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Politische Wahlkampfwerbeprospekte im Internet

Am Untersuchungsgegenstand der Zürcher Stadtratswahlen ‘98

Hansueli Suter

Teil III

4. Einleitung

Man meint sich für die Welt zu öffnen und bezahlt dafür mit Blindheit in der Nähe.
Elias Canetti
[1]

Bezieht man sich auf die Wahlentscheidungsfindung nach visuellen Aspekten [2], vergrössert der elektronische Wahlkampfprospekt die Chancen der Kandidaten enorm, da der Eindruck nicht mehr alleine nach visuellen Symphatiekriterien Bestimmung findet, sondern auch Gefallen und Nichtgefallen der Websitepräsentationen (der spielerische Aspekt) mitbestimmend wird.

Bezieht man sich auf Ergebnisse der WEMF-Studie ‘98, so waren es nach statistischen Schätzungen zu jenem Zeitpunkt etwa 52‘000 regelmässige Internetbenutzer in der Stadt Zürich, die Zugang zu den elektronischen Wahlkampfprospekten der Stadtratswahlkandidaten hatten. Im vorhergehenden Kapitel konnte bereits in einem ersten Überblick zur Untersuchungen der Wahlwerbeprospekte festgestellt werden, dass sie dem Medium eher schlecht angepasst und kaum als wahlkampftauglich zu bezeichnen waren. Betrachtet man bspw. im weiteren die Tatsache, dass der Stadtratskandidat Elmar Ledergerber gerade einmal, der Kandidat Emil Grabherr nur etwa 10 bis 20mal, Vilmar Krährenbühl 12mal angeschrieben wurde, am Chat mit dem Kandidaten Hans Wehrli ca. 20 Personen teilnahmen, dann unterstreicht dies zum einen wohl nicht nur die Wahlkampfuntauglichkeit der Werbeangebote, sondern es kann auch ein Hinweis darauf sein, dass das Internet als Wahlkampfinformationsmedium von den Rezipienten ebenfalls nicht erkannt wurde oder im weiteren, das Instrument in der angewendeten Form als Wahlkampfmedium gar nicht geeignet ist. Auf Seiten der Sender, die Wahlkandidaten, wurde wohl ein neues Informationsangebot bereit gestellt, aber bspw. kein dem Medium entsprechender Informationsaustausch woraus eine neue Form von Öffentlichkeit hätte entstehen können.

Grundsätzlich kann die Frage gestellt werden, ob es einfach einen Prozess abverlangt, und ob aktive Beteiligung der Wähler in Wahlkämpfen via Netz einfach noch nicht als politkulturelles Verhalten entstanden ist. Es deutet vieles darauf hin, dass Internet im Wahlkampf auf beiden Seiten lediglich als ein Informationsbeschaffungs, respektive verteilungsinstrument interpretiert wurde, aber nicht als interaktives Beteiligungs- und /oder Mitgestaltungsinstrument. Das scheinen Zahlen der GfS-Studie [3] zur Internetnutzung im Zusammenhang mit der gesamtschweizerischen Abstimmung zur leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) vom 27. September 1998 [4] ebenfalls anzudeuten. 100‘000 Urnengänger (5% der Stimmberechtigten) haben sich in über 50 Adressen im Internet Informationen zum Thema besorgt; wobei das dabei festgestellte Publikum völlig dem Profil der bekannten Internetbenutzer entsprach: Männer mit höherer Ausbildung, aus besseren Einkommensschichten, im Alter von 30 bis 40 Jahren. Die eingerichteten Newsgroups der Auflagegegner verzeichneten seit Ende Juli über 800 Diskussionsbeiträge, jene der Befürworter seit Ende August mehr als 1‘000 Einträge. Die Diskussion im Gästebuch bezeichnet Stephan Appenzeller, Leiter des Komitees für eine gerechte Schwerverkehrsabgabe, mit gemischten Gefühlen. Ihn stört dabei vor allem, dass viele Beiträge aus anonyme Beschimpfungen bestanden. Dasselbe Problem wurde bereits beim Chat der Jungfreisinnigen mit dem Kandidaten Hans Wehrli sowie in einer Studie aus den USA (vgl. Fussnote 18, S.48) festgestellt. Und doch, wenn man sich nach Zahlen der WEMF-Studie auf die landes-weit 817‘000 regelmässigen Internetbenutzer bezieht, sind es lediglich ca. 0.2%, die einen aktiven Beitrag wahrgenommen haben, jedoch ca. 12%, die sich über diese Abstimmung via Netz politisch informiert haben.

Betrachtet man weiter, was mittlerweile in anderen Websites politischer Vertreter läuft, kann man gegenüber der Wahlkampfprospekte der Zürcher Wahlen feststellen, dass sie wohl einige der Defizite wie verpasste Interaktivität und Aktualität nicht aufweisen. Doch muss hier auch festgehalten werden, dass es sich bei Wahlen, Abstimmungen oder sonst irgendwelchen politischen Entscheiden auch um Fragen einer internet-thematischen Kompatibilität handelt. Das Interesse für die Beschaffung von Informationen bei Personenwahlen für politische Ämter ist ein anderes als bspw. zu Abstimmungsvorlagen oder den Informationsangeboten von Politikern zu ihren Tätigkeiten. Bei Abstimmungen irgendwelcher Sachlagen geht es um Meinungen und Ansichten, bei Wahlen um Kandidatenpräferenzen, bei denen allgemeine Sympathie, Parteizugehörigkeit, politisches Profil etc. schwer einzuschätzende Kriterien darstellen um überhaupt Interessen zu erwecken. Die Website eines Wahlkampfprospektes im Netz erhält wahrscheinlich bereits themenbezogen eher die Form eines ‘Spots‘, den der Rezipient sich dann in den meisten Fällen bereits mit einer bestehenden Einstellung für oder gegen einen Kandidaten ansieht (Uses and Gratification Approach).

Wenn es nur darum geht, PR-mässig eine weitere Plakatsäule zu schaffen, bringen Websites mit Wahlwerbung in den Formen, in welchen sie hier als Untersuchungsgegestand dienen, neben den bisherigen Werbeträgern wahrscheinlich wenig.

Innerhalb der Möglichkeiten, die das Internet zu bieten hat, wurde für Wahlkampfwerbung wahrscheinlich auch das falsche Register gezogen. Auch moderne Wahlkampfstrategien werden sich in Zukunft eher in Richtung Betreuung der Wähler begeben. Und so wird der Bereich für mediumbezogene interaktive Wahlwerbung für die Zukunft wohl eher bei den Plattformen Chat oder Newsgroup liegen. Dazu müsste aber vorausgehend erst die gesamte Wahlkampfstruktur (-kultur) Umgestaltung finden. Denn solange die Benutzung des neuen Informations- und Kommunikationsmediums nicht stärkere Verbreitung findet und hauptsächlich von einem Publikum der oberen Bildungs- und Einkommensschichten genutzt wird, sich nicht mehr Wahl-berechtigte aus eigener Initiative zu PR-Zwecken dem Internet bedienend als Wahlkandidaten aufstellen lassen, Newsgroups, Chats oder aus irgendwelcher Initiative heraus eigene Informationen zum Wahlkampfgeschehen im Netz anbieten, wird alles mehr oder weniger bei den alten Verhältnissen bleiben. Die bisherigen Strukturen im Wahlkampfgeschehen werden sich nicht verändern, die Politiker haben ein Werbeinstrument mehr und das Publikum wird durch das Aufkommen von noch mehr Information zu noch mehr Selektion gezwungen sein.

Inhalt

4.1 Politischer Hintergrund

Einleitend zu den Diskussionspunkten der Internetbenutzung und PR-mässigen Relevanz im Wahlkampfausgang sollen zur Vervollständigung die politischen Hintergründe des Anlasses kurz erläutert werden.

In der Stadt Zürich finden alle vier Jahre Stadtratswahlen statt. Im Gesamten sind dabei 9 Sitze im Exekutivgremium der Stadt zu besetzen. Dabei bewarben sich nach den Rücktritten von Wolfgang Nigg (CVP) und Ursula Koch (SP) 7 bisherige Stadträte um eine Bestätigung in ihren Ämtern. Um die 2 offenen Stellen neu zu besetzen, kamen insgesamt 6 der übrigen 13 sich neu bewerbenden Kandidaten chancenmässig wirklich in Frage. Geschehen ist dann, dass der bisherige Stadtrat Hans Wehrli (FDP), der einen Sitz für die Bürgerlichen inne hatte, nicht mehr in seinem Amt bestätigt wurde. Die Angst, dass es zwischen der Rot-Grünen Koalition und den Bürgerlichen zu einer Sitzverteilung von 4 zu 4 kommen könnte und der Landesring mit seiner Kandidatin Monika Weber das Zünglein an der Waage bilden könnte, war damit abgewandt. Von den 3 neu zu besetzenden Plätzen gingen dann gleich 2 an die Sozialdemokraten. Die in der Vorlegislatur schon existierende 5 zu 4 Rot-Grüne Mehrheit im Stadtrat wurde dadurch auf 6 zu 3 ausgebaut. Von den Tagespressen wurde der Wahlkampf als eher flau bezeichnet. Die Stimmbeteiligung betrug bei den Stadtratswahlen an diesem Wahlwochenende 1998 in Zürich 48.5% (1994 waren es 50.7%).

Seit 1990 regiert in Zürich eine Rot-Grüne Mehrheit mit 5 von 9 Sitzen. Die Bürgerlichen Parteien versuchten in diesem Wahlkampf ‘98 mit dem Slogan ‘Zürich braucht die Wende‘ als Wahlkampfthema (der gleiche Slogan wurde schon bei den Wahlen 1994 benutzt) verlorene Sitze zurückzugewinnen. Die Parole ‘die Wende‘ bezog sich nicht nur auf den politischen Bereich sondern auch auf die wirtschaftlichen Probleme der Stadt. Die bürgerlichen Stadtratskandidaten Martelli und Wagner (nicht so die FDP selbst) stellten sich aber (wahrscheinlich) nicht nur wegen der Nomination von Emil Grabherr (SVP) nicht mehr hinter der ‘Wende‘-Slogan [5] sondern auch, weil der Stadtrat in der letzten Legislaturperiode als eigentlich gut funktionierendes, geschlossenes Gesamtgremium aufgetreten war und im Vergleich zu den Verhältnissen der Vorperiode (1990-94) die Wende bereits stattgefunden hatte. So waren es im Wahlkampf ‘98 bspw. genau diejenigen Politiker des Rot-Grünen Lagers, die in vergangenen Jahren (ca.1990-96) die bürgerlichen Interessen, eine wirtschaftliche Standortförderung der Stadt zu erreichen, erfolgreich bekämpften, die diese Standortförderung nun als einen zentralen Punkt in ihrem Wahlprogramm aufführten. Uneinigkeit konnte sich die politische Führung der Stadt Zürich, nachdem 40‘000 Arbeitsplätze, Ebners BZ Bank und viel Steuersubstrat verloren gegangen sind, der Schuldenberg derart gewachsen ist, nicht leisten.

Inhalt

4.2 Kandidaten-Profile und Wahlresultate

Vorausgehend zur Diskussion der zu den Wahlkampfprospekten im Internet erstellten Protokolle soll auch noch ein Überblick über die 20 Kandidaten mit Hinweisen auf politische Profile, ob neu oder alt in der Mandatsbewerbung, mit eigenem (4) oder kollektivem (Partei) Wahlkampfprospekt (11) im Internet vertreten oder nicht (5), gewählt oder nicht, sowie die erreichten Stimmenergebnisse, gegeben werden.

Gewählt:

Josef Estermann (SP, bisher), auf Partei-Website, gewählt. (63‘390)

Thomas Wagner (FDP, bisher), auf Partei-Website, gewählt. (57‘884)

Monika Stocker (GP, bisher), eigene Website, gewählt. (57‘386)

Kathrin Martelli (FDP, bisher), auf Partei-Website, gewählt. (56‘914)

Monika Weber (LdU, neu), eigene Website, gewählt. (50‘629)

Willy Küng (CSP, bisher), auf Partei-Website, gewählt. (49‘836)

Robert Neukomm (SP, bisher), auf Partei-Website, gewählt. (49‘379)

Elmar Ledergerber (SP, neu), auf Partei-Website, gewählt. (49‘146)

Esther Maurer (SP, neu), auf Partei-Website, gewählt. (43‘886)

Nicht gewählt:

Hans Wehrli (FDP, bisher), auf Partei-Website, nicht gewählt. (43‘233)

Adrian Hug (CVP, neu), keine Website, nicht gewählt. (35‘107)

Vilmar Krähenbühl (SVP, neu), eigene Website, nicht gewählt. (31‘955)

Emil Grabherr (SVP, neu), mit eigener Website, nicht gewählt. (28‘758)

Susanne Gut (SD, neu), auf Partei-Website, nicht gewählt. (7‘615)

Etienne Rainer (parteilos, neu), keine Website, nicht gewählt. (1364)

Sandra Bütikofer (Humanist. Partei, neu), auf Partei-Website, nicht gewählt. (972)

Michael Gohlke (Humanist. Partei, neu), auf Partei-Website, nicht gewählt. (708)

Kunigunde Grätzer (pareilos, neu), keine Website, nicht gewählt. (626)

Charles Kunz (MaP = Mann macht Politik, neu), keine Website, nicht gewählt. (260)

Marcus Habermann (parteilos neu), keine Website, nicht gewählt. (122) [6]

Zusammenfassend erläutert: Von den Wahlfavorisierten Kandidaten der Grossparteien im Zürcher Wahlkampf waren 8 mit keinem eigenen Wahlkampfprospekt im Internet vertreten (Estermann, Maurer (neu), Neukomm, Ledergerber (neu), Küng (alle auf der SP-Website), Wagner, Martelli, Wehrli (alle auf der FDP-Website)). 7 von 8 wurden gewählt. Der bisherige Amtsinhaber Hans Wehrli warb im Netz in einer kollektiven Parteiwebsite (FDP) und einer Chat-Veranstaltung, wurde aber knapp nicht wiedergewählt. Allesamt waren sie in kollektiven Parteiwebsite mit qualitativ geringem Gestaltungs- und Informationswert aufgeführt. Die 2 Kandidatinnen Monika Stocker (Grüne) und Monika Weber (LdU, neu) mit eigenem Wahlkampfprospekt wurden gewählt; wobei die Kandidatin Monika Weber sehr zentral im Wahlkampf-geschehen stand, da sie sich gleichzeitig auch, als einzige Gegnerin des bisherigen Amtsinhabers (Estermann), um das Amt des Stadtpräsidiums bewarb. 2 der nicht-gewählten Kandidaten Grabherr und Krähenbühl (SVP) waren mit einem eigenen Wahlkampfprospekten im Netz, wurden aber deutlich nicht gewählt. Der Kandidat Adrian Hug (CVP) erreichte ohne Wahlkampfwerbung im Netz zwar ein besseres Resultat als Emil Grabherr und Vilmar Krähenbühl, wurde aber auch nicht gewählt. Gesamthaft haben 3 der Kandidierenden, die nicht gewählt wurden (Wehrli (FDP), Bütikofer und Gohlke (HP)), in einer kollektiven Parteiwebsite vertreten, Wahlkampf-werbung im Netz gemacht.

Inhalt

4.3 Gesamtdiskussion der elektronischen Wahlkampfprospekte

Für eine Gesamtdiskussion der elektronischen Wahlkampfprospekte wäre es kostbar gewesen, mit sämtlichen Kandidaten über ihre Erfahrungen, die sie damit gemacht haben, ein Interview zu führen. Genauso wichtig wäre es aber auch zu erfahren gewesen, warum gerade Aussenseiterkandidaten sich diesem Instrument nicht bedient haben. Die Interviews zu führen war leider nicht bei allen Kandidaten und Kandidatinnen möglich.

Bei den 5 Kandidaten ohne Internetwerbung (Hug, Rainer, Grätzer, Kunz und Habermann) haben alle ausser Herr Hug das Interview abgelehnt. Adrian Hug (CVP) gab an, dass ein Internetauftritt zwar geplant war, durch technische Probleme aber nicht realisiert werden konnte. Interessant im Zusammenhang mit der Untersuchungsthematik wären aber vor allem die 4 parteilosen Aussenseiterkandidaten (Rainer, Grätzer, Kunz und Habermann) gewesen, die weit abgeschlagen nicht gewählt wurden. Unverständlicherweise haben sie sich dem lukrativen, der für sie einzig zugänglichen PR-Plattform Internet nicht bedient.

Von den 15 Kandidaten die im Netz vertreten waren, haben 2, die sich einer eigenen Website für den Wahlkampf bedienten (Monika Stocker und Monika Weber) ein Interview abgelehnt. Es wäre auch bei ihnen interessant gewesen zu erfahren wie oft und worüber sie angeschrieben worden sind. Aber nach den Angaben von Emil Grabherr und Vilmar Krähenbühl (10-20mal / 12mal angeschrieben) dürften sich die Anschriften auch bei ihnen in etwa diesem Rahmen bewegt haben. Bei den 11 übrigen Kandidaten, die allesamt kollektive Auftritte in den Websites der Partei hatten, konnte eine Befragung zum Teil direkt oder dann mit den Sachbearbeitern der jeweiligen Partei, die für die Website zuständig waren, realisiert werden.

4.3.1 Zu den Websiteprofilen

Im ersten Teil der Untersuchungsprotokolle wurde die technische Nutzung der Websites betrachtet. Die Wahlwerbeprospekte im Gesamten ergeben nach den Kriterien der technischen Nutzung ein mehr oder weniger geschlossenes Bild. Eine einzige scherte mit einem Mehr an animierten graphischen Elementen aus (Grabherr), ansonsten haben sich aber alle in den technischen Möglichkeiten den etwa gleichen Rahmen gesteckt. Initianten waren in 6 Fällen die Kandidaten selber, bei den übrigen Kandidaten mit Werbung im Netz die Partei. Ton- oder Videodokumente wurden nicht direkt und Interaktivität nur gerade in 3 Fällen angeboten. Aktualität besass keine der Websites. Nachdem sie erstellt waren, wurden sie nicht mehr nachgeführt. Bis in 2 Fällen (Vilmar Krähenbühl und Humanistische Partei) wurde eine Bekanntmachung des Informationsangebots im Netz überall vergessen.

- Die Initianten teilten sich in die zwei Gruppen: a) Selbstinitianten, wobei hier nicht immer ganz klar war, ob es sich um den Kandidaten selber handelte oder um ein Unterstützungskomitee, das die Realisation in die Wege geleitet hatte oder b) die Partei der betreffenden Kandidaten. Hier wurde nicht eigens für den Wahlkampf eine Website eröffnet, sondern lediglich ein Kapitel in einer bereits bestehenden Website eingerichtet. In der Regel waren es in diesem Fall dann mehrere Kandidaten, für die zugleich im selben Kapitel oder nach Abschnitten unterteilt, Wahlwerbung betrieben wurde.

- Ton- oder Videodokumente wurden direkt von keinem der Kandidaten, aber auch von keiner Partei im Wahlkampf angeboten.

Eine sehr umfassende Audio- und Videothek im Netz hatte der Tages-Anzeiger in Zusammenarbeit mit den Lokalradiostationen und Lokalfernsehstationen anzubieten. Die Sozialdemokratische Partei (SP) und die Freisinnigen (FDP) hatten als einzige Informationsanbieter über ihre Kandidaten im Wahlkampf eine Vernetzung zu diesen Video- und Audioclips eingerichtet. Frau Weber hatte von ihrer eigenen Homepage einen Link auf die Website der Jungfreisinnigen Partei Zürich, wo sich ein Audioclip von ihr befand. Die Jungfreisinnigen bewarben sich für Sitze im Gemeinderat und hatten aus Sympathie, um Frau Webers Wahl zu unterstützen, auf ihrer Website diesen Audioclip eingerichtet. Vom Zuständigen Sachbearbeiter konnten keine Angaben darüber gemacht werden, wie oft das Tondokument aufgerufen wurde.

- Im Aufbau mit Photo, Graphik und Design waren sich alle Prospekte sehr ähnlich. Alle hatten auf der Titelseite ein Photo, ein bisschen farbiges Irgendwas, Inhaltsverzeichnisse mit Knöpfchen zum anklicken der Kapitel, zum Teil Parteilogos etc., auf den folgenden Seiten war meist nur noch Text. Dieses Schema der inhaltlichen Reihenfolge und graphischen Gestaltung war bis auf 2 Fälle immer daselbe. In der Website von Frau Stocker und der Humanistischen Partei wurde mit verschieden Photos auf verschiedenen Seiten versucht eine Auflockerung zu geben. Die Kandidatin sagt das - dieses Photo von ihr, auf der nächsten Seite das - ein anderes Photo von ihr. Herr Grabherr gestaltete seine Website auf den meisten Seiten mit animierten Elementen, die bspw. Parolen hervorhoben oder auf Links oder Anschriftmöglichkeit hinwiesen.

- Die Bedienungsfreundlichkeit war bis auf überladene Einstiegsseiten, die lange brauchten bis sie auf dem Bildschirm erschienen, oder den sehr textlastigen Prospekten ohne Textgestaltung, in denen mittels hervorgehobenen Textstellen und Passworten die Möglichkeit zur Schnellinformation nicht gegeben war (alle Kandidatenprospekte der SP, derjenige von Frau Weber und Herr Krähenbühl), im grossen und ganzen gut. Inhaltsverzeichnisse waren überall deutlich ersichtlich und wurden in alle einzelnen Kapitel übernommen. Die Verbindungen mit Links, wo vorhanden, funktionierten.

- Die Aktualität der Websites wäre ein wichtiger Punkt gewesen, der sich im Internet derart einfach anbietet, wurde aber bei sämtlichen Prospekten nicht realisiert. Einzig Monika Stocker und Vilmar Krähenbühl führten einen Terminkalender nach. Die Website der SP und diejenige von Monika Weber wurden nach dem Wahlkampf mit den Resultaten und einem Dankeschönbrief zum Wahlausgang nachgeführt. Die Websites der Parteien wurden zwar laufend mit Informationen nachgeführt, die Kandidatenportraits für den Wahlkampf blieben aber unverändert. In keinem der anderen Wahlkampfprospekte wurde während dem Wahlkampf neue Informationen (bspw. Kommentare zu Podiumsdiskussionen oder irgendwelche andere wahlkampfrelevante Ereignisse) nachgeführt. Gerade bei 2 Kandidaten waren das Datum der Erstellung oder der letzten Änderung (Veranstaltungskalender) angegeben. Aber ansonsten einmal erstellt fertig.

- Die Bekanntheit der Wahlkampfprospekte im Internet wurde völlig vernachlässigt. Die Vernetzung durch Links, aber nur unter den Wahlkampfkandidaten selber, war bei den meisten nur bescheiden. Das Potential um auf die Website aufmerksam zu machen wurde überhaupt in keiner Weise realisiert. Keiner der Kandidaten hatte auf seinen Plakaten oder in seinen Wahlinseraten in den Printmedien Hinweise auf die Existenz des Internetauftritts gemacht. Ein einziger Kandidat (Krähenbühl) hatte seine Adresse bei Suchdiensten im Netz eingetragen. Die Aussenseiterkandidaten der Humanistischen Partei, die keine Printmedienwerbung betrieben, führten die Adresse zur Anschrift im Internet auf einem Klebebild auf, das verteilt wurde. Ohne die Berichterstattung über die Websites in der Presse wären sicher noch weniger Internetbenutzer auf die Existenz der Prospekte aufmerksam geworden.

- Interaktivität war bei den gesamthaft 15 Kandidaten, die im Internet vertreten waren, nur gerade bei 3 gegeben (Stocker, Grabherr und Krähenbühl). Bei 11 Kandidaten, die in der Website der Partei mit Wahlinfos vertreten waren, war die Anschrift an die Partei wohl möglich, aber ob die Kandidaten diesen Kommunikationsweg auch anboten, war nicht ersichtlich.

In den Interviews äusserste man sich dazu dahingehend, dass - "wer hätte dann die (vielen?) Antworten schreiben sollen!" Man war sich einerseits der kommunikativen Zweiwegmöglichkeit bewusst, wollte sich aber keine Arbeit aufbürden (Aussage der SP). Auf Grund der Interviews aber fälschlicherweise, denn der Kandidat Elmar Ledergerber wurde im ganzen Wahlkampf nur 1mal angeschrieben, Emil Grabherr ca. 10 bis 20mal und Vilmar Krähenbühl ca. 12mal.

4.3.2 Zu den Inhaltsprofilen

Beim Untersuchungsteil der Inhaltsprofile ging es darum festzustellen, wie die Botschaften in den Wahlkampfprospekten inhaltlich im Instrument dargestellt wurden. Bis auf die Inhalte der Einstiegsseite waren die Unterteilungen in praktisch allen Websites nach dem gleichen Schema gegliedert. Zuerst folgten auf die obligate Einstiegseite eine Einleitung zur Person des Kandidaten, dann Daten zur politischen Laufbahn und politischen Arbeit. Weiter folgte ein Wahlprogramm und persönliche Standpunkte zu politischen Fragen, Veranstaltungstermine, Presseartikel, Aufführung der Unterstützungskomiteemitglieder und Links auf andere Wahlkampfkandidaten.

Überzeugender aufgefallen sind hier nur die Websites von Monika Stocker und Emil Grabherr. Informativ kann bei ihnen gesagt werden, dass ihre Wahlkampfprospekte dem Medium recht gut angepasst waren. Schon auf den Einstiegsseiten klar als Wahlkampfprospekt zu erkennen, mit persönlich ansprechendem Begrüssungstext und einem Hinweis auf Anschriftmöglichkeit. Die folgenden Seiten waren informativ beim einen, kreativ und unterhaltsam beim andern. Die kurze Lesezeit vermittelte bei beiden Tempo und Spannung.

Alle anderen Websites beinhalteten viel zu wenig oder viel zu viel an Information. Im Falle von zu viel waren es noch oft unrelevante Informationen. Die Seiten waren langweilig gestaltet, wenig oder gar keine Vernetzung wurde angeboten, das gesamte Konzept war dem Medium überhaupt nicht angepasst.

Gesamthaft kann zu den Inhaltsprofilen festgestellt werden, dass informationsmässig, als Träger von Wahlkampfinformationen, das Medium seinen Möglichkeiten entsprechend, bis bedingt in zwei Fällen (Stocker, Grabherr), nicht gut genutzt wurde. Die Angebote der Information gingen selten über den Rahmen bisheriger Wahlkampfwerbeinhalte hinaus oder zeichneten sich durch völlige Informationsüberlastung aus. Möglichkeiten der Vernetzung als erweiterndes Informationsangebot wurde nur anlassbezogen auf andere Kandidaten erkannt und da auch eher nur schwach eingesetzt.

Auf kongruente Inhalte der Werbebotschaften in anderen Informationsträgern wurde nicht geachtet.

Im Detail sollen hier im folgenden nur noch die Kriterien ‘Links‘ und ‘Vergleich Printmedien / Internet‘ zusammenfassend aus allen Websites betrachtet werden.

- Links wurden in allen Wahlkampfprospekten, ausser bei den Humanisten und der FDP, zur Vernetzung mit anderen Wahlinformationen eingesetzt. Die Links bezogen sich aber nur auf Websites anderer Parteien, der Stadt, auf Wahlkampfkandidaten oder die im Netz eingerichteten Dossiers der Tagespressen. Nicht ein einziges Mal führten von angesprochenen Themen in den Wahlkampfprogrammen Links zu diesbezüg-ichen weiteren und vertiefenderen Informationen -und wäre es nur in die Archive der Tagespressen gewesen. So hätte bspw. Elmar Ledergerber mit seinen Graphiken zu Wirtschaft und Politik ein paar Links zu detailierteren Studien machen können. Gerade das Instrument Internet könnte mit seiner fantastischen Möglichkeit der Vernetzung via Links anbieten, dass sich bei Wahlkampfprospekten der Rezipient sein Mass an Information selber gestalten könnte. Im weiteren könnten die Kandidaten dadurch auch ihren Präferenzen und persönlichen Neigungen weiteren Nachdruck verleiten. Die Website von Frau Stocker hätte diesbezüglich das beste Beispiel dafür bieten können. Ihre Informationen auf den einzelnen Seiten waren Schnellinformation für den Durchschnittsrezipienten. Links mit vertiefenden weiteren Informationen wären da perfekt angebracht gewesen und hätten die Website für den Besucher erlebnisreicher gestalten können. Allein, das Instrument wurde im kreativem Sinn, als Erlebnisraum für den Rezipienten von Information nicht erkannt. Die alten Paradigmen der Wahlkampf-PR herrschten vor und so wurde das Instrument in diesem Sinne auch hauptsächlich nur plakativ genutzt.

- Beim inhaltlichen Vergleich Internet / Printmedien wäre es eigentlich rein Wahlkampf- und PR-technisch am plausibelsten gewesen, wenn sich diese zwei Informationsträger gegenseitig ergänzend, inhaltlich auf einander Bezug nehmend, verstärkt hätten. Aber weder gab es in den Printmedieninseraten Existenzhinweise auf die Websites, noch gab es in den meisten Fällen weder im Inhalt der Wahlkampfbotschaften noch in den Parolen Deckungsgleichheit. Ausser bei der SVP, wo das Photo der Printmedieninserate von Emil Grabherr in seiner Website wiederverwendet wurde und so ein Wiedererkennungs- oder Erinnerungseffekt beim Rezipienten auslösen konnte, gab es nirgends kongruente Elemente in beiden Werbeinstrumenten. Man kann wahrscheinlich davon ausgehen, dass die meisten Kandidaten der Grossparteien für den Wahlkampf über PR-Berater verfügten, und umsomehr erstaunt dann die Konzeptlosigkeit im Inhaltszusammenspiel der zwei Instrumente Print- und elektronische Medien. Es ist ein weiterer Hinweis darauf, dass das Potential des Mediums Internet nicht erkannt und deshalb im Wahlkampf konzeptionslos eingesetzt wurde. Es ist etwas Neues da, man weiss eigentlich nicht genau was, aber macht mal mit und ist jedenfalls mit im Trend.

Wie für den Wahlkampf in den herkömmlichen Medien gilt auch für den Wahlkampf im Internet die Trennung von free media und paid media. Einem Teil kostenfreier Medienpräsenz durch allgemeine Berichterstattung zum Wahlkampfgeschehen bei den alten Kommunikationsträgern, bspw. in Zeitungen, Radio und Fernsehen, steht ein Teil kostenintensiver Medienpräsenz für Wahlwerbung gegenüber. Im Internet ist nun der Kostenanteil von paid media relativ klein. Träger von Werbung in diesem Wahlkampf blieben zur Hauptsache aber doch die Printmedien. Über die Printmedienanstalten wurde auch der free media-Teil im Internet umgestaltet, indem in den Websites der Tagespressen spezielle Dossiers zum Wahlkampfgeschehen einrichtet und umfassendste Informationssammlungen zum Wahlkampf angeboten wurden.

4.3.3 Zu den Dokumentationsformen

Mit den Kriterien der Dokumentationsform sollte die im elektronischen Prospekt intendierte Persönlichkeitsnähe des Kandidaten und die Rezipiententauglichkeit seiner Botschaft untersucht werden. Zusammenfassend wurde das neue Instrument in der Dokumentationsform für Wahlkampf-PR nicht viel anders genutzt als die bisherigen Informationsträger der Printmedien. Es wurden dieselben inhaltlichen Elemente benutzt (Photos, Slogans etc.), oft irrelevante meist textlastige Botschaften vermittelt. Ersichtliche kongruente oder reziproke Elemente mit Werbeinhalten in anderen Werbe-trägern gab es keine. Bis auf drei Websites (Grabherr, Stocker, Humanistische Partei) waren alle anderen in einem unpersönlichem Dokumentationsstil gehalten. Dass hinter den Texten ein Wahlkandidat in Person steckt, wurde kaum vermittelt und die Distanz zwischen Sender und Empfänger blieb ohne Interaktionsangebot dieselbe. Dies bezog sich vor allem auf die erstellten Wahlprospekte der Parteien. Bei den aus Initiative der Kandidaten erstellten Prospekten waren Elemente von Persönlichkeit eher vertreten.

An den Rezipienten, der diese Websites aufruft, wurde in den meisten Fällen überhaupt nicht gedacht. Auf die Fülle der Information wurde nicht geachtet, die Lesbarkeit war oft nicht besonders gut, Inhaltsrelevanz zum Anlass war oft nicht gegeben, zusätzliche Information und Interaktivität wurde nicht angeboten, wochen-lang dieselben Informationen ohne Nachführungen. Die Websites als ganzes blieben inhaltlich ohne Anziehung.

Einzig als neu zu verzeichnen war die Tatsache, dass drei Kandidaten persönliche und eigene Wahlkampfwerbung ohne Hinweise auf Parteizugehörigkeit oder irgendwelchen Parteiphrasen erstellt haben.

- Zur Information ist zu sagen, dass grundsätzlich in keiner der Websites die informativen Möglichkeiten des neuen Mediums umgesetzt wurden. Meist wurden lediglich auf gegebene Werbeparadigmen hin ausgerichtete Einwegwerbebotschaften gestaltet. Die mangelnde Interaktivität, Aktualität und Vernetzung deuten dies bspw. an. Angegebene Wahlgründe oder Kandidaten, wieso die Rezipienten der Website sie überhaupt wählen sollten, waren in Form von Slogans bei den meisten vorhanden. Inhaltlich stichhaltig waren diese Gründe aber nur bei den Kandidaten, die sich um eine Wiederwahl bewarben und dabei auf ihre bisherige Arbeit und Erfolge verweisen konnten oder bei Kandidaten, die sich auf politische Erfahrungen und Bekanntheit berufen konnten. Um in der Werbung Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, die für die Wahl der Kandidaten sprechen würde, wurde meist versucht, durch aufgeführte Empfehlungsschreiben oder Listen von Mitgliedern eines Unterstützungskomitees, vollen Termin- und Veranstaltungskalendern den Eindruck engagierter Politiker zu vermitteln. Was dabei völlig zu kurz kam, waren konkrete Vorschläge und Ideen, was wie in den nächsten Jahren angegangen werden oder in welcher Weise verändert oder weitergeführt werden soll. Verbindliche Programme waren nirgends ersichtlich.

- Mit Symbolik ist der Inhalt der Botschaft gemeint: was sie ausdrückt, welcher Eindruck gesamthaft vermittelt werden sollte. Symbolik die durchkommt, unterstreicht die Persönlichkeit, welche hinter der Botschaft steht, was Nähe zwischen Sender und Empfänger suggeriert. Schlechte Beispiele waren da bspw. auf der SP-Website die langweiligen Empfehlungsschreiben von Schriftstellern für die Kandidaten. Wenn dem Rezipienten ihm unbekannte Personen andere Personen empfehlen, weil diese sich scheinbar nicht selber empfehlen können, wird damit kaum Nähe geschaffen. Oder wenn, wie beim Kandidaten Krähenbühl, ein Portrait eines Politikers derart ohne Kanten und Ecken gezeigt wird, dass der Rezipient sich am Schluss gar kein persönliches Bild vom Kandidaten mehr machen kann. Monika Webers sich dauernd wiederholende Appelle ans ‘Wir-Gefühl‘ schaffen den Eindruck, dass man ihr dann immer helfen muss, wenn sie erst mal gewählt ist. Der Internetauftritt der drei FDP-Leute vermittelte überhaupt keinen Eindruck (ca. 10 Sätze und ein kleines Kohlenstiftportrait des Kandidaten). Dem gegenüber Monika Stocker, die sagte: "das und das hab ich gemacht, ihr seid zufrieden und ich mache das auch weiterhin so." Sie versprach dem Wähler Rendite. Oder Emil Grabherr, der sagte: "man wirft mir dies und das vor..., das stimmt doch gar nicht, im Gegenteil, so und so... ." Er debattiert und regt den Rezipienten dadurch an, sich mit der Person des Kandidaten zu beschäftigen. Solche Inhalte vermitteln Aus- und Eindruck.

Bis auf die Wahlkampfprospekte von Monika Stocker, die sich auf ihre bisherige Arbeit berief, Emil Grabherr, dessen Persönlichkeit in seiner Website durch seine Offenheit stark durchdrang und Elmar Ledergerber, der auf seinen Seiten überzeugend Kompetenz ausdrückte, wurde in keinem der anderen Prospekte ein genügender Grad an vermittelter Persönlichkeit erreicht. Die Personen, die sich hinter den Botschaften befanden, wurden durch die faden, nichtssagenden Slogans und Botschaftsinhalte, die für ihre Wahl sprechen sollten und den mangelnden Vorschlägen und Ideen in ihren Wahlprogrammen nicht sichtbar.

- In den Sprach- und Textformen zeichneten sich konzentrationsmässig sämtliche Kandidaten durch schwache, nichtssagende, sloganartige Phrasen aus, die in der Art bereits von den herkömmlichen Medien bekannt sind. Persönlichkeit kam in den wenigsten Fällen nicht zum Ausdruck. Die Sprachform war meist in einem reinen Dokumentationsstil den Botschaftsinhalten angepasst. Im Vergleich zu den Inseraten in den Printmedien war interessant, dass bspw. die SP mit sloganbezogen starken Elementen in der Printmedienwerbung arbeitete, im Internet aber durchgehend brav und unauffällig war. Emil Grabherr gestaltete dies als einziger in der vorgenannten Form gerade umgekehrt. Er war auch der einzige, der mit Parolen, die zusätzlich noch aus Printmedienberichten bekannt waren, arbeitete. Ausser bei Emil Grabherr (‘die Wende‘), sowie etwas weniger hervorgehoben bei Monika Weber (‘der Aufbruch‘) waren nirgends Parolen in den Websites zu finden. In den Websites waren inhaltlich eher nichtssagende Slogans vorherrschend. Damit sind abgemilderte Formen von Parolen gemeint, wie aus den Texten hervorgehobene Passworte und Sätze oder fette und farbige Übertitel. Solchen graphischen Darstellungen haben sich alle, (zum Teil stark) bedient. Doch diese Elemente gingen meist in einer Textfülle unter und waren auch als Passworte zum Schnellesen meist nicht zu gebrauchen.

- Hinweise auf Partei oder Parteizugehörigkeit ist ein besonders interessanter Punkt im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand. Das Medium Internet bietet bei Wahlen allen die Möglichkeit, dass ein PR-Instrument zur Verfügung steht, wo vorher keines war. Die bisherigen Instrumente der Kandidaten um Aufmerksamkeit und Bekanntheit zu erlangen, waren vor allem Inserate in der Tagespresse und Plakate oder Wahlkampfveranstaltungen der Partei. Wahlkampfwerbung kostet aber viel Geld und Veranstaltungen nehmen viel Zeit für aufwendige Organisation in Anspruch.

Letzten Endes ist es aber vom Bekanntheitsgrad eines Kandidaten abhängig, ob er Chancen hat gewählt zu werden oder nicht. Ohne die Unterstützung einer Partei oder

Organisation ist es für einen Kandidaten fast unmöglich, eine Wahl zu erlangen. Mit dem leicht für PR zu verwendendem Instrument Internet, unter der Voraussetzung dass es sich für Informationsbeschaffung in Wahlkämpfen noch stärker verbreiten wird, werden für Wahlkandidaten die finanziellen Probleme und Abhängigkeiten von Parteien oder Organisationen dahinfallen. So haben bspw. zwei Kandidaten, die eine eigene Website als Wahlwerbeprospekt eingerichtet hatten, darin keinerlei Verweise auf ihre Parteizugehörigkeit sichtbar gemacht (Weber und Krähenbühl). Eine weitere Kandidatin mit eigener Website (Stocker), hat mit einem Parteilogo, das gleichzeitig als Link zur Parteiwebsite diente, auf ihre Parteizugehörigkeit hingewiesen, aber inhaltlich im Text ihrer Website die Partei dann mit keinem einzigen Wort erwähnt.

Drei der aufgeführten privat erstellten Wahlwerbeprospekte (Stocker, Weber und Krähenbühl) zeigen also, dass der bisherige Parteistatus in Wahlkämpfen bei Partei-angehörigen an Wichtigkeit verloren hat. Der Kandidat Emil Grabherr, der eine eigene Website eingerichtet hatte, machte dagegen bewusst auf jeder seiner Seiten textlich oder mit Symbolen und Parolen auf seine Parteizugehörigkeit stark aufmerksam.

Auch die Botschaftsinhalte der Website der zwei Kandidaten der Humanistischen Partei richteten sich verstärkt auf Parteizugehörigkeit. Doch in diesem Fall dürfte der Effekt eher destruktiv gewesen sein. Die Humanistische Partei lässt sich inhaltlich eindeutig als streng-ideologische Partei einstufen. Hätten die beiden Kandidaten in ihrem Auftritt weniger Bezug auf diese Partei genommen, dann wäre beim Rezipienten der Website eher der Eindruck entstanden, dass einfach Ideologien der Partei vertreten werden. Und im weiteren, da eher wenig über diese (Aussenseiter-) Partei bekannt ist, hätte weiter der Eindruck entstehen können, dass es sich bei diesem Wahlwerbeauftritt lediglich um zwei ideologievertretende Kandidaten handelte, die sich im Wahlkampf gemeinschaftlich bewarben und die Partei wäre so nie in den Vordergrund getreten. Das Sektenhafte der Partei, das im Inhalt der Website dann eben auch als ungerechte Beschuldigung thematisiert wurde, war dem Stimmenfang sicher nicht förderlich.

- Im Vergleich Printmedien / Internet haben sich die Kandidaten nach Kritikpunkten der Dokumentationsform in beiden PR-Instrumenten eher schlecht angepriesen. Der Verdacht liegt nahe, dass den meisten Kandidaten (bis auf Frau Stocker und Herr Grabherr, auch der Auftritt der Humanisten kann hier ausgenommen werden) mit dem Entscheid einen Internetauftritt zu gestalten, vor dem Problem standen, dass es sich hier nicht einfach um die bisherigen Verhalte ein Inserat zu gestalten handelte, sondern bereits eher einem aktiven Werbeauftritt nahe kommt. Es macht den Anschein von Orientierungslosigkeit - was tun, wie sich verhalten und als Folge scheint es, wurde ziemlich konzeptionslos einfach irgend etwas gemacht. So hatte sich bspw. die SP scheinbar vorgestellt, dass viel Text Eindruck von Kompetenz vermittelt. Ob dies dem

Medium nun angepasst war, stand dabei wahrscheinlich nie zur Frage. Bei den FDP-Kandidaten wiederum hätte die gesamte Information auf einer Postkarte Platz gefunden. Die von den Kandidaten selbst erstellten Wahlkampfprospekte verfügten dem gegenüber über viel relevantere Botschaftsinhalte und ein ausgewogeneres Mass an Information. Vermittelte Persönlichkeit der Kandidaten sowie die Darstellung konkreter Ideen und Vorschläge in den Wahlprogrammen, ein in seiner Glaubwürdigkeit stichhaltig vermitteltes ‘darum-lohnt-es-sich-mich-zu-wählen‘ standen auch beim neuen PR-Instrument hinter der Darstellung unverbindlicher Wahlwerbeinformationen zurück.

4.3.4 Einzel- und Kollektivauftritte in Wahlkampfprospekten im Internet

Auffallend unterscheiden sich die Websites der Kandidaten, die für sich selbst zu PR-Zwecken im Wahlkampf eine Website erstellt haben von denjenigen Seiten, die von den Parteien zum gleichen Zwecke angeboten wurden. Diejenigen in den Parteiwebsites vermittelten Botschaftsinhalte waren allesamt in einem unpersönlichen, reinem Dokumentationsstil gehalten. Weder Interaktivität noch Aktualität wurden angeboten. Die Inhalte zeichneten sich, wie erwähnt, durch völlige Informationsunausgewogenheit aus. Vor allem die Websites der FDP und der SP zeichneten sich rezipientenbezogen als sehr ungeeignet für einen Auftritt im Internet aus und liessen völlige Konzeptionslosigkeit erkennen. Es ist naheliegend bei ihnen davon auszugehen, dass sie nicht von den Kandidaten selbst mitgestaltet, sondern lediglich vom Parteisekretariat in Auftrag gegeben wurden. Diesbezüblich müsste dann auch konstatiert werden, dass eigentlich nur gerade 6 der 20 Kandidaten (die vier Kandidaten mit eigenen Websites und die zwei der Humanistischen Partei) auf Internet Wahlwerbung aus eigenem Interessen betrieben haben.

Bei einem Kollektivauftritt, ob nun auf einer Parteiwebsite oder nicht, ist im weiteren festzustellen, dass der Verlust der Persönlichkeit auch bereits schon dort entsteht, wo der Wahlkampfkandidat nicht persönlich aufgerufen werden kann, respektive die ersten Elemente eines Persönlichkeitseindruckes entstehen doch schon bereits dann, wenn die Website eines Kandidaten persönlich aufgerufen werden kann. Es ist dasselbe, wie wenn man auf einem Platz mit 20 aufgestellten verschiedenen Wahlplakaten steht. Es wird eine Auswahl getroffen nach Bekanntheit, Unterhaltungswert etc. und die anderen werden kaum zur Kenntnis genommen. Im Falle der Websites von FDP und SP erschien erst die Partei auf dem Bildschirm und erst nachdem dort eine Auswahl getroffen wurde, konnte ein Zugang zum gewünschten Kandidaten hergestellt werden. Der jeweilige Kandidat war dabei aber nur einer unter anderen.

Die persönliche, aus der Sicht des Benutzer auch bewusste Anschrift, war für die Kandidaten mit eigener Website bereits ein entscheidender Punkt für Erfolg ihrer Werbung im Netz. Nur eben hätte sich gerade da in den Botschaften durchdringend die Persönlichkeit und Kommunikationsnähe des Kandidaten dann fortsetzen müssen. Reiner Dokumentationsstil des Inhalts kann sich da nicht als produktiv erweisen. Persönlichkeit und Nähe wurde nur in 3 der untersuchten Fälle erreicht, im einen durch die Kürze und Sachbezogenheit in den Inhalten der Botschaft, eine ‘Chrampferin‘ (M.Stocker), ein offenbar sachkompetenter Profi (E. Ledergerber) und in der textinhaltlich ehrlich vermittelten Charakteristik eines ‘Polteris‘ (E. Grabherr).

Im Prinzip kann man sagen, dass vom Moment an da sich der Rezipient auf den Seiten eines Kandidaten befindet, der Hinweg an sich unwesentlich ist und als Kriterium, ob nun persönlich angeschrieben oder über eine Partei angeklickt, wegfällt. In der Art und Weise der Seiten fällt dann aber doch die persönliche Note ins Auge. Im Gesamtkontext lösen sich die unter einer Partei angeklickten Kandidaten nicht vom Hintergrund der Partei ab, wohingegen persönliche Seiten von Kandidaten verstärkt personifizierte, parteilosgelöste Elemente aufweisen. Die Botschaftstexte der Kandidaten in den Parteiwebsites weisen alle eine äusserst sachliche Darstellungsform auf, dagegen ist bei den persönlich initiierten Wahlkampfprospekten eine verstärkt personenzentrierte Identität feststellbar. Die technisch-graphische Qualität (Gefallen) der Websites war verschieden. Auffallend dabei war der Gradmesser Layout. So sind es bei den Kandidaten mit eigenen Websiteangeboten vor allem die graphisch und technisch aufwendigeren Gestaltungen der Seiten im Netz. Dem gegenüber standen die eher klar getrennten allgemeinen und nüchterner gestalteten Info-Seiten in den Websites der Parteien.

Für Kollektivauftritte in Websites von Parteien würden sich bspw. Chats eher eignen, in denen sich die Kandidaten in PR-Mässig geeigneter Form unter Mitinbezugnahme des Publikums zu bestimmten Themen unterhalten würden (symbolische Politik).

4.3.5 Schlusszusammenfassung der Protokolle

Durchgehend ist bei den meisten der erstellten Websites Konzeptionslosigkeit festzustellen. Der Anfang ist bereits in der mangelnden Bekanntmachung der erweiternden Informationsmöglichkeit im Internet ersichtlich. Bis in zwei Fällen wurde nirgends weder in Inseraten noch auf Plakaten, auf die Websites aufmerksam gemacht. Vilmar Krähenbühl meldete seine Adresse bei verschiedenen Suchdiensten im Netz an und die Kandidaten der Humanistischen Partei machten ihre Internetadresse auf einem Klebebild, das verteilt wurde, bekannt. Bei den anderen wurde wahrscheinlich davon ausgegangen, dass einmal im Netz, die Information den Rezipienten ganz automatisch erreichen würde, ähnlich wie bei Zeitungsinseraten der Leser beim durchblättern der Seiten auf die Inserate stösst.

Bei den inhaltlichen Konzepten, die den Informationsangeboten der Websites inne waren, kann man davon ausgehen, dass das Instrument zwar als Kommunikationsinstrument bekannt war, aber auf Grund der mangelnden Interaktivität und Aktualität, dem mangelndem Hervortreten von Persönlichkeit der Kandidaten und den oft in reinem Dokumentationsstil gehaltenen Wahlbotschaften das Instrument in seinem Inhalt und seinen Möglichkeiten nicht erkannt wurde. Das Informationsangebot blieb vom Stil und von der Distanz zwischen Sender und Empfänger her dasselbe wie bisher in den Printmedien. Doch kann beim Verhältnis von nachgefragter und angebotener Information auch festgestellt werden, dass dort wo die Möglichkeit zur Interaktion angeboten wurde, dieses Angebot von den Websitebesuchern auch nur wenig in Anspruch genommen wurde (Bsp. Ledergerber 1mal angeschrieben, Grab-herr 10 bis 20mal, Krähenbühl 12mal). Zum einen kann dies daran gelegen haben, dass bei den 11 Kandidaten, die in Kollektivauftritten in der Website ihrer Partei vertreten waren, die Möglichkeit der Interaktivität mit den Kandidaten auch nicht explizit angeboten wurde, obwohl sie über die Parteianschrift hätte zustandekommen können, zum anderen aber doch auch ganz offensichtlich daran, dass das Bedürfnis zur Interaktion bei den Rezipienten gar nicht bestand. Der Grund dafür könnte wiederum in den Ausführungen der Websitegestaltung liegen, da die meisten der elektronischen Wahlkampfprospekte in ihrer informativen Gestaltung nach herkömmlichen Inhalten zu erkennende Inserate konzeptioniert wurden. Die Kandidaten versuchten wohl sich eingehender darzustellen, woraus in den meisten Fällen aber nur ein Mehr an Text resultierte.

Auf eine Komplementarität oder Kongruenz zwischen den verschiedenen Kommunikationsträger wurde nicht geachtet. Mit Komplementarität ist eine voneinander abhängige, untrennbare Beziehung gemeint. Bezüglich der beiden Kommunikationsinstrumente, die im Wahlkampf als Werbeträger benutzt wurden, würde der Begriff die Rollenbeziehung zwischen den Printmedien und dem Internet bezeichnen. Eine Reziprozität in der Rollenbeziehung der beiden Instrumente im Wahlkampf hätte dahingehend Inhalt gehabt, wären die jeweils vermittelten Informationen im einen vertiefend und ergänzend nach den spezifisch technischen Eigenschaften im anderen behandelt worden. Dies war aber nicht der Fall. In den Botschaften im Netz wurde weder auf einen gegenseitigen Inhaltsbezug noch auf Ergänzung mit den Botschaften in den Printmedieninseraten geachtet, noch wurde, im Sinne der Aktualität, Bezug auf andere Berichterstattungen (Lokalradio und Lokalfernsehen) zum Wahlkampfgeschehen genommen.

Betrachtet man als Oberflächenstruktur die technische Nutzung und den Inhalt der vermittelten Botschaft, dann war die technische Nutzung bei praktisch allen vom selben Schema. Beim Inhalt war meist ein reiner Dokumentationsstil vorherrschend, der sich in seinen Informationselementen kaum von den Angeboten, die bisher in den Printmedien anzutreffen sind, unterschied.

Rechnet man den massgebenden Faktoren der Breitenstruktur einer Website die Angebote der Vernetzung und der Aktualität zu, dann bezog sich die Vernetzung nur anlassbezogen auf andere Kandidaten, nicht aber vertiefend auf informativerweiternde Inhalte von Aussagen in den Werbebotschaften.

Der Tiefenstruktur könnte in dem Sinn, die Interaktivität, vermittelte Persönlichkeit und Nähe des Kandidaten zum Besucher in der Website zugewiesen werden. Interaktivität wurde gerade in 3 von 15 Fällen angeboten. Die Wichtigkeit der Personennähe, die das Instrument anbietet, wurde meist sehr schlecht umgesetzt - eben: viel Text in unpersönlichem Dokumentationsstil, der weder eine zu erahnende Persönlichkeit noch Nähe zum Rezipienten aufkommen liess. Die Wichtigkeit der Aktualität wurde nirgends erkannt. Da die Websites, einmal erstellt, nicht mehr nachgeführt wurden, sind sie in ihrer Wichtigkeit gegenüber der täglich aktuellen Printmedienberichterstattung nie über den Status herkömmlicher Wahlkampfprospekte hinaus gekommen. Die Wichtigkeit mit ständiger Nachführung Aktualität herzustellen und die Wähler damit bei Stange zu halten, wurde nicht realisiert. Gerade hier hätten sich die Websiteersteller ein wenig mehr Gedanken zum Zielpublikum machen und in den Konzepten der Websitegestaltung darauf Bezug nehmen müssen. Schlichtweg, es wurde halt nicht daran gedacht. Internet war zu diesem Zeitpunkt, zu diesen Zwecken, einfach nur als eine weitere Plakatsäule mehr erkannt.

Die Eingangsfrage der Arbeitsthematik lautete, ob die Prozesse, Inhalte und Rituale herkömmlicher Wahlkampfwerbung durch das neue Medium Internet eine Umgestaltung gefunden haben und wie erfolgreich das Medium genutzt wurde. Eine Umgestaltung hat nicht stattgefunden, denn das Medium wurde PR-technisch nur im herkömmlichen Sinne von Wahlwerbeträgern plakativ und nicht nach neuen möglichen Strategien hin angewandt. Interaktivität kam nur in einzelnen Fällen zur Anwendung, sowohl auf Seiten der Kandidaten wie Wähler. Die eigentliche Wahlkampfwerbung fand nach wie vor hauptsächlich in den herkömmlichen Informationsträgern der Printmedien statt. Erfolgreich wurde das Medium nicht genutzt, da seine Möglichkeiten nicht umgesetzt, vielleicht aber auch bewusst nicht angewendet wurden.

Die elektronischen Wahlkampfprospekte spiegelten im Zusammenwirken von informativem Inhalt, Interaktivität, Personennähe und Erlebnisraum die Funktionsmöglichkeiten des Instrumentes nicht. Die Präsentation der Kandidaten im Netz brachte durch informationslastige Wahlkampfkommunikation und mangelnder Interaktivitätsangebote zu wenig neue und wählerorientierte Elemente in den Vordergrund. Grundlegend ist zu erkennen, dass Wahlkampfwebsites in dieser Form keinen Beitrag zur demokratischen Renovierung zu bieten haben.

Die politischen Netzakteure propagieren die alles umwälzende Bedeutung des neuen interaktiven, digitalen Mediums für ihr politisches Alltagsleben sicherlich nicht zu unrecht. Aber auch bei diesem neuen Instrument zeigt sich, zumal in diesem Wahlkampf, dass die hohe Präsenz der technologiezentrierten Inhalte nur eine Erweiterung der bisherigen symbolischen Politik sind. Neben den alten Medien stellt auch die elektronische Wahlkampfwerbung eine Vertuschung der Defizite im Umgang mit der neuen Technologie dar. "Den Beweis für solche Symbolpolitik liefern Organisation und Design politischer Internetangebote, durch die vor allem der Wille zur Instrumentalisierung des Internet zu Marketingzwecken zum Ausdruck kommt. Daher gilt: Campaigning Sites und virtuelle Parteizentralen sind bisher kaum mehr als digitale Wiedergänger längst bekannter Glanzpapierwerbung" (Bieber, 1998: 154).

Auf dem digitalen ‘Glanzpapier‘ der Zürcher Stadtratswahlen ‘98 machte sich das herkömmliche Sender-Empfänger-Schema klar erkennbar. Die Formel ‘Politik + Internet = mehr Demokratie‘ kam kaum zum Zuge. Im Gegenteil - das klar angebotene Politmarketing in den Wahlkampfwebsites beschnitt das ‘dezentrale und antihierarchische Potential‘ (vgl. Bieber, 1998), das das Netz eigentlich zu bieten hätte. Eben weil die Informationen kaum an das neue Medium angepasst wurden und sich kaum von den Herkömmlichen in den alten Medien unterschieden. Einziger Effekt: dem Benutzer wurde durch den persönlichen Zugriff zu politischem Datenmaterial das Gefühl eigener Wichtigkeit suggeriert, obwohl das alte Sender-Empfänger-Verhältnis, vor allem wo Interaktivität nicht angeboten wurde, bestehen blieb. Auf der Seite der Sender standen die Kandidaten als Infromationsanbieter. Sie bestimmten alleine über die Ausgestaltung und den Inhalt der Botschaft. Den Informationsempfängern auf der anderen Seite war die Viele-an-viele-Kommunikation, die die virtuelle Demokratiefreundlichkeit ja ausmachen würde und die Netzstruktur als wesentliche Erneuerung anbietet, aber nach wie vor verwehrt, da die Sender von sich aus in den meisten Fällen diese Möglichkeit nicht anboten.

Die Wahlkampfwebsites der Zürcher Stadtratswahl ‘98 kamen kaum über die Bezeichnung ‘digitales Glanzpapier‘ hinaus, da es den spezifischen Potentialen interaktiver Kommunikation nicht gerecht wurde, und es an Reziprozität mangelte. Letzten Endes ist es ja auch entscheidend, inwiefern die Kandidatenprofile für den Rezipienten transparenter gemacht werden, die Wahltechniken einem neuen Medium angepasst sind und nicht einfach nur ein Mehr an Information vom Selben wie in den alten Medien herausschaut. Das ‘Mehr-vom-Selben‘ kann hier von den politischen Akteuren und Parteien nur die symbolische Modernisierung politischer Kommunikation demonstrieren. Wenn es allein nur darum gegangen ist, im neuen Medium mit dabei zu sein, wurde für die Öffnung der demokratischen Diskussion und Partizipation, mit dem Internet als Instrument partizipatorischer Demokratie damit nichts gewonnen.

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4.4 Die Schweiz im Internet

In der Schweiz sind laut aktuellsten Zahlen der WEMF-Studie (Spezial 2) [7] ca. 964‘000 Menschen, oder ca. 18.4% der Wohnbevölkerung am Netz. Ein halbes Jahr früher waren es nach derselben Studie (Special 1) [8] etwa 717‘000, also 247‘000 weniger. Dabei handelt es sich gemäss der WEMF-Studie ‘98 um die Schweizer Bevölkerung ab 14 Jahren. Zu einem engeren Nutzerkreis (zum Zeitpunkt der Befragung im vergangenen Monat Internet mehrmals benutzt) waren etwa 817‘000 Personen gegenüber 562‘000 im Vorhalbjahr zu zählen. Die markante Zunahme von 255‘000 neuen Benutzern innerhalb eines halben Jahres ist beachtlich. Die Benutzerwerte von Internet in den Deutsch- und Westschweizer Landesteilen im weitesten Benutzerkreis mit 16.2% respektive 15.1% sind nahezu identisch, das Tessin mit 10.2% fällt etwas ab. Der Landesdurchschnitt beträgt 15.6%. Seit Beginn dieses Jahres, so die Studie weiter, hat sich die Anzahl der schweizerischen Internet-Sites verdoppelt [9].

Das Profil der schweizer Internetbenutzer fügt sich ins bekannte Bild: jung, männlich, einkommensstark, gut gebildet, hauptsächlich in städtischen Agglomerationen wohnhaft (78%). Internet erweist sich somit in der Schweiz als ein klar eingrenzbares Zielgruppenmedium.

Über die Zugangsmöglichkeit zum Netz, also ob die Benutzer über eigene Stationen verfügen oder via Arbeitsplatz, Universität, Schule etc. Zugang finden, ist aus der Studie nicht ersichtlich. Wahrscheinlich kann man davon ausgehen, dass das Medium Internet häufig von Studierenden und Forschenden in Bereichen der Wissenschafts- und Wirtschaftsdatenbanken informationsnachfragend wie -anbietend verstärkt zur Anwendung kommt. Die Werbemedienforschungs AG äusserste sich abschliessend zu den ersten Untersuchungsergebnissen folgendermassen: "Es wird interessant sein, zu verfolgen, ob -und wenn ja, wie schnell- sich das Internet vom Special-Interest zum Massenmedium wandelt" (Special 1, 1998: 3). Noch interessanter wird es aber sein, und darauf deuten auch die Resultate dieser Untersuchung betreffend Konsultation der Wahlkampfprospekte hin, wie sich das Instrument bezogen auf die Angebots- und Nachfrageseite von Information hin entwickeln wird.

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4.5 Zürich im Internet

Wie relevant vielleicht ein qualitativ besseres Angebot der Wahlkampfprospekte im Netz bei den Zürcher Stadtratswahlen aber hätte sein können, zeigen Zahlen der WEMF-Studie. In den Erhebungen November ‘97 bis April ‘98 (also zum Zeitpunkt des Wahlkampfes) wurde für die Stadt Zürich eine eigene Auswertung vorgenommen, nach der von 1‘159 Befragten auf die gesamte Einwohnerzahl hochgerechnet ca. 52‘000 (20%) Einwohner der Stadt zu einem engeren Nutzerkreis von Internet gezählt werden konnten. Zum engeren Nutzerkreis gehören nach Erhebung all jene, die sich zum Zeitpunkt der Befragung im vergangenen Monat mehrmals im Netz aufgehalten haben. Landesweit waren es ca. 817‘000 (15.6%). Das Profil der regelmässigen Internetbenutzer setzt sich gegenüber den landesweiten Resultaten, wie zu erwarten, etwas anders zusammen [10].

Landesweit: Zürich: [11] N = 817‘000 N = 52‘000 n = 2‘987 n = 233

Geschlecht:

Männer 72% 67.4%£
Frauen 28% 32.6%

Alter:

14-19 10% 3.9%
20-29 29% 39.1%
30-39 30% 27.9%
40-49 19% 19.3%
50+ 13% 9.9%

Bildung:

obligat. Schule 5% 3.0%
Berufsschule 34% 34.3%
Matura/höhere Schule 34% 24.5%
Universität 26% 38.2%

Einkommen:

bis 4‘000.- 7% 12.0%
4‘000.- bis 8‘000.- 34% 32.6%
über 8‘000.- 42% 39.9%
keine Antwort 17% 15.5%

Auffallend bezüglich des Untersuchungsgegenstandes elektronische Wahlkampfprospekte ist der hohe Anteil Internetbenutzer in der Altersklasse von 29-30 Jahren, wobei sich der durch die Hochschulen erklären lässt, was deutlich bei den Daten unter Bildung und Einkommen ersichtlich ist. Zum einen kann dazu bemerkt werden, dass es genau die Altersklasse ist, die sich am wenigsten an Wahlen und Abstimmungen beteiligt, andererseits aber, dass Internet sich für Politik endlich als ein Instrument anbietet, um mit dieser Altersklasse Kommunikation zu finden.

52‘000 mögliche Rezipienten stellen für politische Wahlkampfwerbung ein interessantes Feld dar. Doch betrachtet man, dass die Website der SP während den zwei letzten Wahlkampfmonaten nur je etwa 1‘300mal aufgerufen wurde, dass ein Kandidat mit einer privaten Website und angebotenem E-mail-Formular nur gerade 10 - 20mal angeschrieben wurde, dann sind dies teilweise sicherlich auch Hinweise auf die Frage der thematischen Eignung von Wahlkampfinformationen und -prospekten im Netz. Rechnet man das hoch (1‘300 pro Monat), so sind es salopp gerade etwa 3% der regelmässigen Zürcher Internetbenutzer, die Wahlkampfinformationen im Netz konsultiert haben. Dazu kann nur gesagt werden, dass die Wahlkampfinformationen neben anderen Informationsangeboten vielleicht weniger interessant scheint, dass sich das Medium als Informationsplattform in Wahlkämpfen (noch) nicht etabliert hat, oder es kann auch die Frage gestellt werden, wie gut sich das Medium Internet für Wahlkampfprospekte überhaupt eignet.

Betrachtet man bspw. den US-Wahlkampf ‘96, dann sind 20‘000 tägliche E-mails gerichtet an die Adresse Bill Clintons eindrücklich, doch umgerechnet pro Monat sind es auch gerade nur etwa 0.3% der US-Bürger, die auf dem Internetweg kommunikativ aktiv wurden (die Zahl der E-mail-Philatelisten dabei ist offen). In der Form einer weiteren Plakatsäule neben den alten, und das zeigt die Untersuchung, ist Internet scheinbar nicht geeignet, als politische Diskussionsplattform in Form von Chats, ein einziges Chat wurde geführt mit ca. 20 Teilnehmern, scheinbar auch (noch) nicht. Demzufolge verbleiben nur Newsgroups. Für Wahlkämpfe würde das heissen, dass sich Kandidaten als Sender mit relativ kleinem Zeitaufwand darauf konzentrieren würden, Teilnehmer zu finden und sie mit ständiger Nachführung von News bei Stange halten. Das würde auch ganz klar dem Kriterium der verpassten Bekanntheit, Aktualität und Interaktivität der Wahlkampfprospekte nachkommen. 52‘000 User sind ein attraktives Publikum, das Problem ist, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.

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4.6 Schlussbemerkung zur Untersuchung

Einleitend zur vorliegenden Arbeit wurde dargelegt, dass die elektronischen Wahlprospekte bewusst nur aus der Perspektive nach Kriterien der Nutzung, Darstellung und allgemeiner Tauglichkeit her untersucht werden. Ob die gewonnen Erkenntnisse nun aber tatsächlich auch für die Rezipienten der Websites dieselbe Relevanz aufweisen, bleibe aber offen. Um diese Frage zu umgehen, bin ich davon ausgegangen, dass, da der Markt von Angebot und Nachfrage politischer Wahlkampfinformation im Internet noch derart klein ist, die Antwort darauf auch aus der Begutachtung des Angebots der Websites abgeleitet werden kann.

Die Relevanzfrage selbst könnte nur gelöst werden, wenn bei den Rezipienten von elektronischen Wahlkampfprospekten selbst nachgefragt wird. Dazu haben wir hier im Medium selbst eine wunderbare Möglichkeit. Die hier vorliegende Arbeit bietet die Grundlagen einer Vorstudie zum Untersuchungsgegenstand Stadtratswahlen ‘98 in Zürich. Interessant wäre es nun, diese Entwicklung bei den nächsten Wahlen 2002 vergleichend in seiner Entwicklung weiter zu verfolgen. Eine Websiteanalyse wäre zum Vergleich schnell erstellt und von den daraus zu erkennenden Entwicklungen in den Inhalten der Nutzung des Mediums sehr interessant. Die theoretischen Standpunkte in dieser Arbeit wären schnell neu überprüft und diskutiert. Doch interessanter und in einem weiteren Schritt einfach wäre es dann, auch die Rezipienten der Wahlkampfprospekte via Internet zu befragen. Mein Vorschlag dazu wäre, dass man beispielsweise über eine allgemeine Website zum Wahlkampfgeschehen (beispielsweise in einem diesbezüglichen Dossier einer Tageszeitung) einen Fragebogen zur Befragung der Rezipienten der Wahlkampfprospekte im Internet einrichten würde, wo jeder Interessierte Antworten zu seinen Eindrücken einschreiben und einschicken könnte. Alles eine relativ einfache Aufgabe von Operationalisierung, Programmierung und ein wenig kreativer Inspiration. Das Instrument Internet würde sich sehr schön für eine solche Untersuchung anbieten.

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5. Schlussbetrachtung

Betreffend Politik und dem neuen interaktiven Medium muss beachtet werden, dass die Möglichkeit der Partizipation, die Internet bietet, allein noch keinen Partizipationswillen provoziert. Wenn das Netz für Wahlwerbung verwendet wird, unterliegt es in erster Linie den jeweiligen soziokulturellen Verhaltenskontexten des Publikums bei Wahlen und wohl erst an zweiter Stelle den funktionalen Eigenschaften eines neuen Mediums, die anfangs noch für verschiedenste Interpretations- und Nutzungsstile offen sind. Internet ist nicht nur ein technisches sondern auch ein soziokulturelles Projekt, das wohl Veränderungen auf dem Gebiet der öffentlichen Kommunikation mit sich bringen wird, aber sich auch in jeweiligen soziokulturellen Umfeldern nach speziellen Wahrnehmungs- und Gestaltungsbereichen entwickeln wird.

Nach handlungs- und systemtheoretischen Ansätzen geht es untersuchungsthematisch darum, welche Möglichkeiten das interaktive Medium im Teilsystem politische Öffentlichkeit profilieren kann. Wehner (1998: 57f) bringt diesbezüglich die Ausklammerung ‘überindividueller Zusammenhänge zwischen den Rezipienten‘ (die Annahme der nicht mehr gemeinsam erlebten Information) zur Sprache und dass sich darin der nach systemtheoretischer Definition gefasste Begriff der Massenkommunikation in Frage stellt. Denn durch die Dezentralisation wirklichkeitserzeugender Informationen, wie sie bisher nach systemorientierten Ansätzen durch die bisherigen Massenmedien bereitgestellt wurden, eröffnen sich völlig neue Wirklichkeitsperspektiven. "Nicht die Sprache, in der wir denken, sondern die Medien, in denen wir kommunizieren, modellieren unsere Welt. Medienrevolutionen sind deshalb Sinnrevolutionen, sie remodellieren die Wirklichkeit und schaffen eine neue Welt" (Assmann, 1990: 2).

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5.1 Zur elitären Nutzung des Internets

Die Schweiz verzeichnete nach WEMF-Studie im Zeitraum Oktober ‘97 bis April ‘98 eine Zunahme von ca. 250‘000 Neuanschlüssen im Netz. Die Benutzerprofile änderten sich jedoch kaum. Nach wie vor sind es junge, hauptsächlich männliche Benutzer mit höherer Bildung, besserem Einkommen und vorwiegend in städtischen Agglomerationen wohnend. So wird voraussichtlich die Ausbreitung des Mediums erst einmal an eine obere Grenze stossen. Denn vorerst deuten die Erhebungen darauf hin, dass sich der Nutzerkreis des Mediums lediglich aus einer bestimmten (elitären) Bevölkerungsschicht rekrutiert, die als typisches Zielpublikum für das Instrument irgendwann ausgeschöpft sein wird.

In diesem Stadium der Entwicklung geht es jedoch vorerst weniger um propagierte Zahlen als vielmehr darum, dass eine intermediäre Gruppe existiert, die sich informations- und kommunikationstechnologisch als eine neue subkulturelle Gruppe auszeichnet. Wie erwähnt verfügt diese Gruppe in erster Linie, neben Geschlecht, Bildung und Alter, über höhere Vermögens- und Bildungsressourcen. Bei den Rezipienten der Wahlkampfinformationen im neuen Medium lässt sich also annehmen, dass sie sich aus eben dieser Zielgruppe zusammensetzt. Gleiches lässt sich bei den Kandidaten mit Internetwahlprospekten (ausser den zwei Kandidaten der Humanistischen Partei) mit einiger Bestimmtheit sagen. Es sind etablierte Politiker, die sich dem Instrument bedienten, und es waren erklärlicherweise nach dem typischen Zielgruppenprofil von Internet, aber erstaunlicherweise, denn gerade für sie hätte sich das Instrument besonders angeboten, die Aussenseiterkandidaten, die sich dem Instrument nicht bedienten. Bei den Stadtratswahlen ‘98 in Zürich kann man mit Bestimmtheit sagen, dass das Instrument elitär genutzt wurde. Konfuserweise würde das aber gleichzeitig auch heissen, gemessen an der konsultierten Wahlkampfinformation im Netz, gerade etwa 2.5% der regelmässigen Zürcher Internetbenutzer haben sich im Netz zum Wahlkampf informiert, dass sich besser gebildete in höheren Einkommenslagen nur wenig für politische Wahlen interessieren, oder aber, nach wie vor die angebotene Berichterstattung der Tagespresse vorziehen.

Gerade die Formation dieser intermediären Gruppe ist systemtheoretisch notwendig, dass sich die Verwendungsmöglichkeiten des neuen Mediums in der Gesellschaft überhaupt durchsetzt. In einer breiten Etablierung des Mediums liegt hier aber ein weiterer Schwerpunkt beim spezifischen Gegenstand des Wahlkampfes selber. Das Anwachsen der Benutzergruppe hat bereits schon die Rolle einer Innovationsträgerfunktion überwunden und übt eine Sogwirkung auf Schichten ausserhalb ihrer Zielgruppe aus, die bisher mit dem neuen Medium noch keine Berührung hatte. Bei den Stadtratswahlen standen die zwei Kandidaten der Humanistischen Partei mit gutem Beispiel da.

Überlegen muss man sich hier, ob eine unendliche Ausbreitung des Zugangs zum neuen Medium überhaupt Sinn macht. Man kann gespannt sein auf den Wahlkampf in drei Jahren, denn wenn sich da 300 Kandidaten via Internet anbieten, wer wird sich da noch orientieren, respektive sinnvoll informieren können? Im Sinne der heutigen Benutzer liegt dies bestimmt nicht. Denn ist dieser Kommunikationsraum erst einmal für jeden erschlossen, droht eine Kommerzialisierung und gleichzeitige Abwertung des Mediums als Informationsanbieter. Einerseits stellt die intermediäre Gruppe die Basis, dass sich dieses Instrument ausbreitet, andererseits beraubt sie sich aber dessen Vorteilen selber, wenn sie das erreicht. Auch daraus wird wahrscheinlich wieder ein Machtkampf um Strukturen entstehen, der auch aus den bisherigen Massenmedien bekannt sind, und den heute freien Zugang ins Internet nicht bei den jetztigen offenen Nutzungsverhältnissen verbleiben lassen.

Solange die Werte des neuen Mediums aber nicht für jeden zugänglich verankert sind, wird es kaum zu dieser Situation kommen. Vorerst liegt dem Medium sogar eine differenzierende Funktion gemäss Wissenskluftperspektive inne. Denn die zusätzlichen Informationen, deren sich die Internetbenutzer im Netz bedienen, verstärkt die Kluft zwischen Gut- und Schlechtinformierten weiter. Auch wenn es im Prinzip jedem zugänglich ist, wird es noch lange nicht von einer Mehrheit genutzt. Internet scheint selbst heute, trotz aller gegenteiligen Behauptungen, ein Instrument zu sein, das mit relativ hohen Zugangsprivilegien und einer Akzeptanzschwelle verbunden ist. Zum einen sind damit ökonomische, regulative und mediensozialisatorische Bedingungen gemeint, aber auch individuell soziale und kulturelle Komponenten und Ressourcen. "Wer im Besitz von Rechnern ist, wer Zugangskontrollen festlegen und sich den finanziellen Aufwand des laufenden Betriebs leisten kann, hat mehr Verfügungsmacht und soziale Kontrolle. Auch das Anbieten von Informationen ist nicht jedermann im selben Ausmass möglich. Einige Nutzer organisieren eigene Zugangskontrollen, und wenn man keine technischen und kommunikativen Kompetenzen vorweisen kann sowie der englischen Sprache nicht mächtig ist, läuft man bereits Gefahr ins Hintertreffen zu gelangen, und, aufgrund des Informationsdefizits, auch über einen geringeren Handlungsspielraum zu verfügen" (Volst/Voglmayr, 1998: 25).

Bisher hat es noch keine der Demokratien zustande gebracht, die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit zu verwirklichen. Im Netz selber sind unter den veröffentlichten Arbeiten zum Thema (Internet & Politik) genauso viele kritische wie lobpreisende Stimmen vorhanden. Dass das Internet eine neue soziale Figur geschaffen hat, die sich mittels Kommunikation selbstkonstituierend Aufmerksamkeit verschafft, ist jedoch bereits Realität geworden. Kritische Fragen, die vor allem auch die Cyberdemocracy betreffen, verweisen schwergewichtlich eher auf vorhandene Ungleichheiten betreffend den Zugangschancen zum neuen elektronischen Medium. Rilling betrachtet das Netz als elitär und das wird es, so gesehen, auch immer bleiben, auch wenn die Entwicklung auf dem ganzen Sektor unfassbar rasant ist, die Expansionsmöglichkeiten schier unbegrenzt sind und die technische Innovation in ihrer Entfaltung noch praktisch in Kinderschuhen steckt.

Zum jetztigen Zeitpunkt unterstehen Informationsbeschaffungsriten aber noch mehrheitlich bisherigen Kommunikationsmustern von Presse, Radio und Fernsehen. Die Akzeptanz und Nutzung wird je länger sicher ein generatives Wachstum erfahren, durch technische Innovationen werden heute noch erforderliche Zugangsprivilegien weiter abgebaut, doch dem Risiko eines noch grösseren auseinanderklaffens der Informations- und Bildungsschere könnte das Instrument doch zuträglich sein. Denn vorerst wird wahrscheinlich der Weg bis zu einer gesamtheitlichen und kompetenten vernetzten Informationsgesellschaft nicht so schnell umzusetzen sein.

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5.2 Alte und neue Medien - zu den Informationsbeschaffungsgewohnheiten

Eine Utopie, Internet als erfolgreiches Wahlkampfinstrument zu benutzen, könnte darin bestehen, dass bisherige Beharrungskräfte von herkömmlichen Informationsbeschaffungen und kulturell angestammte Mediengewohnheiten unterschätzt werden. Die eingeschliffenen desintegrativen Schemen der Sender-Empfängerverhältnisse beinhalten ein reziprokes Orientierungsangebot. Sie haben bisher eine sozial gemeinsame Wahrnehmungs- und Kommunikationsorientierung zu Deutungs- und Handlungsperspektiven ermöglicht. In dem Sinne können sich neue Wahrnehmungs- und Kommunikationsformen (mittels Internet) nur durchsetzen, wenn sich auch die soziokulturellen Erwartungen erfüllen. Mit anderen Worten, wenn sich die politkulturellen Strukturen nicht verändern, wenn der Rezipient in einem interaktiven Medium nur einen Einweg-Wahlkampfprospekt konsultieren kann, dann wird er ihn als genau das reflektieren und das Medium verbleibt nur als eine weitere Plakatsäule herkömmlicher Wahl-PR.

Die Benutzergruppe existiert, die sich dem neuen interaktiven Mediums mit Überzeugung und Gewinn bedient, aber bei einem Grossteil des Publikums, für das Internet gegenüber Fernsehen oder Zeitung noch ein verschlüsseltes Medium darstellt, bewirkt es erst noch Angst vor einem Orientierungsverlust, die zu einen Verharren in alltäglich-bekannten Kommunikationsgewohnheiten führt und den Rollenwechsel zur aktiven Mitgestaltung wahrscheinlich nicht derart schnell auszulösen vermag. "Interaktive Medienangebote mögen deshalb für einige wenige eine willkommene Variation oder Ergänzung ihrer Seh- und Handlungsgewohnheiten sein, für viele dagegen sind sie verbunden mit der Zumutung, Selbstverständliches und Vertrautes aufzugeben und Neues erst mühsam erlernen zu müssen, ohne genau zu wissen warum" (Wehner, 1998: 81).

Gerade in diesem Wahlkampf zeigt sich wie die technischen Möglichkeiten der Kommunikation weder bei Sendern noch Empfängern genutzt wurden. Auf der Seite der Empfänger war es der zusätzliche organisatorische Gestaltungsaufwand, auf Seiten der Empfänger scheinbar thematisches wie interaktives Desinteresse. Die Defizite an demokratischer Mitgestaltung sind vorhanden, aber man kann nicht einfach davon ausgehen, dass mittels eines neuen Mediums das politische Publikum von sich aus die als defizitär erfahrenen Verhältnisse automatisch umgestaltet. Eine Gesellschaft, die sich seit einem halben Jahrhundert passiv in Zeitungen und Fernsehen informiert hat, kann nicht plötzlich grenzenlos interaktiv sein. Mit der Einführung eines neuen Mediums ist vorerst auch eine Umwandlung eines vielschichtigen sozialkulturellen Wandlungsprozesses verbunden Für die Durchsetzung der neuen interaktiven Medien geht es dabei aber nicht einfach um ein Überbieten der Kommunikationsformen alter Medien sondern erst um die Gestaltung koevolutionärer Zusammenhänge (vgl. Luhmann, 1996) der alten und neuen Medien, von denen die soziokulturelle Entwicklung der Informationsbeschaffung abhängen werden. Am Beispiel dieses Wahlkampfes zeigt sich auch dahingehend als interessant, in welcher Weise sich die alten Medien (Tageszeitungen) dem neuen Instrument bedient haben und mit zum Teil umfassenderen Informationen, mittels spezieller Einrichtung von Dossiers zum Wahlanlass, massgeblich am Geschehen teilnahmen und sogar grössere Beachtung fanden, als die Wahlkampfprospekte der Kandidaten selber.[1] Aus Sicht der Tageszeitungen fand das Instrument zum Anlass eine nischenförmige Anwendung. Für den Rezipienten aber blieben somit Sender, Gestaltung und Inhalte der Informationen praktisch dieselben.

In ähnlicher Weise aber aus anderen Gründen verhielt es sich bei den Wahlkandidaten mit ihren Prospekten im Netz. Denn auf die etablierten Kommunikationsformen via Printmedien blieben sie angewiesen. Sie bedienten sich zwar dem neuen Medium, messen ihm nach eigenen Aussagen in Zukunft auch eine grosse Bedeutung zu, betrachteten es aber für den Wahlkampf nicht als relevant. Für Wahlkampfwerbung im Netz, so wie sie sich im Zürcher Wahlkampf ‘98 und den damaligen soziokulturellen Verhältnissen darstellte, war das Internet ersichtlich kein Instrument, das neben den alten Medien einen massgeblichen Platz einnehmen konnte. Als Teilelement in Wahlkampfprogrammen wurde es vorerst nur ergänzend eingesetzt. Es ist fraglich, ob das Resultat ein anderes gewesen wäre, wenn die spezifischen Kommunikationsangebote, die das neue Instrument überhaupt ausmachen, besser genutzt worden wären.

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5.3 Verlust des gemeinsamen Raumes

Die neue Medientechnik wird mit Werten von Mobilität, räumlich-zeitlicher Ungebundenheit, persönlicher Information etc. angepriesen. Es werden Bedürfnisse stimuliert, indem die bisherigen Informations- und Kommunikationsräume als defizitär hervorgehoben werden. Vor allem die dezentralisierte Viele-an-Viele-Verbindung und weit-reichende Vernetzung mit der ganzen Welt werden hervorgehoben, und dass es für zentralisierte Machtstrukturen in diesem Medium keine Möglichkeit gibt. Wer nicht dabei ist, wird vergessen, ist verloren und ausgegrenzt aus dem Reich der Informationsgesellschaft.

Im ersten Kapitel unter Massenmedien wurde dargestellt, dass die einseitige Kommunikation der alten Medien, das Lesen von Zeitungen oder das passive Zuschauen oder Zuhören, wichtige Voraussetzungen sozialer Orientierung darstellen. Das Informationsbeschaffungsritual konstituiert sich bisher so, dass ein Rezipient von Informationen davon ausgehen kann, dass auch andere über diese Information verfügen (Selbstbeobachtung etc.). Das Internet, das nun zwar dem Bedürfnis des Publikums nach interaktiver Mitgestaltung auf medialer Ebene entgegenkommt, erfüllt diese Voraussetzung sozialer Orientierung jedoch nicht. Benutzer von Internet können dadurch "...mit der Last ihrer Rückbettung in alltägliche Relevanzsysteme und Kommunikationsgewohnheiten" (Wehner, 1998: 108) konfrontiert werden. Im Extremfall würde eine einseitige Nutzung elektronischer Informationsbeschaffung im Netz für die Benutzer zum Orientierungsverlust an Öffentlichkeit führen, da aus-tauschbares Wissen mit realen Gesellschaftsmitgliedern nur noch begrenzt vorhanden wäre [2]. Das Bedürfnis nach massenmedial interaktiver Kommunikation und Informationsbeschaffung steht so gesehen zur sozialen Orientierung mit der Informationsbeschaffung mittels Einwegmedienkommunikation unverzichtbar in Abhängigkeit. Internet beinhaltet eine radikal erneuerte Medienkultur und diese wird zur Umsetzung vorausgehend vielschichtiger soziokultureller Wandlungsprozesse bedürfen.

Die bisherigen massenmedialen Informationsträger haben die Funktion, dass sie durch thematische Komplexitätsreduktion eine Eingrenzung pluralistischer Wirklichkeiten Sinnstrukturen gesamtgesellschaftlicher Verständigung erzeugen und damit Öffentlichkeit überhaupt erst ermöglichen. Denn "was die Gesellschaft über sich weiss, weiss sie aus Veröffentlichungen" (Marcinkowski, 1993: 120). Internet bietet durch das Angebot egalitärer und unzensierter öffentlicher Kommunikation dem Prozess vorschub, dass sich durch die Partizipation im Instrument Öffentlichkeit dadurch immer mehr aufsplittert, indem immer mehr Debatierzirkel zu verschiedensten Themenbereichen entstehen. Vor allem in dieser Vielheit bedroht Internet das Bestehen einer ‘gemein-samen Informtionsselbstverständlichkeit‘ durch einen unzusammenfassbaren Informationspluralismus. Einerseits ist dem Instrument als positiv zuzuschreiben, dass es einen Pluralismus an Standpunkten, Meinungen, Wissen und Beziehungen ermöglicht, der bisher unbekannt war, betrachtet man aber andererseits das Faktum, dass ungeteiltes Wissen auch nutzloses Wissen sein kann, dann führt dieser Pluralismus dazu, dass je mehr sich der gemeinsam geteilte Raum von Information aufsplittert, bspw. die Motivation spezifische Information aufzunehmen aus mangelnder Orientierungsmöglichkeit sinkt.

Bei elektronischen Wahlkampfprospekten im Netz könnte bei steigender Anzahl von Mandatsbewerbern, die sich via Internet anbieten, ein Orientierungsverlust in der Auswahl von Information für die Rezipienten entstehen. Denn irgendwo ist die Überschaubarkeit von Informationsangeboten überschritten. Ohne die Information über Favoriten, Tendenzen im Wahlkampf, ernstzunehmenden oder nicht ernstzunehmenden Kandidaten, die gewöhnlich im persönlichen Gespräch oder aus der Tagespresse gewonnen wird, können sich Wähler im Netz nur unter grossem Zeit und Kostenaufwand zurechtfinden um einen Überblick zu gewinnen. Newsgroups von Wählern oder Unterstützungskomitees könnten dabei die Berichterstattung der Tagespressen in gewisser Weise ersetzen, doch ohne zusammenfassende Information wie es die Tagespresse anbietet, könnte sich das auch als blinder Spiegel erweisen. Denn genau da wo sich Benutzer im Netz auf Grund der Informationsvielheit zu einem bestimmten Gegenstand nicht mehr ohne fremde Hilfe zurechtfinden können, würde sich Manipulation, bestimmte Information anderer vorzuziehen, anbieten. Hier zeigt sich, dass Internetbenutzer auf Information aus einem gemeinsamen öffentlichen Raum angewiesen sind und dass sich das Instrument, jedenfalls bei Wahlkämpfen, nur als neues Medium mit weiterem Informationsangebot sinnvoll profilieren kann. Ersetzen kann es die Funktionen der alten Medien nicht. Im Gegenteil, es ist sogar auf diese angewiesen. Feststellbar sind im Netz ja oft auch Thematisierungen von Ereignissen, die zuvor in den alten Medien öffentlich erzeugt wurden (bspw. US-Präsident Clintons Sexaffäre). Es sind also oft gerade die alten Medien, die für die Kommuni-kation im Netz auch Themenvorgaben liefern, die für Internetbenutzer als bekannt vorausgesetzt, um überhaupt interpretiert werden zu können.

Erkennbar wird am Untersuchungsgegenstand der Wahlwerbung in Verbindung mit dem Verlust des gemeinsamen Raumes auch, dass das Interaktive Medium Internet diesbezüglich nicht als Medium für Massenkommunikation im herkömmlichen Sinne zu verstehen ist. Die Identität der alten Medien besteht, wie oben erwähnt, darin, dass aus ihnen Information aufgenommen wird, weil viele andere dies auch tun. Wahlwerbung auf Plakaten und in den Tagespressen sprechen eher ein heterogenes Publikum an. Diese Voraussetzung eines Massenkommunikationsmediums der alten Typologie entfällt bei der Netzkommunikation, da für den einzelnen Rezipienten die Annahme einer massenhaften Rezeption derselben Information nicht stattfindet. Die Attraktivität von Internet bezieht sich verstärkt auf den Austausch oder Gewinn thematisch konzentrierter und spezieller Information, und das jeweilige Publikum zeichnet sich diesbezüglich durch einen höheren Homogenitätsgrad auf. Internetbenutzer gehören gemäss der Theorie des High-Low-Involvements, in Verbindung mit dem Benutzerprofil der Internetzielgruppe in der WEMF-Studie, kaum zu jenem Publikum, das in Wahlprospekten im Netz Informationen zur Bestätigung ihrer Einstellungen oder Präferenzen sucht. Bei den momentanen Verhältnissen um das Medium Internet ist kaum anzunehmen, dass bei diesen Wahlen die Rezipienten dieser Wahlkampfprospekte auf die Informationen angewiesen waren, damit sie Einstellungen in persönlichen Netzwerken zur Meinungsbildung erzeugen oder stabilisieren konnten.

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5.4 Digitale Demokratie

Der heutige Stand digitaler Demokratie ist der, dass Politikvermittlung via Internet erst ansatzweise Anwendung findet. Dies geschieht zum Teil auf Initiative von privaten Akteuren, Politikern, Parteien, Organisationen oder irgendwelchen zeitlich begrenzten, themenbezogenen Interessengruppen, aber vor allem auch von Akteuren der herkömmlichen Massenmedien.

Internet ist für politische Foren aber scheinbar noch kein Medium, auf das politische Akteure angewiesen sind, sondern erst eines neben anderen, um das sie sich noch nicht bemühen, da es noch zu wenig relevant für ihre Ziele, zu wenig zwingend und unverzichtbar ist und noch keine politkulturellen Zwänge aufweist. Politische Akteure werden in Wahlkämpfen erst auf eine verstärkte Nachfrage hin auf das neue Medium reagieren. Aber man darf gespannt sein, ob, in welcher Form und Professionalität und wie schnell das geschehen wird. Genau das, was Plasser an den herkömmlichen Massenmedien derart kritisiert: ‘das Nichterfüllen einer politischen Sozialisationsfunktion‘, könnte durch die Angebote von Internet aufgefangen werden. Politiker- und Parteienverdruss sind keine Gradmesser für politisches Interesse der Bürger, viel eher sind es die realen Zugangsmöglichkeiten zu ihren Entscheidungsforen. Die heutigen soziostrukturellen Verhältnisse richten sich auf der Ebene politischer Öffentlichkeit aber vor allem noch auf die herkömmlich existenten Kommunikationsstrukturen.

Problemlagen werden heute individueller wahrgenommen, wo sie früher identifikationsstiftende Wirkung hatten. Da Parteiensysteme heute keine homogenen sozial-moralischen Gemeinschaften mehr sind und in heterogenen Konstellationen von Problemlagen eine Legitimationskrise erleben, ihre systemtheoretische Position im Sinne von Politik- und Interessenvermittlung zunehmend vom Konkurrenzverhältnis mit den Massenmedien untergraben wird, sind sie zu Anpassungen und Reorganisation gezwungen. In Zukunft könnten es genau diese Faktoren in Verbindung mit dem neuen Medium Internet sein, die Raum zu erhöhter Interaktion anbieten und die Parteien und Politiker dazu anhalten werden, ihre veralteten hierarchischen Organisationssysteme zu öffnen. Das könnte beispielsweise heissen, eine Umgestaltung der bisher hierarchisch strukturierten, geschlossenen Parteisysteme, bis hin zu offenen, themenbezogenen Arbeitsgruppen, die jedem jederzeit zugänglich sind, zu realisieren. "Öffentlichkeit ist damit Partizipation der Teile am Ganzen. Durch den Akt der Beteiligung und Einmischung wird sie hergestellt. Öffentlichkeit ist immer medial gebunden, mit Kommunikationswerkzeugen und Speichern. Parteien tragen (...) insofern zur Sozialität bei, als sie Räume für Öffentlichkeit schaffen, in denen Informationen aus der Aussenwelt, aus der Vergangenheit und über sie selbst dargestellt, moderiert und gespeichert werden. Indem sie dies tun, tragen sie zur Identifikation des sozialen Systems mit sich selbst bei" (Volst/Voglmayr, 1998: 22). Parteien würden dann hauptsächlich organisatorisch/administrative Funktion von Politik, eine Art Moderatorenrolle einnehmen und für politische Entscheidungsfindungen offene Diskussionsforen bereitstellen.

Gerade heute, mit dem Aufkommen der grenzenlosen interaktiven Kommunikation mittels Internet, darf man sich wieder bewusst werden, dass die gesamte Parteienpolitik ein Relikt von ehemaligen Konfliktlinien und Links-Rechts-Denken ist. Ein durch die Komplexität der Problemlagen zunehmender, durch das Instrument Internet in seiner Realisierbarkeit dargebotener Raum zur Entfaltung eines verstärkten öffentlichen Pluralismus, stellt das bisherige parteizentrierte politische System vor eine Bewährungsprobe. Neben Problemen der Wechselwählerschaft und abnehmenden politischen Beteiligung des politischen Publikums wird durch das Instrument eine weitere zunehmende Konkurrenz interessenformulierender Gruppen entstehen, die via Internet thematisch über verschiedenste medial offene Einflussphären verfügen können. Ob sich das Resultat dabei beispielsweise zu einem Statusverlust oder gar in einer Auflösung der Parteien zugunsten lokaler, zeitlich begrenzter Interessengruppen entwickeln wird, ist kaum zu erwarten. Jedoch ist das Internet bereits heute ein Instrument, das eine erhöhte politische Partizipation ermöglicht. Wahrscheinlicher sind für politische Öffentlichkeit Zukunftsscenarien, in denen politische Parteien, durch das Aufkommen erhöhter Artikulations- und Formierungsmöglichkeiten irgendwelcher thematisch spezifischer politischer Interessengruppen, Moderatorenrollen einnehmen müssen, in denen ihre Aufgabe in der Regulation des öffentlichen Diskurses besteht (vgl. Volst/Voglmayr, 1998).

Mit dem Internet, als interaktives Medium polydirektionaler Kommunikation, könnte nun ein erhöhter Partizipationsgrad im herkömmlichen demokratischen Modell Realisation finden. Im Fachjargon ist von deliberativer Demokratie die Rede; also eine Gesellschaft mündiger Bürger, deren individuellen Interessen und Ansichten sich in immer neuer, zeitlich begrenzter und jeweils themenbezogenen Konstellationen zusammenführt. Internet könnte die Realisation bieten, möglichst vielen interessierten Akteuren gleichberechtigt aktive Partizipation an politischer Öffentlichkeit zu ermöglichen. Voraussetzung dabei aber wäre vorausgehend eine Umgestaltung der bestehenden demokratischen Verfahren.

Der entscheidend gestaltende Faktor von politischer Öffentlichkeit ist und bleibt aber zumindest Interesse. Und wenn man bedenkt, dass die Wahlforschung in der Schweiz davon ausgeht, dass nur ca. ein Fünftel der Bevölkerung über einen Wissenstand verfügt, der ein sinnvolles Abstimmungsverhalten erlaubt (vgl. Bonfadelli/Saxer, 1986: 121ff), dann wird vorerst auch die Benutzergruppe, die sich via Netz über politische Verhalte informiert, gering bleibt. Nach dem Profil der Internetbenutzer zu urteilen ist es wahrscheinlich, dass sich dieser Fünftel bereits heute zum grossen Teil aus denselben zusammensetzt. Die thematische Vielfalt an Informationen im Netz ist sehr gross, doch wahrscheinlich muss bedenklicherweise angenommen werden, dass betreffend politischer Informationsbeschaffung und aktiver Teilnahme via Internet die Bevölkerungskategorie der Benutzer vorerst aus einer Interessenschicht besser Gebildeter zusammengesetzt bleibt.

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5.5 Internet und soziogeographische Öffentlichkeit

Die neue Qualität, die das Internet um Öffentlichkeit darzustellen bietet, ist nicht zwingend eine verbesserte, sondern eine veränderte Form der Mitsprachemöglichkeit in der Sphäre von Öffentlichkeit. Ob das Internet den Traum der Aufklärung näher bringt, in der die Gleichheit aller Prinzip ist, wissen wir noch nicht. In Schriften über Öffentlichkeit und Internet stösst man beispielsweise kaum auf das Problem der soziogeographischen Raumfrage von Öffentlichkeit und hier im Besonderen von politischer Öffentlichkeit. Denn sicher ist, dass mit dem Netz, mit dem der lokale (der nationale) Raum von Öffentlichkeit spielend verlassen werden kann, auch an fremden Öffentlichkeitssphären aktiv teilgenommen werden kann. Und hier ist es fraglich, ob es auch sinnvoll ist, dass in Öffentlichkeiten eingedrungen werden kann, mit denen man nicht verwurzelt ist. Auch wenn dies zum Beispiel in Fällen von Greenpeace- oder irgendwelcher NGO-Aktionen schon länger auch ohne Internet Realität ist. Wie sinnvoll es ist, dass Personen lokaler Öffentlichkeit sich in Belange von anderer Personen Öffent-lichkeit einmischen können, und dies auf technischem Wege, wobei die Wirklichkeit der Person eine technische ist, bleibt abzuwarten. Der Verlust von Persönlichkeit in Öffentlichkeit, wenn sich das neue Medium als Massenmedium durchsetzen wird, wird ein Ausleben in Öffentlichkeit, so wie es heute in der ‘städtischen Öffentlichkeit‘ vielen Menschen verwehrt ist, kaum behoben werden, andererseits aber das in einer virtuellen Öffentlichkeit fördern. "Der Grundirrtum des Mythos besteht darin zu glauben, dass Öffentlichkeit ein ‘technisches‘ Problem darstellt, das sich mit einem geeigneten technologischen Instrumentarium lösen lässt. Aus diesem Grund sind es auch die technischen Möglichkeiten des Internet, auf denen der Mythos aufbaut, indem er vermeintlich nur ihre Konsequenzen zieht. Das Internet versorgt zwar bestimmte Gruppen mit einem neuen Werkzeug, Öffentlichkeit herzustellen, aber so, wie jedes Werkzeug prinzipiell von allen benutzt werden kann, aber nicht benutzt wird, so wird auch das Internet eine ideale Öffentlichkeit nicht verwirklichen, nur weil es ein anderes Werkzeug ist" (Roesler, 1998: 191).

Es werden auch in Zukunft noch Zeitungen und Bücher gelesen, Radio gehört und TV geschaut werden. Es werden auch in Zukunft Vereine gegründet, wird an Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen teilgenommen werden. Aber es wird auch gesurft und die Möglichkeiten neuer Informationsbeschaffung werden genutzt werden, die neuen Zugänge zu Öffentlichkeit erweitern und neu bestimmen werden. Bisherige Formen von Öffentlichkeit werden vielleicht abgeändert werden oder gar verschwinden, aber am Ideal von Öffentlichkeit wird sich vorerst auch das Netz der Netze wenig annähern. "An unserem Ideal der Öffentlichkeit ändert das Internet zunächst nichts, es setzt vielmehr den alten Begriff in manchen Bereichen anders um, indem es dem einzelnen Mittel in die Hand gibt, sich selbst direkt mit bestimmten Informationen und Diskussionen rückzukoppeln. Prinzipiell ist das auch bei anderen Medien angelegt, doch so bequem wie beim Internet bisher noch nicht. Das ist eine entscheidende Verbesserung, doch führt sie noch nicht dazu, dass Öffentlichkeit sich von selbst herstellt" (Roesler, 1998: 192).

Politische Öffentlichkeit ist heute vor allem durch massenmediale Kommunikation bestimmt. Der politische Wahlkampf findet schon seit gestern und in Zukunft wohl in zunehmendem Masse auch im Internet statt. Internet bietet für den heutigen Wahl-kampf die Kombination sämtlicher Wahlkampfinstrumente und ihren Techniken an einem Ort.

Der elektronische Raum ist aber kein rein technologisches Ereignis, sondern der elektronische Raum wird in Zukunft in eine grössere Dynamik eingebettet sein, der die Gesellschaft organisiert. Internet ist nicht Verständigung sondern Verbindung, darüber hinaus ein Ort der Machtverteilung. "Die infrastrukturellen Bedingungen wie lokaler Zugang zu EDV-Ressourcen und Datenspeicher, polydirektionale Kommunikation und Dekontextualisierung dienen als Legitimation für die in das Internet gesetzte Hoffnung" (Volst/Voglmayr, 1998: 25). Eine Ablösung der alten Demokratie durch eine Herrschaftsform, an der sich alle beteiligen können, rückt mit dem neuen Instrument sicher ein Stück näher. Internet und Demokratie (digitale Demokratie) wird in Zukunft durchaus als ein in Form von Politik einheitlicher Begriff zu verstehen sein. Die Frage ist nur, wie schnell, wie breit und in welchen Bereichen. Ich persönlich würde die Prognose wagen: es kommt sicher, aber sowieso anders und kaum derart schnell wie erwartet.

Inhalt


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WEMF, Report Spezial 1, 1998: Magazin für Werbemedienforschung, Zürich.Report Spezial 2, 1998: Magazin für Werbemedienforschung, Zürich.

Inhalt


Fussnoten

Zusammenfassung:

1 WEMF-Studie SPEZIAL 2, Sept. 1998. Die Daten für Zürich wurden auf Anfrage hin erstellt.

Einleitung:

1 Das Problem dabei stellen die zumeist wenig auf das Thema abgestimmten Suchbegriffe, unter denen in Suchprogrammen Fundmeldungen angeben werden.

Erstes Kapitel:

1 Aargauer Zeitung, 05.12.1997.

2 Diese These wird auch von anderen Autoren vertreten, die ebenfalls keine Substituierbarkeit der Massenmedien durch das neue interaktive Medium Internet sehen. Bspw. Esposito E., Interaktion, Interaktivität und die Personalisierung der Massenmedien. In: Soziale Systeme, 1995: 2 (225-260).

3Die Zahlen sind der aktuellsten Wemf-Studie ‘MACH Basic 98‘ entnommen (Erhebung Nov. 97 bis April 98). WEMF AG für Werbemedienforschung, Zürich.

4 WEMF-Studie ‘MACH Basic 98‘ (Erhebung Nov. 97 bis April 98). WEMF AG für Werbemedienforschung, Zürich.

5 Vgl. Aargauer Zeitung, 06.01.1998 (Computer und Kommunikation).

6 Vgl. dazu Poster Mark: In Roesler Alexander, Mythos Internet. Verlag Suhrkamp, 1998; S.147ff.

7 Leider nur die halbe Wahrheit; "Forschungen wie etwa jene von Sproul und Kiesler (1991) haben auf die positive Auswirkungen hingewiesen, die Kommunikationsformen haben, die nicht face-to-face stattfinden. Anhand des Gebrauchs von E-mail in Unternehmen haben sie etwa festgestellt, dass hierarchisch Untergeordnete öfter die Initiative ergreifen, mit Vorgesetzten Kontakt aufzunehmen und ihre Bedürfnisse offener zum Ausdruck bringen. Der umgekehrte Effekt ist allerdings auch sichtbar. Soziale Dekontextualisierung, das Nicht-Sichtbar-Werden des anderen lässt Schranken und Selbstkontrolle in Konfliktsituationen wegfallen - flaming - das Beflegeln hat in der Internetkommunikation Konjunktur." (Volst/Voglmayr, 1998: 25)

8 Richard Sennet sprach sich beispielsweise in seinem Buch gegen den ‘Verfall und Ende des öffentlichen Lebens‘ dahingehend aus, in dem er zum Ergebnis gekommen ist, dass eine Maske zu trage heute zum Wesen von Zivilisiertheit gehört, da sie eine unverfälschte Geselligkeit erst ermöglicht, "...losgelöst von den Lebensbedingungen und Gefühlslagen derer, die sie tragen." (Roesler, 1998: 185) Sennet argumentiert dies damit, dass sich die Öffentlichkeit von einer Rolle bürgerlicher Sphäre, in der jede öffentliche Ausdrucksform als Teil von Persönlichkeit gedeutet wurde, hin zu einem Verstummen öffentlichen Ausdrucks aus Angst vor Selbstentblösung entwickelt habe. Da es nun in einer lebendigen Öffentlichkeit eine wesentliche Bedingung ist, dass man Rollen übernimmt, bietet das Internet die beste Voraussetzung dazu, dass dies auch wieder möglich wird.

9 Repräsentation, ist die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmässig bestellte, im Namen des Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volk ableiten und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und dergestalt dessen wahren Willen zu vollziehen. (Nohlen, 1989)

10 Öffentlichkeit findet themenbezogen die Unterteilung in die Ebene der kleinen Öffentlichkeit (öffentliche Veranstaltungen) und der grossen Öffentlichkeit (Massenmedien). Politische Informationen werden bis heute in der Regel nicht direkt in persönlichen Gesprächen oder auf Versammlungen vermittelt, sondern meist mittels publizistischer Berichte und Kommentare wahrgenommen. Die Informationsvermittlung findet also hauptsächlich in der grossen Öffentlichkeit statt. Dabei wird von Kritikern besonders hervorgehoben, dass sich hierbei nur noch um Informationskonsum handelt nicht mehr aber um deren Gestalung. Internet bietet nun bereits heute seinen Benutzern eine Art Symbiose grosser und kleiner Öffentlichkeit.

11 Intermediäre Gruppe, ‘dazwischen‘, ‘in der Mitte liegende‘ Gruppe; soziol. Bezeichnung für Gruppen im weiteren Sinne, somit auch für Organisationen, Institutionen, über die als Zwischeninstanzen das Individuum in komplexen, für den einzelnen nicht allseits direkt zugänglichen Gesellschaften mit dem sozialen Ganzen verbunden sind. Nach E. Durkheim sollen in der modernen Gesellschaft Berufsorganisationen als intermediäre Instanzen der Wertkrise (moral. Krise) und den verstärkten Gefahren der Anomie entgegenwirken. (Hillmann, 1994)

12 Suter Hansueli: Wandel der Demokratie unter dem Einfluss konventioneller Massenmedien. Eingereicht bei Prof. Dr. H. Geser, September 1996.

13 Teilsystem (Subsystem): Bezeichnung für einzelne Bereiche eines grösseren, umfassenden Systems, die gleichfalls Systemeigenschaften, insbesondere einen eigenen Strukturzusammenhang aufweisen. Die Auffächerung eines Systems in mehrere Teilsysteme hängt mit der Notwendigkeit der Erfüllung unterschiedlicher Funktionen zusammen. So besteht insbesondere die moderne Gesellschaft aus verschiedenen Teilsystemen: z.B. wirtschaftliches (Produktion und Verteilung knapper Güter und Dienstleistungen), politisches (Willensbildung, Normensetzung, Gewährleistung innerer und äusserer Sicherheit) und familiäres Teilsystem (primäre Sozialisation, gefühlsbetonte Konsum- und Lebensgemeinschaft). Zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Teilsystemen bestehen Interdependenzen und Austauschbeziehungen. Durch Herausbildung spezifischer Wertsysteme, Sprachstile (Bereichssprachen) und Verhaltensmuster können sich Teilsysteme zu Subkulturen ausformen. Die zunehmende Differenzierung und Komplexität einer Gesellschaft begünstigt das Entstehen von Teilsystemen (Hillmann, 1994).

14 Agora, Benennung für den Griechischen Marktplatz, auf dem sich das gesamte öffentliche Leben der Bürger Athens abgespielt hat.

15 Polis, Staatsform Altgriechenlands.

16 Politische Amtsinhaber der Legislative sind im Zusammenhang mit dieser Arbeit nicht von Belang, da es bei den Zürcher Wahlen um Kandidaturen exekutiver Amtsinhaberschaften geht. Politische Administratoren (Beamte), als Akteure der Durchsetzung, fallen diesbezüglich ebenfalls weg.

17 René Rhinow: Neue Zürcher Zeitung, 16.03.1996.

18 Der vernetzte/verknüpfte Mensch.

19 Beispielsweise Holzer (1974), der die Massenmedien als Sozialisationsinstanz bezeichnet, deren wesentliche Funktion es ist, einen Beitrag zur Reproduktionsfunktion Arbeitskraft zu leisten und deren Produkt Einfluss auf die Bewusstseinskonstitution der Rezipienten zugesprochen wird. Dieser Einfluss der Massenmedien wird dabei im besonderen auf gesellschaftlich produzierte Kompensationsbedürfnisse der Rezipienten und im allgemeinen auf die Verfasstheit der Institutionen der Massenkommunikation selbst zurückgeführt, die als Agenturen des Kapitalismus in die zum Funktionieren dieser Gesellschaftsordnung notwendigen Qualifikationen einzuüben haben. Diese Funktionsbestimmung von Massenkommunikation als notwendig Folge kapitalistisch organisierter Gesellschaft ist nach Holzer im gegebenen Gesellschaftssystem nur zu verändern durch eine Demokratisierung der Institutionen der Massenkommunikation, worunter er offensichtlich in erster Linie eine erweiterte Mitbestimmung der an den Anstalten Beschäftigten und ein adäquate Vertretung der Zuschauer und ihrer Interessen in den relevanten Gremien sieht.

20 Systemtheorie: insbesondere von N. Luhmann als Weiterentwicklung der Strukurell-funktionalen Theorie (Parsons) verstandener soziol. Forschungsansatz, der ein System nicht nur nach den funktionalen Leistungen der Elemente des Systems zur Erhaltung, Stabilisierung und Reproduktion des Systems analysiert, sondern die grundlegende Frage nach der Funktion der Differenzierung des Systems in Elemente stellt. Die Systemtheorie interpretiert das System nicht nur als ein Mehr des Ganzen gegenüber seinen Teilen, sondern thematisiert mit dem Systembegriff gleichzeitig die Aussenwelt des Systems. Danach wird das System als eine Identität begriffen, die sich in einer komplexen und veränderlichen Umwelt durch Stabilisierung einer Innen/Aussen-Differenz erhält. Ein System entsteht durch Grenzziehung und Konstituierung einer Differenz von Aussen und Innen, durch die Schaffung von Bereichen unterschiedlicher Komplexität. Durch Selektion von Möglichkeiten der äusseren Weltkomplexität auf ein Format, das Erleben, Sichentscheiden und Handeln überhaupt erst gewährleistet, wird bei allen sozialen Systembildungen durch Sinn gesteuert. (Hillmann, 1994)

21 Theorien rationalen Handelns: soziologische Theorien rationalen Handelns (normative) orientieren sich gegenwärtig vorwiegend an jenem Paradigma von Rationalität, das ökonomischen Theorien rationaler Wahlhandlungen und strategischen Entscheidens (rational choice) zugrunde liegt. Im Sinne dieses Paradigmas ist ein Handeln genau dann rational, wenn jemand das tut, wovon er glaubt, dass es für ihn am besten ist. Was für eine einzelne Person oder für die Allgemeinheit am besten ist, ist im Rahmen dieses Paradigmas keine rational beantwortbare Frage mehr. Im Unterschied etwa zu Moraltheorien (vgl. z.B. Kants kategorischen Imperativ) liefern (ökonomische) Theorien rationalen Handelns lediglich konditionale Imperative, die sich auf die Mittel (zur Erreichung vorgegebener Zwecke) und nicht auf die Handlungszwecke beziehen. (vgl. Reinhold, 1991: 465)

22 Ausdifferenzierung, bezeichnet in der funktional-strukturellen Theorie Luhmanns die Ausgrenzung eines Systems oder bestimmter Systemelemente, z. B. Rollen und Symbole, aus er jeweiligen Umwelt. Auf der Ebene sozialer Rollen kann so z. B. eine Zuordnung aller einschlägigen Rollen zum politischen System erfolgen. Durch die relative Verselbstständigung ist die Ausdifferenzierte nur noch von bestimmten Vorgängen seiner Umwelt abhängig. (Hillmann, 1994)

23 Autopoiesis, (griech. Selbsttun) Selbstproduktion, Selbstreferenz. ...Über Selbstorganisation bezeichnet Autopoiesis die Eigenart solcher Systeme, die die Elemente aus denen sie bestehen, selbst produzieren und fortlaufend reproduzieren. Dementsprechend heisst Autopoiesis für derartige Systeme: ständiges, tendenziell unbeendbares Weiterlaufen der Produktion von Elementen des Systems durch Elemente des betreffenden Systems. So können Handlungssysteme nur aufrecht erhalten bleiben, wenn in ihnen immer wieder Handlungen reproduziert werden und zwar verbunden mit gewissen Variationsschranken. (Hillmann, 1994)

24 Im Gegensatz zu dem Alternativangebot innerhalb der Klasse der Akteurstheorien, den verschiedenen Spielarten des symbolischen Interaktionismus, gilt für die Theorie rationalen Handelns, dass sie Handeln ursächlich erklären und nicht allein beschreiben wollen.

25 Systemorientierte Ziele sind nicht unbedingt als Ziele von Akteuren zu betrachten. Systemische Ziele sind vielmehr extern definierte, die die Handlungen von Akteuren strukturieren.

Kapitel II

1 Inhaltliche Anregungen wurden hier zum Teil aus dem Artikel ‘Eine Website allein führt nicht ins Eldorado‘ aus der NZZ, 20.02.98, B.Guissani, entnommen.

2 Das ‘bewegt‘ ist ein in der PR-Branche schon älterer Slogan -bspw. ‘helvetas bewegt‘ (ein NGO), Spendenaufruf Herbst ‘97.

3 In Untersuchungen von Sproul und Kiesler (1991) wird zum einen auf die positiven Auswirkungen hingewiesen, die Kommunikationsformen haben, die nicht face-to-face stattfinden. Ein umgekehrter Effekt ist allerdings auch sichtbar. Soziale Dekontextualisierung, das Nicht-Sichtbar-werden des anderen lässt Schranken und Selbstkontrolle in Konfliktsituationen wegfallen -flaming- das Beflegeln hat in der Internetkommunikation Konjunktur (vgl. dazu Fussnote 18, S. 48).

4 Tages-Anzeiger: Die jungen hoffnungsvollen Bessermacher, 14.02.1998.

5 Cityline AG, Zürich.

Kapitel III

1 Elias Canetti: Die gerettete Zunge.

2 Tages-Anzeigermagazin, 28.02.98

3 GfS Forschungsinstitut, Bern.

4 Direkte Demokratie im Internet. Aargauer Zeitung, 05.10.1998.

5 Tages-Anzeiger, 21.02.98

6 Die Resultate der Wahlergebnisse sind der für den Wahlkampf eingerichteten Website der Stadt Zürich am 2. März 1998 entnommen.

7 WEMF-Studie Spezial 2 (+3): Erhebung November ‘97 bis April ‘98. Die Analyse basiert auf 10‘000 Interviews die in der ganzen Schweiz durchgeführt wurden.

8 WEMF-Studie Spezial 1: Erhebung Mai bis Oktober ‘97.

9 Blue Window, Okt. 1998: 4‘000‘000 CH-Sites.

10 Die landesweiten Daten der regelmässigen Internetbenutzer (ENK) sind der WEMF-Studie SPEZIAL 2 vom September 1998 entnommen. Die speziellen Daten für die Stadt Zürich wurden auf Anfrage hin von der WEMF Medienforschungs AG in Zürich erstellt.

11 Zürich Total: N = 216‘000; n = 1‘159.

Schlussbetrachtung:

1 Die Dossiers der Tageszeitungen zum Wahlkampfgeschehen wurden 4 bis 5mal häufiger konsultiert als die Websites der Wahlkampfkandidaten. Die Positionierung der Presseanstalten im Internet deuten bspw. darauf hin, dass sie sich, neben Vermittlung von Tagesaktualitäten zusätzlich zu riesigen zeitraumlosen elektronischen Datenarchiven ausbauen.

2 In einer Studie der US-Universität Carnegie Mellon heisst es dazu, dass je mehr das Internet benutzt wird, um so mehr fühlen sich Benutzer sozial isoliert. Zürcher Tagesanzeiger, 05.10.98. Die erwähnte Website lässt sich über TA-Homepage anklicken (http://www.tagesanzeiger.ch).

Inhalt

Teil 1, Teil 2

Last update: 06 Mrz 17

 

Editor

  Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich

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