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1. Arbeitsorganisation und
Qualifikationsanforderungen
In der Empirie können wir viele Spezifika des Wandels der Arbeitswelt ausmachen. So unterscheiden sich bspw. die Branche bzw. der Wirtschaftssektor in ihrem Einfluss auf den qualitativen Personalbedarf von dem Einfluss der Betriebsgrösse. Insbesondere das Ausmass der Technologisierung, welche sich unmittelbar in erhöhten Qualifikationsanforderungen niederschlägt, verläuft branchenspezifisch und die Betriebsgrösse wird zu einem entscheidenen Faktor im Zusammenhang mit dem organisationellen Wandel (vgl. dazu die publizierten Texte auf der Homepage). Dennoch soll an dieser Stelle der Frage nach gegangen werden, ob wir, trotz aller Pluralität der Veränderungen und ihren feststellbaren Spezifika, von einem allgemeinen Strukturwandel der Arbeit sprechen können.
1. Arbeitsorganisation und Qualifikationsanforderungen Veränderte Organisationsstrukturen und neue Formen der Arbeitskoordination führen zum verstärkten Bedarf an nichtfachlichen Kompetenzen. Das formale Ausbildungsniveau kann nur ein Indiz für die spezifisch notwendigen Qualifikationen sein. Qualifikation hebt sich von reinen formalen Bildungsabschlüssen ab und beinhaltet ein breites Spektrum an Kompetenzen, die für den Gebrauch im Arbeitsmarkt bestimmt sind (vgl. z.B. Gonon 1998). Am geläufigsten ist in der Pädagogik die Unterscheidung von den drei S-Kompetenzen: Selbst-, Sozial- und Sachkompetenzen. Selbstkompetenzen fassen ein Bündel von Fähigkeiten zusammen: Selbstverantwortung, Kreativität, Ideenreichtum, Selbständiges Denken und Entscheiden, Psychische und Physiche Belastbarkeit, Problemlösungsfähigkeit und Flexibilität bei neuen Anforderungen. Sozialkompetenzen bezeichnen die zur Interaktion nötigen Fähigkeiten wie Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Konfliktfähigkeit, Kontaktfreudigkeit, Teamfähigkeit, Fähigkeit sich und andere zu informieren sowie Planungs- und Organisationsfähigkeit. Die Sachkompetenz bezeichnet die eigentlichen Fachkompetenzen: das spezifische Know-How, welches es zur Ausübung eines bestimmten Berufes braucht. Ein häufig verwendetes Wort ist das der Schlüsselqualifikationen, es soll diejenigen Qualifikationen bezeichnen, die als Schlüssel zu weiteren Qualifikationen dienen und nicht einer Entwertung in der Zeit unterliegen. Die Forschungsergebnisse verstärken die Erkenntnis, dass Selbst- und Sozialkompetenzenjeweils in Ergänzung zu Sachkompetenzen verlangt werden.
2. Tätigkeitsprofile anstatt Berufe Betrachten wir die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt, dann sehen wir, dass 1998 bei einer Arbeitslosenquote von 3,9%, sich 142'000 Erwerbslose und 13 327 offene Stellen gegenüberstehen. Der Mangel betrifft grösstenteils gelernte Arbeitskräfte. Dieses Phänomen nennt man in der Volkswirtschaft: das Mismatching-Problem von Angebot und Nachfrage. In den 80ger Jahren, wollte die Wissenschaft diesem Mismatching-Problem mit gezielten Bedarfsanalysen nach Berufsgruppen entgegenwirken. Leider erfolgte die bedarfsgerechte" Produktion von Berufsfachleuten zeitverzögert und kollidierte ausserdem mit langfristig instabilen Prognosen. Inzwischen hat man sich vom Arbeitskräftebedarfsdeckungsansatz verabschiedet. Das Institut für Arbeits- und Berufsforschung in Nürnberg erstellt heute noch Zukunftsprognosen nach Tätigkeitsfeldern für einzelne Branchen. Damit reagiert es auf die theoretische und empirischen Erkenntnis über den Zerfall an der Kategorie Beruf. Das Schweizer Bundesamt für Statistik hat ein von Berufen unabhängiges Kategorienschema, das der sozioprofessionellen Kategorien, entwickelt. Auch die Qualifikationsforschung befasst sich zunehmend mit dem Wandel von Berufsrollen oder Tätigkeitsprofilen anstelle von Berufen. Gerade die Forderung der Arbeitgeber nach besser und breiter ausgebildeten Personal ist ein Hinweis auf eine inhärente Veränderung der Tätigkeitsprofile. Denn der aktuelle Wandel der Arbeitswelt schlägt sich nieder in einer Vielzahl von bereits bekannten und neuen Organisationsformen, zunehmender Informatisierung in den meisten Arbeitsbereichen und damit verbundenen neuen Kooperationsformen und Arbeitsinhalten. In der deutschen Arbeitssoziologie spricht man deswegen schon länger von dem Strukturwandel der Arbeit, dem wir auch in der Schweiz verstärkt Beachtung schenken sollten.
3. Entwicklungsphasen organisierter Arbeit Vergegenwärtigen wir uns die historische Entwicklung der letzten 200 Jahre: so können wir drei Entwicklungsphasen ausmachen: 1) Frühindustrialisierung, 2) Industrialisierung und 3) die Postfordistische Phase. Im Übergang von der zweiten zur dritten Entwicklungsphase findet der erwähnte Strukturwandel der Arbeit statt, mit dem wir uns näher beschäftigen wollen. Voss ist der Ansicht, dass der aktuelle Strukturwandel ebenso gravierende Auswirkungen auf die Arbeitswelt hat wie die Industrialisierung eingangs dieses Jahrhunderts. 3.1 Frühindustrialisierung Die Ablösung von der Bauerngesellschaft wird als Phase der Frühindustrialisierung bezeichnet. Bäuerlich-handwerkliche Arbeitskräfte, mit geringer Qualifikation und disziplinungewohnt, wurden für die industrielle Produktion genutzt. Damit hob sich die Einheit von Arbeit und Heim auf. Es entstanden Arbeitstätten, an denen sich die Arbeitskräfte besammelten und während einer festgelegten Zeit die Arbeitskraft zur Verfügung stellten. Zur kontinuierlichen Arbeitskraftnutzung wurden rigide Formen der Kontrolle angewendet und starre Arbeitsordnungen erstellt. Die Arbeit war in kleine Einheiten zerlegt. Für Marx geht damit Entfremdung einher. Ein typisches Beispiel ist das eines Schuster, der in vorindustrieller Produktion noch fähig war, einen ganzen Schuh alleine herzustellen und später bspw. nur die Sohle fabrizierte. Dieser Teilarbeiter war denn auch Ansatzpunkt kritischer soziologischer Forschung. 3.2 Fordismus/Taylorismus In der zweiten Phase kennt man bereits den verberuflichten Arbeitnehmer des Fordismus. Dieser verfügt über erhöhte und standardisierte Fachqualifikation, die bereits extrafunktionale Qualifikationen beinhalten, insbesondere die sekundären Arbeitstugenden wie Fleiss, Ordnung und Pünktlichkeit. Es werden psychosoziale Führungstechniken angewandt und es findet ein Übergang von repressiver, personeller Kontrolle zur strukturellen Personalsteuerung statt. In dieser Zeit etabliert sich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach der Frauen vorwiegend im Heim und Männer im Betrieb tätig sind. In dieser Zeit erblühte das Scientific Management des Taylorismus, aber in der zweiten Häfte des Jahrhunderts folgte auch der Human-Relations- und der Human-Motivation-Ansatz. Theoretische Arbeiten wie das Bürokratiemodell von Max Weber sind vor diesem historischen Hintergrund zu lesen.
3.3 Postfordismus und Strukturwandel der Arbeit Seit den letzten 10 Jahren zeichnet sich nun eine neue Phase des Postfordismus ab. Informations- und Kommunikationstechnologien sowie veränderte Arbeitsorganisation und neue Managementkonzepte verändern die betriebliche Arbeit grundlegend. Deswegen spricht man immer wieder von einem Strukturwandel der Arbeit. Genau hier hinkt die traditionelle Industriesoziologie nach. Die Industriesoziologen hatten ihren Höhepunkt in den 70ger Jahren. Mittlerweile wird ihnen vorgeworfen, dass sich durch ihren Fokus auf die industrielle Produktion die tiefgreifenden Einfüsse der Kommunikations- und Informationstechnologien auf die gesamte betriebliche Arbeitswelt nicht richtig einschätzen. Sie mögen unter dem Postulat der Humanisierung der Arbeit viel dazu beigetragen haben, dass industrielle Tätigkeiten vielfältiger und die Arbeitsumstände gesundheitlich verträglicher wurden. Der Strukturwandel der Arbeit zeichnet sich jedoch in allen Betrieben und vorallem in der Arbeitsorganisation ab. Deswegen versprechen sich jüngere Forschungen mehr von einer organisationsoziologischen Betrachtungsweise (vgl. Tacke 1997). Die Enge Verzahnung von Arbeitsorganisation, Tätigkeitsfeldern und Führungstil erlaubt es denn auch, ausgehend von einer Analyse der Nachfrageseite, Aussagen über veränderte Qualifikationsanforderungen zu machen. Voss/Pongratz (1998 oder 1999 in Hansen et. al. 1999) siedeln in dieser Phase des Postfordismus den verbetrieblichten Arbeitskraftunternehmertypus an. Das besondere an ihm ist, dass er das betriebliche Transformationsproblem in sich selber internalisiert. Ihm obliegt es nun, nicht nur sein Arbeitspotential zu verkaufen, sondern sein gesamtes Arbeitsvermögen zu externalisieren. Die ehemals betriebliche Kontrolle geht in eine individuelle Selbstkontrolle über, die nach starker Selbstdisziplin verlangt. Aufgrund von persönlichen Fähigkeitsbündeln und spezifischen Kompetenzen und Erfahrungen entstehen individuelle Berufe. Sennett (1998) befürchtet, dass das omnipräsente Diktat der Flexibilität im flexiblen Kapitalismus zu einer sozialen Desintegration führt. Die gleiche Flexibilität die im Beruf zu Erfolg führen kann, kann im Privatleben jeglichen Rückhalt und jede Verbindlichkeit auflösen. Der innere Rollenkonflikt entwurzelt den Menschen und wirft ihn erbarmungslos auf sich selber zurück, wo er gezwungen wird Risiko und Unsicherheit zu bewältigen. Voss/Pongratz gehen davon aus, dass sämtliche Arbeitnehmende von diesem Strukturwandel der Arbeit betroffen sind. Dank der differenzierten Erfassung der Qualifikationsanforderungen und Belegschaftsstrukturen haben wir nun die Möglichkeit zu überprüfen, ob Unterschiede nach Ausbildungsniveau bestehen. Es könnte sich bei dem Arbeitnehmertypus ja auch um eine neue Form der Arbeitskraftelite handeln. Genauso könnte auch eine Polarisierung der Arbeitnehmerschaft in eine Stammbelegschaft und in eine variabel einsetzbare Belegschaft stattfinden. Wobei offen ist, in welcher Gruppe die hoch qualifizierten und in welcher die niedrig qualifizierten Arbeitskräfte anzutreffen sind. Wenn wir heute soziologische Arbeits- und Qualifikationsforschung betreiben, sollte das eigentliche Erkenntnisinteresse darin bestehen, den gesamten Strukturwandel der Arbeit zu erfassen sowie die Folgen des Strukturwandels für Individuen, Unternehmen und Gesellschaft zu bedenken. 4. Literatur Arnold, R. / Lipsmeier, A. (Hrsg.): Handbuch der Berufsbildung. Leske + Budrich, Opladen 1995. Baethge, M. / Baethge-Kinsky, V. (1995): Ökonomie, Technik, Organisation: Zur Entwicklung von Qualifikationsstruktur und qualitativen Arbeitsvermögen. In: Arnold, R./ Lipsmeier, A. (Hrsg.): Handbuch der Berufsbildung. Leske und Budrich. Damm-Rüger, S. / Stiegler, B. (1996): Soziale Qualifikation im Beruf. Eine Studie zu typischen Anfordungen in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern. Bertelsmann Verlag. Geser, H. (1981): Eine funktional-morphologische Theorie der Berufsqualifikation. Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, 7, 399-434. Geser, H./ Hansen, H./ Meierhans, J./ Meuli, U. (1998): Arbeitsqualifikationen der Zukunft. Ergebnisse November 1998. Soziologisches Institut der Universität Zürich. Gonon, Ph. (Hrsg.) (1998): Schlüsselqualifikationen kontrovers. Sauerländer. Hansen, H. / Sigrist, B. / Goorhuis, H. / Landolt, B. (Hrsg.) (1999): Bildung und Arbeit: das Ende einer Differenz? Sauerländer. Kühl, J./ Lahner, M./ Wagner, J (Hrsg.) (1996): Die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes. Ergebnisse aus Analysen mit deutschen Firmenpaneldaten. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit. BeitrAB 204. Schöni, W./ M. Wick/ Sonntag, K. (1996): Arbeit und Bildungsqualität, Rüegger, Chur/Zürich. Sennett, R (1998): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin Verlag. Tacke, V. (1997): Rationalitätsverlust im Organisationswandel. Campus. Voss, G.G./ Pongratz, H.J. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie Jg50, Heft 1, 131-158. Zilian, H.G./ Malle, B. (1994): Spreu und Weizen. Das Verhalten der Arbeitskräftenachfrage. Nausner & Nausner. |
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