Grundzüge und Entwicklung der sozialen Arbeit Professionalisierung von Sozialpädagogik
1. Einleitung 2. Begriffsgeschichtliche Entwicklung von „Arbeit“ und „Beruf“ 3. Soziologische Professionskonzepte 4. Definition, Handlungsbereiche und Entwicklung von Sozialpädagogik und Sozialarbeit 5. Theoreme zum Verhältnis von Sozialpädagogik und Sozialarbeit 7. Soziale Arbeit als Profession? 8. „Neuere“ gesellschaftstheoretische Prämissen der Sozialen Arbeit 9. Ausblick
1. Einleitung Oftmals werden die Arbeitsfelder der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit zusammengefasst unter dem Begriff der Sozialen Arbeit. Die Profession Soziale Arbeit ist, als Einheit von Sozialarbeit und Sozialpädagogik, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden (vgl. Wendt 1995; Hering/Münchmeier 2000, in Kleve 2004). Zu dieser Zeit wurden sozial helfende Tätigkeiten mehr und mehr verberuflicht. Doch was genau steht für den Begriff der Sozialen Arbeit? Und wie hat sich dieses Tätigkeitsfeld im deutschsprachigen Raum entwickelt und professionalisiert? Nach dieser Einleitung als erstes Kapitel wird im zweiten Kapitel die begriffsgeschichtliche Entwicklung von „Arbeit“ und „Beruf“ erläutert, und im dritten Kapitel werden fünf soziologische Professionskonzepte vorgestellt. Anschliessend folgt im vierten Kapitel eine Darstellung zu den Definitionen, Handlungsbereichen und Entwicklungen von Sozialpädagogik und Sozialarbeit. Im fünften Kapitel werden dann sechs Theoreme zum Verhältnis von Sozialarbeit und Sozialpädagogik dargelegt. Weiter wird im sechsten Kapitel auf das Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit genauer eingegangen, und im siebten Kapitel die Frage untersucht, ob und wie Soziale Arbeit als Profession zu verstehen ist. Im achten Kapitel werden „neuere“ gesellschaftstheoretische Prämissen der Sozialen Arbeit dargestellt, und abschliessend wird im neunten Kapitel ein Ausblick auf die weitere Entwicklung im Berufsfeld der Sozialen Arbeit gezeigt. 2. Begriffsgeschichtliche Entwicklung von „Arbeit“ und „Beruf“ Im Folgenden soll zunächst die Begriffsgeschichte von Arbeit und Beruf skizzenhaft beschrieben werden, um anschliessend die klassischen und neueren soziologischen Professionalisierungskonzepte zu erläutern. Berthold Brechts schlichte Definition „Arbeit ist alles, was keinen Spass macht“ (Brecht 1961, in Warsewa 2006: 275), ist nicht nur ein Ausdruck der zeitgenössischen Deutung von Arbeit in den 1940er Jahren, sondern auch eine entsprechend simple Beschreibung der Auffassung von Arbeit bei den alten Griechen und Römern, die den Arbeitsbegriff für Knechte, Sklaven, Fremde und im Krieg bezwungene Feinde reservierten (vgl. Kurtz 2002: 9; Bonβ 2001: 331). Der Begriff wurde ursprünglich weit enger gefasst und mit schwerer körperlicher Arbeit gleichgesetzt, die ihrerseits grundsätzlich negativ bewertet wurde (Bonβ 2001: 331). Hannah Arendt verweist durch die Trias der menschlichen Tätigkeiten (Arbeiten, Herstellen und Handeln) auf den zwanghaften, notwendigen und sogar „unproduktiven“ Charakter der Arbeit. „Denn es ist ja gerade das Kennzeichen der Arbeit, dass sie nichts objektiv Greifbares hinterlässt, dass das Resultat ihrer Mühe gleich wieder verzehrt wird und sie nur um ein sehr Geringes überdauert.“ (Arendt 2002: 104) Die Auffassung, körperliche wie auch Lohnarbeit entehre den Menschen, änderte sich erst mit der Verbreitung des Christentums, bzw. des neuen Testaments bei Personen, die „ihrer Arbeit wegen zu den sozial deklassierten und diffamierten Menschen gehören“ (Oexle 2000: 69, in Kurtz 2002: 10). Luther hatte das griechische Wort für „Arbeit“ mit „Beruf“ ersetzt, welches mit dem religiös aufgeladenen Begriff der „Berufung“ konnotiert war (vgl. ebd.). Zu dieser Zeit, also im 13./14. Jahrhundert, begann sich die Idee von der „Arbeit als Vergesellschaftungsmoment“ zu entfalten (vgl. Bonβ 2001: 332). Die Vorstellung von „Vergesellschaftung über Arbeit“ ist jedoch nicht unumstritten und lässt sich mindestens durch zwei verschiedene Lesarten interpretieren (vgl. ebd.: 334). Einerseits kann sie unter Verweis auf die soziologischen Klassiker, mit sozialer Statuszuweisung gleichgesetzt werden, wobei davon ausgegangen wird, dass die Statuszuweisung in Abhängigkeit von der Arbeitsteilung erfolgt (vgl. ebd.: 334f.). Andererseits wird von der zweiten Lesart die zusätzliche Bedingung gestellt, dass die Arbeit zu einem zentralen kultur- und persönlichkeitsprägenden Merkmal werden muss, um von einer „Arbeitsgesellschaft“ zu sprechen (ebd.: 335). Im Fokus steht hier überwiegend die soziale Integration und Exklusion durch Erwerbs- bzw. Lohnarbeit (ebd.). Berufe gewährleisten gewissermassen die „marktförmige Zurichtung des Arbeitsvermögens“ (Heidenreich 1999: 36). Sie erleichtern sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern die Orientierung am Arbeitsmarkt, wodurch auch die überbetriebliche Anerkennung und die zwischenbetriebliche Transferierbarkeit von Qualifikationen ermöglicht wird (vgl. ebd.). Berufe versteht man mitunter als institutionalisierte Muster der Zusammensetzung und Abgrenzung spezialisierter Arbeitsfähigkeiten, die gewöhnlich mit einem eigenen Namen genannt werden (vgl. Brater / Beck 1983: 209, in Heidenreich 1999: 37). In den mittelalterlichen und frühmodernen beruflichen Vereinigungen der städtischen Bürgerschaft wurde der Beruf zum Distinktionskriterium (vgl. Kurtz 2002: 11). „In der geburtsständischen Gesellschaft galt der Beruf als ein zugeschriebener sozialer Status: Berufliche Tätigkeiten mussten zwar erlernt werden, aber nicht jeder konnte und durfte sie erlernen. Erst im Zuge der Aufklärung ist die Berufsidee säkularisiert worden.“ (ebd.) Der deutsche Begriff „Beruf“ hatte zwei Bedeutungen, für die es in anderen Sprachen je einen Begriff gab: Profession, als eine dem Lebensunterhalt dienende Tätigkeit, und Vokation, als die persönliche Berufung zu einer Aufgabe (ebd.). Die Vorstellung von göttlicher Berufung wurde im deutschen Idealismus zu Gunsten einer Begabungstheorie verworfen (vgl. ebd.). Mit Max Webers berühmter Protestantismusstudie lassen sich die Folgen der modernen Berufsethik für die kapitalistische Ökonomie nachvollziehen. In seinem Monumentalwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ definiert er den Beruf sehr allgemein als „jene Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person [...], welche für sie Grundlage einer kontinuierlichen Versorgungs- oder Erwerbschance ist“ (Weber 2006: 149). In Anschluss an die Berufskonzeption Webers wird der Beruf als Schnittstelle zwischen Ökonomie und Erziehung begriffen (vgl. Kurtz 2002: 28). Unter systemtheoretischen Prämissen wird innerhalb des Berufs zwischen einer pädagogischen Seite (Bildung / Qualifikation) und einer wirtschaftlichen Seite (Arbeit / Erwerb) unterschieden (ebd.: 29). Eine andere Möglichkeit, den Beruf als „analytische Kategorie einer soziologischen Gesellschaftstheorie“ (ebd.: 30) zu konzipieren, rekurriert auf Emile Durkheim und begreift den Beruf als Schnittstelle zwischen Ökonomie und Moral (ebd.: 18). Hierbei wird oftmals von Richard Münchs Theorie des Handelns (1982) ausgegangen. „Das System der Berufsarbeit bildet die Interpenetrationszone zwischen Ökonomie und Moral. Als Brücke trägt es die moralischen Anforderungen in die Ökonomie und die ökonomischen Notwendigkeiten in die Moral hinein“ (Münch 1994: 390, in Kurtz 2002: 28). Aus dieser Perspektive besteht kein Verdacht auf eine Entmoralisierung des Berufs. Nur die Form der Ethik habe sich verändert, „und zwar von einer traditionalistischen Pflichtethik zu einer modernen Ethik der Selbstverwirklichung und Selbstverantwortung“ (Kurtz 2002: 28) [1] Unter dem Stichwort der Individualisierung wird oftmals die Relativierung der zentralen Bedeutung des Berufs in der soziologischen Ungleichheitsforschung betont (vgl. ebd.: 36). Zu den prominentesten deutschen Verfechtern von Lebensstil-, Lebenslage- oder Milieukonzepten gehören zum Beispiel Stefan Hradil oder Ulrich Beck, denen jedoch zum Teil auch vorgeworfen wird, für ihre Aussagen keinerlei empirische Belege vorweisen zu können (ebd.: 37). Mayer / Blossfeld (1990: 311, in Kurtz 2002: 37) argumentieren sogar, „dass von einer Ablösung bzw. Abschwächung von Klassenstrukturen und Schichtungstendenzen keine Rede sein kann“. Trotz kontroverser Auffassungen über den Stellenwert des Berufs als Faktor sozialer Ungleichheit lässt sich sagen, dass die traditionellen Schichtkriterien Beruf und Bildung nach wie vor als ausschlaggebende Unterscheidungsmerkmale fungieren (vgl. Kurtz 2002: 43ff.). Zusammen mit dem Einkommen spricht man von einer so genannten „meritokratischen Triade“ (Kreckel 1992: 94ff., in Berger / Konietzka 2001: 10f.), „in der die gesellschaftlichen „Realabstraktionen“ Bildung, Beruf und Einkommen in der Regel so miteinander verknüpft werden (sollen), dass Bildungsanstrengungen den Zugang zu einer beruflichen Position oder Karriere erlauben und die erreichte berufliche Stellung es dann ermöglicht, ein eigenständiges (Markt-)Einkommen zu erzielen“ (Berger / Konietzka 2001: 10, Hervorheb. i. O.). Dieses Argumentationsmuster ist die wichtigste Grundlage für die Rechtfertigung von Ungleichheiten der Berufs- und Erwerbschancen. Das Leistungsprinzip versagt jedoch bei der Legitimation von Chancenungleichheiten, die nicht auf Unterschiede der individuellen Leistung zurückführbar sind (vgl. ebd.: 10f.). In den 1930er Jahren sind die
Professionen zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung geworden (vgl.
Carr-Saunders / Wilson 1933; Parsons 1939/1964, in Kurtz 2002: 47). Man kann
sagen, dass die „Professionen ein Phänomen des Übergangs von der ständischen
Gesellschaft des alten Europa zur funktional differenzierten Gesellschaft der
Moderne sind und dass sie vor allem darin ihre gesellschaftsgeschichtliche
Bedeutung haben“ (Stichweh 1996: 50, in Kurtz 2002: 47). Zur wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Professionen gibt es verschiedene soziologische Professionskonzepte, von denen fünf Positionen im folgenden Kapitel dargestellt werden. 3. Soziologische Professionskonzepte In der Soziologie gibt es zahlreiche paradigmatische Professionskonzepte. Überblickend lassen sich sieben Kriterien festmachen, die als Merkmale zur Bestimmung professioneller Berufsgruppen gelten (vgl. Cogan 1953, in Kurtz 2002: 49): [2] 1. Die Berufsangehörigen sind in einem selbst verwalteten Berufsverband organisiert. 2. Der Berufsverband stellt spezifische Verhaltensregeln in Form einer Berufsethik auf, an die die Professionellen in ihrer Praxis gebunden sind. 3. Die Professionstätigkeit ist durch eine besondere Wissensbasis gekennzeichnet, deren Vermittlung in der Regel in der Hand des Berufsverbandes liegt. 4. Die professionelle Arbeit ist ein Dienst an der Allgemeinheit und auf zentrale gesellschaftliche Werte (Erziehung, Gerechtigkeit, Gesundheit, Seelenheil etc.) bezogen; mit dieser Gemeinwohlorientierung ist das Postulat einer eher altruistischen denn egozentrischen Dienstmotivation verbunden. 5. In der asymmetrischen Beziehung zwischen Professionellen und Klienten fungieren erstere als Experten und können weitgehend autonom entscheiden und gestalten; sie haben ein hohes Verantwortungsbewusstsein für ihre Klienten, erwarten von diesen aber auch Vertrauen in ihre fachliche Kompetenz und moralische Integrität. 6. Durch die hohe Autonomie und Verantwortung geniesst die professionelle Arbeit ein hohes Mass an gesellschaftlicher Wertschätzung. 7. Den professionellen Berufen ist in der Regel öffentliche Werbung untersagt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Professionen war lange Zeit eine ausschliesslich angloamerikanische Domäne (vgl. Kurtz 2002: 49f.; Daheim 1992: 21; Dewe et.al. 1986: 163). Die drei klassischen Positionen sind der Strukturfunktionalismus, der symbolische Interaktionismus und der machttheoretische Ansatz, die im Folgenden um den strukturtheoretischen Ansatz und eine kurze Darstellung des systemtheoretischen Professionsmodells mit Bezug auf die Soziale Arbeit ergänzt werden sollen. 3.1 Strukturfunktionalismus Der von Talcott Parsons
mitbegründete und später weiterentwickelte Strukturfunktionalismus „interessiert
sich für die von den einzelnen Professionen abgedeckten gesellschaftlichen
Zentralwerte (z.B. Erziehung, Gerechtigkeit, Gesundheit, Wahrheit etc.) und
sieht im Wertkonsens den eigentlich professionsgenerierenden Faktor (vgl. Goode
1957/1972; Parsons 1968). Die Problembearbeitung mit Klienten führt nur dann zur
Entwicklung von Professionen, wenn die angestrebte Lösung der Probleme eine hohe
gesellschaftliche Wertschätzung geniesst und besondere kognitive Fähigkeiten
erfordert.“ (Kurtz 2002: 50) Professionen sind für Parsons Institutionen der
Wertrealisierung, die die Funktion haben, die Differenz von Normativem und
Faktischem im Sozialsystem zu überwinden (ebd.: 23). Dabei korrespondiert der
Professionalisierungsprozess mit dem gesamtgesellschaftlichen
Rationalisierungsprozess (vgl. Parsons 1968: 545, in Kurtz 2002: 22; Dewe et.
al. 1986: 173). Parsons kritisiert die Idee einer angeblich altruistischen Motivation von Professionen, und verweist auf das hohe Mass an Kollektivorientierung bei Ärzten, woraus er einen massgeblichen Unterschied zu anderen Berufen schliesst (vgl. Daβler 1999: 30ff.). Die funktionalistische Argumentation geht von einer Art solidarischen Vertrags zwischen Klienten und Professionellen, bzw. zwischen der Gesellschaft und dem Kollektiv der Professionellen aus, in dem die Professionellen mit Vertrauen und Reputation, sowie überdurchschnittlichen Einkommenschancen honoriert werden, indem sie sich der kollegialen Selbstkontrolle ihres professionellen Ethos verpflichtet fühlen (vgl. Merten / Olk 1994: 4f., in Gall / Hitz 1996: 69). Das strukturfunktionalistische Professionsmodell analysiert bestehende Professionen hinsichtlich ihrer Funktion für den Erhalt von bestehenden gesellschaftlichen Strukturen. „Gefahr einer solchen Betrachtungsweise ist der funktionalistische Fehlschluss, der darin zu sehen ist, dass bestehende Strukturen bzw. Phänomene nicht in Frage gestellt werden können, da sie aufgrund metatheoretischer Prämissen immer schon für einen übergeordneten Zusammenhang als funktional angesehen werden. Dies führte u.a. dazu, dass der struktur-funktionalistischen Theorie politischer Konservatismus vorgeworfen wurde (vgl. zusammenfassend Eberle, 1984).“ (Daβler 1999: 37). 3.2 Symbolischer Interaktionismus Der interaktionstheoretische Ansatz
bezieht sich vor allem auf die Arbeiten des amerikanischen Berufs- und
Professionssoziologen Everett C. Hughes (vgl. Kurtz 2002: 51f.). Hierbei stehen
die „Bezugsprobleme“ im Mittelpunkt, die im Interaktionskontext zwischen
Professionellen und Klienten entstehen und gelöst werden sollen (vgl. Hughes
1958, 1963; Bucher / Strauss 1961/1972, in ebd.: 52). Darunter werden zum
Beispiel trost- oder heilbedürftige, kranke, streitende oder zu erziehende
Personen verstanden (vgl. ebd.). Im Gegensatz zum Strukturfunktionalismus geht
diese Position davon aus, „dass es nicht die Profession als Ganze gibt, sondern
dass auch innerhalb der Professionen erhebliche Differenzen bestehen“ (ebd.).
Methodologisch wird hier weniger historisch-komparativ gearbeitet, als viel mehr
mit Einzelfallstudien über typische berufliche Lebensläufe (vgl. ebd.). Der für
die Berufsausübung relevanten Wissensvermittlung wird weniger Gewicht
beigemessen, als von der Perspektive des Strukturfunktionalismus. So wird die
universitäre Ausbildung eher als Legitimation von Privilegien betrachtet, und
weniger als Akkumulationsmöglichkeit von Berufswissen (vgl. ebd.). 3.3 Machttheoretischer Ansatz Der Machttheoretische Ansatz hinterfragt die oftmals als unproblematisch betrachteten Vorrechte und Kontrollchancen innerhalb der Professionen (vgl. Kurtz 2002: 53). Im Zentrum stehen also „die herrschaftslegitimierenden Funktionen der Professionen in der modernen Industriegesellschaft (vgl. Freidson 1986; Larson 1977), wobei die Kritik daran so weit gehen kann, die Professionellen als „Zustimmungsfunktionäre“ zu bezeichnen. Aber die Gesellschaft ist aufgrund fehlender Alternativen auf die Leistungen der Professionellen angewiesen und gewährt ihnen als Berufsgruppe eine Vielzahl von Privilegien.“ (Kurtz 2002: 53) Ausdifferenzierungsprozesse von Professionen werden im Kontext von sozialer Macht und Ungleichheit thematisiert, da aus machttheoretischer Perspektive der Professionalisierungsprozess der Verfolgung monopolistischer Ziele dient (vgl. Kurtz 2002: 54; Dewe et. al. 1986: 171f.). Hier setzt auch die neue Frauenforschung an, welche die Professionen mit hoch qualifizierten akademischen Berufen gleichsetzt, um auf die geschlechtsspezifischen Partizipationschancen zu verweisen (vgl. Kurtz 2002: 54). Vom machttheoretischen Standpunkt her wird die funktionalistische Annahme der Solidaritätsbeziehung kritisiert und davon ausgegangen, dass „die Kontrolle einer Profession, welche die absolute Freiheit von Fremdregulierung errungen hat, nicht durch Sanktionen sondern vielmehr durch Boykott“ (Gall / Hitz 1996: 71) funktioniert. Am Vertragsmodell wird grundsätzlich bemängelt, von einem Gleichgewicht zwischen der Leistung der Professionellen und der von der Gesellschaft entgegengebrachten Anerkennung auszugehen, ohne zu hinterfragen, ob sich die Leistungen tatsächlich die Waage halten oder wie die Professionen ihre Privilegien erlangen (vgl. ebd.: 59). Gegenüber dem funktionalistischen Professionsmodell liegt der Fortschritt des machttheoretischen Ansatzes in der Thematisierung der gesellschaftlichen Aspekte der Professionalisierung wie auch in der historischen Perspektive: Gesellschaftsstrukturelle Bedingungen der Professionalisierung werden spezifiziert und deren gesellschaftliche Konsequenzen dingfest gemacht (vgl. Daheim 1992: 24). 3.4 Strukturtheoretischer Ansatz Für Ulrich Oevermann sind die konventionellen Professionstheorien nicht in der Lage, die „Professionalisierungsbedürftigkeit“ von beruflichen Tätigkeiten strukturtheoretisch zu bestimmen. Diese resultiere aus der Notwendigkeit der Bewältigung von Krisen (vgl. Kurtz 2002: 55). „Zur Begründung von beruflichen als professionalisierte Tätigkeiten reicht es also für Oevermann nicht aus, nur auf wissenschaftliche Expertise und gesellschaftlichen Zentralwertbezug zu verweisen – hinzu kommt immer auch der Aspekt der Krisenbewältigung.“ (ebd.) Die Besonderheit professionellen Handelns besteht für ihn „in der Dialektik von universalisierter Regelanwendung auf wissenschaftlicher Basis einerseits und hermeneutischem Fallbezug andererseits. Zentral ist also, dass es in der professionellen Beziehung zur Klientel nicht einfach um technokratische Problemlösung geht, sondern um das Verstehen der jeweils spezifischen Situation, welche sich von Fall zu Fall unterscheidet.“ (Gall / Hitz 1996: 60) Hierfür hat Oevermann den Begriff der „stellvertretenden Deutung“ eingeführt, der inzwischen weiterentwickelt und theoretisch ausgearbeitet wurde (vgl. Heiner 2004: 18f.; Ackermann 1995: 44). Im Gegensatz zur entmündigenden Problemlösungsstrategie hat die „stellvertretende Deutung“ zur Aufgabe, die Autonomie der Lebenspraxis der Klientel wiederherzustellen (vgl. Kurtz 2002: 54f.; Gall / Hitz 1996: 79f.; Ackermann 1995: 44f.). Bezüglich des Erlernens dieses stellvertretenden Deutungsvermögens divergieren mindestens zwei verschiedene Auffassungen (vgl. Gall / Hitz 1996: 80). Einerseits wird der Standpunkt vertreten, dass diese Handlungskompetenz in forschendem Lernen, wie zum Beispiel in Fallinterpretationsseminarien, erlernt werden kann, andererseits wird betont, dass sich Professionalität gerade auch durch Intuition, Empathie und professionelles Erfahrungswissen auszeichnet, und somit eben nicht durch eine institutionalisierte und wissenschaftliche Ausbildung aneignen lässt (vgl. Gall / Hitz 1996: 80). 3.5 Systemtheoretischer Ansatz Niklas Luhmann bemerkt in seinem Buch „Funktion der Religion“ (1977), dass die hohe Technisierbarkeit durch die „binären Codes“ in den Funktionsbereichen Religion, Erziehung und Krankenbehandlung nicht gewährleistet ist (vgl. Kurtz 2002: 56). Demnach müssen in diesen Bereichen professionelle Praktiker zwischen den beiden Seiten der Unterscheidung (z.B. krank/gesund oder gebildet/ungebildet) vermitteln (ebd.). Luhmann verweist dabei auf einen Zusammenhang zwischen funktionaler Differenzierung und Professionalisierung, er betont jedoch, „dass Professionen nicht in allen, sondern nur in solchen gesellschaftlichen Teilbereichen ausdifferenziert werden können, in denen die Arbeit an Personen den Kernbestand des Geschehens ausmacht“ (ebd.). Stichweh (1996) geht auf die Möglichkeiten der Professionalisierung von Sozialer Arbeit ein, wobei er feststellt, dass „Sozialarbeit für kein eigenes Funktionssystem zuständig ist, sondern in den Bereichen Gesundheit, Recht und Erziehung operieren muß, die jeweils durch andere Leitprofessionen bestimmt werden“ (Daβler 1999: 43). Neben einer „Diffusität des Problembezugs“ resultiert für die Sozialarbeit nach Stichweh auch die „Unmöglichkeit der Ausdifferenzierung eines Kernproblems“, welches sie für sich beanspruchen könnte (vgl. ebd.). Für Stichweh ist die Sozialarbeit geradezu ein klassischer Fall eines Berufs, „dem wegen seiner (zudem teilweise einer anderen Profession subordinierten) Partizipation an den Problemen mehrerer anderer Funktionssysteme (Recht, Gesundheitssystem, Distribution der Leistungen des Wohlfahrtstaats) eine Professionalisierung nicht gelingt“ (Stichweh 1992: 41). Mit direkterem Bezug auf Luhmanns Systemtheorie vertritt Dirk Baecker (1994) die Position, dass es sehr wohl möglich sei, „ein gesellschaftliches Funktionssystem zu identifizieren, das sich durch die Zuständigkeit für Prozesse der „Sozialen Hilfe“ auszeichnet und als dessen Bestandteil Sozialarbeit angesehen werden kann. (…) Sozialarbeit verwaltet nach dieser Auffassung Inklusionsprobleme der Gesellschaft, d.h. sie kompensiert den Ausschluß von Individuen aus anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen (wie Wirtschaft, Politik, Gesundheit), die ihrerseits aufgrund ihrer Spezialisierung nicht in der Lage sind, diese Exklusion zu verhindern.“ (Daβler 1999: 43) Über die Theoriegrenzen hinweg wird festgestellt, dass die professionelle Arbeit aufgrund ihrer Interaktionsabhängigkeit nicht einfach technologisch gelöst werden kann (vgl. Kurtz 2002: 58). Allerdings wird auch argumentiert, dass die Professionsform ein Übergangsphänomen ist, dessen Höhepunkt bereits überschritten sei (vgl. ebd.: 60). Professionelle Arbeit wird heute immer mehr durch Verbreitungsmedien wie Fernseher und Computer beeinflusst, und infolge dessen verlieren die Professionen in den Systemen Erziehung, Krankenbehandlung, Recht und Religion ihre ehemals herausragende Bedeutung (vgl. ebd.: 60f.). Die asymmetrische Beziehung zwischen professioneller Leistungs- und komplementärer Klientenrolle kehrt sich in ihr Gegenteil (vgl. ebd.: 61). Ausserdem ist in einigen Teilsystemen eine veränderte Rangordnung der professionellen Berufsgruppen zu beobachten: Da die Allgemein- und Berufsausbildung an relativer Wichtigkeit verliert, bekommt die Lehrerschaft gewisser Massen mehr und mehr Konkurrenz vom Weiterbildungspersonal (vgl. ebd.: 62). Aus der Perspektive der neueren Professionalisierungskonzepte richtet sich professionelles Handeln am jeweiligen Fall aus und ist situativ. Die Mehrzahl der Autoren geht deshalb davon aus, dass dadurch eine fortschreitende Standardisierung des professionellen Handelns verunmöglicht wird (Gall / Hitz 1996: 81) 4. Definition, Handlungsbereiche und Entwicklung von Sozialpädagogik und Sozialarbeit Um später auf die Profession der Sozialen Arbeit eingehen zu können, werden im folgenden Kapitel die Grundlagen dafür erörtert. Dazu werden die beiden Tätigkeitsfelder Sozialpädagogik und Sozialarbeit, welche wichtig sind für das Verständnis von Sozialer Arbeit, mit ihren Definitionen, Handlungsbereichen und Entwicklungen dargelegt. Eine einzige, eindeutige Definition von Sozialpädagogik und Sozialarbeit existiert nicht. Die Entwicklungen dieser Begriffsdefinitionen gehen eng einher mit deren Praxis- und Wissenschaftsentwicklungen, welche keineswegs gradlinig verliefen. 4.1 Sozialpädagogik 4.1.1 Definition und Handlungsbereiche Obwohl, wie einleitend beschrieben, eine einzige Definition von Sozialpädagogik nicht existiert, wird nachfolgend als Grundlage eine Definition von Lothar Böhnisch als Orientierung gebraucht:
Der Begriff Sozialpädagogik als Bezeichnung für eine wissenschaftliche Disziplin ist seit jeher ganz unterschiedlich verstanden worden. Gebraucht wurde der Fachausdruck vor allem als Bezeichnung für eine besondere pädagogische Praxis zur Lösung von bestimmten sozialen Problemen. Diese eher „enge“ Verwendung des Begriffs hat mit der Massenarmut und dem Massenelend zu tun, was sozusagen die „soziale Frage“ des 19. Jahrhunderts war und auch erzieherische Probleme aufwarf. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff eher institutionsorientiert gebraucht und meinte „alles, was Erziehung, aber nicht Schule und nicht Familie ist“ (Bäumer 1929: 3, in Hamburger 2003: 18). Die Sozialpädagogik befasste sich dabei vor allem mit der Praxis der Jugendfürsorge und Jugendpflege, welche durch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1924 bedeutend institutionalisiert worden war (vgl. Hamburger 2003: 18). Doch die institutionsorientierte und methodische Festlegung auf „Erziehung“ hat sich in mehrfacher Hinsicht als zu eng erwiesen. So wurde der Handlungsmodus der Sozialpädagogik nur in einem kleinen Bereich des Umgangs mit Kindern gesehen, der die Bildungs- und Aktivierungsaufgaben der Jugendhilfe nicht angemessen ergriff. Darum erfolgte eine Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Sozialpädagogik auf Handlungen wie Unterstützung, Beratung, Begleitung, geplantes und strukturiertes Zusammenleben, Vermittlung von Informationen, sozialen Ressourcen und materieller Hilfe, Reflexion und Bildung, Planung und Öffentlichkeitsarbeit. Auch dass der Handlungsbereich nur ausserhalb der Familie und Schule gesehen wurde, machte eine Ausweitung des Begriffverständnisses nötig. So werden wichtige Aufgaben der Jugendhilfe in der Familie (Familienhilfe) und in der Schule (Schulsozialarbeit) wahrgenommen. Die disziplinären Zuordnungen wurden ebenso problematisch, weil sozialpädagogische Aufgaben in Einrichtungen für Behinderte, in Angeboten der Erwachsenenbildung und Berufsausbildung, in der Freizeit und Medienpädagogik angeboten und ausgeführt werden (vgl. ebd.). Auch die Konzentration auf eine bestimmte Altersgruppe, also auf Kinder und Jugendliche, war nicht mehr begründbar, denn viele Angebote richteten sich nicht mehr nur auf die Kinder, sondern auch auf die Eltern und andere Erwachsene, so etwa in der Erziehungsberatung, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu entwickeln begann. Der Adressatenkreis weitet sich noch mehr aus bis hin zur Altenarbeit, in der sich neben der Pflege auch sozialpädagogische Aufgaben entfaltet haben (Hamburger 2003: 18f.). 4.1.2 Entwicklung Sozialpädagogik entwickelte sich aus dem mittelalterlich-frühneuzeitlichen Waisenwesen und den Konzepten der Armenerziehung. Sie versteht sich als Moment der gesellschaftlichen Reaktion auf die Entwicklungstatsachen, wie Siegfried Bernfeld meint (1973, in Thiersch 1996: 7), also auf die Tatsache, dass Menschen als Kinder geboren werden und allmählich heranwachsen, wobei sie vor allem in besonders belastenden Lebensverhältnissen auf Erziehungs- und Bildungsangebote angewiesen sind. Das Konzept der Sozialpädagogik ist grundlegend und bis heute gültig in den Arbeiten von Pestalozzi umschrieben. Ausgang ist der Anspruch des Menschen auf Bildung als Mensch, auf Verwirklichung der in ihm angelegten Möglichkeit, sein Leben selbst zu leben. Vielen Menschen bleibt dies in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen verwehrt: Sie bleiben in gegebenen Produktions- und Herrschaftsstrukturen in einem Status, in dem sie nur in Angst, in Unsicherheit und in Unwürdigkeit leben müssen, und dagegen gilt es mit besonderen Anstrengungen und in besonderen Arrangements anzugehen. Begründet in Gesellschaftstheorie und Anthropologie, wie sie beispielsweise in den Nachforschungen oder in den Studien zum Kindsmord dokumentiert ist, findet sich bei Pestalozzi ebenso der Entwurf einer Kriminalpädagogik und einer Heimerziehung wie auch einer Familien- und Volkserziehung. Dieses Konzept hat sich dann im Laufe des 19. Jahrhunderts beispielsweise in der Rettungshausbewegung, aber auch in anderen konfessionellen Konzepten verdichtet, aber zugleich in Ansätzen aus den sozialen Bewegungen heraus erweitert; in den Arbeiten von Nohl, aber auch von Bernfeld ist es für die gewandelten Bedingungen des 20. Jahrhunderts neu und erweitert formuliert worden. Mit der Herausbildung von Erziehung als ein eigener, im Zuge der Ausdifferenzierung moderner Lebensbereiche etablierter Kulturbereich, findet Sozialpädagogik innerhalb der Erziehung als eigens ausgewiesener, grundlegender Bestandteil ihren Ort. Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) hat diesen Bereich kodifiziert (vl. Thiersch 1996: 7f.). Wie sich die deutsche Kinder- und Jugendfürsorge vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt hat und wie das RJWG entstanden ist, soll im folgenden Abschnitt dargelegt werden. 4.1.3 Entstehung des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes Im späten 19. Jahrhundert begann sich der gesellschaftliche Umgang mit „Jugend“ zu ändern. Jugend wurde zunehmend als eigenständige biographische Phase interpretiert, die vom Erwachsensein zu unterscheiden ist, und dadurch wurden vielfältige pädagogische Folgerungen abgeleitet. Die Entwicklung der Jugendfürsorge im Deutschen Kaiserreich war durch eine Vielfalt von heterogenen Einzelansätzen gekennzeichnet. Neue Formen der Fürsorge für Pflegekinder, die Entwicklung der Berufsvormundschaft und die Ausdifferenzierung der Fürsorgeerziehung aus dem Strafrecht waren hierbei die zentralen Bereiche. Doch organisatorisch hatten diese Reformen zu Zersplitterung und Überschneidungen bei behördlichen Zuständigkeiten geführt. Erste Jugendämter als lokale Zentralen von behördlicher Erziehung waren bereits eingerichtet worden, jedoch nur in einer beschränkten Anzahl von Grossstädten (vgl. Sachβe / Tennstedt 1988: 99f.). Im Zuge des Ersten Weltkrieges nahm die gesellschaftliche Bedeutung der Jugendfürsorge - wie der Fürsorge überhaupt – zu. Seit der Mitte des Krieges etwa wurde die Fürsorge für die Kinder der im Krieg gefallenen Soldaten zu einem immer drängenden Problem, auch jenseits von materieller Unterstützung. Im Rahmen der Fürsorgearbeit des Kriegsamts spielte die Kinderfürsorge eine prominente Rolle, um Müttern die Arbeit in der Kriegsindustrie zu ermöglichen. Schliesslich wurde durch die Einziehung der Wehrpflichtigen zum Kriegsdienst und durch die verstärkte Erwerbstätigkeit von Frauen und Jugendlichen eine kriegsbedingte Familiendestabilisierung hervorgerufen, die man zeitgenössisch als „Kriegsverwilderung der Jugend“ bezeichnete. In den Grossstädten stiegen die Neuüberweisungen in die Fürsorgeerziehung an, und auch die Jugendkriminalität nahm zu. Dies verschaffte der Jugendgerichtshilfe, die bereits in grösseren Städten existierte, grösseres Gewicht. Durch die neuen Massnahmen der Kinder- und Jugendfürsorge im Weltkrieg wurde einerseits die organisatorische Zersplitterung gegenüber der Vorkriegszeit weiter verstärkt. Andererseits verstärkten sich auch die Forderungen nach einheitlichen gesetzlichen Grundlagen und einer einheitlichen Verwaltungsorganisation für diesen Bereich (vgl. Sachβe / Tennstedt 1988: 100). Die Diskussion um ein reichseinheitliches Jugendfürsorgegesetz begann bereits während des Krieges. Im September 1918 wurde in Berlin der „Deutsche Jugendfürsorgetag“ durchgeführt, wo sich über 1400 Experten versammelten und diskutierten. Mit der Einführung der Weimarer Verfassung verbesserten sich die Bedingungen für die Schaffung eines reichseinheitlichen Fürsorgegesetzes erheblich. Eine Kommission zur Beratung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) arbeitete 1921 an der Ausarbeitung und Formulierung des Gesetzes, und der Zeitpunkt des Inkrafttretens wurde auf den 1. April 1924 festgelegt. In der vom Reichstag verabschiedeten Fassung des RJWG sind die Grundstrukturen bereits ausgeprägt, die das Jugendhilfegesetz bis heute kennzeichnen. Das Gesetz enthielt sechs Abschnitte, die im Laufe der kommenden Jahre noch vielfältig umgeändert und zum Teil weggelassen wurden, und in dieser reduzierten Form trat das RJWG wie vorgesehen am 1. April 1924 in Kraft (vgl. ebd.: 101-104). Das RJWG brachte faktisch, trotz aller Einschränkungen, eine erhebliche Ausweitung öffentlicher Erziehung mit sich. Vor allem die generelle Aufsicht des Jugendamtes und die generelle Amtsvormundschaft für ausnahmslos alle nicht-ehelichen Kinder bedeutete eine drastische Erweiterung öffentlicher Erziehungskompetenzen. Kennzeichnend für die Entwicklung von Fürsorge und Wohlfahrtspflege in der Weimarer Republik war der Trend zur Bürokratisierung und Professionalisierung. Die freien Vereinigungen, die im Gebiet der Jugendhilfe tätig waren, waren misstrauisch gegenüber den Ansätzen, die seit Kriegsende einsetzten. Vor allem für die konfessionelle Jugendhilfe war gerade die Erziehung von Kindern und Jugendlichen von besonderer Bedeutung, da sie in der Gestaltung von Erziehungsprozessen einen wichtigen Bereich der Religionsausübung sah. Es ging also bei den Auseinandersetzungen um das RJWG nicht nur um die formale Stellung und Bedeutung der konfessionellen Verbände, sondern auch um die inhaltliche Ausrichtung der Erziehung der nachwachsenden Generation. Sie argumentierten, dass im Hinblick auf die grosse sittliche Gefährdung und Verwahrlosung der Jugend das einzig wirksame Heilmittel die Religion sei, die nicht ausgeschaltet werden dürfe. So konnten sie dann auch ihre Dominanz auf weiten Gebieten der Jugendfürsorge verteidigen, besonders im Bereich der halboffenen und der geschlossenen Erziehungseinrichtungen (vgl. Sachβe / Tennstedt 1988: 106f.). In der Weimarer Zeit expandierte dann das gesamte Anstaltswesen rapide. Von den Pflege- und Erziehungsanstalten waren 6% in staatlicher oder kommunaler, 71% in konfessioneller und 23% in sonstiger privater Trägerschaft. Die freien Vereinigungen waren also in der Tat von unverzichtbarer Bedeutung. Im langwierigen Gesetzgebungsprozess, den das RJWG durchlief, gelang es ihnen, ihre Interessen zunehmend zur Geltung zu bringen. Der verabschiedete Gesetzeswortlaut schliesslich hob die eigenständige Position der freien Vereinigungen der Jugendhilfe an mehreren Stellen hervor. Parallel zur Interessenvertretung im Gesetzgebungsverfahren festigten die Träger freier Jugendhilfe ihre gesellschaftliche Position vor allem durch Organisationsbildung, wie Verbände und Fachvereinigungen. So entstand im Laufe der Weimarer Republik ein verwirrend-komplexes Geflecht von Fachvereinigungen, Spitzenorganisationen und Arbeitsgemeinschaften auf dem Gebiet der Jugendhilfe. Mit dem Inkrafttreten des RJWG wurde erstmals auch die Jugendpflege explizit zur kommunalen Aufgabe. Die Menschenverluste des Krieges hatten vor allem die junge Generation getroffen. Die sozialen Umwälzungen und materiellen Notstände der Nachkriegszeit führten zu einer neuen Dimension von „Jugendnot“, und die Aufgabe der Jugendpflege war die Wiederherstellung der „inneren Einheit des Volkes“ (vgl. Sachβe / Tennstedt 1988: 107ff.). Der zweite Komplex von grundsätzlichen Innovationen im Bereich der Jugendfürsorge in der Weimarer Republik betraf die anstaltliche Fürsorgeerziehung. Das Recht des Kindes auf Erziehung war schon 1905 von Wilhelm Polligkeit gefordert worden. Aus der Bildungskritik des späten 19. Jahrhunderts entwickelte sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine breite pädagogische Reformbewegung, und auch die sozialpädagogische Reformbewegung war Teil davon. Ihre Wurzeln lagen vor allem in der bürgerlichen Jugendbewegung, welche die „Jugend“ als eigenständigen Lebensbereich abgegrenzt von der Arbeitswelt sahen. So waren in verschiedenen Städten zu Beginn des 20. Jahrhunderts „Wandervogelgruppen“ entstanden. Dies waren Zusammenschlüsse junger Menschen, die sich gegen die Grossstadtkultur auflehnten und im Wandern ein neues Verhältnis zur Natur suchten. Die Jugendbewegung markiert also einen entscheidenden Punkt bei der Herausbildung von „Jugend“ als eigenständigen biographischen Lebensabschnitt. Dies ging einher mit einer scharfen Auseinandersetzung und Kritik der Lebensformen der Erwachsenenwelt. Zentrales Leitbild der Gruppen der Jugendbewegung war das Leben in der Gemeinschaft, und eine Art „neue Natürlichkeit“ manifestierte sich. Dabei gab es Parallelen zu den Mütterlichkeitsidealen der bürgerlichen Frauenbewegung, die Kritik übte an der versachlichten, arbeitsteiligen und grossstädtischen Industriegesellschaft. Das gemeinsame Erleben von Natur und Gemeinschaft begriff sich als Prozess der Selbsterziehung. So entstand mit der Jugendbewegung eine neue Form der Jugendarbeit als eigenständiger pädagogischer Bereich neben Familie und Schule (vgl. ebd.: 110ff.). Der Weltkrieg bedeutete einen entscheidenden Einschnitt für die deutsche Jugendbewegung. Nach Kriegsende war die erste Generation der Jugendbewegung, soweit sie nicht im Krieg gefallen war, selbst dem Jugendalter entwachsen. Sie versuchte nun nach dem Krieg, ihre eigenen Erfahrungen und Ziele in eine neue Form pädagogischer Jugendarbeit umzusetzen und näherte sich den neu auflebenden Ansätzen der staatlichen Jugendpflege. So entstanden Zwangseinrichtungen mit den pädagogischen Idealen der Gemeinschaft, der Selbsterziehung und der Selbstorganisation, wie z.B. der „Lindenhof“ in Berlin von Karl Wilker, der 1917 errichtet wurde. Im Lauf der 20er Jahre entstand eine Reihe weiterer Reformanstalten in Deutschland, die ähnliche Zielsetzungen verfolgten. Doch obwohl die experimentellen Ansätze der Fürsorgeerziehung die Reformdiskussion nachhaltig beeinflussten, blieben sie unter der steigenden Zahl von Erziehungsanstalten in der Weimarer Zeit stets eine verschwindende Minderheit (vgl. Sachβe / Tennstedt 1988: 113). Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Kinder- und Jugendfürsorge in der Zeit der Weimarer Republik bis zu Beginn der Weltwirtschaftskrise vor allem durch zwei Entwicklungslinien gekennzeichnet war: einmal durch institutionelle und organisatorische Innovationen auf der Grundlage des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG), zum anderen durch pädagogische Innovationen im Bereich der Anstaltserziehung, um gefährdete Kinder und Jugendliche gesellschaftlich zu integrieren. Die Weimarer Republik war eine Zeit bemerkenswerter Innovationen auf dem Gebiet der Jugendfürsorge. Doch eine flächendeckende Durchsetzung der sozialpädagogischen Reformansätze in der Fürsorgeerziehung war wegen knappen finanziellen Ressourcen von vornherein aussichtslos. Zudem bestand hier kein inhaltlicher Konsens, vor allem zwischen den Reformern und den dominanten konfessionellen Anstaltsträgern. Dies führte zur charakteristischen Form der Ausübung öffentlicher Aufgaben durch private Verbände. Obwohl man mit der Sozialreform eine organisatorische Ganzheitlichkeit angestrebt hatte, gab es immer mehr grossbürokratische Einrichtungen mit spezialisiertem Fachpersonal. So entstand in der Weimarer Republik ein verwirrend-komplexes Geflecht von öffentlichen und privaten Einrichtungen und Verbänden auf dem Gebiet der Jugendhilfe (vgl. ebd.: 99, 114). 4.2 Sozialarbeit 4.2.1 Definition und Handlungsbereiche Im Brockhaus (1994) wird Sozialarbeit beschrieben als eine „berufliche Tätigkeit, die auf individuelle Hilfen oder gesellschaftspolitische Massnahmen zur Verbesserung der Lebenslage sozial Schwacher und Gefährdeter abzielen“ (Brockhaus 1994: 921). Sozialarbeit wuchs aus dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Armenwesen und im Kontext der sozialen Bewegung des 19. Jahrhunderts heraus und bildete sich neben der Sozialpolitik aus (Thiersch 1996: 6). Die Anfänge der beruflichen Verselbstständigung von Sozialarbeit im engeren Sinne - d.h. in historisch eindeutiger Unterscheidung gegenüber Sozialpädagogik - sind im 19. Jahrhundert nachzuweisen. Es gab zwar diverse Frühformen, die vor allem in den Übergängen und Krisenzeiten der mittelalterlichen Gesellschaft vorkamen, wie etwa klösterliche Armenpflege, kirchliche Caritas, Hospitäler und Armenanstalten und ab etwa dem 16. Jahrhundert ein langsam wachsendes städtisches Almosenwesen. Erst mit der Entwicklung ambulanter Formen wurden auch Beratungs-, Ermittlungs- und Vermittlungstätigkeiten notwendig, die der sozialen Berufstätigkeit im modernen Sinne den Weg bahnten (vgl. Mühlum 1997: 32). Armut, so Simmel (1908: 454ff., in Thiersch 1996: 6), war traditionell aus dem Mittelalter heraus ein Status, bei dem die Betroffenen auf Unterstützung angewiesen war, was Abhängigkeit und Demütigung für sie bedeutete. Dieser Status veränderte und verändert sich jedoch bis heute, wenn auch zaghaft und nur bedingt, zu einem Status des Anspruchs auf Hilfe, den die Gesellschaft zu erfüllen hat und sich dessen auch bewusst ist. Auf der einen Seite ergeben sich die materiellen Basissicherungen in Bezug auf Grundrisiken in Lebenslagen (genauer: des Berufs- und Familienlebens), also in Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Verelendung, und auf der anderen Seite Sozialhilfe im engeren Sinn als Leistungen zur Unterstützung derjenigen, die aus den Normalversicherungen herausfallen (vgl. Thiersch 1996: 6f.). 4.2.2 Entwicklung Die Entwicklung des Praxisbegriffs von Sozialarbeit hat sich vergleichbar mit dem Begriff der Sozialpädagogik entwickelt. Er schliesst an verschiedene Traditionen an, namentlich an die mittelalterliche Armenpflege; die kommunale und konfessionelle Armenfürsorge des 19. Jahrhunderts, die im Rahmen der Herausbildung des Sozialstaats komplementär zur Sozialpolitik für Arbeiter entstand; die „soziale Fürsorge“ der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die sich fachlicher orientierte und die Erziehung der Armen (Hygiene, Säuglingsversorgung, sparsame Haushaltsführung) anstrebte; und die Verberuflichung der Wohlfahrtspflege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere durch die Initiativen der bürgerlichen Frauenbewegung (vgl. Hammerschmidt / Tennstedt 2002, in Hamburger 2003: 19). Mit dem fundamentalen, als revolutionär bezeichneten Wandel der Wirtschaftsformen und des Soziallebens im 19. Jahrhundert vollzieht sich der Übergang zur modernen Gesellschaft mit entsprechenden Konsequenzen für die Hilfe- und Unterstützungssysteme, die zunächst als „Fürsorge“ und „Wohlfahrtspflege“, später als „Sozialarbeit“ bekannt werden. Zu dieser Zeit gab es eine gewisse Scherenbewegung in der Gesellschaft: soziale Probleme wuchsen sehr schnell an, gleichzeitig wurden die primären Sozialverbände geschwächt, was einen Zerfall von Hilfen unter Familienmitgliedern bedeutete, und es fand eine Entmachtung der Kirchen und Klöster durch die Säkularisation im Jahre 1803 statt. Diese Umstände machten neue Organisationen und eine Form des Helfens, die schliesslich auch beruflich ausgeübt wurde, nötig. Ebenso wuchs die Forderung nach sozialpolitischer Aktivität des Staates, welche mit Beginn der Sozialversicherungsgesetzgebung (kaiserliche Botschaft 1881) ihren Durchbruch fand (vgl. Mühlum 1997: 33). Da die Sozialversicherungen und die Sozialhilfe den Hauptteil materieller Grundsicherungen abdecken konnten, konnte sich die Sozialarbeit auch der Unterstützung und Beratung von Problemen in Interaktion und Kommunikation widmen und betrieb so „Hilfe zur Selbsthilfe als Förderung und Stabilisierung in menschenwürdigen Lebensverhältnissen“ (Thiersch 1996: 7). In der sich entfaltenden Methodendiskussion kristallisierten sich zwei verschiedene Ansätze der Sozialarbeit heraus: case work und community work (vgl. Thiersch 1996: 7). Dabei waren die Berufe im sozialpädagogischen Feld eher auf individuelle Hilfen ausgerichtet wie z.B. ArmenkinderlehrerInnen, und im sozialarbeiterischen Feld eher auf strukturelle Hilfen wie z.B. kommunale ArmenpflegerInnen. Dieser Doppelcharakter von personenbezogener und struktureller Arbeit ist besonders hervorzuheben, da er bis heute das Berufsverständnis prägt (vgl. Mühlum 1997: 33). Die soziale Binnendifferenzierung
der Gesellschaft hatte schliesslich an der Wende zum 20. Jahrhundert ein
derartiges Ausmass erreicht, dass auch für solche sozialen Anliegen
spezialisierte Einrichtungen und Dienste nötig waren, die bis dahin ganz
überwiegend freiwillig und ehrenamtlich erbracht wurden. Diese Aufgaben
wandelten sich also zur Hauptaufgabe von Personen, die damit auch ihr Einkommen
verdienten, so dass aus den Aufgaben soziale Berufe entstanden (vgl. ebd.). 5. Theoreme zum Verhältnis von Sozialpädagogik und Sozialarbeit Obwohl es scheint, als seien die Gemeinsamkeiten und Grenzen zwischen Sozialarbeit und Sozialpädagogik deutlich, ist ihr Verhältnis längst nicht einfach geklärt. Insbesondere Johannes Schilling (1997: 169-180) und Albert Mühlum (1996: 13) haben versucht, die unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen in der Praxis und der Wissenschaft von Sozialpädagogik und Sozialarbeit zu untersuchen und zu systematisieren. Davon ausgehend werden im Folgenden sechs unterschiedliche Theoreme zum Verhältnis von Sozialpädagogik und Sozialarbeit vorgestellt. 5.1 Differenz- bzw. Divergenztheorem: Sozialarbeit // Sozialpädagogik Nach dem Differenz- bzw. Divergenztheorem unterscheiden sich Sozialarbeit und Sozialpädagogik voneinander sowohl begrifflich als auch inhaltlich, z.B. hinsichtlich ihrer Geschichte und ihrer Arbeitsfelder. Sozialarbeit wird in der Tradition der klassischen Armenfürsorge betrachtet und leiste einen Ersatz für schwindende familiäre Sicherheitsleistungen. Sozialpädagogik wird in der Tradition der Jugendfürsorge gesehen und leistet danach einen Ersatz für schwindende familiäre Erziehungsleistungen (vgl. Kleve 2004). Zudem entwickeln die andersartigen Disziplinen das Selbstverständnis, mit ihren Kategorien das gesamte Feld der Sozialen Arbeit zu erfassen, und fechten die Legitimation der jeweils anderen Disziplin an (vgl. Hamburger 2003: 21). Ein aktueller Vertreter dieses Theorems ist zum Beispiel Peter Lüssi, der behauptet, dass der Unterschied zwischen Sozialarbeit und Sozialpädagogik in der Praxis sehr gut bekannt sei. Vor allem in der Vergangenheit, als das Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit noch nicht breit gefächert war, sei dies klar gewesen; damals gab es, so Lüssi, „einfach ‚Fürsorger’ und ‚Erzieher’“ (Lüssi 1992: 50f., in Schilling 1997: 170). Der Unterschied sei kein Problem der Theorie gewesen, und auch heute noch existiere eine typologische Differenz zwischen beiden Bereichen, wie Lüssi meint (vgl. ebd.). 5.2 Subordinationstheorem: Sozialarbeit > Sozialpädagogik Gemäss dem Subordinationstheorem besteht zwischen Sozialarbeit und Sozialpädagogik ein Verhältnis der Über- bzw. Unterordnung, sodass Vertreter dieser Richtung diskutieren, ob entweder Sozialarbeit oder Sozialpädagogik als Oberbegriff verwendet werden soll. Ein klassischer Vertreter für die Position, Sozialarbeit als Oberbegriff zu verwenden, ist Lutz Rössner, der Begründer einer kritisch-rationalistischen Sozialarbeitswissenschaft (vgl. Kleve 2004). Rössner nutzt Sozialarbeit als Oberbegriff, weil dieser Begriff der internationalen Fachsprache (social work) entspreche und weil er weiter gefasst sei, da er auch Massnahmen einschliesse, die nicht nur erzieherisch sind (Rössner 1973: 122, in Schilling 1997: 171). Ein Vertreter der Position, Sozialpädagogik als Oberbegriff zu verwenden, ist Johannes Schilling selbst. Er betont, dass Sozialpädagogik der ältere und damit traditionsreichere Begriff sei. Während der Begriff Sozialpädagogik bereits 1844 von Karl Mager und infolge auch für die erzieherischen Tätigkeiten ausserhalb von Familien und Schulen benutzt wurde, fand der Begriff Sozialarbeit erst ab 1918 Verwendung. Der ältere Begriff, so Schilling, ist somit Sozialpädagogik, und damit sei auch sein Anspruch als Oberbegriff gerechtfertigt (vgl. Schilling 1997: 171). In den letzten zwanzig Jahren, so Kleve (2004), kann für Deutschland gesagt werden, dass an Universitätsfachbereichen für Erziehungswissenschaften der Begriff Sozialpädagogik als Oberbegriff bevorzugt wurde, während die Fachhochschulen eher von Sozialarbeit und seit einigen Jahren zusätzlich auch von Sozialarbeitswissenschaft sprechen. 5.3 Subsumtionstheorem: Sozialarbeit + Sozialpädagogik = Soziale Arbeit Nach dem Subsumtionstheorem lassen sich zwar Differenzen und Divergenzen zwischen Sozialarbeit und Sozialpädagogik feststellen, aber die beiden Bereiche sind sich so ähnlich, dass sie zum umfassenden System der Sozialen Arbeit zusammengefasst werden können. Dieses Theorem scheint heute sehr gängig zu sein; es werden unterschiedliche Begriffe benutzt, aber zur Bezeichnung des ganzen Systems von Sozialarbeit und Sozialpädagogik wird von Sozialer Arbeit gesprochen. Ernst Mühlum begründet die Subsumtion, wenn er sagt: Dieses Theorem erscheint „am überzeugendsten, weil es die totale Trennung und Auseinanderentwicklung (Divergenz) ebenso vermeidet, wie die Absetzung und Über-Unterordnung eines Bereichs (Subordination) und stattdessen realistischer die tatsächliche Entwicklung in Richtung zunehmender Übereinstimmung und Interdependenz bei noch verbleibenden Unterschieden aufgreift“ (Mühlum 1981: 319, 322, in Schilling 1997: 179). Pfaffenberger (1993) schliesst „beide Teilbereiche, immaterielle und materielle Hilfen, im Begriff ‚Sozialwesen’ zusammen, der alle Massnahmen, Instrumente und Interventionsweisen zur Verwirklichung des Sozialstatus umfasst“ (Pfaffenberger 1993: 157, in Schilling 1997: 179).
5.4 Konvergenztheorem: Sozialarbeit à ß
Sozialpädagogik 5.5 Identitätstheorem: Sozialarbeit = Sozialpädagogik = Soziale Arbeit Mit dem Identitätstheorem wird die
totale Gleichheit und Übereinstimmung zwischen den inhaltlichen Bestimmungen der
Begriffe Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Soziale Arbeit bekräftigt. So meint
beispielsweise Tuggener (1971): „Sozialarbeit und Sozialpädagogik werden häufig
zusammen genannt, als wären sie zwei Seiten einer Medaille.“ (Tuggener 1971: 21,
in Schilling 1997: 173) Nach Roland Merten löst das Identitätstheorem "das diachrone Problem der unterschiedlichsten Entwicklungslinien von Sozialarbeit und Sozialpädagogik analytisch radikal und empirisch fundiert“. Es werde „zwar eine historische Differenz angenommen, deren aktuelle Plausibilität jedoch bestritten“ (Merten 1998: 20). Dieses Theorem ist für ihn empirisch fundiert, weil in der Praxis heute nicht mehr zwischen den beiden Bereichen unterschieden werde. Dies zeigen etwa Untersuchungen hinsichtlich der Einstellungskriterien von Fachkräften in scheinbar klassischen Domänen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Diese deuten darauf hin, dass „die berufliche Praxis nach inhaltlich und sachlogisch anderen Kriterien Einstellungen vornimmt, als dass sie sich von der ‚analytischen’ Differenz von Sozialarbeit und Sozialpädagogik leiten lässt" (ebd.: 21). 5.6 Substitutionstheorem: Sozialpädagogik ↔ Sozialarbeit Unter diesem Theorem versteht man,
wie das Wort Substitution als Ersetzen einer bestimmten Sache durch eine andere
schon verrät, die beliebige Austauschbarkeit der Begriffe Sozialpädagogik und
Sozialarbeit. Dieses Verständnis kommt dem Identitätstheorem sehr nahe, und in
der neueren Fachliteratur wird die Substitutionsthese als fast durchgängiges
Vorgehen vertreten. Die Autoren unterscheiden dabei nicht zwischen den beiden
Begriffen Sozialpädagogik und Sozialarbeit und verwenden und tauschen sie
beliebig aus, was, wie Schilling (1997) meint, grosse Verwirrung auslöst, da der
Leser häufig nicht weiss, auf was der Autor seine Überlegungen bezieht
(Schilling 1997: 172). 6. Soziale Arbeit In diesem Kapitel wird nun das Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit behandelt, welches eng einhergeht mit den Begriffen der Sozialpädagogik und Sozialarbeit. Dazu wird das Zusammenlaufen, also die Konvergenz von Sozialpädagogik und Sozialarbeit dargestellt, anschliessend wird die Professionalisierung des Helfens erläutert. Danach werden die Faktoren, welche günstig für eine Konvergenzentwicklung sind, analysiert, zuletzt wird auf die Dimensionen der Sozialen Arbeit als Wissenschaft eingegangen. 6.1 Konvergenz von Sozialpädagogik und Sozialarbeit Unbestritten ist, dass die Profession Soziale Arbeit als Einheit von Sozialarbeit und Sozialpädagogik an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden ist (vgl. Wendt 1995; Hering / Münchmeier 2000, in Kleve 2004). Zu dieser Zeit wurden sozial helfende Tätigkeiten mehr und mehr verberuflicht, und es entstanden Ausbildungsstätten, an denen - vor allem Frauen - zur Ausfüllung sozial helfender Tätigkeiten ausgebildet wurden, so z.B. am 15. Oktober 1908 in Berlin, wo Alice Salomon eine der ersten Ausbildungsstätten eröffnete (vgl. Salomon 1908). Wie in den Kapiteln weiter oben dargelegt wurde, haben sich im Kontext der modernen Gesellschaft, also seit Beginn der Neuzeit, Institutionen und Interventionen entwickelt, die sich auf soziale Probleme beziehen. Dabei entstanden rechtliche, institutionelle und professionelle Konzepte, wobei die Gesellschaft die gegebenen Probleme als gesellschaftliche Aufgabe begriff und akzeptierte. Herausgefordert war sie dabei durch den Selbstanspruch an Gleichheit, Freiheit und Solidarität, getrieben wurde sie von Angst vor sozialen Unruhen und von der Bedrohung gegebener Herrschafts- und Produktionsverhältnisse. Mit dem Ausbau des Gesundheitswesens, des Versicherungswesens und des Sozialstaates ergaben sich juristisch abgesicherte Ansprüche, die von rechtlich abgesicherten Institutionen und wissenschaftlich fundierten Berufen wahrgenommen wurden (vgl. Thiersch 1996: 6). Sozialpädagogik und Sozialarbeit entstanden um die Jahrhundertwende als letztes Glied in der Kette der Institutionen des modernen Sozialisations- und Sozialstaats. Bereits früher erfolgten ein Ausbau des Bildungswesens und eine Etablierung der modernen Versicherungen und des Sozialhilfeprinzips. So haben sich Sozialpädagogik und Sozialarbeit, welche aus sehr unterschiedlichen, eigenständigen, älteren Traditionen erwachsen sind, nebeneinander entwickelt und sind erst in den 1960er Jahren zusammengewachsen (vgl. ebd.: 5f). Mit der Herausbildung einer Sozialarbeitswissenschaft haben eine Reihe von Faktoren eine Konvergenz, also eine Übereinstimmung von Theorie und Praxis hervorgerufen. Zu diesen Faktoren zählen die jeweilige Ausdehnung des Adressatenkreises von Sozialpädagogik und Sozialarbeit mit Überschneidungen, die Aufnahme von sozialwissenschaftlichen Konzepten in beiden Praxisfeldern, die Annäherung der Ausbildungen mit gemeinsamen Grundlagen, die Erweiterung und komplementäre Übernahme des Methodenrepertoires, die Entwicklung allgemeiner Theorien für das gesamte Feld, das Entstehen einer sozialen Bewegung, die mit ihrer Kritik die Unterschiede zwischen den Feldern vernachlässigte, und schliesslich die begriffliche Vereinheitlichung im Konzept der „personenbezogenen sozialen Dienstleistung“. Die Studiengänge wurden als „Bindestrichdisziplin“ Sozialarbeit/Sozialpädagogik bezeichnet, und mit dem Begriff der „Sozialen Arbeit“ wurde die Konvergenz abgeschlossen. Die ihr zugeordnete wissenschaftliche Disziplin wurde „Wissenschaft der Sozialen Arbeit“ genannt (vgl. Hamburger 2003: 19f.). Das Konvergenztheorem zum Verhältnis von Sozialarbeit und Sozialpädagogik wurde weiter oben in Kapitel 5 genauer behandelt. Soziale Arbeit ist also historisch eng an die Entwicklung von Sozialpolitik und Sozialstaat gebunden. Die epochalen Wandlungen der Industrialisierung und Verstädterung mit ihren Umbrüchen der Lebensweise und Sozialstruktur veränderten und verändern auch die wohlfahrtsstaatlichen Konzepte und mit ihnen die sozialarbeiterischen Interventionen. In ihrer Berufs- und späteren Professionsgeschichte war sich die Soziale Arbeit dieser Abhängigkeit durchaus bewusst und kämpfte stets neu um eine zumindest relative Autonomie. Allerdings ist die Soziale Arbeit nicht nur als Reaktion auf, sondern auch als Impuls für gesellschaftlichen Wandel zu verstehen. Dass ihr damit ein Spagat zugemutet wird, an dem sie zu zerbrechen droht, ist ein Faktum, eine andere Tatsache ist aber auch, dass sie diese doppelte Orientierung auch für ihre Berufsentwicklung zu nutzen und schliesslich in einen dezidierten Professionsanspruch umzumünzen verstand (vgl. Mühlum 1997: 34). 6.2 Professionalisierung des Helfens Soziale Tätigkeiten sind so alt wie die Menschheit selbst. Im Zusammenhang mit sozialstrukturellen Veränderungen haben sie sich in unterschiedliche Facetten von helfenden Aktivitäten ausdifferenziert. Zu den Anstössen dafür zählen besonders räumliche Ausdehnung, Grösse, Unübersichtlichkeit und Gefährdung des jeweiligen Soziallebens. Zwei Dimensionen sind unumgänglich zu betrachten, wenn man die Kulturgeschichte des Helfens anschaut: Motivation, also die Bereitschaft, sich den in Not Geratenen zuzuwenden, und Ressourcen, also verfügbare Mittel. Dabei kann jedoch nicht einfach von objektiven Tatbeständen ausgegangen werden, denn sowohl „Hilfebedürftigkeit“ wie auch „Hilfe“ sind immer auch subjektiv bestimmt. Trotzdem ist die soziologische Perspektive nachvollziehbar, dass Helfen nur dann zustande kommt, wenn und soweit es erwartet werden kann (vgl. Mühlum et al. 1997: 30). Die Entwicklung fürsorglichen Handelns lässt sich in der folgenden Stufentheorie nachvollziehen: Abbildung 1: Stufen der Entwicklung fürsorglichen Handelns Orte fürsorglichen Handelns Motivation und Sozialform des Helfens Quelle: Mühlum et al. 1997 : 31 Spätestens mit der rationalen Organisation von sozialer Hilfe und von formellen Unterstützungssystemen werden am Ende der Stufenfolge auch geschulte Arbeitskräfte mit vollem Zeitbudget notwendig, und die Verberuflichung setzt ein. Die Betrachtung von Motivation (personales System), Moral (kulturelles System) und Ressourcen (ökonomisches System) ermöglicht eine abstrakte Standortbestimmung von Sozialer Arbeit, wobei besonders die zentralen Systemzusammenhänge reflektiert werden. Sie müssen nun nach und nach disaggregiert und konkretisiert, also auf Alltag und Beruf heruntergebrochen werden (vgl. ebd.: 31f.). Der Antrieb der herkömmlichen Fürsorge, in welcher die Wurzeln heutiger Sozialarbeit anzusiedeln sind, besteht im sogenannten „Helfen“. Nach Luhmann (1973: 21) bedeutet Helfen in der allgemeinen Form einen Beitrag zur Bedürfnisbefriedigung einer Bevölkerung (Population), die aus verschiedenen Gründen dazu nicht in der Lage ist. Nach diesem Verständnis setzt Hilfe eine soziale Interaktion voraus, welche gleichzeitig eine Erwartungshaltung einschliesst: der Bedürftige erwarten von Dritten bzw. von gesellschaftlichen Institutionen einen Beitrag zur existentiellen Bedürfnisbefriedigung. Dieses Verständnis von Hilfe wird also durch die Strukturen wechselseitiger Erwartungen gesteuert und festgelegt. Es muss vor einem jeweils spezifischen kulturellen Horizont betrachtet werden, der wiederum vom Entwicklungsstand und Komplexitätsgrad der Gesellschaft abhängig ist. So versucht auch Luhmann (1973), den Funktionswandel des Helfens in Abhängigkeit gesellschaftlicher Entwicklungsstufen zu behandeln (vgl. Luhmann 1979: 24ff.). Um zu verstehen, warum gerade zu dieser Zeit, also im ausgehenden 19. bzw. im beginnenden 20. Jahrhundert Soziale Arbeit als Beruf entstanden ist, lohnt sich eine eher abstrakte gesellschaftstheoretische und auch ideengeschichtliche Perspektive. Denn nach der soziologischen Gesellschaftstheorie Niklas Luhmanns (Luhmann 1997, in Kleve 2004) ist dies zugleich die Zeit, die für den endgültigen Wechsel von einer primär in Schichten differenzierten Gesellschaft zu einer primär in Funktionssysteme differenzierten Gesellschaft steht. In der nach Schichten, und der segmentär differenzierten Gesellschaft war die Religion das die ganze Gesellschaft umfassende System. Dementsprechend wurden auch Hilfemotive, ob in Familien oder in größeren sozialen Einheiten, Städten und Ländern, religiös inspiriert. Gegenseitige Hilfe von Mensch zu Mensch oder zwischen unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft war vor allem ein Gebot der Nächstenliebe, ein Gebot Gottes. Aber spätestens mit der beginnenden Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert änderte sich allmählich der religiöse Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Gesellschaft änderte sich radikal, Gott wurde vom Thron gestürzt, zugunsten vermeintlich vernünftiger, rationaler Prinzipien der Gesellschafts- und Lebensgestaltung (vgl. Kleve 2004). Während in archaischen Gesellschaften Hilfe als Beitrag zur Befriedigung von Grundbedürfnissen angesehen, als Gabe verstanden und vom Betroffenen erwartet wird, taucht in hochkultivierten und modernen Gesellschaften das Problem der Marginalisierung von Bedürftigen auf, und die Helfenden werden von der Freiwilligkeit entbunden, sehen sich jedoch weiterhin zur Hilfe verpflichtet. Während in archaischen Gesellschaften die Reziprozitätsnorm, also Wechselseitigkeit, galt, findet im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung Reziprozität die Bedeutung von Anerkennung einer Notlage. Auch fand eine Veränderung der Hilfe selbst statt: Naturalien als Hilfsmittel werden durch Geld als generalisiertes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung ersetzt. Der Komplexitätsgrad der Gesellschaft ist gestiegen; so gab es eine funktionale Differenzierung in Wirtschaft und Politik, einen Ausbau der Leistungsspezialisierung, und Institutionen und Organisationen entstanden zur Verringerung steigender Komplexität (vgl. Plüisch 1982: 8). Diese Faktoren geben im Bereich der Hilfe Anlass zur Professionalisierung, die in ihrem derzeitigen Trend Probleme der Sozialen Arbeit dringend werden lässt. Professionalisierung bringt zwar den Vorteil einer steigenden Qualität der Hilfeleistung für die betroffene Population (vgl. Heraud 1973: 230), kann aber andererseits durch Technisierung und Institutionalisierung den Aspekt der Individualisierung der Hilfe verdrängen. Sozialarbeiterische Berufe werden somit zum Vollzugsorgan staatlicher Instanzen umfunktioniert und mit der Aufgabe einer sozialen Kontrolle über randständige Gruppen betraut (Matthes 1979: 107f.). Dieses „doppelte Mandat“ (Böhnisch/Lösch 1979: 27), auf das in Kapitel 7 nochmals eingegangen wird, wirkt sich auf das Verhältnis zwischen Sozialarbeiter, Klient und Institution unter Umständen negativ aus, da das ursprüngliche Berufsverständnis des Sozialarbeiters der realen Umsetzungsmöglichkeit entgegensteht (vgl. ebd.). 6.3 Faktoren der Konvergenzentwicklung Soziale Arbeit verdankt ihre Existenz aus gesellschaftstheoretischer Sicht den verdeckten, den eher ausgeblendeten, den eher nicht gewollten Seiten gesellschaftlicher Entwicklung. Soziale Arbeit wurde aus gesellschaftstheoretischer Sicht notwendig und differenzierte sich als eigenständige Profession heraus, weil die gesellschaftliche Modernisierung ihr Ziel einer vollends aufgeklärten und durchrationalisierten Welt nicht erreichte. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt sich, dass mit dem Siegeszug der Rationalität genau so Irrationalität einhergeht, dass mit Reichtum auch die Armut kommt, dass Lösungen zugleich Probleme schaffen. Soziale Arbeit ist somit die Profession, die sich den anderen Seiten der Rationalität, des Reichtums oder der Lösungen widmet (vgl. Kleve 2004). Dies lässt sich anhand von drei Faktoren aufzeigen: Erstens: Mit der Modernisierung der Gesellschaft zerbrachen die klassischen Familienverbände und es entstand die moderne Kleinfamilie. Diese lebensweltliche Form ist aufgrund ihrer knappen zeitlichen Ressourcen nur noch begrenzt in der Lage, Probleme, die sich ihr stellen, in Eigenregie zu lösen: z.B. die Erziehung der Kinder, die Betreuung, Versorgung, Beratung und Pflege von hilfsbedürftigen Menschen. Für diese Problemlagen wurden mehr und mehr die Institutionen der Sozialen Arbeit zuständig. Die Zeit in Familien ist knapp, weil diese verwendet werden muss, um die nötige Grundlage zu besorgen, die das physische, psychische und soziale Überleben der Angehörigen sichert, nämlich Geld. Zweitens: Die moderne Gesellschaft
ist eine funktional differenzierte, in Funktionssysteme gegliederte
Gesellschaft. Die Gesellschaft zersplittert sich in unterschiedliche
Funktionssysteme, z.B. in Wirtschaft, Politik, Recht, Erziehung und Bildung,
Wissenschaft, Kunst, Religion etc. Alle diese Systeme erfüllen spezialisierte
Aufgaben, für die sie kompetent und zuständig sind, alles andere fällt aus dem
Fokus ihrer Möglichkeiten, z.B. auch die Probleme, die sie aufgrund ihres
Funktionierens erzeugen. Beispielsweise müssen Menschen, wenn sie in der
modernen Gesellschaft ihr physisches, psychisches und soziales Leben sichern
wollen, permanent versuchen, an diesen Systemen teilzunehmen. Denn von diesen
Systemen wird die Verteilung der Güter vorgenommen, die das Überleben sichern.
Sobald die Teilnahme etwa am Wirtschaftssystem kritisch ist und beispielsweise
aufgrund von Arbeitslosigkeit kein Geld mehr fließt, werden dadurch andere
Bereiche ebenfalls tangiert, und der Mensch ist gefährdet, auch aus anderen
wichtigen Funktionssystemen ausgeschlossen zu werden. Denn Geld ist meistens zur
Partizipation notwendig. Oder wenn die rechtliche Einbindung (z.B. als
Staatsbürgerschaft oder als EU-Bürgerschaft) unklar ist, gefährdet dies
Möglichkeiten anderer Einschlüsse, z.B. am Wirtschaftssystem durch
Arbeitsverbot. Diese Beispiele zeigen, wie Menschen durch die Funktionsweise der
grossen Systeme der Gesellschaft gefährdet werden und wie dies ihr ganzes Leben
beeinträchtigt und ihre Teilhabe am Rest der Gesellschaft gefährdet. Die
Institutionen der Sozialen Arbeit beschäftigen sich genau mit solchen Problemen:
mit Problemen, die die Funktionssysteme erzeugen, aber die sie selbst nicht
lösen können. Sobald die Teilnahme an den lebenswichtigen Funktionssystemen der
Gesellschaft gefährdet ist, kann Soziale Arbeit einschreiten. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Soziale Arbeit ein professionelles Berufs- bzw. Funktionssystem ist, das mit der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft entsteht und auf vier Entwicklungen reagiert: erstens auf das Verebben religiöser, moralischer Hilfemotive; zweitens auf die Probleme, Familienangehörige zu erziehen, zu beraten, zu betreuen und abzusichern, weil die Kleinfamilien das selbst aufgrund der komplexer werdenden gesellschaftlichen Strukturen und der knappen zeitlichen Ressourcen nicht mehr schaffen; drittens auf die Ausschlüsse, die die ausdifferenzierten Funktionssysteme schaffen, wenn die Teilnahme von Menschen an diesen Systemen gefährdet wird, aber diese Teilnahme Voraussetzung ist, um das physische, psychische und soziale Überleben zu sichern; und viertens auf jene komplexen, multidimensionalen und unspezifischen Probleme, die in die jeweiligen biologisch-medizinischen, psychologischen, juristisch-sozialen oder religiös-spirituellen Kategorien nicht oder zugleich passen (vgl. ebd.). 6.4 Dimensionen der Sozialen Arbeit als Wissenschaft Die Soziale Arbeit, zusammengewachsen aus unterschiedlichen Traditionen der sozialen und sozialpädagogischen Hilfe und entwickelt in Bezug auf die heutigen Probleme der Moderne, entwickelt eine Theorie der Sozialen Arbeit. Dies geschieht eher zögerlich und mit nur mässigen Festigungen, aber sie ist auf dem Weg zur Leistungsfähigkeit eines „normalen“ Wissenschaftskonzepts (vgl. Lüders / Winkler 1992, in Thiersch 1996: 11f.). Eine solche Theorie der Sozialen Arbeit thematisiert ebenso Probleme von Lebenslagen und Lebensverhältnissen wie von spezifischen Hilfe- und Unterstützungsleistungen. Sie lässt sich gliedern in vier Dimensionen (vgl. Thiersch / Rauschenbach 1984: 1000ff., in Thiersch 1996: 12):
Eine solche Theorie der Sozialen Arbeit betont zum einen den Zusammenhang der Sozialen Arbeit mit der Politik, im weiteren Sinn also auch beispielsweise mit der Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftspolitik, Städtebaupolitik und Familienpolitik. Zum zweiten verhandelt sie Probleme der Arbeitsorganisation in der sozialen Hilfe im Kontext von lebensweltorientierten Dienstleistungen und deren Grenzen in Bezug auf Partizipation und Demokratisierung und in Bezug auf den Selbstanspruch unserer Gesellschaft an soziale Gerechtigkeit. Zum dritten thematisiert die Theorie der Sozialen Arbeit Probleme der Zusammenarbeit, der Kooperation und Vernetzung zwischen unterschiedlichen Institutionen und Interventionen und darin vor allem Probleme des Zusammenhangs zwischen professionellen und selbst organisierten Hilfeformen, also zwischen dem formellen und informellen Sektor von Hilfen. Zum vierten betont sie die Einbettung der Sozialen Arbeit in den Kontext anderer Dienstleistungs- und Hilfesysteme, also der Medizin, der Justiz und des Bildungswesens. Wie Thiersch (1996) meint, könnte diese Bilanz dazu führen, Soziale Arbeit als zentrale, allgegenwärtige Institution in Problemen der Gestaltung des Sozialen zu verstehen, was jedoch fatal wäre. Auch wenn die Aufgaben der Sozialen Arbeit breit, vielfältig und differenziert sind, so sind ihre Möglichkeiten im Kontext gegebener Sozialpolitik und neben den anderen Hilfe- und Unterstützungssystemen bescheiden (vgl. Thiersch 1996: 12f.). 7. Soziale Arbeit als Profession? Das Fragezeichen am Ende des Titels verrät bereits, dass die Verortung der Sozialen Arbeit entlang der in Kapitel drei erörterten soziologischen Professionskonzepte keineswegs eindeutig ist. In Bezug auf die Professionalisierung der Sozialen Arbeit reicht die Argumentation „von der Behauptung, dass sich die Sozialarbeit nicht von anderen Erwerbsberufen unterscheidet, über verschiedene Varianten der Zuordnung auf dem Kontinuum zwischen Beruf und Profession, wie etwa als unvollständig, nicht abgeschlossen, misslungen oder semi-professionalisiert bis hin zu der These, die Sozialarbeit sei bereits voll oder sogar schon überprofessionalisiert (vgl. Olk 1986: 16)“ (Gall / Hitz 1996: 73). Ein wichtiges Strukturmerkmal der sozialen Arbeit ist ihre „organisationell-administrative Eingebundenheit“ und der daraus folgende Konflikt zwischen zwei divergierenden Kontrollstrukturen: Einerseits die professionelle Selbstkontrolle und andererseits die „hierarchische Fremdkontrolle“ bürokratischer Strukturen. Dieses duale Steuerungssystem wird als Ursache bezeichnet, dass sich die Soziale Arbeit nicht völlig professionalisieren kann und deshalb als Semi-Profession bezeichnet werden muss (vgl. Gall / Hitz 1996: 76). Das berufliche Selbstverständnis der Sozialen Arbeit wird daher mit dem Begriff des „Doppelmandats“ beschrieben (Böhnisch / Lösch 1973, in Heiner 2004: 27f.). Gegenüber dem Modell der Semi-Profession wird jedoch auch kritisiert, dass die organisationelle Eingebundenheit kein Hindernis für die Professionalisierung sei, sondern dass sich nach alternativen Modellen diese beiden Strukturen vereinbaren liessen. Ausserdem würden die Vertreter des Semi-Professionsmodells die Sozialarbeit als defizitär einstufen (vgl. Marzahn 1992: 27f.; Olk 1986: 37f., in Gall / Hitz 1996: 77). Der Begriff der Semi-Profession ist erst relativ spät in der berufssoziologischen Literatur aufgetaucht, obwohl mit dem Begriff ein aktuelles Dilemma komplexer Organisationen angesprochen wird (vgl. Dewe et. al. 1986: 196). „Dahinter ist zweifellos ein Wandel bürokratischer Handlungsstrukturen zu vermuten, der seinerseits in der stattgefundenen Expansion und Systematisierung der Ausbildung solcher Semi-Professionen seinen Niederschlag gefunden hat.“ (Schmitz 1987: 85ff., in Dewe et. al. 1986: 196) Bei der Durchsetzung von Kriterien professioneller Arbeit geraten die semi-professionellen Berufsgruppen mit organisationsspezifischen Merkmalen von Bürokratien in Konflikt (vgl. ebd.: 197). Gegenüber dieser (auch von Oevermann vertretenen) Ansicht verweist Schütze darauf hin, dass Institutionen trotz ihrer problematischen Aspekte durchaus auch als Ressourcen begriffen werden können, die es einer Profession erlauben, effektiv und vernetzt zu handeln (vgl. Heiner 2004: 20f.). Die Auseinandersetzungen zwischen (semi-)professioneller und administrativ-bürokratischer Orientierung werden in der Professionssoziologie hauptsächlich im Rahmen von zwei Modellen betrachtet: Dem handlungstheoretischen Modell und dem Funktionsmodell (vgl. Dewe et. al.: 198f.). Während das erstere eher den prozessualen Konflikt zwischen den beiden widersprüchlichen Orientierungen thematisiert (strukturtheoretischer Ansatz), wird im zweiten Modell die Logik und Struktur von Organisationen fokussiert (Systemtheorie) (vgl. Dewe et. al.: 199). Die systemtheoretische Argumentation nach Stichweh (1996; 1992) und Baecker (1994) wurde bereits in Kapitel 3.5 angesprochen. Auch der auf Oevermann rekurrierende strukturtheoretische Ansatz spricht der Sozialen Arbeit den Status einer Profession ab. Sie könne bestenfalls eine Semi-profession sein, weil ihre Autonomie in vielen Arbeitsfeldern durch Vorgaben und Weisungen anderer (Juristen, Verwaltungspersonal, Mediziner) eingeschränkt wird und sie über kein klar abgegrenztes Tätigkeitsfeld verfügt (vgl. Heiner 2004: 19f.). „“Wirkliche“ Professionen sind dadurch definiert, dass ihnen als Gruppe sowohl von den Klienten wie auch von den beschäftigenden Organisationen Autonomie zuerkannt wird. „Semiprofessionen“ sind entweder klienten- oder organisationsautonom. Mediziner und Juristen sind danach wirkliche Professionen. Sozialarbeiter und Erzieher gehören zu den Semiprofessionen: Die ersteren sind schwach klienten-, aber organisationsautonom, die letzteren sind relativ klienten-, aber nur schwach organisationsautonom.“ (Daheim 1992: 26) Hinsichtlich des Problems der Klientenautonomie stellt Hansjürgen Daheim fest, dass sich das „expertokratische Praxisverständnis“, welches die Interaktion zwischen Professionellen und Klienten mindestens seit Parsons asymmetrisch begreift, zu ändern beginnt (vgl. ebd.: 31). Die Klientel lehnt den Laienstatus für sich und eine Beziehung zum Professionellen ab, die „auf der Vorstellung eines Rationalitätsgefälles von Wissenschaft zum Alltag beruht“ (ebd.: 32). Inzwischen ist das Verständnis von Professionalisierung stärker handlungstheoretisch und kompetenzbezogen ausgerichtet, während im berufsstrukturellen Modell „Professionalität“ (als Handlungsmodus) nur denjenigen Berufen zugeschrieben werden, die alle Merkmale und damit den Status einer Profession aufweisen (vgl. Heiner 2004: 20; 24). Im Zentrum stehen vermehrt die „tatsächlichen Arbeitsvollzüge“, die Problemlösungskompetenz und das berufliche Handeln und nicht mehr der soziale Status des Berufs (vgl. ebd.). „Insofern können auch Mitglieder der „Semi-profession“ Soziale Arbeit (nach dem berufsstrukturellen Modell) „professionell“ handeln, wenn sie die Aufgaben des Berufes – im Rahmen sozialpolitischer Vorgaben – effektiv und den beruflichen Standards entsprechend erledigen.“ (Heiner 2004: 24) Die Frage der Professionalisierbarkeit der Sozialen Arbeit wird heute insgesamt erheblich positiver eingeschätzt. Gemessen an der Bezahlung und am sozialen Prestige von akademischen Berufen, verfügt die Soziale Arbeit zwar nur begrenzt über einen gehobenen Status (vgl. ebd.: 36). Aus strukturfunktionaler Perspektive spricht also die defizitäre Reputation der Sozialen Arbeit, ebenso wie die vergleichsweise niedrigeren Einkommenschancen, gegen die Möglichkeiten einer Professionalisierung. Ihre institutionelle und normative Autonomie wird heute jedoch eher anerkannt (ebd.). Nach dem neueren Diskussionsstand nimmt sich die Soziale Arbeit zur Aufgabe, die angeblichen Paradoxien, wie zum Beispiel das „Doppelmandat“ von Hilfe und Kontrolle oder die Polarität von Selbst- und Fremdbestimmung, zu überwinden (vgl. ebd.: 31). Sowohl die Systemtheorie der Bielefelder Schule, als auch die Gesellschaftsdiagnose von Jürgen Habermas werden in Bezug auf neue Selbstbeschreibungen der Sozialen Arbeit rezipiert. So wird beispielsweise die Systemtheorie zum Ausgangspunkt der Konzeptualisierung einer „postmodernen Sozialarbeit“ (Kleve 1999). Aus dieser Perspektive wird die Orientierungslosigkeit der Sozialen Arbeit betont, da es angeblich zu einer Erosion der „klassischen sozialarbeiterischen Leitdifferenz von Konformität/Devianz bzw. Norm/Abweichung“ (Kleve 1999: 238) komme. In idealtypischer Weise steht diesem Paradigma eine phänomenologische Sichtweise gegenüber. Die „lebensweltorientierte“ Soziale Arbeit (Thiersch 1997) hat eine kritische Dimension, indem sie ihre Aufgabe u.a. darin sieht, „die Unterschiedlichkeiten zwischen der professionellen Alltäglichkeit und der der Adressaten deutlich zu machen“ (Thiersch 1997: 46). Mit der „Lebensweltorientierung“ ist zweifellos eine aufklärerische Perspektive verbunden, die sich dem „philosophischen Diskurs der Moderne“ (Habermas 1985) verpflichtet fühlt, dessen „Projekt“ aus der Sicht der Vertreter postmoderner Ansätze bereits überholt oder gescheitert zu sein scheint. Diese kurze Gegenüberstellung beider Ansätze soll keineswegs eine vollständige Darstellung unterschiedlicher Konzeptionen von Sozialer Arbeit anstreben. Es geht vielmehr darum aufzuzeigen, dass über den Stellenwert von Professionalität in der Sozialen Arbeit nicht nur in der Soziologie, sondern auch im Fachbereich der Sozialen Arbeit selbst, bzw. in dessen Theorien, mitnichten Konsens herrscht. Im Folgenden werden „neuere“ gesellschaftstheoretische Prämissen erläutert, die für die Frage nach der Professionalisierbarkeit der Sozialen Arbeit relevant sind. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Rezeption der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas (1981) gerichtet, aber auch jüngste Überlegungen in Bezug auf die These der „Entkoppelung von System und Lebenswelt“ sollen hinsichtlich der Ausgangsfrage in Betracht gezogen werden. 8. „Neuere“ gesellschaftstheoretische Prämissen der Sozialen Arbeit Soziale Arbeit fungiert als intermediäre Instanz zwischen Gesellschaft und Individuum, bzw. zwischen System und Lebenswelt (vgl. Heiner 2004: 32f.). Die Vermittlungsfunktion rekurriert im Grunde auf die Interpretation der Moderne von Jürgen Habermas, in der die Gesellschaft gleichzeitig als System und Lebenswelt konzipiert wird (vgl. Habermas 1981: 180). So gesehen kann Soziale Arbeit sowohl vermittelnd und befähigend in die Lebenswelt eingreifen, im Sinne einer intermediären Funktion, die sich aus dem Prozess der „Rationalisierung der Lebenswelt“ heraus entwickelt. Andererseits besteht auch die Möglichkeit eines repressiven Verhältnisses zwischen Sozialer Arbeit und Lebenswelt, dessen Interpretation der berühmten Kolonialisierungsthese folgt. Wie die Verrechtlichung und Bürokratisierung der Schule für den Vergesellschaftungsprozess dysfunktional ist (vgl. ebd.: 546f.), so bleiben diese Prozesse auch für das Berufsfeld der Sozialen Arbeit folgenreich. Diese pathologischen Nebenfolgen der Modernisierung resultieren allerdings nicht aus der „Entkoppelung von System und Lebenswelt“, bzw. der lebensweltlichen Rationalisierung einerseits und der systemischen Komplexitätssteigerung andererseits, sondern aus dem „Eindringen von Formen ökonomischer und administrativer Rationalität in Handlungsbereiche, die sich der Umstellung auf die Medien Geld und Macht widersetzen, weil sie auf kulturelle Überlieferung, soziale Integration und Erziehung spezialisiert sind und auf Verständigung als Mechanismus der Handlungskoordinierung angewiesen bleiben“ (Habermas 1981: 488). Nur aus der Perspektive der Lebenswelt können Phänomene wie „Kommerzialisierung“, bzw. „Monetarisierung“ und „Bürokratisierung“ als pathologisch charakterisiert werden. Die symbolische Reproduktion ist aus diesem Blickwinkel der materiellen Reproduktion untergeordnet. Demnach fungiert Soziale Arbeit nicht per se als kommunikative Vermittlungsinstanz mit aufklärerischem Anspruch, sondern möglicherweise auch als „stahlhartes Gehäuse“ (Weber), welches gesamtgesellschaftlich zwar funktional ist, jedoch in gewisser Hinsicht entmündigend auf die Klientel einwirken kann. Diese repressive Einwirkung könnte sich zum Beispiel darin äussern, dass (personale oder institutionelle) Soziale Arbeit in der Beziehung zur Klientel den Anschein erweckt, der Systemintegration gegenüber der Sozialintegration Vorrang zu gewähren. Ein passendes Beispiel hierfür ist das sogenannte „workfare“, ein Sozialfürsorgeprogramm, welches besonders in den USA verbreitet ist. Die Entkoppelung von System und Lebenswelt, bzw. von Arbeit und Interaktion [3], ist charakteristisch für die Habermas’sche Deutung der Moderne. Selbstbeschreibungen der Sozialen Arbeit, welche diese Einschätzung teilen, vertreten notwendigerweise den Anspruch, primär die Sozialintegration zu fördern, da eine einseitige Ausrichtung auf die Systemintegration bei der Klientel anomische Spannungen erzeugen kann. Die Aufgabe der Sozialen Arbeit kann nicht darauf reduziert werden, den Zustand eines Klienten lediglich von „hilfsbedürftig“ auf „nicht-hilfsbedürftig“ zu befördern. Vielmehr soll sie in einem diskursiven Verfahren zur Selbstreflexion der Klientel animieren, sowohl bezüglich der individuellen Präferenzen als auch der sozialen Norm- und Wertvorstellungen. Es ist nicht verwunderlich, dass die Vorstellung der Sozialen Arbeit als Produkt der Entkoppelung von System und Lebenswelt zwar verbreitet, aber nicht allgegenwärtig ist. Verschiedene Autoren konstatieren Entwicklungen, die dem Entkoppelungsprozess oder zumindest der Kolonialisierungsthese entgegengesetzt zu sein scheinen. So vertritt zum Beispiel Wieland Jäger die Auffassung, dass inzwischen eine „Entkoppelung der Entkoppelung von System und Lebenswelt“ (Jäger 2005) beobachtbar ist, woraus eine Veränderung des Verhältnisses zwischen symbolischer und materieller Reproduktion folgt. Die Argumentation betont das „funktional reziproke Verhältnis“ (Offe 1984: 229, in Jäger 2005: 511) zwischen der materiellen Reproduktion einerseits und der kulturellen, gesellschaftlichen und persönlichen Reproduktion andererseits. Mit anderen Worten: System und Lebenswelt sind ineinander eingebettet (Jäger 2005: 511). Generell betrachtet seien (kommerzielle) Dienstleistungen „form-beschützende Aktivitäten“, die als strategische Reaktion einer Gesellschaft auf strukturelle Risiken beschrieben werden (vgl. ebd.: 511f.). Sie werden als integrative Kategorie spezifiziert, welche die ehemals konträren Bereiche erneut zu einer Entität zusammenfügen (vgl. ebd.: 514). Die sich verbreitende Organisationsform der „lean production“ seit den 80er Jahren verstärkt die Entwicklung einer erneuten Konsolidierung zwischen Arbeit und Interaktion (vgl. ebd.: 515). Jägers Beitrag mündet in der Feststellung eines Epochenbruchs hin zur Postmoderne, ohne jedoch eine konkrete Zäsur anzugeben. Die Feststellung, dass die Mediatisierungstendenzen nicht einseitig, im Sinne der Kolonialisierungsthese, sondern vielmehr beidseitig beobachtbar sind, scheint sich als heuristisches Prinzip zu entwickeln. Nicht nur eine Monetarisierung und Professionalisierung symbolischer Reproduktionsfunktionen, sondern auch die verständnisorientierte, kommunikative Organisation materieller Reproduktion ist als Folge dieser wechselseitigen Mediatisierung zu konstatieren (vgl. Jäger 2005: 515). Letzteres kann dazu führen, dass die Motivation, einen Konsens herbeizuführen, unter Umständen nicht um des Konsenses willen geschieht, sondern vielmehr wegen der Produktivität, wegen des wirtschaftlichen Erfolgs (ebd.). Die vom Autor mit Nachdruck betonte „ganzheitliche“ Identitätserwartung von Dienstleistungen ist insbesondere für das Berufsfeld der Sozialen Arbeit eine unabdingbare Motivationsgrundlage. Das Streben nach einer „Einheit des Lebenszusammenhanges“, in der Arbeit nicht als etwas Zwanghaftes und Fremdes empfunden wird, sondern als Beweisstellung von gesellschaftlicher Nützlichkeit der eigenen Person gedacht werden kann, gilt nach wie vor grundlegend für die Berufswahl (vgl. Baron / Landwehr 1990: 140f.). Unter direktem Rückgriff auf die Kolonialisierungsthese ist diesbezüglich ein Verfall von wert- und normbildender Tradition, bzw. dessen Substituierung durch administrative Regeln zu vermuten (vgl. ebd.: 154f.). Autoren, die eine Affinität zum Diskurs der Postmoderne aufweisen, sprechen hingegen oftmals von „radikaler Pluralität“ (Welsch 1987: 4, in Kleve 1999: 33). In Bezug auf die Soziale Arbeit wird von der ihr innewohnenden ambivalenten Struktur darauf geschlossen, dass sie seit jeher eine postmoderne Profession sei, die als „Einheit ihrer heterogenen Vielheit“ beschrieben werden kann (vgl. Kleve 1999: 31f.). 9. Ausblick Die unterschiedlichen Auffassungen zur Frage nach der Professionalisierbarkeit der Sozialen Arbeit spiegeln die Unsicherheit wider, mit der das Berufsfeld in Zukunft wohl konfrontiert sein wird. Von unterschiedlichen Befürchtungen bis hin zu Heilserwartungen streckt sich die Debatte über verschiedene Interpretationen der Gesellschaft hinweg. Ein wichtiger Kritikpunkt ist die berufliche Autonomie, welche je nach dem, ob die organisationale Eingebundenheit eine Professionalisierung verunmöglicht, als charakteristisches Hindernis der Entwicklung eines professionellen Selbstverständnisses problematisiert wird. „Die berufliche Autonomie der Sozialen Arbeit als Profession und ihre Kompetenzdomäne ist in der Kooperation mit höherrangigen Professionen dann nicht gefährdet, wenn die Fachkräfte ihre spezifische Expertise in einer ganzheitlichen, umfeldbezogenen Beratungs-, Betreuungs-, Vermittlungs- und Vernetzungsarbeit sehen, anstatt mit höherrangigen Professionen in deren Arbeitsfeld (z.B. in der Therapie) zu konkurrieren.“ (Heiner 2004: 153) Selbstbeschreibungen der Sozialen Arbeit, welche mit dem Terminus der Postmoderne konnotiert sind, stellen einen Versuch dar, das Dilemma der Professionalisierung zu überwinden, indem die Dissonanzen der konkurrierenden Wertvorstellungen zum Normalfall erklärt werden. Wenn sich jedoch Soziale Arbeit mit mangelnder Anpassung an gesellschaftlich vorgegebene Normen, abweichendem Verhalten und Resozialisierung beschäftigt, ist eine klare Einstellung zu diesen gesellschaftlichen Normen und Werten von entscheidender Bedeutung (vgl. Baron / Landwehr 1990: 154). Professionalität verlangt mehr als die Beherrschung von Methoden und Techniken zur Erreichung bestimmter Ziele; entscheidend ist die Klarheit über die eigene Berufsrolle als Basis der beruflichen Identität und als Zielfindungsrahmen (Bartlett 1970, Wilfing 1995, in Heiner 2004: 38). Diese Rollenklarheit umfasst eine genaue Vorstellung von der eigenen Aufgabe und Verpflichtung, aber auch eine Verortung dieses Rollenverständnisses im Berufsfeld, insbesondere im Verhältnis zur eigenen Institution und zu anderen Berufsgruppen, bzw. Professionen (vgl. Heiner 2004: 38f.). Zum individuellen Rollenbewusstsein gehört die Einsicht in die intermediäre Funktion der Sozialen Arbeit, die Besinnung der doppelten Aufgabe von personaler wie auch struktureller Hilfe, und schliesslich auch die Überschaubarkeit von Grenzen der Beeinflussbarkeit, bzw. der Hilfeleistungen (vgl. ebd.). Eine neuere Herausforderung für die Soziale Arbeit ist die sich verstärkende Tendenz, dass sie in fast allen Gebieten ihrer Tätigkeit mit Selbsthilfegruppen in Berührung kommt (vgl. Geser 2001). Generell ist als Folgeproblem der Individualisierung beobachtbar, dass die Wirkungsmöglichkeiten beruflichen Helfens in besonderem Masse abnehmen, weil es erstens in Anbetracht der Vielfalt und Unvorhersehbarkeit der Bedürftigkeiten und Vorgehensweisen immer schwerer fällt, die Kenntnisse und Fähigkeiten zu definieren, die für erfolgreiche Hilfeleistung notwendig sind; zweitens sind Laienhelfer oftmals besser in der Lage, die stark ansteigende Nachfrage nach „Einfühlung“, „Verständnis“ u.a. zu befriedigen; drittens bestehen dank der Eigenaktivität der Adressaten (und ihrer Selbsthilfegruppen) weniger Möglichkeiten, berufliche Qualifikation und professionelle Autorität zur Geltung zu bringen; und schliesslich sind viertens die Helfer immer weniger bereit, sich irreversibel und lebenslang an ihre Rollen zu binden, da sie ihrerseits ebenfalls auf Selbstverwirklichung bedacht sind (vgl. Geser 2001). In Anbetracht dieser Entwicklungstendenzen fällt es schwer abzuschätzen, wie sich die Soziale Arbeit in Zukunft entwickeln wird. Das professionelle Selbstverständnis ist nach wie vor von einer hohen intrinsischen Motivation abhängig, da der Grad an Autonomie und das Prestige, bzw. das gesellschaftliche Ansehen der Sozialen Arbeit gegenüber der klassischen Auffassung von Professionen aus soziologischer Perspektive defizitär bleibt. Mit verschiedenen neueren Konzepten, wie zum Beispiel der Lebensweltorientierung, wird der Versuch unternommen, von den individuellen Deutungsmustern der Klientel auszugehen, statt sich auf einen eigenen professionellen Habitus zu besinnen, der eine ähnlich normierte methodische Herangehensweise praktiziert, wie beispielsweise derjenige des Arztberufes. Andererseits sieht sich die Soziale Arbeit zunehmendem Legitimationsdruck ausgesetzt, da sie in der Regel auf öffentliche Gelder angewiesen ist, deren Investition mit der Erwartung einer Dividende verbunden ist. Es ist zu erwarten, dass die konkrete Leistungserbringung der Sozialen Arbeit mit Nachdruck unter ökonomischen Gesichtspunkten beurteilt wird. Aus der Perspektive eines institutionellen Geldgebers besteht die Erwartung darin, möglichst viele Menschen aus dem Zustand „hilfsbedürftig“ zu „nicht-hilfsbedürftig“ zu befördern. Im Gegensatz zu klassischen Professionen wie z.B. Arzt oder Jurist, müssen Personen, die im Berufsfeld der Sozialen Arbeit tätig sind, ein wesentlich flexibleres Rollenverständnis erarbeiten, weil eine Formalisierung der Beziehungen in diesem Bereich, gerade unter dem Gesichtspunkt der Individualisierung, nicht möglich und auch nicht erwünscht ist. Ackermann, Friedhelm 1995:
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Geser 1988: 211). [2] Folgende Auflistung ist von Thomas Kurtz (2002) entnommen, der dieser von Cogan (1953) zusammengefassten Taxonomie nicht den Stellenwert einer eigenständigen Theorie beimisst (vgl. Kurtz 2002: 49). Andere Autoren betiteln diese (und ähnliche) Merkmalsbestimmungen als „Attributionsmodelle“ (Gall / Hitz 1999: 61-67) oder „indikatorisch-merkmalstheoretische Position“ (Dewe et. al. 1986: 184-188). Der Stellenwert einer heuristischen Theorie bleibt diesen Modellen versagt, weil sie rein deskriptiver Natur sind und bei der Bestimmung der „relativen Bedeutung“ und der „strukturellen Beziehung“ der Merkmale untereinander nicht brauchbar sind (vgl. Dewe et. al. 1986: 187). [3] Habermas hat mit Bezugnahme auf Hegel bereits 1968 in seiner Schrift "Technik und Wissenschaft als "Ideologie"" das Verhältnis zwischen Arbeit und Interaktion, analog zur Unterscheidung zwischen System und Lebenswelt, analysiert. Der Arbeitsbegriff ist hier relativ eng gefasst und dem zweckrationalen Handeln im Sinne Max Webers zuzuordnen. Folglich kann es nicht zu einer von Karl Marx postulierten Entfremdung der Arbeit kommen, sondern allein zu einer Entfremdung des Interaktionsbereichs (vgl. Rüddenklau 1982:11). Last update: 02 Feb. 15 |
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