint mir die Liebe zu wohnen:
psychologisch in einer kontinuierlich vermittelten, schwebenden
Abgehobenheit von dem treibenden Leben und von seinem metaphysischen Sinn
mitumgriffen, ihrer Intention, Eigengesetzlichkeit, Selbstentwicklung nach
aber ihm so transzendent, wie die objektiv logische Erkenntnis dem
seelischen Vorstellen oder wie die ästhetische Wertmäßigkeit des Kunstwerks
den psychologischen Bewegtheiten, mit denen es geschaffen oder genossen
wird.
Die Inhaltlichkeit der Liebe in diesem reinen
Sie-selbst-Sein positiver zu bestimmen, als mit dem vorherigen Versuch, ihre
Zusammengesetztheit aus andersartigen Elementen abzuweisen, ist vielleicht
eine unlösbare Aufgabe.
Die Abgrenzung gegen die Schicht, in der das -
geschlechtlich geleitete - Leben läuft, ist auch deshalb so schwer, weil ja
die Liebe aus ihrer eigenen Schicht die »Sinnlichkeit« keineswegs verbannt.
Zu der öfters gehörten Behauptung, Erotik und
Sinnlichkeit schlössen einander aus, kann ich keinen Grund sehen.
Was sich in Wirklichkeit ausschließt, ist Liebe und
isolierte Sinnlichkeit, Selbstzwecksetzung des sinnlichen Genusses.
Denn damit wird freilich einerseits die Einheit
zerspaltet, die das Sein des Subjekts färbt, insoweit es liebt, anderseits
die Individualität der Richtung, mit der die Liebe jeweils ihren und
schlechthin nur ihren Gegenstand ergreift, zurückgebildet zugunsten einer
ganz unindividuellen Lust, deren Gegenstand prinzipiell beliebig vertretbar
ist; auch zeigt dieser sich, da die Vertretbarkeit immer das Wesen eines
Mittels ist, damit als das bloße Mittel zur Erreichung eines solipsistischen
Zweckes - was wohl unbestrittenerweise als der schroffste Gegensatz der
Liebe zu diesem Gegenstand gelten kann.
Und diesen Widerspruch trägt nicht nur der Verbrauch des
vorgeblich geliebten Menschen als eines Mittels, sondern der Einbruch der
teleologischen Kategorie überhaupt in das Gebiet der Liebe.
All jenen transvitalen Reichen ist es gewissermaßen
Siegel und Königswort, dass sie von der ganzen ZweckMittel-Verknüpfung frei
bleiben.
Wie Schopenhauers Ausdruck, dass die Kunst ȟberall am
Ziele ist« nichts andres besagt, so gilt dies auch für die Liebe.
Mag sie auch etwas wünschen oder begehren, sie fängt
dies, solange sie rein in sich ist, nie in die Technik von Zweck und Mittel
ein, der alle nur sich selbst nachgehende Sinnlichkeit verhaftet bleibt.
Dagegen scheint es durchaus - und die physiologischen
Dokumente sprechen dafür -, dass die Sinnlichkeit wie alle andern,
ursprünglich dem bloßen Leben verwurzelten Elemente, über die Schwelle der
echten Liebe mit hinübergenommen werde; oder, von der zuvor berührten Seite
her gesehen, dass in der Breite der einheitlichen erotischen Strömung auch
diese Ader mitfließe, von den andern nur nachträglich durch die vereinzelnde
Begrifflichkeit aber nicht in der Lebenswirklichkeit selbst gesondert.
Bezeichnet man als »erotische Natur« eine solche, bei der
einerseits die Metamorphose der Lebensenergie in die selbstgenugsame, dem
bloßen Leben transzendente Schicht der Liebe vollständig vollzogen, diese
Schicht aber nun ihrerseits von der ganzen, stauungslos einströmenden
Lebensdynamik vitalisiert und durchblutet ist - so gibt es ebenso ganz
unsinnliche wie sehr sinnliche erotische Naturen.
Die Verschiedenheiten dieser physisch-psychischen Mitgift
individualisieren die Erotik, ohne die grundsätzliche Gleichheit ihrer
Lebensentscheidung anzutasten.
Was sie aber freilich gänzlich von sich ablehnt, ist das
Gattungsinteresse an der Fortpflanzung.
Wie der liebende Mensch als liebender sich von aller
eigentlichen Zweckbeziehung gelöst hat, von der hedonistischen und
egoistischen, ja wie auch die moralische und altruistische sich nur an
seinen Zustand heften kann, der schlechthin ein seiender, kein handelnder
ist 2 - so ist ihm auch die gattungsmäßige Zweckbeziehung fremd.
Er ist kein Durchgangspunkt, sondern ein Endpunkt, oder
richtiger, sein Sein und Sich-Fühlen steht überhaupt jenseits von Weg und
Endpunkt, von Mittel-Sein und Zum-Mittel-Machen, wie der religiöse
Glaubensgehalt und das Kunstwerk; nur dass bei diesen die Geformtheit zum
Dauergebilde den Abstand von der Lebensteleologie deutlicher macht als er es
für die Liebe ist.
Dies vielleicht lässt den Oberton des Tragischen klingen,
der von jedem großen Liebenden und von jeder großen Liebe herweht, von der
letzteren um so wahrnehmbarer, je reiner sie sich von dem rationalen
Lebensverlauf gelöst hat, um so unvermeidlicher, wo sich die Liebe zu diesem
wieder zurückbiegt und mit ihm mischt wie in der Ehe.
Die Tragödie Romeos und Julias ist mit dem Maß ihrer
Liebe gegeben: für diese Dimension ihrer hat die empirische Welt keinen
Platz.
Da sie aber doch aus dieser gekommen ist und ihre reale
Entwicklung in deren Bedingtheiten verflechten muss, so ist sie von
vornherein mit tödlichem Widerspruch behaftet.
Wenn Tragik nicht einfach das Zusammenstoßen
entgegengesetzter Kräfte oder Ideen, Wollungen oder Gefordertheiten
bedeutet, sondern vielmehr dieses, dass, was ein Leben zerstört, aus einer
letzten Notwendigkeit dieses Lebens selbst gewachsen ist, dass der tragische
»Widerspruch gegen die Welt« im letzten Grunde ein Selbstwiderspruch ist -
so sind alle Bewohner jener Schicht »Idee« damit behaftet.
Nicht das gibt dem Ueberweltlichen oder Gegenweltlichen
seinen tragischen Zug, dass die Welt es nicht vertragen kann, es bekämpft
und vielleicht vernichtet - dies wäre nur traurig oder empörend; sondern
dass es - als Idee und Träger der Idee - die Kraft seines Entstehens und
Bestehens aus eben dieser Welt gesogen hat, in der es keinen Platz findet.
Und das ist der Grund jenes tragischen Zuges an der
reinen, der Lebensströmung entwundenen Erotik: dass sie doch aus gerade
dieser Strömung entstanden ist, dass deren eigenstes Gesetz sich erfüllt,
indem sie ihr Anderes, das ihr Fremde ja Gegensätzliche erzeugt.
Die zeitlose Schönheit der Aphrodite erhebt sich aus dem
vergehenden verwehenden Schaum des bewegten Meeres.
Das restlos zeugende, restlos gebärende Leben, das die
Anziehung der Geschlechter als Vermittlung zwischen je zwei seiner
Wellenkämme gesetzt hat, erfährt nun jene gewaltige Achsendrehung, durch die
diese Anziehung Liebe wird, d. h. in das Reich des Lebensgleichgültigen,
gegen alle Zeugung und Vermittlung Fremden sich hebt.
Gleichviel ob dies von der Idee gerechtfertigt wird oder
die Idee rechtfertigt; gleichviel ob die Liebe die Verbindung nach rückwärts
wieder aufnimmt und als Realität die hervorgehobene Bedeutung für die
Fortpflanzung gewinnt - ihrem eigenen Sinne nach weiß sie von diesem
Interesse nichts, sie ist und bleibt die Zuständlichkeit des Subjekts, die
in unerklärlicher, nur erlebbarer Weise um ein anderes Subjekt herum wächst,
die ihre Zentralität schlechthin in sich selbst findet, nicht in Erhaltung
und Entwicklung der Gattung und nicht in einem zu erzeugenden Dritten.
Aber aus diesem gattungsmäßigen Leben ist sie doch
gekommen und irgend etwas von Selbstwiderspruch, Selbstzerstörung umwittert
die Liebe, sobald sie sich als ideeller Eigenbestand in Sinngetrenntheit von
ihm abgespalten hat.
Der tragische Schatten fällt über die Liebe nicht aus ihr
selbst heraus, sondern das Gattungsleben wirft ihn.
Aus seinen eignen Kräften und um deren zweckmäßiger
Entfaltung willen drängt es aufwärts zum Erblühen der Liebe; aber in dem
Augenblick, in dem die Liebe sich öffnet, sendet sie ihren Duft aufwärts in
eine Region der Freiheit, jenseits aller Wurzelhaftung.
Freilich steht keine Tragödie mit Zerstörung und
tödlichem Ausgang in Frage.
Aber der Widerspruch: dass neben oder über dem Leben, das
allumfassend sein will, ein ihm Fremdes steht, gelöst von seiner schaffenden
Strömung, Seligkeit und Unseligkeit aus eignem Samen ziehend, dass aber eben
dieses aus einem tiefsten Wollen oder Müssen, oder richtiger vielleicht:
Sollen dieses Lebens selbst kommt, dass diese Entfremdung von ihm seine
eigne letzte Heimlichkeit ist - diese, wenn auch nicht aggressive Verneinung
des Lebens, die Selbstverneinung ist, lässt die leise tragische Musik vor
der Tür der Liebe klingen.
Vielleicht hat die Liebe schon in ihrer reinen Selbstheit
eine Tragik, weil ein Widerspruch besteht zwischen dem unablösbaren
Innenbleiben des Gefühls in ihrem Träger und dem Umfassen des Andern, dem
Insicheinziehen und Verschmelzenwollen, in dem Prozesse zwischen dem Ich und
dem Du, den selbst diese letzte Instanz nicht vor fortwährender
Wiederaufnahme bewahren kann.
Hier aber ist von der anderen Tragik die Rede, die vom
gattungsmäßigen Leben her die Liebe anschattet.
Mit ihr hat dieses Leben sich selbst transzendiert, hat
aus seinen eignen Kräften die Untreue gegen sich geboren, eine Schicht
aufgetrieben, die von seinem kosmischmetaphysischen Sinn noch umgriffen sein
mag, weil diesem nach Leben eben Mehr »als« Leben ist, in der es aber doch
von seinem Gesetze, Mehr-Leben zu sein, abgefallen ist. -
Höchst kompliziert und feinmaschig sind die
mannigfaltigen Verhältnisse, zu denen sich in der Liebe Individualistik und
Gattungsleben verweben.
Nur dass keineswegs die Komplikation allenthalben im
Erlebnis selbst liegt; dieses vielmehr ist oft genug ganz einfarbig und in
sich biegungsfrei, und nur die reflektierende Nachzeichnung, für die unsere
Begriffe nicht hinreichend vorgebildet sind, setzt es aus vielfach
gebrochnen, gegeneinander laufenden, nur partiell verflochtenen Elementen
zusammen.
Dass die Eigenstruktur der Begriffe sich gegen ihre
Zerlegung in hinreichend kleine Stücke wehrt, um diese kontinuierlich
aneinander zu schmiegen und so wenigstens ein symbolisch deckendes Gegenbild
der Erlebniseinheit herzustellen - ist mindestens zum Teil der
Nichtbeachtung des erotischen Problems seitens der Philosophie
zuzuschreiben.
Die Erörterungen im Phaidros und Symposion und die
sehr einseitigen Reflexionen Schopenhauers sind, von gelegentlichen
Einzelheiten abgesehen, alles, was die großen Denker zu diesem Problem
beigesteuert haben.
Infolgedessen sind auch die überhaupt brauchbaren
Begriffe starr, undifferenziert und ohne rechte Einstellungsmöglichkeit
geblieben.
Unter dieser Bedingtheit also gesprochen, scheint mir an
dem Individualismus der Liebe noch einmal eine entscheidende Bestimmung
ihrer sich abzuzeichnen.
Ich stelle das damit Gemeinte an zwei Goetheschen
Liebespaaren dar.
Dass Faust und Gretchen weithin als erotischer Idealtypus
gelten, ist ein Beweis, wie selten die Vorstellung von Liebe sich über deren
rein generellen Charakter erhebt.
Zweifellos ist das Erlebnis als Ganzes für Faust durch
die unvergleichliche Individualität seines inneren Fatums bestimmt und sein
äußeres Sich-Ereignen ist innerhalb dieser seelisch metaphysischen
Entwicklung ein bloßes Symbol.
Aber grade weil es nur eine bestimmte Funktion innerhalb
eines unermesslichen Verlaufs zu erfüllen hat, ist es in sich selbst, als
erotisches Geschehen, völlig unindividuellen Wesens.
Gretchen liebt Faust gar nicht als Individualität,
sondern als den geistigen, schlechthin überragenden und dominierenden Mann.
Es ist eines der tausendfach vorkommenden Verhältnisse,
in denen ein Mädchen niederer Bildungsstufe von edlerer Naturanlage, erfüllt
von einer dumpfen, vielleicht unbewussten Sehnsucht einer höheren Welt, von
der in ihre Umgebung kein Strahl dringt, einem Mann zum Opfer fällt, der,
aus jener Welt zu ihr herabsteigend, ungeahnte Erfüllungen bringt und sie
mit deren Sonne blendet, an die ihre Augen nicht angepasst sind.
Hier ist ein Widerstand sowenig möglich wie für die
Erdentöchter gegen Zeus, und wie deshalb ein solcher Mann beliebig viele
solcher Mädchen verführen kann, so ist auch die Hingabe des Mädchens hier
gar nicht an die Sonderart des Mannes, sondern nur an seinen Typus geknüpft.
Das Spezifische der Persönlichkeit Faust kennt Gretchen
nicht, ahnt es wohl nicht einmal, jedenfalls liebt sie es nicht.
Wo sie in ihren Monologen von ihm spricht, geschieht es
in merkwürdig unindividuellen Worten: er ist ihr »so ein Mann«.
Dass ihr dieses generelle Bild dennoch die ganze
Intensität ihrer Empfindung und den Einsatz ihrer ganzen Existenz wert ist,
gründet sich darin, dass Frauen überhaupt das Generelle - das
geschlechtliche Leben als Ganzes, das Verhältnis zum Kinde, die Tätigkeits-
und Empfindungsbezirke von Haus und Familie - leicht zum ganz individuellen
Erlebnis wird.
Ihre scheinbare oder wirkliche größere Gefühlstiefe
bedeutet oft, dass sie dasjenige, was der Mann nur als etwas Allgemeines,
Typisches aufnimmt, zu einem rein individuellen Schicksal und auf den
letzten Persönlichkeitspunkt zuspitzen.
Für Faust selbst ist das Erlebnis schlechthin Abenteuer.
Seiner Natur entsprechend, deren Einheit aus den polaren
Elementen der Reflexion und der leichten Erschütterbarkeit zusammenwächst,
vertieft es sich freilich und verstrickt ihn in sich; aber der Charakter des
Abenteuers bleibt.
Und der Bestimmung, gleichsam eine schematisch
vorgezeichnete Stelle seines Lebensprogramms auszufüllen, entspricht die
ziemlich oberflächliche Art, in der er ihr Wesen auffasst.
Das typisch männliche Verhalten: in der Beziehung zu der
Frau im letzten Grunde nur an sich, aber nicht an die Frau zu denken - auch
wenn er sich ihretwegen totschießt und gerade dann ganz besonders - hat hier
freilich jene tiefere Rechtfertigung, dass das Erlebnis nur Symbol, nur
unumgängliche Station seiner großen Reise ist; aber das ändert nicht,
sondern verdeutlicht nur die Tatsache, dass er in seinen immanent erotischen
Charakter Gretchen nur als generelles Wesen aufnimmt.
Es ist »die Begier nach ihrem süßen Leib«, die ihn zur
ihr treibt, und die darum nicht weniger individualitätsfremd ist, weil Leib
hier eine überanatomische Bedeutung haben mag.
Er gibt kein Zeichen, dass er das zu tiefst eigne ihrer
Leidenschaft: deren großen, ohne viel Worte und Bewusstsein geübten
Heroismus überhaupt empfindet.
Alles Ergreifende und Bezaubernde dieser Erotik verdeckt
es schließlich nur notdürftig, dass jeder gerade an dem Individuellsten des
andern vorbei liebt.
Ich möchte das Unbeweisbare vermuten, dass Goethe dies
später selbst empfunden und mit Gretchens verklärter Wiedereinführung dem
Verhältnis eine transzendente Tiefe erst nächträglich unterbaut hat, es
gleichsam per subsequens matrimonium coeleste metaphysisch legitimiert hat.
Aber jenes ursprüngliche Wesen seiner ändert sich dadurch
gar nicht, sondern es wird im Gegenteil noch mehr betont.
Denn das nun Wirksame an ihr ist das Ewig-Weibliche, d.
h. doch das zeitlos schlechthin überindividuell Weibliche.
Auch diese letzte Erhöhung des Verhältnisses, die doch
seine letzte Vertieftheit bedeutet, ist nur die Metaphysierung seines Wesens
als eines gänzlich Generellen - das darum aber keineswegs dem ciserotischen
Gattungsleben eingefügt bleibt, sondern sich im Bezirk echter Liebe
heimatberechtigt erweist.
Allein damit ist es doch noch nicht, was man die absolute
Liebe nennen darf; sie entspricht dieser Bezeichnung erst, sobald alles
Gattungsmäßige - das keineswegs etwa das bloß Sinnliche ist, sondern wie in
Gretchens Liebe auf geistige und allgemeine menschliche Bedeutung gehen
kann-hinweggeläutert ist und das Gefühl ausschließlich der unersetzbaren
Persönlichkeit als solcher gilt.
Dies ist nun für die Beziehung zwischen Eduard und
Ottilie entscheidend, dem vollen Gegensatz zu Faust und Gretchen.
Für diese letzteren ist, was das Wesen ihrer Liebe
angeht, Vertretbarkeit keineswegs undenklich, so sehr Gretchen gemäß jener
weiblichen Gefühlsindividualisation des Gattungsmäßigen ihre Leidenschaft
unablösbar an diesen einzigen Vertreter der im Grunde entscheidenden
nichtindividuellen Werte heftet.
Bei Eduard und Ottilie aber hat Goethe den Eindruck
erzielt - wie in keiner anderen seiner Liebesschilderungen - dass jede
Vertretbarkeit hier a priori, im reinsten Sinne dieser Bestimmung
ausgeschlossen ist.
(Für Charlotte und den Hauptmann gilt dies freilich auch,
wie Goethe durch die Einreihung unter den gleichen Begriff der
Wahlverwandtschaft ankündigt; nur gilt es in niederem Grade, wiederum in
sehr interessanter Weise zeigend, dass die im Wesen unbedingt geschiednen
Arten der Liebe den jeweils mannigfaltigsten Maßen Raum geben.) Hier erst
ist die Leidenschaft ganz und gar durch das Fatum der Individualität
bestimmt.
Gewiss setzt sie das Gattungsgesetz der
Geschlechterteilung voraus, Eduard und Ottilie müssen Mann und Weib sein.
Für die so absolute Liebe ist die Sexualität als
Gesamtfärbung des Individuums wirksam, nicht aber als herausabstrahierte
Selbständigkeit; ihr als dem bloß Generellen gilt kein Herzschlag des einen
oder des andern.
An der absoluten Individualität bricht sich, in dem
erotischen wie in andern Fällen, die Kontinuität, die von dem Gattungsleben
nicht abzutrennen ist.
Für Faust ist Gretchen zunächst einmal ein Mädchen
überhaupt, ein Exemplar von jedem Weibe, das er in jedem Helenen zu sehen
bestimmt ist, und dazu nun mit so gesteigerten Eigenschaften eines solchen
ausgestattet, dass die Schwelle der erotischen Erregung überschritten wird:
Genus plus differentia specifica.
Eduards Leidenschaft aber gilt der absoluten
Individualität Ottilie, die freilich ganz und gar weiblich ist, in der aber
jene ideelle Trennungslinie völlig verlöscht ist, so dass es unmöglich wird,
diese Leidenschaft etwa durch die Basis des Generellen hindurch einer andern
Spezifität zuzuleiten.
Diese allein lieben sich, weil es in den Sternen
geschrieben steht, während Faust und Gretchen sich nur lieben, weil sie sich
begegnet sind.
Nichts versinnbildlicht den Unterschied besser als die
Jenseitsahnungen, die jedes dieser Schicksale beschließen.
Gretchen ist Una poenitentiana, eine Strahlung jenes hier
wirksamen Ewig-Weiblichen, das Symbol eines ganz überindividuellen
Mysteriums.
Eduards und Ottiliens aber harrt der »freundliche
Augenblick, wenn sie dereinst wieder zusammen erwachen«.
Alle ewige Zukunft beschränkt sich auf sie beide und auf
ihr »Zusammen«, ohne dass ein Daneben und Darüber aufkäme, dessen himmliche
Strahlung die Umrisse ihrer absoluten Individualitäten verschwimmen ließe.
Das also meine ich die absolute Liebe nennen zu dürfen,
in der die Ausschaltung alles Gattungsmäßigen und der apriorische Ausschluss
aller Vertretbarkeit des Individuums nur zwei Ausdrücke eben desselben
Verhaltens sind; der reine Begriff der Liebe, die Streckung des einen
Subjekts zum andern, die allem Gattungsleben entrissen ist und als
schlechthin individuelles Gefühl ganz innerhalb des Subjekts verbleibt –
gewinnt hier ihre seltne rückstandslose Verwirklichung.
Ich konnte darum die Sicherheit, mit der sie jede
Vertauschung indiskutabel macht, nur als eine apriorische bezeichnen.
Sie sollte nicht mit den Fällen verwechselt werden, wo,
nachdem einmal die Wahl getroffen ist und die mögliche Beziehung zu dem
ganzen Geschlecht sich auf ein einziges Individuum zusammengezogen hat, nun
von keinem andern mehr die Rede sein kann.
Hier ist die Exklusivität a posteriori, sie gilt für die
Zukunft, während sie dort ideell auch für die Vergangenheit gilt.
Es gibt wundervolle Lieben, die ganz das Phänomen der
absoluten bieten, aber doch nur in jenem Sinn empirisch sind und sich zu der
absoluten verhalten, wie die Endlosigkeit der Zeit zur Zeitlosigkeit, die
sich ja sozusagen praktisch auch nicht unterscheiden.
Wie die Liebe von Eduard und Ottilie die
Geschlechtsunterschiedenheit voraussetzt - die freilich nur die alles
durchdringende Färbung der Gesamtindividualität, des alleinigen Subjekts und
Objekts dieser Liebe, ist und nur für nachträgliche, irreale Abstraktion ein
Sonderelement in ihr bildet - so setzt sich die echteste Liebe, auch in
ihrer Steigerung zur absoluten, durchaus nicht gegen die einlaßbegehrende
Sinnlichkeit und ihre gattungserhaltenden Folgen zur Wehr, so wenig wie
überhaupt gegen eine Bestimmung, die der Persönlichkeit in ihrem Zentrum
anhaftet; nur dass sie sich ihrem Sinn nach gegen das Gattungsleben und
seine Zwecke als objektive Tatsachen einfach wie gegen ein Fremdes und
Gleichgültiges verhält.
Ich habe des tragischen Zuges gedacht, der sich als
Auflehnung ihrer unleugbar gattungsmäßigen Genesis dagegen fühlbar macht;
und wahrscheinlich handelt es sich dabei nicht nur um die Genesis, sondern
um das bleibende Fundament der Erotik.
Denn der Gegensatz, mit dem ich ihr Wesen zu bestimmen
suchte, hat seinen Radikalismus nur als Prinzip oder Idee; aber weder in der
phylogenetischen noch in der ontogenetischen Wirklichkeit ist es ein
historisch einmaliger Riss; ja ob er in der Erscheinungswelt überhaupt je
absolut geschieht, steht dahin.
Fortwährend vielmehr erhebt sich in diesem Lebensbezirk
die echte transvitale Liebe aus dem Gattungsleben und dem gattungsgemäßen
Leben, fragmentarischer oder vollkommener, bald als bloße Sehnsucht, bald
als rasch zurücksinkende Erhebung, bald mit relativ beständigem Kompromiss
oder Mischung des Biologischen mit dem rein Erotischen, bald mit unruhiger
Wechselherrschaft der Parteien.
Immerhin bedeutet der einmal aufgetauchte Widerspruch
zwischen ihnen nicht nur jene Tragik, sondern auch eine ganz reale Gefahr
für das Gattungsleben.
Denn indem mit steigernder Entwicklung der Erotik das
reine Individuum, d.h. das zentrale oder totale Subjekt eingesetzt und
gefordert wird, sind zwar die biologisch gattungsmäßigen Bestimmungen, wie
gesagt, nicht ausgeschaltet, aber für die isolierende Betrachtung sind sie
jetzt nur ein Faktor neben vielen andren, die eine Individualität zu
synthetisieren scheinen, und unter denen die dem unmittelbaren Gattungsleben
fernstehenden - begreiflich, wenn auch vielleicht nur vorübergehend - die
bewussteste Betonung erhalten.
Das aber kann bedenkliche Folgen für die Arterhaltung
haben.
Solange das Interesse dieser das Sein, wenn auch nicht
das Bewusstsein des Menschen beherrscht, kann man die Liebe mindestens der
Frau, als den Instinkt oder den Fahnenträger des Instinkts für den Vater des
bestmöglichen Kindes ansehen.
Hier liegt die biologische Rechtfertigung der
Liebesheirat.
Sie bedarf einer solchen nicht, insoweit das
Menschenmaterial als wenig differenziert vorausgesetzt wird.
Innerhalb eines solchen ist es für die Qualität der
Nachkommenschaft ziemlich einerlei, welches Paar sich zusammentut.
Das Interesse an dieser Qualität wird ersichtlich erst
praktisch, wo die Persönlichkeiten stark individualisiert sind, womit die
Gattenwahl von jenem Gesichtspunkt aus überhaupt erst richtig oder falsch
werden kann.
Gesetzt nun, eine Zwangsinstitution gestatte die
Zusammenführung der jeweils geeignetsten Exemplare - so fehlt uns
bekanntlich jede Möglichkeit, an hochdifferenzierten, hochkomplizierten
Wesen dieses Geeignetsein irgendwie sicher herauszuerkennen, wozu in der
Tierzüchtung freilich der Blick des Kenners völlig ausreicht.
Die gattungsmäßige Zweckmäßigkeit hat hier statt
begründeten Wissens nur den Instinkt zur Verfügung, dem in seiner
Bewusstseinsform als individuell erotische Zuneigung die Auswahl des
biologisch geeigneten Partners anvertraut und zugetraut werden mag.
Der Volksglaube an die besondre Trefflichkeit der »Kinder
der Liebe« kann zur Grundlage nur dies haben: dass Liebe eben da entsteht,
wo die elterlichen Individualitäten dazu determiniert sind, miteinander das
beste Kind zu erzeugen.
Unsere Ausführung, nach der die Liebe als solche sich der
Lebensströmung der Gattungszweckmäßigkeit entreißt, um ein eigenzentriertes
So-Sein des Subjekts auszumachen, widerspricht an und für sich dem nicht.
Denn die Genesis der Liebe lag in jener Strömung, die sie
nur transzendierte, um ihre Selbstheit zu gewinnen, und ohne weiteres nimmt
sie über diese Grenze Inhalte und Färbungen, Impulse und Werte mit, die in
ihrer Vitalform gewachsen sind und jetzt nur in neuer Tonart und Zentralität
wiedergeboren werden, wie die Naturanschauung der Dinge im Kunstwerk.
Aber von eben dieser subjektiven Zentralität droht eine
Abbiegung der herübergeretteten Gattungszweckmäßigkeit in dem Maße, in dem
die Liebe auch ihren Sinn aus dem ganzen Kosmos der Persönlichkeit zieht und
dieser einerseits reicher an mannigfaltigen Elementen, anderseits
individualisierter und sozusagen eigenwilliger wird.
Denn nun speist sich die neue, eigentliche Liebe auch
noch aus all den Elementen außerhalb der gattungsmäßig vitalen, und diese
andern können sehr wohl in ihrer Richtung und ihrem Charakter die
übermächtigen werden.
Die Empirie scheint dies als tatsächlich zu erweisen.
Wenigstens in unseren höheren Ständen ist zu beobachten,
dass die Liebe der Frauen, in geringerem Grade auch die der Männer, sich
mehr und mehr, allerdings noch keineswegs durchgehend, an die geistigen
Eigenschaften des Partners heftet, immer weniger mit dem Instinkt für dessen
biologische Tüchtigkeit solidarisch ist: Unscheinbar beginnend, tausendfach
gekreuzt und aufgehoben, wird mit dieser Entwicklung eine der ungeheuersten
Wandlungen eingeleitet: ihr Fortschreiten beraubt uns des einzigen Index für
die biologische Richtigkeit der Zeugungen, die Liebesehe verliert ihren
biologischen Wert! Mit diesem vitalen Widerspruch würde die Tragik der
erotischen Tatsache sich gewissermaßen einen Körper bilden.
Die Verselbständigung der Liebe gegenüber dem Leben, das
sie für seine »Zwecke« erzeugte, ihr Gesammeltsein in der Zuständlichkeit
ihres Trägers, ihre Ausbreitung auf dessen überbiologische Energien, ihr
Absolutwerden mit der Unauswechselbarkeit seiner Individualität - alles dies
verknüpfte sich zunächst nur mit der Gleichgültigkeit der Liebe gegen die
Teleologie des gattungsmäßigen Lebens; es bestätigt die Formel des Lebens:
das ihm Transzendente mit dessen absoluter Eigenwirklichkeit,
Eigengesetzlichkeit hervorzutreiben, nach dem Gesetz, das dieses Leben nicht
nur in seiner eignen Ebene weiter, sondern in die darüber gelegene Dimension
führt.
Nun aber droht die bloße Gleichgültigkeit sich zu
positiver Gegnerschaft zu entwickeln; jene Bestimmungen der Liebe scheinen
ihr allmählich den Sinn und Segen zu rauben, mit der sie sich selbst aus
ihrer transvitalen Autonomie noch in das Leben zurückerstreckt hatte.
Vollzöge sich diese Entwicklung immer weiter, so
erschiene es immer klarer als das Schicksal des Lebens: die Brücken, die es
für seine Wege gebaut hat, hinter sich abzubrechen und dieses Abbrechen
selbst als seine innerste Notwendigkeit, als die letzte Vollstreckung seines
Gesetzes der Selbst-Transzendenz anzuerkennen.
Ich hatte darauf aufmerksam gemacht, einen wie weiten
Begriff der Weltbeziehung des Ich der Begriff der Liebe deckt.
Das Wesen auch der spezifischen Erotik wird dadurch
geklärt, dass Gefühle, die doch sicher nicht aus zufälligem Missverständnis
oder Missbrauch den Namen der Liebe tragen, sich auf unzählige Gebiete
jenseits aller Geschlechtlichkeit erstrecken.
Dass die Liebe, von generativen Wesen zwar erzeugt, doch
in dem Augenblicke des reinen Sie-selbst-Werdens in eine neue gegen jenes
Leben gleichgültige Kategorie aufsteigt, ist um so überzeugender, wenn sie
sich in dieser Kategorie mit anderen »Lieben« zusammenfindet, die anderen
Inhalt, anderen Ursprung haben.
Und diese Ueberzeugung wird nicht herabgesetzt, sondern
gestärkt, wenn die formale Entwicklung sich der sexuellen parallel zeigt.
Auch hier können wir in vielen Fällen verfolgen, dass
Ursächlichkeiten und Zweckmäßigkeiten des primären, biologisch, egoistisch,
sozial-religiös, bestimmten Lebens Gefühlsverhältnisse liebender Art
erzeugen, die aber in der Strömung dieses Lebens nicht befangen bleiben,
sondern sich in jenes transvitale Reich erheben, das man im weitesten, nicht
theoretischen Sinne das ideelle nennen kann.
Diese Erhebung ist identisch damit: dass das Ereignis aus
einem zweckmäßigen, aktionsverwebten irgendwie äußeren zu jener
innerzentralen Zuständlichkeit des Subjekts wird, die eigentlich erst Liebe
heißen kann.
Zwei Erscheinungsgruppen sind hier von der
weitgreifendsten Wichtigkeit, die ich nach ihren sichtbarsten Zuspitzungen
als allgemeine Menschenliebe und als christliche Liebe bezeichne.
Was man sich typischerweise als allgemeine Menschenliebe
vorstellt, ist dadurch bestimmt, dass das Liebesgefühl sich nicht mehr auf
das Individuum wegen seines individuellen So-Seins richtet.
Nun geht es ja, als Erotik, freilich niemals auf diese
und jene einzelne Eigenschaft des Geliebten; eine solche bildet allenfalls
die Bewusstseinsvermittlung für das Verhältnis zum Totalbild des Menschen,
dem eigentlichen Gegenstand der Erotik, das sich jeder Festlegung auf
benennbare Eigenschaften entzieht.
Aber gerade, indem die Basierung auf diese abgelehnt
wird, erweist sich der Individualismus der Liebe; denn jede »Eigenschaft«
ist etwas Allgemeines, sie kann an beliebig vielen Subjekten haften: erst
jenseits aller Eigenschaften aber, in einer mit ihnen selbst nicht gegebenen
Verknüpfung ihrer liegt jenes wahrhaft individuelle, unauflösbar
einheitliche Totalbild, dem die Liebe gilt.
Nun aber steht eine Liebe in Frage, die von dieser
individuellen Einzigkeit wegsieht, und die anderseits ihre Richtung doch
daher empfängt, dass sie allem gilt, was Menschenantlitz trägt.
Sie ist etwas andres als der kosmische Eros, der
Liebespantheismus, die All-Liebe, die sich von einem Subjekt aus wie in
geschlossner Masse durch die Welt ergießt, weil hier das Aprion das Leben
der Persönlichkeit ist, und deshalb so ununterbrochen wie dieses selbst:
diese geht auf Gott und den Wurm, den Stern und die Pflanze, auf alles
Wirkliche, bloß weil es überhaupt wirklich, d.h. ein Gegenstand eben dieses
Subjekts ist.
Diese pausenlose Liebe äußert sich entweder als ein
weicher allgemeiner Lyrismus der Stimmung oder als eine religiöse Hingebung
an alle Dinge, weil sie von Gott oder von der Natur sind, oder als eine
eigentlich rationale Konsequenz, die mehr Gedanke und Forderung als
Gefühlserlebnis ist - und sie nimmt natürlich immer die Menschen in ihren
grenzenlosen Bezirk hinein.
Aber die »allgemeine Menschenliebe« ist anderen Wesens,
ist nicht ein Teil einer umfassenderen absoluten, sondern erfüllt nur das
besondere Verhältnis, das gerade von Menschen zu Menschen als solchen
besteht, und dies pflegt mit einer gewissen Exklusivität zu geschehen, die
ihre Träger jener pantheistischen Liebe ferner stellt.
Es scheint ziemlich zweifellos, dass die allgemeine
Menschenliebe, gerade als Liebesaffekt in der Regel etwas recht Kühles ist
und etwas vom abstrakten Charakter all der Allgemeinheiten hat, die das 18.
Jahrhundert zu Wertbegriffen schuf: der allgemeinen Menschenrechte, des
allgemeinen Pflichtgesetzes der Kantischen Ethik, der allgemein-menschlichen
Religionsidee des Deismus.
In dieser Form geht die allgemeine Menschenliebe
eigentlich auf das Abstraktum Mensch und indem sie erst auf dem Umweg über
dieses dem konkreten Einzelnen gilt, hat sie dann oft schon soviel Wärme
eingebüßt, dass sie wenig mehr als eine Einschränkung des homo homini lupus
besagt.
Dennoch liegt auch in dieser Abgeschwächtheit noch ein
Phänomen der echten Liebe vor, die sich, wie auch die große Erotik, einem
ursprünglichen bloßen Lebenszusammenhang entrafft hat.
Denn mir ist kein Zweifel, dass die allgemeine
Menschenliebe ihr Fundament oder ihre Vorform in jenen freundlichen, oft
schon wirklich liebevollen Gesinnungen hat, die sich innerhalb der
praktisch-sozialen Beziehungen, enger wie weiter Art, unvermeidlich erheben.
Unvermeidlich deshalb, weil ein solcher Zusammenhalt
durch keinerlei Nützlichkeitserwägungen, keinerlei äusseren Zwang, keinerlei
Moral in Bestand und Lebensfunktion erhalten werden könnte, wenn sich nicht
noch soziale Gefühle - dass man einander wohlwill und gern verbunden ist -
zwischen den Beziehungsfäden verbreiteten, die von jenen rationalen Mächten
gewebt sind.
Wenn das homo homini lupus wirklich gälte - was man
freilich nicht aus gutmütig-moralischem Optimismus ablehnen sollte -, so
würde es ganz einfach niemand seelisch aushalten, mit Menschen, gegen die er
die entsprechende Gesinnung hat, dauernd und eng zusammenzuleben.
Wie das bloße Recht, noch so spezialisiert und rigoros
angewendet, niemals eine Gesellschaft zusammenhalten könnte, wenn es nicht
durch sittliche freiwillige Akte der Güte und der Anständigkeit, der
Friedfertigkeit und des guten Willens ergänzt würde, so würden selbst diese
Unerzwingbarkeiten, mit dem Rechte zusammen, noch immer keine mögliche
Gesellschaft ergeben, wenn sie nicht weiterhin jene gefühlsmäßigen
Geneigtheiten, jenes Liebevolle und Liebenswürdige neben sich hätten, ohne
das die soziologische Nähe und Enge, das fortwährende Einanderberühren etwas
ganz Unerträgliches wäre.
Die freundnachbarlichen Gefühle, so wenig Illusionen man
sich über ihre Zuverlässigkeit, Ausbreitung und Tiefe machen mag, sind doch
ein unentbehrlicher Kitt jeder Gruppe, weniger vielleicht im positiv
verbindenden Sinne, als eben in dem: dass ohne sie ein sozialisierter
Zustand, namentlich bei schon differenzierten Persönlichkeiten zur Hölle
werden müsste.
Freundliche und herzliche Gesinnungen zwischen Menschen
in räumlich naher Beziehung pflegen doch nicht die Ursache dieser Beziehung
zu sein; sondern umgekehrt, aus dieser um irgendwelcher Ursachen
gestifteten, geht die Gesinnung erst hervor.
Und zwar nicht, wie es aus einer gar nichts erklärenden
Plattheit heißt, aus der »Gewöhnung« des Zusammenlebens; es würde vielmehr
zu dem dauernden Zusammenleben und gerade zu der Gewöhnung daran gar nicht
kommen, wenn sich nicht relativ bald zwischen den Parteien, als eine Art
organischer Schutzmaßregel gegen die Schwierigkeiten und Reibungen des
Zusammenlebens, innerhalb seiner jene lindernde Gesinnung ausbildete.
Wenn also die Formen und Kraftrichtungen der
Gesellschaften überhaupt als Notwendigkeiten eines zweckmäßigen
Lebensprozesses entstehen, so gehören diese liebevollen oder liebeartigen
Gefühle der gleichen sozialteleologischen Genesis zu.
Sie sind in die Praxis des sozialen Lebens verflochten,
wie die primären Geschlechtstriebe in die Praxis des sexuellen Lebens.
Und wie sich aus dem letzteren Affekt durch eine totale
Drehung des Sinnes die echte Liebe erhebt, so scheint die allgemeine
Menschenliebe sich jenen gesellschaftlich-vitalen Empfindungen zu verdanken
- natürlich nicht in mechanischer Parallelität mit dem individualistisch
erotischen Phänomen, sondern mit sehr entschiedenen Modifikationen und
Herabstimmungen, aber in der gleichen prinzipiellen Form.
Es wäre die banalste Assoziationspsychologie, die
allgemeine Menschenliebe als bloße allmähliche Erweiterung jener Elemente
des gesellschaftlichen Lebens zu deuten.
Sie hat vielmehr, in ihrer reinen Gestalt, die Brücke zu
aller Teleologie hinter sich abgebrochen, sie ist ein reines praxisfremdes
In-sich-Schwingen des Gefühls, das natürlich wieder in das Leben
zurückbezogen werden und sich in Handlungen äußern kann, eine immanente
Gestimmtheit des Subjekts, nicht aber gegen ein bestimmtes andres oder viele
bestimmte andre, sondern gegen den Typus Mensch überhaupt, wo immer er sich
im Individuum verwirklicht. 3
Es besteht eine tief gelegene, formal seelische Funktion,
die man nur als Abstraktion bezeichnen kann: die Konzentrierung oder
Kanalisierung einer Bewusstseinsenergie auf gewisse Elemente ihres
jeweiligen Objekts, dessen andre Elemente zwar mit jenen eine sachliche
Einheit bilden, jetzt aber von dem Bewusstseinsstrahl nicht getroffen
werden, und zwar nicht aus dem Zufall des Nicht-Bemerktwerdens, sondern weil
die seelische Energie nur zu jenen ersten eine Affinität hat, vermöge deren
sie aus ihnen eine neue sachliche Einheit formt, die nun die Ganzheit des
Objekts vertritt.
Diese Funktion kann in allen möglichen Bezirken der
Intellektualität, wie der religiösen Ergriffenheit, des Gefühls wie der
Gestaltungskraft wirksam werden.
Gelegentlich mag sie auch innerhalb des jetzt fraglichen
Gefühls den intellektualistischen Charakter zeigen, aber das bedeutet eine
Verblasenheit und Unechtheit des Gefühls; in seiner Reinheit ist es in
dieser Abstraktionsform durchaus ein Gebilde sui generis.
Dass es nicht auf besondere Individuen, sondern auf alle
Individuen gerichtet ist, ist der klarste Hinweis auf seine Gelöstheit von
praktisch vitaler Verknüpfung und sein Wesen als reiner Zuständlichkeit des
Subjekts.
Ohne Sozialität und deren Gefühlsbedingtheiten aber wäre
es wahrscheinlich so wenig entstanden, wie die Erotik ohne Sexualität.
Das innerhalb des sozialen Lebens schon übersingulär
gewordene Gefühl hebt sich nun ganz und gar in das Subjekt hinein und strömt
von ihm, wie von einer ersten Quelle, wieder aus, während es in jener
Vorform nur eine Welle war, die der Lebensstrom der Gesellschaft in seiner
Kontinuität gehoben und wieder in sich zurückgenommen hatte.
Dass diese Metamorphose in eine Gestimmtheit des
Subjekts, die aber innerhalb seiner sozusagen völlig diffus und deshalb
unbegrenzter Betätigung gewärtig ist - dass diese sich keineswegs häufig und
auch historisch sehr spät den sozialen Vorformen entringt, ist so wenig ein
Beweis gegen diesen Zusammenhang, wie es gegen unsre Deutung der Liebe
spricht, dass auch sie vielleicht spät und jedenfalls selten zu dem reinen
Gewinn ihrer selbst aus ihrer sexuell vitalen Vorform heraus gelangt.
So flächenhaft und lichtschwach diese Liebe zu jedem
Menschen überhaupt erscheinen mag, verglichen mit der erotischen, so lebt
doch auch sie von der gleichen prinzipiellen Wendung: ihre sozialen
Vorformen sind dienend, mittelhaft gegenüber der Zentralität des
soziologischen Lebens; wo dagegen allgemeine Menschenliebe gefühlshaft,
seinshaft echt ist, ist sie der Mitte des Subjekts einwohnend, ein sich
selbst tragender, selbstgenügsamer Wert, keinem Zweck, der ihn entspringen
ließe, verhaftet, sondern nun erst von sich aus einen warmen und sanften
Glanz stetig aus sich entlassend.
Was dem Gefühl der allgemeinen Menschenliebe den
Abstraktionscharakter gibt, ist die Ausschaltung der individuellen
Differenzen ihrer Gegenstände.
Indem dies ersichtlich schon bei der sozialen Liebe in
gewissem Maße stattfindet, setzt die allgemeine Menschenliebe es bis ins
Unbedingte fort - was sie dadurch erreichen kann, dass der Affekt sich aus
der Lebensverknüpftheit zurückzieht, nicht mehr in individuellen Realitäten
seinen Ansatzpunkt findet, sondern sich in jener eigentümlichen Einheit von
subjektiver Zentralität und Idee bewegt, die auch das Wesen der eigentlich
erotischen Liebe ausmachte und sich nun in der »Allgemeinheit«,
Ununterschiedlichkeit ihrer Gegenstände nach außen projiziert.
Gegenüber diesem abstraktiven Wesen Menschenliebe ist
das, was man christliche der allgemeinen Liebe nennt, ein verwandtes und
doch zugleich entschieden differenziertes Phänomen.
Denn mit ihr wird der einzelne Mensch nicht um
dessentwillen geliebt, was ihm mit allen andren gemeinsam ist und was
deshalb sein Besonderes und Persönliches prinzipiell außer acht lässt oder
es nur deshalb mit einschließt, weil es nun einmal mit seinem Allgemeinen in
Personalunion steht.
Die christliche Liebe vielmehr bezieht grade den ganzen
Menschen in sich ein.
Sie hat das Eigentümliche, dass sie sich zwar auf jeden
Menschen schlechthin richtet, aber ganz gleichgültig dagegen ist, ob der
eine etwas mit dem andern Gemeinsames hat oder nicht; sie liebt ihn eben so,
wie er ist, von der Peripherie bis zum Zentrum.
Das Bezeichnendste ist vielleicht, dass die allgemeine
Menschenliebe zwar auch dem Sünder gilt, aber eigentlich trotzdem er ein
Sünder ist, und nur, weil er schließlich doch auch ein Mensch ist.
Die christliche Liebe aber umfängt den Sünder, und grade
als diesen Sünder, wenn nicht mit größerer Liebe als den Normalen, so doch
jedenfalls ohne jenes »trotzdem«.
Das Unvergleichliche der Liebe, die man nach ihrer
historischen Situation die christliche nennen muss - obgleich diese
entscheidende Struktur ihrer mehr aus der Deutung gewisser Aeußerungen von
Jesus und aus der Psychologie ihrer Praxis als aus dogmatischer oder
literarischer Festgelegtheit erhellt - liegt in diesem Verhältnis zum
Individualitätsprinzip: dass sie dem Einzelnen gilt, als ob sie seiner
ganzen und persönlichen Beschaffenheit gelte, sich in ihn, als diesen
besonderen versenkt, und dass dennoch die, vergleichliche oder
unvergleichliche, Individualität des andern keineswegs ihr Motiv ist.
Das Eigentümliche dieser Struktur ist, dass sich die
Alternative des Bestimmungsgrunds: Individualität oder Allgemeinheit, als
unzulänglich zeigt.
Es ist ein prinzipielles, stimmungsmäßiges Umfassen aller
Individualitäten, das doch nicht durch den Allgemeinheitsbegriff
hindurchgeleitet wird.
Dies geschieht nur da, wo die christliche Liebe sich auf
den Glaubensgenossen beschränkt.
Dies aber scheint mir nicht der Sinn ihrer letzten Tiefe
zu sein.
Wenn Franziskus auch die Vögel und Fische liebt, so ist
das freilich ein Hinausschwingen seiner schlechthin liebenden, lieben
müssenden Natur, aber doch in der Richtung, die mit der christlichen
Stimmung gegeben war und dem Grade oder der Weite nach deren sonst gegebne
Energie überwachsend.
Das Entscheidende des Christentums ist eben, dass es die
Seele a priori als liebende bestimmt, so dass sie dadurch all-liebend sein
muss - wenn die Dynamik hier auch nicht über das Menschheitsall
hinauszureichen pflegt.
Gewiss kann niemand vom Christentum her eine erotische
Natur werden, wenn er es nicht von sich aus ist.
Es bleibt der Unterschied, dass in der erotischen Natur,
dem von seinem ursprünglichen Wesensgrunde her liebenden Menschen, die Liebe
dem Rhythmus und den Fluktuationen des Lebensprozesses folgt, also mit all
ihrer kontinuierlichen Erstreckung und ihrer Bestimmungskraft für alle
möglichen Beziehungen zu anderen Menschen, eben doch prinzipiell keine
Gleichmäßigkeit dieser Beziehungen involviert, keine Empfindung, die gegen
den Einfluss der individuellen Beschaffenheiten von vornherein immun wäre.
Auch die im vollkommensten Sinne erotische Natur zeigt -
weil es sich bei ihr eben um ein Leben in seiner nur sich selbst
gehorchenden, nur von innen bestimmten Intention handelt - die
Akzentverschiedenheiten, das Auf und Ab, das Uebermechanische und in gewissem
Sinne Willkürliche, das überhaupt das Wesen des Lebens als solchen gegenüber
all den Bestimmtheiten ausmacht, die es irgendwie von außen erfahren kann,
von irgendwelchen Potenzen, die, so wenig sie selbst etwa Begriffe sind,
doch als Begriffe, als für sich bestehende Einheiten ausgedrückt werden
können.
Wo das Leben von einer solchen hergeleitet ist, kann es
von ihr aus eine Uniformität seiner Momente erwerben, der gegenüber sein
natürliches Sich-Gestalten etwas Zufälliges hat, eine Gesetzmäßigkeit zwar,
aber keine Regelmäßigkeit.
Damit wird nun das eigentümliche Wesen der christlichen
Liebe gegenüber den beiden andern Formen klar, die sich prinzipiell
gleichfalls auf alles, was Menschenantlitz trägt, erstrecken: der
allgemeinen Menschenliebe, die von der christlichen unterschieden, nur das
Typische des Menschen als Menschen erfasst und die Ganzheit der
differenziellen Person draußen lässt oder wenigstens nur auf diesem Umweg
einschließt - und der erotischen Natur, die zwar gegen eine solche
Allgemeinheit ganz gleichgültig ist, und wie die christliche, die
Individualität ganz in ihre Sphäre zieht, aber doch mit Mannigfaltigkeiten
von Betonung und Intensität.
Denn sie stammt ganz unmittelbar aus dem primären, selbst
individuellen Leben, dessen rhythmischen und arhythmischen Lauf sie
begleitet, während die christliche Liebe von einer lebensjenseitigen Idee
beherrscht ist: von der gemeinsamen Gotteskindschaft, oder von dem Gebot
Jesu, oder von der Liebe zu Gott, deren Akzidens oder Vertretung sie ist.
Darum kann sie, grade ihrem Prinzip nach, nicht den
Unterschied zwischen den Menschen machen, den das Leben macht, und sich zwar
auf die vollen Individualitäten der Menschen beziehen, aber auf deren
Unterschiede keinen Unterschied ihrer Liebesakte selbst gründen.
Noch von zwei andren Seiten her wird diese eigentümliche
Undifferenziertheit der christlichen Liebe gestützt.
Sie knüpft sich an den absoluten Wert der Menschenseele.
Ich weiß sehr wohl, dass sich gegen diese absolutistische
Deutung der »Gleichheit vor Gott« einwenden lässt: weder von Jesus selbst
noch von den Autoritäten des Christentums würden die Unterschiede der Seelen
in ethischer Werthinsicht übersehen, die Gleichheit ihres metaphysischen
Wertes werde durch die Lehre von der Gnadenwahl unmittelbar dementiert und
selbst in der ewigen Seligkeit hebe die Abstufung von den großen Heiligen
abwärts die Absolutheit des Wertes durchaus auf, da diese keine solche
Relativität zulassen würde.
Dennoch bin ich überzeugt, dass all diese Unterschiede
sozusagen nicht bis auf den Grund gehn, sondern sich auf der Basis eines
vorausgesetzten absoluten Wertes erheben.
Die Gnadenwahl bedeutet ja gerade die Gleichgültigkeit
gegen jeden Selbstwert des Menschen, sie setzt die göttliche Willkür, die
erst ihrerseits den Wert erteilt, über jeden solchen relativen oder
absoluten und fällt deshalb als Entscheidungsgrund hier von vornherein fort.
Positiv nun: die ewigen Höllenstrafen können - dies
leuchtet wohl unmittelbar ein - sittlich religiös überhaupt nur auf die
Negierung oder Pervertierung eines absoluten Wertes gegründet sein.
Und weshalb ein solcher sich an verschiedenen Wesen nicht
in verschiedenen Graden zeigen soll, kann ich nicht einsehen, da sonst ja
auch die verschiedene Intensität der extensiv gleich absoluten Höllenstrafen
unverständlich wäre.
Wenn Gold als wirtschaftlich absoluter Wert gelten
könnte, so gibt es doch größere oder kleinere, mehr oder weniger legierte
Goldstücke, deren jedes als einheitliches Wertquantum wirkt und doch den
absoluten Wert sich mannigfaltig graduieren lässt - wie der seelisch
absolute Wert auf den Stufen des Paradieses graduiert wird.
Auch ist nicht denkbar, dass Gott die Liebe zu allen
Menschen geboten haben sollte, wenn die Abstufung des Wertes von dem
höchsten positiven zu den tiefsten negativen nicht einen überall vorhandenen
absoluten Wertkern unberührt ließe.
Und die bloße Möglichkeit, zu der Realisierung der
höchsten Wertstufe aufzusteigen, bedeutet einen selbst schon absoluten
metaphysischen Wert der Seele, gleichviel zu welcher relativen Erscheinung
sie ihn psychologisch ausgestalte.
So gewiss auch Höhe und Tiefe, Güte und Bosheit,
Stumpfsinn und Erleuchtung für alle möglichen Interessen des Christentums
belangreich sind - gerade in Hinsicht der, einem jeden zu gewährenden Liebe
sind sie es nicht.
Diese allgemeine und gleichmäßige Forderung wäre als
solche nicht begreiflich, wenn sie sich auf eine Wertstruktur richten
sollte, die von jener Relativität bestimmt ist; sie kann sich nur auf einen
Wert der Seele schlechthin richten, der ein in sich absoluter ist.
Freilich steht hiermit die Liebe, da sie noch immer eine
ratio für sich anführen kann, noch nicht auf ihrer höchsten Stufe.
Diese wäre erst erreicht, wenn auch jener letzte
Fundamentalwert und damit jede Qualität, die sie rechtfertigte,
verschwunden, wenn das Niedrige, Böse, Stumpfe das definitive Wesen
irgendwelcher Menschen wäre, ohne dass noch ein Wertstrahl ausgespart bliebe
- und die Liebe nun dennoch einträte.
Nun erst wäre sie wirklich causa sui, nun erst würde um
der Liebe willen geliebt, nicht mehr um eines außerhalb ihrer gelegenen
Grundes willen.
Es würde die christliche Liebe, wenn auch in ihrer eignen
Richtung, über sich selbst fortschreiten.
Auch dies aber, dass sie es nicht tut, dass sie an einem
geglaubten absoluten Wert der Seele als dem apriorischen Zielpunkt der
Liebesbewegung haftet - dieser Glaube, der freilich tief religiös ist, wie
der an den absoluten Wert des Daseins überhaupt, selbst wenn die »Welt«
verrucht, elend und gegengöttlich wäre - reicht aus, um der
Undifferenziertheit der christlichen Liebe den positiven Stützpunkt zu
geben.
Denn nun ist es begründet, dass sie sich um personale
Differenzen, die nur etwas Relatives gegenüber jener Absolutheit sein
können, nicht kümmert.
Damit aber stellt sich diese Liebe eben jenseits des
Lebens, das unvermeidlich in Relativitäten und Abwägungen von Art und Wert
der Menschen und in differenziellen Reaktionen unseres Empfindens und
Handelns gemäß diesen Abwägungen verläuft.
Ein dritter Hinweis endlich auf das gleiche Ergebnis
kommt von dem Verhalten des Liebenden selbst her.
Dieses Verhalten folgt einem Typus, dessen Form besonders
deutlich in Kants Ethik ausgeprägt ist.
Kant empfand mit voller Entschiedenheit die prinzipielle
gegenseitige Fremdheit, ja Heterogenität der beiden Elemente der sittlichen
Welt: der Freiheit und des Gesetzes - und brachte sie zur Einheit, indem er
erklärte, die Erfüllung des Gesetzes sei die eigentliche Freiheit.
Entsprechend verfährt das Christentum mit dem Problem
zweier religiöser Forderungen, deren Richtungen nebeneinander oder
gegeneinander laufen: das individuelle Heil der Seele und die Liebe.
Es rettet sich vor ihrem Dualismus, indem es bestimmt:
die Liebe ist der Weg zum Heil.
Auch vom Motiv der Heilsgewinnung aus gesehen aber haben
die Gegenstände der Liebesakte keine Differenzen, die um ihrer eigenen
Bedeutung willen eine Differenzierung dieser Akte beanspruchen könnten.
Freilich entgeht die christliche Liebe dadurch, dass sie
die Individualität ihres Gegenstandes ganz durchdringt und sich ihr hingibt
- obgleich die Unterschiedlichkeit dieser Individualität sie nicht berührt -
den bedenklichen Folgen der Tatsache: Dass in der Gleichgültigkeit von Wert
und Würde des Gegenstandes für den Liebesakt als solchen eine gewisse
Verächtlichkeit dieses Gegenstandes liegt.
Es ist dies eine übersteigernde Pointierung des Zuges
aller Liebe, dass sie etwas Unverdientes ist.
Selbst gegen gleiche Gegenliebe kann sie nicht einfach
aufgerechnet werden, so dass kein unbeglichner Rest bliebe, sie gehört zu
den nicht quantitativ bestimmbaren, also prinzipiell nicht zu »verdienenden«
Werten, weshalb sie ja auch eigentlich nicht »beansprucht« werden kann,
sondern unter allen Umständen, auch wo höchste Darbietungen und Gegenwerte
sie aufzwingen und ein Recht auf sie zu geben scheinen, doch immer noch
Geschenk und Gnade bleibt.
Alles Unverdiente aber, das uns von einem persönlichen
Wesen kommt, auch wenn es Glück und Gnade ist, drückt irgendwie herab; und
wenn es nur dem Bettelstolz als Demütigung erscheinen mag, so empfindet doch
auch der freier und größer Denkende ihm gegenüber Demut, von der der Empfang
jeder großen Liebe ein Element enthält.
Aber auch der »Gnade« kann man mehr oder weniger »würdig«
sein.
Und dass für die christliche Liebe eben als Liebe dieser
Unterschied nicht besteht, - obgleich sie ihn in andre Wertungsreihen
einstellen mag - könnte leicht zu einem Gefühl der Demütigung führen,
insbesondere, wenn das Unverdiente nicht einmal Gnadenwahl ist, sondern
jedes Wesen gleichmäßig trifft.
Nur das für diese Form der Liebe bestehende Interesse für
die volle Individualität ihres Gegenstandes vermag dieses Gefühl
hintanzuhalten.
Die Fremdheit gegen die Form des Lebens als solchen aber
bleibt auch hier noch bestehen, wo das personale Motiv: das eigne Heil
vermittels der Liebe zu gewinnen, die christliche Liebe besonders nahe an
das Leben mit seinen natürlichen primären Antrieben heranrückt.
Denn diese Antriebe, je weniger in sie Ideen oder Normen
lenkend eingreifen, folgen durchaus den Zufälligkeiten der inneren
Entwicklung oder der äußeren Anstöße.
So gesetzlich das Leben des Ich in sich sein mag, so sehr
all seinen Aeußerungen eine gemeinsame Farbe durch seinen beharrenden
Grundcharakter kommen mag, so ist doch - und gerade dann wenn es der nur in
ihm selbst liegenden Einheit untertan ist - sein Verhältnis zur Welt außer
ihm ein gewissermaßen zufälliges, ganz differentes, bald an diesen, bald an
jenen Punkt als Ziel seiner Impulsivitäten rührend.
Das religiöse Leben überhaupt führt zweifellos schon von
sich aus an die Liebesstimmung heran, wenn auch in den mannigfaltigsten
Stufen und Weisen.
Schon weil die Idee jeglichen göttlichen Wesens einen
Brennpunkt darstellt, in dem die Existenzstrahlen vieler Individuen neben
dem des einzelnen Gläubigen zusammenlaufen.
Ich kenne keine Religion, die nicht irgend etwas von
metaphysischer, ritueller oder praktischer Solidarität und altruistischer
Aufforderung, wenn auch nur innerhalb eines ganz engen Kreises, einschlösse,
ja vielfach ist sie geradezu der Ausdruck oder die Hypostasierung für die
Einheitlichkeit einer Gruppe.
Je mehr sie eben als unmittelbare Lebendigkeit auftritt, desto
entschiedener werden interindividuelle Folgen von ihr so verlaufen, als ob
sie von Liebe zu den von ihr designierten Glaubensgenossen bestimmt wären -
auch wenn dem tatsächlich andre Motive zum Grunde liegen.
Wenn ihr Wesen sich, statt in eine bestimmte Art, das
Leben zu führen, mehr in ein Dogma verlegt, so wird dieser Erfolg
zweifelhafter.
Denn mit dem Dogma vollendet sich die Enthebung der
Religion aus der Sphäre des Lebens in die der Idee.
Das christliche Dogma aber hat die Liebe in sich
aufgenommen, und sie eben damit in diese zweite Sphäre gehoben, wo sie als
»christliche Liebe« jene besondre Form der All-Erstreckung zeigen kann, mit
der sie uns ihre Fremdheit gegen den Eigenrhythmus des Lebens als solchen
verrät.
Insofern das Christentum als unspezifisches religiöses
Leben angesehen wird, führt es nur bis zur Schwelle der Liebe, wie das
sexuelle Leben es auf seinem Gebiete tut; sie ist solange nur latent in ihm,
ein Akzidens der allgemeinen Gerichtetheit des religiösen Lebens.
Nun aber bewirkt das Christentum die große Achsendrehung:
nun ist umgekehrt die Liebe ein letzter zentraler Punkt - womit sie
eigentlich erst »Liebe« wird - zu dessen Realisierung das Leben mit seinen
religiösen Energien aufgerufen wird.
Nachträglich kann sie natürlich auf das Leben
zurückwirken, darein aufgenommen werden.
Sie bleibt dann aber eben ein aufgenommener Inhalt aus
einer Sphäre eigener Geltung stammend, nicht aus dem Leben selbst, das von
sich aus über die ihr eigentümliche Form gar nicht verfügt.
So ist zwar die Vorform der Liebe ein Element oder
Produkt des religiösen Lebens, wie sie eines des biologischen Lebens ist,
aber indem sie wirklich christliche Liebe und Bestandteil des Dogmas wird,
transzendiert sie auch diesen Modus oder Bezirk der Lebendigkeit; von ihm
wieder aufgenommen, verrät sie ihre transvitale Eigenheit darin, dass sie
sich den auswählenden und individualistischen Bestimmungen, den
Unterbrochenheiten, Begrenzungen und Beeinflussbarkeiten des Lebens als
solchen, auch des religiösen, enthebt.
Bruchstücke und Aphorismen
Dass sich an den Begattungstrieb, der nur der
Fortpflanzung des Lebens dient, die Liebe schloss, die nach diesem gar nicht
fragt - das ist eine ungeheure Erlösung vom Leben.
Wie die Kunst es ist, sobald sie sich über das Natürliche
erhebt, das Religiöse, sobald es von Furcht und Hoffnung frei wird.
Die Liebe, die etwas ganz Selbständiges, Transvitales
geworden ist, an der sich die Abkehr vom Leben und dem Dienst an ihm
vollzogen hat, wird in der erotischen Natur wieder zu einem Leben, wie in
dem Künstler die überteleologisch gewordene Kunst.
Gerade wenn man von erotischer Natur spricht, kann es
sich nur um eine Art von Leben handeln.
Gerade das Leben eines solchen Menschen, mit seiner
inneren Teleologie, seiner Kraftbewährung, seinem Rhythmus, ist hier von dem
bestimmt, was sich vom Leben befreit hat, es ist in ihm wieder Leben
geworden.
- Darum konnte der H. Franziskus eine erotische Natur
sein.
In der erotischen Natur hat sich die Liebe am
vollständigsten vom Zeugungszweck emanzipiert - und das Entscheidende, in
die Tiefe der Lebens-Metaphysik Hinabreichende ist es, dass dies eben nicht
Abstraktion, sondern Natur ist.
In der erotischen Natur ist die Liebe Selbstzweck - weder
dass sie der Fortpflanzung dient, noch dass sie dem Genuss dient, ist ihr
entscheidend.
Erotische Natur? Eine, bei der die Liebe das A priori der
inneren Beziehung zu anderen ist? Das A priori bedeutet ja auch nicht, dass
es auf jeden Stoff angewendet wird.
Wir denken tausendfach nicht kausal (richtiger- und
ungesagterweise) und dennoch ist die Kausalität a priori.
Denn nur wenn wir so denken, denken wir richtig und
bringen die theoretische Welt so einheitlich zusammen wie sie sein soll.
So liebt zwar die erotische Natur nicht immer und nicht
jeden, aber nur insoweit sie es tut, bringt sie sich ganz zusammen, erfüllt
sie ihren objektiven Lebenssinn.
Verhält sich die erotische Natur zu dem gewöhnlichen
Liebenden, wie die schöne Seele zu dem bloß Moralischen?
Die erotische Natur als Grenzfall: Liebe muss tatsächlich
vom ganzen Menschen auf den ganzen Menschen gehen.
Denn das rein Sinnliche wie das rein Geistige der Person
steht jenseits der Individualität, bei beiden wäre der Ersatz durch beliebig
viele Einzelne möglich.
Die erotische Natur ist vielleicht die, für die Nehmen
und Geben eines sind, die gibt indem sie nimmt, nimmt indem sie gibt.
In der erotischen Natur ist die Beziehung zum Anderen
eine oder die Form ihrer immanenten Existenz - wie das räumliche
Aussereinander die Form der an sich unräumlichen Anschauung ist.
Das dem Begriff nach der Seele Transzendente ist ihr
metaphysisch oder erkenntnistheoretisch immanent.
Der nicht erotische Mensch liebt eben nach außen hin -
bei dem erotischen ist dies Außen eine innere Funktion.
Ist eine erotische Natur eine solche, bei der die Liebe
eine Produktivität des Wesens ist, nicht nur die Reaktion auf einen Reiz? In
der Jugend, in der wir nur überhaupt lieben wollen und müssen, sind wir
entweder alle erotische Naturen (aber das Vorübergehen dieser Epoche
beweist, dass dies nicht individueller, sondern nur genereller Natur ist)
oder man kann das Anschießen der sinnlichen Impulse, auch wenn sie rein
innerlich entstehen, dennoch als einen »Reiz« ansehen, der dem eigentlichen
Zentrum der Seele äußerlich ist und sich nur der Distanz nach von dem Reiz
durch ein schönes Mädchen unterscheidet.
Eine erotische Natur ist in jedem Fall eine solche, die
in jedem Augenblick weiß, wozu sie lebt - auch wenn dieses Wozu sich nicht
realisiert.
Was der erotische Mensch jedenfalls nicht ist: ein
sparsamer Haushalter, ein differenzierter Berufsmensch, ein Hypochonder.
Der Opern-Don Juan ist bloß physiologisch getrieben, mit
der Nuance, dass er dem Trieb nur an immer wechselnden Frauen genugtun kann,
der einzelnen sofort überdrüssig ist.
Nur scheinbar Individualismus, nur scheinbar Widerspruch
gegen das rein Generelle des Triebes.
Denn es bedeutet gerade, dass nicht die Individualität
der Frau ihn anzieht, die sich gerade erst nach der ersten sensuellen, und
also generellen Befriedigung entfaltet, sondern nur die formale Tatsache der
Abwechslung.
Es ist begreiflich, dass diese gerade da als Reiz nötig
ist, wo die Motivierung rein generell ist.
Verschieden davon noch der Typus, wo weder der Trieb als
terminus a quo, noch die Lustgier nach dem suprême moment das Motivierende
ist, sondern der Reiz der Verführung als solcher.
Teils sadistischer Machtwille, teils Vordatieren des
Reizes auf eine Vorstufe, was noch nicht mit der einfachen Antizipation
zusammenfällt, sich vielmehr von der Beziehung zu dem physischen Definitivum
ganz getrennt halten kann.
Der höchste Typus des Don Juan, der freilich nicht bis zu
1003 geht, besteht da, wo ein ungemessen starker, vielleicht das Absolute
der Persönlichkeit bildender genereller Trieb sich nur und sogleich in einer
individuellen Leidenschaft verwirklicht, an ihr seine alleinige Form findet.
(Analogie zu Schleiermachers individualistischer
Metaphysik.)
Es gibt Naturen, die in gewissem Sinne erotisch sind,
aber im Sinn, der durch eine Achsendrehung zustandekommt: die durchaus
geliebt sein wollen, immer und von jedem, aber nicht nur sich im einzelnen
Fall nicht dagegen einsetzen, sondern überhaupt nicht liebende Menschen
sind.
Die Erotik ihrer Natur, die zweifellos da ist, äußert
sich nur in diesem Rabenwollen der Liebe.
Dabei sind sie keineswegs passivistische Naturen, sondern
das Geliebt-Werden-Wollen ist eine leidenschaftliche Aktivität, für die sie
alles mögliche einsetzen.
Sie wollen nicht geliebt werden, weil sie selbst lieben,
sondern überhaupt aus keinem »Weil«.
Es ist das Urphänomen ihrer Natur.
Vielleicht dass die erotische Natur dem Allgemeinen
gegenüber die Empfindung hat, die in anderen nur durch Individualität
ausgelöst wird.
Für die erotische Natur wird das nur einem Individuum
gegenüber (ja eigentlich nur einem Individuum gegenüber) mögliche
Gefühlsverhältnis zum allgemein durchgehenden (wenn auch in verschiedenen
Maßen) - ohne aber in pantheistische Verneinung der Individualität zu
fallen.
Die erotische Natur ist nicht notwendig pantheistisch.
Im Gegenteil die pantheistische Lieblosigkeit gegen das
Individuum als solches kann ihr nicht sympathisch sein.
Viel eher ist die Schleiermachersche Philosophie ihr
Ausdruck.
Sie hat tatsächlich die liebende Gesinnung gegen jeden,
nicht weil er der allgemeine Mensch ist, oder weil der Weg zum Ganzen und
Absoluten über ihn führt, sondern sie macht an ihm Halt, sozusagen, als ob
es in diesem Augenblick nichts in der Welt außer diesem gäbe; auch diese
Empfindungsweise kann ja sehr verschiedene Grade haben.
Sie ist der Typus der Seelen, die verzeihen, nicht weil
sie verstehen, sondern obgleich sie verstehen.
Sie liebt nicht alle, sondern jeden, sie hat die feinste
Beziehung zum Einzelnen als solchen, der Einzelne ist ihr nicht aus
irgendeinem Grunde, der außerhalb seiner liegt, liebenswert.
Bei der erotischen Natur ist die Liebe keine Relation zu
einem anderen, sondern in sich beschlossene Absolutheit ihres Seins.
Die Liebe, die sich vom Dienst des Lebens befreit hat,
wird hier wieder zum Leben - zu einem Leben auf höherer Stufe.
Darum kann sie sich zu beliebigen Relationen entfalten.
Ich habe erotische Naturen gekannt, die einen einzigen
Menschen geliebt haben, vorher gar nicht wussten, was Liebe war und nun die
Absolutheit ihres erotischen Daseins in diese eine Relation hineinlegten,
ohne dass eine Schwankung auch nur denkbar gewesen wäre.
Und andere, bei denen ihr Wesen in eine All-Liebe
aufging, wie eine immer erneute Atmosphäre aus ihnen um sie aufstieg und
jeden, der in ihre Nähe kam, einschloss.
So kann die religiöse Natur ebenso monotheistisch wie
pantheistisch oder polytheistisch sein.
Das Letztere vielleicht am schwierigsten, weil zwischen
den einzelnen Punkten, auf die sich die Intention richtet, sozusagen leere
Strecken bleiben.
Das Phänomen der erotischen Natur ist der Pol einer
ideellen Skala, die vom Individuellsten zum Allgemeinsten führt.
Auf der einen Seite steht die singuläre Liebe zu der
einen Person, weil sie diese bestimmte ist, das Entstehn und Bestehn der
Liebesfunktion an diesem einen Inhalt.
Zwischen dem Allgemeinen und dem Individuellen des
Vorgangs existiert hier keine psychologische oder ideelle Scheidung, das
Subjekt kennt das Wesen der Liebe oder »die Liebe überhaupt« ausschließlich
als diese individuelle Liebe, die von ihrer Wurzel her ausschließlich durch
dieses Objekt hervorgerufen ist.
Die zweite Stufe ist es, wenn sozusagen das andre
Geschlecht als ganzes an die Stelle jener einen, die Liebe aufrufenden
Individualität tritt.
Es gibt Männer, die die Frau als solche lieben, das
weibliche Wesen überhaupt.
Hier sind noch die beiden Typen unterschieden: manche
Männer lieben sozusagen alle Frauen, die Summe der einzelnen, wobei
eventuell also die Individualität einer jeden als solche und besonders
geliebt werden kann: andre lieben das weibliche Prinzip, die höhere oder
tiefere (abstrakte oder organische) Einheit jenseits der Einzelnen und ihrer
Summe; hier gilt die Liebe der Einzelnen oft in dem Maße, in dem sie dieses
Prinzip vollständig und intensiv darstellt.
Zur äußersten Allgemeinheit indes steigt das erotische
Verhalten auf, indem seine Voraussetzungen exklusiv in das Subjekt
hineinrücken.
Dieser Mensch ist von sich aus so beschaffen, dass er
lieben muss.
Das bedeutet für sein ganzes Wesen eine Färbung und
Tendenz, die sich an seinem Verhältnis zum andren Geschlecht vielleicht am
stärksten und deutlichsten entfalten wird, aber auf dieses gar nicht
beschränkt bleiben kann.
Die erotische Stimmung ist für eine solche Natur eben das
A priori, wodurch allein die erotische Form oder das erotische Element für
ihre gesamten Aeußerungen als allgemein und notwendig bestimmt wird.
Es ist durchaus nicht erforderlich, dass dieses A priori
immer eine ungemischte Erscheinung oder gar etwa eine sexuelle ergäbe.
Die Sexualität ist eines seiner Betätigungsgebiete, aber
wie alle andern ein relativ zufälliges, äußerliches, als Material gegebenes.
Das Verhalten zu jedem beliebigen Menschen oder zu Gott,
zur Natur oder zum Schicksal wird nicht weniger durch die erotische Anlage
bestimmt oder mitbestimmt.
Nur Maß und Art dieser Bestimmung hängt von der
Individualität des Objekts ab, in absolutem Gegensatz zu dem ersten Typ, in
relativem zu dem zweiten.
Die prinzipielle Frage ist allerdings: geht alle Erotik
von der Sexualität als ihrer Quelle und bleibenden Substanz aus, oder ist
die Erotik eine primäre, selbständige Beschaffenheit der Seele? Schon die
einfache Tatsache, dass es überhaupt Liebe gibt, die weder inhaltlich noch
genetisch mit Sexualität zu tun hat, spricht für das letztere.
Die einer Natur einwohnende Erotik kann sich ebenso in
Verbitterung, Pessimismus, Welthass umsetzen, wie die Liebe zu einem
einzelnen Menschen in Hass umschlagen kann, der dann etwas ganz andres ist,
als ein auf andrer Basis entsprungner.
Es gibt erotische Naturen, die nicht sexuell sind.
Vielleicht Jesus, vielleicht Spinoza - der so erotisch
war, dass er sogar daraufhin, dass er die Dinge begriff, sie zu lieben
behauptete.
Freilich tritt die Erotik meistens in der Form der
Sexualität auf, so dass die meisten Menschen keine andere kennen und dadurch
die ekelhaften Verwechslungen entstehen - die einem die Vorstellung erwecken
könnten, die Psychologie sei in die Hände von Schlächtergesellen
übergegangen -, dass die Glut religiöser Mystiker für mittelbare Sexualität
gehalten wird, während sie unmittelbare Erotik ist.
An dem Begriff der Erotik wird am klarsten, was ich über
die Liebe (selbst im sexuellen Sinn) gesagt habe: dass sie ein
solipsistischer Zustand ist, ein Sein des Subjekts, das erst sekundär mit
dem Gegenstand, dem Leben zu tun hat.
Die erotische Natur ist eben erotisch, auch wenn sie
niemanden liebt, wie der starke Mensch stark ist, auch wenn ihm keine
Aufgaben gestellt werden.
Die Sinnlichkeit ist an sich das Generelle und insofern
der eigentliche Gegensatz zur Liebe.
Die Stufe, auf der auch die höheren Menschen jetzt
vielfach angelangt sind, ist ein Nebeneinander von beiden, das ziemlich
unorganisch, uneinheitlich ist; das eine wirkt als ein Zusatz zum anderen.
Problem: die wirklich durchdringende Individualisierung
der Sinnlichkeit, und zwar eine solche, die durch die Liebe bewirkt wird.
Es kann auch eine geben, die nur Sache einer allgemein
geistigen Differenzierung, ja Raffiniertheit ist.
Aber diese ist doch nicht prinzipiell dem einen
Gegenstand verhaftet, sie kann sich mit einem Wechsel des Geschmacks oder
überhaupt der Faktoren, die diese Verfeinerung bestimmten, auch einem
anderen Gegenstand zuwenden.
Erst wenn sie durch die Liebe geschieht, ist die
Individualisierung wirklich definitiv und in der Sache selbst begründet.
In dem sexuellen Akt schon Liebe zu sehen, ist zwar ein
sehr edler Optimismus, ein ideales Bemühen, das Niedrige zu adeln - aber
völlig verkehrt.
Das Leben stammt nicht aus der Liebe, sondern die Liebe
aus dem Leben.
Deshalb ist sie, sobald sie selbständig geworden ist,
auch unfruchtbar.
Sie kann von sich aus nicht das Leben erreichen, dies
muss noch von vornherein in ihr sein.
In dem hochzusammengesetzten Organismus übernimmt ein
Teil der Zellen arbeitsteilig das Fortpflanzungsgeschäft, das früher die
einzelne Zelle als ganze ausübte.
Diese Arbeitsteilung, die bei dem nur sexuell erregten
Menschen auch seelisch besteht, wird in der Liebe wieder rückläufig: der
ganze Mensch liebt.
Bei dem höher kultivierten Menschen findet diese
Rückläufigkeit sowieso statt; seine sexuelle, bzw. erotische Reizbarkeit
beschränkt sich, aktiv wie passiv, keineswegs auf den spezifisch sexuellen
Bezirk, sondern erstreckt sich eigentlich auf den ganzen Körper.
Bei der erotischen Natur auf die ganze Seele.
Der Geschlechtsakt enthält in seiner naturhaften
Primitivität den Trieb und den Zweck entweder gleichzeitig oder in
Indifferenz.
Das Tier fühlt sich getrieben und dient damit dem
Gattungszweck.
Die menschliche Ausbildung legt den teleologischen und
den impulsiven Charakter des Aktes auseinander, indem es ihn freilich mit
ganz andern Inhalten erfüllt.
Der Mensch kann ihn um des Vergnügens willen suchen, ohne
dass der Trieb eine Rolle spielt oder nur eine solche, wie es als Bedingung
der allein entscheidenden Lustbegier erforderlich ist.
Die Teleologie der Gattung ist hier zwar gleichfalls
radikal verschwunden, aber eine subjektive ist an ihre Stelle getreten, die
dem Akt nicht minder den reinen Charakter des Mittels zum Zweck gibt.
Andrerseits drängt die rein seelisch-erotische
Leidenschaft zu der körperlichen Vereinigung - wobei zwar der generelle
Trieb, wie latent er sonst auch sei, vorausgesetzt werden muss, während jede
auf Zeugung gehende Teleologie völlig verschwunden ist - ebenso wie jene
genusssuchende.
Es ist freilich Trieb, aber als solcher nur die ins
Physische sich fortsetzende Konsequenz der rein individuellen Erotik, von
dem Gattungszweck wie von jedem Zweck überhaupt emanzipiert.
Hier gilt nicht die banale Genealogie: der
Geschlechtstrieb ist die Basis der Liebe - sondern umgekehrt!
»Die ausgebildete normale Sexualität ist die Verengerung
und Zuspitzung einer in früherem Stadium des Individuums durch den ganzen
Körper und Nervensystem verbreiteten Triebhaftigkeit.
Diese nimmt erst mit solcher Zuspitzung auf die
Genitalorgane den Charakter der Sexualität an«.4
Eine erotische Natur scheint mir nun eine solche zu sein,
bei der die ganze Triebenergie und Triebverzweigung den erotischen Charakter
schon annimmt, bevor sie noch die sonst dazu erforderliche Verengerung
erfahren hat.
In zwei Fällen ist der Kuss symbolisch: in der
Freundschaft und in der reinen Sinnlichkeit.
Dort symbolisiert er die geistiggemütliche Beziehung,
hier das sexuelle Definitivum.
Der Kuss der Liebe aber symbolisiert nichts, es ist die
Sache selbst - wie die Musik, die alles was sie bedeutet, unmittelbar ist.
Die Liebe als Suchen, Versuchen.
Wir suchen den anderen in uns, in unserem eigenen Gefühl.
Dieses Suchen heißt Liebe.
Wir lieben ihn nicht erst und dann suchen wir ihn.
Vermöge der Liebe findet der Mann den Weg von dem ganzen
weiblichen Geschlecht zu der einen Frau, die Frau den Weg durch den einen
Mann zu dem männlichen Prinzip überhaupt.
Dort ist es Verdichtung, hier Erweiterung.
Wie generell die Liebe des Mannes und der Frau sich
unterscheiden, zeigt sich vielleicht am deutlichsten, ja krassesten, an den
völlig entgegengesetzten Empfindungen und Beurteilungen, die wir einerseits
an die Liebe des jungen Mädchens zu dem sehr viel älteren Manne, anderseits
an die des jungen Mannes zu der sehr viel älteren Frau knüpfen.
Die metaphysische Erotik: durch die Welt hindurch die
Frau zu lieben und durch die Frau hindurch die Welt.
Dass die Liebe das Ewige im Individuum sucht, mag sein -
aber sie kann ebenso das Individuum im Ewigen suchen, kann ebenso gut die
Wesensrichtung des Menschen auf das Absolute und Ueberindividuelle
zusammenziehen in das Definitivum einer individuellen Erscheinung und des
Verhältnisses zu ihr.
Plato liebt das Allgemeine im Individuum, wir das
Individuum als solches.
Aber gehört diese Alternative zwischen Allgemeinem und
Individuellem nicht zu den Alternativen, jenseits deren es ein Drittes gibt?
Zeigt dies nicht vielleicht grade die Liebe? Ist dieses Dritte nicht oft
etwas, was nur sein, nur erlebt werden kann und muss, und sobald es
intellektuell erfasst werden soll, in die Alternative übergeht, deren
Unzulänglichkeit wir fühlen aber eben logisch nicht überwinden können?
Gegenüber dem unmittelbaren Sein des einfach Lebendigen,
das von sich aus kosmisch verwurzelt ist, gegenüber auch dem Gegenstück
dazu, der Plotinischen Ekstase - ist das Wissen ein Fernstellen, ein
Distanzsetzen zwischen Subjekt und Objekt, wie die Mystiker es auch
abschätzen.
Vielleicht aber ist es doch der Versuch, diese schon
geschehene Spaltung zu überwinden, vielleicht auch der eine Akt, der die
Spaltung überwindet, indem er sie schafft, sie schafft, indem er sie
überwindet.
Allein der Getrenntheit bleibt das
Uebergewicht über die
Versöhnung, die Herstellung der metaphysischen Einheit von Subjekt und
Objekt ist auf diesem Weg nicht zu erreichen, es bleibt ein unendlicher
Prozess.
So mag es sich mit der Liebe verhalten.
Ich spüre unterhalb ihrer ein Verhältnis der Seelen -
»Verhältnis« ist schon ein dualistisch fälschender Ausdruck - eine
Zwei-Einheit, eine Absolutheit des Zusammenseins, Zusammenwerdens, welches
nicht Liebe ist.
Diese ist schon Fernstellung, Gegenüber,
Vorausgesetztheit des Fürsichseins - und zugleich der Versuch, dies zu
überwinden.
Das kann nicht gelingen; hat das Bewusstsein erst einmal
von jenem »Verhältnis« Besitz ergriffen, so macht es dieses wirklich zu
einem Verhältnis, bringt es in seine eigne antithetische Form.
Gelänge die Bemühung, so würde eben die Liebe nicht mehr
bestehen, sondern jenes andere; gerade wie die mystische Einheit mit der
Seinstotalität eben nicht mehr Erkennen ist.
- Plotin: die Einheit mit Gott in der Ekstase dauert nur
kurz, weil der Mensch in seiner Schwachheit fürchtet, Gott nicht zu
besitzen, wenn er ihn sich nicht als Objekt gegenüberstellt; und damit
gerade verschwindet er.
Mit dem Gegenüber der Liebe, durch das sie freilich erst
empirische Liebe wird, entsteht ihre Problematik und ihr Widerspruch.
Es liegt ihr etwas zugrunde, aus dem sich das
Zweiheitliche erst entwickelt.
Gerade wenn man zu Zweien ist, ist man allein: denn dann
ist man eben getrennt, ist »gegenüber«, ist der Andre.
Und wenn man zur Einheit verschmolzen ist, ist man wieder
allein: denn nun ist nichts mehr da, was die Einsamkeit des Nur-Eins-Sein
aufheben könnte.
Da man nun aber in der Liebe nicht einsam ist - so kann
sie in diesem logischen Dualismus nicht aufgehen.
Auch nicht dadurch, dass man seine Seiten durch eine
Kontinuität verbindet, wie es Plato versuchte: sie den Weg vom Nichthaben
zum Haben zu nennen, also von dem zu Zweien Sein zum Einssein (wie es das
Symposion ja auch deutet).
Diese bloße Vermittlung zwischen den Polen, deren keiner
Liebe ist, stellt sich nicht entschieden genug jenseits ihrer.
- Entsprechend im religiösen Verhältnis: es bedeutet
weder von Gott getrennt, ihm dualistisch gegenüber zu sein, noch mit ihm zur
Einheit verschmolzen zu sein.
Insofern ist die Liebe die reinste Tragik: sie entzündet
sich nur an der Individualität und zerbricht an der Unüberwindlichkeit der
Individualität.
Es gehört zu unseren tiefsten Schwierigkeiten und
Verhängnissen, dass wir die Intensität eines augenblicklichen Zustandes zum
Bestimmungsgrund dafür werden lassen, auf eine wie lange künftige Dauer wir
eine Verfassung oder ein Verhältnis anlegen.
Wir haben gar keinen anderen, denn jede rationale
Ueberlegung, welche Dauer denn die richtige wäre, kann als objektives
Kriterium nur ihre logische Form bieten und muss als ihre materiale
Voraussetzung, die allein den materialen Entschluss ermöglicht, eben jene
momentane Zuständlichkeit - das einzige worüber wir verfügen - annehmen.
Wir haben keine Formel, die mit objektiver Genauigkeit
die Intensität des jetzt auf die Extensität der Zukunft zu projizieren
gestattete.
Und vor allem: wie wir künftig sein werden, hängt
überhaupt nicht eindeutig von jener Intensität ab, zwei Entwickelungsreihen
von durchaus verschiedenen Kurven können an einem Punkt die genau gleich
große Intensität zeigen.
Ob dieser Punkt der echte Repräsentant unseres
Entwicklungsgesetzes
überhaupt ist oder nicht ist - darüber haben wir nur
selten ein richtiges Urteil.
Ein subjektiver Reflex verleiht der Ehe einen
eudämonistischen Erfolg, den die freie Liebe nicht besitzen kann: dass jeder
Augenblick die ganze Zukunft in sich schließt, dass kein Ereignis isoliert,
sondern ein Durchgangspunkt im Leben dieses Sozialindividuums zu Zweien ist,
dessen weitere Entwicklungen latent in ihm liegen, von ihm mit bestimmt
werden.
Diese Antizipation einer unabsehbar sicheren Zukunft, die
in jedem Glücksaugenblick einer monogamen Ehe liegt, bewirkt eine
unvergleichliche Erweiterung, Erhöhung und Vertiefung des Gefühls.
- Aehnlich im Religiösen: das Kind Gottes empfindet jeden
Augenblick des Lebens nur als Durchgangspunkt zu einer unendlichen seligen
Zukunft, die latent in ihm liegt und die es psychologisch antizipiert.
- Kontinuität des Lebens, die die Liebe und die
Religiosität schafft.
Man möchte nach einigen Symptomen schließen, dass der
Differenzierungsprozess der modernen Kultur die Dauerqualität der Liebe von
ihren obigen Materialitäten lösen, dieser eine von jenen immer unabhängigere
Existenz gewährend wird.
Die Vorschläge, die Ehe durch freie Liebe zu ersetzen,
entsprechen der Tendenz des Futurismus, der jetzigen religiösen Mystik usw.
im Wandel der Kulturformen.
Die alte Form ist ausgelebt, die neue noch nicht
geschaffen, so glaubt man im Formlosen den angemessenen Ausdruck für das
drängende Leben zu haben.
Aber es bleibt derselbe Widerspruch wie im
Expressionismus.
Freilich auch hier das tragische Grundphänomen: dass das
Leben sich eine Form schafft, die ihm zwar unentbehrlich ist, aber schon
durch die Tatsache, dass sie Form ist, gegen die Bewegtheit wie gegen die
Individualität des Lebens feindselig ist.
Unleugbar besteht zwischen der Erotik und der
Formfestigkeit der Monogamie ein Widerspruch, der sich nur durch glücklichen
Zufall versöhnt.
Tragisch wird er dadurch, dass die Erotik dennoch
tatsächlich auf sie hindrängt.
Es gehört zu seinen Symptomen, dass die Liebe sehr häufig
durch den Gegensatz der Naturen erzeugt wird, die gute Durchführung der Ehe
aber in hohem Maße von ihrer Aehnlichkeit abhängt.
Die Familienähnlichkeit hat schon ihren guten Sinn als
Bedingung der Familienmöglichkeit.
Und zwischen Mann und Frau muss schließlich auch eine
Familienähnlichkeit bestehen.
Sind die Gegensätze, die ursprünglich das Anziehende und
Verbindende waren, so stark, dass sie dies hindern, so gehts mit der Ehe
nicht.
Die Liebe ist eine Bindung der Seele, gerade wie die
Sittlichkeit; die Seele gehört nicht mehr in dem gleichen Maße sich selbst,
ist nicht mehr ebenso frei, wie sie es war, als sie noch nicht liebte.
Die ideale Aufgabe ist nun genau wie gegenüber der
Sittlichkeit: die Beschränkung der Freiheit ist als die höhere Freiheit zu
fühlen, dasjenige, was dem Ich als ein Forderndes und Bestimmendes von außen
kommt, als eine Erweiterung des Ich zu begreifen.
Gewiss, wir müssen die Worte nachsprechen, die uns der
sittliche Imperativ und die uns die Liebe soufflieren; aber wir selbst sind
die Dichter, die das von jenen Vorgesprochene verfasst haben.
Es gibt nur zwei Arten, die Freiheit und die Beschränkung
der Freiheit als eines zu fühlen: entweder muss das imperativisch
Vorgezeichnete aus dem Ich entsprungen oder das Ich aus jenem entsprungen
sein.
Entweder ist unser Ich das eigentlich produktive und
autonome und kommt in Sittlichkeit und Liebe zu seinem vollsten Ausdruck,
ihre Forderungen sind die idealen Formen seiner selbst, die es nur noch mit
seiner Realität zu erfüllen hat; oder sie gehören einem metaphysischen
Reiche an, dessen Ausstrahlung oder vielleicht nur dessen Metöke unser Ich
ist.
Ein wirklich freier Geist ist nur der Liebende.
Denn nur er tritt jeder Erscheinung mit derjenigen
Fähigkeit und Neigung zur Aufnahme, zu Beurteilung aus ihr selbst, zu vollem
Empfinden aller ihrer Werte gegenüber, die durch kein Vorangegangenes oder
sonst schon Feststehendes eingeschränkt wird.
Der Skeptiker, der kritische Geist, der theoretisch
Vorurteilslose verhält sich anders.
Ich habe immer bemerkt, dass diese Typen aus Angst vor
Unfreiheit jene, wirklich von allem Draußen unabhängige Aufnahme der
Erscheinung, zu der immer eine Hingebung an sie gehört, nicht vollziehen.
Der liebende Mensch ist der, der sich in dem inneren
Verhältnis zum Anderen nicht hindern lässt - wie es im Praktischen nur an
einem Gewaltmenschen zu beobachten ist.
Der Hass ist nicht ganz ebenso frei gegenüber den
positiven Werten der Anderen, wie die Liebe es gegenüber seinen negativen
ist.
Die Kategorie des Nehmens und Gebens innerhalb der Erotik
ist außerordentlich roh und unzutreffend.
Sie gehört zu der mechanistisch-logischen
Vorstellungsweise, die aus dem nachträglichen Verhältnis erstarrter, aus dem
Lebenszusammenhang gelöster Elemente das zusammensetzen will, was
unmittelbar einheitliche Strömung des Lebens selbst ist.
Da wird dann die Einheit, in der sich Zustände bieten aus
der Zusammensetzung eines aktiven und eines passiven Elementes hergeleitet,
die Güter der Liebe werden aus dem lebendigen Prozess der Liebe entfernt und
zu etwas Substantiellem gemacht, das man nicht ist, sondern hat.
Wie man »Vorstellungen« hat, die in Verhältnissen oder im
Gleichgewicht stehen, oder wie Lust und Unlust gegeneinander balanciert
werden.
Unglückliche Liebe im gewöhnlichen Sprachgebrauch ein
ganz schiefer Ausdruck.
Nicht erwiderte Liebe macht den Liebenden unglücklich,
aber in ihr selbst liegt kein Unglück.
»Unglücklich« ist die Liebe, wenn sie sich an einen
Gegenstand wendet, den man ihrer unwert weiß, gegen den sich Reserven,
Gleichgültigkeit, ja Abneigung neben der Liebe, ja vielleicht in den
tieferen Schichten unterhalb ihrer richten.
Da liegt das Unglück wirklich im Liebesereignis, während
es bei Unerwidertheit doch nur etwas Akzidentelles ist, das bei eben
derselben Liebe auch anders sein könnte und vielleicht morgen anders sein
wird.
Rohe Oberflächlichkeit der Begriffsbildung: unglückliche
Liebe - unerwiderte Liebe! Es gibt unerwiderte Liebe, bei der wir glücklich
sind und erwiderte, die uns elend macht.
Aber jene Synonymität beruht darauf, dass man das Wesen
der Liebe im Erstreben gewisser Aeußerlichkeiten (sozialer oder
physiologischer) sieht, deren Erreichung uns »glücklich macht« und die
allerdings nur der erwiderten Liebe zufallen.
Irrige Identifizierung der »glücklichen Liebe« mit der
erwiderten.
»Glück haben« ist noch nicht »glücklich sein«.
Die Gleichgültigkeit der Gegenliebe bei Plato besteht
doch zum Teil noch bei Shakespeare.
Teils ganz unmittelbar, indem der Verliebte den
Gegenstand seiner Liebe heiraten will und damit glücklich wäre, auch wenn es
ganz evident ist, dass von einer Liebe desselben zu ihm keine Rede ist; so
will in »Was ihr wollt« der Herzog Olivia, diese Cesario heiraten und
bestehen darauf, obgleich sie wissen, dass sie nicht geliebt werden.
Teils liegt es mittelbar in der überraschenden
Schnelligkeit, mit der der Gegenstand der Liebe kreiert und gewechselt wird
und mit der diese sich begnügt, so klar es auch ist, dass hier gar keine
irgend fundierte oder dauernde Liebe sein kann.
Nur in Romeo und Julia hat er davon überzeugen können.
Ueber die Stufe des » e r w V « ist auch Shakespeare, wenigstens in den
Lustspielen, nicht hinausgekommen.
Schopenhauers Wille ist trotz seiner Gründung im
metaphysischen Wesen des Subjekts doch durch den terminus ad quem bestimmt.
Diesem Willen ist eigen, sich auf ein ihm äußeres Objekt
zu richten, und darauf ruhen auch alle metaphysischen und pessimistischen
Folgerungen Schopenhauers.
Nun gibt es aber noch einen anderen Willen, der nicht
begehrt, der nicht auf ein Haben geht und seine Befriedigung als Wille nicht
von der Welt her erwartet: der Tatwille, der Wunsch, sich zu äußern, zu
betätigen, zu bewähren.
Dem entsprechen zwei Möglichkeiten der Liebe.
Die eine will etwas von dem geliebten Gegenstand, will
ihn in irgendeinem Sinne »haben«; ihr Sinn und ihre Entwickelung ist
durchaus von der Erwartung und dem Eintreffen der Antwort vom Objekt her
abhängig.
Die andere liebt eben schlechthin, sie ist eine ganz
subjektive - deshalb keiner Reaktion seitens des Objekts bedürftige -
Funktion.
Das »Wenn ich Dich liebe, was geht's Dich an«, ist nicht
ganz in diesem Sinn.
Denn dies ist ein Verzicht, eine Bescheidenheit, eine
Hemmung des Begehrens.
Die Liebe aber, die nur lieben will, braucht nicht zu
verzichten, weil sie von vornherein nicht begehrt.
Die christliche Liebe ist einigermaßen so angelegt.
An der christlichen Nächstenliebe ist dies das
Unsympathische, dass sie sich eigentlich immer nur um die Not des Nächsten
kümmert, sich nur als Impuls zur Hilfe darstellt, durch die Not erst
eigentlich hervorgerufen wird.
Sie kommt nicht aus der Fülle und dem seligen
Ueberschwang, der auch den Reichen beschenkt, und geht nicht auf Fülle und
Ueberschwang, sondern auf notdürftiges Helfen.
Und doch sollte Liebe diese beiden Strömungen haben - wie
die Religion aus dem Zuwenig und dem Zuviel des Lebens kommt.
Dass die christliche Liebe wesentlich auf Helfenwollen
geht, durch das Leiden des Anderen aktualisiert wird: dies zieht sie in das
Generelle hinein.
Dem tiefsten, ganz individuellen Leiden kann kein Anderer
abhelfen, nur dem allgemeinen: Not, Krankheit, Verlassenheit kann man Hilfe
bringen.
Der Inhalt dieser Liebestendenz ist ebenso generell wie
ihr religiöses Fundament.
Der »Geliebte« ist ein ganz besonderes Problem, das
streng genommen mit der Liebe gar nichts zu tun hat.
Die Liebe ist eben nur im Liebenden, der seelische
Zustand des Geliebten aber ist in seiner Seele, in der sich nach der
Voraussetzung nichts von Liebe findet.
Die Art dieses Zustands hängt ganz von dem ab, was an
Beschaffenheit und Reaktionsweise in seiner Seele besteht.
Sobald die erfahrene Liebe in ihm selbst Liebe
hervorruft, ist er nun ein Liebender, und das Problem fällt insoweit fort.
- Freilich gibt die Sonderart der auf diese Weise
entstandenen Liebe ein besonderes Problem auf, ebenso das Phänomen der
erwiderten Liebe, das Zusammen von Lieben und Geliebtwerden.
Geliebtwerden ist nur dann eine reine Passivität, wenn
das Objekt der Liebe entweder überhaupt nichts von ihr erfährt oder
keinerlei Reaktion (auch keine ablehnende) an sie wendet.
Ist dies aber der Fall, dann ist wieder der sprachliche
Ausdruck nicht ganz passend.
Geprügeltwerden ist zwar auch eine Passivität, aber eine
sehr entschiedene positive Bestimmung des Geprügelten, es hat seinen Sinn in
seiner Reaktion, wenn diese sich auch ganz in ihm vollzieht.
Eine solche aber muss auch im Geliebtwerden liegen, wenn
es überhaupt etwas auf sein Objekt irgendwie Bezügliches bezeichnen soll.
Sonst hat es überhaupt nichts mit ihm zu tun und die
Bezeichnung Passivität sagt schon zuviel.
Sehr ungeklärt scheint mir der Begriff zu sein, dass man
den geliebten Menschen »begehrt«.
Der eine begehrt nur seine Gegenwart, der zweite das
Bewusstsein der Gegenliebe, der dritte die Möglichkeit, sich für ihn
aufzuopfern, der vierte einen Kuss, der fünfte die körperliche Hingabe.
Aber die Grundfrage: begehren wir den eignen, durch diese
Gelegenheiten hervorgerufenen eudämonistischen Zustand oder wollen wir, dass
dieses statthabe, gewissermaßen objektiv, wie wir auch wollen, dass Werte
realisiert werden, die uns persönlich gar nichts angehn, wobei dann unsre
subjektive Reaktion etwas Sekundäres und Akzidentelles wäre?
Eine besondre Unklarheit wird dadurch hervorgerufen, dass
wir bei dem Geschlechtsakt das generelle, rein physisch bedingte Lustgefühl
in einer gewissen Selbständigkeit und inneren Sonderung gegenüber der
individuellen Persönlichkeit und dem Verhältnis zu ihr zu erleben scheinen.
Insoweit dies der Fall ist, ist der ganze Prozess ein
solipsistischer.
Das rein Generelle der sexuellen Erotik ist rein
egoistisch; und nur insofern wäre dies zu modifizieren, als das Ego, als
individuelles, in diesem Falle ebenso erloschen ist, wie das Du.
Begehren des Verschiedenen ein verschiedenes Begehren.
Ebenso Besitzen des Verschiedenen ein verschiedenes
Besitzen.
Die Gnade, die in jeder empfangenen Liebe lebt, ist
freilich keine vom Liebenden willentlich erwiesene, aber auch nicht nur
Gunst des Schicksals überhaupt, das einem dieses Glück zugewandt habe.
Diese ist es freilich auch, zugleich aber kommt sie doch
von dem Liebenden, aus einer letzten Schicht oder Ganzheit des Persönlichen,
die seines Willens gar nicht bedarf und ihm gar nicht zugängig ist.
Wo Wille ist, ist schon keine absolute Freiheit mehr, da
ist noch irgend etwas zu überwinden (sonst bedürfte es des Willens nicht),
da ist eine spezifische Energie der Seele wirksam, nicht die einheitliche
Kraft ihrer Gesamtwurzel.
Wie das göttliche Erhalten der Welt eine fortwährende
Schöpfung ist, so ist das Erhalten der Liebe eines anderen ein fortwährendes
Neugewinnen ihrer - und das Erhalten der eignen Liebe ein fortwährendes
Neuschaffen ihrer.
Der große Gegensatz, der die Welt als Seele und die Seele
als Welt bestimmt: Sein und Werden - offenbart sich auch an der Liebe.
Neben den Menschen, denen die Liebe ein Seiendes, ein
Beharrendes, ein Ein-für-alle-Mal ist, stehen die andern, für die sie
dauernd wird, eine rastlose Entwicklung, ein Anders-Werden, Neu-Erwerben;
nicht nur »Freiheit wie das Leben« verdient sich nur der, der täglich sie
erobern muss, sondern auch Liebe.
Die Liebe zum Leben, die nicht das Leben begehrt - ist
die zeitlose.
Aller Wille hat etwas Zeitliches, er spannt sich zwischen
dem Jetzt und dem Dann.
Die Liebe, die nichts will, hat alle Getrenntheit der
Zeitmomente in sich gesammelt.
Ein solches Gefühl muss Spinoza gehabt haben - nur dass
es für ihn der Gesamtheit des Seins galt.
Damit aber wird der Gegenstand der Liebe doch dem Ich zu
fern gestellt (darum amor intellectualis, der Gedanke greift beliebig weit
aus), nur durch den Pantheismus zusammengebracht.
Dass Gott uns nicht wiederliebt, ist die
Begehrungslosigkeit.
- Meine Liebe zum Leben: da ist die Liebe eben ein
Lebensvorgang selbst, das Gefühlt schließt alles ein, weil alles vom Leben
getragen ist, was in mir ist.
In dieser Liebe kehrt das Leben in sich zurück, wie Gott
in Spinozas amor Dei in sich zurückkehrt.
Fussnoten
1 Liebe und Hass als genaue Gegenstücke
anzusehen, als brauche man jedes nur mit dem umgekehrten Vorzeichen zu
setzen, um das andre zu haben - ist ein völliger Irrtum, nur dadurch
veranlasst, dass einige äußerlich praktische Folgen des einen als
unmittelbares Gegenteil von denen des andern erscheinen.
Allein auch diese Erscheinung ist kaum genau.
Ich wünsche dem einen Glück, dem andern Leiden; die
Gegenwart des einen beglückt mich, an der des andern leide ich.
Aber Glück und Leiden sind keine logischen Gegensätze.
Auch dass Liebe relativ oft in Hass umschlägt, beweist
nichts für die logische Korrelation.
Das Gegenteil der Liebe ist Nicht-Liebe, d. h.
Gleichgültigkeit.
Tritt statt deren Hass ein, so sind ganz neue positive
Ursachen dazu erforderlich, die etwa sekundär nun tatsächlich mit der
Liebe in Verbindung stehen, z. B. das Aneinander-Gekettet-sein, das Leiden
daran, dass man sich getäuscht hat oder sich hat täuschen lassen, der
Kummer über verlorene Glückschancen usw.
2
Die Verbindung, bis zur Einheit hingetrieben,
von Liebe und Moral ist genau so sekundär, ja brüchig wie die von Religion
und Moral. Gewiss ist auch Sittlichkeit eine »Idee«, über die
Zweckverknüpfungen des Lebens zu einem reinen Selbstzweck-Sein gehoben,
das nun umgekehrt alles Leben in seinen Dienst stellt. Allein gerade darum
geht es nicht an, die in der gleichen Kategorie stehende Religion durch
die Moral zu legitimieren, oder diese durch jene - denn darauf laufen doch
schließlich die Versuche ihrer Verbindung hinaus. Wenn für Kant »der
Mensch unter moralischen Gesetzen« nicht nur der Endzweck der empirisch
menschlichen Existenz, sondern sogar des Weltalls überhaupt ist, so dass
die Religion zum bloßen Anhängsel, genau betrachtet zu einem Mittel der
Moral wird, so ist dies wohl nur eine Fälschung des autonomen, von sich
selbst aus absoluten Wesens der Religion. Es verkennt nicht nur die, wie
mir scheint unleugbare psychologische Tatsache, dass es entschieden
religiöse Menschen von zweifelhafter Moral und tiefsittliche Menschen ohne
auffindbare religiöse Impulse gibt, sondern es ist einer Umdrehung des
Sachverhalts nicht fern. Denn bei all jener Uebervitalität der Idee
Sittlichkeit ist sie doch in ihrer Genesis und ihrer Ausübung den
Bewegtheiten des Lebens, den Zwecken und Interessen der
historisch-empirischen Individuen und Gruppen näher, von ihnen erfüllter,
als die Religion es ist. Ihre Gleichstellung als souveräne Idee verhindert
ihre gegenseitige Substituierung. Will man sie aber doch vergleichen und
verbinden, so übersehe man nicht die Differenz, die die engere
teleologische Verflochtenheit des sittlichen Verhaltens gerade dem
religiösen gegenüber mit sich bringt. Inhaltlich wie formal ist die
Verbindung verfehlt, die die eine von der andern abhängig machte, sei es
als ratio essendi, sei es als ratio cognoscendi. Analog steht es mit Liebe
und Moral. Es gibt Naturen von hohem ethischem Rang, denen Liebe nicht nur
in diesem oder jenem Sinn, sondern in jedem fremd ist; und erotische
Naturen, die das Wesen des Sittlichen nicht einmal verstehen, andere, die
es zwar verstehen, aber sich dadurch überhaupt nicht motivieren lassen.
3 Die Liebe zum »Menschen« als Idee, zur
Gattung als einem über den Individuen stehender Wert ist wieder etwas ganz
andres und der Menschenliebe psychologisch oft ganz unvereinigt. Nietzsche
hat die Liebe zum Menschen in diesem Sinn in leidenschaftlichstem Maß
besessen und gepredigt, die allgemeine Menschenliebe aber in seiner Lehre
und wahrscheinlich auch in seinem persönlichen Gefühl völlig abgewiesen.
4 Jung, Versuch einer Darstellung der
psychoanalytischen Theorie bzw. der Erotik, 39/40.
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