SOZIOLOGISCHES INSTITUT DER
UNIVERSITÄT ZÜRICH
Divergierende Qualifikationserwartungen in der Schweizerischen
Arbeitswelt: nationale und regionale Determinanten
Hans Geser
h@geser.net
Zürich, im September 2006
Inhalt
2.
Methodik des Projekts und empirische Daten
3.1 Umweltbedingungen und Strukturmerkmale der
Unternehmen
3.2 Individuelle Rollen- und Qualifikationsmerkmale
3.2.1 Kriterien der individuellen Entlöhnung
3.2.2 Formale Qualifikation der Mitarbeiter
3.2.3 Weiterbildung des Personals
3.3 Die Nachfrage nach individuellen Persönlichkeits- und
Rollenqualifikationen
3.3.3 „Selbständiges Denken und Entscheiden“
Es
ist bereits hinreichend bekannt, dass die Industrie- und
Dienstleistungsunternehmen verschiedener Schweizer Landesteile mit
unterschiedlich ausgebildetem Personal operieren.
Bisher
sind in den Medien und in der Forschung vor allem die angebotsseitigen Disparitäten
zum Thema geworden, die beispielsweise in den kulturell bedingten Einstellungen
der Bevölkerung zur formalen Bildung oder auch in den verschiedenartigen
Bildungssystemen unseres föderalistischen Landes ihre Ursache haben.
So ist es evident, dass
Eltern der deutschen Schweiz ihre Sprösslinge selbst bei beachtlicher
Schulbegabung bevorzugt in die Lehre schicken, und damit dem dualen
Ausbildungssystem eine stärkere Verbreitung verleihen als in der Westschweiz,
wo - z.- B. in Genf - erheblich grössere Prozentanteile der Jugendlichen von
der Grundschule ins Gymnasium überwechseln (Müller-Grieshaber 1998), oder im
Kanton Tessin, wo überdurchschnittlich zahlreiche Schulabgänger nach wie vor
keine Berufsausbildung absolvieren.
Weniger
beachtet wurden bisher die nachfragebedingten Divergenzen, die aus den unterschiedlichen
Branchenzugehörigkeiten, Aktivitäten, Organisationsformen und Betriebskulturen
der in der Schweiz ansässigen privaten Unternehmungen resultieren.
In
einer früheren Untersuchung wurde aufgezeigt, dass die deutsche und französische
Schweiz - trotz der übergreifenden Deutschschweizer Dominanz auf der Ebene
grosser Unternehmen - als strukturell relativ eigenständige „bounded industrial
communities“ betrachtet werden können: mit je eigenständigen typischen Formen
betrieblicher Organisation, aus denen wiederum spezifische Nachfragemuster nach
individuellen Arbeitsqualifikationen entstehen (Geser 2003). So scheinen Firmen
der deutschen Schweiz als Folge eines intensiveren Konkurrenzdrucks und einer
regeren Reorganisationstätigkeit stärker als diejenigen in der Romandie geneigt,
von ihren Mitarbeitern im allgemeinen (und ihren Führungskräften im besonderen)
ein hohes Mass an sozialen Kompetenzen zu fordern, ausserberuflich erworbene
Fähigkeiten positiv zu gewichten und der innerbetrieblichen (auf Kosten
formalschulischer) Aus- und Weiterbildung Priorität zu verleihen. Ebenso führt
ihre Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Modellen der „lean production“ dazu, dass sie von ihren Mitarbeitern in stärkerem
Umfang „selbständiges Denken und Handeln“ fordern als die Westschweizer Firmen,
die an traditionell-bürokratischen Organisationsformen festhalten und deshalb
eher konventionelle Tugenden der Subordination (Gehorsam, Loyalität,
Pünktlichkeit u. a.) in den Vordergrund stellen (Geser 2003: passim).
Im
Folgenden soll - auf der Basis desselben Datenmaterials - versucht werden,
a)
die Vergleichsperspektive auszuweiten, indem einerseits die italienische Südschweiz
als dritter Sprachraum eingeschlossen wird, und indem andererseits danach
gefragt wird, wie sich die im Schweizer Besitz befindlichen Firmen insgesamt
von in der Schweiz stationierten ausländischen Unternehmungen unterscheiden;
b)
durch Hinzufügen zusätzlicher abhängiger Variablen und statistischer Kontrollanalysen,
ein präziseres Bild über die Art und Ursachen divergenter Qualifikationsnachfragen
zu gewinnen.
Im
Zentrum steht vor allem die (durch multivariate Analysen zu klärende) Frage, inwiefern
Unterschiede im Niveau und in der Art der nachgefragten Qualifikationen in den
Verschiedenheiten organisatorischer Umweltbedingungen, Strukturen und Prozesse
ihre Ursache haben, oder ob sie durch „echte“ kulturelle Einflüsse determiniert
werden, die unabhängig von solch ökologischen und sozio-strukturellen Bedingungen
wirksam sind.
Die
nachfolgend präsentierten empirischen Ergebnisse stammen aus drei schriftlichen
Befragungen von privaten Unternehmungen der gesamten Schweiz, die 1996, 1998
und 2000 von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich durchgeführt
worden und den Mitarbeitern am Soziologischen Institut der Universität Zürich
für Analysen zur Verfügung gestellt worden sind.
Während die
erste Umfrage (die in der vorliegenden Studie nur marginal benutzt wird), Aspekte
des Marktumfeldes sowie innovative Firmenaktivitäten ins Zentrum gestellt hat,
hat sich der zweite Survey (dem eine inzwischen stark modifizierte Stichprobe zugrunde lag) auf
organisationsinterne Merkmale und Entwicklungen konzentriert: Das Hauptziel des
an die Personalverantwortlichen der Firma gerichteten schriftlichen Fragebogens
bestand darin, Basisinformationen über die Qualifikationsstruktur der
Belegschaft und die Qualifikationsanforderungen an Mitarbeiter und
Führungskräfte; über Aktivitäten im Bereich beruflicher Grund- und
Weiterbildung zu erhalten, sowie auch über neuere Wandlungen auf der Ebene
strategischer Aktivitäten und jüngste Massnahmen der Reorganisation. Die Stichprobe beruhte auf einer Auswahl von 7170
Firmen mit fünf oder mehr Mitarbeitern (auf der Basis der Betriebszählung
1995), die darauf ausgerichtet war, verschiedene Betriebsgrössenklassen von 28 Branchen adäquat zu repräsentieren. Die Ausschöpfungsquote
betrug 30% (2132 Fälle).
Die dritte
Umfrage (vom Herbst 2000) wurde mit dem Ziel durchgeführt, von den präzisere
Vergleichsdaten zu Arbeitszeit, Entlöhnung und Weiterbildung sowie zum innerbetrieblichen
Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zu gewinnen. Für die grösseren Firmen (mit über 20 Mitarbeitern) wurde ein erweiterter
Fragebogen verwendet, in dem zusätzlich verschiedene Aspekte der Organisationsstruktur
und Arbeitskooperation erhoben wurden, 2000 Firmen (darunter 1150 grössere Unternehmen) haben den Fragebogen ausgefüllt retourniert.
Kontrolltests
weisen darauf hin, dass die resultierenden Samples in ihrer proportionalen Zusammensetzung
nicht wesentlich von den Ursprungsstichproben - die ein annäherungsweise
repräsentatives Abbild der gesamtschweizerischen Privatwirtschaft darstellen -
divergieren. Im Besonderen sind auch die drei Sprachregionen sowohl hinsichtlich
der Wirtschaftssektoren wie auch der Betriebsgrössenklassen in relativ äquilibrierter Weise repräsentiert (Tab. 1).
Tabelle
1: Häufigkeitsverteilung der Unternehmungen: nach Wirtschaftssektor und
Firmengrösse
|
Ausland |
deutsch |
französisch |
italienisch |
||||
Industrie |
150 |
(102) |
711 |
(429) |
139 |
(81) |
50 |
(28) |
Bau |
8 |
(7) |
137 |
(83) |
33 |
(21) |
11 |
(8) |
Dienstleistungen |
99 |
(67) |
507 |
(258) |
126 |
(59) |
29 |
(13) |
|
|
|
|
|
||||
|
|
|
|
|
||||
bis 30 Angestellte |
72 |
(22) |
571 |
(116) |
133 |
(31) |
6 |
(39) |
31-200 Angestellte |
115 |
(104) |
561 |
(475) |
127 |
(104) |
37 |
(43) |
201+ Angestellte |
70 |
(50) |
223 |
(179) |
26 |
(38) |
6 |
(8) |
* Die Zahlen in Klammern bezeichnen die Anzahl der
grösseren Firmen, die den erweiterten Fragebogen zurückgesandt haben.
Ein
erster Blick auf allergebräuchlichste Kennzahlen belehrt, dass im engen Raum
der Schweizer Volkswirtschaft äusserst divergierende Unternehmensstrukturen nebeneinander
koexistieren.
So
profilieren sich die ausländischen Firmen gegenüber den Firmen aller drei einheimischen
Sprachregionen dadurch, dass sie im Untersuchungszeitraum eine fast doppelt so
hohe Umsatzexpansion erreichten, viel häufiger neuartige Produkte eingeführt
haben und zu weit über 50% auf internationalen Märkten operieren.
Innerhalb
der Schweiz sind es auf allen diesen drei Dimensionen die Deutschschweizer Firmen,
die mit den Unternehmen ausländischer Provenienz noch am besten Schritt zu
halten vermögen - im schroffen Gegensatz vor allem zu den Südschweizer
Betrieben, die am häufigsten rein binnenländische Märkte beliefern und realwirtschaftlich
eher geschrumpft sind, da es ihnen - im arithmetischen Mittel - nicht einmal
nominal gelungen ist, eine wesentliche Umsatzsteigerung zu erzielen.
Eine
weiterer Gemeinsamkeit ausländischer und deutschsprachiger Unternehmen besteht
darin, dass zahlreiche von ihnen einem starken Qualitätswettbewerb ausgesetzt
sind, der eine hohe Sorgfalt und ständige Verbesserung in der Herstellung der
Produkte oder Dienstleistungen erzwingt, während im französischen und - insbesondere
im italienischen Raum eher ein umso härterer Preiswettbewerb vorherrscht, der dazu
nötigt, betriebliche Anpassungen vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Kostensenkung
zu vollziehen (Tab. 2).
Tabelle 2: Umsatzentwicklung, Marktposition und Innovativität der Firmen
|
Ausland |
Schweiz |
Sign. F-Test |
|
|
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
Sign. F-Test |
Durchschnittliche
Veränderung des Firmenumsatzes in % 1997-99- |
+12.9 |
+6.6 |
.001 |
|
|
+7.2 |
+6.0 |
+0.7 |
.004 |
Prozentsatz der Firmen,
die |
|
|
Sign. Chi-2 |
|
|
|
|
|
Sign. Chi-2 |
Produkte oder Dienst ins
Ausland exportieren |
61 |
41 |
.000 |
|
|
43 |
36 |
32 |
.020 |
1993-98 neue Produkte
eingeführt haben |
50 |
38 |
.001 |
|
|
41 |
31 |
32 |
.003 |
einem starken Preiswettbewerb
ausgesetzt sind |
50 |
48 |
.917 |
|
|
45 |
53 |
68 |
.021 |
einem starken Qualitätswettbewerb
ausgesetzt sind |
47 |
45 |
.622 |
|
|
48 |
38 |
39 |
.002 |
Die
überdurchschnittliche innovative Dynamik der ausländischen Firmen wird auch
darin deutlich, dass sie in sehr breiter Weise neue Informations- und Kommunikationstechnologien
verwenden. So sind nicht weniger als 60% ihrer Arbeitsplätze (im Vergleich zu
42% bei Schweizer Firmen) mit Computer ausgerüstet, und immerhin 45% aller Angestellten
(im Vergleich zu 25%) haben die Möglichkeit, innerbetrieblich wie auch nach
aussen mittels E-Mail zu kommunizieren (Tab 3).
Auch
in dieser technologischen Hinsicht stehen Firmen des deutschen Sprachraums den
ausländischen Unternehmen näher als die Betriebe der Romandie und des Tessins,
wo vor allem der Zugang zum Intranet (bzw. Internet) noch äusserst restriktiven
Bedingungen unterliegt (Tab. 3).
Tabelle 3: Verbreitung des Computers und der E-Mail in
der Unternehmung
Prozentsatz der
Angestellten, die an ihrem Arbeitsplatz: |
Nationalität |
|
Sprachregion |
|
||||
Ausland |
Schweiz |
Sign. F-Test |
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
Sign. Chi-2 |
||
den PC benutzen |
60 |
42 |
.000 |
44 |
37 |
32 |
.000 |
|
E-Mail benutzen |
45 |
25 |
.000 |
27 |
18 |
16 |
.000 |
Mit
ihrer umweltoffenen Expansivität und Innovativität, ihrer Teilnahme an intensiver
Qualitätskonkurrenz und ihrer Aufgeschlossenheit für moderne IuK-Technologien
scheinen ausländische Unternehmungen am ehesten jene Bedingungen zu erfüllen,
die gemeinhin als günstige Voraussetzungen für Formen des „organischen Management“
(Burns/Stalker 1961) oder der „lean production“
(Womack et al 1982) gelten: d. h. für „postbürokratische“ Strukturen, die durch
ein eher informell-kooperatives als formell-hierarchisches Verhältnis zwischen
Vorgesetzten und Untergebenen gekennzeichnet sind, sowie durch den Einsatz teilautonomer
Gruppen, die - z. B. im Bereich operativer Arbeitsorganisation - gewisse
Kompetenzen usurpieren, die früher den niedrigsten Hierarchierängen
vorbehalten waren.
Umgekehrt
scheinen die Bedingungen für konventionelle Formen des „mechanischen Management“
(bzw. „fordistisch –tayloristischer“
Massenproduktion) am besten bei den Unternehmen des italienischen Sprachraums
erfüllt, die ohne Expansionstendenz und Innovativität in einer stabilen
binnenländischen Nische verharren und in ihrem Ueberleben primär davon abhängig
sind, mit ihren Produkten oder Dienstleistungen kosten- und preismässig konkurrenzfähig
zu bleiben.
Um
den hierarchischen Zentralisierungsgrad zu erfassen, wurden die Informanten
gebeten, die Kompetenzverteilung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern am
Arbeitsplatz hinsichtlich verschiedener Aspekte auf einer Skala von 1 (sehr
dezentralisiert) bis 5 (sehr zentralisiert) zu charakterisieren.
Wie
aus Tabelle 4 hervorgeht, gewähren die ausländischen Firmen ihren Mitarbeitern
weitaus die grössten Möglichkeiten, bei der Ausführung der Arbeit und bei der
Festlegung des Arbeitstempos mitzusprechen und auch beim Umgang mit Kunden eine
gewisse Eigenverantwortung zu übernehmen, während sich diese Kompetenzen im
italienischen Sprachraum erwartungsgemäss am stärksten beim formalen Vorgesetzten
konzentrieren.
Bezeichnenderweise
haben in der romanischen Schweiz auch nur relativ wenige Firmen Reorganisationsschritte
in Richtung auf ein stärkeres “empowerment“ der Mitarbeiterebene vollzogen
(Tab. 4).
Tabelle 4: Verteilung der Autorität zwischen
Vorgesetzten und Mitarbeitern*
Autoritätsstellung
des Vorgesetzten gegenüber den Mitarbeitern: |
Ausland |
Schweiz |
Sign. F-Test |
|
|
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
Sign. F-Test |
bei der Ausführung der
Arbeit* |
3.17 |
3.49 |
.000 |
|
|
3.49 |
3.35 |
3.93 |
.004 |
bei der Festlegung des
Arbeitstempos |
3.05 |
3.34 |
.001 |
|
|
3.24 |
3.58 |
4.04 |
.000 |
beim Umgang mit Kunden* |
3.13 |
3.65 |
.000 |
|
|
3.57 |
3.83 |
4.27 |
.000 |
Prozentsatz der
Firmen, die |
|
|
Sign. Chi-2 |
|
|
|
|
|
Sign. Chi-2 |
die Kompetenzen seit
1995 zugunsten des Mitarbeiters verändert haben |
59 |
53 |
.109 |
|
|
.57 |
.38 |
.43 |
.000 |
Tabelle 5: Existenz und Kompetenzstellung
betriebsinterner Arbeitsgruppen oder Projektgruppen
|
Nationalität |
|
|
|
Sprachregion |
|
|||
%-Satz der Firmen, |
Ausland |
Schweiz |
Sign. Chi-2 |
|
|
Deutsch |
Franz |
Ital. |
Sign. Chi-2 |
die in ihrem Betrieb
Arbeits- oder Projektgruppen einsetzen |
76 |
65 |
.002 |
|
|
70 |
51 |
39 |
.000 |
in denen solche Gruppen
über Änderungen im Betrieb mitentscheiden |
62 |
58 |
.495 |
|
|
62 |
46 |
21 |
.000 |
Analog
dazu erweist es sich, dass ausländische Firmen in ihrem Betrieb am häufigsten
formalisierte Arbeits- oder Projektgruppen einsetzen und auch am ehesten bereit
sind, solchen Gruppen nicht nur eine beratende Funktion, sondern auch ein
eigentliches Mitbestimmungsrecht über betriebliche Reorganisationsmassnahmen
einzuräumen.
Symmetrisch
dazu sind solche Gruppen in der Mehrzahl südschweizerischer Firmen entweder
inexistent, oder sie sehen sich im Verhältnis zum Management auf eine rein
beratende (d. h. wenig einflussreiche) Position verwiesen (Tab 5).
Die Unternehmen der deutschen Schweiz besetzen bei all diesen organisatorischen Variablen eine mittlere Position, stehen den ausländischen Unternehmen allerdings meist näher als ihren nationalen Schwesterfirmen in der Romandie oder im Tessin.
Im
Folgenden wird zu zeigen versucht, inwiefern die nationale bzw. regionale Zugehörigkeit
einer Firma nicht nur ihre Unternehmensmerkmale, sondern auch die individuellen
Anstellungsverhältnisse, Rollenstrukturen und Qualifikationsanforderungen ihrer
Mitarbeiter bestimmt.
Bei
der kausalen Zurechnung solcher Divergenzen müssen grundsätzlich zwei
konkurrierende, teilweise aber auch komplementäre Möglichkeiten berücksichtigt
werden:
1)
Parallel zu den Eigenheiten der Unternehmensorganisation werden auch die
Rollenmerkmale direkt von der nationalen/regionalen Umgebungskultur bestimmt.
Beispielsweise gehören zu dieser Kultur Werte und Normen, die von den
Mitgliedern (bzw. den lokal rekrutierten Managern) selber in die Unternehmung
hineingetragen werden.
2)
Die Rollenmerkmale lassen sich organisationssoziologisch als kausale Folge der
Firmenmerkmale erklären (z. B. in dem Sinne, dass Innovativität höhere Sachkompetenzen
oder Teamarbeit mehr Sozialkompetenzen erfordert).
Rollenmerkmale Unternehmensmerkmale 1 2 Nation / Region |
Auf
empirisch-statistischer Ebene lässt sich leicht zwischen diesen beiden Kausalbeziehungen
entscheiden, indem im Fall 1 die national/regionalen Effekte auf die Rollenebene
bei Kontrolle der Unternehmensmerkmale erhalten bleiben, während sie im Fall 2
beim Konstanthalten der Firmenmerkmale verschwinden.
Zu
den grundsätzlichen Merkmalen des betrieblichen Rollenverhältnisses gehören die
formalen Kriterien, die für die Entlöhnung der Mitarbeiter massgebend sind.
Am
extrem „neoliberalen“ Pol wären sehr marktorientierte Firmen anzusiedeln, die
die Lohnzumessung vollkommen an der jeweiligen Arbeitsleistung eines
Mitarbeiters festmachen; am entgegengesetzten „bürokratischen“ Pol würden sich
jene Unternehmen befinden, die - ähnlich wie in der staatlichen Verwaltung - formalisierte
Kriterien wie das „Dienstalter" (bzw. die Seniorität) in den Vordergrund
stellen.
Falls
es zutrifft, dass Unternehmen der Südschweiz noch am stärksten dem konventionellen
Modell fordistischer Produktion verhaftet sind, müssten sie auch in ihren Entlöhnungsformen
noch am ehesten „bürokratische" Merkmale zeigen, für deren Institutionalisierung
sich ja auch die Gewerkschaften stark zu machen pflegen, während die
exportorientierten und den flexiblen "lean production" Modellen zuneigenden
Firmen des Auslandes und der deutschen Schweiz eher leistungsbezogene Kriterien
benutzen.
Tatsächlich
zeigt sich, dass dem Dienstalter in den Firmen der romanischen (insb. italienischen
Schweiz ein grösseres Gewicht als bei deutschsprachigen und ausländischen Unternehmen
(zwischen denen kein Unterschied besteht) beigemessen wird. Ganz besonders gilt
dies für Betriebe des Dienstleistungssektors und für Unternehmen mittlerer
Grösse (Tab 6a).
Eine
Kontrolle der Unternehmensmerkmale (Tab 6b) führt zum Ergebnis, dass die
statistischen Erklärungsbeiträge der Regionalvariablen keineswegs verschwinden,
sondern sogar stärker in Erscheinung treten. Nur die Autoritätsstellung des
Vorgesetzten (d. h. ein mit dem bürokratischen Organisationsmodell besonders
eng verknüpftes Merkmal) wirkt sich positiv auf die Relevanz des
Seniorätskriteriums aus.
So
ergibt sich die Schlussfolgerung, dass regionale Kulturmerkmale offensichtlich
direkt (d. h. ohne Vermittlung über die Binnenorganisation der Unternehmen) die
Relevanz des Dienstalters als Entlöhnungskriterium bestimmen.
Tabelle 6a: Durchschnittliche Bedeutung des Kriteriums
„Dienstalter“ für die Bemessung der Löhne 1999: nach Nationalität und
Sprachregion*
|
Nationalität |
Sign. F-Test |
|
|
Sprachregion |
Sign. F-Test |
|||
|
Ausland |
Schweiz |
|
|
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
||
Sektor: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Industrie |
2.63 |
2.69 |
.532 |
|
|
2.66 |
2.78 |
2.88 |
.173 |
Dienstleist. |
2.80 |
2.76 |
.743 |
|
|
2.70 |
2.88 |
3.52 |
.000 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Grösse: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
bis 30 |
2.65 |
2.65 |
.987 |
|
|
2.62 |
2.72 |
2.97 |
.129 |
31-200 |
2.71 |
2.85 |
.134 |
|
|
2.78 |
2.98 |
3.45 |
.000 |
über 200 |
2.70 |
2.69 |
.917 |
|
|
2.64 |
2.93 |
3.00 |
.198 |
*
Die Werte variieren auf einer Ordinalskala von 1 (keine Bedeutung) bis 5 (sehr
grosse Bedeutung)
Tabelle 6b: Erklärungsmodelle für die Bedeutung des
Kriteriums "Dienstalters" für die Lohnzumessung (multivariate lineare
Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
- |
- |
- |
- |
französisch (dummy) |
.06 |
.011 |
.10 |
.003 |
italienisch (dummy) |
.11 |
000 |
.15 |
.000 |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
- |
- |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
.09 |
.007 |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
- |
- |
Erklärte Varianz (R2) |
.014 |
.011 |
.041 |
.000 |
( N =) |
(1733) |
(962) |
Genau
symmetrisch dazu werden die Löhne in der deutschen Schweiz und bei ausländischen
Unternehmen am stärksten durch die individuelle Leistung bestimmt. zumindest im
Industriesektor und bei kleineren bis mittleren Firmen, wo die Differenzen die
statistische Signifikanzschwelle überschreiten (Tab. 7a).
Allerdings
werden diese Erklärungsbeiträge der Sprachregionen stark abgeschwächt, wenn man
die Unternehmensmerkmale kontrolliert (Tab. 7b). Offensichtlich wird das
geringe Gewicht von Leistungskriterien in der Romandie und im Tessin weitgehend
dadurch verursacht, dass in diesen beiden Sprachräumen Arbeitsgruppen und Computer
eine geringere Verbreitung haben - zwei Variablen, die überraschenderweise
einer leistungsbezogenen Entlöhnung besonders förderlich sind.
Tabelle 7a: Durchschnittliche Bedeutung des Kriteriums
„individuelle Leistung“ für die Bemessung der Löhne 1999: nach Nationalität und
Sprachregion*
|
Nationalität |
Sign. F-Test |
|
|
Sprachregion |
Sign. F-Test |
|||
|
Ausland |
Schweiz |
|
|
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
||
Sektor: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Industrie |
4.08 |
4.14 |
.498 |
|
|
4.22 |
3.85 |
3.66 |
.000 |
Dienstleist. |
4.10 |
4.03 |
.555 |
|
|
4.08 |
3.82 |
4.10 |
.078 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Grösse: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
bis 30 |
3.72 |
3.90 |
.204 |
|
|
4.00 |
3.58 |
3.60 |
.000 |
31-200 |
4.30 |
4.24 |
.498 |
|
|
4.29 |
4.12 |
4.00 |
.037 |
über 200 |
4.18 |
4.26 |
.513 |
|
|
4.31 |
3.96 |
4.17 |
.132 |
*
Die Werte variieren auf einer Ordinalskala von 1 (keine Bedeutung) bis 5 (sehr
grosse Bedeutung)
Tabelle 7b: Erklärungsmodelle für die Bedeutung der
individuellen Leistung für die Lohnzumessung (multivariate lineare
Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
- |
- |
- |
- |
französisch (dummy) |
-.11 |
.000 |
-.07 |
.023 |
italienisch (dummy) |
-.06 |
.008 |
- |
- |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
- |
- |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
.- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
.11 |
.002 |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
- |
.- |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
.11 |
.001 |
Erklärte Varianz (R2) |
.013 |
.000 |
.042 |
.000 |
( N =) |
(1623) |
(917) |
Beim
Vergleich der betrieblichen Belegschaften nach Ausbildungsniveaus zeigt sich
erwartungsgemäss, dass ausländische Firmen den weitaus qualifiziertesten
Mitarbeiterstab besitzen: indem ca. 25% aller Angestellten entweder einen
akademischen Abschluss oder immerhin ein über die Berufslehre hinausgehende
Diplomausbildung verfügt, während umgekehrt nur ungefähr ebenso viele als „Ungelernte“
tätig sind. Den Kontrast dazu bieten - ebenfalls nicht überraschend - die Südschweizer
Firmen, wo ca. 15% höher Qualifizierten ca. 40% Ungelernte gegenüberstehen
(Figur 1). Wiederum profiliert sich die deutsche Schweiz in einer mittleren
Position, indem sich ihre Betriebe stärker als überall sonst (d. h. zu 49%) auf
Absolventen einer Berufslehre abzustützen pflegen.
Wie
in Tabelle 8a deutlich wird, pflegen sich in der Südschweiz vor allem die
Firmen des Dienstleistungssektors sowie die mittleren bis grösseren Unternehmen
in dramatischem Umfang auf niedrig qualifizierte Mitarbeiterstäbe abzustützen.
Dies
legt den Schluss nahe, dass dieses Phänomen sicher nicht allein dem Modell
fordistischer Industrieproduktion angelastet werden kann, ja dass mit weiteren
volkswirtschaftlichen Verschiebungen vom Industrie- zum Dienstleistungssektor
eher mit einer Verstärkung als mit einer Abschwächung interregionaler
Diskrepanzen gerechnet werden muss.
Tabelle 8a: Prozentsatz des Personals ohne berufliche
Ausbildung (2000):
nach Wirtschaftssektor und Firmengrösse
|
Nationalität |
Sign. (F-Test) |
|
|
Sprachregion |
Sign. (F-Test) |
|||
|
Ausland |
Schweiz |
|
|
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
||
Sektor: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Industrie |
33 |
34 |
.631 |
|
|
33 |
39 |
43 |
.007 |
Dienstleist. |
18 |
22 |
.150 |
|
|
21 |
23 |
43 |
.000 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Grösse: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
bis 30 |
25 |
22 |
.366 |
|
|
21 |
22 |
33 |
.035 |
31-200 |
28 |
36 |
.004 |
|
|
33 |
42 |
46 |
.001 |
über 200 |
27 |
33 |
.105 |
|
|
32 |
34 |
53 |
.112 |
Aus
Tabelle 8b wird ersichtlich, dass zahlreiche organisatorische Firmenmerkmale
einen signifikanten Erklärungsbeitrag zum Prozentanteil Ungelernter leisten,
aber in ihrer Gesamtheit den direkten Kausaleinfluss, der von der italienischen
Sprachregion ausgeht, nur unwesentlich reduzieren.
So
muss ein unmittelbarer regionaler Kontexteinfluss in Rechnung gestellt werden,
der vielleicht im geringen durchschnittlichen Ausbildungsniveau der lokalen
Erwerbstätigen seine (Mit-)Ursache hat.
Tabelle 8b: Erklärungsmodelle für den Prozentsatz des
Personals ohne berufliche Ausbildung (Multivariate lineare Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
- |
- |
- |
.- |
französisch (dummy) |
.05 |
.036 |
- |
- |
italienisch (dummy) |
.11 |
.000 |
.09 |
.003 |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
.13 |
.000 |
Umsatzwachstum |
|
|
-.09 |
.005 |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
.11 |
.000 |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
.08 |
.006 |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
-.48 |
.000 |
Erklärte Varianz (R2) |
.014 |
.000 |
.290 |
.000 |
( N =) |
(1632) |
(918) |
Aus
dem divergierenden formalen Ausbildungsniveau der Betriebsbelegschaften allein
lässt sich noch nicht gültig schliessen, inwiefern sich die Unternehmen tatsächlich
in ihrem Bedarf nach Wissensressourcen (in Form individueller Kenntnisse und
Fähigkeiten) voneinander unterscheiden. Denn es ist zu bedenken, dass formale
Bildungszeugnisse auch aus symbolisch-statusmässigen Gründen nachgefragt werden
können (vgl. Meyer/Rowan 1977) und dass die in der Schule erworbenen Wissensbestände
mit den in den Erwerbsrollen nötigen Qualifikationen oft nur in einem lockeren,
indirekten Zusammenhange stehen. So wäre auch denkbar, dass Unternehmen eine
defizitäre schulische Ausbildung ihrer Mitarbeiter durch umso intensivere Weiterbildungsanstrengungen
kompensieren.
Wie
aus Tabelle 9a hervorgeht, ist aber genau das Gegenteil der Fall. So liegt der
Prozentanteil der in Weiterbildungskurse einbezogenen Mitarbeiter bei den
ausländischen und Firmen durchschnittlic
Diese
Ergebnisse mögen darauf hindeuten, dass grössere Unternehmen eigengesetzlichen
Struktur- und Leistungsanforderungen ausgesetzt sind, die zur Folge haben, dass
sie unabhängig von ihrem Standortkontext relativ ähnliche Qualifikationsbedürfnisse
artikulieren.
Tabelle 9a: Durchschnittlicher Prozentanteil der
Beschäftigten, die 1999 an Weiterbildungskursen teilgenommen haben: nach
Nationalität und Sprachregion*
|
Nationalität |
Sign. F-Test |
|
|
Sprachregion |
Sign. F-Test |
|||
|
Ausland |
Schweiz |
|
|
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
||
Sektor: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Industrie |
27 |
26 |
.764 |
|
|
28 |
18 |
14 |
.000 |
Dienstleist. |
40 |
37 |
.373 |
|
|
40 |
28 |
20 |
.000 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Grösse: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
bis 30 |
31 |
32 |
.903 |
|
|
34 |
23 |
15 |
.000 |
31-200 |
31 |
27 |
.152 |
|
|
30 |
19 |
13 |
.000 |
über 200 |
34 |
36 |
.722 |
|
|
35 |
38 |
30 |
.821 |
Es
überrascht nicht, dass die Weiterbildungsbedürfnisse zu einem grossen Teil mit den
Aktivitäten und Organisationseigenschaften der Unternehmen in Zusammenhang
stehen, so dass die regionalen Kausaleffekte sehr viel geringer werden (wenn
auch nicht völlig verschwinden), wenn man diese Merkmale statistisch
kontrolliert (Tab. 9b).
Mit
anderen Worten: die geringe Weiterbildung in West- und Südschweizer Firmen
scheint vor allem eine Folge davon, dass sie weniger Gebrauch von
Arbeitsgruppen und IuK-Technologien machen, ihren Mitarbeitern weniger Kompetenzen
einräumen und aufgrund ihres geringen Wachstums möglicherweise auch weniger
Ressourcen in Weiterbildungsmassnahmen investieren können.
Tabelle 9b: Erklärungsmodelle für den Prozentsatz der
Mitarbeiter, die 1999 an Weiterbildungskursen teilgenommen haben (multivariate
lineare Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
BETA-Werte |
Sign. |
BETA-Werte |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
-.01 |
.839 |
- |
- |
französisch (dummy) |
-.12 |
.000 |
-.07 |
.031 |
italienisch (dummy) |
-.12 |
.000 |
-.06 |
.043 |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
- |
- |
Umsatzwachstum |
|
|
.12 |
.000 |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
.17 |
.000 |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
-.08 |
.015 |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
.26 |
.005 |
Erklärte Varianz (R2) |
.025 |
.000 |
.170 |
.000 |
( N =) |
(1615) |
(914) |
Um
den qualitativen Stellenwert der Weiterbildung für die Unternehmen genauer zu
bestimmen, wurde danach gefragt, in welchem Umfang die Mitarbeiter diese Fortbildungskurse
im Rahmen ihrer Arbeitszeit besuchen können. Wenn Weiterbildung essentiell ist,
werden Firmen bereit sein, diese im Rahmen der Normalarbeitszeit stattfinden zu
lassen: so dass es leichter fällt, den Besuch obligatorisch zu machen und den
Verlauf und die Ergebnisse der Ausbildung zu überwachen. Ist sie nur von marginaler
Bedeutung, wird man die Mitarbeiter nötigen, die Kurse während ihrer Freizeit
zu besuchen - womit man einerseits Kosten spart, andererseits aber auch Kontrollmöglichkeiten
verliert.
Erwartungsgemäss
zeigt sich, dass die Tessiner Firmen am stärksten dazu neigen, die zeitlichen
Aufwendungen der Weiterbildung ihren Mitarbeitern aufzubürden. Vor allem zeigen
sich die kleinen Betriebe und die Firmen des Industriesektors wenig bereit, im
Interesse der Weiterqualifizierung unbezahlte Abwesenheiten ihrer Mitarbeiter zu
akzeptieren (Tab 10a).
Auch
in diesem Fall scheint es sich zumindest teilweise um einen über
Organisationsmerkmale mediatisierten Effekt zu handeln, der vor allem auf
Unterschiede im Einsatz von Arbeitsgruppen zurückgeführt werden kann (Tab. 10b).
Tabelle 10a: Durchschnittlicher Zeitanteil der
Weiterbildung, der als Arbeitszeit angerechnet wurde: nach Nationalität und
Sprachregion (Prozente)
|
Nationalität |
Sign. F-Test |
|
Sprachregion |
Sign. F-Test |
|||
|
Ausland |
Schweiz |
|
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
||
Sektor: |
|
|
|
|
|
|
|
|
Industrie |
54 |
54 |
.759 |
|
54 |
53 |
37 |
.015 |
Dienstleist. |
51 |
57 |
.141 |
|
57 |
61 |
50 |
.339 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Grösse: |
|
|
|
|
|
|
|
|
bis 30 |
40 |
50 |
.069 |
|
52 |
46 |
30 |
.008 |
31-200 |
60 |
57 |
.428 |
|
57 |
62 |
46 |
.058 |
über 200 |
63 |
65 |
.867 |
|
64 |
76 |
48 |
.039 |
Tabelle 10b: Erklärungsmodelle für den
durchschnittlichen Anteil der Weiterbildungszeit, der als Arbeitszeit
angerechnet wurde (multivariate lineare Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
BETA-Werte |
Sign. |
BETA-Werte |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
- |
- |
- |
- |
französisch (dummy) |
- |
- |
.08 |
.026 |
italienisch (dummy) |
-.09 |
.000 |
- |
- |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
-.07 |
.048 |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
.07 |
.036 |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
- |
- |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
- |
- |
Erklärte Varianz (R2) |
.008 |
.004 |
.018 |
.002 |
( N =) |
(1623) |
(930) |
Selbst
beim völligen Fehlen formeller Weiterbildungskurse finden andauernd Prozesse
der Höherqualifizierung statt, die zum teil untrennbar mit dem Arbeitsprozess
selber in Zusammenhang stehen: sei es, das Erwerbstätige im Zuge ihrer Tätigkeit
individuelle Erfahrungen erwerben; oder sei es, dass sie dabei vom Rat und der
Unterweisung ihrer Vorgesetzten profitieren.
Tatsächlic
Erstaunlicherweise
sind es hier nicht die kleinen und mittleren, sondern die Grossbetriebe, die im
italienischen Sprachraum besonders solch endogenen Qualifizierungsformen besonders
stark den Vorrang geben.
Tabelle 11a: Bedeutung der „Unterweisung durch
Vorgesetzte“ als Mittel zur Erzeugung von Arbeitsqualifikationen*
|
Nationalität |
Sign. Chi-2 |
|
|
Sprachregion |
Sign. Chi-2 |
|||
|
Ausland |
Schweiz |
|
|
Deutsch |
Franz. |
Ital. |
||
Sektor: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Industrie |
3.46 |
3.56 |
.267 |
|
|
3.55 |
3.56 |
3.71 |
.607 |
Dienstleist. |
3.54 |
3.35 |
.117 |
|
|
3.31 |
3.45 |
3.74 |
.091 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Grösse: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
bis 30 |
3.32 |
3.26 |
.693 |
|
|
3.24 |
3.34 |
3.44 |
.432 |
31-200 |
3.60 |
3.62 |
.868 |
|
|
3.61 |
3.57 |
3.87 |
.211 |
über 200 |
3.54 |
3.62 |
.591 |
|
|
3.55 |
3.85 |
4.33 |
.024 |
*Skala
von 1 (sehr klein) bis 5 (sehr gross)
Tabelle 11b: Erklärungsmodelle für die Bedeutung der
„Unterweisung durch Vorgesetzte“ als Weg zur individuellen Qualifizierung
(multivariate lineare Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
BETA-Werte |
Sign. |
BETA-Werte |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
- |
- |
- |
- |
französisch (dummy) |
- |
- |
- |
- |
italienisch (dummy) |
.06 |
.015 |
.08 |
.013 |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
- |
- |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
.12 |
.001 |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
.08 |
.019 |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
- |
- |
Erklärte Varianz (R2) |
.004 |
.085 |
.028 |
.000 |
( N =) |
|
|
Dabei
scheint es sich um einen echt kontextuellen, nicht über die Betriebsorganisation
vermittelten Einfluss zu handeln, denn er bleibt bestehen (ja verstärkt sic
Obwohl
jede Unternehmung aufgrund ihrer arbeitsteiligen Binnendifferenzierung Rollen
mit sehr unterschiedlichen Qualifikationsprofilen enthält, gibt es doch auch gesamtbetriebliche
Gemeinsamkeiten, die z. B. in der universellen Verwendung bestimmter
Technologien (z. B. Computer), in der Fokussierung auf bestimmte
Kundenbedürfnisse (Hotellerie), in der Anwendung übergreifender Organisations-
und Managementtechniken (z. B. bei der ISO-Zertifizierung) oder auch immer
häufiger in der flächendeckenden Durchsetzung Leitlinien der Unternehmensphilosophie
und „Firmenkultur“ ihre Ursache haben.
Um
diese generalisierbaren Aspekte des nachgefragten Qualifikationsprofils zu erfassen,
wurden die Informanten (d. h. die Personalverantwortlichen) in der Umfrage von
1998 gebeten, über die Wichtigkeit von 26 fachlichen, sozialen und persönlichen
Kompetenzen bei ihren „typischen Mitarbeitern“ Auskunft zu geben. Dabei wurde eine
fünfstufige ordinale Likert-Skala verwendet.
Die
Auswertungen haben ergeben, dass auf der Ebene sachspezifisch-funktionaler Kenntnisse,
Fähigkeiten und Erfahrungen wenig Divergenzen bestehen - abgesehen von der zu
erwartenden Regularität, dass ausländische Firmen aufgrund ihres stärkeren
Computereinsatzes EDV-Kenntnisse höher gewichten und als Folge ihrer internationalen
Ausrichtung mehr Fremdsprachenkenntnisse fordern. Offensichtlich gibt es in der
ökonomischen Produktion einen Kernbereich technisch-organisatorisch
determinierter Rollenqualifikationen, die kaum vom kulturellen Kontext des
Unternehmensstandorts abhängig sind. Erheblich mehr Entfaltungsspielraum kommt
solchen kulturellen Einflüssen im Bereich der generelleren „extrafunktionalen“
Qualifikationen und der sozialen "Soft skills" zu - und natürlich im
noch diffuseren Feld persönlicher Charaktermerkmale, die keiner institutionell
geregelten Erzeugung und Abprüfung unterliegen.
Generell
ist zu vermuten, dass die dem fordistisch-tayloristschen Produktionsmodell
verhafteten Firmen der Südschweiz (und auch der Romandie) ein relativ enges,
auf spezifische Rollentätigkeiten zugeschnittenes Qualifikationsprofil
nachfragen, während vor allem die ausländischen Firmen - aber auch die
Deutschschweizer Betriebe - breitere , auch Aspekte der
"Allgemeinbildung" Fähigkeiten verlangen, wie sie für die Wahrnehmung
höherer individueller Selbstverantwortung sowie für die Teilnahme an
innovativen Prozessen und die optimale Ausschöpfung der neuen IuK-Technologien
die Voraussetzung bilden.
Tatsächlich
zeigt es sich, dass hinsichtlich der Bewertung der "allgemeinen
Bildung" genau die postulierten Unterschiede bestehen - auch wenn
Dienstleistungsfirmen in allen Regionen dazu tendieren, diesem generellsten
Aspekt individueller Qualifikation ein etwas höheres Gewicht als
Industriebetriebe zu verleihen.
Interessanterweise
bleibt das scharfe relative Nachhinken der italienischen Schweiz auch in den neueren,
expandierenden Dienstleistungsbranchen sehr deutlich erhalten, genauso wie in
den grösseren Betrieben, in denen ausnahmsweise sogar grössere Divergenzen als
im KMU-Bereich bestehen.
Allerdings
spricht nichts für die Hypothese, dass der Bedarf nach allgemeiner Bildung
durch die Organisationsstruktur verursacht würde, denn die Erklärungsbeiträge
der regionalen Dummy-Variablen bleiben auch dann erhalten, wenn man sie von
denjenigen der Unternehmensmerkmale isoliert. In Uebereinstimmung mit
organisationstheoretischen steht immerhin das Ergebnis, dass sich der
Stellenwert allgemeiner Bildung mit wachsendem Einsatz von Arbeitsgruppen und
IuK-Technologien zusätzlich erhöht (Tab. 12).
Tabelle 12: Erklärungsmodelle für die Bedeutung der
„Allgemeinbildung“ im erforderlichen Qualifikationsprofil der Mitarbeiter 1999
(multivariate lineare Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
- |
- |
- |
.- |
französisch (dummy) |
-.10 |
.000 |
- |
- |
italienisch (dummy) |
-.09 |
.000 |
-.13 |
.004 |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
-.10 |
.031 |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
.11 |
.024 |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
- |
.- |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
.22 |
.000 |
Erklärte Varianz (R2) |
.016 |
.000 |
.110 |
.000 |
( N =) |
(1824) |
(483) |
Mit
dem Überwechseln von klassisch-fordistischen Produktionsformen zu Modellen der
"lean production" ist im allgemeinen ein erhöhter Bedarf an
"sozialen Kompetenzen" verbunden, weil die Mitarbeiter verstärkt als
Akteure mit der Fähigkeit zur Kommunikation, Teamkooperation und
Konfliktaustragung in Anspruch genommne werden (vgl. Stevens / Capelli 1994; Geser
1999).
Um
diese - ähnlich wie die Allgemeinbildung nicht direkt mit dem Arbeitsinhalt in
Beziehung stehende - Dimension individueller Qualifiziertheit zu erfassen,
wurde ein Index gebildet, der die Wichtigkeitseinstufungen von fünf einschlägigen
Einzelaspekten (team- Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Kontaktfreudigkeit
und Einfühlungsvermögen) summiert.
Aus
Figur 3 wird ersichtlich, dass vor allem im Dienstleistungssektor (wo das
Niveau erwarteter Sozialkompetenzen erwartungsgemäss generell höher liegt)
signifikante Unterschiede in der vermuteten Richtung bestehen, die sich allerdings
Unternehmen auf kleinerer und mittlerer Grösse beschränken.
Dies
könnte darauf hinweisen, dass primär die Umgangsformen mit externen Kunden und
nicht die Binneninteraktionen zwischen Angestellten für die Unterschiede den
Ausschlag geben. Die Konvergenz der Grossbetriebe wäre dann dadurch bedingt,
dass sie normalerweise weniger "boundary roles" besitzen: so dass bei
in ihnen die Binneninteraktionen in den Vordergrund treten, die unabhängig vom
lokalen Kontext überall dieselben sozialen Kompetenzen erfordern.
Im
Gegensatz zur Allgemeinbildung, deren Bedeutung direkt vom regionalen Kulturmilieu
abzuhängen scheint, wird der bedarf nach Sozialkompetenzen weitgehend durch
binnenorganisatorische Faktoren bestimmt. Im Besonderen müssen die
zentralistischen Autoritätsstrukturen dafür haftbar gemacht werden, die dazu
führen, dass von den Mitarbeitern in Süd- und Westschweizer Betrieben weniger
kommunikative und interaktive Fähigkeiten erwartet werden (Tab. 13).
Tabelle 13: Erklärungsmodelle für die Bedeutung der sozialen
Kompetenzen im Qualifikationsprofil der Mitarbeiter (multivariate lineare
Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
.05 |
.058 |
- |
- |
französisch (dummy) |
-.07 |
.005 |
- |
- |
italienisch (dummy) |
-.06 |
.020 |
- |
- |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
-.14 |
.005 |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
-.12 |
.019 |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
- |
- |
Erklärte Varianz (R2) |
.010 |
.000 |
.043 |
.000 |
( N =) |
(1986) |
(445) |
Bekanntlich
wird in traditionellen Produktionsstrukturen, wie sie sich vor allem in der
industriellen Massenfertigung ausgebildet haben, von den subordinierten
Mitarbeitern relativ wenig eigenständiges Denken und Handeln gefordert, weil
die Arbeit Routinecharakter hat und alle wesentlichen Entscheidungen - z. B. im
Bezug auf die Verteilung und Koordination der Aufgaben und die Strukturierung
der Ablaufsprozesse - von den Vorgesetzten oder speziell dafür ausdifferenzierten
Stellen (z. B. Arbeitsvorbereitung) getroffen werden. Mit wachsender
Firmengrösse nehmen diese bereits von Karl Marx beschriebenen
Dequalifizierungseffekte insofern zu, als die Rollen spezialisierter werden und
immer grössere Anteile der Binnenvorgänge einer expliziten formalen Regelung
unterliegen.
Demgegenüber
sind Mitarbeiter in moderneren Produktionsformen zumindest in gewissem Umfang
als relativ autonom funktionsfähige Akteure gefordert, die ihre Arbeitstätigkeit
im Lichte eigener Beobachtungen und Schlussfolgerungen spezifizieren, innerhalb
der teilautonomen Arbeitsgruppen eigene Verbesserungsvorschläge einbringen oder
sogar bereit sind, sowohl im Binnenverhältnis wie auch in der Interaktion mit
Kunden eine gewisse unternehmerische Mitverantwortung zu übernehmen.
Auf
dem Hintergrund dieser überaus konventionellen industriesoziologischen Hypothesen
kann nicht überraschen, dass Fähigkeiten zum „selbständigen Denken und Entscheiden“
a)
im Industriebereich einen generell bescheideneren Platz als im
Dienstleistungssektor einnehmen;
b)
mit wachsender Unternehmensgrösse an Gewicht verlieren;
c)
in den Firmen der West- und Südschweiz weniger Bedeutung besitzen als bei
deutsprachigen und ausländischen Firmen (die sich auch in diesem Aspekt kaum
voneinander unterscheiden).
Da
diese Unterschiede in beiden Wirtschaftssektoren und allen Betriebsgrössen-klassen
in ungefähr gleichem Ausmass auftreten (Figur 4), liegt die Vermutung nahe,
dass es sich um eine direkte Kausalwirkung des kontextuellen Kulturmilieus
handeln könnte, die ihre Wirkung unabhängig von spezifischen
Organisationseigenschaften entfaltet. Dies trifft aber offensichtlich nicht zu,
denn die regionalen Prädiktoren verlieren ihre Signifikanz, wenn man die in
Frage kommenden Unternehmensmerkmale kontrolliert (Tab. 14). Interessanterweise
scheinen die hauptsächlichen kausalen Einflüsse von der Verbreitung des
Computers in der Firma auszugehen - und nicht etwa von den Autoritätsverhältnissen
oder Gruppenstrukturen, die man im Rahmen des „lean production“ Modells primär
dafür haftbar machen würde.
Tabelle 14: Erklärungsmodelle für die Bedeutung der
Fähigkeit zu "selbständigem Denken und Entscheiden" (multivariate
lineare Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
.01 |
.631 |
- |
- |
französisch (dummy) |
-.11 |
.000 |
- |
- |
italienisch (dummy) |
-.10 |
.000 |
- |
- |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
- |
- |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
.- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
- |
- |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
.15 |
.002 |
Erklärte Varianz (R2) |
.020 |
.000 |
.026 |
.009 |
( N =) |
(1986) |
(505) |
Ein
hohes „Durchsetzungsvermögen“ wird in privatwirtschaftlichen Firmen primär von
Geschäftsführern, Verkaufsleitern und anderen Manager erwartet, deren Hauptaufgabe
darin besteht, entweder die Interessen des Unternehmens gegenüber Kunden,
Lieferanten oder Konkurrenten zur Geltung zu bringen oder im Innern gegen
Trägheiten und Widerstände gewünschte Aenderungen (z. B. im Sinne eines “turnaround") zu realisieren.
Auf
Mitarbeiterebene wird es nur dort eine grössere Bedeutung haben, wo von allen
Angestellten erwartet wird, dass sie gegenüber aussen die Belange der Firma
vertreten oder sich im Inneren aktiv für betriebliche Verbesserungen
engagieren.
So
kann nicht überraschen, dass auch dieser Aspekt individueller Kompetenz in den
ausländischen und Deutschschweizer Firmen die stärkste Gewichtung findet, ganz
besonders in den kleineren Betrieben, in denen ja generell weniger
formal-hierarchische Subordinationszwänge bestehen.
Bemerkenswert
ist allerdings, dass die regionalen Unterschiede nur im Dienstleistungssektor
viel deutlicher hervortreten als in der Industrie, wo wahrscheinlich die
endogene Bedingungen der Produktionstechnik und Betriebsorganisation
einheitlichere - der Entfaltung persönlicher Autonomie nicht sehr förderlichen
- Rollenanforderungen erzwingen (Figur 5).
Ganz
ähnlich wie im Falle des „selbständigen Denkens und Entscheidens“ (vgl. 3.5.3)
verlieren die Erklärungsbeiträge der regionalen Prädiktoren ihre statistische
Signifikanz, wenn man die Organisationsmerkmale kontrolliert (Tab 15). Wiederum
beeindruckt das Ausmass, in dem eine weite Verbreitung des Personalcomputers
in der Unternehmung offensichtlich günstige Bedingungen für Autonomie und
Eigeninitiative auf Mitarbeiterebene erzeugt - im diametralen Gegensatz zur
traditionellen industriellen Produktionstechnologie, die - wie aus dem
Vergleich zwischen sekundärem und tertiärem Sektor hervorgeht - diesen Aspekten
individueller Selbstentfaltung eher hinderlich entgegensteht.
Tabelle 15: Erklärungsmodelle für die Bedeutung des Durchsetzungsvermögens
im Qualifikationsprofil der Mitarbeiter (multivariate lineare Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
.01 |
.829 |
- |
.- |
französisch (dummy) |
-.11 |
.000 |
- |
- |
italienisch (dummy) |
-.10 |
.000 |
- |
- |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
- |
.- |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
- |
.- |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
.15 |
.002 |
Erklärte Varianz (R2) |
.019 |
.000 |
.026 |
.000 |
( N =) |
(1986) |
(505) |
Spiegelbildlich zur
geringeren Gewichtung persönlicher Selbständigkeit und Durchsetzungskraft
stellen die Firmen der Süd- und Westschweiz umso stärker gegenläufige Aspekte
persönlicher Subordinationsbereitschaft in den Vordergrund, wie sie zur
konformen Einpassung der Mitarbeiter in die soziale Umwelt erforderlic
Erstaunlich
verringern sic
Im
Unterschied zu den Merkmalen persönlicher Autonomie und Durchsetzungskraft
scheint es sich bei den Gehorsamserwartungen nicht um organisatorisch
mediatisierte, sondern um unmittelbar aus dem kulturellen Kontext generierte
Werthaltungen zu handeln, denn die Erklärungskraft der regionalen Prädiktoren
bleibt erhalten (ja nimmt sogar zu), wenn man die Betriebsmerkmale kontrolliert
(Tab. 16). Zusätzlich geht - erwartungsgemäss - von der Autoritätsstellung des
Vorgesetzten ein positiver Einfluss aus. Wiederum überrascht aber die noch
ungleich massivere negative Kausalwirkung, die von der Verbreitung des Personalcomputers
in der Unternehmung ausgeht. Aehnlich wie die IuK-Technologien auf der einen
Seite den Spielraum für persönliche Autonomie expandieren, scheinen sie
andererseits den Bedarf nach individueller Subordinationsbereitschaft zu
reduzieren.
Tabelle 16: Erklärungsmodelle für die Bedeutung des Gehorsams
im Qualifikationsprofil der Mitarbeiter (multivariate lineare Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
-.07 |
.001 |
- |
- |
französisch (dummy) |
.16 |
.000 |
.19 |
.000 |
italienisch (dummy) |
.07 |
.003 |
.12 |
.005 |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
-.11 |
.009 |
Umsatzwachstum |
|
|
.- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
.- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
.11 |
.009 |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
-.26 |
.000 |
Erklärte Varianz (R2) |
.036 |
.000 |
.182 |
.000 |
( N =) |
(1986) |
(493) |
Mit
dem Konzept „Pünktlichkeit“ ist eine banale, aber für die temporale
Organisation betrieblicher Abläufe überall unverzichtbare individuelle
Verhaltenseigenschaft angesprochen, die analog zum „Gehorsam“ ebenfalls zu den
auf soziale Konformität ausgerichteten (und damit: der personalen Autonomie
entgegenstehenden) Charaktertugenden gehört. Erwartungsgemäss sind die interregionalen
Differenzen deshalb relativ gering (Figur 7)
Aehnlich
wie die generelle Subordinationsbereitschaft (3.5.5) kommt auc
Tabelle 17: Erklärungsmodelle für die Bedeutung der
„Pünktlichkeit“ als Qualifikation der Mitarbeiter (multivariate lineare
Regressionen)
Prädiktoren: |
Modell I |
Modell II |
||
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
|
ausländisch (dummy) |
-.06 |
.006 |
- |
- |
französisch (dummy) |
.06 |
.004 |
.- |
.- |
italienisch (dummy) |
|
|
- |
- |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
-.15 |
.000 |
Umsatzwachstum |
|
|
-.10 |
.024 |
Produktinnovationen (dummy) |
|
|
- |
.- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
.- |
.- |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
-.30 |
.000 |
Erklärte Varianz (R2) |
.008 |
.000 |
.133 |
.000 |
( N =) |
(1983) |
(491). |
Schliesslich
erweist auch die „Loyalität zur Unternehmung“ als eine Rollenqualifikation, die
einerseits überall auf einem recht hohen Niveau erwartet wird, andererseits
aber doch im französischen Sprachraum eine besonders starke Ausprägung besitzt
(Figur 8).
Bezeichnenderweise
wird der Loyalitätsbedarf kaum durch organisationsspezifische Variablen
beeinflusst, da es sich hier um eine auf die Unternehmung als Ganzes gerichtete
innere Identifikationshaltung handelt, die - als Bestandteil des Anstellungskontrakts
- unabhängig von konkreten Bedingungen auf Betriebs- oder Rollenebene erwartet
wird. (Tab. 18) Stärker als bei allen andern Dimensionen des Rollenprofils
gewinnt man hier den Eindruck, dass es sich hier um einen rein kulturellen
Einfluss handelt, der in kulturspezifischen Werten der Westschweizer Bevölkerung
und Unternehmerschaft seine Wurzeln hat.
Tabelle 18: Erklärungsmodelle für die Bedeutung der Loyalität
im Qualifikationsprofil der Mitarbeiter (multivariate lineare Regressionen)
|
Modell I |
Modell II |
||
Prädiktoren: |
(BETA-Werte) |
Sign. |
(BETA-Werte) |
Sign. |
ausländisch (dummy) |
.05 |
.563 |
- |
- |
französisch (dummy) |
.14 |
.000 |
.13 |
.004 |
italienisch (dummy) |
-.01 |
-.493 |
. |
.- |
Exporttätigkeit (dummy) |
|
|
-.09 |
.004 |
Umsatzwachstum |
|
|
- |
- |
Produktinnovationen
(dummy) |
|
|
- |
- |
Existenz von
Arbeitsgruppen (dummy) |
|
|
- |
- |
Autorität des
Vorgesetzten |
|
|
- |
- |
% der Mitarbeiter mit PC |
|
|
- |
- |
Erklärte Varianz (R2) |
.020 |
.000 |
.024 |
.001 |
( N =) |
(2002) |
(504) |
Generell
stellt sich die Frage, warum persönliche Tugenden des Gehorsams, der Pünktlichkeit
und Loyalität, deren Herausbildung sich in den Entstehungsphasen der
Industrialisierung als so wichtig erwiesen hat, gerade in den relativ
innovativ-expansiven Bereichen der heutigen Wirtschaft relativ stark in den
Hintergrund treten, obwohl auch derart moderne Betriebe unstreitig von einer
hohen Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit individueller Arbeitsleistungen abhängig
sind.
Ein
möglicher Erklärungsansatz eröffnet sich dadurch, dass man im Sinne von Deleuze
einen Wechsel von der „Disziplinargesellschaft" zur „Kontrollgesellschaft"
postuliert. Dieser Wandel besteht darin, dass die Steuerungen individuellen
Verhaltens zunehmend von internalisierten psychischen Mechanismen und sozialen
Interaktionsverhältnissen auf depersonalisiert-technische Mechanismen (z. B. Maschinenanlagen
oder Computersoftware) übergehen: mit der Folge, dass sich
Verhaltenskonformität unabhängiger von internalisierten Charaktereigenschaften
und Habitualisierungen vollzieht (vgl. Deleuze 1993: 254ff.).
Die
Industrie- und Dienstleistungsunternehmen der Schweizer Privatwirtschaft zeigen
je nach Nationalität und Sprachregion unterschiedliche Merkmalskonfigurationen,
die sich relativ gut in Termini konventioneller Organisationstypologien
abbilden lassen.
Die
Firmen des italienischen Sprachraums scheinen noch weitaus am stärksten
dem konventionellen Typus der „fordistischen Massenproduktion“ (bzw. des
„mechanischen Managements“) verhaftet, der auf eine stabile, wenig komplexe
Umwelt ausgerichtet ist, eher die Kostenminimierung als die Innovativität in
den Vordergrund stellt und sich an bürokratischen Prinzipien hoher
Zentralisierung und Formalisierung orientiert.
Auf
der Unternehmensebene zeigt sich dies darin, dass eine eher binnenwirtschaftliche
Ausrichtung mit geringer Produktinnovativität aufrechterhalten wird, die sich
mit hoher Preiskompetitivität und geringer Expansionsdynamik verbindet.
Innerhalb
der betrieblichen Organisation
manifestiert sich dies in einer hierarchiebetonten Struktur, die durch einen
umfangreichen Einsatz ungelernter Arbeitskräfte und einen geringen Einsatz
moderner Informationstechnologien sowie durch eine hohe Autorität der Vorgesetzten
und geringe Mitsprachemöglichkeiten der Mitarbeiter gekennzeichnet ist, und in
der wenig Neigung zu teamartigen Kooperationsstrukturen besteht.
Auf
der individuellen Rollenebene schliesslich fällt auf, dass
-
die Entlöhnung sich eher am bürokratischen Kriterium des „Dienstalters“ als an
Kriterien individueller Leistung orientiert;
-
die Mitarbeiter relativ wenig Weiterbildung erfahren (und deren Kosten in
erheblichem Masse selber übernehmen müssen);
-
im Qualifikationsprofil der Mitarbeiter konventionelle Tugenden persönlicher
Disziplin und Subordination im Vordergrund stehen, während nach Eigenschaften
persönlicher Allgemeinbildung und Autonomie (ebenso wie nach sozialen
Kompetenzen) relativ wenig Nachfrage besteht.
Während
die Westschweizer Unternehmen in etwas abgeschwächter Form dieselbe Merkmalskonfiguration
zeigen, repräsentieren vor allem die ausländischen Firmen den Gegentypus des
„postfordistischen“ Unternehmensorganisation die im Umweltverhältnis durch internationale
Exportorientierung, Qualitätskonkurrenz hohe Innovativität und eine ausgeprägte
Expansionsdynamik gekennzeichnet ist und sich in ihrem Innern durch ein hoch
qualifizierte Belegschaft, relativ dezentralisiert-teambezogene
Kooperationsstrukturen und durch einen extensiven Einsatz des Computers und der
Computernetze profiliert.
Dementsprechend
sehen sich auch die Mitarbeiter mit dem rauhen Wind leistungsorientierter
Entlöhnungssysteme und dauernder Weiterbildungsforderungen konfrontiert, gewinnen
andererseits aber auch in einem gewissen Umfang die Chance, über die funktionalen
Sachkompetenzen hinaus ihre sozialen Kompetenzen und ihre Fähigkeiten zum
selbständigen Denken und Entscheiden zur Geltung zu bringen.
Die
Vermutung liegt nahe, dass es sich bei den divergierenden Qualifikationsanforderungen
um sekundäre Effekte handeln könnte, die in den - ihrerseits kulturbedingten -
Unterschieden der Unternehmens- und Organisationsstruktur ihre Ursache hätten. Diese
Interpretation stösst aber allein schon deshalb auf Schwierigkeiten, weil sich
ausländische und Schweizerische Firmen zwar sehr wohl in ihren Organisationsmerkmalen
(z. B. in ihrer Innovationsdynamik, im Zentralisierungsgrad der Autorität sowie
im Gebrauch der IuK-Technologien), nicht aber in ihren Qualifikationsanforderungen
von den Unternehmen der deutschen Schweiz signifikant unterscheiden.
Darüber
hinaus zeigen die multivariaten Regressionsanalysen, dass auch die von der
Sprachregion ausgehenden Effekte häufig zumindest teilweise erhalten bleiben,
wenn man die relevanten Unternehmensmerkmale statistisch kontrolliert. So wird
zwar der geringere Bedarf an Sozialkompetenzen und „eigenständigem Denken“ in
den romanischen Sprachregionen weitgehend durch die zentralistischere
Binnenstruktur (bzw. die geringere Verbreitung des PC) in diesen Firmen
erklärt, aber bei der hohen Gewichtung des „Gehorsams“ scheint es sich (ebenso
wie bei der überdurchschnittlichen Bedeutung des „Dienstalters“ als Entlöhnungskriterium)
um genuin kulturelle Einflüsse zu handeln, in denen sich Werte und Mentalitäten
der lokalen Manager und Mitarbeiter widerspiegeln.
Schliesslich
zeigt sich die der kulturelle Charakter der nachgefragten Qualifikationsprofile
nicht zuletzt auch darin, dass sich dieselben Divergenzen meistens sowohl in
Industrie- wie in Dienstleistungsfirmen sowie in kleineren wie in grösseren
Unternehmungen finden.
Zahlreiche
Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Dienstleistungsbereich für die
Entfaltung kultureller unterschiede bessere Bedingungen als der sekundäre
Sektor bietet, da einerseits manch technisch-maschinell determinierte Zwänge
wegfallen und andererseits die Arbeitsprozesse stärker auf die (kulturell
geprägten) Präferenzen und Verhaltensweisen der Kunden ausgerichtet werden.
Deshalb dürfte auch die weitere Tertiarisierung der Wirtschaft eher zu einer
Akzentuierung als zu einer Abschwächung interregionaler Divergenzen führen.
Burns, T. / Stalker, G. M. (1961): The
management of innovation.
Deleuze,
Gilles (1993):
Postskriptum über die Kontrollgesellschaften (In: derselbe: Unterhandlungen,
1972-1990; Edition Suhrkamp Frankfurt/M., S. 254-262).
Geser,
Hans (2003):
Sprachräume als Arbeits- und Organisationskulturen Vergleichende
empirische Befunde in der deutschen und französischen Schweiz, Zürich, Mai. http://geser.net/work/geser/08.pdf
Geser, Hans (1999): Arbeitsqualifikationen im Spannungsfeld des ökonomischen, technischen und
organisatorischen Wandels. Zürich. http://socio.ch/work/geser/04.pdf
Kohn, Melvin. L. (1971): Bureaucratic Man: A portrait and an interpretation.
(ASR, 36, S. 461-474).
Meyer, John W. / Rowan, Brian (1977): Institutionalized Organizations: Formal Structure as
Myth and Ceremony. (American Journal of Sociology, 83: 340-363).
Müller-Grieshaber, Peter (1998): Förderung des Lehrstellenmarkts in der Romandie. Mediendienst Berufsbildung. Nr.
8. Dezember, Deutschschweizerische Berufsbildungsämterkonferenz.
http://www.dbk.ch/Mediendienst/Welcome.html
Stevens, J.
/ Capelli, M. A. (1994): The knowledge, skill, and ability requirements for teamwork: implications
for human resource management. (Journal of management 20(2): 503-532)
Womack, James P. /
Jones, Daniel T. / Roos, Daniel (1982): Die zweite Revolution in der
Autoindustrie. Campus
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