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  General Social Theory


 

Zur Wertekonzeption in den Sozialwissenschaften

Potenzial, fachliche Prägungen und mögliche Blockaden eines strategisch benutzten Begriffes

Ernest Albert

April 2008

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Inhalt

1. Einleitung mit Inhalts- und Aufbauhinweisen

2. Wertkonzeptionen aus drei Sozialwissenschaften

2.1 Psychologische Wertkonzeptionen

2.1.1 Tiefenpsychologische Wertkonzeptionen
2.1.2
Persönlichkeits- und entwicklungspsychologische Wertkonzeptionen
2.1.3
Wertkonzeptionen der Motivationsforschung
2.1.4
Wertkonzeptionen der Sozialpsychologie und Einstellungsforschung
2.1.5
Emotionspsychologische Wertkonzeptionen
2.1.6
Synopse psychologischer Wertkonzeptionen

2.2 Kulturwissenschaftliche Wertkonzeptionen

2.2.1 Kluckhohns ambivalenter Definitionsversuch
2.2.2
Rudolphs kultureller Wertbegriff
2.2.3
Kultursemiotischer Wertbegriff
2.2.4
Synopse kulturwissenschaftlicher Wertkonzeptionen

2.3 Soziologische Wertkonzeptionen

2.3.1 Der Wert bei Georg Simmel
2.3.2
Der Wert bei Max Weber
2.3.3
Der Wert in soziologischen Systemtheorien
2.3.4
Die Trennung von Wert und Norm bei Habermas
2.3.5
Synopse soziologischer Wertkonzeptionen

3. Unterwegs zu einem zukunftsfähigen Wertbegriff

3.1 Folgeprobleme von Subjekt-Objekt-Konfusionen
3.2
Vorgeschlagener Wertbegriff

4. Quellen


1. Einleitung mit Inhalts- und Aufbauhinweisen

Der Wert scheint die Grenzen zwischen Fächern und sozialen Aggregationsebenen mit der Leichtigkeit eines überall hochgradig relevanten Abstraktums zu überschreiten und bietet sich so als integrierendes Konzept der Sozialwissenschaften an. Dennoch hat ein oft konstatierter Mangel an Konsens zur Wertkonzeption (vgl. Schorpp 1989: 9) die Umsetzung dieses begrifflichen Potenzials bislang in engen Grenzen gehalten.

Nicht hilfreich dürfte es gewesen sein, dass im Rahmen des grossen interdisziplinären Anlaufs der 1950er Jahre in Richtung einer General Theory of Action ein wertdefinitiorischer Entwurf weit verbreitet wurde, der ein zirkuläres Element (Kluckhohns berüchtigtes "desirable") enthalten hat (Kluckhohn et al. 1965: 395). Dies, obwohl die Abhebung eines "Wünschenswerten" vom nur "Gewünschten" mittels Annahmen zur "Normalität" von Wünschen unter Philosophen schon lange als einer der schwächst argumentierten Punkte beim Pragmatisten und Pädagogen Dewey gilt (vgl. Clark 2002: 3). Was schon Dewey zu wenig bedacht hatte, war, dass "a close look at such evaluation of a desire reveals ... that it invariably takes place relative to some other desire ..." (ebd.: 7; Hervorhebungen E.A.).

Der vorliegende theoretische Beitrag versucht in seinem grösseren Teil (2.) zunächst einen nach Fachrichtungen geordneten Überblick über einflussreiche sozialwissenschaftliche Wertkonzeptionen auf Basis ihrer strukturellen und funktionalen Aspekte zu geben. Dabei sollen – nebst der berücksichtigten fachinternen Vielfalt – einige wichtige Charakteristiken psychologischer (2.1.), kulturwissenschaftlicher (2.2.) und soziologischer (2.3.) Begriffstradition in jeweils fachspezifischen synoptischen Kapiteln (2.1.6., 2.2.4., 2.3.5.) identifiziert werden.

Der Beitrag versucht dann auf Basis dieses Überblicks die immer wieder auftauchenden Probleme und Ungereimtheiten der Wertkonzeptualisierung als Spielarten einer Subjekt-Objekt-Konfusion erkennbar zu machen (3.1.). Zwei wichtigste Spielarten werden problematisiert.

Bei der ersten wird das Wertfreiheitspostulat in der Wissenschaft dahingehend missverstanden, dass der Wert als Objekt so weit als möglich zu meiden sei und möglichst viele seiner plausiblen Funktionen in jeweils fachtypische Nachbarbegriffe auszulagern seien – wodurch gerade kein Instrument gewonnen wird, eigene Forschung auf ihren Wertgehalt hin kritisch zu reflektieren.

Bei der zweiten wird versucht, den Wert schon als Begriff normativ aufzuladen, respektive Meta-Massstäbe auf ihn anzuwenden und damit mehr oder weniger bewusst über den Begriff zu missionieren. Dies reduziert aber eher die Tauglichkeit desselben zur Abbildung der normativen Potenziale von Wertsystemen. Chancen der Begriffskompatibilität mit postmetaphysisch begründeten Nachbardisziplinen werden eingebüsst und die so gern den Begriff der Moderne auf sich beziehenden Sozialwissenschaften drohen am Wertkonzept in einen prämodernen Obskurantismus abzugleiten. Unter anderem werden aus dem Personadiskurs bekannte Argumente der analytischen Philosophie kritisch auf sie anwendbar.

Auf der anderen Seite scheint der Rückzug auf eine Wertkonzeption als "blosse Präferenz" die (empirische) Erklärbarkeit des Werts aus erfahrenem Vergangenem und projektiertem Zukünftigem unnötig zu negieren, respektive eine gewisse Selbstdispensierung des so vorgehenden Wissenschaftlers von Interpretationsleistungen anzuzeigen. Im Rahmen einer den Beitrag abschliessenden eigenen Konzeptionsempfehlung (3.2.) in der besonders gut diskutierbaren Form zweier facettierter Definitionssätze (Borg 1992: 134-136) wird denn auch eher die ungebrochene wertspezifische Relevanz des Bedürfnisses unterstrichen. Sie erweist sich als hartnäckige Überlebende der ausführlichen vorangehenden Analysen und scheint besonders gut auf ein genuin sozialwissenschaftliches Forschungsverständnis beziehbar, das sich für Zusammenhänge, beobachtbaren Wandel und Vergleiche eher als für nicht hinterfragbar vom Himmel Fallendes interessiert.

Inhalt
 


2. Wertkonzeptionen aus drei Sozialwissenschaften

2.1 Psychologische Wertkonzeptionen

Da es unmöglich ist, hier alle Wertkonzeptionen zu erwähnen, die von Psychologen vertreten werden oder wurden, seien im Folgenden lediglich einige Konzeptionen vorgestellt, die das von der Psychologie, im Kontrast zu anderen Sozialwissenschaften, ungefähr abgedeckte Spektrum möglicher Auffassungen andeuten. Durch Berücksichtigung verschiedener psychologischer Subdisziplinen mit erhöhter Werteaffinität besteht die Hoffnung, dass das Spektrum nicht allzu schmal erscheint und dass in einer Synopse (2.1.6.) geeignete Ordnungsdimensionen für individuumszentrierte Wertbegriffe identifizierbar werden. Von der so gewonnenen grösseren Klarheit darüber, was Werte auf der sozialwissenschaftlichen Mikroebene sind, dürften die späteren, auf die Makro- und Mesoebene ausgeweiteten Abklärungen profitieren.

2.1.1 Tiefenpsychologische Wertkonzeptionen

In der Psychoanalyse decken die Begriffe des Triebs, der Lust, des Wunsches, des Motivs, des Über-Ichs, des Ichs, der Strebung sowie des Unbewussten breite funktionale und strukturelle Aspekte der Psyche ab, die für eine stärkere Etablierung des Wertbegriffs in Frage gekommen wären (vgl. Baron et al. 1980: 462; Kmieciak 1976: 125). Wenige Ausführungen zu psychoanalytischen Standpunkten scheinen hier dennoch sinnvoll, da die Psychoanalyse unter Verwendung solcher Alternativbegriffe einige interessante Aussagen zur in der Wertforschung so bedeutenden Interaktion von Gesellschaft und Psyche gewagt und vereinzelt auch Varianten des Wertbegriffs verwendet hat.

So in „Das Ich und das Es“ (Freud 1982c [1923]): Eine „soziale oder ethische Wertung“ wird dort als vermutbare Ursache dafür eingeführt, dass manches im Bewusstsein des Individuums, anderes in seinem Unbewussten vor sich geht. Da sich Psychoanalyse weitgehend als durch die Existenz eines Unbewussten notwendig werdende Wissenschaft versteht, bedeutet dies, dass es Werte sind, die Psychoanalyse notwendig machen. Dabei zeigt sich jedoch, dass keineswegs nur die nach Massstäben dieser Wertung „niedrigen Leidenschaften“ ins Unbewusste abgedrängt werden, sondern oft auch „das Höchste“, nämlich Selbstkritik und Leistungen des Gewissens, respektive des Über-Ich (ebd.: 295). Individuen, die nach ihren Handlungsgründen befragt werden, wäre somit vor allem ein ethischer Mittelbereich bewusst, sie könnten den ethischen Gehalt ihrer Handlungen über- und unterschätzen. Wenn unter den libidinösen Typen, nach denen sich Individuen und ihre beobachtbaren Präferenzen ordnen lassen, der narzisstische Zwangstypus als „kulturell wertvollster“ generalisiert wird (Freud 1982a [1931]: 271), zeigt sich, dass Kultur als etwas eher Statisches begriffen wird, das immer den gleichen Typ (selbständig, aber „die“ Gewissensforderung beachtend) bevorzugt. Dies, und eine tendenziell ebenso statische „Natur des Menschen“, wird bei Konsultation von Freuds Werk mit der vielleicht stärksten gesellschaftlichen Orientierung, „Das Unbehagen in der Kultur“, bestätigt (Freud 1960 [1930]). Es gibt dort keine Pluralität der Kulturen und entsprechend auch nur „den“ Kulturmenschen, verstanden als Gegensatz zum „Urmenschen“ (ebd.: 153). Während das menschliche Individuum primär egoistisch seinem Glück durch Triebbefriedigung nachstrebt und sekundär altruisitische Einschränkungen dieses Strebens in Kauf nimmt, zeigt das menschliche Kollektiv die umgekehrte Priorität (ebd.: 183-184). Im Interesse des Schutzes gegen die Natur und der Regelung der sonst stark von Aggressivität geprägten menschlichen Beziehungen (ebd.: 122-123, 148-149) trachtet es nach Unterwerfung des Individuums unter weitgehende Nichtbefriedigung, respektive zielverschiebende Sublimierung seiner Triebe (ebd.: 109, 132-133), nach „Eintausch eines Stücks Glücksmöglichkeit gegen ein Stück Sicherheit“ (ebd.: 153). Individuum und Kultur stehen damit in einem Grundkonflikt gegeneinander (ebd.: 131), bei dem die auf individueller Ebene vom Über-Ich wahrgenommenen, letzlich wenig „psychologisch“ informierten Forderungen der Kultur oft die realen Möglichkeiten des Organismus überfordern und diesen in die Neurose treiben können (ebd.: 187-189). Die Werturteile der Menschen sind für Freud von ihren Glückswünschen geleitet und dabei ein „Versuch, ihre Illusionen mit Argumenten zu stützen“ (ebd.: 190). Das Über-Ich wird auf der Kollektivebene zu einem „Kultur-Über-Ich“ verlängert, das Freud in mancher Hinsicht für leichter analysierbar hält (ebd.: 186), obwohl die Makroebene nur einer gesehenen Kultur dem Psychologen die sonst so bequeme Möglichkeit verweigert, einfach einen Mittelwert zur Norm zu erheben (ebd.: 189).

Müsste trotz anderer Begriffspräferenzen ein Wertbegriff auch in der klassischen Psychoanalyse identifiziert werden, wäre sein strukturelles Hauptmerkmal – ungeachtet der vielen Einzeltriebe und Gewissensforderungen, die es zu identifizieren gäbe – eine Zweiteilung in einander widerstrebende individuelle und kulturelle Werte. Funktional bleibt die Vorstellung eines handlungsleitenden individuellen Wertsystems durch den Begriff des Ich erübrigt, indem das Ich bei Freud Kollisionsprodukt der es-stämmigen „Werte“ (nämlich Triebregungen), und ihren beschränkten (sozialen) Realisierungsmöglichkeiten ist, respektive, nach Herausbildung eines Über-Ich beim Kind, Aushandlungsinstanz zwischen den „Werten“, die ursprünglich dem Es und denjenigen, die dem Über-Ich, also der Kultur und der mentalen Repräsentation ihrer Autorität, entstammen. Pikant ist dabei, dass auch das Es als überindividuell wirksame Instanz gelten muss und somit eine genuin individuelle Quelle von Werten inexistent scheint. Freuds „libidinöse Typen“ (1982a [1931]) konstituieren dabei einen womöglich zu wenig beachteten, theoriegeleiteten Vorläufer der heutigen meist empirischen Wertorientierungs-Typologien.

Alfred Adler erhebt das Minderwertigkeitsgefühl zum zentralen Begriff seiner frühen, besonders mit neurotischer Überkompensation befassten Individualpsychologie (Popp-Baier 2002: 112). Allgemein schreibt er unterschiedlichen Persönlichkeiten unterschiedliche Lebensstile zu, die jeweils als einmalige, bewusste Konfigurationen von Motiven, Charakterzügen, Interessen und Werten erscheinen. Adler sieht den (normalen) Menschen diesbezüglich nicht gleich stark wie Freud im Konflikt mit entsprechenden kulturellen Werten: eine starke soziale Orientierung ist für Adler dem Menschen angeboren und im Allgemeinen mächtiger als sexuelle Triebe. Menschliche Strebungen erklären sich nicht kausal aus der Vergangenheit des Menschen, sondern teleologisch aus dem Fernziel einer vollkommenen Menschheit, welche auf individueller Ebene durch das im Spätwerk idealisierte kreative Selbst verfolgt wird (Hall & Lindzey 1970: 119-127).

Bei Adler konvergieren die von Freud oppositionell verstandenen individuellen und sozialen Werte in einem utopischen, gemeinsamen Fernziel, in dem zugleich ihre angebbare Funktion liegt. Auf dem Weg dahin sind jedoch diese Werte – respektive verwandte Begriffe – in einer maximalen Vielfalt einmaliger Kombinationen in den jeweiligen individuellen Persönlichkeiten anzutreffen (in welcher Form sie durchaus, etwa unter pathologischem Gesichtspunkt, typisierbar sind).

Jungs Analytische Theorie weist dem Wert eine quantifizierende Bedeutung im Kontext des Begriffs der psychischen Energie zu. Diese wird, anders als bei Freud, neben der Suche nach Lust auch auf die Sinnsuche verwendet. „Wert“ scheint dabei dem von anderen Psychologen verwendeten Valenzbegriff verwandt und ist die Menge psychischer Energie, die in ein Element der Persönlichkeit und dessen typische Objektbezüge investiert wird. Die Bevorzugung eines Elements gegenüber einem anderen kann, muss der Person aber nicht bewusst sein, so dass es bei analytischer Absicht notwendig sein kann, auf Verfahren jenseits der direkten Befragung einschliesslich Messversuchen von Emotionsintensitäten zu rekurrieren. Energetische Werte können im psychischen System unterdrückt werden, was aufgrund des geltenden Äquivalenzprinzips mit der Aufwertung eines oder mehrerer anderer psychischen Elemente einhergeht. Aufgrund des ebenfalls wirksamen Entropieprinzips strebt die Persönlichkeit sodann in ihrer Entwicklung zum vervollkommten Selbst einen Ausgleich zwischen Werten und damit ein quasi meditatives Äquilibrium psychischer Energie an (Hall & Lindzey 1970: 92-97; Popp-Baier 2002: 112-115; Samuels, Shorter & Plaut 1989: 69-70).

Bei Jung erscheint der "Wert" nicht als eigenständige handlungsleitende Kategorie, als welche vor allem der Sinn (Samuels et al.: 1989: 203-204) herangezogen wird. Stattdessen hat man es mit einer Variante der Freudschen Libidobeträge respektive Besetzungen zu tun, für die ebenfalls charakteristisch ist, dass sie bei Hindernissen auf dem Weg zu bevorzugten Objekten systemintern verschoben und transformiert (Freud 1960 [1930]: 109) werden können.

2.1.2 Persönlichkeits- und entwicklungspsychologische Wertkonzeptionen

Gordon W. Allport pflegt, aufbauend auf Spranger, bereits in den 1930er Jahren einen in die Persönlichkeitsforschung eingebetteten Wertbegriff (Kmieciak 1976: 72-78). Er nimmt die grosse empirische Bedeutung von Typologien (Krech, Crutchfield & Livson 1974: 662-666) in der späteren Wertforschung vorweg, indem er Sprangers 6 idealtypische, auf Instinkte (Holt 1970: 43) zurückgeführte Lebensformen des theoretischen, des ökonomischen, des ästhetischen, des sozialen, des politischen und des religiösen Menschen in quantifizierende Persönlichkeitstests integriert. Diese werden später vielfach wiederaufgelegt und abgewandelt – so schlägt Murray alternativ eine Sammlung von 14 Werten vor (Murray 1965: 463). Als Vorläufer späterer, stärker empirisch entwickelter motivationspsychologischer Tests wie dem TAT (Puca & Langens 2002: 242-243) sollen sie jedenfalls die dominanten Lebensthemen (Cooper & McGaugh 1966: 30) von Probanden auf Basis ihrer Werte identifizieren. So sehr solche frühe Persönlichkeitsforschung den Wertbegriff bereits verwendet hat, so ungenügend hat sie ihn von verwandten Begriffen wie Interesse, Motiv, Lebensform und Einstellung abgegrenzt (Kmieciak 1976: 76-78). In Allports späterer Persönlichkeitspsychologie scheint der Wertbegriff fast gänzlich durch verschiedene Alternativen wie Trait, Disposition, Intention und propriate strivings umgangen (Hall & Lindzey 1970: 264-269), respektive der Soziologie (vgl. Allport 1966: 19) überlassen.

Persönlichkeitsdeskriptive Bestrebungen der Komplexitätsreduktion auf wenige aussagekräftige Orientierungsdimensionen haben auch immer wieder in der rein rechnerischen Methode der Faktorenanalyse ein verführerisches Instrument gesehen, so bei Cattell (Herber 1976: 124-135), der auf diese Weise – ausgehend von ausgewählten Variablensätzen – eine je Untersuchungsebene der Persönlichkeit jeweils begrenzte Anzahl von Traits (Charakterzügen) identifiziert hat. Die grundlegenderen, der direkten Beobachtung weniger zugänglichen source traits wurden dabei von stärker veränderlichen surface traits unterschieden und in der Variante der zwar angeborenen, aber in gewissen Grenzen dynamischen, mit charakteristsichen bevorzugten Zielen assoziierten Charakterzüge ergs genannt (Hall & Lindzey 1970: 385-398).

In der frühen Persönlichkeitsforschung von Allport und anderen haben Werte die Funktion, als idealtypische (in der Realität nur in Form von Mischorientierungen vertretene) Eckpfeiler möglicher Persönlichkeitsorientierung zur Entwicklung eines autonomen Propriums (Egos, Selbstes) beizutragen. Werte dienen eher der herauszubildenden Persönlichkeit als umgekehrt.

Strukturell charakteristisch ist dabei die Ergänzung, die sie gegenüber der geringen Zahl weiterer solcher, hierarchisch grundsätzlich gleichberechtigter Werte darstellen. Da die stärker überdauernden individuellen Motivationsstrukturen nach verbreiteter Übereinkunft ein kraftvolles Persönlichkeitsmerkmal darstellen, ist die Grenze zwischen Persönlichkeits- und Motivationsforschung als besonders fliessende anzusehen: Persönlichkeit hat stets einen starken motivational-wertbezogenen Aspekt und Motivation eine starke Abhängigkeit von der Persönlichkeit.

2.1.3 Wertkonzeptionen der Motivationsforschung

E.C. Tolman (1965 [1951]: 279-364) erscheint gerade durch seine behavioristische Verwurzelung und Methodologie als Wegbereiter sowohl einer kognitiv-linguistischen als auch einer "sozialen" Wende in der Psychologie (vgl. Herber 1976: 136), indem er sich stärker als Skinner oder Hull von der Fixierung experimenteller Lern- und Motivationsforschung auf beobachtbares Verhalten löst. Laut seinem Beitrag in Towards a General Theory of Action entstammen Werte primär, nämlich als Wertstandards, der umgebenden Kultur, auch wenn Personen sich individuell mit ihnen auseinandersetzen und eine simple soziale Handlungsdeterminierung nicht existiert (Tolman 1965: 343-346). Zwar sind Werte auch für Tolman eng mit dem Bedürfnisbegriff (need) verknüpft, doch betont er vor jedem anderen Bedürfnis das grundlegende kognitive Bedürfnis, die Objekte der Welt in ihrem Verhältnis untereinander zu ordnen, das heisst an einem sinnvollen Ort der mentalen Weltrepräsentation zu platzieren. Ästhetische und moralische Platzierungsbedürfnisse unterscheidet Tolman dabei von den rein kognitiven, auf Wahrheit bezogenen. Die Neigung von Individuen, Objekte in Übereinstimmung mit den kulturell vorgegebenen, die wahrnehmungsleitende Kraft der Benennungen nutzenden Standards zu platzieren, ist dabei gross und durch ein hohes Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz gegebenenfalls noch verstärkt. In den Namen, die sie für die Objekte der Welt verwendet, suggeriert eine Kultur dem Individuum bereits was es an einem Objekt wahrzunehmen und zum Kriterium für dessen Verortung zu erheben hat (ebd.: 345) – ein Gedanke, der dann, mehr oder weniger abgewandelt, besonders in den Framing-Konzepten der Kommunikations- und sozialpsychologischen Persuasionsforschung (vgl. Nelson 1999) Karriere macht.

Wichtigste Wertfunktion ist es somit für Tolman, die Objekte der Welt in eine kognitive, ästhetische und moralische Ordnung zu bringen, die sich mit derjenigen der Umgebungskultur ausreichend deckt. Die handlungsleitende Wertfunktion ist eher eine mittelbare, da sie die situativ-zweckmässige Aktivierung eines Werts zur Voraussetzung hat (ebd.: 346). Wertstandards haben die Struktur einer dreidimensionalen Platzierungsmatrix auf kultureller Ebene einerseits, auf individueller Ebene anderseits. Diese drei (Meta-)Massstäbe wirken bezüglich ihrer Herkunft zu wenig diskutiert, was aber zum Teil am damit stärker befassten Beitrag von Parsons und Shils (vgl. 2.3.3.) im gleichen Sammelband liegen dürfte.

Die vom sozialpsychologischen Pionier Kurt Lewin bekanntgemachte psychologische Feldtheorie (Hall & Lindzey 1970: 209-257) erkennt im Gegensatz zu den Triebtheorien und einfachen behavioristischen Stimulus-Response-Modellen ebenfalls, dass die Art eines Objektes, menschliches Handeln zu motivieren weder aus einer fixen Trieb-Objekt-Beziehung ableitbar ist, noch eine inhärente, absolute Eigenschaft des Stimulusobjektes ist. Umweltgegebenheiten und aktuelle Bedürfnisspannungen innerhalb des Subjekts vermitteln diesem vielmehr eine aktuelle Valenz (Wertigkeit) des Stimulusobjektes, das heisst eine anziehende oder abstossende Qualität. Der Handlungsweg zum Ziel der aufgelösten Bedürfnisspannung kann dabei aufgrund der Feldkräfte in der Umwelt verschieden ausfallen: wo sich die Umwelt zum Beispiel einer direkten Ansteuerung eines positiv besetzten Reizobjektes entgegenstellt, kann das Handeln – ähnlich wie bei Freud und Jung – zunächst ein ähnliches Ziel in einem benachbarten Bereich ansteuern (Puca & Langens 2002: 230-233; Cooper & McGaugh 1966: 30). Der weitere Gedanke Lewins, dass Motivation das Produkt der Valenz eines Objektes und der Erwartung einer diesbezüglichen Zielerreichung ist, hat einen grossen Einfluss auf die Motivationsforschung gehabt, so auf das Risikowahlmodell von Atkinson und dessen Weiterentwicklungen (Herber 1976: 64-93).

Obwohl die Feldtheorie in Form des Valenzbegriffes ein überdauerndes wertähnliches Konzept in die Psychologie eingeführt hat und die spätere überragende Rolle der Bedürfnisse (Fröhlich 1993: 72, 82-83) in der Wertforschung vorwegnimmt, wird dabei die Gebundheit des Konzepts an ein Einzelobjekt im Sinne des behavioristischen Stimulus nicht überwunden. Die Feldkräfte, die vom Objekt ausgehen, bewirken lediglich auch indirekte Wege hin zum und weg vom Objekt. Während sich die Funktion der Valenz darin erschöpft, anzuziehen oder abzustossen – so dass man für näheren Aufschluss auf den Bedürfnisbegriff weiterverwiesen wird – kann sich ihre bipolare Struktur an jedem beliebigen Objekt aktualisieren.

Für den humanistischen Psychologen Maslow sind Werte Teil der genuin menschlichen "höheren Ebene", der durch den Behaviorismus und die Psychoanalyse zu wenig Rechnung getragen wurde. Sie werden in Maslows zentralem Werk Motivation and Personality oft gemeinsam mit einer Auswahl alternativer Begriffe wie "Ideal", "Wunsch" oder "Ziel" aufgezählt (Maslow 1978 [1954]: 38, 97, 171), am engsten jedoch mit dem Bedürfnisbegriff verknüpft. Die fachgeschichtlich weitgehende Freihaltung der Psychologie vom Wertbegriff auf vermeintlicher Basis wissenschaftlicher Objektivitätsideale kritisiert Maslow mit Hilfe der Aussage, dass die Natur selbst Hinweise zur Abgrenzung "tieferer" von "höheren" Bedürfnissen gibt. Nicht nur sind somit Bedürfnis und Wert für ihn Quasi-Synonyme, auch der Wertmassstab zur Ordnung der Bedürfnisse untereinander wird durch die Manifestationsformen derselben gleich mitgegeben, sofern sich der Beobachter auf die entsprechenden Hinweise einlässt (ebd.: 153-157). Es entsteht bei Beachtung von Maslows Kriterien eine Bedürfnispyramide mit physiologischen Bedürfnissen an der Basis und darüber, als zweiter Grundbedürfniskategorie, den Sicherheitsbedürfnissen; wiederum darüber geschichtet liegen die höheren Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Liebe, nach Achtung und schliesslich nach Selbstverwirklichung (ebd.: 74-89).

Befriedigte Grundbedürfnisse sind Voraussetzung für höhere Formen des Strebens, welche nach oben dafür immer weniger eine natürliche Sättigungsgrenze kennen, das heisst im Vergleich zu den zwar Priorität beanspruchenden Grundbedürfnissen auf ihre eigene Weise anspruchsvoll sind. Das aufsteigende Muster von tieferen zu höheren Bedürfnissen gilt für Maslow bezogen auf die Entstehung im Rahmen der Gattungsentwicklung und bezogen auf die typischen Bedürfnisprioritäten der verschiedenen Lebensalter des Individuums (ebd.: 154). Letzteres evoziert Eriksons Weiterziehung des psychoanalytischen Phasenmodells individueller Entwicklung bis ins hohe Erwachsenenalter, bei welcher Befriedigung charakteristischer Phasenbedürfnisse ebenfalls Voraussetzung für das Inangriffnehmen einer jeweils nächsten Phase ist (Erikson 1973). Die empirische Belegbarkeit von Maslows Bedürfnishierarchie scheint sich nicht ganz auf der Höhe ihrer spontanen Plausibilität zu bewegen, wie selbst ihr dezidierter Anhänger Inglehart einräumt (Inglehart 1977: 23; vgl. Kmieciak 1976: 163-164).

Maslows Bedürfnistheorie ist bereits vor ihrer Heranziehung durch Inglehart so eng mit dem Wertbegriff verknüpft, dass sie als Quasi-Wertkonzeption diskutiert werden kann. Als solche würde sie vor allem klare strukturelle Aussagen zu Werten machen: Werte sind untereinander von Natur aus multidimensional-hierarchisch organisiert; wobei aber höher rangierende Werte keine universell grössere Bedeutung haben, sondern je nach Kriterium (z.B. Verwirklichungshorizont vs. Dringlichkeit, Wachstumsermöglichung vs. Mangelbeseitigung) eine grössere oder geringere. Funktion der Werte scheint es am ehesten zu sein, menschliche Selbstverwirklichung in stufenweiser Hochführung zu einer entsprechenden Persönlichkeitsreife zu ermöglichen.

Alderfers E.R.G.-Theorie (Wunderer & Küpers 2003: 103-105; Furnham 2005: 289) verdichtet Maslows Bedürfniskategorien in die nur drei Motivklassen Existence (Grundbedürfnisse), Relatedness (soziale Bedürfnisse) und Growth (Selbstwert- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse). Die Abfolge ihrer Dringlichkeit ist anders als bei Maslow nicht vorgegeben, sondern unter anderem das Produkt situativ erfahrener Befriedigungen und Frustrationen. Sowohl hierarchisch höhere als tiefere Motive können im Anschluss an solche in den Vordergrund treten und damit auf eine aktuelle regressive oder progressive Dynamik verweisen.

In der experimentellen Motivationsforschung Vrooms werden zwei Varianten von Valenz verwendet. Die eine bezieht sich auf das Ausmass der Bevorzugung bestimmter Objekte oder Handlungen durch eine Person. Die andere bezieht sich auf die Funktionalität einer Handlung für einen Endzustand motivationalen Strebens. Multipliziert mit den Faktoren der Erwartung und der Instrumentalität eines Handlungsausgangs für ein Handlungsziel im Sinne des zweiten Valenztyps, determiniert dieser den ersten Typ im Bezug auf ein Objekt (Herber 1976: 93-95; Wunderer & Küpers 2003: 115-116).

Vrooms doppelter Valenzbegriff veranschaulicht die Verlegenheit, in welche die Motivationspsychologie durch das Fehlen eines früh etablierten, starken Wertbegriffs geraten ist. Valenz des ersten Typs muss die Tradition eines stets auf die Bewertung eines Objektes beschränkten, ursprünglichen psychologischen Valenzbegriffes (siehe die Ausführungen zu Lewins Feldtheorie) fortsetzen, während Valenz des zweiten Typs auch den Anschluss an ausserpsychologische Wertkonzepte ermöglicht, der sonst über das Motiv und neuerdings verstärkt über das (End-)Ziel (Puca & Langens 2002: 235; Wunderer & Küpers 2003: 263) hergestellt werden muss. Auch diese Valenz bleibt jedoch ein blosser Bezug auf einen Endzustand, ist also noch nicht der zum Kriterium erhobene Endzustand selbst.

Insgesamt haben sich der Motiv- und der Zielbegriff in der Motivationspsychologie eine weit prominentere Stellung errungen als der Wertbegriff. Nach einer heute typischen Definition ist ein Ziel "ein mental repräsentierter, wertgeladener zukünftiger Zustand, der Verhalten reguliert und organisiert" (Puca & Langens 2002: 262). Es wird dabei also auf den Deus ex machina des Werts weiterverwiesen. Unter Motiv wird ebenso typischerweise die "Eigenschaft von Personen, auf Zielzustände einer bestimmten Thematik emotional anzusprechen" (ebd.) verstanden. Auch dies möchte man mit einer behaglichen, für weitere Zusammenhänge in der Realität unzuständigen Theaterbühne (auf der einige Themen einfach gegeben sind) assoziieren.

Auf heutigen Manager-Seminaren kann man dank der Motivationsforschung von McClelland (Wunderer & Küpers 2003: 108-110) und anderen jedenfalls erfahren, dass Menschen drei bis vier hierarchisch gleichberechtigte (im thematischen Apperzeptionstest ermittelbare) Motive (oder Motivklassen) wie Leistung, Macht, Affiliation und Intimität (auch: Vermeidung) mit individuell schwankender Ausprägungsstärke haben (Schultheiss & Brunstein, 2002: 303; Puca & Langens, 2002: 239-245) und dass einem davon besonders das Leistungsmotiv als thematisierenswert (McClelland 1961; McClelland & Winter 1969; vgl. Kmieciak 1976: 158) gelten muss. Man wird möglicherweise darüber erleichtert sein, wie gut sich das mit den eigenen Lebensschwerpunkten Management und – am Feierabend – Vereinsmitgliedschaft und Ehepartner deckt und sich nächstentags hochmotiviert neuen, im Hinblick auf das Wozu nicht weiter hinterfragten Leistungen – und Machtpositionen (vgl. McClelland 1978) – entgegenstürzen. Bezüglich der vermeintlichen Gleichwertigkeit (Wunderer & Küpers 2003: 108) im Organismus und der angenommenen Unterstützung jedes Motivs durch ein spezifisches Hormonsystem wird man übersehen, dass die Suche nach neurophysiologischen Korrelaten (Hormonen, Transmittern) der Motivanregung beim Leistungsmotiv bisher zu keinen Ergebnissen (Vasopressin?) geführt hat, die mit dem Machtmotiv (Testosteron, Adrenalin), besonders aber mit dem Intimitätsmotiv (Oxytozin, Endorphin, Dopamin und weitere Korrelate) vergleichbar wären (Puca & Langens, 2002: 245-253). Dass Erwachsene mit starkem Leistungsmotiv typischerweise in ihrer Kindheit für die frühe Meisterung von Regelanforderungen des Alltags (Sauberkeit, feste Fütterungszeiten) durch Körperkontakt belohnt worden sind (Schultheiss & Brunstein, 2002: 304) wird man nicht als Hinweis auf die mögliche Ausdifferenzierung des Leistungsmotivs aus einem folglich grundlegenderen Intimitätsmotiv erkennen. Darauf, dass sich der Anteil an Intimitätszielen innerhalb der gesamten Zielstruktur von Subjekten als positiver Prädiktor für das Wohlbefinden der Subjekte erwiesen hat (Emmons 1996: 316-318; Oettingen & Gollwitzer, 2003: 63-64) und folglich nicht alle Zielstrukturen für den Organismus gleichwertig sein dürften, wird man nicht herumreiten wollen. In der Seminarpause wird man aber womöglich einen Witz darüber machen, um wievieles attraktiver eine neue Mitarbeiterin der Abteilung x im Vergleich zur Jahresbilanzrechnung dieser Abteilung erscheint und lachend eine ganz erstaunliche Erleichterung des Organismus verspüren (Freud, 1982b [1905]: 9-219). So wenig man bezüglich eines "Nirvanaprinzips", das selbst dem Lustprinzip und dem Mitarbeiterinnen-Witz übergeordnet sein könnte (Freud, 1982c: 82, 343-345) nachfragen wird, so sehr mag man ab einem gewissen Alter auch noch esoterische Literatur in seiner Aktenmappe versteckt haben.

Aus all dem soll deutlich werden, welchen Weg eine Erforschung menschlicher Strebungen noch zurückzulegen hat, die primär am gegenwärtigen, stark von McClelland geprägten Motivbegriff und an engen industriellen Rationalitäten orientiert ist. Unterthematisierung von Werten (vgl. Kmieciak 1976: 161, 167-169) ist nur ein Grund für die offensichtlichen Defizite – mangelnde Integrationsfähigkeit von Teilstrecken, die frühe Psychologen bereits geleistet hatten, scheint ein anderer zu sein. Eine verstärkte Nutzung des Zielbegriffs scheint schon vielversprechender und diejenige des Bedürfnisbegriffs keineswegs so hemmend, wie Kmieciak es auffasst (Kmieciak 1976: 158-172), zumal dieser – nicht überall mit Motiv synonym gebrauchter – Begriff mit Blick auf den aktuellen Sprachgebrauch die Möglichkeit körperlich-elementarster ebenso wie höchster geistiger Befriedigungen einschliesst. Keineswegs evoziert der Bedürfnisbegriff (mehr) zwingend die Vorstellungen materialistischer Schnellschuss-Befriedigungen (ebd.: 171), die einem wohlerzogenen Erstsemestrigen zur Zeit der Studentenunruhen (ebd.: 170) der Inbegriff eines mitläuferisch-neomarxistischen (ebd.: 167), womöglich verrucht-ausschweifenden Studentendaseins gewesen sein mochten. Eine Wertkonzeption, die in der Möglichkeit der Befriedigung etwas prinzipiell Anrüchiges, Niederes empfindet (indem es etwa als menschliche Bestimmung gesehen wird, "immerdar zu streben" und das Streben so zum Selbstzweck zu erheben) evoziert vor allem einen kantianischen, gegen Innen gerichteten Sadismus, respektive das "schlimme Kind" Freuds, das sich durch obstipative Herauszögerung eines gewissen alltäglichen Naturvorganges lediglich eine perversere Lust daran verschafft (Freud 1982a: 93).

2.1.4 Wertkonzeptionen der Sozialpsychologie und Einstellungsforschung

In der Tradition T.M. Newcombs sind Werte dominante Referenzrahmen, welche Einstellungen bündeln. Erfahrung und Verhalten werden mit ihrer Hilfe im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit Lebenszielen evaluiert. Werden die Lebensziele als Teil dieser Referenzrahmen aufgefasst, lässt sich laut Cooper und McGaugh von Wertsystem respektive einer Organisation von Einstellungen sprechen (Cooper & McGaugh 1966: 30-31).

Newcombs Wertauffassung scheint den sozialwissenschaftlichen Mainstream recht gut zu repräsentieren. Hinsichtlich Wertstruktur (Bündel von Einstellungen) kommt die Tendenz vieler Psychologen zum Ausdruck, auf den Einstellungsbegriff weiterzuverweisen. Einstellung (attitude) wird nach verbreiteter Auffassung (Giner-Sorolla 1999: 442-443; Bohner 2003: 267; Fröhlich 1993: 132) ihrerseits als relativ überdauernde Bewertungs- und Handlungstendenz gegenüber einem Objekt, mit mindestens einer emotionalen und kognitiven Komponente, verstanden, wobei der Unterschied zur Haltung und zum Wert meist lediglich in einer geringeren Persistenz gesehen wird.

Milton Rokeach, der ausser Sozialpsychologie auch Soziologie lehrte, versteht Werte ebenfalls vor allem als grundlegendere persönliche Disposition im Vergleich zu Einstellungen (und beliefs), hält diese Begriffe aber ansonsten für vergleichbar. Werte beziehen sich auf ideale Verhaltensweisen und Endzustände und können bewusst oder unbewusst wirksam sein. Ihre Zahl wird von Rokeach auf "einige Dutzend" im Vergleich zu "tausenden" von Einstellungen und "zehn- bis hunderttausenden" von beliefs geschätzt. Sie konstituieren mit anderen Werten ein hierarchisches Wertsystem, in dem sie je nach Person höhere oder tiefere relative Positionen einnehmen. Rokeach unterscheidet terminale und – zahlreichere – instrumentelle Werte (Rokeach 1976: 124-125, 162), was durch die Forschung oft genutzte heuristische Vorteile hat, obwohl es mit Luhmann (vgl. 2.3.3.) oder auch Bengston (1975: 360) theoretisch nur begrenzt fundierbar scheint.

Nebst der handlungsleitenden Funktion besitzt der Wert für Rokeach auch eine einstellungsdeterminierende Funktion (ebd.: 157), die aus seiner vergleichsweise fundamentaleren Natur herrührt.

Bei Kelman (1966) konkurrenzieren sich Werte in einem persönlichen Wertsystem. Dieses hebt sich ab von sozialen Rollenerwartungen, ist also nicht deren blosser Reflex im Individuum. Das Wertsystem ist grundsätzlich irrational, ermöglicht aber Handlungskongruenz. Neue Handlungsmuster werden vom Individuum vorzugsweise internalisiert, wenn sie kongruent mit dem präexistenten Wertsystem sind. Solche Kongruenz ist aber nicht mit jederzeit gesicherter logischer Konsistenz gleichzusetzen: es reicht, dass irgend eine Einpassung in das Wertsystem möglich ist – Spannungsformen zu dessen übrigen Inhalten können verbleiben und Grundlage für innere Wandlungsprozesse werden. Umgekehrt betrachtet ist Internalisation der spezifische und handlungsbezogen "tiefste", von blosser compliance und identification zu unterscheidende Prozess, durch den Wertkongruenz (wieder)hergestellt wird. Compliance erfolgt etwa lediglich, um einer aktuellen äusseren Anforderung zu genügen, das psychische System "steht" dabei nicht als ganzes hinter der entsprechenden Handlung. Die Bedeutung des Internalisationsprozesses gegenüber den anderen beiden von Kelman beschriebenen Prozessen nimmt zu, wenn die Macht des Individuums als Akteur in einer Situation auf Glaubwürdigkeit eher als auf Kontrolle der Mittel oder auf Attraktivität beruht. Internalisiertes, wertkongruentes Handeln ist für Kelman potenziell unkonformistisch, flexibel, komplex und differenziert weil es Teil eines inneren Interaktions- und Aushandlungssystems und nicht reine, stereotype Anpassung an situative oder an Rollenerwartungen ist.

Funktional scheint Kelmans Wertbegriff vor allem ein handlungsstabilisierender. Die strukturellen Annahmen – Wertkonkurrenz und Toleranz für dynamisierende logische Inkonsistenzen im System – evozieren deutlich die einstellungsbezogenen Dissonanztheorien (vgl. Festinger 1978; Frey & Gaska 1993). Ähnlich wie dort Einstellungsänderungen selten, aber möglich sind, haben bei Kelman potenzielle Auslöser persönlichen Wertewandels zwar die Haupttendenz der Kongruenzbemühung im Individuum gegen sich, sind aber dennoch mitunter erfolgreich, da das Individuum kein geschlossenes System ist und ständig neue Information aus der Umwelt verarbeiten und einordnen muss.

Sehr interssant ist der Begriff der sozialen Wertorientierung in der sozialpsychologischen Interaktionsforschung. Soziale Wertorientierungen lassen sich – so bei McClintock oder Pruitt & Rubin – nach dem Verhältnis ordnen, in dem Berücksichtigung des eigenen Nutzens und Berücksichtigung des Nutzens anderer bei einer Handlung stehen (Van Lange & De Dreu 2003: 391-403). Die vielfach angetroffene Annahme, "rationale" Individuen würden stets nur den eigenen unmittelbaren Nutzen maximieren, wird in den resultierenden Typologien als Spezialfall entlarvt, der empirisch keineswegs "realistischer" ist als verschiedene alternative Kombinationen egoistischen und altruistischen Verhaltens. Allerdings zeigt sich experimentell, dass nichtkooperative Orientierungen einen starken Charakter der selbsterfüllenden Prophezeiung haben: entsprechend Orientierte lösen durch ihr Verhalten bedeutend wengier prosoziales Verhalten anderer aus (Kuhlmann & Marshello 1975 nach Van Lange & De Dreu 2003: 398) und werden dadurch in ihrer Weltsicht primär eigensinnig orientierter Mitmenschen bestärkt.

Die soziale Wertorientierung lässt sich gut an Freuds Betonung der Koexistenz inhaltlich verschiedener individueller und kollektiver menschlicher Strebungen anschliessen – auch wenn es nur die "anderen" innerhalb einer (Versuchs-)Gruppe, anstelle eines kulturellen Ganzen, sein können, an deren angenommenen Zielen eigenes Handeln mitorientiert wird. Funktion der sozialen Wertorientierung scheint die Ermöglichung von Kooperation in der Gesellschaft oder zumindest die Flexibilisierung des Rationalitätshorizontes menschlicher Handlung zu sein. Während alternative, ältere Ansätze nicht übersehen haben, dass menschliches Handeln oft eine (kulturell erzwungene) altruistische Komponente einschliesst (vgl. Freud 1960 [1930]), klingt im Konzept der sozialen Wertorientierung eine weit grössere Freiwilligkeit dieser Komponente an. Kritisch ist sicher anzumerken, dass die Orientierung am Nutzen einer Bezugsgruppe oft von Beginn weg als ichbezogene Nutzenmaximierung zweiter Ordnung (und dadurch sogar stärker "berechnend" als diejenige erster Ordnung) verstanden werden dürfte, zumal noch dem naivsten homo oeconomicus aufgefallen sein dürfte, dass (besonders längerfristiger) individueller Nutzen durch Kooperation gemehrt werden kann und dass es in vielen Situationen jenseits des Labors gar nicht so leicht sein könnte, "rein egoistisches" Verhalten zu definieren. [1]

Obwohl Peter Kmieciaks Wertforschung stark interdisziplinär angelegt ist, soll im Hinblick auf die Herkunft dieses Autors aus der Psychologie an dieser Stelle seine Wertdefinition hinzugefügt werden. Er versteht unter Wert "ein kulturell- und sozialdeterminiertes (und geltendes), dynamisches, ichzentrales, selbstkonstitutives Ordnungskonzept als Orientierungsleitlinie, die den Systeminput einer Person (Wahrnehmung) selektiv organisiert und akzentuiert sowie ihren Output (Verhalten) reguliert, mithin eine ichdirigierte aktive Planung und Ausrichtung des Verhaltens über verschiedene Situationen hinweg ermöglicht" (Kmieciak 1976: 150).

Eine kulturell-soziale Wertherkunft wird also bei auffälliger Nichtthematisierung biologischer Bedürfnisse betont. Mit der Ordnungs- und Handlungsleitungsfunktion werden die auch bei anderen Autoren wichtigsten Hauptfunktionen des Werts – personzentriert – genannt.

Eine eigenständige, methodologisch besonders engagierte Wertforschungslinie von grosser interdisziplinärer Relevanz hat sich gemeinsam mit der von Louis Guttman geprägten Facettentheorie entwickelt (vgl. Guttman 1992; Borg 1992). Deren augenfälligste Merkmale sind der forschungsleitende Einsatz sogenannter Abbildungssätze (die vereinfacht als Übergangsformen zwischen sprachlichen und mathematischen Formalisierungen der untersuchten Phänomene entlang ihrer wichtigsten Kontingenzen bezeichnet werden können) sowie des multidimensionalen Skalierungsverfahrens SSA (Smallest Space Analysis). Aus einer Implikation des Abbildungssatzes, dem facettierten Definitionssatz, wird unter 3.2. noch Nutzen gezogen werden. Besonders wichtige Beiträge hat die Facettentheorie bei der Herausarbeitung überkulturell gültiger struktureller Eigenschaften des menschlichen Werteraums geleistet. So haben Schwartz und Mitarbeiter ein vielrezipiertes Zirkumplexmodell menschlicher Werte entwickelt, welches nicht nur verschiedene "universelle" Grundwerte oder Werttypen unterscheiden kann, sondern auch empirisch wiederkehrende Regelmässigkeiten über die relative Affinität dieser Werttypen untereinander aufzeigt, das heisst, Aussagen darüber macht, ob zwei Werttypen etwa unmittelbar benachbart oder direkt entgegengesetzt sind. Die in verschiedenen internationalen Untersuchungen emergierte Werttypen-Anordnung ist, im Kreis herum: Universalism, Benevolence, Conformity/Tradition, Security, Power, Achievement, Hedonism, Stimulation und Self-Direction. Paare wie Stimulation und Security oder Achievement und Benevolence sind einander demnach praktisch entgegengesetzt, während etwa bei Universalism und Benevolence mit einer weltweit hohen Korreliertheit zu rechnen ist (Schwartz & Bilsky 1987, 1990; Schwartz & Boehnke 2004; Wilson 2005).

Eine solche recht prägnante Projizierbarkeit des Werteraums auf eine Kreisfläche stellt eine auffällige Analogie zu vergleichbaren Kreismodellen der Persönlichkeit (vgl. Rost 2002: 507-508) und der Emotionen (vgl. Scherer 2003: 201) dar.

2.1.5 Emotionspsychologische Wertkonzeptionen

In der Emotionspsychologie besitzt der Begriff der Bewertung einen enormen Stellenwert, erstaunlicherweise aber nicht der Begriff des Werts. Besonders für Forschungstraditionen, die der Kognition eine wichtige Rolle bei der Emotion zuschreiben (Appraisal-Theorien) sind Emotionen nichts anderes als Bewertungen von Ereignissen für das Wohlergehen des Organismus, selbst dann, wenn der Bewertungsprozess sehr rasch und unbewusst abläuft (Lazarus 1984; Smith & Kirby 2001). Dies verweist auf die Frage nach jeweils aktiven genaueren Bewertungsmasstäben. Klar ist, dass die Bewertung erfahrungsvermittelt ist, ansonsten es kaum so grosse Unterschiede bei den Emotionen gäbe, die ein Gegenstand bei verschiedenen Menschen auslöst. Ebenso klar ist aber, dass der experimentelle Fokus auf Einzelstimuli als Auslösern von Emotionen es nicht erforderlich scheinen lässt, den Einstellungsbegriff hin zum Wertbegriff zu transzendieren. Insgesamt erweisen sich die dominanten fachpsychologischen Definitionen von Emotion und Einstellung (Giner-Sorolla 1999: 442-443; Bohner 2003: 267; Fröhlich 1993: 132) abhängig von einem in der "Bewertung" versteckten Wertbegriff, der seinerseits meist unerklärt "vom Himmel fällt". Besonders minimalistisch-fundamentale, eindimensionale Emotionsbegriffe auf Basis der einzigen Unterscheidung Vorbereitung zur Annäherung an ein Objekt vs. Vorbereitung zur Entfernung von einem Objekt fallen mit dem Valenzbegriff zusammen und klären nicht ohne weiteres, weshalb in den verschiedenen Fällen Annäherung oder Entfernung folgen sollte. Es könnte theoretisiert werden, dass ein Ereignis aus evolutionären Gründen stets als erstes auf Basis des Wertes Sicherheit evaluiert wird und dann erst auf Basis eines Wertes wie Schönheit, oder dass die Zahl der unmittelbar aktiven Bewertungsmassstäbe eine geringe bleiben muss, ansonsten zu viele Millisekunden vor der (hormonellen) Produktion einer zum Beispiel überlebenssichernden Emotion verstreichen müssten. Kognitive Wende und Überwindung eines reduktionistischen Behaviorismus dürften es zwar kaum geändert haben, dass das kognitive System, auf das der Mensch so stolz ist, am entwicklungsgeschichtlich älteren emotionalen System „hängt“ (Zajonc 1984; Marcus 2003: 183-187; Lavine, Thomsen, Zanna & Borgida 1998). Doch dürfte auch dieses emotionale System bereits Grundwerte wie Sicherheit zur Funktionsvoraussetzung haben, mögen diese in ihren Manifestationsformen früher auch ausschliesslich "Instinkt" oder "(Überlebens-)Trieb" genannt worden sein.

Funktion des Wertes aus emotionspsychologischer Sicht scheint zusammenfassend die Leitung individueller Reaktionen auf Umweltereignisse (wobei eine Wertpluralität aus der Beobachtung abgeleitet werden kann, dass nicht jedes Umweltereignis gleichartige menschliche Reaktionen auslöst). Die sehr enge Beziehung zwischen Wert und Emotion wird in der Motivationsforschung (vgl. 2.1.3.), die den Wertbegriff weitgehend durch den Motivbegriff substituiert, zu einer entsprechend engen Beziehung zwischen Motiv und Emotion (beziehungsweise Affekt), so bei D.C. McClelland (Herber 1976: 57-63; Wunderer & Küpers 2002: 108-110). Als Struktur des Wertes oder Wertsystems kommen bei eindimensionalen Emotionsbegriffen die simple Polarität der Valenz, bei mehrdimensionalen und "diskreten" Emotionsbegriffen (vgl. Scherer 2003: 200-202, Nabi 2002) entsprechend komplexere Strukturen in Frage.

2.1.6 Synopse psychologischer Wertkonzeptionen

Betrachtet man die in 2.1.1. bis 2.1.5. vorgestellten Wertkonzeptionen, bieten sich in struktureller und funktionaler Hinsicht zunächst je eine grundsätzlichste Ordnungsdimension an. Die Konzeptionen unterscheiden sich strukturell hinsichtlich der Gebundenheit an Einzelobjekte, was funktional der Unmittelbarkeit möglicher Handlungsbeeinflussung (im Gegensatz zu primären Ordnungsfunktionen und eher indirekt-hintergründiger Handlungsbeeinflussung) entspricht. Die beiden grundsätzlichen Wertverständnisse Wert als Messung versus Wert als Massstab zeichnen sich dabei ab (vgl. Abb. 1).

Man beachte, dass „Einstellung“ (attitude), obwohl sie – bei sehr grosser Bedeutung in der Sozialpsychologie – durch viele als dem Wert sehr nahes Konzept verstanden wird, klar nur Wert als Messung ist. Zwar kann die Messung auf Unteraspekte (wie einen emotionalen und kognitiven) verteilt werden und als Objekt im Extremfall einen Massstab haben – doch bleibt sie dabei eine Variante von „Valenz“, das heisst, das Produkt einer themenneutral-standardisierten Massstabsanwendung („Affinität“, „Wichtigkeit“, „+“, „–“) durch sich im Hintergrund konkurrenzierende, eigentliche Wertmassstäbe auf ein Objekt. Valenz kann entsprechend als das Äquivalent des Geldes (vgl. 2.3.1.) im psychischen Orientierungshaushalt gesehen werden. Idealiter „themenlos“, erfordert sie in der Praxis eine minimale Hilfsvorstellung wie „Anziehung“ durch ein Objekt, auch wenn eine entsprechende Tendenz allein noch keine korresponierende reale Handlung bewirkt – zum Beispiel weil äusserliche Hindernisse wahrgenommen werden.

Auf „Gemessenes“ zwischen der „Messung“ und dem „Massstab“ scheint die Psychologie selten Varianten des Wertbegriffs anzuwenden, weshalb die Abbildung 1 nicht darauf eingeht. In der Ökonomie würde am Ehesten mit dem Begriff „Gut“ darauf Bezug genommen werden, alternativ sowie alltagsprachlich auch mit dem Begriff „Wert“. Ausprägungsbeispiele für einen solchen Wert wären ein Sportwagen oder ein Eigenheim, die als Privatbesitz im Dienst der Bedürfnisse „Macht“ oder „Status“ stehen könnten.

Abb. 1: Psychologische Wertkonzeption als Messung oder als Massstab

Zur Faszination, aber auch zur Schwierigkeit beim Fassen des Wertbegriffs trägt das Problem bei, dass Gemessenes und Massstab fliessend ineinander übergehen und die Realität sich keineswegs einer künstlichen Abgrenzung fügt. Gegeben sei ein Individuum als Liebhaber sowohl von Reisen als auch von Kunst. Es kann einerseits eine Reisedestination am Massstab der Vorhandenheit attraktiver Kunstmuseen messen – und anderseits ein Kunstwerk am Masstab seiner Herkunft von einem geschätzten, exotischen Reiseziel. Die beobachtbare Doppeldeutigkeit von Kunst und Reisen hinsichtlich Instrumentalität/Terminalität profitiert vom halbabstrakten Charakter beider Quasi-Objekte (der aber nicht strenge Voraussetzung ist): Reisen sind keine Objekte im engen Sinn, können aber gegen Geld gebucht werden; Kunst ist ein Abstraktum, manifestiert sich aber stets mit Hilfe von Objekten. Beide Quasi-Objekte können es im Prinzip in den Rang von Terminalwerten schaffen: Leben für die Kunst, leben fürs Reisen. Durch ihre Einzelobjekt-Emanzipiertheit und Bezogenheit auf Zustände als Terminalwerte scheinbar qualifiziertere Abstrakta wie „Sicherheit“ oder „Freiheit“ können von den Quasiobjekten auf hintere Prioritätsränge verdrängt werden ohne lediglich den Vorrang eines anderen solchen „echten“ Terminalwerts anzuzeigen. Der dem Liebhaber als solcher attraktiv scheinenden Reise durch ein Krisengebiet können zugleich Überlegungen der Sicherheit, der Freiheit, der Intimität, usw. geopfert werden und man darf von einem Selbstzweck sprechen, respektive vom „Erheben“ einer Sache zum Massstab. Der auf Unfähigkeit zur Abstraktion oder bewussten Verweigerung von Abstraktion gründenden Obsession ist im Prinzip die Erhebung des nebensächlichsten Objektes zum Terminalwert möglich, was eine enorme Flexibilität des menschlichen Gehirns anzeigt. Im grössten Teil von dessen Entwicklungsgeschichte hat es auch den Versuch noch nicht gegeben, möglichst viele Objekte der Welt an einem gemeinsamen, von allen genutzten Massstab (dem Geld) zu messen, so dass das Anlegen stets anderer Massstäbe, respektive das Messen des einen Objekts am anderen (Tausch-)Objekt für das Gehirn ausgesprochen natürlich sein dürfte. So hat eine zeitgenössische Ikone der hochindividualisierten, maximal „entfremdeten“ Gesellschaft zumindest in der virtuellen Welt des Internets vorübergehend dadurch Bekanntheit erlangt, dass sie jede an sie gerichtete Frage mit der Aussage „Ich mag Schildkröten“ beantwortet hat. Es scheint vor diesem Hintergrund eigentlich aussichtslos, eine endliche Zahl möglicher (Terminal-)Werte für Individuen angeben zu wollen. Mit einem systematisch-lexikalisch gewonnen Wissen um häufigste hochrangige Werte in einer bestimmten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt im Geist Cattells (Hall & Lindzey 1970: 389), womöglich mit überzeugender theoretischer Begründung, schiene schon viel gewonnen.

In Abbildung 1 durch fette Einrahmung hervorgehoben wurde die Konzeptions-Grundvariante des Werts als Massstab, da es sich dabei fraglos um die Variante mit der grösseren interdisziplinären Relevanz handelt. Ausschliesslich sie soll ab hier weiterbeachtet werden. Zwei Kriterien mit guter Differenzierungsleistung sind auf sie anwendbar (vgl. Tab. 1).

Tab. 1: Individueller Wert als Massstab: Hierarchisierbarkeit und betonte Herkunft

 

Hierarchisierbarkeit

Herkunft

nicht hierarchisierbar

hierarchisierbar

betont soziokulturell

Tolman: 3 gleichberechtigte Massstäbe

 

betont soziokulturell mit Subdifferenzierung

Rokeach: terminale und instrumentelle  Werte

Adler: soziales Fernziel des Menschen

ohne / balancierte Subdifferenzierung

Cattell: starke, balancierte Subdifferenzierung

 

betont biologisch mit Subdifferenzierung

Freud: Libido vs. Überich

Maslow: natürliche Bedürfnis-Hierarchie

betont biologisch

Spranger: von Instinkten zur Lebensform

McClelland: vom Hormonsystem zum Motiv

 

Das Kriterium der Hierarchisierbarkeit unterscheidet Wertbegriffe, bei denen für Werte eine intersubjektiv gültige Hierarchie behauptet wird von Wertbegriffen, auf die keine entsprechenden Meta-Werte mehr angewandt werden, das heisst untereinander gleichwertige Behandlung vorliegt. Das Kriterium der Herkunft unterscheidet Wertbegriffe danach, ob eher ihre biologische oder soziokulturelle Herkunft betont wird. Eine solche Betonung kann für Werte insgesamt, ohne weitere Subdifferenzierung, erfolgen. Sie kann aber auch bei durchaus gegebener Diskussion verschiedenartiger Werte – einschliesslich stärker soziokulturell und stärker biologisch begründeten – erfolgen (indem die einen als in irgend einer Weise grundlegender oder charakteristischer für das Wertphänomen behandelt werden). Schliesslich gibt es Wertkonzepte, die eine solche Betonung (über die Totalität eventueller Subdifferenzierungen) wenig erkennen lassen.

Einige der unter 2.1.1. bis 2.1.5. diskutierten Vertreter von individuellen Wertkonzeptionen als Massstäben wurden in Tabelle 1 illustrativ platziert. Bei Tolman stehen der kognitive, der ästhetische und der ethische Bewertungsmassstab grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und entstammen, ansonsten unerklärt, primär der sozialen Ebene. Bei Rokeach, dessen Wertbeispiele stärker sozial und politisch als biologisch geprägt sind, lässt sich argumentieren, dass die Unterscheidung von terminalen und instrumentellen Werten noch kein eigentliches hierarchisches Konzept bedeutet: auf die Ebene der terminalen Werte wird kein Meta-Massstab mehr angewandt. Cattells faktoranalytisch ermittelte Orientierungsdimensionen decken ein weites Spektrum ab, das er durch eine beträchtliche Zahl von Trait-Unterbezeichnungen gliedert, ohne einseitig biologische oder soziokulturelle Herkunft zu betonen. Freud unterscheidet triebbasierte individuelle Strebungen von Gewissensforderungen, die im Individuum das kulturelle Interesse repräsentieren. Die Triebforderung wird dabei als genuinere Vertretung des individuellen Interesses betont, doch lässt sich von einer letzten Hierarchisierung der Strebungen nicht sprechen, die Freud vielmehr an Adler kritisiert hat. Spranger (an den G.W. Allport, Murray und andere anschliessen) führt seine Lebensform-Typologie auf biologische Instinkte zurück, obwohl sie anhand ihrer Begriffe reichlich kulturell geprägt wirkt. McClelland versucht seine Motive an spezifische neurophysiologische Botenstoffe zu knüpfen, ohne zu hierarchisieren. Adler schwingt sich zu der in weiten Wissenschaftskreisen verpönten Behauptung eines letzten (Meta-)Werts auf, wenn er auf das Fernziel einer vollkommenen Gesellschaft gerichtete individuelle Werte über andere Werte wie individuelles Machtstreben stellt. Er hat damit in jedem Beurteilungsfall den Mut, als Wissenschaftler einen spezifischen „Sinn des Lebens“ (Adler 1974 [1933]) zu verfechten. Die grosse Beachtung, die Maslows System gefunden hat, dürfte sich schliesslich daraus miterklären, dass seine Motivationstheorie ebenfalls einen solchen Lebenssinn suggeriert, dabei aber besonders auf dessen Herleitung aus natürlichen Beobachtbarkeiten achtet: das Streben nach Selbstverwirklichung scheint unter anderem im Artenvergleich spezifischer menschlich, charakterisiert spätere Stadien des Lebensalters, scheint mit grösserem Wohlbefinden von Individuen zu korrelieren und kann nicht einfach durch Zufuhr eines Befriedigungsobjektes zum Verschwinden gebracht werden. Darüber hinaus repräsentiert es als Betonung von Individualität stark einen westlichen kulturellen Wert.

Eine evolutionspsychologische Überlegung muss nun aber bezüglich der Vorstellung einer stärkeren biologischen Wertdeterminierung respektive überhaupt eines gesehenen Gegensatzes zwischen „von unten drängenden“ (biologischen) und „von oben geforderten“ (sozialen) Werten anklingen. Sie besteht in der Frage, ob menschliche Gene überhaupt primär am Erfolg des Individuums „interessiert“ sind und nicht vielmehr am Erfolg des Kollektivs, auf den sie für ihren Fortbestand weit stärker angewiesen sind (Hoffrage & Vitouch 2002: 740-742). Divergenzen zwischen „geforderten“ und „angeborenen“ Werten würden demnach keineswegs auf einem Grundkonflikt beruhen, in dessen Rahmen nur die „geforderten“ Werte die kollektive Wohlfahrt repräsentieren – sondern vor allem darauf, dass sich die „angeborenen“ nicht rasch genug an die emergierte Umwelt der modernen Industriegesellschaft haben anpassen können. Obwohl die biologisch-soziale Herkunftsunterscheidung also ein praktisches grobes Ordnungskriterium für psychologische Wertkonzeptionen scheint, soll hier ein erster Zweifel anklingen, ob es sich auch bei stärkerer analytischer Vertiefung wird halten können – etwa beim noch ausstehenden Einbezug kulturwissenschaftlicher (2.2.) Erkenntnisse.

Alternativen zu den Ordnungsdimensionen Hierarchisierbarkeit und Herkunft könnten noch die angenommene (ungefähre) Anzahl von Werten, der angenommene Grad ihrer Stabilität im Lebensverlauf oder das Erfordernis eines Bezugs auf (finale) Zustände anstelle blosser Objektklassen sein. Alle diese Dimensionen schneiden jedoch bezüglich eindeutiger Verortbarkeit der Konzeptionen (teils mangelnde Aussagen der Autoren) oder Differenzierungsleistung (die meisten Autoren halten den Bezug auf Zustände für werttypischer als den Bezug auf blosse Objektklasssen) schlechter ab als Hierarchisierbarkeit und Herkunft.

Folgende summarische Aussagen zu psychologischen Wertkonzeptionen zeichnen sich als vertretbar ab:

(1)
Die im Hinblick auf weitere Verwendung in der interdisziplinären Wertforschung relevante Grundvariante psychologischer Wertkonzeptionen ist der Wert als Massstab, nicht der Wert als Messung (Valenz). Anwendungen des Wertbegriffs auf Gemessenes (Güter) scheinen in der Psychologie kaum vorzukommen.

(2)
Auch unter den Bezugnehmenden auf ein Wertkonzept als Massstab haben sich viele für Quasi-Synonyme des Wertbegriffs wie „Bedürfnis“, „(End-)Ziel“ oder „Motiv“ entschieden, vermutlich um dem wissenschaftlichen Postulat der „Wertungsfreiheit“ (vgl. 2.3.2.) vordergründig-begrifflich, bei einer gewissen Gleichsetzung von Subjekt und Objekt, zu genügen.

(3)
In der Psychologie kommt die stärkere Betonung der sozialen respektive kulturellen Herkunft von Werten ebenso vor wie die stärkere Betonung ihrer biologischen Herkunft. Sie erfolgt erwartungsgemäss allerdings häufiger durch Sozialpsychologen und Wegbereiter, respektive Repräsentanten einer „kognitiven Wende“ seit den 1960er Jahren, die sich zugleich als Wende zur sozialen sowie sprachlichen Sphäre in der Psychologie auffassen lässt. Die explizite Verwendung des Wortes „Wert“ (value) scheint unter den Betonenenden einer sozialen Herkunft prävalenter.

(4)
Mitunter wurde das wissenschaftliche Reputationsrisiko eingegangen, Werte ihrerseits nach letzten oder Meta-Werten hierarchisch zu ordnen, was in etwa der Behauptung eines intersubjektiv gültigen Lebenssinnes entspricht. Im Fall von Maslow, der sich stark um Herleitung seiner Selbstverwirklichung aus empirischen Beobachtbarkeiten bemüht und primär den Bedürfnisbegriff genutzt hat, hat ein solcher Versuch grösste Beachtung (und Einfluss auf die spätere Wertewandelsforschung) gefunden – auch wenn sich dieser „letzte Wert“ als vage (bestenfalls mit einem okzidental-individualistischen Bias) versehene Kategorie kritisieren lässt, die mit praktisch jedem konkreten Inhalt gefüllt werden kann.

Inhalt

2.2 Kulturwissenschaftliche Wertkonzeptionen

2.2.1 Kluckhohns ambivalenter Definitionsversuch

Der handlungstheoretische Wert-Definitionsversuch des Kulturanthropologen Kluckhohn hat vor dem Hintergrund der unzähligen konkurrierenden Konzeptionen eine recht weit gehende interdisziplinäre Akzeptanz erfahren. Dies ist allerdings nicht auf eine unangefochtene Gelungenheit dieses Versuchs (vgl. Jessen 1988: 176; Kmieciak 1976: 148; Rudolph 1959: 62) zurückzuführen, sondern womöglich eher auf eine hohe Visibilität durch die Präsenz des entsprechenden Beitrags im vielbeachteten, interdisziplinär "hochkarätig besetzten" 1951er Sammelband von Parsons und Shils Towards a General Theory of Action.
Für Kluckhohn (1965 [1951]: 395) ist ein Wert "... a conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group, of the desirable which influences the selection from available modes, means, and ends of action."

Der Hinweis auf eine implizite oder explizite Natur des Werts ist in dieser Definition sicher zweckmässig. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass besonders grundlegende Kategorien menschlicher Handlungsleitung leicht auf unbewussten, halbbewussten oder "selbverständlichen" Ebenen der Systemorganisation wirksam sein können. Implizitheit bedeutet keineswegs relative Wirkungsschwäche. Vielmehr sind die Kategorien gerade dann als effektiv zu veranschlagen, wenn die Reflexions- oder Verbalisierungsfähigkeit im Bezug auf sie zweifelhaft ist. Verbalisation ist für Kluckhohn nicht Voraussetzung des Vorliegens einer handlungswirksamen Konzeption, so sehr der an einer impliziten Werthaltung Orientierte einem Verbalisierungsvorschlag durch den Beobachter sollte zustimmen oder nicht zustimmen können. Lediglich Verbalisierbarkeit ist demnach Bedingung des Werts und soll diesen in der Vorstellung Kluckholms mit seiner grösseren Abstraktheit vom instinktiven Verhalten und von Bedürfnissen abgrenzen. Da allerdings evident ist, dass auch Bedürfnisse verbalisierbar sind, überzeugt dieses Kriterium nicht besonders und erklärt sich wohl die Vagheit von Kluckholms Bestimmung, dass "solche Dinge" (wie Bedürfnisse) nicht "direkt" Teil des Wert-Bereichs seien (ebd.: 397).

Kluckhohn sieht als festen Bestandteil des Werts affektive, kognitive und konative "Elemente", was einer Übernahme der entsprechenden Untergliederungstradition von Einstellung (Bohner 2003: 268) und anderen Konzepten aus der Psychologie entspricht. Obwohl er Kulturen und Individuen als Wertträger nennt, betont er die kulturelle Herkunft stärker. Individuen interpretieren die "meistenteils" der Kultur entstammenden Werte lediglich in einer Weise, die sie "manchmal" persönlich distinktiv werden lässt. In diesen Formulierungen ist erneut viel Vagheit gegeben und unmittelbar anschliessend lässt Kluckhohn auch offen, ob die von "einigen" Werten gespielte Rolle im Selbst des Individuums sich nun auf ein solches inklusive oder exklusive Überich bezw. Ichideal beziehen soll (Kluckhohn 1965 [1951]: 395, 398).

Wohl am Problematischsten ist Kluckhohns Bedingung, es müsse sich bei einem Wert nicht nur um ein Gewünschtes (desired), sondern um ein – auch individuell – als wünschenswert (desirable) Wahrgenommenes handeln. Auf den ersten Blick scheint damit eine sinnvolle Unterscheidung blosser, objektförmiger Nahziele von "letzten" Zielzuständen gegeben. Kluckhohns Erläuterungen machen jedoch deutlich, dass er unter Wünschenswertem ein nach moralischen, rationalen und/oder ästhetischen Kriterien als solches Klassifizierbares versteht. Damit ist ein zirkuläres Element gegeben, dass sich durch die blosse Übersetzung ins Deutsche (vgl. Rudolph 1959: 62) von selbst offenlegt: das Bestimmungsproblem des Werts wird in eines des Wünschenswerten umgewandelt, wobei unerklärt bleibt, weshalb genau ein ethischer, ein ästhetischer und ein rationaler Inhalt unterschieden werden sollen. Bleiben das Gute, Schöne und Wahre durch ihre Herangezogenheit als wertbestimmende Massstäbe nicht als einzige eigentliche Werte übrig? Oder sind sie als Meta-Werte zu verstehen? Kluckhohn bleibt die Antwort schuldig und bemüht sich (aufbauend auf Dewey) um fernere Illustration der Unterscheidung des Wünschenswerten vom bloss Gewünschten damit, dass das Wünschenswerte die Vorstellung einschliesst, ein Gewünschtes solle auch gewünscht werden. Das "Soll" repräsentiert dabei nicht einfach die Forderung der Kultur an ihre Individuen oder Subgruppen (wie bei Freud), sondern bleibt eine (unerklärte) individuelle oder Gruppenüberzeugung, die als solche (belief) ein kognitives Element immer einschliesse und so zum Begriff der Konzeption in seinem Definitionsversuch geführt habe (obwohl laut früherer Stelle emotionale und konative Elemente ebenfalls als fest zugehörig zu betrachten seien; Kluckhohn 1965 [1951]: 395-396). Am ähnlich schon bei Dewey vielkritisierten Problem (Clark 2002), einfach eine Meta-Ebene über dem Gewünschten eingeführt zu haben, ohne sie überzeugend erklären zu können, scheitert Kluckhohn vollends durch schliessliche Heranziehung des psychoanalytischen Besetzungs-Begriffs ("... cathexis and value are ... somehow interrelated"; ebd.: 398). Cathexis (Besetzung) ist nichts anderes als ein begrifflicher Vorläufer derselben Valenz, von der in 2.1.6. deutlich wurde, dass sie als blosse Messung eben auf den angewandten Massstab weiterverweist. Es erstaunt daher nicht, dass Kluckhohns auf den ersten Blick straff wirkende Definition im Verlauf ihres Explizierungsversuchs all ihre erzielte Komplexitätsreduktion wieder einbüsst und in den Unterscheidungsbedarf einer kaum überblickbaren, kontingent wirkenden Vielfalt der Ordnungsdimensionen für Werte und der Unterarten von Werten mündet (ebd.: 412-421).

2.2.2 Rudolphs kultureller Wertbegriff

Wolfgang Rudolph hat in seinem hervorragenden Beitrag über die Kulturanthropologie und das Wertproblem (1959) Schwächen der Kluckhohnschen Exploration (vgl. 2.2.1.) vermieden und seinem kulturellen Wertbegriff eine eingehende Analyse entsprechender Theorie der amerikanischen Variante von Ethnologie seit A.L. Kroeber (Rudolph 1959: 19-75) sowie einschlägiger Empirie (ebd.: 76-123) vorgeschaltet.

Auf Kroeber aufbauend, sind Werte in ihrer Abhängigkeit von und ihrer Wirkung auf eine als Naturphänomen verstandene Kultur zu untersuchen (Rudolph 1959: 17). Wert ist für Kroeber das kulturell Bedeutsame (ebd.: 22-23) und Kultur für die Kulturanthropologie im Allgemeinen die bedeutsamere Kategorie im Vergleich zur Gesellschaft. Dies, indem vor allem Kultur mit Bewusstsein, Tradition und Sprache anstelle der blossen, auch bei Tieren beobachtbaren Herausbildung von Sozialstrukturen assoziiert wird (ebd.: 54). Für stärker linguistisch orientierte Kulturanthropologen (vgl. 2.2.3.) ist das Symbolsystem der Sprache selbst eine Wertorientierung: wie sich etwa beim Vergleich verschiedener nordamerikanischer Ureinwohnerstämme zeigt, kann es die erkannte Realität mit ganz verschiedenen betonten Bedeutungen ausstatten, die diesbezüglich der kritischen Reflexion durch den Sprecher weitgehend entzogen sind (ebd.: 138-142).

Werte werden in der Kulturanthropologie teilweise, so bei Lee (ebd.: 125-126), als etwas aufgefasst, das von reiner Befriedigung (angeborener) Bedürfnisse grundsätzlich zu unterscheiden ist (ebd.: 34, 38). Rudolph selbst relativiert allerdings diese Praxis: die in die Persönlichkeitsstrktur integrierten kulturellen Werte werden zu einer "neuen Kategorie von 'Bedürfnissen'" und "als Bedürfnis empfunden" (ebd.: 166). Für die ursprünglich zumeist abgegrenzten Bedürfnisse "von unten" werden damit Spezifikationen wie "organische Bedürfnisse" (ebd.: 166) und "reine Grundbedürfnisse" (ebd.: 167) notwendig. Für den psychoanalytisch beeinflussten Linton dient Kultur sogar dazu, biologische, soziale und psychische Bedürfnisse komplexartig, also nicht nur separat voneinander, befriedigen zu können (ebd.: 38). Insgesamt identifziert Rudolph eine eigene kulturanthropologische Kontroverse um das Verhältnis Wert zu Bedürfnis (ebd.: 124-126), die allerdings nur brisant scheint, solange unter Bedürfnissen definitorisch ausschliesslich angeborene verstanden werden, denen der erlernte kulturelle Wert dann gegenübergestellt werden kann. Dies erscheint umso fragwürdiger, als im Einklang mit den bereits unter 2.1.6. angedeuteten evolutionspsychologischen Überlegungen auch etwa für Linton nicht das Individuum, sondern die menschliche Gesellschaft "die eigentliche Einheit des biologischen Existenzkampfes" (ebd.: 127-128) ist und der Mensch biologisch, in Form seiner starken Lernorientierung, zur Aufnahme einer Kultur vorbereitet ist (ebd.: 129, 160-163). Dass soziogene Werte ausschliesslich auf Zwang aufbauen können, ohne biogene Bedürfnisse zumindest ein Stückweit zu integrieren, wird allgemein bezweifelt (ebd.: 128).

Allgemein wichtig für Kulturanthropologen ist die Annahme, dass Kultur von ihren Angehörigen zwar "nur" erlernt ist, dass der Mensch aber aufgrund "fast vollständigen Fehlens von Instinkten" das lernende Tier schlechthin ist (Rudolph 1959: 35). Hallowell wird mit der Aussage zitiert, dass Werte dabei Werkzeuge menschlicher Anpassung sind wie materielle Hilfsmittel auch (ebd.: 36) und für Northrop sind Werte die Früchte der zentralen Lebenserfahrungen eines Volkes (ebd.: 145). Die Beeinflussung der Werte durch "Realfaktoren" geht nach weitgehender Übereinstimmung im Fach aber keinesfalls bis zur Behauptbarkeit eines technologischen Determinismus. Die empirische Evidenz spricht vielmehr dafür, dass spezifisch die westliche Zivilisation zur Übergeneralisierung ihrer eigenen materialistisch-opportunistischen Tendenz auf "den Menschen" neigt, während andere Kulturangehörige mitunter bei Inkaufnahme des Hungertods tradierte wertabgeleitete Normen aufrechterhalten (ebd.: 148-152). (Der Preis der hohen Realitätsangepasstheit der westlichen Kultur ist für Rudolph die in ihr stets latente Aufhebungsgefahr der Verbindlichkeit des kulturellen Werts überhaupt – obwohl ihm das Paradox nicht entgeht, dass Individualismus auch ein kultureller Wert sein kann; ebd.: 171).

Rudolph gelangt nach der umfassenden Rezeption der genannten und weiterer Kulturanthropologen zu folgender eigener Definition:

"Ein kultureller Wert ist ein sozial sanktionierter, kulturell typisierter und psychisch internalisierter Standard selektiver Orientierung für Richtung, Intensität, Ziel und Mittel des Verhaltens von Angehörigen des betreffenden soziokulturellen Bereichs. Sein objektives Kriterium ist Bedeutsamkeit im kulturellen Wertsystem, sein subjektives Kriterium ist Bedeutung in der individuellen Persönlichkeitsstruktur (Rudolph 1959: 164)."

Werte sind damit die "entscheidenden Elemente einer Kultur, ihr funktionaler Befehlsstand" – obwohl sie für die zugehörigen Individuen rollenabhängig variieren können (ebd.: 164-165). Sie bewirken, dass Individuen über zwei Anpassungsstufen von ihrer natürlichen Umwelt getrennt sind: durch ihre Anpassung an eine soziale Umwelt und durch deren Anpassung an die objektiv-reale Umwelt (ebd.: 168). Scheiternde Individuen sind aufgrund dieser Schwierigkeit häufig, doch ermöglichen gerade kulturelle Nonkonformisten bei Bedarf Anpassungsleistungen der Gesamtkultur an veränderte reale Umwelten (ebd.: 168).

An Rudolphs Definition scheint besonders ergiebig, dass sie die wertbezogene Determinationskraft der Kultur anzeigt, ohne dass, im Hinblick auf die kulturanthropologische Tradition, an eine Abgekoppeltheit solcher Kultur von Anforderungen der Natur auch nur zu denken ist. Kulturen und ihre Wertsysteme können vielmehr sowohl an den Anpassungserfordernissen einer sehr realen Umwelt scheitern, als auch, vor lauter Flexibilitätsbemühung, ihre überindividuelle Integrationskraft gefährden. Bezüglich der handlungsorientierenden Funktion des Werts nicht von der interdisziplinären Mehrzahl der Wertkonzeptionen abweichend, verzichtet Rudolph auf das Aufrichten einer komplexen Binnenklassifizierung der Werte, die womöglich zu geringe interkulturelle Gültigkeit hätte. Ob unter den werthierarchischen psychologischen Versuchen eher Adlers gesellschaftsperfektionierende oder Maslows selbstverwirklichende "Lebenssinne" kulturanthropologische Unterstützung als interkulturelle menschliche Universalien erfahren, ist bereits auf Basis der geografisch unmittelbar benachbarten drei Beispielkulturen der Hopi (hochintegriert), der Navahos (individualistischer) und der westlichen Zivilisation (hochindividualistisch) nicht zu entscheiden.

2.2.3 Kultursemiotischer Wertbegriff

Während auf den Kluckhohnschen Wertbegriff aus Gründen seiner breiten interdisziplinären Rezipiertheit und auf den Rudolphschen wegen seiner gründlichen kulturanthropologischen Herleitung eingegangen wurde, soll ein drittes Schlaglicht im Rahmen der kulturwissenschaftlichen Konzeptionen exemplarisch auf einen Bereich fallen, in dem sich neuere Tendenzen seit dem linguistic turn ausdrücken können: die Kultursemiotik. Alternativ könnte ein solches Schlaglicht auch auf die Ansätze der Cultural Studies oder des Kollektiven Gedächtnisses fallen, doch scheint die Kultursemiotik, wie Posner (2003) sie vorstellt, ein besonders reiner und theoretisch entwicklungsfähiger Repräsentant der gemeinten neueren Tendenzen.

Die Kultursemiotik untersucht – im Anschluss an Ernst Cassirers These, dass die symbolischen Formen einer Gesellschaft ihre Kultur ausmachen – die Zeichensysteme einer Kultur und Kultur als Zeichensysteme, wobei sie, eindeutig zukunftsträchtig, Tier- und Maschinenpopulationen nicht grundsätzlich vom Kulturphänomen ausschliesst (Posner 2003: 39-40). Werte konstituieren dabei zusammen mit den Ideen und den auf beide bezogenen Verwendungs- und Darstellungskonventionen die Mentefakte einer Kultur, die ihrerseits den – materiellen – Artefakten gegenüberstehen und verhaltensbestimmend wirken. Zwischen den Individuen und Gesamtgesellschaften als Verfügenden über Mentefakte und Artefakte wird besonders auch die Mesoebene der Gruppen berücksichtigt (deren Beschreibung in der heutigen globalisierten Welt und ihren multikulturellen Zentrumsgesellschaften viel bedeutender geworden sein dürfte, als traditionell-ethnologische Konzentrationen auf "exotische" Stammeskulturen in Reservaten.

Die werthaltigen Mentefakte sind in der Kultur zu einem System von Zeichenkonventionen (Codes) geordnet, das die Mitglieder einer Gesellschaft gemeinsam haben und mit deren Hilfe sie die Texte ihrer Zivilisation verstehen. Das Austauschen von Botschaften auf dieser Basis ermöglicht den Zeichenbenutzern die Bewältigung ihrer Probleme. Das gesamtkulturelle Zeichensystem lässt sich in verschiedene untergeordnete Zeichensysteme aufgliedern, über deren relatives Gewicht es eine Auseinandersetzung gibt, die als dynamische Voraussetzung kulturellen Wandels funktioniert (ebd.: 49-55. Eine Kultur, in der alle Texte gleichwertig wären, entspräche gerade ihrer Liquidierung als Kultur (ebd.: 56). Identitätsbestimmende Texte einer Kultur gelten als wertvoll, werden im prestigeträchtigsten Medium dieser Kultur übermittelt, sind wirklichkeitskonstitutiv, setzen Massstäbe, welche die Bedingungen ihrer Entstehung überdauern, müssen aufgrund der so entstehenden Text-Welt-Diskrepanzen und ihrer zunehmenden Unverständlichkeit ausgelegt und übersetzt werden und schliesslich hinsichtlich ihrer Entstehung mit Hilfe von Mythen (wie demjenigen göttlich-offenbarten Ursprungs) der Kritik entzogen werden (ebd.: 56-57). Sie gehören der semiosischen Sphäre des zentral Kulturellen an, welche von derjenigen des peripher Kulturellen, dann des Gegenkulturellen und schliesslich des Ausserkulturellen (den Kulturmitgliedern völlig Unbekannten) umgeben ist.

Adaptiv funktionaler kultureller Wandel kann beispielsweise durch das Ins-Zentrum-Wandern eines peripheren Codes (und späteres Wiederhinauswandern) stattfinden, doch gibt es auch Kulturverschmutzung, zum Beispiel "... wenn zu einem früher wohlstrukturierten Weltsegment die alten Codes durch prestigereichere, aber nur unzureichend beherrschte Codes überlagert werden: Weder die alten noch die neuen Zeichen können zur Gliederung des Bereichs eingesetzt werden. Es entsteht eine Situation, in der die Signifikate der alten Codes nicht mehr ernst genommen und die neuen Codes noch nicht verstanden werden ... Die Folge ist Kulturschutt ... (Posner 2003: 60-61)"

In seiner Variabilität entlang der Dimension kultureller Zentralität ist der Wert als Mentefakt verhaltensbestimmend und hilft er der Kultur, ihre biologische Funktion als (kollektive) "Überlebensmaschine" (Posner 2003: 65) wahrzunehmen. Er nimmt dabei die Struktur eines Signifikats, also einer Bedeutung, im Rahmen einer Hierarchie von Codes (Zeichensystemen) sowie einer Hierarchie von mit diesen verstandenen Texten, an.

Es wird deutlich, wie wenig sich funktional und strukturell an einer Wertkonzeption zu ändern braucht, wenn sie, statt aus dem Kontext sich physisch manifestierender Kulturen, eher aus deren symbolischen Repräsentiertheit in einer globalen Semiosphäre gewonnen wird. Wertkonzeptionen sind offensichtlich in der hochgradigen Abstraktion zu Hause und bieten sich damit durchaus als Grundbausteine einer qualitativen Entsprechung in den Sozial- und Kulturwissenschaften zu dem an, was in den Naturwissenschaften die reine Mathematik leistet (vgl. Rudolph 1959: 165). Für den Empiriker deutet sich dabei an, dass inhaltsanalytische Methoden – etwa angewandt auf vergleichbare Medientext-Samples verschiedener Zeitpunkte, aber auch identitätsbestimmende Texte wie die Bibel – eine noch viel zu wenig ausgeschöpfte Erforschungsmöglichkeit von kulturellem Wertsystem und Wertewandel darstellen. Sie lassen sich direkt auf hinsichtlich ihrer kulturellen Zentralität klar verortbare Texte anwenden, die auch ohne den Stimulus einer stattfindenden Untersuchung existieren würden und würden sich besonders von einer neuen Generation von Publizistik- und Kommunikationsforschern erhoffen lassen, welche die heutige kolossale Bedeutung von Medientexten als implizite Aufforderung zu vermehrten sozialwissenschaftlichen Grundlagenbeiträgen erkennen würde.

2.2.4 Synopse kulturwissenschaftlicher Wertkonzeptionen

Obwohl in 2.2.1. bis 2.2.3. nur wenige Schlaglichter auf kulturwissenschaftliche Wertkonzeptionen geworfen werden konnten, scheinen für diese im Vergleich zu den psychologischen einige Tendenzen als charakteristisch benennbar:

(1)
Hierarchisierungsversuche von Wertorientierungen im Sinne überindividuell oder überkulturell behauptbarer "letzter Ziele" werden eher nicht angetroffen – wohl hauptsächlich, weil in den fraglichen Disziplinen ein zu grosses Bewusstsein der Kulturabhängigkeit solcher Aussagen gegeben ist. Allerdings wird aufgezeigt, dass gewisse kulturelle Wertsysteme zumindest temporär grössere Anpassungserfolge einer Kultur an die umgebende natürliche Umwelt begünstigen, während andere Wertsysteme grössere Integrationserfolge begünstigen.

(2)
Auf die Werte bezogene Herkunftszuschreibungen sind entlang dem Kontinuum biologisch-soziokulturell (vgl. Tab. 1) insofern ausgewogen, als eine dominant kulturelle Herkunft zwar die naheliegende kulturwissenschaftliche Prämisse ist, Kultur ihrerseits aber nie losgelöst vom Adaptionsbedarf an ihre natürliche Umwelt respektive von biologischen Bedürfnissen gedacht wird. Zentrale Gedanken der relativ jungen Kulturanthropologie sind, dass der "instinktarme", aber besonders leicht lernende menschliche Organismus bereits biologisch zur Internalisierung einer Kultur (und damit auch von Werten) vorbereitet ist und die menschliche Gesellschaft eher als das Individuum die eigentliche Einheit des biologischen Existenzkampfes darstellt. Der individuell-soziale Antagonismus wird damit erheblich entschärft.

(3)
Als werttragende Subjekte werden, ausser dem Individuum, mindestens so stark das Kollektiv und seine Sprache, einschliesslich subkulturellen Phänomenen, thematisiert.

Inhalt

2.3 Soziologische Wertkonzeptionen

2.3.1 Der Wert bei Georg Simmel

Georg Simmel setzt sich in seiner klassischen phänomenologischen Abhandlung "Philosophie des Geldes" (2001 [1920]) intensiv mit dem Wertphänomen auseinander. Er verwendet den Wertbegriff dabei sowohl im Sinne einer objektbezogenen Valenz ("Grad des Wertes"; Simmel 2001 [1920]: 7) als auch zur direkten Bezeichnung eines begehrten Objektes (ebd.: 12) sowie schliesslich im Sinne einer zwischen Subjekt und Objekt liegenden, unabhängigen metaphysischen Kategorie (ebd.: 15-16). Der Wert ist dabei zunächst als hochgradig subjektiv und – als Folge eines Wertungsprozesses – situationsabhängig (ebd.: 7-8) zu verstehen. Was den Wert grundsätzlich hervorruft, ist die Distanz zwischen begehrendem Subjekt und begehrtem Objekt – wohingegen der Augenblick des Genusses den Wert gleichsam konsumiert (ebd.: 11-12).

Für den modernen Menschen in seiner Kultur hat der Wert aber darüber hinaus einen Objektivationsprozess durchlaufen (Simmel 2001 [1920]: 23-25). Grosse Distanz zwischen Subjekt und einer immer grösseren Vielfalt an begehrenswerten Objekten, von denen das Subjekt, zum Beispiel durch Medien, Kenntnis hat, ist zum Regelfall geworden. Die vielfältigen Begehrungsaffekte sind jeweils für sich genommen in ihrer Intensität und Dringlichkeit reduziert. Das Ich des Kulturmenschen bildet sich erst an den Hindernissen heraus, die zwischen den zahlreichen begehrbaren Objekten und dem Subjekt liegen, etwa in Form von Warte- und Arbeitszeit. Teil eines auf diese Weise immer stärker sublimierten Wertbegriffs ist, dass der Wert bereits genossener Objekte sich nicht einfach verliert, sondern mittels der Erinnerung an und die positive Assoziation mit dem früheren Genuss verselbständigt weiterleben kann. Insgesamt entschiedenste Folge der kulturellen Distanzierungstendenz der Gegenstände vom begehrenden Subjekt ist, dass sie Teil eines Mechanismus werden, in dem sie ihren Wert – als Tauschwert – scheinbar im gegenseitigen, von Personen unabhängigen Bezug bestimmen; in dem sie eigens produziert werden, um von unbekannten anderen konsumiert zu werden; und in dem sie, paradoxerweise, als immer grössere Vielfalt des grundsätzlich Geniessbaren auch eine nicht dagewesene Nähe zum Subjekt realisieren, nämlich in Form ihrer fast jederzeitigen Wählbarkeit – um den Preis eines Verzichts auf jeweils andere Genüsse, beziehungsweise Tauschgüter (ebd.: 15-29).

Simmel nutzt zur näheren Erläuterung dieses Modernisierungseffektes auf den Wert den Begriff der Zweckreihe oder teleologischen Reihe (Simmel 2001 [1920]: 220-230). Der Kulturprozess produziert demnach immer längere, an vorgeschalteten Zielen immer reichere Zweckreihen, die zwischen den Menschen und ihren Endzwecken liegen. Erreichte Endzwecke des Handelns neigen aber ohnehin dazu, augenblicklich durch neue ersetzt zu werden und scheinen somit per se mit dem Makel der Relativität behaftet (ebd.: 238-239). Damit erhöht sich die Bedeutung eigentlicher blosser Mittel (ebd.: 233) zu Endzwecken – wie des für sich charakterlosen Geldes und, mit Einschränkungen (ebd.: 456-479), auch der Arbeit. Für Simmel bleiben sich moderne Kulturmenschen dadurch oft letzter Lebensziele unbewusst (ebd.: 234). Gerade in der monotheistisch geprägten Kultur erliegen sie stattdessen leicht einer – im Diesseitsbezug naheliegenden – Gleichsetzung von Geld mit Gott (ebd.: 241).

Simmels Wertkonzeption besitzt innerhalb der in diesem Beitrag explizit berücksichtigten Sozialwissenschaften eine beträchtliche Originalität. Der bis zur Gleichsetzung mit konsumierbaren Objekten reichende, starke Objektbezug, welcher nur im Fall des Geldes als quasiuniversellem Tauschmittel in eine dann gleich radikale Objektemanzipation überführt wird, nähert sie strukturell am ehesten ökonomischen Wertbegriffen an. Eine handlungsleitende Funktion des Wertes wird auch durch Simmel gestützt, doch ist in der Kultur die Vernichtung der Distanz zwischen handelndem Subjekt und angestrebtem Objekt nicht mehr die alleinausschlaggebende Strebung. Stattdessen lebt der Wert – und mit ihm die Kultur – ebenso durch diese Distanz wie durch die motivierenden Objekte und erreicht durch sie seine abstraktesten und verfeinertsten Manifestationsformen.

2.3.2 Der Wert bei Max Weber

Der Name Max Webers ist über die Grenzen der Sozialwissenschaften hinaus mit seiner berühmten Forderung der "Wertfreiheit" an die Wissenschaft (vgl. Weber 1976: 578, 658) verknüpft. Wo diese so verstanden wurde, dass das Wertphänomen als wissenschaftliches Objekt zu meiden oder in wissenschaftlichen Texten vom Wertbegriff wenn irgend möglich auf Nachbarbegriffe auszuweichen sei, wurde sie missverstanden. Während völlige "Wertfreiheit" in der Wissenschaft nur bei oberflächlicher Betrachtung – die zum Beispiel die wertgeleitete Auswahl untersuchungswürdiger Objekte übersieht – überhaupt realisierbar scheint, ist ihre zumindest relativ verbesserte Umsetzung sicher daran geknüpft, dass man überhaupt über einen Wertbegriff verfügt und mit seiner Hilfe (im Idealfall auch eigene) wissenschaftliche Aussagen auf ihren Wertgehalt hin reflektieren kann

Wertung als möglicher Makel des Wissenschaft betreibenden Subjektes ist somit vom Wert und seinen begrifflichen Derivaten als wissenschaftlichen Objekten zu trennen. Einigen Aufschluss über den letzteren liefert bei Max Weber das Kapitel "Soziologische Grundbegriffe" aus dem posthum erschienenen Werk "Wirtschaft und Gesellschaft" (1976 [1922]). Der Wert taucht dort in Form seiner Prägung des zweiten von vier Idealtypen sozialen Handelns auf. Wertrationales Handeln ist bestimmt "durch bewussten Glauben an den – ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden – unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg (Weber 1976: 12)." Es erscheint als solches auf einer höheren Rationalitätsstufe als das affektuelle und erst recht traditionale Handeln, nicht aber als das zweckrationale Handeln. Dieses ist bestimmt "durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Aussenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen als 'Bedingungen' oder als 'Mittel' für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke (ebd.)".

Die handlungsleitende Funktion des Werts scheint damit auf den ersten Blick beschränkt. Sie scheint zunächst nur bei Akteuren gegeben, die zwar gegenüber einem stumpfen Ausführen traditionsdiktierter Routinen oder einem reinen Affekthandeln emanzipiert sind, aber gezwungen bleiben, in der gegenwärtigen Handlung selbst inneren "Geboten" jeglicher Art zum unmittelbaren Ausdruck zu verhelfen. Dies wäre etwa beim Prinzipienreiter gegeben, der auch in solchen Situationen konsequent seine Überzeugungen ausdrückt, in denen er damit der Sache, für die seine Überzeugungen stehen, eher Schaden zufügt. Etwa kann er sich durch sein wertrationales Handeln das Wohlwollen eines insgesamt nützlichen, gemässigten Allianzpartners mit grosser Finanzkraft verscherzen. Der zweckrational Handelnde vermeidet dergleichen durch seinen weiter in die Zukunft reichenden, auch indirekte Wege zum Ziel akzeptierenden Handlungshorizont.

Auf den zweiten Blick verbinden sich mit Max Webers Grobtypisierung einige Schwierigkeiten, die unter anderem für zahlreiche Relativerungen des Schemas durch Weber selbst verantwortlich sind (vgl. Weber 1976: 12-13). So dürfte etwa die Handlungsorientierung an Werten kaum je emotional neutral sein – sondern unter anderem als "bewusste Entladung der Gefühlslage" (ebd.: 12) auftreten. Traditionen losgelöst von einem Wertmuster zu denken, ist sodann unmöglich geworden, seit alle unmittelbar mit Kultur befassten Teilwissenschaften Tradition ganz massgeblich an Kultur knüpfen und ins Zentrum derselben charakteristische Wertmuster stellen (vgl. 2.2.). Dafür liefert Webers eigene Religionssoziologie, wo sie sich auf die religiöse Lebensführung (ebd.: 320-321), respektive die protestantische Ethik bezieht (Weber 1988; 1993), deutliche Anhaltspunkte. Schliesslich räumt Weber beim zweckrationalen Handeln ein, dass es seinerseits "wertrational orientiert" sein kann und dann "nur in seinen Mitteln zweckrational" (Weber 1976: 13) ist. Um die verbleibenden Fälle rein zweckrationalen Handelns von jenen Fällen abzugrenzen, führt Weber die "subjektiven Bedürfnisregungen" (ebd.) ein. Exakt an den Bedürfnisbegriff knüpft indessen die jüngere Wertforschung zumeist ihre Wertbegriffe, während die "Regung" wiederum auf Affekt verweist. Die wertcharakterisierende Aussagekraft von Webers vier Idealtypen sozialen Handelns ist somit nicht dadurch beschränkt, dass reales Handeln stets nur eine Mischung des idealtypischen ist (dies ist keine Beschränkung, sondern eine zu akzeptierende Voraussetzung bei der Arbeit mit Weberschen Idealtypen). Sondern es ist dadurch beschränkt, dass die Idealtypen selbst auf Begriffen aufbauen, die untereinander ausgedehnteste inhaltliche Deckungsbereiche aufweisen, das heisst gerade die Erwartung an Idealtypen, scharf voneinander trennbar zu sein, nicht erfüllen. Niklas Luhmann vermeidet es denn auch ein halbes Jahrhundert nach Max Weber, "Wert" und "Zweck" auf einer Rationalitätsskala gegeneinander auszuspielen und zeigt gerade mit Hilfe des von Weber privilegierten Zweckbegriffes die Grenzen der sich in modernem Sinn teleologisch verstehenden Handlungsrationalität auf. Ebenso zeigt er auf, dass die von Weber vorgenommene Zweck-Mittel-Unterscheidung, die das zweckrationale Handeln auszeichnen soll, analytisch nicht durchzuhalten ist (vgl. 2.3.3.).

Die begrifflichen Anregungen der "Kolossalfigur" Max Weber lassen sich auf keinem Gebiet der Soziologie ignorieren und sind etwa in die Systemtheorien deutlich eingeflossen. Die Sozialwissenschaften sind Weber jedoch überwiegend nicht darin gefolgt, einen teleologischen, in die Zukunft schauenden Charakter der Zweckrationalität gegenüber der Wertrationalität zu betonen. Stattdessen ist (auch) der Wert für viele ein über mannigfaltige Zwischenstationen anstrebbares Endziel des Handelns (das freilich so weit in der Zukunft und im Ideel-Hypothetischen liegen kann, dass sein vollständiges Eintreffen, in Übereinstimmung mit Max Weber, nicht beobachtbar werden muss – auch, weil es durch andere Werte konkurrenziert wird).

2.3.3 Der Wert in soziologischen Systemtheorien

Zu den soziologischen Klassikern, die den Wert explizit und ausführlich abhandeln, gehört auch der Strukturfunktionalist und Systemtheoretiker Talcott Parsons. Während Simmels Begriffe einige Anschlussfähigkeit an Philosophie, Ökonomie (und frühe Psychologie) zeigen, hat Parsons zur interdisziplinären Fundierung seiner Wertkonzeption auf psychologische und vor allem auch kulturanthropologische Vor- und Mitarbeitende zurückgegriffen. Entsprechend konnte er in seinen Arbeiten eine individuelle, kulturelle und soziale Systemebene voneinander getrennt untersuchen, dabei aber auch Ordnungsvariablen benennen, deren Relevanz sich durch all diese Ebenen hindurchziehen. Parsons definiert:

“An element of a shared symbolic system which serves as a criterion or standard for selection among the alternatives of orientation which are intrinsically open in a situation may be called a value” (Parsons 1951: 12).

Über weite Strecken seiner Ausführungen zur Wertrolle im Rahmen von Handlungssystemen nutzt Parsons allerdings das Begriffsderivat der value-orientation, das ebenso wie die genutzten value standards nicht völlig befriedigend von value abgegrenzt wird (vgl. Parsons 1951: 12; Parsons & Shils 1951: 116), wenn man das feingliedrige und entsprechend feine Differenzierungen erfordernde handlungstheoretische Kategoriensystem bedenkt, das vor allem der Beitrag „Values, Motives, and Systems of Action“ aufzurichten versucht hat (vgl. Parsons & Shils 1951: 49-51, 247-275). Dieser nimmt im bereits erwähnten interdisziplinären Sammelband Toward a general theory of action und dem damit verbundenen, später nicht weitergeführten Versuch einer einheitlichen Handlungstheorie für die Sozialwissenschaften (vgl. Rudolph 1959: 54-57) eine zentrale und ansatzweise koordinierende Stellung ein. Er ist praktisch zeitgleich mit Parsons eigenem Werk The Social System erschienen.

Ungeachtet dieser definitorischen Unschärfen hat Parsons jedoch breit nachwirkende Sichtweisen der Funktionen und Manifestationsarten von Wert(standard) respektive Wertorientierung auf den verschiedenen soziokulturellen Aggregationsebenen ausgearbeitet. Die Grossangelegtheit seines handlungs- und werttheoretischen Entwurfs erzwingt auch einen etwas grösseren Umfang dieses Unterkapitels.

Als wichtigste einzelne Einflussfiguren auf den genannten Entwurf werden Durkheim, Freud und Max Weber deklariert (Parsons & Shils 1951: 52). Im Rahmen von Handlungssystemen der sozialen Realität orientiert sich für Parsons und Shils Handeln keineswegs direkt an Überlebenszielen, sondern hauptsächlich an internalisierten kulturellen Werten (ebd.: 63). Akteure sind dabei – unter anderem – Muster der Wertorientierung, statt dass sie solche nur „haben“ (ebd.: 66). Für einen konkreten Handlungsausgang mit relevant ist jedoch immer eine Situation, die darin gegebenen (breit definierten) Objekte und eine Motivation (ebd.: 54-56). Eine Gegenüberstellung individueller und sozialer Interessen, wie bei Freud, wird im Wertkontext durchaus als grundlegend mitgetragen, wenn auch unter geringerer Konfliktbetonung (vgl. Korte 2000: 183). Während need dispositions die allokativen foci des persönlichen (psychischen) Systems reflektieren, repräsentieren role expectations diejenigen des sozialen Systems (ebd.: 91) – wobei auch die letzteren auf needs (Bedürfnisse), allerdings soziale, verweisen (ebd.: 92).

Einen charakteristischen Mehrwert auf grundsätzlicher Ebene realisiert Parsons’ Theoriebildung dadurch, dass individuelle egos nicht nur als an äusseren Objekten orientierte Subjekte konzipiert werden, sondern sich jederzeit selbst zum Objekt von Handlung machen können, beziehungsweise müssen – etwa wenn sie soziale Normen mittels Identifikation internalisieren (ebd.: 100). Identifikation mit einem significant other ist der wertbezogen wichtigste individuelle Lernmechanismus im Rahmen der Sozialisation, die bereits im Kindesalter die Wahrnehmung von Rollen und daran geknüpfte Erwartungen voraussetzt, das heisst bei einfacher Manipulation noch nicht gegeben ist (Parsons 1951: 207-226). In Form der Sentiments erhalten auch ausschliesslich gelernte, aus organischen Bedürfnissen allein nicht erklärbare Werte ihre affektive Basis im Individuum (ebd.: 42). Aus der Innenperspektive des personalen Systems strebt dieses (mit Hilfe von Werten) nach der Optimierung von Gratifikation – aus einer wissenschaftlichen Aussenperspektive nach Erhalt seiner Integrität als abgegrenztem System (Parsons & Shils 1951: 120). Es ändert sich dabei konstant durch Lernen (ebd.: 123), respektive durch die auch im Erwachsenenalter fortschreitende Sozialisation. Innere Konflikte aufgrund der Koexistenz verschiedener individueller Subsysteme werden durch die zahlreichen Varianten psychischer Abwehr gemässigt, Konflikte mit einer veränderten Aussenwelt durch Anpassung (ebd.: 133). Aufgrund der Vielfalt wahrgenommener Rollen verfügt das personale System über mehrere Über-Ichs (ebd.: 144-146). Mit sozialen Systemen hat das personale die Selbsterhaltungs- und Abgrenzungstendenz gemeinsam und die zwingende gegenseitige Interpenetration (ebd.: 109). Bis zu einem gewissen Grad muss das Individuum sich so sehen lernen, wie andere es sehen (ebd.: 147), was auch heisst, ihre rollenspezifischen – etwa geschlechtsgebundenen – Werte bis zu einem gewissen Grad zu teilen. Bei anspruchsvoller instrumenteller Aktivität, etwa in planenden Arbeitsrollen, ist die Fähigkeit, ein hohes Mass an Disziplin aufrechtzuerhalten, respektive Verzicht auf manche direkte Befriedigungsmöglichkeit von need dispositions, ebenso wie eine gewisse Orientierungsflexibilität, unerlässlich (ebd.: 149). Ungenügende Passung personaler und rollenspezifisch erwarteter Wert- und Handlungsorientierung können unter anderem zur Entfremdung und dem Einsatz negativer Sanktionen des Kollektivs gegenüber dem Individuum führen (ebd.: 151-158).

Nebst der Interpenetration des personalen und des sozialen Systems ist auch diejenige des kulturellen und des sozialen Systems untrennbar mit dem Wertbegriff verknüpft. Das soziale System, bestehend aus Kollektiven interagierender Menschen, Rollen und Normen, importiert und institutionalisiert ein dominierendes Wertmuster (ein Ethos) aus dem kulturellen System, und spezifiziert dieses für seine Vielfalt von Subkollektiven und Rollen zu – teilweise rechtlich-verbindlichen, etwa konstitutionellen – Normen. (Parsons 1967: 145-146; Parsons & Shils 1951: 177-178).

Das kulturelle System ist um die Bedeutung von Objekten und deren symbolischem Ausdruck organisiert. Statt, wie personale oder soziale Handlungssysteme, von der Knappheit von (Handlungs-) Möglichkeiten und von Funktionsanforderungen (an Organismen) geprägt zu sein, ist es, weniger materiell gebunden, von logischen Kohärenzanforderungen geprägt (Parsons & Shils 1951: 173). Es kann ein Wertmuster aufgrund der Transferierbarkeit von Symbolen – ihrer Überlebensfähigkeit auch ausserhalb unmittelbar gegebener Handlungssysteme – exportieren (Parsons 1967: 141-142; Parsons & Shils 1951: 159-160). Das Wertmuster zeigt dabei eine starke Interdependenz mit anderen Komponenten des kulturellen Systems, so (1) den anerkannten Wissensbeständen und Ideen, (2) den anerkannten Stilen und Geschmäckern und (3) den anerkannten (religiösen, ideologischen) Deutungen von Werten: „Because values are always problematical with respect to their legitimation, societies institutionalize patterns of meaning in terms of which their values ‚make sense’ (Parsons 1967: 144)“. Gesellschaften sind auf solche Deutungen vor allem wegen des Problems real beobachtbarer Handlungsausgänge angewiesen, die stark von dem aufgrund der institutionalisierten Wertmuster als gerecht Erachteten abweichen und damit dessen Gültigkeit in Frage stellen (Parsons 1967: 164).

Durch diesen nicht nur auf das kulturelle System analytisch angewendeten Überbauversuch der Wertorientierungen mit "Modi" oder Meta-Massstäben (des Kognitiv-Wahren, Expressiv-Schönen und Evaluativ-Guten) begegnet auch bei Parsons das bereits bei Tolman und Kluckhohn thematisierte und somit spezifisch mit den Forschern der General Theory of Action zu assoziierende Problem wieder, dass es sich ja auch bei diesen um Werte, jedenfalls nicht „wertneutrale“ Massstäbe handelt. Sie scheinen auch bei Parsons & Shils als solche „vom Himmel zu fallen“, solange sich ihre nähere Erklärung darauf beschränkt, „that these lines offer great convenience for the analysis of action (Parsons & Shils 1951: 72).“ An späterer Stelle des Werks erfolgt allerdings doch noch eine Funktionszuschreibung an jeden der drei Meta-Massstäbe. Erwähnt sei nur die Funktion moralischer (respektive "evaluativer") Standards: sie wird als Förderung von Handlungen erkennbar, welche in einem System (wie dem personalen) die Integrations- und Stabilitätsbedürfnisse eines (jeweils) übergeordneten Systems (wie dem sozialen) wahrnehmen (ebd.: 164-172).

Die (Über-)Komplexität von Parsons’ und Shils’ handlungs- und werttheoretischem Klassifikationsschema (vor allem resultierend aus einem den Ritualismus berührenden „Durchkonjugierungszwang“ aller Subschemata anhand jeweils aller anderen Subschemata und Analyseebenen; vgl. Parsons & Shils 1951: 205) braucht hier nicht wiedergegeben zu werden – doch wird die Unterscheidung eines kognitiven, expressiven und evaluativen Aspekts unter anderem auch auf konkrete Handlungen angewendet. Dominieren kognitive Überzeugungen den Bezug zum Handlungsziel, sprechen die Autoren von instrumentellem Handeln, bei dem das Ziel bereits gegeben ist und seine möglichst effziente Erreichung in den Vordergrund rückt. Dominieren expressive Symbole, ist expressives Handeln, zur unmittelbaren Erreichung eines positiv besetzten Nahzieles, gegeben. Dominieren schliesslich evaluative Standards, ist moralisches Handeln mit seiner typischen Orientierung an den Zielen anderer, respektive des Kollektivs, gegeben (Parsons & Shils 1951: 165).

Mit Hilfe eines Ordnungsrasters aus fünf dichotomen pattern variables beschreiben Parsons und Shils unter anderem die theoretisch möglichen Hauptvarianten personaler und kultureller Wertorientierungen, von denen empirisch allerdings nicht alle bedeutend sind. Es handelt sich bei den Dichotomien (1) um Affektivität-Affektive Neutralität, (2) Selbstorientierung-Kollektivorientierung, (3) Universalismus-Partikularismus, (4) Zuschreibung-Erreichung (Achievement) und (5) Spezifizität-Diffusheit. Der dominierende US-amerikanische Ethos ist beispielsweise für die Autoren mit Hilfe der dritten und vierten Variable als Kombination Universalismus-Achievement grob klassifizierbar, während für das Subkollektiv der US-Hispanics mit ihrer hohen Bewertung der (leistungsunabhängigen) Familienzugehörigkeit und der partikulär aufeinander bezogenen Positionen von ego und alter die Kombination Partikularismus-Zuschreibung herangezogen wird. Ferner gibt es Gesellschaften mit insgesamt grösserer oder geringerer Kollektivorientierung (vgl. 2.2.4.; Parsons & Shils 1951: 184-185; 76-91). Die Koexistenz verschiedener subkultureller Wertmuster bedeutet für jedes soziale System eine besondere integrative Herausforderung. Konflikte wie derjenige zwischen Verwandtschaftswerten und Werten der Individualleistung können bereits innerhalb eines dominierenden Ethos (wie dem US-amerikanischen) angelegt sein und stellen von dort aus die Funktionsfähigkeit des sozialen Systems permanent auf die Probe (ebd.: 172-175).

Problematisch wäre sicher die strenge Anwendung der pattern variables auf das Handeln personaler Systeme nach Parsons und Shils. Als Voraussetzung allen Handelns in einer – ansonsten für den Akteur bedeutungslosen – Situation geben die Autoren das Treffen von fünf nicht abstufbaren Entscheidungen an, die jeweils einem durch eine pattern variable repräsentierten Orientierungsdilemma entsprechen (Parsons & Shils 1951: 76-91). Realweltliche Akteure könnten ihren Alltag aber wohl kaum bewältigen, wenn sie diese kognitive Staffette tatsächlich in jeder neuen Situation (und nicht höchstens in jeder erstmalig angetroffenen, groben Kategorie ähnlicher Situationen, ab welcher Routinehandeln dominieren würde), durchlaufen müssten.

Die als Wertmuster handelnde Grundeinheit sozialer Systeme ist nicht das Individuum, sondern die Rolle. Manche Rollen sind dabei stärker institutionalisiert als andere, was einer reineren Repräsentation des dominierenden Ethos entspricht. Von gemeinsamem Handeln kann erst bei Gegebenheit eines solidarischen, Wertmuster teilenden Kollektivs ausgegangen werden – die nichtsolidarischen Aggregationsformen der soziodemografischen Personenkategorie oder der blossen Pluralität sind dafür nicht ausreichend. Da soziale Systeme unter den realweltlichen Bedingungen der Knappheit gratifikatorischer Objekte operieren müssen, ist die Organisation der Allokation von direkten Belohnungen, Humanressourcen und facilities (Instrumenten zur leichteren Rollenerfüllung, mithin indirekten Belohnungen) eins ihrer zentralsten Probleme. Es kann nicht allein durch Wertsozialisation gelöst werden und erfordert unter anderem die mit Durchsetzungsmacht ausgestattete, soziale Ordnung aufrechterhaltende Autorität. Diskrepanzen (misfits) zwischen dem Angebot an individuellen Begabungen und den zu einem gegebenen Zeitpunkt zu füllenden Rollen belasten das soziale System ebenso wie das Wecken von Gratifikationserwartungen in Individuen, die dann überwiegend nicht eingelöst werden können (Parsons & Shils 1951: 190-229). Eins der Hilfsmittel gegen diese Belastungen sprechen Parsons und Shils folgendermassen an:

„What is, from the viewpoint of the individual personality, conscious or unconscious psychotherapy, is from the viewpoint of the social system a mechanism of social control” (ebd.: 230.) [2]

Während die diversen Imperfektionen des Systems auch Anpassungschancen desselben an veränderte Umweltbedingungen darstellen, verwahrt sich Parsons’ Systemtheorie gegen eine Gleichsetzung sozialen Handelns mit sozialem Wandel: ersteres findet auch in für sich stabilen Sozialsystemen statt. Ein Sozialsystem löst sich zudem auch bei übermässigen Belastungen in der Realität nie bis zu einem Hobbesschen „Naturzustand“ auf – es zerfällt höchstens in Teilsysteme, wird von einem anderen Sozialsystem absorbiert oder verändert sich radikal (ebd.: 231-233, 204).

Mit der Frage, was geschehen kann, wenn eine steigende Zahl Menschen den Ethos ihres Sozialsystems inhaltlich ernster nimmt, als zu dessen blossen Integration nötig oder als zu dessen aktuellen allokativen Mitteln passend, hat sich vor allem Parsons' Schüler R.K. Merton befasst.

"[...] All this would not require emphasis except for the widespread assumption that nonconforming behavior is necessarily dysfunctional to a social system [...]. [...] frequently the nonconforming minority in a society represents its ultimate values and interests more fully than the conforming majority. This is not a moral but a functional judgement [...]. [...] For the accumulation of dysfunctions in a social system is often the prelude to concerted social change toward a system that better serves the ultimate values of a society (Merton 1976: 40."

Zusammenfassend begegnet Parsons der Frage nach den strukturellen Eigenschaften von Wertorientierungen mit dem Vorschlag mehrerer (Kreuz-)Klassifikationsmöglichkeiten (unter anderem three modes of value-orientation und five pattern variables; Parsons & Shils 1951: 205). Sie können dank ausreichender Abstraktion sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene angewandt werden und machen bei aller Kontingenz deutlich, dass eine Akzentverschiebung von der individuellen auf die soziale Systemebene im Wertbereich einerseits eine Akzentverschiebung von direkten Bedürfnisbefriedigungen auf indirekt-instrumentelle Befriedigungen bedeutet (vgl. 2.3.1.). Anderseits gibt es eine Verschiebung auf die Frage nach den Modalitäten, anhand derer Gratifikationen überhaupt verteilt werden sollen. Parsons weckt Zweifel, ob es auf Ebene dieser Modalitäten um ein freies Gegeneinanderabwägen alternativer Zielzustände gehen kann. Für das Sozialsystem bereits festzustehen scheint vielmehr eine Priorität systemerhaltender Integration unter Bedingungen der Knappheit gratifikatorischer Objekte. Das Sozialsystem würde demnach kaum als Ganzes irgendwo "hin" wollen und die eine integrationsfähige Ordnung wäre ihm, pointiert gesagt, so gut wie eine andere. Wichtigste Funktion des Wertes wäre auf sozialer Systemebene entsprechend die integrative, im Sinne einer für Kollektive nicht leicht zu erfüllenden Voraussetzung übriger Handlungsleitung.

Parsons Schüler Merton folgt dieser Zuschreibungstendenz, zugunsten einer stärker inhaltlich-teleologischen Wertbedeutung, nur bedingt.

Ein anderer Schüler Parsons', Niklas Luhmann, hat dessen Wertkonzeption hingegen noch funktionalistisch radikalisiert, innerhalb seiner Systemtheorie bedeutungsvermindert und – wie es unter dem Eindruck der 1960er Jahre kaum vermeidlich war – dynamisiert.

Bei Luhmanns Betrachtung der Werte (und Normen) geht es kaum mehr um handlungsleitende Inhalte oder offene Zielzustände. Im Vordergrund steht die Funktionalität im Rahmen einer bereits feststehenden, an Selbsterhalt (respektive Umweltabgrenzung), Komplexitätsreduktion sowie fortschreitender Ausdifferenzierung interessierten Logik sozialer Systeme (vgl. Luhmann 1984).

Die gegenüber Parsons verringerte Bedeutung des Wertbegriffs wird bei Luhmann aber auch dadurch möglich, dass er Eigenschaften, die andere Theoretiker häufig dem Wert zuschreiben, in den Sinnbegriff einerseits (Luhmann 1984: 92-147) und den Zweckbegriff anderseits (Luhmann 1973) auslagert. Dies wird durch den hohen Stellenwert des Zwecks in der deutschen Handlungssoziologie seit Max Weber durchaus begünstigt. Und die Universalität des Sinnbegriffs (Luhmann 1984: 97, 111) absorbiert viel Beunruhigungspotenzial (Luhmann 1984: 435) des andernorts ja nicht nur als komplexitätsreduzierendes Selektionsprinzip aufzufassenden, sondern solche Selektion vor allem als verantwortete, artikulierte Präferenz von reflexiven Systemen verlangenden Wertes.

In jedem Fall ist es nach diesen "Auslagerungen" für Luhmann ohne Weiteres möglich, im dritten Band seiner "Soziologischen Aufklärung" Grundwerte als Zivilreligion eher skeptisch-konservativ, unter Verweis auf den modischen Charakter öffentlich diskutierter Grundwerte, abzuhandeln (Luhmann 2005: 336-354). Anstelle einer ausführlicheren Thematisierung von Grundwerten versucht Luhmann dort anhand einer Geschichte der Zivilreligions-Idee die Angewiesenheit dieser Idee auf die fortgesetzte Koexistenz eines kirchlich organisierten religiösen Subsystems samt ihrer Dogmatik zu begründen, wobei religiöse Kommunikation mit kirchlicher gleichgesetzt wird (ebd.: 350). Politische Parteien, die sich in ihren Programmen auf Grundwerte beziehen, setzen sich dem Vorwurf von Überheblichkeit und Deplatziertheit, von fraglichem Realitätsbezug und einer Missachtung der Grenzen des politischen Systems aus (ebd.: 349-350).

Der Erläuterung des interessanten Wert-Dynamisierungsaspektes bei Luhmann muss zunächst das Wertverständnis des Theoretikers gemäss dem Kapitel "Struktur und Zeit" seines zentralen Werkes "Soziale Systeme" vorangestellt werden (Luhmann 1984: 426-436).

Der Wert ist demnach eine von vier Identitäten, die Erwartungen bündeln, nämlich, bei aufsteigendem Abstraktionsgrad: (1) Person, (2) Rolle, (3) Programm und (4) Wert. Die Person bündelt mit Hilfe ihres psychischen Systems und ihres Körpers Erwartungen an sich. Bei der Rolle ist diese Bündelung bereits abstrakter. Sie ist zwar dem Umfang nach auf das zugeschnitten, was ein Einzelmensch leisten kann, ist aber sowohl spezieller als auch allgemeiner als die Person: es geht immer nur um einen Ausschnitt menschlichen Verhaltens, der dafür von vielen auswechselbaren Menschen wahrgenommen werden kann, etwa in der Berufsrolle. Die Differenz zwischen Person und Rolle ist mit zunehmender Komplexität der Gesellschaft immer wichtiger geworden, besonders innerhalb formaler Organisationen, wo für optimale Wirkungsmöglichkeiten beide Kontaktnetze erforderlich sind. Programme sind noch abstraktere Bündelungen von Erwartungszusammenhängen, indem sie nicht mehr an die Verhaltensmöglichkeiten eines einzelnen Menschen gebunden sind. Sie sind ein Komplex von Bedingungen der Richtigkeit oder sozialen Annehmbarkeit des Verhaltens. Die Programmebene verselbständigt sich gegenüber der Rollenebene, wenn das Verhalten von mehr als einer Person erwartbar gemacht werden muss. Die abstrakteste Bündelung von Erwartungszusammenhängen sind schliesslich die Werte. Man muss bei ihnen auch noch auf Richtigkeitsfeststellungen für bestimmtes Verhalten verzichten. Sie sind allgemeine, einzeln symbolisierte Gesichtspunkte des Vorziehens von Zuständen oder Ereignissen. Um aus Werten Information über richtiges Verhalten zu gewinnen, muss man sie in eine Rangordnung bringen (Luhmann 1984: 428-434). (Falls es neben dem standardisierten psychologischen Konstrukt need to evaluate – vgl. Jarvis & Petty 1996 nach v. Collani 2006 – auch eine fear to evaluate geben sollte, liesse sich dieser mit der alternativen Formulierung begegnen: "man kann aus Werten Information über richtiges Verhalten gewinnen, indem man sie in eine Rangordnung bringt".)

Bei gemeinsamer Betrachtung aller vier Abstraktionsebenen wird für Luhmann eine grosse Entwicklungstendenz erkennbar. Die blosse Gegenüberstellung faktischen Verhaltens mit moralischen Regeln richtigen Verhaltens in älteren Gesellschaften wird erweitert. Rollen und Programme tragen immer mehr die Komplexität der Gesellschaft. Das Persönliche wird dabei immer freier für Individualisierung, Werte werden immer freier für Ideologisierung  und gemeinsam suchen sie neue Arten von Symbiosen, die in Wertewandel und Individualisierung sichtbar werden. An der grossen Bedeutung der Rollen und Programme in modernen Gesellschaften können sie dabei kaum etwas ändern (Luhmann 1984: 434-435).

Werte sind in der Gegenwart somit beweglicher geworden, weil der Ernst einer essentiellen Funktion für das Sozialsystem weniger auf ihnen lastet als auch schon.

Wenn oben Luhmanns zurückhaltende Position gegenüber einem öffentlichen „Modethema“ Grundwerte (in Kombination mit seiner geringen Hinterfragung der sozialen Funktionalität und Ansprüche eines traditionell-kirchlichen religiösen Subsystems) als konservativ gekennzeichnet wurde, dann kann das genaue Gegenteil über die zentralen Aussagen zum Zweckbegriff behauptet werden, die Luhmann bereits in den 1960er Jahren herausgearbeitet hat: diese waren gemessen am sozialwissenschaftlichen Hauptstrom äusserst innovativ.

Zunächst einmal hat Luhmann in „Zweckbegriff und Systemrationalität“ (1973 [1968]) den analytischen Fokus auf die Mesoebene der sozialen Subsysteme und Organisationen gerichtet: die Bedeutung organisationalen Handelns hat in modernen Gesellschaften stetig zugenommen. Sodann verlässt er die Vorstellung, dass grösstmögliche Harmonie und Kompatibilität individueller und kollektiver Zwecksetzungen ein Grunderfordernis des Sozialen und von Systemleistungen sei. Eine solche Harmonie sei vielmehr nicht nur atypisch, sondern auch weitgehend unerforderlich (Luhmann 1973: 129-134, 138-139). An der Basis einer insgesamt überschätzten Bedeutung des Zweck- oder Zielprinzips beim sozialen Handeln ortet Luhmann eine spezifische Art des Kausaldenkens, an das sich der moderne Mensch zwar gewöhnt hat, das aber weder die einzig mögliche noch einzig richtige Art der Konzeption von Handlung darstellt. Stattdessen wird dieses gerade der Operationsweise komplexer sozialer Handlungssysteme wenig gerecht (ebd.: 24-33, 46-54, 129-130, 141).

Luhmanns Zweckbegriff ist ein enger Nachbar seines Wertbegriffs (Luhmann 1973: 33, 35). Es handelt sich bei Zwecken um vorgestellte wertvolle Wirkungen, deren Verwirklichung problematisch ist (ebd.: 155). Werte und Zwecke will Luhmann nicht erklären – er will verstehen, „was sie leisten“ (ebd.: 35). Im Kern besteht die Leistung aus einer Reduktion von Unendlichkeit, einer Strukturierung des Handlungshorizontes. Dabei können sie freilich die volle Sinnbedeutung eines Ereignisses nicht ausschöpfen und erfordern eine Kausalauslegung des Handelns (ebd.: 36), das heisst eine Vorstellung von Handeln als Bewirken von (einzelnen, bestimmten) Wirkungen. Eine solche Vorstellung sieht Luhmann beim Telos der alten Griechen nicht in gleicher Weise gegeben: dieser habe den Zweck der Handlung in ihrem Vollzug belassen, indem dieser als Teil eines Kreislaufs, und nicht im heutigen Sinne als zielgerichtet, aufgefasst wurde (ebd.: 10; vgl. dagegen Habermas 1991: 81).

Werte erheben zwar den Anspruch, unabhängig vom faktischen Ergebnis der durch sie motivierten Handlungen zu gelten, ermöglichen aber nur mit Hilfe zusätzlicher Entscheidungshilfen die Selektion einer Handlungsvariante gegenüber den Handlungsalternativen. Eine dieser Hilfen ist ihre transitive Ordnung, also das Rangordnen der Werte untereinander. Die nahe verwandte, aber nicht identische andere Hilfe ist das Heranziehen eines Zweck-Mittel-Schemas (vgl. 2.3.2.), welches einen Zweck als erwünschte wertvolle Wirkung in der Zukunft von dafür in Kauf zu nehmenden Mitteln unterscheidet. Für Luhmann erweist sich die Unzulänglichkeit der ersten Hilfe dadurch, dass sich Wertrangordnungen – aufgrund ihrer Abhängigkeit vom aktuellen Befriedigungsstand jedes Wertes – ständig ändern; und die Unzulänglichkeit der zweiten Hilfe dadurch, dass sich eine strenge Unterscheidung von Zweck und Mittel als unmöglich erweist, das heisst in der Praxis ein Akt opportunistischer Willkür ist (vgl. auch das Kunst-versus-Reisen-Beispiel aus 2.1.6.). Es ist so gesehen effektiv die Funktion von „Zwecken“, ihre „Mittel“ zu heiligen (Luhmann 1973: 36-47).

Aufgrund dieser Defizite der Zweckrationalität gilt es für Luhmann, die Realität einer alternierenden Wertbedienung zu akzeptieren, sich anstelle der Suche nach einer allgemeinen Ordnung der Werte die Elastizität des Handelns zu bewahren und von der Vorstellung Abschied zu nehmen, der Bestand sozialer Systeme sei nur „Mittel“ zu einem Systemzweck. Tatsächlich müssen etwa Organisationen einer Vielzahl von Wertrichtungen genügen (Luhmann 1973: 47-63). Der Zweck muss nach dieser Logik Variable und Programmform sowie das Produkt statt nur die Prämisse von Entscheidungsprozessen werden können (ebd.: 126-128).

Dass Organisationen mit Hilfe der Motivationspsychologie (vgl. 2.1.3.) unabhängig von einem konstanten wozu Mitarbeiter motivieren lernen, ist für Luhmann ein unproblematisches respektive systemadäquates Ergebnis der zunehmenden Differenzierung des Motivs vom Zweck. Organisationaler Konsens wird oft leichter über die Mittel hergestellt als über Endzwecke, welche sich allerdings als flexible Kompromissformeln der Koalition nutzen lassen. Exzessive Zweckloyalität von Mitgliedern kann ihre Organisationsloyalität tangieren und den Systemzweck immobilisieren. Ebenso kann zuviel Zweckreinheit im Handeln und im Ausdruck die Zweckerreichung hemmen. Verpflichtetheit der Mitglieder auf eine Dienstideologie oder stark verallgemeinerte professionelle Ethik (die einen Konsens der „Mittel“ fördert), trägt hingegen zur inneren Differenzierungsfähigkeit und äusseren Adaptivität der Organisation bei (Luhmann 1973: 129-141, 150). Die „alte [...] Koppelung der Rationalfunktion und der Motivationsfunktion im Zweck bezeugt [...], im System wie in der Umwelt, relativ einfache Zustände“ (ebd.: 141) – wie sie auf Organisationsebene etwa im Vereinswesen herrschen.

Luhmanns Umkehrung eingeschliffener Zuordnungsroutinen zu den Kategorien Zweck und Mittel (vgl. Luhmann 1973: 223) kann die Moral des Lesers reizen, aber gerade dadurch die Frage zu einem auch emotionalen Erlebnis machen, ob wir das, was wir aus der Anschauung „einfacher“ Handlungssysteme als (zynischen) Opportunismus abzuurteilen gewohnt sind, auch auf der Ebene komplexer Kollektive noch so betrachten können. Zwar ist der reine Opportunismus „ein praktisch kaum erreichbares Ideal“ (Luhmann 1973: 200), da er Anforderungen der Systembildung widerspricht. Aber Luhmann suggeriert, dass die „Bestandesformel“ – bei welcher der reine, respektive in weitere Ausdifferenzierung mündende Fortbestand eines Systems ausreichender „Endzweck“ seines Operierens ist – komplexen Sozialsystemen adäquater ist als die „Zweckformel“, wonach das System einem bestimmten Fernziel zustreben soll (das womöglich den Zielen einer Mehrheit seiner Mitglieder analog ist; vgl. Luhmann 1973: 149). Entsprechend fortschrittlich seien die mit der Bestandesformel arbeitenden soziologischen Systemtheorien im Vergleich zu Faktortheorien (ebd.: 151). Es eröffnen sich Berührungsbereiche zwischen Soziologie und der Kybernetik, für die der Zweck ein Regelungsziel ist (ebd.: 157-165).

Insgesamt wird die Funktionalität der Werte und Zwecke von Luhmann keineswegs geleugnet: ihre Hauptfunktion der Komplexitätsreduktion wird im Fall des Zwecks sogar in mehrfache Unterfunktionen aufgeschlüsselt, um sie gegenüber anderen Funktionselementen, die im Dienst der Komplexitätsreduktion stehen, zu qualifizieren (Luhmann 1973: 179-201). Auf Ebene der sozialen Systeme werden sie jedoch der Bestandesfunktion untergeordnet. Bezüglich struktureller Charakteristika gewinnt Luhmann gerade durch die „Profanisierung“ von Wert und Zweck eine ausreichende Distanz, um den Wert als lediglich am stärksten generalisierenden Endpunkt in einem Kontinuum auch anderer Bündelungen von Erwartungszusammenhängen (wie Person, Rolle und Programm) vorzuschlagen. Die Position am Generalisierungs-Endpunkt fällt dabei nicht mit maximaler Bedeutung in modernen Gesellschaften zusammen (die eher der Rolle und dem Programm zukommt). Rangordnung der Werte ist auch für Luhmann Voraussetzung ihres verhaltensleitenden Potenzials, doch sieht er die Instabilität dieser Rangordnung im Strom der eintretenden Gratifikationen als Einschränkung dieses Potenzials.

In dieser Einschätzung muss Luhmann gerade beim Aufgreifen einer kybernetisch inspirierten Sichtweise vielleicht nicht gefolgt werden. Ist diese Sichtweise nämlich ausreichend ganzheitlich (keine Reduktion auf simple „Servomechanismen“; vgl. Luhmann 1973: 163), kann es vielmehr als Erweiterung des handlungsleitenden Potenzials gesehen werden, dass einer Wertrangordnung eine gewisse Trägheit einerseits (sie wird nicht durch jede eintreffende Alltagsgratifikation auf den Kopf gestellt) und eine gewisse Flexibilität anderseits (grosse Gratifikationen erwirken gewisse Verschiebungen), das heisst eine in wohl eigentümlich organischer Weise funktionale "Zähflüssigkeit" innewohnt.

Dass soziale Systeme in Krisen wie dem weitgehenden Zusammenbruch nach einem totalen Krieg Generationen hervorbringen, die den reinen Fortbestand von Dingen mehr oder weniger bewusst als sehr hochrangigen, seiner Natur nach nicht konsumierbaren und eigenständigen Wert verinnerlicht haben (Niklas Luhmanns Jahrgang: 1927; vgl. Treibel 2000: 22-24), muss selbst als Teil eines kybernetischen Prozesses erkannt werden, der zum Wiederaufbau und seiner Konsolidierung beiträgt. (Die Realisierung des Wiederaufbaupotenzials in Form eines „Wirtschaftswunders“ mag als weitere zentrale Lebenserfahrung nach dem Verlust des Systems, in das man hineinsozialisiert wurde zum weiteren hochrangigen Wert einer „Ausdifferenzierung“, respektive eines Wachstums um seiner selbst willen, beitragen.) Da dieser Prozess achtlos über individuelle Tragödien wie irreparabel beschädigte emotionale Systeme unter den Angehörigen der betreffenden Generationen hinwegschreitet, respektive ein nur benutzendes Verhältnis zu ihnen hat, verdringlicht sich die Frage, ob sein Ablaufenmüssen in dieser Form nicht Merkmal einer noch vergleichsweise wenig entwickelten Selbststeuerungsfähigkeit der Gesellschaft ist, die auf ihre weiter vorausschauenden Kybernetiker wartet. [3]

2.3.4 Die Trennung von Wert und Norm bei Habermas

Aus Jürgen Habermas’ umfangreichen Werk soll hier lediglich ein Themenbereich berücksichtigt werden, der näheren Aufschluss zum eminenten soziologischen Problem des Verhältnisses von Wert und Norm verspricht. Es handelt sich um den Bereich der Diskursethik (Habermas 1991), respektive der Diskurstheorie des Rechts (Habermas 1992). Habermas präsentiert darin keineswegs einen als solchen unkonventionellen Wertbegriff: grundlegende Zuschreibungen wie die Transitivität der Werte (Habermas 1992: 315) decken sich mit denjenigen Luhmanns; Werte werden übereinstimmend mit kulturwissenschaftlichen Konzeptionen mit überlieferter Tradition sowie übereinstimmend mit psychologischen Konzeptionen mit dem Streben nach Selbstverwirklichung (Habermas 1991: 109) assoziiert. Die von Parsons beschriebene Übersetzung eines dominanten kulturellen Wertmusters oder Ethos in konkrete, rechtsverbindliche Normen wird hingegen problematisiert. Solche Übersetzungsversuche, insbesondere auf Ebene des Verfassungsrechts, sind für Habermas weder kompatibel mit dem Rechts- und Normbegriff, noch wünschenswert. Habermas lässt sich damit als Radikalisierer einer soziologischen Tradition sehen, die einen vom Wert zumindest stark emanzipierten, eigenständigen sozialintegrativen Nutzen in der (moralischen) Norm oder Regel (vgl. Durkheim 1967 [1893]: 391-406) erblickt.

Während die Verfassungsgerichtsbarkeit in den USA und Deutschland auf die besonders grundlegenden und durch historische Gesellschaftsveränderungen gewachsenen Entscheidungsprobleme dieser höchsten juristischen Ebene teils mit Hilfe von „Hintergrundnormen“, respektive der Vorstellung vom Grundgesetz als einer „konkreten Wertordnung“ reagiert hat, beharrt Habermas darauf, dass Rechte nicht an Werte assimiliert werden dürfen (Habermas 1992: 307-310). Normen und Werte unterscheiden sich nämlich „erstens durch ihre Bezüge zu obligatorischem bzw. teleologischem Handeln; zweitens durch die binäre bzw. graduelle Kodierung ihres Geltungsanspruchs; drittens durch ihre absolute bzw. relative Verbindlichkeit und viertens durch die Kriterien, denen der Zusammenhang von Norm- bzw. Wertsystemen genügen muss (ebd.: 311)“. Entsprechend deutlich sind auch „Grundrechte“ von „Grundwerten“ zu trennen (ebd.: 312-313). Ein Verfassungsgericht, das sich als Wertejudikatur begreift, verwandelt sich aufgrund der Interpretationsspielräume, die es nutzen kann, in eine autoritäre, potenziell mehrheitsoppositionelle Instanz (ebd.: 314-315). Stattdessen sollte sich auch die höchste juristische Ebene an der Norm orientieren, die ihre Gültigkeit einem Verallgemeinerungstest verdankt – könnten alle in der Gesellschaft ihre Befolgung wollen? (vgl. ebd.: 200) – und ihre Hauptaufgabe in der Überprüfung der Normgenese unter den Bedingungen einer massenmedial vermachteten Öffentlichkeit sehen, also im Prozeduralen der demokratischen Rechtsschöpfung (ebd.: 315, 322).

Wer womöglich unter den Bedingungen eines öffentlich spürbaren, massiven Wertewandels aufgewachsen ist, muss eine wichtige Konnotation der Habermas’schen Wertkonzeption zur Kenntnis nehmen: die, dass es zumindest in der Justizelite des späten zwanzigsten Jahrhunderts offenbar überwiegend Beharrungskräfte sind, die sich erfolgreich auf Werte berufen (Habermas 1992: 313; vgl. 1991: 91). Habermas scheint den entsprechenden konservativen Unterton des Wertbegriffs im Grunde zu akzeptieren: der Wert ist Ergründungshilfe dessen, was man ist und sein möchte (Habermas 1991: 103), wird von einer historischen Gemeinschaft in der Bewusstwerdeung ihrer authentischen Lebensweise (Habermas 1992: 201) bemüht und heisst ein spontanes Verständnis seines teleologischen Charakters als "Zukunftsgerichtetheit" naiv, indem er primär in die Vergangenheit weist.

Die Spielräume der Wertejudikatur werden von den Beharrungskräften typischerweise zu nutzenabwägenden Urteilen im Rahmen einer materialen Güterethik und zu Verweisen auf Tradition oder eingebürgerte Gewohnheit genutzt, während rechtliche Verallgemeinerungstests im Interesse von Minderheiten ausbleiben. Auch Habermas’ Sorge um die Rechte von Minderheiten wächst sich allerdings nicht zu Illusionen darüber aus, dass es bei allen Verbindungsmöglichkeiten zwischen Wert und Bedürfnis die vergleichsweise „Unbedürftigen“ sind, auf die sich nicht allein die Wertejudikatur, sondern auch die Diskursethik mit ihrem Rechtsbegriff am besten stützen kann:

„Wer immer in einer halbwegs ungestörten Familie aufgewachsen ist [...] muss eine Art von moralischen Intuitionen erworben haben [...] (Habermas 1991: 78; Hervorhebungen E.A.).“

Während Habermas zu Recht auf die Gefahr eines konservativen Bias der Wertejudikatur verweist, mag er den Anteil dieses Konservativismus unterschätzen, welcher etwa in der heute für ihre Käuflichkeit berüchtigten Justiz der USA auf die „moralischen Intuitionen“ derer zurückzuführen ist, die durchaus in einer „halbwegs ungestörten Familie“ aufgewachsen sind, dieses Privileg aber auch in der nächsten Generation vor allem dem eigenen Nachwuchs sichern möchten (indem es die Überindividualität aller Moral nicht überall gleich weit über das kleine Universum der erweiterten Familie oder der kinship hinausschafft, vgl. Parsons & Shils 1951: 172-175).

Hinter Habermas’ Trennungsgebot von Norm und Wert steht die deontologische Tradition in der Moraltheorie, welche moralische Gebote von vornherein einer teleologischen Deutung entzieht (Habermas 1992: 190). Kants kategorischer Imperativ ist Teil dieser Tradition, während die klassische aristotelische Ethik insofern teleologisch war, als sie das Gute in der Perspektive eines damit verbesserten Lebens zu erfassen versucht hat (Habermas 1991: 81; Baechli & Graeser 2000: 104-108). Habermas räumt ein, dass auch moralische Normen Werte oder Interessen verkörpern, „aber nur solche, die in Anbetracht der jeweiligen Materie verallgemeinerungsfähig sind (Habermas 1992: 190)“. Konstitutiv für solche Normen ist damit der absolute Geltungsanspruch der Gerechtigkeit (ebd.).

Indem bei Habermas der eigentliche Akt der Rechtsschöpfung im rationalen Diskurs liegt, gilt es, den Unterschied zwischen Wert (, Zweck) und Norm auch bei den Fragen zu berücksichtigen, mit denen sich Diskurse überhaupt beschäftigen können. Die Unterschiede lassen sich den Schwerpunkten dreier moralphilosophischer Traditionen, dem Utilitarismus, der aristotelischen Ethik und der kantischen Moraltheorie analog verstehen. Pragmatische Fragen sind solche der geeigneten Mittelwahl bei bereits gegebenen Zielen. Sie werden zum Beispiel unter Gesichtspunkten der Effizienz entschieden. Ethische Fragen befassen sich mit dem, was auf lange Sicht „gut für uns“ ist. Sie werden vor allem unter dem Gesichtspunkt überlieferungsgestützter Rekonstruktionen dessen, was wir sind und in Zukunft sein möchten, entschieden. Moralische Fragen befassen sich hingegen damit, wie wir unser Zusammenleben im gleichmässigen Interesse aller regeln können. Sie werden unter dem Gesichtspunkt der Verallgemeinerungsfähigkeit entschieden und verbieten es kategorisch, Gerechtigkeit nur als Wert neben anderen Werten zu sehen. Allerdings sind solche Fragen der Verallgemeinerungsfähigkeit in der Praxis so schwer zu klären, dass sie einen separaten Anwendungsdiskurs erfordern (Habermas 1992: 196-200; 1991: 100-118, 137-142). Sache des juristischen Diskurses ist schliesslich vor allem die Prüfung neuen Rechts auf Kohärenz mit dem bestehenden (Habermas 1992: 207). Alle genannten Diskurse sind für die Rechtsschöpfung relevant.

Habermas’ Diskursethik befasst sich nicht so sehr mit einer weiteren Klärung des soziologischen Wertbegriffs an sich, als mit der Klärung von dessen Aussenbeziehungen und Anwendungsgrenzen unter eindeutig normativem statt nur deskriptivem Gesichtspunkt. Zentrales Gebot wird ihr dabei, anders als bei Parsons, die Nichtassimilierung moderner rechtsstaatlicher Normen an Werte. Wie sein mehr deskriptiv argumentierender „Widersacher“ unter den tonangebenden deutschen Theoretikern des späten zwanzigsten Jahrhunderts, Luhmann (vgl. 2.3.3.), möchte Habermas damit der Wertrationalität bei der weiteren Ausformung der Kerninstitutionen moderner Gesellschaften Schranken setzen. Worum es geht, ist eine Funktionsbegrenzung des Wertes: dieser soll soziales Handeln nur anleiten dürfen, soweit der (nebst Autonomie) einzig relevante, von ihm separat zu denkende moralische Imperativ der Gerechtigkeit, das heisst der Verallgemeinerbarkeit des Rechts, nicht tangiert oder relativiert wird.

An eine grundsätzliche Schwierigkeit, die dieser Konzeption innewohnt, soll hier kurz erinnert werden (auf eine Vielfalt möglicher Einwände hat Habermas im sechsten Teil seiner Erläuterungen zur Diskursethik zu reagieren versucht; Habermas 1991: 119-226). Wir können als Menschen sicher wünschen, dass unsere Moral eine absolute, universell gültige Setzung sei und sie einfach entsprechend definieren. Es bleibt aber dann auffällig, dass alles mit ihrer Hilfe gesetzte Recht sich problemlos auch teleologisch erklären lässt, zum Beispiel: „das neue Eherecht soll alle Minderheiteninteressen mitberücksichtigen damit es keine destabilisierende Gruppenkonflikte in der Gesellschaft heraufbeschwört.“ Alle Moral könnte somit auch aus Werten, nicht aber umgekehrt jeder Wert aus einer Moral erklärt werden. Die Trennung und bevorzugende Abhebung des Richtigen vom Guten durch die Deontologie (Habermas 1991: 83) sollte somit nicht als tiefere Ergründung der Natur von Moral und Wert missverstanden werden (vgl. auch Joas 1997: 286-288). Als Willensakt, der das natürliche genealogische Verhältnis der beiden im Gegenteil zu maskieren und umzukehren versucht, hofft sie vielmehr eine bessere Bewältigung der im Vergesellschaftungsprozess gewachsenen Herausforderung menschlichen Zusammenlebens zu erzwingen. Im Hinblick auf dieses auch bei Nichtthematisierung vorgegebene Ziel ist sie denn auch ungeachtet ihres möglichen metaphysischen, universalistischen oder absolutistischen Begründungspathos’ "nichts weiter" als zweckrational.

2.3.5 Synopse soziologischer Wertkonzeptionen

Werden die dargestellten Beispiele soziologischer Wertkonzeptionen auf ihre – im Vergleich zu den psychologischen und kulturwissenschaftlichen Konzeptionen – exklusiven Charakteristika hin geprüft, lassen sich mindestens folgende spezifisch soziologischen Verständnisse und Tendenzen feststellen:

(1)
Selbst auf desaggregierter Ebene interessieren oft nicht menschliche Individuen als Träger von Wertmustern. Letztere werden vielmehr an Rollen, an Subkollektive oder soziale Subsysteme gekoppelt. Neben einer vor allem systemtheoretisch-funktionalen Begründbarkeit deckt sich dies unter anderem mit der Alltagserfahrung, dass man am Arbeitsplatz, auf dem Sportplatz oder zu Hause "einfach ein anderer Mensch" ist. Die unzähligen Realisationsvarianten von Wertmustern hängen offensichtlich nicht (nur) am Organismus oder einer repräsentierten Kultur. Damit zusammenhängend, nutzt ein Teil der Soziologen eine aus der Erwartung abgeleitete Wertdefinition.

(2)
Die Akzentverschiebung von der individuellen auf die soziale Ebene bedeutet im Wertebereich eine Akzentverschiebung von direkten Bedürfnisbefriedigungen auf indirekt-instrumentelle Befriedigungen. Ein grosser Teil der als Gesellschaftsmitglied erfahrbaren Gratifikationen erscheint damit abhängig von kollektiv gestalteten und gestaltbaren Verteilungsmodalitäten. Der weitaus grössere Teil alltäglicher individueller Handlungen erscheint als Produkt von Internalisationen – und wird damit aus dem Überlebensziel des Sozialsystems besser erklärbar als direkt aus individuellen Überlebenszielen. In radikaler Sichtweise ist nicht einmal eine besondere Harmonie oder Rücksichtnahme zwischen Systemwerten und individuellen Werten vonnöten, um zum Beispiel die Funktionsfähigkeit von Organisationen zu gewährleisten.

(3)
Die aus der Erfahrung mit einfachen (individuellen) Handlungssystemen genährte Vorstellung "erhabener Zwecke" und zu deren Erreichung notwendiger "blosser Mittel" wird bei der Betrachtung komplexer Sozialsysteme relativiert. Zunehmende soziale Komplexität erhöht die Eigenbedeutung von Mitteln, von instrumentellen gegenüber terminalen Werten. An Stelle eines nur zur Erreichung eines Systemzwecks gesicherten Systemfortbestands tritt der nur dem Systemfortbestand dienende, auswechselbar gesetzte Systemzweck. Organisationen lernen Motivierungstechniken für ihre Mitglieder losgelöst von fixen Motiven. Die sozialintegrative Wertfunktion gewinnt gegenüber der handlungsleitenden Wertfunktion an Bedeutung. Darüber hinaus zeichnet sich das kybernetische Funktionspotenzial von Wertmustern ab: sie scheinen immer stärker als (bewusst veränderbares) Instrument zur Erreichung von Regelungszielen, respektive optimaler Umweltanpassung, in Frage zu kommen – obschon ein perfekter Opportunismus Prinzipien der Systembildung widersprechen würde und insofern unmöglich ist.

(4)
Soziologische Versuche, häufig dem Wert zugeschriebene Funktionen und Eigenschaften definitorisch auf Nachbarbegriffe zu verschieben, haben unter anderem die Norm, die Regel, den Zweck, den Sinn, das Recht und die Moral samt ihren begrifflichen Derivaten bevorzugt – wobei letztere drei besonders bei stärkerem Anknüpfen an traditionelle Philosophie und Ethik genutzt werden. Eine durch einflussreiche Soziologen wie Luhmann und Habermas konstatierte, respektive geforderte Bedeutungsverminderung des Werts in modernen Gesellschaften lässt sich nicht völlig losgelöst von solchen bewussten Verschiebungen verstehen. Als problematisch für die soziale Handlungsorganisation mittels Werten wird vor allem die Transitivität der Wertordnungen gesehen. Allerdings haben sich die bisherigen soziologischen Versuche, den Wert analytisch und definitorisch-normativ in engere begriffliche Schranken zu verweisen, als mässig erfolgreich erwiesen. So war Max Webers Versuch, nur einen von vier Idealtypen sozialen Handelns unmittelbar an den Wertbegriff zu knüpfen von der Verwendung von Begriffen bei den anderen drei Idealtypen begleitet, die sich in der seitherigen Geschichte der Sozialwissenschaften als mit Werten aufs engste verbunden (u.a. Tradition, Affekt) oder in ihrer behaupteten Beziehung als analytisch nicht durchzuhalten (strenge Zweck-Mittel-Unterscheidung) erwiesen haben.

Inhalt


3. Unterwegs zu einem zukunftsfähigen Wertbegriff

3.1 Folgeprobleme von Subjekt-Objekt-Konfusionen

Die vielfältigen unter 2.1. bis 2.3. besprochenen Wertkonzeptionen müssten es ermöglichen, die wichtigsten bei diesen Konzeptionen immer wieder auftauchenden Probleme und Ungereimtheiten zu identifizieren und auf dem fortzusetzenden Weg der Sozialwissenschaften zu einem zukunftsfähigen Wertbegriff zu vermeiden.

Im Folgenden wird argumentiert, dass sich diese wichtigsten Probleme und Ungereimtheiten als Spielarten einer Subjekt-Objekt-Konfusion begreifen lassen. Ihr Hauptgrund ist der, dass sich das allgemeine Subjektivitätsproblem in der Wissenschaft – erwünscht sind möglichst objektive Erkenntnisse, doch gewonnen werden können diese nur mit Hilfe forschender Subjekte – bei der Erforschung von Wert und Wertsystem in eigentümlich verschärfter und diesbezüglich leicht unterschätzter Weise stellt. Insofern Subjekt nämlich Identität bedeutet, fällt zumindest ein zu erfassendes Objekt Wertmuster der Art nach mit ihm zusammen: Wertmuster sind selbst Identitäten – individuelle oder kollektive.

Als erste Variante lässt sich die Subjekt-Objekt-Konfusion beim Berücksichtigungsversuch eines wissenschaftlichen "Gebotes der Wertfreiheit" im Anschluss an Max Weber problematisieren. Die dem forschenden Subjekt nahegelegte Maxime der Wertfreiheit (realistisch scheint nur ihre näherungsweise Realisierung) wird in diesem Fall auf die Seite der Untersuchungsobjekte projiziert und als Aufforderung verstanden, Werte und Wertsysteme als solche Objekte zu meiden. Intuitiv dem Wert zuschreibbare Funktionen und Eigenschaften werden so weit als möglich in jeweils fachtypische Nachbarbegriffe ausgelagert, wodurch gerade kein Instrument gewonnen wird, eigene Erkenntnisse auf ihren Wertgehalt hin kritisch zu reflektieren. Zu den fachspezifischeren Folgen zählen eine von vielen als ungenügend empfundene Abhandlung des Wertes durch die Psychologie und wahrscheinlich auch seine erst ungenügende Enttabuisierung als mögliches freiheitlich-rationales Steuerungsmedium durch die Soziologie (Hillmann 2001: 37; Luhmann 1973: 126-128).

Diese erste Variante der Subjekt-Objekt-Konfusion wäre eigentlich deutlich von den Kernproblemen zu trennen, die im Rahmen der beiden Auflagen des Werturteilsstreits in der Soziologiegeschichte diskutiert wurden: inwieweit Werturteile in der Wissenschaft durchaus erlaubt, respektive unvermeidlich sind. Doch wurde durch den angeheizten Eifer der Distanzierungsversuche vom Werturteil die beschriebene Verwechslung des subjektiven Werts und des Werts als Objekt offenbar gefördert, beziehungsweise die nicht wirkliche Tangiertheit des Werts als Objekt durch das Wertfreiheitspostulat gern übersehen (vgl. Kmieciak 1976: 28, 32).

Eine zweite Variante der Subjekt-Objekt-Konfusion dürfte vorliegen, wo Theoretiker sich gezwungen zeigen, den Wert bei Inkaufnahme von Zirkularität, Beliebigkeit und unterschiedlichen Schweregraden des metaphysischen Obskurantismus an die Bedingung gegebener "höherer Ebenen" der Wunsch- oder Bedürfnisreflexion zu knüpfen.

Die schon beim Pragmatisten Dewey unbefriedigende Abhebung eines für wünschenswert Erkannten von lediglich Gewünschtem (vgl. Clark 2002), die von Kluckhohn et al. (1951) wieder aufgenommen wird, ist ein vergleichsweise harmloses, dafür jahrzehntelang viel zu breit und wohlwollend rezipiertes Beispiel der lediglichen Verschiebung des Wert-Bestimmungsproblems auf eine nächste Ebene. Andere geraten auf ihrer Queste nach einem über einfache Bedürfnisse maximal erhabenen (vgl. Kmieciak 1976: 161-162), normativen Wertbegriff in eine immer noch höher geschraubte Spirale um higher order volitions (vgl. Joas 1997: 200-203, 167-171), Stufen der Rationalität und – im Übergang zum Rechtsdiskurs – der Moraliät (vgl. Habermas 1991: 49-53), dass vor allem subjektive Präferenzen, Ideologien und wiederbelebte religiöse Traditionen Raum bekommen, sich in den komplexen resultierenden Bedingungsgebäuden einzunisten. Da der Drang auf vermeintlich immer höhere Ebenen eine notgedrungene Spezialität stärker triebgehemmter Zeitalter war – in denen auch das okzidentale Vorhaben, sich die Erde untertan zu machen, technologisch noch in einem mittleren Stadium steckte und eine Überlegenheit des Menschen über „den Mechanismus der Natur“ (Kant 1980 [1788]: 140) ohne Unterlass affirmiert werden musste – wird es für die zeitgenössischen Projektoren solcher Normvorstellungen in den Wertbegriff naheliegend, auf viel angejahrte, aber kaum klassische Philosophie (vgl. Joas 1997: 58-85, 133-161) zu verweisen. Bleibt dann von dem bemühten moralphilosophischen Diskursbombast lediglich eine Kernbehauptung übrig, das Gefühl enthülle die Objektivität unserer Wertmassstäbe (Joas 1997: 204), wirkt das etwas kleinlaut. Denn die Emotion ist eigentlich das, was wir mit einfacheren Lebewesen ganz bestimmt gemeinsam haben. Werden als wertobjektivierende Gefühle nur Varianten des moralischen Sentiments anerkannt, steigt der Verdacht auf, man begebe sich damit nur in die nächste Spirale der normativen Anspruchsüberlastung des Wertbegriffs, diesmal über vorgestellte Stufen der Emotionalität, um über jeden Preis so etwas wie eine Strukturlüge (schonend formuliert: einen identitätsbestimmenden Text) in den Wertbegriff zu zwingen.

Eine zur Bestimmung des Wertbegriffs einmal herangezogene Unterscheidung von Reflexivitätsgraden straft die so Vorgehenden dadurch ab, dass sie als Prinzip sofort unersättlich wird. Erklärungsbedürftig wird, weshalb gerade eine Bedürfnisreflexivität oder Volition erster und nicht zweiter, dritter oder vierter Ebene (vgl. Joas 1997: 202), oder aller Ebenen ausser der nullten, oder einer sonstigen bestimmten Ebene, wertkonstitutiv sein soll. Anstelle des vermeintlich besonders ergründeten wird gerade ein besonders beliebig wirkender Wertbegriff gewonnen. Wird unter "der" höheren Ebene fix die Reflektiertheit einer Strebung auf ihren gesellschaftlichen statt nur individuellen Nutzen verstanden, wären alle Werte moralische Werte. Die Vielzahl möglicher Zwischenaggregationsebenen zwischen Individuum und Gesamtgesellschaft würde aber das Problem aufwerfen, ab wann Bedürfnisse ausreichend gesellschaftlich wären, um Wert heissen zu dürfen. Kann "die" höhere Ebene eine beliebige Reflexionsstufe über einem spontan Gewünschten sein, dürfte auch eine bestimmte Süssspeise Wert heissen, nachdem ihr Verzehr auf seine Kompatibilität mit einem individuellen Diätprogramm geprüft und also unter einem Aspekt des Sollens oder Dürfens reflektiert worden wäre. Ob solche Zuordnungsergebnisse wirklich die Konstipation von Wertkonzeptionen mit "Wollungen" (Joas 1997: 201) und ähnlichem Mehrebenen-Ballast lohnen, ist zweifelhaft (vgl. Habermas 1991: 50-51).

Inwiefern sind diese kritisierten Metaebenen-Versuche das Produkt einer Subjekt-Objekt-Konfusion? Es wird vorgeschlagen, sie als Projektion einer gegenüber spontanen oder einfachen Bedürfnissen besonders stark gehemmten eigenen Identität in das seinerseits identitätsstiftende und deshalb mit der eigenen Identität leicht verwechselte Bestimmungsobjekt "Wert" zu betrachten. Der Frage, was es denn für typische Persönlichkeiten sind, denen wir weltweit beachtete wissenschaftliche Theorie verdanken, sollte im fraglichen Zusammenhang nicht ausgewichen werden. Es sind ohne Zweifel Persönlichkeiten mit einer zumeist starken "Gewissensforderung" (vgl. Freud 1982a [1931]: 269-272) als typische Vorbedingung grossen, schwerpunktmässig gemeinwohlorientierten Arbeits- und Publikationsfleisses, sowie mit erheblichem Abstraktionsvermögen, der mitunter zum Abstraktionszwang gesteigert sein kann. Innerhalb der Gruppe erfolgreicher Wissenschaftler könnten die mit ethischen und moralphilosophischen Fragen besonders befassten Disziplinen eine nochmalige positive Selektion "überich-dominierter" (ebd.: 270) Forscherpersönlichkeiten bedeuten. Solche Persönlichkeiten dürften erstens ihre überdurchschnittliche Abstraktionstendenz und ihr hohes normatives Anspruchsniveau im Wertebereich ein Stück weit verzerrend (vgl. Friedlander 1965: 17) in ihre Modellierungen realer Wertfunktionen und -strukturen projizieren (über diese Tendenz in der kantianischen, leider nicht auch christlichen Tradition vgl. Joas 1997: 40), wobei der Übergang zu bewusstem Missionieren "über den Begriff" (als gute gesellschaftliche Absicht, aber wohl wissenschaftlich verfehltes Mittel), fliessend sein dürfte. Zweitens zeigt die Konsultation des Symptomkatalogs von Neurotikern, bei denen der Gewissens- oder Zwangstypus ins Pathologische gesteigert ist, auch ein überdurchschnittliches Vorkommen der steten Wiederholung, des ritualistischen Ordnens und Säuberns sowie Erniedrigungsbedürfnisse anderer unter das Eigene (WHO 2005: 231, 164), die ohne Zweifel Grausamkeitstendenzen gegenüber dem Kreatürlich-Einfachen (Freud 1982a: 99) einschliessen. Der Zusammenhang zwischen der strengen Erziehung englischer Aristokraten und ihrer Präferenz für quälerischen Pferde- und Jagdsport, und so weiter, ist in seiner Aufdeckung längst triviale Hommage an die (Kultur-)Psychoanalyse geworden – weniger thematisiert wird hingegen der Zwang vieler stark mit Moralfragen befasster Wissenschaftler (insbesondere, wie bereits in der Bezeichnung anklingt, mancher Metaphysiker), jede Frage unter dem primären Ziel einer Erhebung des Menschen über eine ihm äusserlich gedachte Natur, Tierwelt und Körperlichkeit abzuhandeln (vgl. Joas 1997: 30-31, 200-201; Bahrdt 2000: 51). Was wissenschaftlich damit gewonnen wird, ist oft schleierhaft, aber die Praxis selbst liesse sich auch in etwas bedeutungsverschiebendem Aufgriff des Ressentiments aus Nietzsches Genealogie der Moral (Nietzsche 1921: 283-480) erklären. Gemeint wäre hier nicht unbedingt ein spezifisch aufs Christentum gemünztes Ressentiment, sondern einfach das Ressentiment dessen, der immer noch primär (und uneingestanden) aus Zwang und Furcht vor Strafe sowie nach detaillierter Fremdanleitung gut und vor allem recht handelt – gegenüber allen Wesen, die er für frei von solch quälender Pflicht hält.

In Joas’ höchst lehrreichem Versuch über die Entstehung der Werte wird auf Nietzsches im Christentumsbezug eingeführte Ressentiment-These mit dem Hinweis (Max Schelers) reagiert, es gebe als christlichen Moralgrund auch die überfliessende Liebe und das Sichherabneigen des Edlen zum Unedlen, des Guten zum Schlechten, usw. (Joas 1997: 45-46). Die Alternative zur Missgunst gegenüber dem Starken und Freien wäre somit eine Liebesform, die eine Welt aus Edlen und Unedlen, Guten und Schlechten, Reichen und Armen, und die richtige Positionierung des Liebenden in derselben, um sich herabneigen zu können, voraussetzt. Damit wird, unfreiwillig, genau das oben angedeutete Doppelbedürfnis des Moralisten bürgerlich-abendländischer Prägung bestätigt: Selbsterhebung über andere und Ressentiment. Für das Bürgertum als historische soziale Klasse war eine hierzu optimale Position über dem gemeinen Volk einerseits und unter dem Adel andererseits gegeben. Beim Geistesheroen (vgl. Hillmann 2001:36), den Joas als grosse Alternative zu Nietzsches Moralkritik einführt, William James, erweist sich dann folgende fragwürdige Überwundenheit des Ressentiments einerseits und des Wunsches nach Selbsterhebung andererseits: „’... und wenn wir selbst anstelle der Gottheit wären, würde es uns wahrscheinlich ganz besonderes Vergnügen machen, Gläubigen dieses Schlags ihre ewige Belohnung zu versalzen’ (Joas 1997: 69)“.

Am bedauerlichsten scheint angesichts solcher Evidenzen nicht einmal der Versuch eines Wiederhineinzwängelns mühsamst überwundener Normativität christlicher Vorprägung in moderne wissenschaftliche Wertkonzeptionen – sondern ein bizarr tief scheinendes Niveau gerade der religiös-ethischen Empfindsamkeit, die bei Joas als Objektivationsinstanz für Werte propagiert wird. Selbst im „nichtversalzenen“ Fall wäre im obigen Zitat von James das Himmelreich noch explizit als ewige Belohnung, also als Auszahlung einer Prämie durch Gott für frommes Leben, empfunden. Auch abgesehen von der Anbetung eines als Sadist verstandenen Gottes und der genüsslichen Denunzierung anderer Menschen Glaubensform scheint somit gerade einmal die Sensibilität einer Krämermoral erreicht. Wie kann man sich die Nichtproblematisierung einer augenscheinlich so hämisch-infantilen, mitgefühllosen Theologie ausgerechnet bei einem Fürsprecher der (religiösen) Wertempfindungen als Gewissheit gebenden Quellen objektiv existierender Werte erklären? (Über die theologischen Probleme, mit denen sich zum Vergleich der hochbegabte Pastorssohn Nietzsche als 10- bis 14jähriger auseinandergesetzt hat, siehe Nietzsche Absconditus von Schmidt 1991.) Ein Pauschalurteil wäre hierzu sicher verfehlt und würde der im Ganzen stark differenzierenden Hermeneutik in Joas’ Werk nicht gerecht. Jedoch soll aus der bescheidenen Sphäre quantifizierender Sozialforschung zumindest ein interessanter Hinweis erwähnt werden. In einer empirischen Studie an der Universität Zürich mit über 600 Befragten hat sich gezeigt, dass die höchste Akzeptanz von Gefühlsurteilen zu einem die Gemeinschaft betreffenden Thema bei Probanden gegeben war, in denen das Thema in Tat und Wahrheit gar keine Gefühle auslöste (Albert 2005: 140-143).

Ein naheliegendes Heimterritorium des metaphysischen Speziesismus – bei welchem zentrale philosophische Begriffe primär in den Dienst einer grösstmöglichen Erhebung der Spezies Mensch über andere Wesen gestellt sind – und seiner Bezugnahme auf höhere Ebenen der Handlungsreflexion ist der Persona-Diskurs (vgl. Joas 1997: 200; Spaemann 1996). Die vorherrschende antike Sichtweise war noch, dass Persona analog der bloss aufgesetzten Maske (prosopón) eines Schauspielers rasch ab- und der Mensch dadurch wieder in seine ehrliche Natur zurückfalle (vgl. Brasser 1999: 29-32; Spaemann 1996: 26-32). Mit der christlichen Instrumentalisierung des ursprünglichen Theaterbegriffs Persona zur Bewältigung von Auslegungsschwierigkeiten des Neuen Testaments seit Tertullian (vgl. Brasser 1999: 33-39; Spaemann 1996: 32-38) wurden die normativen Forderungen an Personen (vor allem hinsichtlich Rationalität und sozialer Kommunikativität) dann zunehmend als auch empirisch exklusiv menschliche Gegebenheiten behauptet und behandelt. Jedoch sind bei Spaemanns neuerem Versuch dieser Tendenz keine der über 250 Seiten ausgebreiteten Personeneigenschaften mit Sicherheit nur beim Menschen gegeben. Mensch-Tier und Mensch-Maschinen-Vergleiche werden ritualistisch statt analytisch zur Reproduktion und Affirmation speziesistischer Vorurteile (inklusive völligem Ignorieren der sozialen Existenz von Herdentieren) herangezogen und von der einen ungenügenden Persona-Bedingung wird jeweils auf die nächste verwiesen (vgl. Spaemann 1996). Entsprechend anwendbar auf Spaemann ist die Kritik Dennetts (1983) an normativen Personbegriffen. Sechs bekannte "notwendige Bedingungen" der Personalität erweisen sich in der philosophischen Analyse weder gemeinsam noch einzeln als auch hinreichende Bedingung. Sie verweisen lediglich in folgender Reihenfolge aufeinander weiter: (1) Personen sind vernünftige Wesen. (2) Personen handeln intentional. (3) Personen werden von anderen als solche behandelt. (4) Personen behandeln andere als solche. (5) Personen sind kommunikationsfähig. (6) Personen sind selbstbewusst (Dennett 1983: 23-25). Besonders aufschlussreich ist bezüglich Wertorientierung des Handelns die Analyse der Intentionalitätsbedingung. Es lässt sich mit Beispielen zeigen, dass auch Tiere über Intentionalität zweiter Ordnung verfügen (Intentionen im Bezug auf Intentionen). Weicht der Mensch nun im Selbstprivilegierungsbedürfnis auf die Bedingung einer Intentionalität dritter Ordnung aus, zeigt sich wiederum mit Beispielen, dass diese nicht bei allen Menschen in Normalsituationen vorausgesetzt werden kann (ebd.: 25-33). Dennett zeigt korrekt, dass die Zuschreibung der Eigenschaft Person an gewisse Wesen oder Systeme unter Ausschluss anderer Wesen oder Systeme nicht über die entsprechenden Privilegierungswünsche hinaus begründbar ist. Von dieser Tatsache lässt sich nur ablenken, indem von einer allein unzureichenden oder nicht sicher erfüllten Bedingung auf eine nächste solche (und letztlich im Kreis herum) verwiesen wird. Höchst verdächtig macht sich daher jede Elaboration des Personabegriffs mit Hilfe vieler angesprochener Bedingungen. Unter der Voraussetzung normativer Personenbegriffe (die, wie Luhmann zeigt, immerhin nicht die einzigmöglichen sind; vgl. Luhmann 1995: 142-154) zeichnet sich ab, dass bisher noch niemand sicher - oder ganz -  Person war (Dennett 1983: 42).

Zusammenfassend sollten die Versuche, den Wert normativ an die Bedingung gegebener "höherer Ebenen" der Wunsch- oder Bedürfnisreflexion zu knüpfen, als eine latente speziesistische Metaphysik erkannt werden, die auf einem ihrer Heimterritorien, dem philosophischen Personadiskurs, keineswegs besser zu überzeugen vermag als an den Berührungsstellen sozialwissenschaftlicher Wertforschung und geisteswissenschaftlicher Ethik. Bereits über den Begriff realisierte normative Spannungen mögen "erzieherisch" oder "motivierend" wirken, doch passen sie nicht mehr in das heutige Wissenschaftsgebäude, welches seine soziokulturellen Interventionsversuche gegenüber einer legitimierungsberechtigten Öffentlichkeit wenn schon als Programm deklariert, vor einer Intervention aber mit Vorteil auf in sich nicht moralisch aufgeladene Begriffe zugreift, die entsprechend kompatibler mit (insbesondere postmetaphysisch begründeten) wissenschaflichen Nachbardisziplinen kommunizieren. Ein existierendes Reich der Geltung neben demjenigen der Faktizität (vgl. Habermas 1992) darf nicht Ausrede sein, bei seiner Beschreibung gleich mitzubestimmen, was gelten soll. Um Wertsystem-Realisationen als normative Potenziale optimal abbilden zu können, sollte der Wertbegriff selbst so wenig wie möglich normativ aufgeladen sein – dies ist die hier vertretene zentrale Idee. Sicherlich hat sie – wie schon Max Webers leicht missverstandene Forderung der „Wertfreiheit“ – ihrerseits normativen Charakter, doch was vertreten wird, ist eine konstitutive Forderung des wissenschaftlichen Subsystems selbst, nicht dessen Kolonisierung durch ihm äusserliche Ethiken. Ebenso wird nicht einfach die positivistische Position im wissenschaftshistorischen "Werturteilsstreit" vertreten: Werturteile in der Wissenschaft werden als unvermeidlich und erlaubt betrachtet – sie erfordern lediglich ein geeignetes begriffliches Instrumentarium zu ihrer Reflexion und Deklaration.
Selbstverständlich darf es nicht verboten sein, mögliche "natürliche Werthierarchien" auf empirischer Basis zu entdecken und zu beschreiben, wie das Maslow oder – unter Verwendung des Zielbegriffs – zum Beispiel ein neuerer Beitrag von Emmons (1996) versuchen. Als normative Verzerrung soll hier nur gelten, was bereits den Wertbegriff unter normative Spannung setzen möchte und damit antideliberativ wirken muss, indem Deliberation breit anerkennbare Begriffe voraussetzt. Maslow handelt wissenschaftlich, indem er vom einfachen physiologischen Bedürfnis (aber in wiefern ist dieses eigentlich "einfach"?) bis zu Bedürfnissen der Selbstverwirklichung und der überindividuellen Wohlfahrt allen Strebungen zunächst den gleichen begrifflichen Status zuerkennt und eine – nicht simplizistisch-spekulativ auf Reflexionsebenen reduzierbare – Ordnung erst später, so gut es geht empirisch, über graduelle Unterschiede, begründet. Seine Werthierarchie wurde immer wieder falsifiziert, doch erfüllt sie eben das Gebot der Falsifizierbarkeit. Damit soll keinem naiven Empirizismus das Wort geredet werden. Normativ überladene Wertbegriffe haben zu wohlfeil von der analytischen Bequemlichkeit ihrer vermeintlich einzigmöglichen Alternative, einer (utilitaristisch fundierten) Wertkonzeption als „blosser Präferenz“, (vgl. Dose 1997: 220) profitiert. Die Nichtunterwerfung des Wertbegriffs unter vorgegebene Moralsysteme mag bei der Bezeichnung als blosser Präferenz ein Nutzen sein, doch werden durch diese Wortwahl zu stark prinzipielle Nichterklärbarkeit des Wertes und behavioristische Selbstdispensierung von Interpretationsleistungen evoziert.

Für die Soziologie ist die Berücksichtigung „höherer Ebenen“ im Rahmen der Unterscheidung von Mikro-, Meso- und Makroebenen des Handelns, respektive der Berücksichtigung einer jeweils anderen solchen Ebene auf der einen Ebene unverzichtbar und charakteristisch. Eine Auffassung moralischen Handelns als individuelles Handeln, welches kollektive Wohlfahrt – habitualisiert, überzeugungs- und affektfundiert, auch ohne aktuelle Belohungsaussicht – einbezieht (und umgekehrt als kollektives Handeln, das individuelle und Minderheitenbedürfnisse mitberücksichtigt), ist nur ein Beispiel für die berechtigte Unterscheidung verschiedener Ebenen im Wertkontext. Gerade diese notwendigen Unterscheidungen entfalten ihren analytischen Nutzen jedoch am ungestörtesten und interdisziplinär kompatibelsten bei weitestmöglicher Freihaltung des Wertbegriffes selbst von eingebauter normativer Spannung in Folge von Subjekt-Objekt-Konfusionen des zweiten hier vorgestellten Typs.

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3.2 Vorgeschlagener Wertbegriff

Nachdem beschrieben wurde, welche Manifestationsformen von Subjekt-Objekt-Konfusionen von einem zukunftsfähigen sozialwissenschaftlichen Wertbegriff möglichst fernzuhalten sind, soll nun unter dem Eindruck der konsultierten Vielzahl von Konzeptionen aus mehreren Fachbereichen ein empfehlbarer solcher positiv bestimmt werden.

Bezüglich Erkenntnissen aus dem Vergleich psychologischer Konzeptionen interessiert der Wert sicher als Massstab, nicht als Messung. Als Gemessenes oder Gut interessiert er nur insofern ein solches zum Massstab der Beurteilung anderer Güter erhoben werden kann, das heisst, insofern Gemessenes und Massstab fliessend ineinander übergehen. Aussagen zur Hierarchisierbarkeit der Werte kommen als Gegenstand empiriegestützter Begründungsversuche in Frage, doch seien sie nicht bereits Teil der eigentlichen Wertbegriffsbildung. Aussagen zur stärker "sozialen" oder "biologischen" Herkunft der Werte oder eines Wertes mögen nützliche heuristische Funktionen erfüllen, doch legt die vertiefende Reflexion offen, dass die eine Herkunft nicht strikt von der anderen geschieden werden kann. Hinter der vermeintlich rein egoistischen Verfolgung einer individuellen Triebbefriedigung stehen die überindividuelle Natur dieser Triebe, ihre auch kollektiven Funktionen und ihre vermutlich überwiegend über den Erfolg des Kollektivs erfolgte genetische Selektion; hinter der vermeintlich rein sozialen Herkunft eines moralischen Wertes stehen umgekehrt dessen mögliche Ableitbarkeit aus individuellen Sicherheits-, Affiliations-, Intimitäts- oder Spezialisierungsbedürfnissen. Soll wenigstens heuristisch an „biologischen“ und „sozialen“ Wertursprüngen festgehalten werden, könnte ihnen noch ein "synthetischer" Wertursprung hinzugefügt werden. Dieser könnte auf die Prozesse der Ausdifferenzierung neuer Bedürfniskombinationen oder Bedürfnisse durch die lernenden Handlungssysteme oder auch auf künstliches Hervorrufen von Bedürfnissen in Zielgruppen (etwa mit Mitteln der Werbung) verweisen. Auch dieser Bedürfnisursprung lässt sich aber nicht strikt abtrennen, schon weil wohl alle neue Bedürfnisse auf bestehenden (und ihren Gratifikationsstrukturen) aufbauen müssen.

Der Einbezug kulturwissenschaftlicher Wertkonzeptionen unterstreicht die nicht scharfe Trennbarkeit angeborener und sozial erlernter Werte in Form des klassischen kulturanthropologischen Befundes, dass der Mensch als besonders leicht lernender Organismus bereits biologisch zur Internalisierung einer Kultur vorbereitet und kaum mit unabänderlichen "Instinkten" ausgestattet ist. Dies entspricht nicht einer metaphysischen Mystifizierung der menschlichen Spezies, sondern vielmehr ihrer Charakterisierung über graduelle Differenzen zu selbst im Hinblick auf ihren Gebrauch einer wertvermittelnden Sprache grundsätzlich vergleichbaren anderen Wesen und Systemen.

Die Berücksichtigung soziologischer Wertkonzeptionen unterstreicht den bereits kulturwissenschaftlichen Befund, dass besonders auf kollektiver Ebene neben der handlungsleitenden Funktion des Wertes eine integrierende und eine umweltadaptive Funktion bedeutsam wird. Ausser Individuen und ganzen Gesellschaften oder Kulturen erweisen sich auch etwa Rollen und Subkollektive wie Organisationen als Träger von Wertsystemen. Eine scharfe Abgrenzung blosser Mittel von damit verfolgten Endzwecken erweist sich mit zunehmender Komplexität von Handlungssystemen als desto weniger möglich, respektive: die Bedeutung der in Anlehnung an einfache Systeme angenommenen "blossen Mittel" wächst tendenziell mit dieser Komplexität.

Ein interdisziplinär informierter sozialwissenschaftlicher Wertbegriff, der nicht a priori unter normative, deliberationshemmende Spannung zum Beispiel religiöser Provenienz gesetzt werden soll, liesse sich in Form des Wertes als "blosser Präferenz" gewinnen. Diese im Utilitarismus fussende Praxis würde jedoch der nahezu überall erkannten, ausgeprägt temporalen oder teleologischen Natur des Wertes nicht gerecht. Suggeriert würde seine nicht weitere Erklärbarkeit über erfahrenes Vergangenes und projektiertes Zukünftiges. Eine solche scheint aber gar nicht zu beklagen und entspräche im behaupteten Fall eher selbstverordneter Blindheit seitens des Forschers.

Vielversprechender scheint daher ein definitorischer Zugang über das Bedürfnis, in dem eine temporale Spannung bereits angelegt, aber eine normative Spannung noch vermieden ist.

Verfehlt wäre es, Wert und Bedürfnis direkt gleichzusetzen. Jedoch lässt sich der Wert dem Bedürfnis als „sein“ Objekt gegenüberstellen. Objekt muss hierzu ausreichend breit, nämlich als etwas Vorstellbares beliebiger Abstraktionsstufe und –art konzipiert werden. Insofern jedes Bedürfnis Defizit gegenüber seiner Befriedigung ist und der Vorgang der Befriedigung ein Minimum an Zeit verbraucht, ist der Wert teleologisch. Insofern er als Objekt vorgestellt werden muss – sei es auch diffus – und die Vorstellung Erfahrung voraussetzt, ist er erfahrungsabhängig. Im Hinblick auf Simmel und die Ökonomie scheint es durchaus sinnvoll, wenn mit einem Begriff des Werts als Objekt im weitesten Sinn (ausnahmsweise) auch physische Gegenstände erfasst werden können – schliesslich kann alles Gemessene zum Massstab erhoben werden. Vorstellbarkeit des Objekts bedeutet allerdings noch nicht Vorgestelltheit in jedem Fall von Wertaktivität. Mit dem Einschluss auch unbewusster, vom werttragenden System nicht jederzeit artikulierbaren Werten wird etwa Klages' Beschreibung Rechnung getragen, dass Werte „bis zur Impulshaftigkeit entformt und entdifferenziert“ sein können (Klages 2002). Eine neben der affektiven stets angenommene kognitive Komponente des Wertes ist denn auch nicht zwingend mit Wertbewusstheit gleichzusetzen, sondern kann jeglichen Einfluss des Wertes auf kognitive Prozesse meinen.

Gegner des Verweises auf Bedürfnisse haben über dessen vermeintliche Evokation ausschliesslich "niederer", physiologisch-homöostatisch oder sonst "reinbiologisch" bedingter, schnelle Befriedigung suchender, beziehungsweise nicht kognitiv reflektierter Strebungen argumentiert (vgl. Kmieciak 1976: 158-172). Dafür scheint nach heutigem Sprachgebrauch keinerlei Anlass mehr gegeben. Bedürfnisse scheinen sich vielmehr als gemeinsame Kategorie "einfachster" und (moralisch) "erhabenster" individueller oder kollektiver Strebungen anzubieten. Sie berücksichtigen exakt jene auszuhaltende, potenziell beunruhigende und realistische Eigenschaft von Werten, sich in einem kontinuierlich verändernden Nebeneinander mit anderen, thematisch und moralisch unterschiedlichsten Werten um die aktuelle Handlungsdeterminierung zu konkurrenzieren – ihre Fähigkeit, vom hungrigen Herfallen über eine Speise bis zur "selbstlosen" Spende für den Schutz von Kunstdenkmälern in einem fernen Land an allen erdenklichen Handlungsvorbereitungen beteiligt zu sein. Bedürfnisse scheinen die Möglichkeit einer Befriedigung zu implizieren, doch scheint es – gerade im Hinblick auf die intensive Wertkonkurrenz – nicht im mindesten notwendig, dass eine spezifische solche je vollständig oder dauerhaft erreicht wird. Kollektive können selbstverständlich Bedürfnisse haben – es wäre sonst schwerlich zu beobachten, dass sie solche, zum Beispiel an Demonstrationen, einhellig artikulieren. Vielleicht am Aussagekräftigsten ist aber das stete, hartnäckige Wiederauftauchen des Bedürfnisses (need) in allen hier berücksichtigten Fachrichtungen, wo sie sich um den Wertbegriff bemühen – namentlich auch dort, wo angestrengt versucht wird, vom Bedürfnis nur auszugehen und rasch zu erhabeneren Wertmetaphern vorzudringen. Äusserst bezeichnend sind die Abschnitte, wo Parsons und Shils den personalen need-dispositions die sozialen role-expectations gegenüberstellen. Bei der näheren Erläuterung der role-expecations erweist sich, dass "each of these assures that some need [sic!] of the social system will be met" (Parsons & Shils 1951: 92). Die Heranziehung des needs erweist sich in diesem Beispiel als gar nicht geeignet, eine individuelle und soziale Handlungsebene voneinander abzugrenzen, weil es auch auf der sozialen Ebene offenbar um Bedürfnisse geht. Ähnlich argumentiert Kmieciak zunächst leidenschaftlich für die Trennung von Wert und Bedürfnis, um dann gegen Ende des entsprechenden Kapitels selbst die Möglichkeit einer Konvergenz der Wert- und Bedürfnisforschung einzuräumen, respektive Prioritätssetzungen zwischen den beiden als durch einen ideologisch-philosophischen Hintergrund mitdeterminiert zuzugeben (Kmieciak 1976: 169). Zu Auffassungen, wonach Werte etwas von Bedürfnissen grundsätzlich zu Unterscheidendes seien, merkt Rudolph an, dass die in die Persönlichkeitsstruktur integrierten kulturellen Werte zu einer "neuen Kategorie von 'Bedürfnissen'" und "als Bedürfnis empfunden" werden (Rudolph 1959: 166). Lediglich die bekannteste Konzipierung des Wertes als Quasi-Synonym des Bedürfnisses scheint daher diejenige Maslows und, an ihn anschliessend, Ingleharts zu sein.

Soll der Wertbegriff selbst nicht unter normativer Spannung stehen, wie ist dann sein Verhältnis zur Moral und zur Norm? Moralität als durch verschiedene Werte unterschiedlich stark verkörperte Eigenschaft, in einem System die Integrations- und Stabilitätsbedürfnisse eines übergeordneten Systems wahrzunehmen, wirkt bei Parsons als recht gelungene Auffassung. In ihrer Abstraktion und relativen Sterilität tritt sie der Gefahr eines durch spezifische kulturelle Moralen verzerrten Verständnisses entschlossen entgegen. Sie könnte eventuell durch den Zusatz ergänzt werden, dass ein Kollektiv umgekehrt besonders moralisch orientiert ist, wenn es die Bedürfnisse von Individuen, beziehungsweise Minderheiten berücksichtigt. Es liesse sich dann generalisieren, dass moralische Werte solche sind, die System- oder soziale Aggreagtionsebenen – in beide Richtungen – mit dem Effekt harmonischerer Interaktion dieser Ebenen transzendieren. Diese Eigenschaft ist bei kaum einem Wert überhaupt nicht gegeben (sogar das krude individuelle Sexualbedürfnis hilft durch Sicherung von Nachkommenschaft das soziale System stabilisieren), aber auch nur bei einigen Werten in ganz hohem Mass. Allerdings dürfte auch schon die Berücksichtigung von Bedürfnissen anderer Systeme gleicher Ebene Moralität bedeuten – einfach mit horizontaler statt vertikaler Integrationsleistung.

„Normative Werte“ wären hingegen (im Gegensatz zu den oben kritisierten normativen Wertbegriffen) eine unglückliche Formulierung, weil Norm und Recht eher Werte in verfestigter Form sind. Statt eine geeignete thematische Zuordnungsvariable für Werte darzustellen, scheint Normativität gleichsam ein anderer „physikalischer Aggregatszustand“ derselben. Dies ist jedoch nicht einfach als grössere Starrheit oder für einen längeren Zeitraum gültig erklärte „Momentaufnahme“ eines Wertsystems zu verstehen. Vielmehr ist in Anlehnung an Habermas’ Diskursethik festzustellen, dass der verfestigte Zustand die Eigenschaften von Normen und Rechten gegenüber Werten fundamental verändert – ähnlich wie ein gefrorener Fluss, der chemisch auch nur aus Wasser besteht, aber als Ganzes durch sein Gefrorensein einen weitgehenden Austausch seiner nutzbaren Eigenschaften erfahren hat (er wird etwa zu Fuss überquerbar, aber ist nicht mehr schiffbar). In Hans Joas' treffenden mündlichen Vortragsworten (15.9.06) sind Normen restriktiv, Werte attraktiv.

Gesatztes Recht ist immer auf Werte rückführbar, doch kann es in einer aktuellen Auflage Wertvorstellungen aus verschiedenen Jahrtausenden kombinieren. Dass es aufgrund seiner Rückführbarkeit auf „flüssige“ Werte selbst in seinem Kernbereich auch anders verfasst sein könnte, wird traditionell als ausreichend beunruhigend empfunden, um, etwa bei religiösen Kodizes, strukturelle Maskierungen dieser Rückführbarkeit auf Werte in Kulturen zu fördern. Mythen wie die göttliche Herkunft der zehn Gebote vom Berg Sinai oder eigens praktizierte Auslegungswissenschaften belegen die halbbewusste Sorge von Eliten, dass die Kontingenz identitätsbestimmender normativer Texte zu vielen Kulturmitgliedern evident, respektive die Trägheitsstabilisierung von Gesellschaften aus ihrem Rechtsnukleus heraus bedroht werden könnte.

Die Geisteswissenschaften gruppieren sich möglicherweise insgesamt um diese Maskierungsfunktion und damit um den Personabegriff, weshalb der gesellschaftliche Umgang mit Geisteswissenschaftern die bekannte eigentümliche Mischung von wissenschaftlicher Geringschätzung und einer gewissen Ehrfurcht zeigt. (Ihre Forschung wird nicht in gleicher Weise ernst genommen wie "exakte", technisch-naturwissenschaftlich orientierte, doch ihre Position in den altehrwürdigsten Räumlichkeiten der Universitäten ist meist unantastbar, indem Verharren, Trägheit und Stabilität ihre zentrale, als unabdingbar befürchtete Funktion selbst zu sein scheint). Zwar ist die Notwendigkeit, überhaupt Recht zu setzen, Folge von Problemen des Zusammenlebens, was zu vielen interkulturellen Ähnlichkeiten grundlegender Rechtsinhalte führt. Doch ist die letzte Eigenschaft von Recht (im Vergleich zu den Werten), dass es gesatzt ist, nicht einer seiner Inhalte. Wertsysteme könnten aufgrund ihrer im Allgemeinen erheblichen Trägheit und so vielleicht doch etwas grösseren Nähe zu gesatztem Recht als zu purer Opportunität auch anschaulich als "zähflüssig" beschrieben werden.

Als ethisch kann der Wert per se gelten. Es wird aufgrund der kulturellen Dominanz eines spezifischen Wertsystems lediglich kontraintuitiv, manche Werte als „ethisch“ zu denken.

So weit sei den antiken Bearbeitungen charakteristischer Probleme der Wertforschung im Rahmen der Ethiken – vor allem Aristoteles' nikomachischen –, Rechnung getragen. Konform ist die Annahme aber auch mit Aristoteles' konkreter, von Platon, den Stoikern und Epikureern abweichenden Erkenntnis, dass es keine universale, sondern nur eine wesensabhängige Idee des Guten gibt, und dass alle Werte oder Dinge in ihrer jeweils eigenen Weise gut sind (vgl. Bächli & Graeser 2000: 100-110).
Somit kann es sinnvoll sein, von moralischen, nicht aber von normativen oder ethischen Werten zu sprechen. Werden, wie bei den Pionieren der General Theory of Action, den moralischen Werten die ästhetischen und kognitiven zur Seite gestellt, sollte bedacht werden, dass hinter diesen angenommenen Modi nichts anderes als ein jeweiliger grundlegendster Wert steht, also das Moralisch-Gute, Schöne oder Wahre. Die Auffassbarkeit als Modi hat lediglich damit zu tun, dass die betreffenden Werte so breit, abstrakt und "seinsnah" sind, dass massive Bedeutungsüberlagerung zwischen ihnen gegeben ist und auch ihre alltagsprachliche Trennung entsprechend unscharf ausfällt: der (grundsätzlich ästhetisch orientierte) Geniesser eines musikalischen Werks mag ein besonders gelungenes als "das Wahre" deklarieren, während der Gutachter einer wissenschaflichen (grundsätzlich aufs Wahre zielenden) Studie mit methodisch sauber gewonnenen und eindeutigen Ergebnissen beim Durchlesen vielleicht "schön" murmelt. Noch universeller scheint fast nur noch der Sinn, der sich hier grob und ohne weitere Elaboration als Summe aller Werte, als höchstrangiger Wert oder als der teleologische Gehalt jegliches Seienden erwägen lässt.

Wenn der Wert bei vielen Theoretikern unbeliebt ist, von ihnen gern aus dem Gesichtsfeld gewischt wird und trotzdem als kaum ersetzlicher Begriff immer wieder aus demselben hervor- sowie aus allen Richtungen in dasselbe hineinragt, muss er etwas Fundamentales mit der Realität zu tun haben – nicht zuletzt wohl seine beunruhigende Mobilität und Relativität im Wertmuster. Dieses Fundamentale dürfte spätestens auf neurophysiologischer Ebene – dem menschlichen Gehirn als eher flexiblem, im Lebensverlauf konstruierten, stark mit direkten potenziellen Verbindungen von allem zu allem arbeitenden (statt mit lauter vordefinierten Hierarchien strukturiertem) Netzwerk – beginnen, wenn nicht bereits auf kosmischer Ebene eines materiellen Orientierungsraums ohne erkennbares, göttlich vorgeschriebenes "Oben" und "Unten". Eher als eine anspruchsvolle Metaphysik rettet vielleicht die krude Empirie die Vorstellung generell wichtigerer und unwichtigerer Werte, da befragte Mitglieder einer Gesellschaft durchaus ein gewisses Mass an übereinstimmender Zuordnung zu solchen Kategorien bezeugen können (freilich auch als Spätwirkung früherer, von Eliten zum Kanon erhobener Metaphysiken). Doch bedeutet die erwähnte Wertmobilität und -relativität womöglich eine Art "vierte grosse Kränkung" der naiven Eigenliebe der Menschheit. Erstens hatte sich die Erde bereits nicht als Mitte des Alls erwiesen (Kopernikus), zweitens der Mensch als vom Tier abstammend (Darwin) und drittens das Ich nicht als Herr im eigenen Haus (Freud) seines Seelenlebens (vgl. Kramer 2003: 235). Die vierte Kränkung würde darin bestehen, dass der Mensch auch bei Aufgabe der Vorstellung eigener Wichtigkeit und Suche des Erhabenen ausserhalb seiner selbst ein unzweifelhaftes solches dortselbst nicht zu seiner Orientierung und einmütigen Inspiration vorbereitet findet. Die schon recht indirekte Form von Wichtigkeit, das unzweifelhaft Vorbildliche und Richtungsweisende erblicken zu dürfen, scheint ihm also ebenfalls nicht gegeben, so sehr sich dies in die positive Formulierung abändern liesse, wonach es sein Auftrag ist, es noch zu finden, bescheidener: sich darüber zu einigen.

Die umrissenen Ingredienzen des hier empfohlenen allgemeinen Wertbegriffs lassen sich in je einem struktur- und funktionsbetonenden facettierten Definitionssatz (Borg 1992: 134-136) verdichten. (Mit der Aufteilung in zwei Sätze wird eine nützlich erachtete analytische Leitunterscheidung bis in diese Verdichtungsform verlängert.) Definitionsbestandteile grösster Wichtigkeit wurden unterstrichen (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Auf zwei facettierte Definitionssätze verteilter empfohlener Wertbegriff
 

[Schwerpunkt Struktur:]

Wert ist das Objekt beliebiger Abstraktionsstufe und -art
(physischer Gegenstand / Zustand / Eigenschaft / Ereignis usw.),
Generalisationsstufe
(Einzelobjekt bis Objektkategorie)
und Bewusstseinsstufe
(unbewusst internalisiert bis vollbewusst-artikuliert)
eines sich kognitiv und affektiv manifestierenden
(individuellen / rollenspezifischen / organisationalen / kollektiven / kulturellen usw.)
Bedürfnisses
gleich welchen überwiegenden
("biologischen" / "sozialen" / "synthetischen") Ursprungs
sowie gleich welcher Dringlichkeit, Stillbarkeit und assoziierten Stillungserwartung.


[Schwerpunkt Funktion:]

Wert bildet als Massstab mit wandelbarer Einflussstärke unter beliebigen anderen solchen Massstäben mit diesen ein Wertmuster,
das mit einer mittleren bis grossen, "zähflüssigen" Kontinuität
für die Bedürfnisträger Komplexität reduziert
(Wahrnehmung steuert / Welt ordnet / Einstellungen bündelt / Erfahrung integriert),
Identität stiftet,
Handlung im Rahmen situativer Möglichkeiten unterschiedlich direkt
(unmittelbar / durch instrumentelle Zwischenstufen vermittelt) determiniert
sowie transsituativ stabilisiert,
Systemgrenzen und -ebenen unterschiedlich stark integrativ transzendiert,
Normierungsprozesse alimentiert
sowie eine unperfekte fortbestandssichernde Adaptation an eine veränderliche Umwelt vornimmt.

 

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Inhalt


Fussnoten

[1] Schon in frühen, enthusiastischen Anhängerkreisen des "Umwerters aller Werte", Nietzsche, respektive einer von ihm inspirierten europäischen Bohème um 1900 (vgl. Kolbe 1987: 168-193) erneuerte sich immer wieder die tragikomische Situation, dass die aus ästhetischer Bejahung eines ursprünglichen "starken" Lebens herrührenden Verweigerungen vorherrschender Moral und der Versuch, trotz tiefsitzender Wohlerzogenheit Wildheit, Rücksichtslosigkeit und aristokratische Herrlichkeit ins Werk zu setzen, überwiegend auf Nachteile und öffentliche Lächerlichkeit für die Berauschten hinausliefen und diesen gewissermassen den Status heroischer Immoralisten verliehen, die etwas vom Charme des macchiavellinischen Florenz oder des Dschungels in das auf ganz andere Weise "gnadenlose", stahlharte Gesellschaftsgehäuse der Neuzeit (Weber 1993[1905]: 153) zu retten versuchten. Stellvertretend für so manches zivilisationsüberdrüssige Mitglied der Moderne blickt etwa die einst vom Münchner Kreis um Stefan George angebetete Franziska zu Reventlow zurück: „Was hab’ ich davon, wenn ich abends dionysisch herumrase, und mir wie ein Halbgott vorkomme, und am nächsten Morgen doch wieder mit der Trambahn ins Büro fahren muss (Kolbe 1987: 183)“.

[2] Je mehr PsychotherapeutInnen sich in einer Gesellschaft somit verständnisvoll unsere individuellen Leidensgeschichten anhören, desto unangebrachter dürfte deren mitunter gepflegter professioneller Gestus einer wissend-überlegenen Repräsentation von Gesundheit und Ausgewogenheit nach universellen Massstäben sein – da das System, als dessen VertreterInnen sie in der Therapiesituation wirken, offenbar gerade ein besonders integrations- und sozialisationsunfähiges ist, das nicht selten parallel ein übermässig ausgebautes Heer polizeilichen und privaten Sicherheitspersonals hervorbringen dürfte.

[3] Die Institutionalisierung der Rolle des Sozialtechnologen könnte dabei mit einer von Luhmann erkannten, latenten zivilen Religiosität der Soziologie, die allerdings auf ganz andere Niveaus als derzeit erkennbar, zu heben wäre, brauchbare Symbiosen eingehen. Mögliche Inspirationsquellen aus der Zone wissenschaftskompatibler Hochreligionen wie dem Buddhismus scheinen gegenwärtig im Schalldruck eines neuen globalen Trivialschemas, dem christlich-islamischen Antagonismus (der vor allem eine gegenseitige Amplifizierung gemeinsamer kultureller Schwachpunkte bedeuten könnte) unterzugehen.

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Last update: 21 Jan 14

 

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