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Social Movements,

Pressure Groups and Political Parties


 

Die Tierrechtsbewegung

Eric Plattner

1997

Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund

3. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier im Laufe der Geschichte

3.1. Das vorchristliche Denken
3.2. Das christliche Denken
3.3. Von der Aufklärung bis heute

4. Voraussetzungen der moderne Tierrechtsbewegung:

4.1. Die Ökologie- und Umweltbewegung
4.2. Der Impuls der Befreiung
4.3. Neue wissenschaftliche Auffassungen
4.4. Fortschreitende Industrialisierung

5. Das ideologische Paket der TierrechtsaktivistInnen

6. Tendenzen verschiedener Tierrechtsorganisationen

6.1. Institutionell verankerte Tierschutzorganisationen
6.2. Religiös motivierte Tierrechtsgruppen
6.3. Autonome Tierrechtsgruppen

7. Diskussion

8. Literaturverzeichnis

Fussnotenverzeichnis


1. Einleitung

Tierechtsbewegungen existieren in Europa schon etwa seit 200 Jahren, dennoch war es lange schwierig Literatur darüber zu finden. Dies erstaunt, da diese Bewegung, wenn auch meistens ein marginaler Faktor im politischen Machtkampf darstellend, sich bis in die Gegenwart erhalten konnte und durchaus einige, von ihr initiierte Gesetzesvorlagen in die Praxis umsetzen konnte. Seit den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts scheint diese Bewegung an Grösse zu gewinnen und es werden im zunehmendem Masse Themen, die direkt oder indirekt mit Auswirkungen des Speziezismus zu verbinden sind, in den Medienöffentlichkeiten verschiedener Länder eingeflossen. Speziezismus meint "... ein Vorurteil oder eine Haltung der Voreingenommenheit zugunsten der Interessen der Mitglieder der eigenen Spezies und gegen die Interessen der Mitglieder anderer Spezies." (Singer, 1996: S. 35). Wenn wir gegen Rassismus und Sexismus sind, weil wir die Diskriminierung aufgrund einer Rasse oder eines Geschlechts für falsch erklären, müssen wir einsehen, dass es ebenfalls falsch ist, nichtmenschliche Tiere aufgrund ihrer Spezies zu unterdrücken (vgl. Singer, 1996).

Vielfach wird das Tierrecht ins lächerliche gezogen und es wird von der unsinnigen Übertragung des menschlichen Rechtes auf die Tiere gesprochen. Doch gleiches Recht für alle bedeutet nicht identische Behandlung, sondern gleiche Berücksichtigung. Wenn alle unterschiedlichen Wesen gleich berücksichtigt werden, kann dies aber auch zu unterschiedlicher Behandlung und unterschiedlichen Rechten führen, je nach Veranlagung dieses Wesens. Es wäre unsinnig ein Wahlrecht für Ratten zu fordern, da diese weder die Konsequenzen beabsichtigen könnten, noch ein Interesse an einem solchen Handeln haben. Sie haben aber ein Interesse, keinen Schmerzen ausgesetzt zu sein und somit haben sie ein Recht, auf dass ihnen keine Schmerzen zugefügt werden.

Mich interessieren in dieser Arbeit vorallem die Bewegungsgründe einer aktiven Partizipation in dieser Bewegung und die verschiedenen Ausrichtungen der vielen heterogenen Organisationen, welche der Tierrechtsbewegung zugerechnet werden. Diese Arbeit soll einen Überblick der Tierrechtsbewegung bezüglich Voraussetzungen und Inspirationen verschaffen und die bewegungsinternen Hauptströmungen grob umfassen.

Inhalt


2. Theoretischer Hintergrund

Der in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts, vorallem in den Vereinigten Staaten aufkommende "ressource mobilization approach", um soziale Bewegungen zu analysieren, setzt Schwerpunkte auf charakteristische Eigenschaften, Ressourcen und Strategien der sozialen Bewegung und ihren Unterstützern (vgl. McCarthy, Zald, 1977). Soziale Bewegungen wurde nach ökonomischen Prämissen untersucht, wobei makrosoziologische Fragen stark ausgeblendet wurden, etwa nach den strukturellen Entstehungsursachen sozialer Bewegungen oder dem Verhältnis von sozialen Bewegungen zu gesamtgesellschaftlichem Wandel. Mit dem aufkommenden "political process"-Konzepten steht die Analyse sozialer Bewegungen als einer konflikthaften Auseinandersetzung mit staatlichen Autoritäten im Mittelpunkt. Darin wurden Protestierende als Aufrührer gegen die herrschende Politik angesehen und damit war der Staat der natürliche Opponent. Ein Defizit dieses Ansatzes besteht darin, dass er sich praktisch ausschliesslich auf die Beziehung von Bewegung und Staat beschränkt. Weitere strategische Akteure neben den Protestierenden, sowie die dynamische Interaktion zwischen den Protestierenden und ihrem sozialen Umfeld, wurden weitgehend ausser Acht gelassen. Weil gerade die Beziehung zwischen der Bewegung und dem Staat so zentral ist, übersehen solche Untersuchungen oft Bewegungen, deren Ziel eine Veränderung im öffentlichen Bewusstsein oder den Gewohnheiten und Praktiken gewisser nichtstaatlichen Institutionen ist. Weil viele sozialen Bewegungen eine Veränderung von nichtstaatlichen Akteure, wie Universitäten, Berufsverbände oder multinationalen Konzernen, hervorrufen wollen, scheint die Gegenreaktion derjenigen einen grossen Einfluss auf den Erfolg der Bewegung zu haben. Doug McAdam stellt den Verlauf und Ausgang eines Protests in den Zusammenhang mit "(a) the creativity of insurgents in devising new tactical forms, and (b) the ability of opponents to neutralize these moves through effective tactical counters" (McAdams, 1983, zit. nach Jasper, Poulsen, 1993: S. 640). Das erfolgreiche Gelingen einer Gegenbewegung der Angegriffenen hängt nach Jasper und Poulsen von drei Faktoren ab, die sie an "political process"-Ansätze neu hinzufügten; der Grösse der zuvor existierenden Verwundbarkeit, von möglichst fehlerlosen Gegenmassnahmen auf die Angriffe und von der breiter angelegten Gegenbewegung ähnlicher Organisationen. Die Verwundbarkeit wird als zum Zeitpunkt des Angriffes schon existierende Voraussetzungen begriffen, die in gewissen Charakteristika oder in Praktiken liegen kännen. In Bezug zur Tierrechtsbewegung könnte dies frappante Missstände einer Tierfabrik sein oder Experimente mit Tieren, die eine breite Sympathie innerhalb der Bevölkerung besitzen. Unter fehlerlosen Gegenmassnahmen wird eine Taktik gegen die von der Bewegung angebrachten Kritik verstanden, die von der kritischen Öffentlichkeit akzeptiert werden kann. Die Öffentlichkeit muss dabei über massenmediale Kanäle erreicht werden und damit erhalten diese auch eine grosse Bedeutung. Viele Unternehmen in den Vereinigten Staaten haben sich in Interessensgemeinschaften zusammengeschlossen, mit dem Ziel möglichst viele Informationen über Taktiken der Gegenmobilisierung zu sammeln und diese zu evaluieren. Somit werden Gegenbewegungen ausserhalb der staatlichen Repression immer professioneller organisiert, was einen Einfluss auf den Erfolg einer Bewegung hat. Jasper und Poulsen untersuchten drei Tierrechtskampagnen in den Vereinigten Staaten mit vergleichbarem Inhalt und Voraussetzungen, jedoch mit verschieden grosser Gegenbewegung. Die Kampagne mit der grössten Gegenbewegung war als einzige erfolglos. Sie folgerten aus dieser Untersuchung, dass die Verwundbarkeit, sowie die Gegenmassnahmen der Angegriffenen wichtiger als die Grösse und Taktiken der Bewegung sei. Bei anfänglichem Fehlen staatlicher Repression seien zudem auch bei kleinen Bewegungen Anfangserfolge wahrscheinlich, bevor eine solide Gegenmobilisierung stattgefunden habe. Dabei werden die Erfolgschancen mit radikalen Taktiken gegen nichtstaatliche Akteure nicht vergrössert, wie dies gegen staatliche Akteure von den meisten Untersuchungen konstatiert wird, sondern Dialoge und Kompromisse können effektiver sein (vgl. Jasper, Nelkin, 1992).

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3. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier im Laufe der Geschichte

Um die momentane Herrschaftssituation des menschlichen Tieres über die übrigen Tiere genauer zu verstehen, ist ein Überblick historischer Art unumgänglich. Ich werde keine vollständige Darstellung liefern, eher werde ich einzelne prägende Strömungen behandeln. Dabei wird vorallem auf das westliche Gedankengut eingegangen, nicht etwa weil die anderen Kulturen im Umgang mit Tieren minderwertig wären, genau das Gegenteil trifft zu, sondern weil sich das westliche Gedankengut während der letzten zwei oder drei Jahrhunderte über Europa hinaus ausgedehnt hat und heute die Denkweise in den meisten Gesellschaften bestimmt, seien sie kapitalistisch oder kommunistisch.

Ist unsere Haltung gegenüber den nichtmenschlichen Tieren einmal so tief in unserem Denken verankert, dass sie eine unbezweifelbare Wahrheit darstellt, ist es ausserordentlich schwierig diese Selbstgefälligkeit zu erschüttern, ohne für lächerlich erklärt zu werden. Doch kann versucht werden, diese Haltung zu untergraben, indem die historischen Ursprünge aufgedeckt werden.

Die ursprünglich von der griechischen Antike und dem Judentum beeinflusste Haltung gegenüber den Tieren verstärkt und vereint sich im Christentum und wird dadurch auch zur vorherrschenden Auffassung in der westlichen Welt. Erst als Denker sich allmählich dem Einfluss der Kirche entziehen konnten, propagierten sie eine aufgeklärte Sichtweise der Beziehung zu den Tieren. Die folgende Betrachtungen sind in drei Teile aufgeteilt: das vorchristliche Denken, das Christentum und der Aufklärung bis heute.

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3.1. Das vorchristliche Denken

Die Auffassung der vorchristlichen Generationen beruhen stark auf religiösen, moralischen und metaphysischen Voraussetzungen, die heutzutage als veraltet angesehen werden können. Die Schöpfungsgeschichte bietet uns einen guten Einblick, was die Menschen für ein mystisch geprägtes Verständnis von der Natur und der Beziehung von Mensch und Tier hatten:

Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und so geschah es

Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.

Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht

Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.

Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.[1]

Klar wird in dieser Bibelstelle die Sonderstellung des Menschen auf der Welt , der nach dem Ebenbild seines Schöpfers, somit gottähnlich dargestellt wird. Die Unterwerfung der Erde und die Herrschaft über die Tiere wird ihm ausdrücklich anvertraut, allerdings dürfte sich diese Vorherrschaft im Garten Eden nicht auf die Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken bezogen haben, was das erste Kapitel der Schöpfungsgeschichte im Vers 29 belegt, indem es heisst, dass die Menschen zuerst von den Kräutern und den Früchten der Bäume sich ernährt hätten.

Nach dem Sündenfall, welcher einer Frau und einem Tier zugeschrieben werden, änderte sich dies schlagartig. Um die neu erkannte Scham zu überwinden, kleidete Gott Adam und Eva mit Tierfellen, bevor sie aus dem Paradies vertrieben wurden. In anderen Stellen werden nun vielfach Tieropfer dargebracht, und nachdem Noah einmal Tieropfer verbrannt hatte, segnete ihn Gott und besiegelte die Herrschaft der Menschen endgültig:

Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über allen Fischen im Meer ; in eure Hände seien sie gegeben.

Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich's euch alles gegeben[2]

Andrerseits gibt es schon Stellen im alten Testament, die zu einer gewissen Freundlichkeit gegenüber den Tieren mahnen, also dem Menschen eher eine Verwaltungsposition auf der Erde zuschreiben, als demjenigen eine Herrschaft zu gewähren, welche ihn zu jeglichen willkürlichen Grausamkeiten bevollmächtige. Es wird jedoch an keiner Stelle eine Infragestellung der Sonderposition des Menschen, noch der Erlaubnis Tiere zu essen erwähnt.

Die zweite vorchristliche Tradition des westlichen Denkens ist die griechische. Das griechische Denken war nicht einheitlich, es existierten mehrere rivalisierende Denkrichtungen, meistens führten diese direkt auf Lehren von grossen Begründern zurück. Bekannterweise setzte sich mehrheitlich die Schule von Platon und seines Schülers Aristoteles durch. Aristoteles sah den Menschen durchaus als Tier, er nannte ihn vernünftiges Tier. Er fasste die Natur als eine Hierarchie auf, inder die weniger vernunftbegabten für die Wesen mit grösserer Vernunftbegabung existieren. Auch Menschen konnten für ihn zu den weniger vernunftsbegabteren gehören und so rechtfertigt er die Sklaverei als völlig legitim. Ohne diesen Menschen die Empfindung von Schmerz und Leid abzusprechen, werden sie als lebendiges Werkzeug angesehen. Auf der Hand lag für ihn, wenn schon gewisse Menschen über andere herrschen konnten, dass es sich bei den nichtmenschlichen Tieren nur um weniger vernunftbegabte Wesen handeln könne. Diesen Punkt begründet er aber in keiner Schrift explizit. Es wurde schon erwähnt, dass die Griechen verschiedene Denkrichtungen kannten, so war beispielsweise Pythagoras ein erklärter Vegetarier und rief seine Schüler dazu auf, Tiere mit Achtung zu begegnen.

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3.2. Das christliche Denken

Die christlichen Denkstrukturen vereinen sozusagen die jüdischen und griechischen Vorstellungen über die Tiere. Das Christentum wurde innerhalb des römischen Reiches mächtig, einem Reich, das durch ständige Eroberungskriege ein riesiges Territorium erlangte und dieses auch ständig mit grossem Aufwand verteidigen musste. Diese ständigen militärischen Aktionen dürften die römische Gesellschaft sicherlich geprägt haben, was nicht sehr förderlich für das Mitgefühl gegenüber Schwächeren gewesen sein kann. In Gebieten, die weniger militärischen Operationen unterworfen waren, insbesondere die Hauptstadt Rom, waren die Spiele weit verbreitet und so wurden dort über Jahrhunderte hinweg Menschen und Tiere zur Unterhaltung aufeinandergehetzt, die sich ausserhalb der klar umgrenzten moralischen Trennlinie befanden. Dieser moralischer Bereich, indem Gerechtigkeit, Gehorsamkeit gegenüber dem Staat und Güte hoch geachtet wurde, dehnte sich nicht auf alle Lebewesen aus, so fielen manche Menschen, insbesondere Verbrecher und Kriegsgefangene und alle Tiere aus dieser Kategorie. Mit zunehmendem Einfluss des Christentums begannen die Menschen die Eigenartigkeit der menschlichen Spezies noch stärker zu betonen, speziell vor dem Hintergrund, dass alleine der Mensch zu einem Leben nach dem Tod bestimmt war. Sogar der Fetus in der Gebärmutter besass schon eine unsterbliche Seele und galt wie die Erwachsenen, als heilig. Dies ist zweifelsohne ein ausgedehntes Moralverständnis innerhalb der eigenen Spezies, doch im Bezug zu anderen Spezies wurde die Minderwertigkeit, der im alten Testament schon festgelegt wurde, noch ausdrücklicher betont und im neuen Testament fehlt jegliche Andeutungen für die Wahrnehmung der Interessen der Tiere. Nach der Bekehrung des Kaiserreiches zum Christentum, galten Gladiatorenkämpfe wieder als verwerflich und wurden auch bald abgeschafft, doch Kämpfe mit wilden Tieren blieben noch bis weit in das christliche Zeitalter bestehen und liess nur darum nach, weil es zunehmend schwieriger wurde, wilde Tiere zu beschaffen.

Thomas von Aquin, einer der bedeutesten Vertreter der christlichen Philosophie, hält die Verbindung des Tötungsverbots auf nichtmenschliche Tiere für absurd. In seinem umfassenden Werk Summa Theologica hält er fest: "Unter den verschiedenartigen Verwendungsmöglichkeiten nun scheint jener Gebrauch am meisten notwendig zu sein, bei dem die Tiere sich der Pflanzen, die Menschen sich der Tiere zur Nahrung bedienen, was nicht ohne Tötung jener geschehen kann. So ist es denn erlaubt, sowohl die Pflanzen zu töten zur Nahrung für die Tiere, als auch die Tiere zur Nahrung des Menschen, und zwar auf Grund der göttlichen Ordnung" (Thomas von Aquin, zit. nach Singer, 1996: S. 312). Der einzige Grund, keine Grausamkeiten gegenüber nichtmenschlichen Tieren walten zu lassen, war für ihn, dass sie zu Grausamkeiten gegenüber Menschen führen könnte. Diese Haltung war von Dauer und wurde von der römisch-katholischen Kirche bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fortgeführt. So verbot Papst Pius IX in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Gründung einer Gesellschaft für die Verhinderung von Grausamkeit gegenüber Tieren mit der Begründung, dass dies die Annahme impliziere, der Mensch hätte Pflichten gegenüber der Tiere (vgl. Turner, 1964: S. 163). Erst Papst Paul II. liess in einer öffentlichen offiziellen Verlautbarung Aspekte der Tierrechtsbewegung einfliessen: "(...) im Hinblick auf die sichtbare Natur sind wir nicht nur biologischen, sondern auch moralischen Gesetzen unterworfen (...), die man nicht unbestraft übertreten darf" (Johannes Paul II, 1988: S. 74).

Der in der Renaissance aufkommende Humanismus, mit dem damit verbundenem rationellen Dualismus, vorallem durch Rene Descartes begründet, sprach von der Zweiteilung von Körper und Seele. Nur der Mensch habe eine unsterbliche, von Gott erschaffene Seele und darum ein Bewusstsein. Tieren sprach Descartes ein Bewusstsein ab, ihre Körper seien lediglich Maschinen oder Automaten, die keineswegs ein Bewusstsein hätten, auch wenn die Tiere schreien, würden sie keinen Schmerzen empfinden. So erstaunt es auch kaum, dass in dieser Zeit Tierexperimente im Namen der Wissenschaft immer häufiger anzutreffen waren.

Doch erschienen in dieser Zeit auch die ersten wirklichen Andersdenker, wie etwa Leonardo da Vinci, der obwohl von seinen Freunden immer deswegen gehänselt, aus Besorgnis, angesichts des Leidens von Tieren, Vegetarier wurde (vgl. McCurdy, 1932: S. 78).

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3.3. Von der Aufklärung bis heute

Vielleicht waren es die Tierexperimente selber, die den Menschen zusehends vor Augen hielt, wie ähnlich die Physiologie der Menschen derjenigen nichtmenschlicher Tiere ist, was wiederum einige Leuten dazu veranlasste, die Annahme in Erwägung zu ziehen, dass Tiere wohl doch Schmerzen empfinden könnten. Erstmals tauchten Begriffe wie "rücksichtsvoller Gebrauch" und "falscher Umgang" im Bezug auf die Behandlung von Tieren auf. Während des 18. Jahrhunderts fand zudem eine Neigung zu mehr Kultivität und Höflichkeit statt, von der auch die nichtmenschlichen Tieren minim profitierten. Begünstigt durch die aufkommenden kirchenfeindlichen Einstellungen, speziell in Frankreich, kritisierten Persönlichkeiten wie Voltaire und Rousseau den Fleischkonsum an sich, ohne jedoch selber davon abzulassen. Im Jahre 1780 erscheint das Buch Introduction to the Principles of Morals and Legislation von Jeremy Bentham, indem er die Stellung der schwarzen Sklaven mit derjenigen der nichtmenschlichen Tiere verglich und erstmals die Tyrannei des Menschen anprangert. Seine wohl berühmteste Aussage ist : " The question is not, can they reason? Nor can they talk? But, can they suffer?" (Bentham, 1963: S. 382). Im 19. Jahrhundert gab es dann erstmals in England ein Gesetzt gegen willkürliche Tierquälerei, das im Jahre 1822 im Parlament gutgeheissen wurde, das jedoch Hunde, Katzen oder Vogel gänzlich ausschliesst und die Quälereien als Eigentumsbeschädigung darstellt, was sich bekannterweise bis heute behauptet. Dies stellt den eigentlichen Anfang der Tierrechtsbewegung dar. Ein Gesetz war jetzt vorhanden, aber dessen Durchsetzung sicherzustellen, bedarf es einer Organisation, die eine Überwachungsfunktion wahrnimmt, umsomehr sich nichtmenschliche Tiere nicht, oder nur sehr begrenzt wehren können. So entstand, mehrheitlich aus Mitglieder der Ober - und Mittelschicht, The Society for the Prevention of Cruelty to Animals (SPCA), welche später durch die Gönnerschaft der Prinzessin Victoria von England in Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals (RSPCA) umbenannt wurde. Es beginnt in diesem Zeitraum eine eigentliche Revolution im menschlichen Verständnis der Beziehung zwischen uns und den nichtmenschlichen Tieren. In dieser Zeit ist auch Charles Darwin Evolutionstheorie anzusiedeln, welche den Menschen deutlich, mit wissenschaftlichen Beweisen untermauert, ihre Abstammung vom Tiere und ihre hnlichkeiten zu ihnen aufzeigte. Der massive Widerstand gegen diese Theorie zeigt eindrücklich, wie sehr damals die Menschen an ihre Einzigartigkeit glaubten, dennoch mussten sie die Sonderstellung in der Schöpfungsgeschichte neu überdenken und erkennen, dass sie selber Tiere sind. Ab diesem Zeitpunkt konnten nur noch Menschen, die ihren religiösen Glauben den wissenschaftlichen Beweisen und Argumentationen vorziehen, an der Vorstellung festhalten, ihre Spezies sei der Liebling des ganzen Universums.

Es ist erstaunlich, wie auch die progressivsten Denker weiterhin an der tief verankerten Gewohnheit Fleisch zu essen festhielten, und wie sie bei dieser Fragestellung offensichtlich tief unter ihre üblichen Argumentationsqualitäten sanken. Obwohl sie sich der vegetarischen Lebensweise östlicher Völker bewusst waren, argumentierten viele damit, dass nordische Völker nie dazu in der Lage wären, sich vegetarisch zu ernähren, oder dass es einfach im Wesen der Natur liegt, Fleisch zu essen.

Langsam verbreitete sich die Gedanken, dass Tiere Rechte haben und so wurde auch in Amerika 1863 die erste Tierrechtsorganisation mit dem Namen The American Society for the Prevention of Cruelty to animals gegründet und zwanzig Jahre später folgt die erste Organisation, die sich gegen Tierversuche in Labors wendet und den Namen The American Antivivisection Society trägt. Gleich wie in England, waren diese Organisatoren stark in der Ober - und Mittelschicht eingebettet und sie wandten sich vorallem gegen die Grausamkeiten gegen Tiere, die von Leuten der Arbeiterklasse zugefügt wurden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts formten sich in England erste revolutionäre Antivivisektionsgruppierungen, die sich gegen die elitäre und häufig den Interessen der Kapitalisten und der Wissenschaftler verfallene RSPCA aussprachen. So gründete Frances P. Cobbes, eine frühe Feministin, im Jahre 1875 die Victoria Street Society (VSS) und unterwanderte den reformorientierten Kurs der RSPCA. Indem sich die Tierexperimentgegner organisierten und an Einfluss gewannen, entstanden auch Gegenbewegungen, die sich für solche Experimente zu Forschungszwecken einsetzten. Eine davon war die im Jahre 1882 gegründete, meist von einflussreichen Forschern und Abgeordneten des Parlamentes getragenen, Association for the Advancement of Medicine by Research (AAMR), die bald einen erheblichen Einfluss geltend machte und wenige Jahre später die offizielle Lizenzgeberin für Tierversuche war.

Während des 20. Jahrhunderts entstanden immer mehr Organisationen, die sich neben willkürlichen Grausamkeiten, Tierversuche und tierquälerische Sportarten, dann in Folge des massiven Wachstums der Fleischindustrie von 1938 - 1956 (vgl. Adams, 1994: S. 34) auch vermehrt gegen die industrielle Nutzung der Tiere richteten. Ab 1970 begann die eigentliche Tierbefreiungsbewegung, welche sich gegen jegliche Art von Unterdrückung wendet. Erstmals erschienen Publikationen, in welchen das gesamte Wesen des Speziezismus analysiert und ein neuer Moralbegriff wurde propagiert. Die Erscheinung verschiedener "grass roots"-Tierrechtsbewegungen, besonders nach 1970 in städtischen Regionen (vgl. Sperling, 1988: S. 77), zeigt uns den Anfang einer neuen sozialen Verantwortung gegenüber nichtmenschlichen Tieren, insbesondere in der Wissenschaft. Diese modernen Tierrechtsbewegungen brechen ganz bewusst mit früheren Organisationen, die sich stark innerhalb institutioneller Strukturen bewegten und deren Mitglieder vorallem in der Mittelschicht und Oberschicht anzutreffen waren. Prestigegewinn war ein erklärtes Ziel vieler früherer Tierrechtsbewegungen und so verfassten sie oft Vorstösse derart mehrheitsfähig, dass die Anliegen vieler Tierschützer darin keine Beachtung mehr fanden (vgl. Sperling, 1988). Mit den modernen Tierrechtsbewegungen fand eine Abwendung von der kompromissbereiten institutionellen zu einer kompromissloseren fundamentalistischeren Politik statt. Später werde ich noch genauer auf die momentane Situation der verschiedenen Organisationen eingehen, möchte sie auch bezüglich ihrer Aktivisten, Organisationsformen, Ziele und Strategien analysieren.

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4. Voraussetzungen der moderne Tierrechtsbewegung:

In den siebziger und achtziger Jahren dieses Jahrhunderts erlebte der Tierschutz einen starken Zuwachs an Mitglieder. Die Stossrichtung vieler kleineren "grassroots"-Gruppen, die sich auch untereinander zum Teil stark unterscheiden, brach mit der viktorianischen Tradition der Tierrechtsvereinigungen, die in England sehr stark institutionalisiert in Erscheinung trat. Spontanistische Tendenzen in den Aktionen und eine Abwendung von der etablierten Politik gewisser Tierrechtsgruppen, hin zu ausserparlamentarischen Formen des Protestes, die stark an illegale medienwirksame Aktionen gebunden sind. Im folgendem werde ich vier Aspekte behandeln, die ich als wichtig für diese Entwicklung ansehe:

4.1. Die Ökologie- und Umweltbewegung

Nach dem Zerfall der Studentenbewegung bildeten sich vermehrt Bewegungen, die " ...im Begriff waren, einen eigenen soziokulturellen Zusammenhang in Abgrenzung zur dominanten Mehrheitskultur auszuformen" (Brand, Büsser, Rucht, 1984: S. 241). Eine Neubestimmung des Verhältnisses zur Natur, zur Ökologie, zur Politik und zur Gesellschaft, waren die Konturen des neuen Vergesellschaftungsmodell. Es gab charakterliche Merkmale, die bei modernen sozialen Bewegungen ausgeprägter anzutreffen sind. So scheint ihnen eine antimodernistische Haltung gemein zu sein, die sich gegen den zunehmenden Einfluss der Technik in allen Lebensbereichen zur Wehr setzen möchte. Ebenso eine manifeste politische Konfliktbereitschaft gegenüber der etablierten Politik und die Rekrutierung von heterogenen Bevölkerungsgruppen, deren Protestbereitschaft um so grösser wird, je mehr die konsistente Betroffenheit, die Interessenlage und die subjektive Sensibilität zur Deckung kommen (vgl. Brand, Büsser, Rucht, 1984). Mit der zunehmenden heterogenen Konsistenz der Bewegungen ergeben sich ideologische Konflikte und Polarisierungen der unterschiedlichen Deutungsmuster der Konfliktsituationen und der Handlungsstrategien. Die messbaren Umweltzerstörungen (z. B.: Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung) gab der Ökologiebewegung auftrieb, denn diese verknüpft die Dimensionen von Natur und Gesellschaft, Ökologie und Umweltschutz. Aus Ein - Punkt - Aktionen entstanden vermehrt soziale Bewegungen, begünstigt auch durch die Reformunwilligkeit der Regierungen. Manche Bewegungen zeigten eine Tendenz zur fortschreitender Kooperation und Koordination, zuerst lokaler , dann zunehmend überregionaler Gruppen. So entstand aus einer Protestaktion im bundesdeutschen Wyhl schon 1972 ein " Oberrheinische Aktionskomitee gegen Umweltgefährdung durch Kernkraftwerke", welches einen generellen Baustopp für alle atomaren Anlagen forderte. So wuchsen aus Protestaktionen gegen Tierversuche erste Antivivisektionsgruppen, die sich zunehmend organisierten und teilweise bis in die Gegenwart aktiv sind. So kam es nach der spektakulären und medienwirksamen Befreiung von siebzehn Affen aus der Georg-Washington-Universität im Bundesstaat Maryland in Amerika zu der Gründung und raschen Expansion der People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) Tierbefreiungsvereinigung, die im Jahre 1994, nach eigenen Angaben, international 350000 Mitglieder aufwiesen (vgl. Sherry, 1994: S. 104).

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4.2. Der Impuls der Befreiung

Grundlegend kann gesagt werden, dass der Mensch ständig damit beschäftigt ist, seinen Moralbegriff auszudehnen. Das Wesen des Kolonialismus und Rassismus stellte noch vor 50 Jahren für viele keinen grundlegenden Verstoss des Moralbegriffes dar und auch bei der Gleichberechtigung der Geschlechter ist die Situation erst vor wenigen Jahren, durch das Aufkommen der Frauenbewegung, mit der damit verbundener Emanzipation, vermehrt thematisiert worden. Gerade der Sexismus ist ein gutes Beispiel dazu, wie schleichend und lange anhaltend sich Denkmuster erhalten können und auch heutzutage noch keinesfalls von der praktischen Überwindung des Problems gesprochen werden kann. Dennoch gelang es der Frauenbewegung, Sachverhalte in die öffentliche Diskussion einzubringen, wie zum Beispiel die Chancen- und Lohnungleichheit zwischen den Geschlechter. In dieser Hinsicht ist, nach breiterer Thematisierung des Rassismus und Sexismus, der Angriff auf den Speziezismus ein weiterer Schritt in der Ausdehnung des Moralbegriffes, zumindest im intellektuellen Sinne. Von Ökofeministen wird häufig der Zusammenhang zwischen der Unterdrückung der Frauen mit derjenigen der Tiere betont. Die Ökofeminismusbewegung trat als eine Vereinigung der Forderungen der Ökologie- und verschiedener Frauenbewegungen in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts in Erscheinung. "Ecofeminists insist that the sort of logic of domination used to justify the domination of humans by gender, racial, or ethnic, or class status is also used to justify the domination of nature. Because eliminating a logic of domination is part of a feminist critique - whether a critique of patriarchy, white supremacist culture, or imperialism - ecofeminists insist that naturalism is properly viewed as an integral part of any feminist solidarity movement to end sexist oppress and the logic of domination which conceptually grounds it" (Warren, 1990: S.132). Es ist festzustellen, dass es sich hier keineswegs um eine Ein - Punkt - Bewegung handelt, sondern ein immer umfassenderes und zusammenhängenderes Weltbild wird angestrebt, welches Unterdrückung in möglichst vielen Formen zu eliminieren versucht. Auch ist darin eine anwaltschaftliche Tendenz anderer Lebewesen gegenüber festzustellen, die entweder marginalisiert oder nicht artikulationsfähig sind.

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4.3. Neue wissenschaftliche Auffassungen

Der zunehmende wissenschaftliche Nachweis, besonders in der Verhaltensforschung, dass nichtmenschliche Tiere intellektuelle Fähigkeiten mit dem Menschen teilen. Dazu haben wesentlich Forschungen mit grossen Menschenaffen beigetragen, die ihnen hohe Intelligenzleistungen zuschreiben[3]. Andrerseits erfolgte der Nachweis, dass alle Klassen der Wirbeltiere die gleichen biochemischen Substanzen wie der Mensch besitzen, die mit der Übertragung des Schmerzes zusammenhängen. Die Verhaltenswissenschaften versuchten Rückschlüsse auf das menschliche Verhalten zu ziehen, indem sie sich, speziell in der Soziobiologie und Ethologie, auf Tierbeobachtungen stützten. Dies hat die Auffassung unterstützt, der homo sapiens sei nur eine Spezies unter anderen Spezies. Doch haben gerade auch die zuvor erwähnten Wissenschaftsrichtungen gefährliche, einer neurechten Ideologie verschriebenen Auffassungen ausgearbeitet, die biologistische, sozialdarwinistische, eugenische und ökofaschistische Ansichten beinhalten. In diesem Zusammenhang ist Irenäus Eibl-Eibesfeldt zu erwähnen, der folgendes schrieb: " So viele höhere Wirbeltiere Revierfremde als Eindringling vertreiben, so reagieren auch wir Menschen auf Zuwanderer in ein bereits besetztes Gebiet mit archaischen Abwehrreaktionen" (1992, zit. nach Wölflingseder, 1995, S. 32). Auch der schon erwähnte Peter Singer befürwortet in seinem Buch Muss dieses Kind wirklich am Leben bleiben? Euthanasieprogramme mit ökonomischen Argumenten. So ergibt sich ein gewisser Zugszwang für Menschen, die das Verhältnis des Menschen zu den Tieren und den Ökologiebegriff nicht nur rechtsgerichteten Argumentationslinien überlassen wollen.

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4 4. Fortschreitende Industrialisierung

Seit dem Beginn der Industrialisierung werden systematisch Produktionsvorgänge, mit immer weitgreifenderem Einsatz von Maschinen, rationeller gestaltet. Auch in der Nahrungsmittelindustrie, die, um ein Überleben auf dem kapitalistisch orientierten Markt zu sichern, immer produktiver sein muss, kommen immer mehr Maschinen zum Einsatz. "Die Auftrennung des Nährstoffkreislaufes, der einst Feldfrüchte und Vieh miteinander verband, verursachte der Landwirtschaft an beiden Enden Probleme: Hohe Rechnungen für Düngemittel und hohe Kosten für Abfallentsorgung" (Durning, Brough, 1992: S. 89). Aus den einstigen Bauernhöfen werden eigentliche Tierfabriken, in denen Lebewesen völlig von natürlichen Bedingungen entzogen, sich in einem maschinellen Produktionsablauf befinden. So kann heutzutage ein einziger Arbeiter beispielsweise 60000 - 75000 Hühner innerhalb der Tierfabrik alleine versorgen[4]. Das Wohlergehen der Tiere spielt keine Rolle mehr und so kommt es im Namen der Gewinnmaximierung zu gravierenden Missständen. Neben einer immer grösserer Anzahl an Tieren pro Fläche, werden Tiere präventiv mit Antibiotika behandelt, auf dass sie noch schneller an Gewicht zulegen und die unnatürlichen Bedingungen länger überleben können. Zu diesen unnatürlichen Umständen gehören auch unzählige andere Behandlungsmethoden, wie etwa das künstliche Verdunkeln, um einen schnelleren Tagesrhythmus hervorzurufen, das Beschneiden von Körperteilen, um Verstümmelungen vorzubeugen, das künstliche Befruchten, um die Milchproduktion auszulösen, das Trennen von Mutter und Kind, um die Milch für den Markt zu beanspruchen und die Nutzung von Schlachthausabfällen zu Füttermittelzwecken.

"Mit ihren 40 Prozent der Viehherde der Welt produzieren die reichsten Länder z.B. 61 Prozent des Fleisches, 55 Prozent der Eier und 72 Prozent der Milch der Welt" (Durning, Brough, 1992: S. 81). Am meisten Fleisch wird mit einem Pro-Kopf-Konsum von über zwei Kilo in einer Woche in den Vereinigten Staaten verzehrt. Weltweit steigt die fleischessende Klasse und die Weltfleischproduktion vervierfachte sich seit 1950 auf jährlich 32 Kilo pro Person, dabei stellt die "Geflügelproduktion" der am schnellsten wachsende Bereich dar, weil viele AmerikanerInnen aus gesundheitlichen Gründen weniger Rindfleisch konsumieren. Durch diesen rasanten Anstieg kann die Nachfrage nach Fleisch nicht mehr durch traditionelle, mit Feldfrüchten integrierte Viehhaltungssysteme gedeckt werden, so müssen beachtliche Anteile der Hülsenfrüchte- und Getreideproduktion an Tiere verfüttert werden, so in den Vereinigten Staaten, wo 70 Prozent des Getreideverbrauchs an Tiere verfüttert werden, während dieser Anteil in Indien nur zwei Prozent ausmacht. Dieser Trend ist auch in der sogenannten "dritten Welt" zu beobachten, in der bis in die sechziger Jahren Getreide exportiert werden konnte und nun durch eine explodierende Viehindustrie konsequent importieren muss. 1980 wurden dort 75 Prozent der Einfuhren von Mais, Gerste, Hafer und Sorghum an Tiere verabreicht. "Viele Menschen sind nicht nur wegen ihrer Gesundheit besorgt, sondern auch wegen der Erkenntnis, dass mehr als ein Drittel des Getreides der Welt an Tiere verfüttert wird, während 12 von 100 Menschen hungern" (Durning, Brough, 1992: S. 108).

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5. Das ideologische Paket der TierrechtsaktivistInnen

Im folgenden werde ich versuchen das ideologische Fundament der TierrechtsaktivistInnen näher zu definieren. Ein Versuch, der Angesichts der Heterogenität der politischen Stossrichtungen, des Lebensstils und der Strategien verschiedener AktivistInnen im voraus zu scheitern droht. Trotzdem können Aussagen gemacht werden, die gewisse kohärente Tendenzen innerhalb der momentanen Tierrechtsbewegung darstellen. Ich stütze mich vorallem auf Interviews mit AktivistInnen, die in den Büchern Verteidigt die Tiere von Peter Singer (Hg. ) und Animal Liberators von Susan Sperling abgedruckt sind.

Alle in den Interviews vertretene Personen wuchsen in der westlich geprägten "Meat - Advocating"[5] Kultur auf, die traditionell Fleisch als Nahrungszweck verwendet. Deshalb prägten sich vielen AktivistInnen die ersten Momente ein, als sie erstmals die Tiere als unterdrückt und misshandelt wahrgenommen haben. Dies begann für viele mit einem Gespräch mit einer Person, die direkt oder indirekt in der Tierrechtsbewegung beteiligt war, oder mit der Konfrontation des Alltags in den Tierzuchten oder Schlachthöfen durch eine Besichtigung oder via andere Kanäle, wie Fernsehen, Zeitschriften und Bücher. Gerade solche Örtlichkeiten haben grosses Interesse daran, dass die Öffentlichkeit keine Einsicht in ihr Tun erhalten und sind dem entsprechend gut abgeschirmt. Terry Murphy sagte zum Beispiel in einem Interview über ihre Wandlung folgendes: "...and met people in the movement and talked about issues, and I knew I was home. I changed my lifestyle overnight" (Sperling, 1988: S. 119). Andere AktivistInnen sprechen von einem langsamen Prozess, dessen Auswirkung sich häufig in einer veränderten Wahrnehmung gegenüber den Tieren und den damit verbundenen Gewohnheiten zeigt. Der Fleischkonsum vermag dies gut zu veranschaulichen, denn viele AktivistInnen wurden oder waren bereits VegetarierInnen oder VeganerInnen während ihrer aktiven Teilnahme bei Tierrechtsvereinigungen. Dieser Punkt hat für manche AktivistInnen sehr entscheidenden Charakter, denn ohne dass die Tierindustrie boykottiert wird und tierische Produkte, so weit wie möglich, aus dem Alltagsleben gedrängt werden, verliert für solche Personen die Bewegung an Glaubwürdigkeit und zudem könne dies nicht mit den Zielen der Bewegung vereinbart werden. Häufig betonen AktivistInnen auch die schlechte Welternährungslage, die nach ihren Argumenten einen engen Zusammenhang mit der "Fleischproduktion" und der ungleichen Verteilung der Nahrungsmitteln zu tun hat. In Modellen, die vergleichend Eiweissanteile von Pflanzen zum direkten Verzehr oder via die Verfütterung in einer Tiermästerei analysieren, wird klar, dass die "Fleischproduktion", je nach Tierart, die fünf- bis zwanzigfache Menge an Eiweissanteilen verbrauchen, um auf denselben "Nährgehalt" zu gelangen. Weiter wird auch der hohe Strom-, Medikamenten- und Wasserverbrauch der Tierfabriken verurteilt, was einen Bezug zu tiefenökologischen Konzepten schliessen lässt. Diese Haltung deutet eher auf AktivistInnen einer moderner Tierrechtsbewegung hin, die eine möglichst konsequente Umsetzung ihrer Ideale anstreben. Auf der anderen Seite gibt es durchaus TierrechtsaktivistInnen, die ihren Fleischkonsum mit ihrem Engagement in der Tierrechtsbewegung vereinbaren können. Diese Heterogenität der Bewegung tönt Mariela Gordon in einem Interview an: "We<<re united in one thing, but we<<re all very different, and we<<re fighting all the time. ... Some even believe that keeping pets is animal exploitation. ... And then there<<s the more moderate abolitionist types like me, who think you ought to stop it, but you ought to do it with diplomacy." (Sperling, 1988: S. 113f. ). Dieser Standpunkt ist eher den AktivistInnen von institutionell verankerten Tierrechtsbewegungen zuzuschreiben, die einen Konsens mit der etablierten Politik und den Wirtschaftsexponenten anstreben, um so Gesetzesvorlagen möglichst mehrheitskonform präsentieren zu können. Gemeinsame Tendenzen scheinen lediglich als ein Bestreben zur Verminderung von Leiden bei Tieren vorhanden zu sein, das vor dieser "Erkenntnis" eine konditionierte moralische Blindheit[6] verunmöglicht hat. Dieser Wandel wird von vereinzelten Personen wie eine Bekehrung zum besseren Menschen dargestellt, der nun seine moralischen Werte ausgebaut hat und sich dadurch weniger Schuld auflädt. Weitere gemeinsame Punkte scheinen mir grösstenteils im Grundsatz zu liegen, dass Tierrechtsforderungen nicht als Gegensatz zu Menschenrechtsforderungen angesehen wird. Jeannie Kant spricht in diesem Zusammenhang über die AktivistInnen: "People in the movement are varied; they come from all walks. Most of them ... are very concerned about humans and are quite liberal; you know: antiwar, antinuclear weapons, antiracism, and so forth. We are very concerned about human right; we focusing on animal rights. These movements are all related because there<<s the same basic underlying attitude of supremacy that permits and perpetuates the racist, sexist, speciesist attitudes and concomitant crimes against creatures" (Sperling, 1988: S. 117).

Doch nicht immer beinhaltet ein Engagement für die Tierrechte eine Verneinung anderer Unterdrückungsformen, so sprechen einige, wenn auch wenige, Tierrechtsorganisationen eine klare Sprache des Antisemitismus, so beispielsweise der schweizerische Verein gegen Tierfabriken (VgT), der von Erwin Kessler gegründet worden ist und der im Bezug auf das Schächtererlaubnis in der Schweiz hasserfüllte Tiraden gegen das "Judentum" verbreitet. In einem Flugblatt schreibt Erwin Kessler (1997, zit. nach Praxedis, 1997): "Wenn der Begriff Antisemitismus heute nur noch bedeutet, ein grausames, pervers-religiöses jüdisches Ritual abzulehnen, dann ist Antisemitismus nichts negatives mehr, sondern eine gesunde Haltung der überwiegenden Mehrheit der nichtjüdischen Bevölkerung". Hier geht es nicht mehr nur um das Leid der Tiere, sondern es wird benützt, um das "Judentum" anzuprangern und zum Verbreiten von einschlägigen Verschwörungstheorien.

Weiter gibt es vereinzelt AktivistInnen mit biologistischen Tendenzen in ihrer Argumentationsgrundlagen. Biologismen "sind einer logisch-rationalen, kritischen Auseinandersetzung nicht zugänglich; sie werden als Zirkelschlüsse oder Glaubensfragen der Kritik entzogen. Sie sind generell der diskursiven Infragestellung enthoben, weil sie als "natürlich", als nicht hinterfragbar angesehen werden. Natur erzeugt in dieser Betrachtungsweise eine naturalisierte Totalität"(Wölflingseder, 1995: S. 34). In einem solchen Konzept hat es keinen Platz für Auseinandersetzungen oder Veränderungen. Sozialdarwinistische Tendenzen stellen einen naturgegebenen Platz für jeden Menschen innerhalb der Gesellschaft in den Vordergrund, "soziale Handlungen sind in dieser Logik überflüssig, denn wer am gesellschaftlichen Rand steht, gehört dort naturbedingt hin" (Sierck, 1995: S. 9). Der Kampf für die Tierrechte ist somit nicht mehr ein Kampf für einen anderen Umgang mit Tieren, für ein Stück andere Wirklichkeit, sondern wird zu einem Kampf zwischen zwei sich unvereinbar gegenüber stehenden, auf ewig verfeindeten Gruppen, namentlich der TierrechtlerInnen und der Übrigen, letztlich zu einem Kampf zwischen Gut und Böse. Mit biologischen Formulierungen werden ein ganzes Bündel von Vorstellungen und Werten mitassoziiert, mitunter die Unterordnung des Individuums einer "naturbedingten" Hierarchieordnung und das Ignorieren des Menschen an sich als soziales Wesen. Die offensichtlichsten Biologismen, die von seitens einiger AktivistInnen der Tierrechtsbewegungs laut geworden sind, versuchen in pseudowissenschaftlichen Argumentationen, wie die Darmlänge und die Zahn- und Kieferstellung, die Natürlichkeit der vegetarischen Ernährung für den Menschen zu beweisen.

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6. Tendenzen verschiedener Tierrechtsorganisationen

Nachdem wir uns einen Überblick über die Argumentationslinien der AktivistInnen verschafft haben, folgt nun eine Beschreibung einiger Organisationen, in denen sich TierrechtlerInnen zusammengeschlossen haben. Weltweit existieren tausende solcher Organisationen, die das Recht der Tiere thematisieren. Die augenfälligsten inhaltlichen Differenzen bestehen in den angewandten Strategien und für welche Tiere sie Veränderungen fordern. Technische Differenzen lassen sich am besten anhand der zur Verfügung stehenden Ressourcen aufzeigen. Es werden im Folgenden drei verschiedene Organisationstypen behandelt, welche ich nicht aufgrund ihrer Einflussfähigkeiten oder Effektivität beurteilen will, sondern ihrer inneren Struktur gerecht werden will. Diese drei Typen schliessen sich keineswegs grundsätzlich aus und es gibt viele Mischformen.

6.1. Institutionell verankerte Tierschutzorganisationen

Solche Organisationen sind in grosser Zahl dem Status der Wohltätigkeitsorganisationen oder der Vereine zugeordnet, die klare Rahmenbedingungen in Form von Statuten für ihre Mitglieder aufweisen. So bestimmen diese die Höhe der Mitgliederbeiträge und die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb der klar aufgeteilten Arbeitsteilung und Hierarchieordnung. Durch die langen Existenzzeiten vieler Organisationen, so existiert die RSPCA schon länger als 160 Jahren, und einer weitreichenden Beibehaltung der machtorientierter Strategie, hat eine Professionalisierung stattgefunden. So lassen sich hochspezialisierte Leute als bezahlte AktivistInnen innerhalb solcher Organisationen finden, deren Entgelt aus Mitgliederbeiträgen und Spenden finanziert werden. Einige Organisationen besitzen, bedingt auch durch in vielen westlichen Ländern gesetzlich verankerten Steuervorteilen von Wohltätigkeitsorganisationen und grosser Mitgliederzahlen, über grosse Vermögen, so zum Beispiel die Massachusetts Society for the Prevention of Cruelty to animals, die ihr Gesamtvermögen auf 42 Millionen US-Dollars beziffert (vgl. Sperling, 1988: S. 83), so dass hier eigentlich von einer Bewegungsindustrie gesprochen werden muss. Die Mitgliederzahlen sind auch vergleichsweise hoch, so umfassten die drei grössten amerikanischen Tierrechtsorganisationen im Jahre 1982 um die 446'000 registrierte Mitglieder (vgl. Sperling, 1988: S. 84). In der Schweiz stellt der Schweizer Tierschutz die grösste Plattform für Tierrechte dar und zahlt etwa 130'000 Mitglieder. Wohl bemerkt sind nicht alle Mitglieder aktive Mitglieder, denn der grösste Teil davon entrichtet zur Unterstützung ihrer Organisation lediglich den Mitgliederbeitrag oder setzt eine Unterschrift unter einen Vorschlag, um zur Realisierung der Ziele beizutragen. Informiert werden diejenigen durch organisationseigene Publikationsmittel, wie eine Zeitschrift oder Rundbriefe.

Die Strategie solcher Organisationen richtet sich stark an der momentanen Machtverteilung in der Politik, an der öffentlichen Meinung und den gesetzlichen Bestimmungen des Landes, in der die Organisation tätig ist. Beispiele von Tierrechtsgruppen aus Amerika belegen, dass bei der Suche nach geeigneten Zielen einer Protestkampagne stark auf die Lage und die involvierte Tierart geachtet wird. Bezieht sich der thematisierter Missstand auf eine Tierart, die in der öffentlichen Meinung einen hohen Stellenwert, wie etwa Affen oder Katzen, und befindet sich ein damit verbundenes Gebäude in gut erschlossenem städtischen Gebiet, erhöhen sich die Erfolgschancen (vgl. Jasper, Poulsen, 1993). Immer wird abgewogen, ob eine gewünschte Gesetzesvorlage auch mehrheitsfähig formuliert ist, aber trotzdem den Tieren einen Nutzen bringt und meistens bewegen sich derartige Kampagnen im legalen rechtsstaatlichem Bereich. Die Pressesprecherin des Schweizer Tierschutzes, Regula Schwarzenbach, erklärt in einem Interview mit der Schweizer Familie: "Wir haben viele stille Mitglieder, und die wünschen, dass wir unsere konstruktive Arbeit der kleinen Schritte wie bisher fortsetzen" (Lieber, 1994). Diese Taktik impliziert ein Bestreben nach Einbringung der von der Organisation anvisierten Themen in die Politik, mittels einzelner Abgeordneten oder ganzen politischen Parteien und die Sensibilisierung der Bevölkerung. Als 1982 die Labour - Partei sich in England vor den Wahlen für eine Abschaffung der Hetzjagd ausspricht, unterstützt die League Against Cruel Sports sie mit einer Spende von 80<<000 Pfund Sterling. Es wurde erreicht, dass 5 - 15% der Bevölkerung, dies ergab eine nationale öffentliche Umfrage, dazu bereit waren, das "Problem der Tiere" für ihre Wahl entscheiden zu lassen (vgl. Singer, 1988; S. 280ff ).

Die politische Ausrichtung derart traditionellen institutionalisierten Organisationen ist im konservativ-bürgerlichen bis links-liberal reformistischen Spektrum anzusiedeln. In England, wo sich die traditionellen Tierschutzorganisationen etablierten, war eine RSPCA bis in die achtziger Jahren sehr konservativ geprägt. David Wetton, der Direktor der League Against Cruel Sports, erwähnt in einem Interview: "Noch 1978 wurde die grosse Mehrheit der Tierschutzgesellschaften - eigentlich alle - völlig von den Konservativen kontrolliert, (...) " (Singer, 1988: S.282). Dies habe sich jedoch ein wenig geändert, so auch viele jüngere Mitglieder sich nun engagieren würden, hängt er an.

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6.2. Religiös motivierte Tierrechtsgruppen

In manchen östlichen Religionen, wie etwa dem Hinduismus, dem daraus abgeleitetem Buddhismus oder der neueren Hare-Krishna-Bewegung, wird das Verhältnis vom Mensch zum Tier anders konstruiert. Der nicht nur vom indischen Subkontinent stammende Glauben an die Reinkarnation ist eine Voraussetzung dafür, so glauben beispielsweise einige hinduistische Strömungen an eine Reinkarnation in nichtmenschliche Tiere und in Pflanzen. Ausserdem gelten bestimmte Tiere als heilig, so beispielsweise Kühe, Kobras oder Ratten, denen gegenüber ein absolutes Tötungsverbot besteht. "Jinisten sieben ihr Trinkwasser durch, fegen den Weg den Weg vor sich her, um nicht auf eine Ameise zu treten, und führen manchmal ein todesverachtendes Fasten durch als Weg, das Töten jeder Art von Lebewesen zu vermeiden" (Larson, 1982: S. 86). Viele dieser Religionen haben schon längere Zeit in westlichen Kulturen Fuss gefasst.

Erstmals im Zusammenhang einer Antivivisektionsbewegung in Erscheinung getreten ist in den Vereinigten Staaten eine Gruppe namens Buddhists Concerned for Animals, einer Gruppe von Personen, die die in ihrer Religion enthaltenen Philosophie als Motivation ihres Einsatzes für die Tierrechte begreifen. In einem Flugblatt aus dem Jahre 1983 stammt folgender Textausschnitt: "As Buddhist monks and lay people, we are finding ourselves able to reach people who may otherwise not be involved in the effort to liberate animals from suffering. We aim to point out the relationship of the current animal right movement to the traditional Buddhist path, and to a sometimes overlooked but present aspect of other religions" (vgl. Sperling, 1988: S. 101). Diese Gruppierung steht in direkter Verbindung zur Buddhist Church of Amerika und es ist anzunehmen, dass sie auch mit Ressourcen aushilft, da dies ja auch zur Verbreiterung ihrer Religion führen könnte. Die Organisationsform und Hierarchieabstufungen sind mit derjenigen der Kirche identisch, es wird klar auf eine, auf ihren Geboten beruhenden Gesellschaft hingearbeitet.

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6.3. Autonome Tierrechtsgruppen

Während sich die institutionellen Tierschutzgruppen auf legal ausgerichtete Strategieansätze spezialisierten, kam es in den achtziger Jahren dieses Jahrhunderts zu einem Bruch, beziehungsweise zur Konsolidierung von Tierrechtsgruppen, die sich öffentlich mit illegalen militanten Tierbefreiungsaktionen solidarisierten und solche auch selber ausübten. Es waren vorallem VegetarierInnen und VeganerInnen aus dem autonomen, anarchistischen Spektrum, die seit damals unzählige kleine bis mittelgrosse Gruppierungen gründeten. Der Ursprung ist auch bei diesen Gruppen in England zu suchen, wo sich zwischen 1972 und 1976 aus der britischen "Hunt Saboteurs Association"-Bewegung (HSA), die auch heute noch Störaktionen gegen die Hetzjagden der vorallem aristokratischen Jägern organisieren, die Animal Liberation Front (ALF) hervorwuchs. Die ALF ist eine militante Untergrundsgruppe, die sich vorwiegend auf zwei Aktionsformen spezialisiert hat: Erstens die Tierbefreiung aus Versuchlaboratorien, Pelzfarmen und Nutztierhaltung und zweitens der Tierverwertungsindustrie möglichst hohe Sachbeschädigungen zuzufügen, wobei der Grundsatz gilt, dass dabei keine Personen oder Tiere verletzt oder gefährdet werden dürfen. Durch diese teilweise spektakulären spontanistischen Aktionsformen erzielten autonome Tierrechtsgruppen eine grosse Medienresonanz, die, wenn auch meistens ablehnend formuliert, dieser Bewegung zu einem hohen Bekanntheitsgrad verholfen hat. Die erste Aktion dieser Gruppierung fand im Jahre 1976 statt, als sie Tiertransportfahrzeuge beschädigten. Die ALF ist in viele regionale vernetzte kleine, fünf bis zwanzig Personen umfassende Zellen unterteilt und organisiert. Dies ist auch Folge der Illegalität, inder sich die AktivistInnen befinden und sich somit ständig der Gefahr einer Verhaftung ausgesetzt sind. So gründete die Polizei in den achtziger Jahren in Grossbritannien eine Spezialeinheit zur Bekämpfung der ALF, weil die Mitgliederzahlen inzwischen auf ungefähr 1500 Personen geschätzt wurden, so erstaunt es auch wenig, dass konservative Politiker die ALF als grösste Gefahr für das Land seit der IRA bezeichneten. Die verschiedenen Gruppierungen sind wiederum in verschiedene legale Dachorganisationen organisiert, die eine doppelspurige Taktik ermöglicht, das bedeutet neben den illegalen direkten Aktionen auch einen parlamentarischen legalen Weg aufrechtzuerhalten. Dieser sogenannte legale Arm, in England heisst dieser ALF-Supporters-Group, ist für Öffentlichkeits- und Antirepressionsarbeit zuständig. ALF-Gruppierungen bildeten sich auch in Kanada, Südafrika, Frankreich, Holland, Spanien, Australien, Neuseeland und auch in Schweden, Polen, der Schweiz und Italien haben sich zwischenzeitlich derartige Gruppierungen gebildet. In anderen Ländern entstanden ähnliche, nach dem Vorbild der ALF gestaltete Gruppen, wie in den Vereinigten Staaten die People for the Ethical Treatment of Animals (PETA), die eigentlich den legalen Arm darstellt, gleichzeitig aber sich vor direkten Aktionen von seitens der Mitglieder nicht distanziert. Dieser Organisation gehören etwa 350<<000 Mitglieder an (vgl. Sherry, 1994: S. 104). In Deutschland bildeten sich anfangs der achtziger Jahren erstmals autonome Tierschutzgruppen, wie etwa Tarzan und seine Bande oder Tierrechts-Aktion-Nord (TAN) , die 1985 mit anderen Tierbefreiungsgruppen den Bundesverband der TierbefreierInnen (BVdT) als legales Sprachrohr gründeten. Diese Organisationen verfügen alle über verschiedene Publikationsmittel, so Zeitschriften, Flugblätter, Bücher und Internetseiten, um die Bevölkerung diesen Themen gegenüber zu sensibilisieren.

Autonome Tierrechtsgruppen weisen Parallelen zu den sogenannten "neuen sozialen Bewegungen" (vgl. Brand, Büsser, Rucht, 1984) auf, so die zentrale Rolle von ökologischen Kreislauf- und ganzheitlichen Lebenszusammenhängen, die heterogene soziale Rekrutierung, das Betonen der Selbstorganisation mit verbundenem Verneinen einer charismatischen Führerfigur, und dass die Verbreitung der Themenkonjunkturen unterliegt, die wesentlich von medialen Aufmerksamkeitszyklen geprägt sind.

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7. Diskussion

Wir haben gesehen, dass die Ziele von Tierrechtsbewegungen keineswegs nur auf politischer Ebene anzusiedeln sind, denn sie beziehen sich zusätzlich stark auf kulturellen und sozialen Wandel und auf das öffentliche Bewusstsein. Es kann gesagt werden, dass institutionalisierte Tierrechtsgruppen, als auch autonome Tierrechtsgruppen eine macht- und politikorientierte Strategie verfolgen, die daneben noch eine kulturorientierte Dimension besitzen. Die Tierrechtsbewegung kann also als Mischform von macht- und kulturorientierter Stossrichtung begriffen werden, welche sich gegen staatliche, wie auch nichtstaatliche Institutionen richten. Deshalb lassen sich mit ursprünglichen "political process"-Ansätzen nur die Beziehung von Bewegung und Staat genauer untersuchen, nicht aber die Beziehung zwischen der Bewegung und nichtstaatlichen Institutionen, die in ihrer Gegenbewegung nur beschränkt auf staatliche Repressionsmittel zurückgreifen können. Ebenso wird der Einfluss der Massenmedien meines Erachtens in diesem Ansatz unterschätzt, da diese doch in der öffentlichen Diskussion eine zentrale Rolle spielen, und der Verlauf dieser, wie Jasper und Poulsen (1993) gezeigt haben, eine starke Wirkung auf den Erfolg einer Bewegung haben kann. Anwendbar dürften Aspekte dieses Ansatzes auf Konstitutionen von Tierrechtsgruppen sein, die aufgrund ihrer militanten Aktionen staatliche Repression zu spüren bekommen, .

In Bezug auf die Professionalisierung der Bewegungen ist der "ressource mobilisation"-Ansatz ein durchaus geeigneter. Tatsächlich gingen viele "grass-roots"-Bewegungen vorallem in den Vereinigten Staaten in "social movement organizations" mit raffinierten Strategien über. Innerhalb der verschiedenen Gruppierungen gibt es organisierte Erfahrungsaustäusche bezüglich Handlungsstrategien. "Um so stärker wirken Handlungsstrategien der Akteure, die nur bedingt kalkulierbar sind und deshalb überraschende Konfliktverläufe zur Folge haben können" (Rucht, 1994: S. 347). Doch vermag der "ressource mobilization"-Ansatz nicht das Entstehen der vorausgegangenen "grass-roots"-Bewegungen an sich zu erklären, was ein "framing"-Konzept schon viel besser bewältigt. Dieses legt Wert auf die, mit Hilfe subjektiver Erfahrungen gewonnene, kollektive Konstruktion eines "Wir-Gefühles" und auf die allgemeine Bewegungsideologie, die im Zusammenhang mit der Tierrechtsbewegung wichtig zu sein scheint. Wie wir gesehen haben, ist dieses ideologisches Paket meistens bei angehenden AktivistInnen schon teilweise vorhanden und vervollständigt sich in der Zeit der aktiven Teilnahme in der Bewegung, was wiederum bestätigt, dass das Ziel dieser Bewegung auch eine Veränderung des öffentlichen Bewusstseins beinhaltet, inklusive innerhalb der Bewegung.

Der Ansatz von Jasper und Poulsen bietet sinnvolle Ergänzung zu den oben behandelten Aspekten und ist bei der Tierrechtsbewegung gut anwendbar. Jedoch vermag er das Entstehen dieser Bewegung nicht zu erklären, was meines Erachtens keinem Ansatz wirklich plausibel gelungen ist. Für mich sind in diesem Zusammenhang, ohne mich auf Untersuchungen zurückgreifen zu können, drei Aspekte zentral:

a) Viele Denkansätze dieser Bewegung sind nicht neu und Ziele und ihre Forderungen sind einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Durch äussere Umstände, hier etwa der gestiegene Fleischkonsum mit damit zusammenhängender "Produktionsrationalisierung", verschlimmerte sich die Situation vieler Tiere. Allmählich sind Folgen dieser Entwicklung immer deutlicher erkennbar und Auswüchse, wie beispielsweise die BSE-Viren erlangen grosse massenmediale Beachtung. So werden diese Denkansätze legitimiert.

b) Das "Wir-Gefühl" lässt sich bei Tierrechtsbewegungen besonders leicht anwenden, als Gegner können Personen, die direkt für Missstände zu verantworten sind, ganze Berufsgruppen oder generell alle in Frage kommen, die direkt oder indirekt von der "Tierverwertungsindustrie" profitieren. Es wird ein kollektives Bewusstsein unabhängig von Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, Alter und Nationalität erreicht, was in Phasen der Desorientierung hohe Anziehungskraft besitzt.

c) Die Tierrechtsbewegung beinhaltet objektive und subjektive Momente und bietet unterschiedlichen Argumentationspositionen Platz. Es existieren keine universellen Grundsätze, kein Tierrechts-Manifest wurde je geschrieben. So spricht diese Bewegung eine heterogene Zielgruppe an.

Zukünftige Verbesserungen der Situation der Nutztiere werden im wesentlichen von einem verändertem Kaufverhalten der Konsumenten und von allfälligen strengen Gesetzesvorlagen zusammenhängen. Dabei spielt die Tierrechtsbewegung eine entscheidende Rolle, indem sie diese Problematik in die Politik und in die Öffentlichkeit einfliessen lässt. Wenn sie dabei marktwirtschaftlich rentierende Alternativen zur florierenden Fleischindustrie aufzeigen kann, würde sich die Situation der Tiere erheblich verbessern und die Anzahl der Mastbetriebe würde sich verringern. Auch im Bereich der Tierexperimente müssten alternative Forschungsmethoden perfektioniert und von der Wissenschaft anerkannt werden. Auch die erfolgreiche Bewältigung aktueller Themen, wie beispielsweise die Gentechnologie, könnten ausschlaggebend sein, ob sich die Glaubwürdigkeit der Tierrechtsbewegung weiter verfestigen kann. Im Hinblick auf die weltweit grossen Gebiete, die am Anfang einer raschen Industrialisierung stehen, die einen massgebenden Einfluss auf den Fleischkonsum und damit auf die rentierende Fleischindustrie hat (vgl. Durning; Brough, 1992), wird die Tierrechtsbewegung ihre anwaltschaftliche Rolle noch lange nicht ablegen können.

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8. Literaturverzeichnis

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Bentham, Jeremy (1963): Introduction to the Principles of Morals and Legislation. 7. Auflage, Reprint, Macmillan, London.

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Brough, Holly B. ; Durning, Alain Thein (1992): Reform der Viehwirtschaft. In: Brown, Lester R. (Hg. ): Worldwatch-Institute-Report zur Lage der Welt, Daten für das Überleben unseres Planeten. Fischer Tagebuch Verlag, Frankfurt am Main, S. 81-108.

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Jasper, James M. ; Nelkin, Dorothy (1992): The animal right crusade: the growth of a moral protest. Free Press, New York.

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Praxedis, Kaspar (1997): Mit polizeilicher Bewilligung. In: Schaffhauser Anzeiger, Nr. 28.

Rucht, Dieter (1994): Öffentlichkeit als Mobilisierungsfaktor für soziale Bewegungen. In: Neidharth, Friedhelm (Hg. ): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, Soziale Bewegungen. Sonderheft Nr. 34 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Westdeutscher Verlag Opladen, S. 337-358.

Sherry, Clifford J. (1994):Animal Rights. ABC-Clio, Santa Barbara.

Sierck, Udo (1995): NORMalisierung von rechts, Biopolitik und "Neue Rechte". Verlag Libertöre Assoziation, Hamburg.

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Wölflingseder, Maria (1995): Biologismus - "Natur als Politik". New Age und neue Rechte als Vorreiter einer (wieder) etablierten Ideologie. In: Fischer, Gero; Wölflingseder, Maria (Hg.): Biologismus, Rassismus, Nationalismus - Rechte Ideologien im Vormarsch. Promedia, Wien, S. 22 - 37.

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Fussnotenverzeichnis

[1] 1. Mos. 1: 24 - 28

[2] 1. Mos. 9: 1 - 3

[3] Von mehreren Personen aus dem Bereich Verhaltensforschung, Biologie, Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Anthropologie und Rechtswissenschaft wurde 1993 ein Buch herausgegeben, das den Namen "The great ape project" trägt. Darin werden Ansätze dikutiert, nach denen die Grundrechte des Gesetzbuches auch auf grosse Menschenaffen auszudehnen sei.

[4] U. S. Department of Agriculture Yearbook for 1970, S. XXXIII.

[5] Dieser Ausdruck verwendet Carol J. Adams in ihrem Buch Neither man nor beast .

[6] Dieser Term benutzte Donald J. Barnes in einem Artikel (Singer, 1986: S. 243ff), um seinen Zustand vor der Sensibilisierung in Tierrechtaspekten zu beschreiben.

Last update: 06 Mrz 17

 

Editor

  Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich

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