[Publikationen]

"Bildung und Arbeit"


  1. Einleitung
  2. Inhaltsverzeichnis

 

Arbeit und Bildung: das Ende einer Differenz?

Die Frage ist nicht Provokation, sondern Verweis auf einen tiefgreifenden Wandel von Systemgrenzen und eine zunehmende gegenseitige Wechselwirkung von Bildungswesen und Arbeitswelt. Im vorliegenden Buch sind Beiträge von namhaften AutorInnen zusammengestellt, welche diskutieren, ob und wie eine Vernetzung der bislang als institutionell und strukturell eher getrennte Gesellschaftsbereiche Arbeit und Bildung belegt werden kann.

Die Beiträge in diesem Buch folgen der Frage nach den Möglichkeiten, Bedingungen und Konsequenzen einer gegenseitigen Öffnung der Komplementäre Bildung und Arbeit. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, ob ein solcher Entwicklungsprozess für die Gesellschaft, die Unternehmen und für Einzelne überhaupt wünschenwert ist. Insgesamt ist die Publikation Ausdruck einer Vielfalt an Standpunkten aus verschiedenen Disziplinen. So vereint das Buch Reflexionen sowohl der Berufsbildung als auch der Betriebswirtschaft, der Informatik und der Pädagogik, und lässt Einblicke zu in die wissenschaftlichen Debatten der Soziologie. Dabei fällt die unterschiedliche Begriffswahl je nach Forschungs- oder Fachgebiet auf: Bildung, Berufsbildung, Weiterbildung, Lernen, Kognition, Kompetenzen, Schlüsselqualifikationen, Qualifikationsanforderungen, HumanRessources und Wissen. Die verwendeten Analyse- und Abstraktionsebenen berühren sowohl eine gesamtgesellschaftliche Perspektive, als auch organisatorische Strategien im unternehmerischen Alltag bis hin zu didaktischen Fragen und kognitiven Prozessen. Vor diesem Hintergrund finden sich in diesem Buch, wenn auch nicht vollständig, jedoch relativ breit und doch kurz zusammengefasst die aktuellen Themen um Bildung und Arbeit vor der Jahrtausendschwelle.

Die Beiträge wurden thematisch in fünf Kapitel gruppiert. Im ersten Kapitel wird die Frage der Entgrenzung und Entstandardisierung von Bildung und Arbeit diskutiert. Transitionen im individuellen Lebenslauf von Bildung zu Arbeit sind Thema des zweiten Kapitels. Das dritte Kapitel behandelt die Verbindung von Bildung und Arbeit in Unternehmen. Anhand von fünf Praxisbeispielen bzw. Fallstudien werden im vierten Kapitel Möglichkeiten von Lernen an der Arbeit aufgezeigt. Schliesslich wagen wir einen Ausblick über ein neue Konzepte von Bildung und Arbeit in der lernenden Gesellschaft.

In diesem Sinne gibt das erste Kapitel die Diskussion der Entgrenzung und Entstandardisierung von Bildung und Arbeit wieder. So ist die Argumentation von Martin Baethge, Göttingen dahingehend, dass im Uebergang zur Informationsgesellschaft zum einen eine zunehmende Vermarktlichung von Bildungskategorien, und zum anderen neue Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln festgestellt werden können. Unsere Gesellschaft ist entgrenzt, aber nicht offen, und führt zu sowohl ambivalenten wie flexiblen Mustern von Individualisierung und Institutionalisiserung. Auch Günter G. Voss und Hans J. Pongratz, München weisen auf die Notwendigkeit einer verstärkten Selbstkontrolle der Arbeitskraft hin und verorten Perspektiven der Entgrenzung von Qualifikation und Qualifizierung. Diesen affirmativen Ueberlegungen hin zum individuellen Beruf stehen Zweifel an der Entstandardisierung des Bildungswesens gegenüber. Durch fünf provokante Thesen stellt auch Erich Ribolitis, Wien, die These der Entgrenzung von Arbeit und Bildung in Frage. Seine zentrale Aussage ist, dass Bildung nicht leisten kann, was Politik versagt. Auch Philipp Gonon, Zürich, weist auf den historischen Gegensatz von Bildung und Arbeit hin. Als eine mögliche Brücke zwischen Bildung und Arbeit könnten die überall proklamierten, wie geforderten Schlüsselqualifikationen dienen. Allerdings weist der Autor darauf hin, dass diese Schlüsselqualifikationen trotz langjähriger Prominenz des Konzeptes inhaltlich nicht näher, noch schlüssig bestimmt sind, und auf eine semantische Leerstelle hinweisen. Schliesslich gehe es nicht um eine Entstandardisierung, Wesensmerkmal gegenwärtiger Modernisierungsprozesse, sondern um eine Restandardisierung, so Hermann Forneck, Giessen. Er führt aus, dass der Entstandardisierung des Bildungssystems entgegengewirkt und neue Formen der Standardisierung entwickelt werden müssten. David Giauque, Lausanne, sieht Arbeit und Bildung getrennt, werde doch das Potential von Bildung in der Arbeit nicht ausgeschöpft.

Eine weitere Schnittstelle ist der Uebergang von Bildung zu Arbeit, welcher im zweiten Kapitel anhand von empirischen Beiträgen sowohl für die Lehre oder die Hochschule zum Beruf belichtet wird. Der Beitrag von Martin Rimann, Sibylle Frei und Ivars Udris, Zürich thematisiert die Vorstellungen von Jugendlichen über die zukünftige Arbeitswelt am Ende ihrer Banklehre. Aus- und Weiterbildung ist eine prospektive Bewältigungsstrategie in der Auseinandersetzung mit der beruflichen Zukunft. Auch in der Studie zum Tessin von Mario Donati und Paola Solcà, Bellinzona wird der Uebergang von der Lehre in den Beruf untersucht. Die AutorInnen stellen eine längere, und nicht unbedingt lineare oder direkte Ausbildungsphase fest. Bezüglich des Uebergangs vom Studium zum Beruf konstruiert Urs Kiener, Winterthur Biographien von Studienabschliessenden versus Studienabbrechenden. Er definiert Lernen explizit als Arbeit, Studieren grenzt er ab von Bildung und fragt in welchen Welten sich Studierende bewegen. Die Bedeutung im Gebrauch von Metaphern zur Bewältigung des Ueberganges von Studium zum Beruf ist das Thema im Beitrag von Karin S. Moser, St. Gallen. Aus kognitionspsychologischer Sicht weist Madelon Saada-Robert, Genf, aus, dass aus der Perspektive der Ausbildung die Unterscheidung zwischen den Polen Arbeit und Bildung hinfällig wird. Ihre empirische Untersuchung über die Effizienz des Schulsystems kommt zum Schluss, dass eine Unterscheidung in Verfahren, um zu memorisieren oder zu handeln gegenüber Problemen, die es zu lösen oder durchdringen gilt, weder empirisch noch theoretisch aufrecht erhalten werden kann.

Der Themenbereich Verbindung von Bildung und Arbeit im Unternehmen erlaubt eine weitere Diskussion der Differenz von Bildung und Arbeit. Die Beiträge im dritten Kapitel fragen nach Potentialen und Vorbedingungen erfolgreicher Verbindung von Bildung und Arbeit. Jacqueline Lurin und Anne Soussi, Genf rufen in ihrem Beitrag in Erinnerung, dass die Voraussetzung zur Informations- und Wissensgesellschaft in der Fähigkeit liegt, lesen, schreiben und rechnen zu können. Diese Fähigkeiten erlauben erst, sich der geschriebenen Information zu bedienen und diese für den (Arbeits)alltag nutzen zu können, und sind in der Schweiz für in hohem Ausmass nicht selbstverständlich. Ungenutzes Humankapital ist auch für die Wertschöpfung eines Unternehmens fatal. Bruno Staffelbach und Rosmarie Schön, Zürich, zeigen in ihrem Beitrag, wie die Wertschöpfung des Unternehmens auf strategischer Ebene bestimmt werden kann und erläutern die zentrale Rolle des HumanRessourcenManagements hierfür. Hanja Hansen, Zürich, gibt einen Überblick über den betrieblichen Personalbedarf und den verwendeten Massnahmen der Humankapitalsteigerung. Aktuelle repräsentative Informationen Schweizer Betriebe aus Industrie, Handel, Banken und Versicherungen erlauben differenzierte Trendaussagen. Eine andere Voraussetzung für erfolgreiche Bildung in und durch Arbeit wird in der Nutzung der Virtualität als strategisches Hilfsmittel von kleinen und mittleren Unternehmen postuliert. Pascal Sieber, Bern, zeigt wie durch Einsatz von Informationstechnik Virtualität erreicht und dadurch neue Bildungsmöglichkeiten und neue Arbeit entstehen. Der Einfluss der Medien auf Bildung und Arbeit schafft nicht nur günstige Voraussetzungen, so Katharina Ernst, Zürich. Sie argumentiert, dass Bildung in und durch Arbeit gehemmt wird, solange in unserer Gesellschaft die Medien ein Bild transportieren, dass Berufstätigkeit vor allem mit Männern verbindet.

Dem vierten Kapitel sind praxisnahe Beiträge zugeordnet, die empirisch exemplarische Belege zur Verbindung von Bildung und Arbeit liefern. Fünf Praxisbeispiele zeigen präzise auf, wie in und durch die Arbeit gelernt wird. Wie im Spital erfolgreich Bildung und Arbeit verbunden worden ist, und welche Chancen und Notwendigkeiten hierfür gelten, zeigt Jürg Brühlmann, Winterthur, in seinem Beitrag auf. Die lernende Organisation und Lernprinzipien kollaborativen Lernens sind auch Thema im Beitrag von Annette Kluge, Aachen. Die Bedeutung der Selbstverantwortlichkeit, sowie ferner die Handhabung der Ressouce Zeit als Führungsinstrument, wie auch als Technik des Selbstmanagements erläutert Peter Kohlhaas, Bischofszell. Eine neue Ebene, wo Bildung und Arbeit vereint werden, hat für Harald Mieg, Zürich die Professionalisierung von Wissen. Deren Bedeutung und Möglichkeiten zu skizzieren, ist Ziel seines Beitrag. Und Beatrice Sigrist, Zürich zeigt, wie man durch Lernen bei der Arbeit unternehmerische Chancen entdecken kann. Schliesslich folgern Alain Quiamzade, Gabriel Mugny, Juan Manuel Falomir und Fabrizio Butera aufgrund der Erkenntnisse ihres kognitionspsychologischen Experimentes Anregungen für eine optimale Lernsituation.

Ausblickend verweist das Postulat Ursula Schneider, Graz darauf, dass die Wissensgesellschaft nicht weiss, was sie weiss. In ihrem Beitrag beleuchtet die Autorin einerseits die Unschärfe des Wissensbegriffs, andererseits aber auch, dass wir einem neuen Modus zwei gegenüber einem alten Modus eins der Wissensproduktion entgegenstreben. Henk Goorhuis, Zürich skizziert abschliessend mögliche Entwicklungen von Bildung und Arbeit unter Verwendung der neueren Systemtheorie, welche davon ausgeht, dass sich hier zwei zutiefst entgrenzte, aber dennoch wesensfrende Gesellschaftssysteme gegenüberstehen und in eine Co-Evolution treten.

Die Beiträge der Autorinnen und Autoren zeigen auf, dass das bisherige Verhältnis zwischen Bildung und Arbeit nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, eine neue Ordnung aber noch nicht endgültig sichtbar geworden ist. Dies weist darauf hin, dass sich die heutige Gesellschaft in einem noch nicht abgeschlossenen Prozess der Transition befindet.

 

Für die Herausgeberschaft

Beatrice Sigrist und Hanja Hansen


Inhaltsverzeichnis

I. Entgrenzung und Entstandardisierung von Arbeit und Bildung

Prof. Dr. Martin Baethge Institutionalisierung oder Individualisierung — Arbeit und Bildung im Übergang zur Informationsgesellschaft
Prof. Dr. G. Günther Voss
Dr. Hans J. Pongratz
Entgrenzte Arbeitskraft - entgrenzte Qualifikation
Dr. Erich Ribolitis Die Arbeit hoch? - Oder: Bildung kann nicht leisten, was Politik versagt!
Prof. Dr. Philipp Gonon Schlüsselqualifikationen als Ueberbrückung des Gegensatzes zwischen Arbeit und Bildung?
Prof. Dr.Hermann Forneck Entgrenzung und Entstandisierung von Bildung und Bildungssystemen
David Giauque La fin d’une distinction entre lieu de travail et lieu de formation? Que d’opportunités gâchées!

 

II. Transitionen zwischen Bildung und Arbeit

Dr. Martin Rimann
Sibylle Frei Lic. Phil. I
Prof. Dr. Ivars Udris
Vorstellungen über die zukünftige Arbeitswelt beim Übergang von der Ausbildung ins Berufsleben
Mario Donati
Paola Solcà
Mobilité à l‘interieur du système de formation et transitions vers le travail
Urs Kiener Bildung, Arbeit und der grosse Rest. Biographien von Studierenden in Zeiten der Differenzierung
Dr. des. Karin S. Moser Knowledge Acquisition through Metaphors: Anticipation of Self Change at Transitions from Learning to Work
Prof. Dr. Madelon Saada-Robert L‘apprentissage des "techniques" est-il indépendant de celui des problèmes complexes?

 

III. Bildung im Unternehmen

Jacqueline Lurin
Anne Soussi
La société de l‘information: quelles compétences pur bien fonctionner?
Prof. Dr. Bruno Staffelbach
Rosmarie Schön, Lic. Oec. Publ.
Wertschöpfung durch Human Ressources Management
Dr. des. Hanja Hansen Qualifikationsanforderungen der Arbeitskräftenachfrage
Dr. Pascal Sieber Organizational Virtualness
Katharina Ernst Die Inszenierung der berufstätigen Frau in fiktionalen Medientexten

 

IV. Bildung durch Arbeit

Dr. Peter Kohlhaas Selbstverantwortliche Bildung und die Ressource Zeit
Jürg Brühlmann, Lic. Phil. I Lernen am Arbeitsplatz: Berufliches Lernen als gemeinsame Erfahrung in einem organisationellen Kontext
Dr. Annette Kluge Lernen und Wachsen an den eigenen Projekten: Problembasiertes selbstorganisiertes Lernen im Team
Prof. Dr. Harald A. Mieg Wissensmanagement durch Professionen. Differenz von (Berufs-) Ausbildung und Berufsarbeit

Beatrice Sigrist, lic.rer.pol, D.E.A.

Chancenerkennung als Prozess
Quiamzade, Alain
Mugny, Gabriel
Falomir, Juan Manuel
Butera, Fabrizio
Gestion identitaire vs épistémique des compétences

 

V. Lernende Gesellschaft

Prof. Dr. Ursula Schneider Die Wissensgesellschaft weiss nicht, was sie weiss
Dr. Henk Goorhuis Bildung und Arbeit als autopoietische Systeme

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