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Social Movements,

Pressure Groups and Political Parties


 

Gewalt als Strategie und Aktionstaktik sozialer Bewegungen

Das Framing der Autonomen und die staatliche Intervention
gegen diese Bewegung in Deutschland

Raphael Schaub

Mai 1997

 

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Taktiken und Ziele sozialer Bewegungen

Gewalt, Politische Gewalt und staatliches Gewaltmonopol

Politische Gelegenheitsstruktur und Protest Policing Framing Framing und Protest-Policing am Beispiel der Autonomen Schlussbesprechung Anhang

Bibliographie


SPIEGEL: Gewaltanwendung ist für euch selbstverständlich?

HUGO: Wir leben ja nicht in einer gewaltfreien Gesellschaft, sondern der Staat übt ja auch Gewalt aus auf uns, nicht nur durch Tränengas und Knüppel. Auch Atomkraftwerke sind Gewalt, und wenn dagegen das einzig wirksame Mittel Gewalt ist, dann müssen wir eben auch Gewalt anwenden.

CLARA: Ist doch eine Illusion zu glauben, dass wir in dieser Gesellschaft ohne Gewalt auskommen. Welche Funktion hat dann das Propagieren von Gewaltlosigkeit? Doch wohl auch die, viele Leute davon abzuhalten, konsequent und entschlossen für das einzutreten, was sie wollen.

FIDEL: Natürlich stellt sich für mich die moralische Frage. Für mich ist Militanz der letzte Weg, wenn ich sehe, dass es anders nicht mehr geht, bei dieser ganzen Gewalt, die mir in jedem Lebensbereich entgegengestellt wird. Dass ich auf eine Demo gehe und Steine schmeisse und mit meiner Zwille schiesse, ist die Folge dieser Überlegung. Auf einer Demo kommt dann natürlich ziemlich viel Gefühl dazu, der ganze Hass, die ganze Wut. Die einzige Alternative wäre, dass ich die Gewalt erdulde und damit Gewalt gegen mich selber anwende. Ich kann natürlich zu allem schweigen, alles erdulden, bring" mich um, hüpf" von der Brücke, knall" mich mit Drogen zu - oder ich reagiere darauf mit Gewalt.

Inhalt

Einführung

Über die Ursachen und Vertreter von politischer Gewalt wurden bereits einige Theorien formuliert. Als Ursache werden in der Regel ökonomische, soziale, politische und kulturelle Faktoren genannt. über die Motivation der Akteure politischer Gewalt wurden Theorien der Deprivation, psychopathologischer Erkrankung oder Puppentheorien (Akteure als blinde Handlanger eines Komplotts) erarbeitet. Befriedigende Erklärungen liefern diese Theorien der Extremismusforschung jedoch nicht. Della Porta hebt denn auch hervor, dass Untersuchungen auf der Mikroebene gezeigt haben, dass politische Gewalt nicht Folge von pathologischen Persönlichkeiten oder (inter)nationaler Konspiration ist. Sie weist darauf hin, dass die Vertreter von Deprivations- und Massengesellschaftstheorien die institutionellen Aspekte politischen Lebens weitgehend vernachlässigen (della Porta 1995: 7). Die Entstehung von Protest und daraus erwachsenden sozialen Bewegungen sind nicht Folge der Deprivation. Protestbewegungen können jedoch auch nicht an bloss erfundenen Problemen anknüpfen. Sie setzen Unzufriedenheit voraus. Problemdeutungen müssen eine gewisse Entsprechung in individuellen Erfahrungslagen und Wertbindungen finden, um glaubwürdig zu sein und nicht als Hirngespinste zu erscheinen oder auf Gleichgültigkeit zu stossen (Rucht 1994: 337ff). Die Ansätze der relativen Deprivation, die die subjektive Wahrnehmung von Diskrepanzen von Gleichheit und Gerechtigkeit im Verhältnis zu anderen Bezugssgruppen beschreiben, liefern ein durchaus plausibles Erklärungsangebot für Handlungspotentiale , reine deprivationstheoretische Ansätze jedoch, erklären z.B. die Möglichkeit des advokatorischen Engagements nicht und sind deshalb gerade im Bezug auf die sozialen Bewegungen wenig brauchbar.

Die vor allem in den 70er und 80er Jahren vorangetriebene Forschung über soziale Bewegungen hat hier neue Wege aufgezeigt. Die neuen sozialen Bewegungen als Akteure in den zentralen Konflikten der postindustriellen Gesellschaft, nach der Beilegung von den industriellen Konflikten und der Integration der Arbeiterklasse in das kapitalistische System, sind Produkt von den der Gesellschaft inhärenten strukturellen Konflikten und nicht von vorübergehenden Belastungen. Diese strukturellen Konflikte selbst provozieren nicht allein kollektive Aktionen. Um eine kollektive Aktion zu starten, müssen sich Akteure zusammenfinden, eine kollektive Identität geschaffen und eine Organisation gegründet werden. Zald formuliert im Sinne des Resource mobilization approach wie folgt: "Verhalten beinhaltet Kosten; deswegen führen Ungerechtigkeiten (grievance) und Deprivation nicht automatisch oder anstrengungslos zu Aktivitäten sozialer Bewegungen, besonders dann nicht, wenn es sich um hochriskante Aktivitäten handelt" (Zald 1992: 332). Wie alle anderen kollektiven Akteure auch müssen soziale Bewegungen ihre Anhänger mobilisieren. Um ihre Interessen durchsetzen zu können, greifen sie zum Mittel der Protestaktion, insbesondere dann, wenn kein Zugang zu (politischen) Entscheidungsträgern möglich ist. Ihr Adressat ist dann die öffentliche Meinung. Durch ihre Aktivitäten kommen sie in Kontakt mit dem politischen System, Verbündeten oder gegnerischen Bewegungen, welche unterschiedlich auf die angewandten Strategien und Aktionstaktiken reagieren.

Inhalt


Taktiken und Ziele sozialer Bewegungen

Durch die Aktionen, die eine soziale Bewegung veranstaltet, übermittelt sie eine Menge Botschaften. Keine dieser Botschaften ist bedeutsamer als jene, welche über den Grad der Bedrohung, die von einer sozialen Bewegung ausgeht, Auskunft gibt. Bedrohung manifestiert sich dabei in der Störung der Öffentlichkeit. Je grösser die Ausweitung dieser Störung, desto grösser ist auch das Bedrohungspotential einer Bewegung. Diese Störungen können dabei in Abhängigkeit von den Zielen der Bewegungen in verschiedenen Formen zutage treten. Die Taktiken und Ziele der sozialen Bewegungen prägen dabei weitgehend die Wahrnehmung und Reaktionen durch andere Gruppierungen. Bestimmte Kombinationen von Taktiken und Zielen führen zu typischen Reaktionen, welche die Bewegung von ihrer Umwelt (in einem demokratischen System) zu erwarten hat. Die nachfolgende Tabelle soll dies vereinfacht darstellen (McAdam 1994: 397):




TAKTIKEN

 




nicht-institutionalisiert

institutionalisiert

Revolution
Repression

Gleichgültigkeit/ Überwachung/ Belästigung
ZIELE





Reform
erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit/ Zuspitzung des Konfliktes

Gleichgültigkeit/ minimale Opposition und /oder Unterstützung

Im Rahmen dieser Arbeit interessieren dabei nur die beiden Felder der linken Spalte in der Tabelle. Mögliche Aktionsformen mit Bedrohungpotential sind z.B. Massenaufläufe, ziviler Ungehorsam, spektakuläre Protestaktionen - oder, wie mit einem Auszug aus einem Interview des SPIEGELs (Der Spiegel Nr. 40/1988: 40) mit Autonomen zu Beginn bereits angedeutet - GEWALT. Gewalt ist ein Interaktionsprodukt, wenn auch ein sozial nicht anerkanntes, bei dessen Erklärung es nicht ausreicht, nur das Verhalten einer Seite zu betrachten. Im Vordergrund steht deshalb die Auseinandersetzung mit sozialen Bewegungen, die einerseits Strategien der politisch motivierten Gewalt als Aktionsform anwenden und andererseits dem Staat sowie Bewegungsopponenten als Gegenpart dieses Interaktionsprozesses. Um der dichotomen Ausgestaltung dieses Interaktionsprozesses Rechnung zu tragen, wurden zwei theoretische Ansätze gewählt die einander entgegengesetzte Perspektiven einnehmen, sich jedoch in ihrem Aussagegehalt nicht unbedingt widersprechen oder ausschliessen.

Der theoretische Ansatz des Framings soll dabei der Untersuchung der Entstehung, Legitimation und Praktizierung von Gewalt als Protestform mit Blick auf die sozialen Bewegungen dienen. Mit Hilfe des auf dem Konzept der politischen Gelegenheitsstruktur aufbauenden Ansatzes des Policing of Protest soll die Rolle des Staats und seiner Institutionen innerhalb eines gewalttätigen Konfliktes untersucht werden. Da den Medien innerhalb eines gewaltsamen Konflikts grosse Bedeutung zukommt, soll auch ein Augenmerk auf die Ursachen und Folgen der medialen Berichterstattung und Position gelegt werden.

Einleitend werden die Begriffe Gewalt, politische Gewalt und staatliches Gewaltmonopol erläutert. Darauf folgt die Beschreibung der theoretischen Ansätze des Framings, des Policing of Protest und der politischen Gelegenheitsstruktur. Anhand der Autonomen Bewegung in Deutschland soll anschliessend die Aussagekraft der theoretischen Ansätze untersucht und diskutiert werden.

Inhalt


Gewalt, Politische Gewalt und staatliches Gewaltmonopol

Von der Gewalt allgemein

Einleitend soll eine lexikale Definition des Begriffs Gewalt geliefert werden: "Gewalt ist die Bezeichnung für einen einmaligen physischen Akt, für den Vorgang, dass ein Mensch einem anderen Menschen Schaden mittels physischer Stärke zufügt" (Lexikon zur Soziologie 1995: 247).

Jede Handlung bedarf einer subjektiv überzeugenden Rechtfertigung, das gilt insbesondere für Gewalt. Die Einstellung zu Gewalt ist der sprachlich formulierbare Niederschlag individueller, lebensgeschichtlicher Verarbeitung im Umgang mit der inneren und äusseren Realität, die ein Begründungsrepertoire bei unterschiedlichen Handlungssituationen darstellt. Aggressionsbereitschaft hängt primär nicht mit Gewalt zusammen, sondern kann hierbei zutage treten, meistens als Form einer defensiven Reaktion. Vier grundlegende Begründungen zur Gewaltanwendung lassen sich erkennen:

  • Gewalt als Gegengewalt mit der Selbstdefinition als "Opfer".
  • Gewalt als ultima ratio unter der Ansicht, dass nur noch so Fremdwahrnehmung und die Wahrnehmung der Person oder Gruppe als ernstzunehmender Gesprächspartner zu erreichen ist.
  • Gewalt als Ordnungsfaktor mit der Begründung, dass Konflikte mit Gewalt in Ordnung überführbar sind.
  • Gewalt als normales Handlungsmuster mit der subjektiv sinnhaften Begründung, dass Gewalt alltäglich ist und somit Gewalt kein normfremdes Verhalten darstellt.

Alle Rechtfertigungen haben den selben problematischen Kern. Alle Ziele verlieren ihre "Unschuld" sobald sie mit Gewalt erreicht werden sollen. Die Gefahr, dass die Ziele nivelliert werden und das Instrument anstelle der Ziele tritt, ist bei der Gewalt als Instrument (Mittel zum Zweck) besonders gross.

Inhalt

Definition politischer Gewalt

Der Begriff der politischen Gewalt ist stark ideologisch gefärbt und seine Bedeutung variiert von einer politischen oder sozialen Gruppe zur anderen. Es ist darum nötig, im Rahmen dieser Arbeit ein klare Definition des Begriffs der politischen Gewalt festzulegen:

"Politische Gewalt ist ein bestimmtes Repertoire von kollektiven Aktionen, die den Einsatz von physischer Gewalt beinhalten, welche zum Zeitpunkt ihres Auftretens innerhalb der vorherrschenden Kultur als illegitim betrachtet werden. Die Aktionen beinhalten Angriffe auf Besitz mit dem Ziel, Besitz zu zerstören oder zu entwenden; Aufstände anzetteln mit der Absicht, dass die Aufstände zu Unruhen (Riots) und Plünderungen führen; gewalttätige Konfrontationen, wenn sich Mitglieder opponierender politischer Gruppen gegenseitig bekämpfen; Auseinandersetzungen mit der Polizei, wenn Protestierende mit der Polizei gewalttätig interagieren; gewalttätige Angriffe auf Personen, wenn eine politische Gruppe eine andere oder Mitglieder einer Elite oder der Öffentlichkeit angreift, welche Verletzungen oder den Tod verursachen; zufällige gewalttätige Aktionen, wenn politische Gewalt sich gegen Personen unabhängig von deren politischer oder sozialer Identität richtet; bewaffnete Besetzung von Plätzen oder Festhalten und Entführen von Personen" (della Porta 1995: 3f).

Typisierung politischer Gewalt

Die vorangegangene Definition umfasst das gesamte Spektrum von politischer Gewalt. Da diese Formen jedoch einer verschiedenen Entwicklung unterliegen, ist eine Aufteilung in Typen unterschiedlicher Gewaltintensität sinnvoll (della Porta 1995: 5):

Nicht spezialisierte Gewalt
  Gewalt auf tiefem Niveau, die nicht organisiert ist.
Semimilitante Gewalt
  Gewalt auf tiefem Niveau, welche bereits leicht organisiert ist.
Autonome Gewalt
  Eingesetzt von lose organisierten Gruppen, die spontan Gewalt von hohem Niveau anwenden.
Terroristische Gewalt
  Extreme Gewalt, die von im Untergrund organisierten Gruppen angewandt wird mit der Absicht, sich an radikalen kollektiven Aktionen zu beteiligen.

Inhalt

Staatliches Gewaltmonopol

Die Bildung der Nationalstaaten ist stets mit Pazifizierungsschüben im Gefolge der Herausbildung eines staatlichen Gewaltmonopols begleitet worden. Die Folge davon war eine verstärkte Kontrolle der Gewaltaffekte im Staatsinnern, welches den Staaten Stabilität und dem einzelnen das Gefühl von Sicherheit verschaffte. Der Staat wird als neutrale Gewalt eingerichtet, die Konflikte schlichten soll und so den Frieden im Zusammenleben garantiert. Dies bedarf zum einen der Herrschaft des Gesetzes; zum anderen muss die Herrschaft des Gesetzes Institution werden in Gestalt der Monopolisierung des Rechts auf Anwendung von physischer Gewalt. Dieser Institution fällt die Aufgabe zu, die Durchsetzung des Richterspruchs nach Gesetzen zu garantieren; dazu bedarf es der Gewaltmittel (Braun 1984: 119).

Die physische Gewalt macht dabei nur eine kleine Kategorie der gesamten Staatsgewalt aus, dessen Organe das Militär, die Polizei und der Strafvollzug sind. Genau diese Kategorie ist mit dem staatlichen Gewaltmonopol gemeint, welche der rechtsstaatlichen Beschränkung und der Kontrolle der Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit unterliegt.

Die parlamentarische Demokratie des Grundgesetzes wird von der Vorstellung getragen, dass die Inhalte des Gemeinwohls und der Gerechtigkeit offen sind und in einem geregelten Entscheidungsprozess, wobei dem Volk durch die Verfassung die Möglichkeit eingeräumt ist, seinen politischen Willen in Abstimmungen zu artikulieren, durch ein Repräsentations- und Mehrheitsprinzip bestimmt werden. Das bürgerliche Beteiligungsrecht steht unter dem Vorbehalt der Friedlichkeit. Grundrechte wie Versammlungs- und Demonstrationsrecht sind nur dann nicht einer Einschränkung unterworfen, wenn sie friedlich und ohne Waffen durchgeführt werden. Der einzelne Bürger unterliegt der Friedenspflicht bzw. dem Gewaltverbot. Dieses System kann nur funktionieren, wenn unter den Bürgern Einigkeit darüber herrscht, Konflikte im Rahmen verfassungsrechtlicher Institutionen statt mit physischer Gewalt auszutragen.

Inhalt


Politische Gelegenheitsstruktur und Protest Policing

Politische Gelegenheitsstrukturen

Es interessiert nun, welche Umweltfaktoren die politische Gewalt begünstigen und welche Eigenschaften von politischen Organisationen am wahrscheinlichsten dazu führen, dass diese Gewalt in ihr Aktionsrepertoire aufnehmen.

Die Umweltbedingungen sind als Makrovariable zu betrachten, die Gruppendynamik als Mesovariable und die Motive des Individuums als Mikrovariable. Primär soll die Auseinandersetzung mit den Makrovariablen stattfinden. Zur Erklärung der Makrovariablen bietet sich das Konzept der politischen Gelegenheitsstruktur (POS) an, welche die Gelegenheiten und Beschränkungen der Umwelt beschreiben. Da Untersuchungen zu POS eine Korrelation zwischen den Strategien des Staates und denen der Bewegungen zeigen, sollen das Parteiensystem, Interessensverbände, die drei Gewalten sowie institutionelle und kulturelle Variablen als Untersuchungsmerkmale in Betracht kommen. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass die Makrovariablen von einem Gesellschaftssystem zum anderen variieren und sich somit keine Verallgemeinerungen formulieren lassen. Einen weiteren Mangel des Konzepts sieht della Porta (della Porta 1995: 11) darin, das bei den Untersuchungen zur POS stets von den potentiell gewöhnlichen Strategien des Staates als Antwort auf die Ziele und Neuformierungen einer Bewegung ausgegangen wurde, ohne dabei eine spezifische Strategie, nämlich die der Repression und (Gegen-)Gewalt zu untersuchen. Sie schlägt aus diesem Grund eine Erweiterung des POS Konzepts vor - das Policing of Protest. Die Erweiterung des Konzepts sieht vor, dass die polizeiliche Kontrolle von politischem Protest genauer untersucht wird. Das Policing of Protest (POP) ist als ein Interaktionsprodukt zu verstehen, welches ein genauer Indikator für die Haltung des Staates gegenüber den Bewegungen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es gleichzeitig eine Gelegenheitsstruktur darstellt, da sich die polizeiliche Kontrolle auf den Rahmen der Gesetzmässigkeiten und verfügbaren Ressourcen beschränkt.

Wie beim Staat soll auch bei den Bewegungen nicht nur gewöhnliche Strategien angenommen werden. Vom Resource mobilization approach ausgehend, stellen sich den Bewegungsorganisationen drei Aufgaben: Das Mobilisieren der Ressourcen, das Integrieren derselben und die Allokation dieser Ressourcen für externe Ziele (della Porta 1995: 36f). Die Unterschiedlichkeit der Bewegungsstrategien kommt bei den radikalen Bewegungen besonders hervor. Bei radikalen Bewegungen ist die Wahl der Strategie darauf ausgerichtet, aus einer Nische heraus den Wettkampf mit ihrer Umwelt zu suchen. Daraus folgt, dass diese Gruppen eine Abkoppelung erfahren, was die organisatorischen Kontakte zur Umwelt verringert. Dieser deutliche Unterschied zu den moderaten Gruppierungen wirft die Fragen nach der Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen in der Umwelt und der damit verbundenen Strategiewahl auf. Mit Hilfe des Policing of Protest soll nun dieser Frage nachgegangen und versucht werden herauszufinden, in wie weit Interventionen und Interaktionsmuster des politischen Systems die Radikalisierung von Bewegungen und somit den Einsatz von politischer Gewalt und Protesteskalationen fördern.

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Policing of Protest

Basierend auf dem Konzept der Political Opportunity Structure hat della Porta (della Porta 1995: 55) das Konzept des Policing of Protest formuliert, welches das Agieren und Verhalten der Polizei bei Protestanlässen untersucht. Beim POP soll es sich um eine neutrale Formulierung handeln. Bewegungsaktivisten würden das POP als Repression bezeichnen, der Staat als Recht und Ordnung-Politik. Mit dem Konzept des POP sollen nur diese Variablen berücksichtigt werden, die einen direkten Einfluss auf die sozialen Bewegungen haben. Das POP dient der Bestimmung des Interaktionsproduktes von Staat und sozialer Bewegung, welches sich aus relevanten Gelegenheiten und Beschränkungen, die soziale Bewegungen erfahren, sowie der Offenheit und Aufnahmefähigkeit des Staates ergibt.

Es sollen drei Typen von relevanten politischen Gelegenheitsstrukturen unterschieden werden:

Stabile Gelegenheitsstrukturen
  institutionelle und kulturelle Variablen
institutionelle Komponenten
  Polizeiapparat, Justizsystem, Gesetze, Verfassungsrechte
politische Kultur
  Konzeption des Staates, Bürgerrechte

Soziale Bewegungen beeinflussen ihre Umgebung und die Eigenschaften der politischen Gelegenheitsstruktur. Deshalb muss berücksichtigt werden, dass auch andere Akteure durch ihre Interaktion in einem Konflikt, das Policing of Protest beeinflussen. Die zusätzlichen Akteure, voran die Medien, die politische Parteien, Interessensverbände und Wirtschaftsverbände, vertreten, beeinflusst durch die sozialen Bewegungen, Interessen und Meinungen, die zu einer Kooperation oder Opposition mit diesen führen können.

Die Analyse der interaktiven Prozesse des POP soll das Verständnis um das Entstehen von Gewalteskalationen verbessern. Die Interaktion von Bewegung und der Polizei steht hierbei im Mittelpunkt der Untersuchung. Die Wahl der Strategien, Innovations- und Adaptationsprozesse sind auf beiden Seiten durch diese Interaktion bestimmt, werden aber in Bezug auf die Polizei stark vom politschen System beeinflusst, weshalb die politischen Gelegenheitsstrukturen Teil der Untersuchung sind.

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Institutionelle Komponenten

Verfassung und Gesetze über die öffentliche Ordnung, Demonstrationsrecht, Polizeigesetz und Bürgerrecht bestimmen ebenfalls das POP. Dazu gehört auch der Aufbau des Polizeiapparates (Verbindungen zu anderen polizeilichen Institutionen wie z.B. der Geheimpolizei; Kompetenzen etc.) und die institutionalisierten Einrichtungen, wie z.B. spezielle Gerichtshöfe, spezielle Gesetzespakete und Rechtsprechungen für die politische Kriminalität. Besonders relevant sind offenbar Ausbildung und Ausrüstung der Polizei. Eine Militarisierung der Polizei führt eher zu einem repressiven Policing, während eine Professionalisierung und die Ausweitung der Verfügbarkeit von technischen Mitteln zur Anwendung einer sanfteren und durchdachteren Gangart motiviert. Der Zugang der sozialen Bewegungen zu den Behörden und die Möglichkeit, ihre Ziele über die Administration oder Abstimmungen zu erreichen, ist ebenfalls sehr entscheidend. Wenn institutionalisierte Kanäle zum Ausdrücken von Unzufriedenheit blockiert sind (z.B. bei sehr breiter Regierungskoalition der etablierten Parteien, bei einem neokorporatistischen Kartell der Eliten oder bei hohen prozessualen Hürden) oder dieser Weg sich nicht dafür eignet und es keine anderen Möglichkeiten gibt, politisches und soziales Verhalten zu ändern, werden Protestgruppen sich Strategien zuwenden, die ein entsprechendes Bedrohungspotential beinhalten, wobei Gewalt eine der markantesten Formen darstellt.

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Politische Kultur

Das kulturelle Verständnis von Bürgerrechten und Polizeimacht hat einen weiteren Einfluss auf das Policing of Protest. Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und die verschiedene Konzeptionen der Rolle des Staates und der Polizei innerhalb der Bevölkerung und der Regierung, die Tradition und die geschichtliche Vergangenheit bestimmen weitgehend, welche sozialen Bewegungen oder politischen Gruppierungen als Demokratiefeinde zu betrachten und dementsprechend zu verfolgen sind. Vertrauensdefizite in die demokratischen Institutionen auf Seiten der Bewegungen und umgekehrt des Staates in den demokratischen Protest der Bewegungen, führen immer wieder zu Konflikten und Eskalationen. Während der Staat die Aktionen der Bewegungen als eine Bedrohung der Demokratie versteht, können die Bewegungsaktivisten die Reaktionen des Staates als Zeichen von Faschismus und totalitärem Regime sehen. Teile der Traditionen bestimmen auch, ob sich die Hauptaufgabe der Polizei auf die Kontrolle der Kriminalität oder auf die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung versteht.

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Machtkonstellationen

Auf Parteienebene ergibt sich beim POP gewöhnlich eine Polarisierung entlang des Links-Rechtsgrabens. Allgemein lässt sich sagen, dass bei einer Mehrheit der Linken das POP sanfter ausfällt als bei einer Konservativen oder rechten Mehrheit. Linke Regierungsmehrheiten müssen aber nicht immer ein sanftes POP verfolgen. Wenn die Notwendigkeit besteht, in Krisensituationen ihr Regierungsvermögen zu beweisen und neu zu legitimieren, könne Zugeständnisse an Vertreter der Recht und Ordnung-Politik zu einer repressiven Haltung führen.
Die verschiedenen Akteure wie politische Parteien, Bewegungen, Wirtschaftsverbände und andere, die das POP zusätzlich beeinflussen, wenden sich an die Regierungsvertreter oder immer mehr direkt an die Massenmedien. Dadurch kann ihr Einfluss ein beachtliches Ausmass annehmen. Dass politische Themen der inneren Sicherheit in der Öffentlichkeit behandelt werden, ist einerseits ein Zeichen breiter demokratischer Toleranz, andererseits kann bei einseitiger medialer Berichterstattung eine unnötige Ausweitung der Polarisierung der öffentlichen Meinung bezüglich des Konfliktgegenstandes erfolgen, die die Konsensfindung oder Beilegung des Konflikts erheblich erschwert.

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Die Polizei

Das Policing of Protest ist nicht nur Konsequenz aus stabilen Gelegenheitsstrukturen und Machtkonstellationen. Das ausführende staatliche Organ in der direkten Konfrontation ist natürlich die Polizei. Dabei hängt die Haltung der Polizei sicher von der Sozialisation und dem Training der Polizeibeamten, sowie von den Verbindungen der Polizei zu Organen der Staatssicherheit und Geheimdiensten ab. Der Einfluss der Polizei auf das POP ergibt sich aus drei Mechanismen (della Porta 1995: 77f):

  • die Dialektik der Zentralisation und Autonomie in den Polizeieinheiten
  • die Schwierigkeit, verschiedene Polizeigruppen zu koordinieren
  • die Ungewissheit über die Ziele der Intervention

Beispielsweise können trotz ausgeklügelten Interventionstechniken Polizeieinheiten schlecht darauf vorbereitet sein, kleine, gewalttätige Gruppen innerhalb einer friedlichen Masse zu isolieren, was natürlich eine grundsätzliche Schwierigkeit darstellt, will man Recht und Ordnung wahren und gleichzeitig das Demonstrationsrecht gewährleisten. Koordinationsprobleme ergeben sich meist daraus, dass von den Behörden auswärtige Polizeitruppen aufgeboten werden, die das Territorium und eventuell gewisse Techniken der lokalen Polizei nicht kennen. Daraus ergeben sich oft Eskalationen, selbst dann, wenn ein moderater und sanfter Polizeieinsatz geplant war.

Das Policing of Protest kann in folgende Dimensionen unterteilt werden:

repressiv versus tolerant
  bezüglich der Bandbreite von verbotenem Verhalten
selektiv versus diffus
  bezüglich der Zielgerichtetheit der Repression
präventiv versus reaktiv
  bezüglich des Timings der Polizeiintervention
hart versus sanft
  gemäss der eingesetzten Kraft
masslos versus gesetzmässig
  gemäss der Rechtmässigkeit und dem Gebot der mildesten Mittel; legale und demokratische Prozeduren

Ein POP der Konfrontation kann gelegentlich von der Polizei "verweigert" werden, wenn diese von politischen Instanzen verordnet wurde und die Möglichkeiten einer politischen Antwort auf den Konfliktgegenstand nicht ausgeschöpft wurden. Aber auch dann, wenn die öffentliche Meinung über die Polizei derart schlecht zu werden droht, dass der Polizei die Legitimationsanerkennung und Unterstützung von der Bevölkerung verweigert wird.

Die nun erläuterten Gelegenheitsstrukturen bilden einen Rahmen von Gelegenheiten und Beschränkungen für das POP. Natürlich haben diese stabilen Gelegenheitsstrukturen nicht ewig Bestand, sondern ändern sich langsam. Gerade traumatische Erlebnisse, entstanden aus der Interaktion und Entwicklung von sozialen Bewegungen mit ihren Opponenten oder Verbündeten, stimulieren Lernprozesse, die eine Änderung verursachen können.

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Framing

Das Framingkonzept als Weiterführung des symbolischen Interaktionismus betont die Rolle der Deutungsstrategien, mit deren Hilfe eine Frage überhaupt als Problem bestimmbar, mit ihren Ursachen und Verursachern näher bezeichnet und mit Angeboten einer Abhilfe oder Linderung versehen wird. Soziale Bewegungen fungieren dabei als Träger und Transmitter von mobilisierendem Glauben und Ideen (Rucht 1994: 343). Sie produzieren in erster Linie (Be)Deutungsmuster (meaning) für die Mitglieder, Sympathisanten und Beobachter. Diese Produktionsarbeit beinhaltet das Formen und Strukturieren von bereits existierenden (Be)Deutungsmustern (meanings). Bewegungen sind gewissermassen signifying agents (Bedeutung und Deutung schaffende Agenten), die in einer starken Beziehung zu den Medien und dem Staat stehen. Diese Beziehung muss dabei von den Bewegungen stets unterhalten werden, was mit politics of signification umschrieben werden kann. Das Verb framing bezeichnet die Arbeit (signifying work), aus der heraus etliche Strategien entstehen, mit deren Hilfe Bewegungsakteure versuchen, sich selbst und ihre Thematik darzustellen, um so die von ihnen gewollten Aktivitäten zu motivieren und zu legitimieren.

Bewegungen rahmen relevante Ereignisse und Bedingungen (mit anderen Worten: deuten diese und weisen ihnen Bedeutung zu) und interpretieren diese, mit der Absicht, potentielle Anhänger und Wähler zu mobilisieren, Unterstützung von Unbeteiligten zu erhalten und Gegner zu demobilisieren. Die Mobilisierung und Aktivierung von Mitgliedern hängt von der Verbindung der interpretativen Orientierungen der Individuen und der sozialer Bewegung ab. Diese Verbindung ist dann stabil, wenn die individuellen Interessen, Werte, Glauben und die Aktivitäten, Ziele, Ideologien der sozialen Bewegung übereinstimmen und/oder komplementär sind. Diese Verbindung von interpretativer Rahmenarbeit, wie sie von Individuen und der Bewegung gemacht wird, wird als Frame alignment bezeichnet. Dabei werden vier Formen von Frame alignment unterschieden (Snow et al. 1997: 238ff):

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Frame Bridging

Der Begriff frame bridging bezeichnet die Verbindung von zwei oder mehr ideologisch kongruenten, aber strukturell unverbundenen Rahmungen eines bestimmten Themas oder Problems. Ein solcher "Brückenschlag" kann zwischen zwei sozialen Bewegungen innerhalb derselben Bewegungsfamilie oder auf individueller Ebene erfolgen. Letztere Variante steht beim Framingkonzept im Vordergrund. Frame Bridging umfasst hierbei die Verbindung einer sozialen Bewegung mit unmobilisierten Pools von Empfindungen (sentiment pools) oder Präferenzgruppen der öffentlichen Meinung. Diese Empfindungspools beziehen sich auf eine Ansammlung von Individuen, die ein gemeinsames Gefühl von erfahrener Ungerechtigkeit teilen und gleiche Orientierungsmerkmale aufweisen, denen jedoch die organisatorische Basis fehlt, um ihre Unzufriedenheit auszudrücken und ihre Interessen aktiv zu vertreten. Kollektive Aktionen erfolgen für diese Pools aus der Verbindung mit ideologisch gleichgerichteten Bewegungen. Der Effekt des Brückenschlags erfolgt dabei in erster Linie durch eine aktive Informationspolitik der Bewegungsorganisationen. Verbreitung von Information durch die Gruppen des Bewegungsnetzwerkes, durch Massenmedien, Telefon und Postversand. Die erste Aufgabe besteht darin, eine Liste der Namen von (potentiellen) Unterstützern und Sympathisanten zu erstellen und diese über die der Bewegung zur Verfügung stehenden Informationskanäle mit der Bewegung zu verbinden. Besonders durch den Versand von adressierter Post an potentielle Anhänger wird ein grosser Teil der primären Mobilisationsarbeit geleistet. Die Bewegungsnetzwerke fungieren dabei als strukturierender Faktor in der Rekrutierung. Wie das Anwerben auf der interpersonellen Basis erfolgt und wie Überzeugungsarbeit geleistet und Rahmungsänderungen erfolgen, soll in den nächsten Typen von Frame Alignment behandeln werden.

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Frame Amplification

Da die Bedeutung eines Ereignisses und deren Verbindung zur Lebenssituation eines Individuums aufgrund von Gleichgültigkeit, Fehlinformation oder Unsicherheit oftmals unklar ist, ist die Partizipation und Unterstützung von Aktionen sozialer Bewegungen oftmals von der Aufklärung und erneutem Aufladen eines interpretativen Deutungsrahmens abhängig. Unter Frame Amplification (etwa: Rahmungsverstärkung) versteht man das Aufklären und Aufladen eines interpretativen Deutungsrahmen, der auf einen bestimmten Gegenstand, Problem oder bestimmte Ereignisse Bezug nimmt. Frame Amplification wird dabei in Value Amplification und Belief Amplification unterschieden.

1. Value Amplification: Werte könne in der Vorstellung von Verhaltensnormen oder als Einstellung zu einem Objekt (als gut, erhaltens- und fördernswert usw.) bestehen. Individuen ordnen den Werten eine Hierarchie zu, sodass gewisse Werte eine höhere andere eine geringere Bedeutung haben. Value Amplification beschreibt nun den Vorgang der Identifikation, Idealisierung und Erhöhung von einem oder mehreren Werten, die aus irgend einem Grund keine kollektive Aktion ausgelöst haben. Es sind Werte, die an Bedeutung verloren haben, nicht mehr gebraucht oder unterdrückt wurden (z.B. infolge Repression) oder als Folge des Fehlens von Institutionen oder Organisationen, welche als Vertreter dieser Werte fungierten, verloren gegangen sind. Sowie Werte, die nicht mehr gefördert wurden oder über deren Relevanz für eine bestimmtes Thema oder Ereignis Zweifel herrschen. Treffen einer oder mehrere der zuvor genannten Punkte über Werteartikulation und -ausdruck zu, dann erfordert die Rekrutierung von potentiellen Bewegungsanhängern eine Fokussierung, Erhöhung und Wiederbelebung genau dieser Werte, die für einen bestimmten Gegenstand oder bestimmtes Ereignisse relevant sind. So wurden z.B. in der Friedensbewegung insbesondere demokratische Werte der Gleichheit und Freiheit idealisiert und gefördert. Sind wieder neu ins Bewusstsein gerufene, stilisierte Werte einmal konsolidiert, dann wird sich die periodische Mobilisierung der Anhänger für Bewegungsaktivitäten um einiges einfacher gestalten. Innerhalb dieses Prozesses versuchen die Bewegungen sich in der Öffentlichkeit als die besten Vertreter und Träger dieser Werte zu definieren und ihre Notwendigkeit hervorzuheben.

2. Belief Amplification: Werte beziehen sich auf Ziele und Ergebnisse, die soziale Bewegungen anstreben, wohingegen Glaube als ideelles Element zu verstehen ist, das auf Erkenntnis aufbauend Aktionen unterstützt oder verhindert, um so die gewünschten Werte zu erreichen. Es sind fünf feststellbare "Glaubensformen" zu eruieren, die relevant für den Mobilisierungs- und Partizipationsprozess sind:

1. Der Glaube, dass ein bestimmtes Problem, Gegenstand oder Ungerechtigkeit auch wirklich existent ist.

2. Der Glaube an Ursache und Wirkung oder Schuld.

3. stereotyper Glaube an Antagonisten und Ziele der Beeinflussung und Manipulation.

4. Glaube an die Möglichkeit, Dinge zu ändern und an die Wirksamkeit kollektiver Aktionen und schliesslich.

5. der Glaube an die Notwendigkeit "aufzustehen und sich zu wehren".

Die einzelnen Glaubenstypen können durch das Herausstreichen von erfolgreichen kollektiven Aktionen der Vergangenheit oder der Gegenwart und durch das Betonen einer moralischen Verpflichtung und Notwendigkeit sich einzusetzen als kulturell verankerte Formen von Loyalität und Verantwortung gefördert werden. Der Glaube an die Wirksamkeit von kollektiven Aktionen ist für das Entstehen einer sozialen Bewegung der wichtigste. Optimismus der Anhänger einer Bewegung über den Erfolg der kollektiven Herausforderung ist ebenso ein Muss, um das Fortbestehen einer Bewegung zu sichern. Aber auch die eher pessimistische Ansicht des "Wenn ich es nicht mache, tut es niemand" kann zu Partizipation und Engagement führen.

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Frame Extension

Die Mobilisierungsarbeit einer Bewegung kann sich jedoch nicht nur auf das Anwerben von ideologisch unmittelbar mit der Bewegung verbundenen potentiellen Anhängern beschränken. Ab einem gewissen Moment kann sich die Bewegungsarbeit nicht nur auf das Sichern und Aktivieren der genannten Gruppe und ihrer Unsicherheiten, Zweifel, Lethargie und Gleichgültigkeit beschränken. Von Frame Extension spricht man dann, wenn eine Bewegungsorganisation ihre primären Rahmungsgrenzen überschreitet und sich in Programmen und Werten engagiert, die in einem weiteren Zusammenhang als mit den ursprünglich anvisierten Anhängerpools und deren Interessen zu tun haben, die jedoch von ebenso grosser Wichtigkeit sind wie die Primärziele. Damit wird die Absicht verfolgt, durch das Porträtieren der Ansichten und Aktivitäten aufzuzeigen, dass die Werte und Glaubensformen der Bewegung mit denen potentieller Anhänger übereinstimmen oder so ähnlich sind, um diese als neue Anhänger anzuwerben und zur Partizipation an den Bewegungsaktivitäten zu motivieren. Die Aktionen, die dazu gestartet werden, müssen dabei nicht immer in Zusammenhang mit den Bewegungszielen stehen. Aktionen mit allgemeinem Erlebnisscharakter wie z.B. das Veranstalten von Pop- und Rockkonzerten haben sich für die Friedensbewegung als erfolgreiche Taktik erwiesen, ihre Ziele auch Uninteressierten näher zu bringen. Interaktionsprozessen auf individueller Ebene dürften dabei eine besondere Bedeutung zukommen. Durch sie kann am erfolgreichsten eine Änderung des interpretativen Rahmens erreicht werden. Die Änderung der Interpretationsmuster wird im nächsten Abschnitt erläutert.

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Frame Transformation

In den zuvor genannten Typen des Frame Alignment ist dargestellt worden, wie die Verbindung zwischen Individuum und Bewegung durch verschiedene Rahmungsprozesse verstärkt und ausgebaut werden kann. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass nicht alle Programme, Werte und Glauben, die von einer Bewegung vertreten werden, eine positive Resonanz erzeugen. Die vermittelte Botschaft kann gegenüber dem gewöhnlichen Leben, den vertrauten Ritualen und bestehenden interpretativen Rahmungen widersprüchlich erscheinen. In einem solchen Fall müssen von der Bewegung neue Werte geschaffen und verbreitet, alte Meinungen und Irrglaube verworfen werden um Unterstützung zu erneuern und zu sichern - kurz der Rahmen muss transformiert werden. Die Aktivitäten und Veranstaltungen werden vom Standpunkt der primären Rahmungsarbeit aus neu definiert und somit eine systematische Änderung vorgenommen. Es können zwei Formen solcher Frame Transformation unterschieden werden: Transformationen eines interpretativen Rahmungsbereichs und Transformationen des nahezu gesamten interpretativen Rahmens (transformation of domain-specific and global interpretive frames). Beide beinhalten die Neurahmung von gewissen Bedingungen. Die Situation, in der eine Bewegung stattfindet, muss sich dabei nicht gross ändern. Vielmehr wird die Situation deutlich anders definiert. Was z.B. zuvor als unglücklich aber tolerierbar empfunden wurde, wird nun als unentschuldbar, ungerecht oder unmoralisch wahrgenommen. Eine Änderung in der interpretativen Orientierung wirkt sich besonders in Bewegungen, die eine Änderung der soziopolitischen Struktur anstreben, oftmals stark auf die Mobilisierung und Partizipation in diesen Bewegungen aus. Es lässt sich dabei ein Wechsel von Fatalismus oder Selbstbeschuldigung hin zur Beschuldigung struktureller Faktoren beobachten - oder von der Zuweisung der Schuld an die Opfer hin zur Beschuldigung des Systems.

1. Transformation of domain-specific interpretive frames: Diese Form der Transformation beschreibt einen eigenständigen, jedoch substantiellen Wechsel eines bestimmten Lebensbereichs, sodass ein zuvor als gegeben angenommener Bereich nun als problematisch und änderungsbedürftig wahrgenommen wird und damit die Notwendigkeit einer Neurahmung gesehen wird. Dies kann sich auf eigentlich alle Lebensbereiche beziehen. Da diese oftmals untereinander verbunden sind, werden sich bei der Änderung eines Bereichs sehr wahrscheinlich auch andere ändern. Bereichsspezifische Änderungen sind insbesondere eine nötige Bedingung für die Partizipation in Bewegungen, die vehemente Änderungen im Status, Behandlung oder Betätigungsfeld einer bestimmten Gruppen von Menschen verfolgen, (z.B. Kinder, Frauen, Gefangene usw.) kann aber, wenn auch in weniger Fällen, zum Erhalt eines bestimmten Zustandes führen, beispielsweise zum Erhalt von alten Bauwerken.

2. Transformation of global interpretiv frames: In diesem letzten frame alignment Prozess, wird ein gesamtes Feld von interpretativen Orientierungsmustern geändert. Eine neue Rahmung ersetzt die vorherige und führt dazu, dass Ereignisse und Erfahrungen einem gänzlich neuen Verständnis unterliegen. Eine Folge davon ist, das Zweifel und Unsicherheiten ausgeräumt und Falschrahmungen und Streit über bestimmte Rahmungen beseitigt werden. Alles wird plötzlich mit völliger Klarheit gesehen und dementsprechend interpretiert. Es kann dabei ein komplett neues Weltbild geschaffen werden, das praktisch alle Bereiche des Lebens tangiert - ein Phänomen das in religiösen Bewegungen deutlich zu beobachten ist.

Inhalt


Framing und Protest-Policing am Beispiel der Autonomen

Warum die Autonomen?

Die Wahl der Autonomen Gruppierung wurde vor allem deswegen vorgenommen, weil es sich bei dieser Bewegung um notorische Vertreter von politischer Gewalt handelt. Ein weiterer Punkt ist, dass Autonome im Gegensatz zu den Rechten ihre Gewaltaktionen in der Regel planen. Untersuchungen haben gezeigt, dass es sich bei den Aktionen der Rechten vor allem um spontanen Aktionen handelt, denen keine längerfristige Planungen vorausgehen. Hinzu kommt, dass Gewalttaten der rechtsextremistischen Szene weniger Produkt einer gemeinsamen politischen Identifikation, Zugehörigkeit oder ideologischen Überzeugung sind, sondern eher einem diffusen Gefühl und der Vorstellung einer generellen Bedrohung oder Benachteiligung der eigenen Rasse oder Nationalität durch Ausländer (Willems 1996: 40).

Im Folgenden sollen die Autonomen, ihre Strategien und ihre auf Gewalt ausgelegten Aktionstaktiken mit den zuvor erläuterten theoretischen Ansätzen untersucht werden. Das Framingkonzept soll über die Mobilisierungsstrategie und die Gewaltlegitimation der Autonomen Auskunft geben und der Ansatz des Policing of Protest soll die Gewaltbereitschaft der Autonomen anhand der Interaktions- und Reaktionsmuster des Staates unter Berücksichtigung der politishen Gelegeheitsstrukturen untersuchen.

Inhalt

Das Framing der Autonomen

Infolge der Radikalisierung der frühen siebziger Jahre sind innerhalb der sozialen Bewegungen Gruppierungen mit gewalttätigem Protestrepertoire entstanden. Diese Gruppierungen mit linksradikaler Ausrichtung, deren Zahl vor allem Mitte der siebziger Jahre stark zugenommen hatte, entstammten anfänglich aus den spontanen und autonomen Organisationen der Arbeiterklasse, später immer mehr auch aus Bereichen der Studentenbewegung. Die Autonomen sind dabei zu Beginn der achtziger Jahre aus den Spontis der siebziger Jahre hervorgangen. Sie selbst bezeichnen sich als Autonome, Antifa, Schwarzer Block und anders. Ihr Ziel ist ein totaler, antikapitalistischer und militanter Kampf gegen die alles umfassende Dominanz des Kapitalismus über die Produktion und die Produktionsmittel (della Porta 1992: 103). Diese Gruppierungen setzen sich aus kleinen Kollektiven zusammen, die sich lokal ergeben haben, z.B. aus der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz oder in der Schule. Trotz ihrer losen Organisation scheint die Kommunikation unter den einzelnen Gruppen einigermassen gut zu funktionieren. Als Kommunikationsinstrument dienen ihnen einschlägige Szenenzeitungen, welche es ihnen ermöglichen, auch grössere Aktionen zu koordinieren. Die Autonomen sprechen der Staatsgewalt jegliche Legitimation ab und bekämpfen diese mittels Gewalt. Ihre Aktionen finden in Form von Schlachten mit der Polizei oder rechten Gruppierungen, Beschädigungen von Einrichtungen des Gewerbes, Polizeiposten, Gerichtsgebäuden und Fahrzeugen statt und lassen sich deshalb in der zuvor gegebenen Definition und Kategorisierung unter politischer Gewalt einordnen.

Frame Bridging

Radikale Gruppierungen wie die Autonomen oder die Spontis versuchen immer wieder, den Anschluss an Bürgerinitiativen oder soziale Bewegungen zu finden, wo sie versuchen, bei Protestanlässen durch gewalttätige Aktionen und Provokationen den Strategien der beteiligten aktiven Gruppen eine Wende zu geben (Interviewausschnitt 1 im Anhang). Dieses Ziel wurde und wird praktisch nie erreicht. Einerseits, weil ihre Zahl innerhalb der Masse der Anhänger einer Protestkampagne viel zu klein dafür ist, anderseits, weil die Mehrheit der am Protest beteiligten nicht breit ist, Gewalt zur Erreichung ihrer politischen Ziele einzusetzen. Hinzu kommt, dass es den Autonomen nie gelungen ist, eine zentralisierte, radikale Organisation zu gründen, welche in einen echten Dialog mit den Bewegungsunternehmern oder Organisatoren von Bürgerinitiativen hätte treten können. Das Frame Bridging der Autonomen in Bezug auf andere Bewegungen kann somit als ziemlich erfolglos gewertet werden, allerdings gilt das gleiche auch in der umgekehrten Richtung, denn den gewaltlosen Bewegungen ist die Integration der Autonomen ebenso wenig gelungen. Neue Mitglieder werden von den Autonomen primär bei ihren Protestaktionen angeworben. Erfolg haben sie dabei besonders bei sehr jungen Menschen, vornehmlich bei solchen, die sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Da Gewalt mindestens situativ Eindeutigkeit schafft, Fremdwahrnehmung garantiert, sich als Prüfstein für Solidarität erweist und eine Demonstration der Überwindung der Ohnmacht darstellt, ist die Partizipation von Jugendlichen mit ähnlichen Gefühlen von erfahrener Ungerechtigkeit, Bedrohung und Ausgrenzung bei den Autonomen durchaus attraktiv, weil gerade die Gewalt bei dieser Bewegung als einziges Mittel zum Zweck hohen Stellenwert geniesst. Natürlich kann Gewalt auch einfach aufgrund von Sozialisationserfahrungen als erfolgreiche Handlungsalternative angesehen werden. Da erfolgreiches Frame Bridging in erster Linie über eine aktive Informationspolitik erfolgt, werden die geringen Mobilisierungkräfte der Autonomen deutlich. Einerseits fehlt den Gruppierungen das nötige Geld, andereseits sind sie ohnehin von gesellschaftlich anerkannten Informationskanälen ausgeschlossen. Dazu kommt, dass durch die Medien die gewalttätigen Aspekte einer Protestaktion hervorgehoben werden, während Ziele, Motive und die eventuell friedlichen Aspekte in der Berichterstattung vernachlässigt werden oder völlig verdrängt werden (Kepplinger 1979). Diese Fokussierung der Medien auf die Gewaltaspekte kann soweit gehen, dass eine Kluft zwischen dem tatsächlichen Ablauf einer Aktion und der Darstellung dessen in den Massenmedien entsteht. Dieser Umstand wirkt sich natürlich nicht nur auf die Autonomen nachteilig aus, sondern auch auf jene Bewegungen, an deren Aktionen die Autonomen sich beteiligen.

Frame Amplification

Wie in den Erläuterungen des Framingkonzepts erwähnt, kann frame amplification in zwei Bereiche geteilt werden. In Value Amplification und Belief Amplification. Die Werte der Autonomen gehen oft schon aus ihrem Namen hervor (Autonome, Antifa, Sponti etc). Selbstbestimmung anstelle von Fremdbestimmung durch den Staat und Wirtschaft, Anarchie anstelle von Demokratie und Marximus anstelle von Kapitalismus stehen als zentrale Wertemasstäbe und ideologischer Unterbau im Mittelpunkt. Dabei lässt sich weniger eine Idealisierung von Werten erkennen als eine Dekonstruktion von "Unwerten". Bestehende gesellschaftliche Werte werden dabei als Fehler identifiziert und mittles Gewalt bekämpft. Der Gewaltverzicht liefert dabei in der Wahrnehmung der Autonomen nur die Alternative der Selbstzerstörung. "Auferlegte" Selbstzerstörung ist jedoch nicht mit Autonomie vereinbar, woraus gefolgert wird, dass Militanz als einziges Mittel zur Erreichung der angestrebten Ziele und zur Abwehr der Zerstörung des Individuums in Frage kommt. Die Ausübung von Gewalt erfolgt dabei mit der Selbstdefinition als Opfer. Mit diesen Wertvorstellungen von Gewalt als ultima ratio werden Mitglieder mobilisiert und zur Partizipation an den Aktionen motiviert.

Gewalt und Gewaltrhetorik sind nach Brumlik (Brumlik 1992: 175) integraler Lebenszusammenhang dieser Gruppierungen. Der anonyme Gruppenzusammenhang, das massive Feindbild und die in Konflikten verdeutlichten gewalttätigen Handlungsmuster zeigen, dass Gewalt gewissermassen zur Identität dieser Gruppen und ihrer Mitglieder gehört. Gewalt hat eine somit sozialintegrative Funktion, die es den Autonomen ermöglicht sich, zu reproduzieren.

Im Vordergrund der Belief Amplification stehen sicher stereotype Glaubensformen. Der Glaube, dass der Staat alles überwacht und ein Komplott von faschistischen und kapitalistischen Machtmenschen sei, ist zentrales Element ihres Glaubens. ähnliche Glaubensformen finden sich auch bei amerikanischen Milizbewegungen. Bei diesen rechtsgerichteten Bewegungen, wie die Aryan Nations, Awarness Groups usw. wird einfach nur vom politisch anderen Flügel her argumentiert und der eingesetzen Regierung jegliche Legitimation abgesprochen, mit der Begründung, dass es sich dabei um ein Zionist occupied gouvernment handelt. Der Glaube, dass sie Notwendigkeit besteht "aufzustehen und sich zu wehren" ist bei den Autonomen ebenfalls tief verankert. Wie aus dem Interviewauszug zu Beginn dieser Arbeit schon zu ersehen war, gehen die Autonomen davon aus, dass sie gewissermassen von Gewalt umzingelt sind. Alle Objekte bzw. Subjekte, die nur irgend eine Form von Bedrohung darstellen können, werden dadurch als Gewalt ausübende Objekte und Subjekte identifiziert, die es zu bekämpfen gilt. Diese Glaubensansichten erfahren ihre Bestätigung mit jedem gewaltsamen Polizeieinsatz und lassen sich demnach durch gewalttätige Aktionen reproduzieren, was für eine anhaltende Bestätigung des Glaubens unerlässlich ist.

Frame Extension

Ob die Autonomen durch Frame Extension neue Mitglieder dazugewonnen haben ist schwierig zu sagen. Ihr Betätigungsfeld hat insofern eine Ausweitung erfahren, als dass grosse staatliche Bauvorhaben, die enorme Kosten verursachen und von Umweltschutz wegen bedenklich sind, als kapitalistische Aktivitäten identifiziert und als Bedrohung bekämpft werden. Dies erfolgt in der Regel als Teilnehmer an Protestaktivitäten anderer Bewegungen, wie der Anti-Atombewegung oder der Umweltschutzbewegung. Das Demolieren von Einrichtungen des Sexgewerbes (Kino, Erotikmärkte etc.) wird ebenfalls mit dem Kampf gegen die kapitlistische Ausbeutung, im diesem Fall der Frauen, legitimiert. Vermehrt finden Ihre Auseinandersetzungen auch mit rechtsradikalen Gruppierungen statt. Dies bestätigen Beobachtungen des deutschen Verfassungsschutzes, sowie betroffene Vertreter der rechten Szene (Bewegungsparteien, neofaschistische Gruppierungen). Dabei wird Gewalt in Form von Anschlägen auf Lokale oder privates Eigentum von Vertretern der rechten Szene ausgeübt oder die Konfrontation mit den Skinheads gesucht, wobei von beiden Seiten teilweise sehr brutal vorgegangen wird. Die Wahl der Waffen scheint aber bei den Antifaschisten sehr überlegt zu sein, wie Verfassungsschützer feststellten. Dritte sollen bei den Anschlägen nicht zu schaden kommen (Interviewausschnitt 2 im Anhang). Im Unterschied zur Gesamtheit der Autonomen, ist der Teil dieser Gruppierung, der Gewalt gegen Faschisten richtet, zu einem hohen Grad organisiert (Diese Gruppierungen verfügen über Beobachtungs- und spezielle Ermittlungstruppen, die über Nazis "Personalakten" mit Fotos anlegen, wie Verfassungschützer herausgefunden haben wollen. (Der Spiegel Nr. 40/1988: 51ff)). In diesem Bereich dürfte aufgrund zunehmender rechter Gewalt auch das grösste Mobilisierungspotential der Autonomen liegen. Auch die Autonomen starten Aktivitäten, die nicht immer in direktem Zusammenhang mit den Bewegungszielen stehen müssen. Diese dürften sich jedoch auf Veranstaltungen mit Konzerten beschränken. Eine Ausweitung des Rahmens findet nur insofern statt, als dass "neue" Gegenstandsbereiche gewaltsam bekämpft werden, jedoch nie aus einer neuen Perspektive heraus und nicht mit neuen Formen des Protests sondern stets mit Gewalt.

Frame Transformation

Von Frame Transformation wird dann gesprochen, wenn eine Bewegung ihre Aktivitäten und Veranstaltungen vom Standpunkt ihrer primären Rahmungsarbeit aus neu definiert und eine systematische Änderung vornimmt. Transformation erfolgt bei der Autonomen Bewegung nur bezüglich ihrer Neumitglieder und dort in der Regel als eine Transformation des gesamten interpretativen Rahmens. Diese Transformation ist aber eher eine Sozialisation im Sinne von bereits bestehenden Strukturen innerhalb einer Bewegung und nicht eine Neuausrichtung der Bewegung selbst. Eine Transformation hat nur in ihrer Entstehungphase aus der Arbeiter- und Studentenbewegung stattgefunden, als aus dem Kampf für mehr Partizipation innerhalb des politischen Systems ein Kampf gegen das gesamte System wurde. Was zuvor als Einrichtung anerkannt war, wenn auch nicht seine praktische Durchsetzung, wurde als nicht mehr zu tolerierendes und zum Fortbestand unberechtigtes System bekämpft. Und daran hat sich auch bis heute nichts geändert.

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Das Policing of Protest und die Autonomen in Deutschland

Das erweiterte Handlungsspektrum der neuen sozialen Bewegungen und der Umstand, dass heute in den Eliten über strittige Themen eher eine Spaltung der Meinung zu verzeichnen ist, hat zur Folge, dass der Wille, auf legalem Weg eine Entscheidung zu erreichen, zugenommen hat. Rucht (Rucht 1990: 160) geht davon aus, dass Gewalt, insbesondere der Einsatz von Waffen, in den letzten Jahrhunderten immer weiter abgenommen hat als Folge der Institutionalisierung und des Ausbaus formaler Prozeduren, die sich dafür eignen, soziale und politische Unzufriedenheit auszudrücken. Auch hat die Macht des Staates in solchem Masse zugenommen, dass die Gewaltanwendung ein weit grösseres Wagnis darstellt als zuvor. Trotzdem ist Gewalt immer noch eine praktizierte Protestform. Ihre Bedeutung als Protestform fällt allerdings geringer aus denn häufig, besonders aufgrund von medialer Berichterstattung, angenommen. So waren z.B. in Deutschland "nur" durchschnittlich 14.3% aller Aktionsformen sozialer Bewegungen während der Jahre 1975-89 gewaltförmig. Daran beteiligt haben sich gerade mal 1.1% (Rucht 1994b: 178) der gesamten Bewegungsaktivisten. Weil die Autonomen meist im Zuge einer Protestaktion einer anderen Bewegung auftauchen, lässt sich nicht schlüssig sagen, wie viele der Aktionen auf Kosten der Autonomen gehen.

Da die politischen Gelegenheitsstrukturen und das POP von Land zu Land verschieden sind, soll hier am Beispiel Deutschlands dieser Interaktionsprozess aufgezeigt werden.

Politische Gelegenheitsstrukturen in Deutschland

Bei der formalen Struktur der Bundesrepublik handelt es sich eher um einen schwachen Staat. Schwach meint hier Offenheit gegenüber Eingaben und Forderungen von innerstaatlichen Herausforderern und eine geringe Fähigkeit des Systems, sich selbst in die Position des "Machers" zu setzen (Kriesi et al. 1997: 53f). Politische Herausforderer können ungehindert formale Wege zum politischen System beschreiten, riskieren jedoch beim Beschreiten informeller Wege eine konfrontative und stark repressive Reaktion des Staates. Die informellen Prozeduren und vorherrschenden Strategien Deutschlands gegenüber politischen Herausforderern sind im Vergleich mit anderen Staaten wie etwa der Schweiz oder den Niederlanden dominant. Sie zielen auf Repression, Konfrontation und Polarisierung ab. Zwar gibt es die Möglichkeit eines Vetos, jedoch lassen sich daraus keine Konzessionen folgern. Das heisst jedoch nicht, dass Bewegungen ihre Interessen kaum vertreten können. Die föderalistische Struktur Deutschlands eröffnet einige Wege dafür. Besonders die starke Position der Gerichtsbarkeiten eröffnet politischen Gruppierungen ausreichend unabhängige Möglichkeiten, ihre Interessen vor politischen Institutionen zu vertreten. Die politische Beteiligung in Form der direkten Demokratie wie sie die Schweiz kennt, ist jedoch nicht gegeben. Die repressive Haltung der Bundesregierung gegenüber den Protestbewegungen zwingt die Aktivisten zu eher moderaten Aktionen, wenn sie die Kosten, die aus der Repression für sie erwachsen, nicht tragen wollen. Sie kann aber auch zu einer Radikalisierung von Bewegungen führen, was in der Regel radikale und gewalttätige Aktionen zur Folge haben kann.

Aufgrund der föderalistischen, dezentralisierten Staatsform Deutschlands erfolgt die Mobilisierung von Bewegungen meist lokal, und Bewegungsanliegen sind dabei an lokalen Problemstellungen orientiert. Die Einschränkung von Mitbestimmungsrechten der Bewegungen auf formale Wege und Prozeduren führt dabei zu einer Kombination von einem, mit formal wenig organisierten Mitteln, dezentral mobilisierten Grossteil von Protestaktivisten und der weitreichenden Radikalisierung einer gewalttätigen kleinen Minderheit (Kriesi et al. 1997: 59).

Policing of Protest in Deutschland bis zu den 80er Jahren

Mit dem Auftreten notorisch gewalttätiger Gruppierungen, voran den Spontis zu Beginn der siebziger Jahre, zeichnete sich ein deutlicher Wandel im POP ab. Die zuvor intolerante, reaktive und repressive Haltung der grossen Koalition (SPD, CDU und CSU) gegenüber der Studentenbewegung wurde , wenn auch immer noch selektiv, viel sanfter und toleranter. Den Bürgerrechten wurde ein höherer Stellenwert eingeräumt. Polizeitaktiken , die auf dem Prinzip von flexiblen Reaktionen basierten, wurden anstelle der geschlossenen Einheiten, die gegen gewalttätige Aktivisten vorgingen, eingeführt. Das Ziel, Eskalationen zu vermeiden, wurde durch spezielle Diskussionskommandos (Polizisten, die sich in Uniform , jedoch ohne Bewaffnung unter die Aktivisten mischten und durch direkte Kommunikation versuchten, die Aktivisten von gewaltlosen Aktionen zu überzeugen) angestrebt. Diese sanftere Polizeitaktik zeigt ihre Wirkung in einer geringeren Zahl von Eskalationen und in der Tatsache, dass in dieser Zeit keine Toten zu beklagen waren. Die Regierung Brandt verfolgte eine gegenüber Bürgerrechten liberale Politik des "mehr Demokratie wagens". Ebenso wurde das Kriminalrecht reformiert und der Landfriedensbruch-Paragraph abgeschafft. Die Terrorakte im Jahre 72 und die aggressive Wahlkampagne der CDU/CSU markierten jedoch eine Wende. Der 1972 verabschiedete Radikalenerlass führte zu einer verschärften überprüfung von Anwärtern für Staatsstellen bezüglich verfassungsfeindlicher Ansichten oder Vergangenheit und der Diskriminierung von politisch links aktiven Staatsangestellten. Diese Gesetze und das rücksichtslose Vorgehen der Polizei bei der Festnahme von Terroristen (RAF) führten zunehmend zum Bild eines autoritären Staates, welches sich in einem zunehmenden Misstrauen der Bewegungen gegenüber dem Staat manifestierte. Dieses Misstrauen wurde durch die harschen Haftbedingungen der inhaftierten Terroristen oder Verdächtigten , die viele als unmenschlich einstuften, unterstützt.

Die tolerante Haltung der Polizei gegenüber Protestveranstaltungen nahm mit dem Erstarken der Anti-Nuklearbewegung Mitte der 70er Jahre stetig ab. Präventive Massnahmen der Kontrolle und die Aufrüstung der Polizeikräfte wurde vorangetrieben und Einschränkungen und Verbote von Protestveranstaltungen ausgesprochen. Die Erfahrungen der sechziger Jahre liess die Polizei aber weiterhin eine auf Eskalationsvermeidung und selektive, repressiv auf gewalttätige Gruppen aufbauende Aktionstaktik anwenden. Zwei Terrorwellen in der zweiten Hälfte der 70er Jahre führten jedoch zu deutlich konfrontativeren Polizeiinterventionen. Hausdurchsuchungen und Strassensperren für die Fahndung nach Terroristen, die aggressivere Handhabung von Protest und die häufigen Vergleiche von Protestteilnehmern mit Terroristen und Demokratie- oder Verfassungsfeinden führten zu einem bedeutend schlechteren politischen Klima für die sozialen Bewegungen und zu einer Radikalisiserung der Bewegungsframes (della Porta 1995: 65f).

Policing of Protest seit dem Auftreten der Autonomen

Eine erneute Änderung des POP ging mit den immer häufiger auftretenden, gewaltausübenden Autonomen einher. Das Protest policing wurde zu Beginn der achtziger Jahre weiterhin selektiv gestaltet und die Toleranz erneut ausgeweitet. Besonders moderate Bewegungen wie die Friedensbewegung wurden sehr zurückhaltend und weitgehend tolerant behandelt. Das Bewahren des Friedens bei Protestaktionen wurde gegenüber dem Schaffen von Recht und Ordnung stark gefördert. Dies wurde vor allem durch das Experimentieren mit neuen Polizeitaktiken erreicht, die darauf abzielten, gewalttätige Demonstranten zu isolieren und Attacken auf nicht gewalttätige Aktivisten zu vermeiden. Die radikalen Flügel von Bewegungen, und hier besonders die Autonomen, wurden zudem einer strikten präventiven Kontrolle und Isolierung vor Protestveranstaltungen unterworfen. Dafür wurde die Polizei mit moderner Kommunikationstechnik, Panzerfahrzeugen, Tränengaswerfern usw. ausgerüstet. Ebenfalls zeichnete sich ein Wandel der politischen Kultur innerhalb der Polizeikräfte ab. Die Forderung der Polizei gegenüber den Politikern, eine politische Antwort auf gegenwärtige Probleme zu erteilen, erfolgt vor allem im Hinblick auf das zunehmend schlechtere Bild der Polizei in den Medien. Diese Massnahmen hatten eine ähnlich gewaltreduzierende Wirkung wie zu Beginn der 70er Jahre zur Folge. Trotz dieser neuen Techniken und Polizeitaktiken waren Eskalationen nicht gänzlich zu vermeiden. Mitte der 80er Jahre nahm die Häufigkeit von Eskalationen wieder zu. Vor allem staatlich initiierte Grossprojekte wie die WAA Wackersdorf oder die Startbahn West führten zu regelrechten Schlachten zwischen Aktivisten und der Polizei. Diese Auseinandersetzungen fanden in erster Linie zwischen Autonomen und Polizeibeamten statt. Zur Eskalation trugen vor allem die aus anderen Bundesländern herbeigeschafften Polizeikräfte und der Einsatz des Bundesgrenzschutzes bei. Da unzählige Unbeteiligte und friedliche Bewegungsaktivisten in Mitleidenschaft gezogen wurden, erfolgte wiederum eine zunehmende Verschlechterung des politischen Klimas (della Porta 1995: 68f).

Das Policing of Protest gegenüber den Autonomen

Die Interaktion von Autonomen und Staat sind durchwegs von Gewalt und Gegengewalt gezeichnet. Die Haltung der Polizei gegenüber den Autonomen kann als stets repressiv angenommen werden. Dies erfolgte in erster Linie durch präventive Polizeiaktionen im Vorfeld von Demonstrationen etwa in Form von Personenkontrollen, Konfiszieren von Waffen, Isolation oder Separation von Autonomen vor der Demonstration durch Polizeiblockaden und Präventivhaft. Das Policing an den Protestanlässen konzentrierte sich auf den, wenn möglich selektiven Gewalteinsatz gegen die Autonomen. Von politischer Seite her wurden Anstrengungen unternommen, um gewalttätiger Demonstrationsteilnehmer habhaft zu werden und ihre Identität aufzudecken. Das 1985 erlassene Vermummungsverbot sowie die erweiterten Möglichkeiten zur Datensammlung durch Observierung, Filmen an Demonstrationen, Einspeisen von Daten in Computernetzwerke und Abhören von Telefonen stehen hier im Vordergrund. Es kann dabei nicht davon ausgegangen werden, dass von den Polizeikräften die Rechtsstaatlichkeit immer gewahrt wurde und nicht auch bewusst die Beeinträchtigung von Unbeteiligten in Kauf genommen wurde, um gewisse Effekte der Abschreckung zu erreichen.

Die in den siebziger Jahren verfolgte Praxis der Regierung, unliebsame Bewegungen oder andere politische Gruppierungen zu beseitigen, wird auch heute noch verfolgt. Die Identifikation einer solchen Gruppierung als Verfassungsfeinde und die Verurteilung ihrer Mitglieder nach [currency]129 und [currency]129a wird auch heute gegenüber Autonomer Bewegungen angewandt. Dies lässt sich am Beispiel der Göttinger Antifa zeigen, von welcher 17 Mitglieder unter Anklage stehen. Ursprünglich lautete die Anklage auf Demonstrationsdelikte. Im Laufe der Untersuchung wurden zahllose Telefone abgehört und weiteres Material, vor allem Flugblätter und Plakate, gesammelt. Die Anklage lautet nun auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ([currency]129), wobei sich die Anklage vornehmlich auf die konfiszierten Flugblätter beruft.

Eine weitere Form des Policing umfasst das Blockieren der Informationskanäle der Autonomen. In erster Linie werden Publikationen , wie z.B. die Szenenzeitung "radikal" verboten. Da sich für die Autonomen durch das Internet neue Möglichkeiten der Informationsverbreitung eröffnen, finden auch hier staatlich-polizeiliche Interventionen statt. So wurde den deutschen Internetanbietern eine Klage unter [currency]129a (Unterstützen einer terroristischen Vereinigung) angedroht, wenn sie die entsprechenden Links zu den Websites der Autonomen nicht sperren.

Die gewaltsame Unterdrückung autonomer Proteste steht eindeutig im Vordergrund des deutschen Policings. Die scharfe Kontrolle der Bewegungsanhänger dient der Strafverfolgung, aber auch der Einschüchterung. Seit dem Auftreten der Autonomen als Nachfolger der Spontis lässt sich kein eigentlicher Wandel im Policing der Polizei gegenüber notorischen Gewalttätern erkennen - ausser, dass die Methoden verfeinert und die Aktionsstrategien selektiver geworden sind.

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Schlussbesprechung

Für die Autonomen sind die staatlichen Institutionen Ausgangspunkt und Ziel von Gewalt, wie sich unschwer an der Interaktion zwischen Autonomen und Staat erkennen lässt. Gewalt wird dabei von beiden Seiten mit gleicher Nachdrücklichkeit ausgeübt. Die Legitimation von staatlicher Gewalt (Gewalt um Gewalttätigkeit zu unterdrücken) fällt gewöhnlich leichter, ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass auch staatliche Gewalt letztlich Gewalt bleibt. Theoretische Konzepte wie das Policing of Protest, beschreiben dabei nur das Verhalten des Staates, erläutern aber weniger die genauen Beweggründe dafür. Zu fragen bleibt hier, in wie weit der Staat in der Unanfechtbarkeit seiner Massnahmen überzeugt bzw. seine Institutionen als Teil der Gesellschaft zur Regelung des Zusammenlebens der Gesellschaft definiert und der Kritik aussetzt, oder ob er in erster Linie sich selbst als schützenswertes Objekt definiert, anstatt der Bürger und ihrer Rechte.

Medien als Gelegenheitsstruktur und Aussagekraft der Theoriekonzepte im Falle der Autonomen

Einen bisher nicht beachteten Faktor der Gelegenheitsstruktur stellen die Massenmedien dar. Wie bereits weiter oben angedeutet, steht in der medialen Berichterstattung über Protestveranstaltungen der Aspekt der politischen Gewalt im Vordergrund. Es gilt dabei die Wirkung auf die beteiligten Gruppen zu unterscheiden.

Die Darstellung der Konfliktakteure und die Definition ihrer Rollen in den Medien kann zu einer Ausweitung oder Einschränkung des Handlungsspielraums führen. Eine umfangreiche Darstellung des Verhaltens der Akteure, führt damit zu einer zunehmenden Identifikation der angebotenen Rolle. Das Etikett Autonom, Rechtsradikal oder repressiver Polizist kann dabei das violente Verhalten nur noch steigern. Als Beispiel hierfür lässt sich die Studie von Kepplinger (Kepplinger 1979) über die Berichterstattung des Spiegels heranziehen. Dort hat die umfangreiche Darstellung der Polizei als gewaltsame Truppe zu einer Steigerung der Bereitschaft zu gewalttätigem Verhalten geführt. Nach einer Studie von Ohlemacher (Ohlemacher 1996: 146) über die Berichterstattung der Bildzeitung über die rechtsradikalen Ausschreitungen in Mölln und Rostock zeigt auf, dass mit der vermehrten Darstellung von rechter politischer Gewalt, auch die Straftaten in diesem Bereich zunahmen. Das Etikett Nazis und Rechtsradikale mit dem Attribut gewalttätig, das für alle an den Ausschreitungen Beteiligten angewandt wurde, hat dabei zum Eindruck der Legitimation für ihr Handeln bei den Randalierenden geführt. Eine Etikettierung dieser Art wird auch bei den Autonomen als "Legitimation" durch die Gesellschaft verstanden.

Ob diese Form der medialen Darstellung den Framingbemühungen einer Bewegung dienlich ist, darf bezweifelt werden. Grundsätzlich erfolgt die Berichterstattung über die aus innerpolitischen Konflikten entstehende Gewalt und die ausübenden Akteure stets negativ. Dies dürfte auf die in westlichen Demokratien überwiegend geringe Akzeptanz gegenüber der Ausübung von Gewalt in politischen Konflikten zurückzuführen sein. Ausserdem findet kaum eine Vermittlung der Motive, Ziele und Forderungen dieser Akteure statt, so dass als einzige kognitive Effekte der Darstellung politischer Gewalt, die Publizität und der resultierende Bekanntheitsgrad der Gruppierung oder Organisation, die Gewalt als politisches Druckmittel einsetzt, daraus hervorgehen. Diese negativ beladene Berichterstattung über die Autonomen erklärt das eher erfolglose Framing , insbesondere Frame Bridging dieser Bewegung.

Das Konzept des POP gibt in Verbindung mit der politischen Gelegenheitsstruktur Auskunft über möglich Verbindungen zwischen Art und Ausmass von Polizeiinterventionen bei Protestveranstaltungen und der Gewaltbereitschaft der Bewegungsaktivisten. Wie sich am Beispiel Deutschlands zeigen lässt, besteht offenbar eine Korrelation zwischen Häufigkeit von Eskalationen bei Protestanlässen und dem Ausmass der polizeilichen Repression sowie der gegenwärtigen Regierungsverhältnisse. Dass sanftere und selektivere Polizeitaktiken und die Ausweitung von Bürgerrechten zu moderateren und gewaltfreieren Aktionen führen, mag für den grössten Teil der Bewegungen zutreffen. Heitmeyer schliesst jedoch aus, dass die Ausweitung politischer Handlungsmöglichkeiten und moderate Polizeiinterventionen für die Autonomen ein funktionales äquivalent für die politische Gewalt darstellt (Heitmeyer 1992: 38ff), weil von diesen Gruppen jeder Regelmechanismus (und somit der Staat) - gleich welcher Qualität - als Bedrohung interpretiert und zur globalen Angriffsfläche deklariert wird. Ausgeweitete Partizipationsmöglichkeiten werden dann eher als besonders geschickte Strategie der Vereinnahmung in eine insgesamt gleichbleibende imperialistische Struktur interpretiert. Als Folge dieser Interpretation wäre eher mit noch mehr auf verhärteten Konzepten beruhender Militanz zu rechnen, da den Gruppen der Resonanzboden entzogen würde. Das systematische "Auslöschen" der Mitglieder solcher Gruppierungen, ähnlich der Bekämpfung der RAF und anderer Terrororganisationen, würde das Problem nur für kurze Zeit aus der Welt schaffen, eher würde man mit solchen Methoden ein Abdriften in den Bereich der terroristischen Gewalt fördern. Wie mit dem Framingkonzept erläutert, ist die Gewalt integraler Bestandteil des Lebenszusammenhanges der Autonomen. In wie weit die politischen Gelegeheitsstrukturen eine Auswirkung auf die Gewaltbereitschaft und Wahrnehmung der Autonomen ihrer Lebensumwelt hat, lässt sich nicht schlüssig sagen. Autonome finden sich auch in Staaten mit einem breiteren Zugang zu Entscheidungsträgern und Möglichkeiten der politischen Anteilnahme wie z.B. der Schweiz (direkte Demokratie). Die Gelegenheitsstrukturen haben offenbar gar keinen Einfluss auf die Wahl der Aktionstaktik der Autonomen, was sich auch aus einer gewissen Logik ergibt. Wer den Staat als politisches Gefüge gänzlich in Frage stellt und ihm jegliche Legitimation abspricht, für den sind auch die aus diesem politischen Gefüge erwachsenen Gelegenheitsstrukturen gänzlich irrelevant. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass das Policing of Protest mit Bezug auf den theoretischen Ansatz der politischen Gelgeheitsstruktur für die Autonomen wenig tauglich ist, wenn damit ein Wandel untersucht oder eine taugliche polizeiliche Interventionstaktik gesucht werden soll. Es wird damit bei der Repression gegenüber den Autonomen bleiben.

Repression bewirkt dabei eine Bestätigung der Glaubensüberzeugungen der Autonomen. Der Glaube, dass es "nötig ist aufzustehen und etwas zu tun" erfährt durch jeden Knüppelschlag eines Polizisten eine Bestätigung und liefert damit einen neuen Anlass, den unfairen Staat zu bestrafen, wobei die erfolgreiche Bestrafung wiederum durch Gewalt und Zerstörung bewerkstelligt wird.

Zum Framingkonzept lässt sich generell sagen, dass es ein geeignetes Instrument zu Untersuchung von Bewegungsstrategien ist. Im Falle der Autonomen, liefert es aufgrund der etwas statischen Strategie dieser Bewegung, wenig Informationen bezüglich Frame Transformation und Frame Extension.

Eine mögliche Erklärung für diese statische Haltung und das erfolglose Framing könnte darin liegen, dass die Gruppen der Autonomen gemeinsam vor allem im Moment der Tat auftreten, wo sich die angebliche Freiheit und Autonomie herstellen lässt (beim Wurf des Pflastersteins) und sonst eine einheitliche Gruppenphilosophie im Sinne eines politischen und sozialen Konzeptes fehlt. Die Kontakte der Mitglieder mit der subkulturellen Szene sind so lose (Interviewausschnitt 3 im Anhang), dass die daraus resultierende Vereinzelung zu Handlungsohnmacht (fehlende Autonomie?) wird, die durch das Wunschetikett Autonom überdeckt wird. Denn es ist schwer vorzustellen, dass Autonomie dort anzutreffen ist, wo die Motive zur Tat darin liegen, dass die Welt voller Feinde ist. Darin spiegelt sich eher eine verängstigte Position, die durch eine Grenzüberschreitung zur sprachlosen und intersubjektiven, nicht mehr vermittelbaren Gewalt bekämpft wird. Es ist ein Kampf an zwei Orten: gegen die eigene Angst und gegen die gesellschaftlichen Entwicklungen und Vorhaben.

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Anhang

1. HUGO: "...Ich will mit meinen Aktionen zwei Ziele erreichen. Erstens will ich Sachschaden anrichten, den Preis des Projekts möglichst hochtreiben, und zweitens will ich bei der Bevölkerung auch eine Akzeptanz meiner Aktionsform durchsetzen."
SPIEGEL: "Es kann doch auch das Gegenteil eintreten - nämlich, dass eure Militanz bei der Bevölkerung Angst hervorruft und sich die Leute von euren Aktionen abwenden."
FIDEL: "Das ist seit Wackersdorf gerade nicht der Fall, im Gegenteil. Erst mal gehen immer noch massenhaft Leute aus der Umgebung dorthin. Neu ist, dass sie diese Aktionen der Militanten auch unterstützen....da gibt es Leute, die Steine aufklauben und zu uns bringen, damit wir sie werfen. Andere helfen uns beim Zusammenbauen von Mollies."

2. GURKE: "Dass Unbeteiligte bei solchen Aktionen womöglich zu Schaden kommen sollen, wird nach meinem überblick in der Autonomenszene ganz entschieden abgelehnt."

3. SPIEGEL: " Für wie viel könnt ihr sprechen?" (bezüglich Gruppenkontakte unter den Autonomen)
HUGO: "Jeder nur für sich."

(alle in: Der Spiegel, Nr. 36/1986: 36ff)

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Last update: 06 Mrz 17

 

Editor

  Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich

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