Georg Simmel: Das
Problem des Portraits
ex: Die
neue Rundschau, XXIX. Jg. der freien Bühne, 1918, Bd. 2 (= Heft 10 vom
Oktober 1918), S. 1336-1344
Die allgemeine Meinung wird
es für die Aufgabe der Malerei erklären, die Sichtbarkeit der Welt im
Bilde, das heißt nach den Gesetzen künstlerischer Formung darzustellen.
Aber diese Sichtbarkeit der
Welt enthält ein Problem, das diese einfache Formulierung nicht ohne
weiteres verrät.
Was wir nämlich an einem
Menschen (auf ihn als Aufgabe der bildenden Kunst beschränken wir uns)
wirklich sehen, das bloß Optische, sinnlich Aufgenommene seiner
Erscheinung ist keineswegs dasselbe, was wir in der Gewohnheit des täglichen
Lebens als das Sichtbare bezeichnen.
Denn dieses angeblich
Sichtbare ist ein buntes Gemenge des wirklich Gesehenen mit Ergänzungen
äußerer und innerer Art, mit Gefühlsreaktionen, Schätzungen, Verknüpftheiten
mit Bewegungen und Umgebungen; dazu kommt der Wechsel in Standpunkt und
Anteilnahme des Beobachters, kommen die praktischen Interessen, die sich
zwischen Mensch und Mensch knüpfen, - kurz, der Mensch ist dem Menschen
ein fluktuierender Komplex von Eindrücken aller Sinne und seelischen
Assoziationen, von Sympathien und Antipathien, von Urteilen und
Vorurteilen, Erinnerungen und Hoffnungen.
Alles dies tritt uns mit
der körperlichen Erscheinung des Menschen gegenüber, und aus diesem Knäuel
das herauszulösen, was wir wirklich sehen, das rein sinnlich
Optische daran, Jenseits aller Deutungen und Hinzufügungen, uns zu
besonderem Bewußtsein zu bringen, haben wir in der Regel weder Interesse
noch Möglichkeit.
Andererseits sehen wir auch
zu wenig, wir bemerken unzähliges Sichtbare nicht, weil unsere
Aufmerksamkeit sich nicht darauf richtet, weil kein praktischer Wert sich
daran knüpft.
Was wir populärerweise das
Bild des Menschen nennen und auch eigentlich zu sehen glauben, ist sehr
viel mehr und sehr viel weniger als seine wirkliche Sichtbarkeit.
Dieses wirklich Sichtbare
am Menschen herauszustellen, ist das erste Amt des Porträts; es zeigt
das, was wir an dem Menschen mit dem reinen Sinne sehen, das heißt sehen
könnten, wenn dieser Sinn hinreichend selbständig wäre.
Das Auge des Malers hebt
aus dem unabsehlich vielgliedrigen und zugleich fragmentarischen Geflecht,
das uns für die Praxis des Tages den bestimmten Menschen bedeutet, das
rein optische Sinnenbild heraus.
Es vollzieht die
Abstraktion des rein Anschaulichen aus der verworrenen Wirklichkeit des
Menschen -keine intellektuelle Abstraktion natürlich, sondern eine
sinnliche, und selbstverständlich keine wörtliche Reproduktion dieser
Erscheinung wie die Photographie.
Jedenfalls aber, da der
Maler nur jenes rein augenmäßige, durch Form und Farbe wiederzugebende
Phänomen zur Verfügung hat, so kann auch die künstlerische Umbildung,
die er mit dem Naturgegebenen vornimmt, sich ausschließlich an diesem
sinnlich Gegebenen vollziehen.
Dies ist gar nicht so
selbstverständlich, wie es klingt.
Immer wieder hört man, der
Porträtist offenbare das, was hinter der sinnlichen Erscheinung liegt, er
lege das seelische Wesen des Menschen dar, das Bild sei das Symbol für
eine Idee oder einen Typus und ähnliches.
Wie das Porträt den damit
bezeichneten Ansprüchen genügt, wird sich später zeigen.
Unmittelbar jedenfalls sind
sie ganz irrig.
Nicht das jenseits der
Sichtbarkeit Gelegene ist der malerische Gegenstand, sondern er selbst,
rein als Erscheinung, wird durch Formung und Beleuchtung, durch Betonen
und Zurückstellen, durch Verschieben und Weglassen, durch Aufbau und Wahl
des Augenpunktes zu höchster Deutlichkeit gebracht, zur Höhe seines
Reizes, zum Gefühl seiner Gesetzmäßigkeit.
Ganz allein die sichtbare
Oberfläche und das Verhältnis ihrer Teile zueinander trägt diesen Reiz
und diese Gesetzmäßigkeit.
Den natürlichen Zusammenhängen,
die diese Oberfläche mit allem Nicht-Sichtbaren dieses Körpers und
dieser Seele, dem gesamten Leben und dem Kosmos in realer Unlöslichkeit
verknüpfen, entreißt der Maler allein dieses von außen Sichtbare.
Rein nach den malerischen
Forderungen der Klarheit, der Charakteristik, der optischen Harmonie ist
es notwendig, daß dieser Mund so und so gebildet wird, wenn diese Nase
dasteht, daß diese Augen gerade nur zwischen dieser Stirn und diesen
Wangen stehen können.
Die Struktur und Dynamik
des ganzen Körpers unter der Haut, des ganzen Weltverhältnisses des
Menschen ist freilich in die Oberflächenbeschaffenheit eingegangen - wie
es Goethe sagt: »Es ist nichts in der Haut, was nicht im Knochen ist.«
Ist diese aber erst einmal
zustande gekommen, hat der Künstler erst einmal sozusagen den ganzen
Menschen auf die Ebene der Sichtbarkeit projiziert, so hat er ausschließlich
die Gesetzlichkeit und ästhetische Bedeutung eben dieses Sichtbaren zum
Ausdruck zu bringen: sein Werk ist die Vollendung des Sehens in sich
selbst, die Herausarbeitung des Sinnes der bloßen Erscheinung als
solcher, ihrer Reize, ihrer inneren Notwendigkeit.
Man empfindet indes ohne
weiteres, daß die Forderungen an das Porträt hiermit nicht vollständig
ausgedrückt sind.
Lionardos Satz: die Malerei
habe zwei Dinge darzustellen, den Menschen und die Seele - enthält in
vielleicht etwas primitiver Form einen Anspruch, den keine artistische
Theorie einfach wegdekretieren kann.
Es kann nicht ein durchgängiges
Mißverständnis sein, wenn man jederzeit von dem Menschenbildnis verlangt
hat, es müsse uns ein Seelisches zugängig machen, das über das
unmittelbar Sinnliche, das räumlich Optische hinausreiche, und wenn man
dies Verlangen auch in größerem oder geringerem Maße erfüllt findet.
Unmittelbar erscheint dies
durch den Eindruck gerechtfertigt, den der lebendige Mensch von der
Gegenwart des anderen lebendigen Menschen erhält.
Es ist nämlich die
naheliegende Meinung gänzlich abzuweisen, daß wir auch hier den anderen
nur mit dem Auge sehen, daß er unserer Wahrnehmung zunächst nur ein Stück
farbige Materie ist, das sich bewegt und Laute von sich gibt, kurz eine
Marionette ist, in die wir erst durch die Erfahrung an uns selbst, durch
Assoziation und Konstruktion ein seelisches Leben, seelische Wesensart und
Inhalte hineinlegen.
Ich bin überzeugt, daß
der Körper und die Seele nicht zwei »Teile« des Menschen sind, die ihn
erst zusammensetzen und von denen der eine unmittelbar sinnlich gegeben
ist, der andere erst erschlossen werden muß.
Vielmehr, der Mensch ist
eine lebendige Einheit, die erst durch eine nachträgliche Abstraktion in
jenes beides zertrennt wird, und als diese Einheit nehmen wir ihn auch
wahr.
Nicht das Auge in seiner
anatomischen Einzelbedeutung als ein isoliertes Instrument, sondern unser
einheitliches Sein, der ganze Mensch, wird des anderen ganzen Menschen
gewahr, und die einzelnen Sinne sind nur die Kanäle, durch die die
Gesamtwahrnehmungskraft unseres Wesens fließt.
Wie der Wahrnehmende selbst
eine Totalexistenz ist, die in jeder ihrer besonderen Funktionen doch ganz
lebt, so ist für ihn auch der Wahrgenommene von vornherein der beseelte
Leib als eine Einheit, die nicht erst durch eine nachträgliche
komplizierte Synthese zustande kommt.
Freilich bewirken die Zufälligkeiten,
Zersplitterungen, Unvollkommenheiten unseres empirischen Lebens, daß
diese Einheit nicht in ihrer ganzen Rundheit, als restlos geschlossene
wirksam wird, sie wird einseitig, fragmentarisch, durch die Schwankungen
unserer Kräfte und Interessen abgebogen und zersetzt.
Allein sie besteht als
Grundmotiv, als zuerst und zuletzt Entscheidendes über all den
Teilwahrnehmungen und Differenziertheiten, den Trennungen und
Wiederzusammensetzungen, in denen der Mensch sich dem Menschen bietet.
Schließlich lebt alle
Kunst auf dieser Basis: daß anthropologisch Körper und Seele eine
Einheit sei, wie metaphysisch Realität und Idee eine Einheit sind.
Alle Bemühungen der
Denker, den Zusammenhang von Körper und Seele herzustellen, als
Wechselwirkung, Parallelismus oder wodurch immer, wollen nur nachträglich
die auseinandergeschnittenen Stücke dessen wieder zusammenflicken, was
uns tägliches unmittelbares Erlebnis ist: die Lebenseinheit des Menschen,
die wir durch alle Verselbständigungen des Körpers und der Seele
hindurchfühlen.
Ist aber diese Zerspaltung
des Menschen einmal geschehen, so wird jede der beiden Seiten zum
Ausgangspunkt für sein Verständnis; jetzt muß er gedeutet werden, statt
in unmittelbarer intuitiver Auffassung ergriffen zu werden.
Die Praxis des Lebens und
die Kunst versuchen dies auf Wegen, die in eigentümlicher Weise
gleichlaufend und entgegenlaufend sind.
Das praktische Interesse knüpft
sich, mit einigen auf der Hand liegenden Ausnahmen, an das seelische
Verhalten der Menschen, wir werden im Fassen und Ausführen unserer Pläne,
in Glück und Leiden, in Schicksal und Arbeit eben schließlich dadurch
bestimmt, wie andere Menschen, das heißt, andere Seelen zu uns stehen, ob
sie klüger oder törichter sind als wir, ob sie uns lieben oder hassen,
ob sie unsere Bestrebungen fördern oder hemmen.
Nichts anderes ist gemeint,
wenn ein so praktisch realistischer Mensch wie Napoleon sagt, der Krieg wäre
eine Sache der Psychologie.
Im letzten Grunde ist es nächst
der eigenen Seele die Seele der anderen Menschen, was unser Schicksal
entscheidet.
Darum ist innerhalb des
praktischen Handelns der Körper des Individuums, sein Aussehen, seine
Bewegungen, seine Äußerungen für die anderen Individuen nur eine Art
Buchstabenschrift, die ihren uns angehenden Sinn in seinen Gesinnungen und
Stimmungen, seinen Absichten und seelischen Energien hat.
Auf die reine Körperlichkeit
des Menschen konzentrieren wir uns aus ästhetischen oder sensuellen Gründen,
aber in der eigentlich lebenbestimmenden Praxis eilen wir über sie hin zu
seinen seelischen Beschaffenheiten und Bewegtheiten, für die uns seine Körperlichkeit
nur die Brücke, das Symbol, der Interpret ist.
Diese Richtung des Verhältnisses
von Leib und Seele dreht sich, wie wir sehen werden, für die Kunst um,
und zwar auf Grund davon, daß sie schon in ihrer Voraussetzung ein
besonders schwieriges Problem zeigt.
Jene Lebenseinheit,
jenseits der Scheidung der beiden Parteien stehend, gilt doch nur für den
realen gegenwärtigen Menschen; er freilich, wie er ins Zimmer tritt, ist
jene Totalexistenz, die der Beschauer auch als Solche im Eindruck
physisch-psychischer Ungeschiedenheit aufnimmt.
Allein das Bild enthält
diese Einheit jedenfalls nicht.
Der Beschauer steht nicht
einem vollen Leben, sondern einem Nebeneinander von Farbenflecken gegenüber,
der bloßen Form und Farbe einer Oberfläche.
Und nun erhebt sich eben
die Frage: wie kann diese Erscheinung auf der Leinwand, diese Abstraktion,
dennoch die Vorstellung eines Innenlebens, einer Seelenhaftigkeit und
ihres bestimmten Charakters hervorrufen? Eine bloße Assoziation, aus der
Gewohnheit heraus, immer einen menschlichen Körper mit einer Seele
verbunden zu sehen, wäre eine völlig unzulängliche Erklärung.
Selbst wenn wir auf solche
Eigenerfahrung hin die Beseeltheit überhaupt erkennen würden, so doch
niemals, welche besondere Beseeltheit.
Denn dabei wäre
vorausgesetzt, daß ein genau gleicher Körper in seiner Verbindung mit
einer ganz bestimmten Seele bekannt wäre - was ebenso unannehmbar und
phantastisch wäre, wie wenn man die jetzt geforderte Erfahrung aus
einzelnen Stücken von ungefähr ähnlichen Erfahrungen zusammenleimen
wollte; denn hiermit wäre das Entscheidende: die Einheit der
organischen Erscheinung, die das bloße Nebeneinander der Stücke übergreift
und sich gar nicht mechanisch aus ihnen zusammensetzen läßt, gerade
nicht erklärt.
Wir müssen also einen
anderen Weg einschlagen, um die Beseeltheit des Porträts zu verstehen,
dessen rein äußerlich optischen Charakter ich ja gerade vorangestellt
hatte.
Aus dieser letzteren
Tatsache folgt zunächst, daß das seelische Element in der bildenden
Kunst eine ganz andere Art von Bedeutung hat als in der Poesie.
Für diese ist das
seelische Leben der Stoff ihrer künstlerischen Umgestaltung, sie
organisiert und stilisiert dieses Leben, bis es über alle Wirklichkeit
hinweg als geschlossene, rein künstlerische Vision dasteht.
Innerhalb der bildenden
Kunst aber ist das Seelische kein eigener Gegenstand der Bearbeitung,
sondern es kann nur dem körperlichen Phänomen folgen: nur als Seele
dieses bestimmten anschaulichen Körpers ist es dem Porträt von Wert,
niemals aber für sich allein wie der Poesie.
Dieser Leistungswert seiner
besteht nun darin - und das ist das Entscheidende - daß das, was wir die Einheit
eines Gesichts nennen: die gleichmäßige Belebtheit der Züge, ihr
gefühltes Zusammenwirken, die Bedingtheit eines jeden durch Jeden anderen
- daß dieses dadurch offenbart oder davon getragen wird, daß sie in
ihrer Gemeinsamkeit eine Seele ausdrücken.
Wenn mit Mitteln der reinen
Anschaulichkeit, über die der Maler allein verfügt, eine gewisse
Organisiertheit und gegenseitige Bestimmung der Formelemente erreicht ist,
ein rein anschauliches Aufeinander-Hinweisen der Züge, eine Gesetzmäßigkeit
in ihren Verhältnissen, so entsteht die Vorstellung der Beseelung dieser
Körperlichkeit.
Und, in der anderen
Richtung gesehen: sobald irgendwie nur die Vorstellung der Beseeltheit von
dem Oberflächenbilde ausgeht, bedingt sie in ihm eine außerordentlich
verstärkte Einheit, eine Art zusammenhaltenden Lebens, als wäre die
unzerlegbare Wurzel jetzt fühlbar, die all die Formen der Oberfläche
emporgetrieben hat.
Hier liegt in der Tat eine
Art Wechselwirkung vor: die körperliche Erscheinung läßt vermöge ihrer
künstlerischen Vereinheitlichtheit im Beschauer die Vorstellung einer
Seele anklingen und diese wirkt zurück und gibt der Erscheinung
gesteigerte Einheit, Halt, gegenseitige Rechtfertigung der Züge.
Diese Wechselwirkung ist
die künstlerische Form, in die sich die unmittelbare Einheit der Realität
von Körper und Seele auseinanderlegt und in der sie sich von neuem
beweist.
Einheit in genauem Sinne
ist Seele, denn alles Körperliche als solches liegt in unüberwindlichem
Außereinander.
Der Organismus freilich ist
schon eine Einheit, aber ganz eng und streng wird sie erst im beseelten
Organismus.
Erst in der Seele geht eine
Verwebung, eine Durchdringung, eine Innigkeit des Ineinander der Dinge vor
sich, zu der die Außenwelt überhaupt keine Analogie besitzt und die die
Seele eben nur dadurch, daß sie selbst Einheit ist, hervorbringen kann.
Wo die Einheit der Züge
auseinanderzufallen droht, wie bei weitem Aufreißen der Augen, Aufsperren
des Mundes, schlaffem Herabhängen der Wangenmuskeln haben wir deshalb den
entschiedenen Eindruck von herabgesetztem seelischem Leben, ja von »Entgeistertheit«.
Darum ist im Kunstwerk, das
die Lebenseinheit in einem bloßen Oberflächenbild darstellt, Jene
Einheit der Züge - wir nennen sie hier Notwendigkeit, Harmonie,
Gesetzlichkeit - nichts anderes als ihr Getragensein von einer Seele.
In der Wirklichkeit haben
wir die naive, undifferenzierte, unmittelbar gelebte Einheit; das
Kunstwerk, die Elemente auseinanderlegend und einem von ihnen die Führung
übertragend, gewinnt damit eine zwar viel gefährdetere, aber auch viel
tiefer notwendige, bewußter und energischer wirkende Einheit.
Die Seele ist das
zusammenhaltende, ordnende Gesetz der Züge, die allein die malerische
Realität sind - wie das Naturgesetz weder die Sache selbst ist, noch
irgendwo außerhalb der Sache ist, sondern die Ordnung und die verständliche
Einheit und das gegenseitige Verhältnis der Sachen ausmacht.
Daß das überhaupt möglich
ist, daß eine durch Farbflecke repräsentierte Oberfläche eine Seele in
sich zu tragen scheint, daß diese empfundene Seele jene Oberfläche
wieder zu einem sinnvollen, in sich einheitlichen Gebilde macht, das geht
natürlich auf jenes Grundgefühl des noch nicht in Parteien
auseinandergegangenen Lebens zurück.
Die Richtung aber, in der
die bildende Kunst diese Einheit wiederherstellt, indem sie sich ihrer für
ihre Zwecke bedient, ist diese: sie benutzt sozusagen die Beseeltheit des
Menschen, um für sein anschaulich künstlerisches Bild, das sie entwirft,
jene Einheit, Zusammengefaßtheit, Gesetzlichkeit zu verstärktem,
gesichertstem Eindruck zu bringen.
Die Praxis des Lebens war
umgekehrt gerichtet gewesen: Art und Bewegtheit des Körpers ist ihr ein
Mittel, zur Seele zu dringen und sie zu deuten.
Dies aber auch als die
Absicht der Porträtkunst anzusehen, ist ein völliger Irrtum -gleichviel
ob das theoretische Bewußtsein mancher Künstler ihn teilt.
Es muß absolut
festgehalten werden, daß dem Maler in erster und letzter Linie nur
Farbflecken zur Verfügung stehen, daß sein Endzweck nur die künstlerisch
vollkommene Gestaltung der optischen Erscheinung, der Oberfläche des
Menschen sein kann.
Diese kann für ihn unmöglich
zum bloßen Mittel werden, um zu etwas zu gelangen, was nicht sichtbar
ist.
Malerei ist nicht
Psychologie, und wenn ihr Zweck wäre, uns die Seele eines Menschen zu
offenbaren, so wäre das Porträt eines Menschen ersichtlich gänzlich überflüssig,
falls uns seine Seele etwa durch andere Mittel, durch unmittelbare
Beobachtung, durch Zeugnisse und Bekenntnisse bekannt würde.
Kunst Ist, wie Schopenhauer
sagt, »überall am Ziele«, sie ist kein Durchgangspunkt für anderes als
sie selbst.
Nur das, was außerhalb des
spezifischen Sinnes des einzelnen Kunstwerks liegt, kann ihm zum Mittel
werden, wie hier die Seele.
Will man überhaupt von dem
Begriff von Zweck und Mittel innerhalb der Kunst Gebrauch machen, was
immer etwas Bedenkliches hat - so kann alles, was jenseits der künstlerischen
Vollendung der Erscheinung, rein als geformter und farbiger Erscheinung
steht, nur als Mittel für eben diese Vollendung gelten.
Sonst stünde das Porträt
nicht über jeder Tendenzkunst, die die künstlerischen Werte zu Zwecken
benutzt, die außerhalb dieser künstlerischen Werte selbst liegen.
Wenn das eigentliche
Problem des Porträts: welche Bedeutung denn der Ausdruck des Seelischen für
die Wiedergabe der rein körperlichen Oberfläche habe, diese Antwort
findet, so ist sie natürlich eine nur prinzipielle, die in der tatsächlichen
Porträtkunst in einer Unzahl von Modifikationen und Abbiegungen auftritt.
Die künstlerische
Umbildung fordert, daß gegenüber der empirischen Erscheinung der
Eindruck der Einheit der Gesichtszüge außerordentlich verstärkt und
vertieft werde.
Denn von dem realen
Menschen haben wir ohne weiteres, aus dem vorhin angeführten Grunde, an
seinen Bewegungen und Äußerungen das Wissen um seine einheitliche
Wesenheit.
Das Porträt aber muß
dieses Wissen durch den bloßen Anblick von stabilen Formen und Farben,
insbesondere der Gesichtszüge erst erzeugen, muß jenes Gefühl
des vollen Ganzen durch diesen eigentlich abstrakten Teileindruck
ersetzen.
Man könnte nun daran
denken, statt des Eindrucks von der Seele, die diese Aufgabe löste,
andere Mittel zu gebrauchen.
Es ließe sich der
Zusammenhalt, die Einheit, durch eine formale Gestaltung erreichen, die
sich in genauerem Sinne an die bloße Oberfläche hielte.
Wir nennen doch eine
Arabeske auf ihre genaue Symmetrie, auf eine gewisse Harmonie und Gleichmäßigkeit
ihrer Kurven und Winkel hin einheitlich, während andere mit wirren, zufälligen,
voneinander unabhängigen Elementen als uneinheitlich empfunden werden.
Die artistische Aufgabe der
Vereinheitlichung auch der menschlichen Erscheinung wäre vielleicht auf
diese ornamentale Weise und ohne die Einheitsleistung der Seele
herbeizurufen lösbar.
Dies Experiment ist tatsächlich
in gewissem Umfang gemacht.
Die Geschichte des
Menschenbildnisses zeigt, daß die Erscheinung um so strenger stilisiert,
um so formalsymmetrischer, bis zum Geometrischen hin, um so mehr im
ornamentalen Sinne ausgeglichen und geschlossen ist, je weniger der
Ausdruck der Seele gesucht wird oder gelingt.
In einem großen Teil der
primitiven wie der hieratisch ägyptischen Kunst wird die Erscheinung in
eine Form eingestellt, die an und für sich, auch jenseits der
menschlichen Gestalt, einen in sich geschlossenen Sinn hat und dadurch die
Einheit des in sie Hineingestalteten von vornherein anschaulich
garantiert: der Kreis, das Dreieck oder Viereck, die genaue Symmetrie der
Hälften um die Mittelachse herum.
Die Einheit kommt hier
nicht aus dem Gegenstand selbst, wächst nicht organisch in und aus ihm,
sondern es besteht ein für sich allein schon sinnvolles rationales
Schema, in das die Erscheinung eingestellt wird und das ihr seine eigene
Einheitlichkeit mitteilt.
In der klassischen Kunst
der Griechen und der Renaissance ist diese Gestaltungsart noch keineswegs
ganz verschwunden, sie ist nur sehr viel biegsamer, lebendiger,
komplizierter geworden und zum großen Teil schon durch die andere Form
oder Kraft der Einheit ersetzt: durch den Ausdruck der Beseeltheit.
Man kann genau verfolgen,
daß das eine Prinzip gerade in dem Maße dominiert, in dem das andere zurücktritt.
Zu vollkommener Herrschaft
aber kommt die Seelenhaftigkeit als zusammenhaltende Funktion der
Erscheinung erst bei Rembrandt.
Wir verstehen daraus vor
allem den unendlichen Reichtum an Elementen und Nuancen, mit dem Rembrandt
die frühere Kunst übertrifft.
Denn soweit es noch an der
Seele als allein zusammenhaltender Kraft fehlt, soweit noch ein
geometrisierendes Schema sie vertritt, müssen die Elemente reduziert,
vereinfacht werden, um in diesem unterzukommen.
Die Seele ist ein soviel
weiter ausgreifendes, tiefer erfassendes, bewegter schwingendes
Gestaltungsprinzip, daß sie ihre Macht über ganz frei spielende,
unendlich differenzierte, mit der Berechnung gar nicht festzulegende
Elemente üben kann.
Den äußersten Pol dieser
Reihe stellen gewisse Porträtbüsten von Rodin dar, die mit offenbarer
Absichtlichkeit noch die letzte Schematik: die Symmetrie der beiden
Gesichtshälften zerstören, deren Ungleichheit fast übertreibend
betonen; die Seele zeigt vielleicht erst hier das Unbegrenzte ihrer Möglichkeiten.
Natürlich kann auch jene
frühere Kunst des Elementes der Seele für den Zusammenhalt der
menschlichen Erscheinung nicht ganz entbehren, ebensowenig wie Rembrandt
dasjenige, was ich das ornamentale Prinzip nannte, gänzlich ausschaltet:
das rein formale Aufeinander-Angewiesensein der Oberflächenteile, den
Zusammenhalt durch ihr dekoratives Verhältnis.
Es kommt nur darauf an,
welches der beiden diametral entgegengesetzten Prinzipien den
entscheidenden und gewollten Dienst für die Vereinheitlichung der
menschlichen Erscheinung leistet.-
Das Verhältnis aller Kunst
zum Leben wird man so bezeichnen können, daß gegenüber der bunten,
unruhig flutenden, aus unzähligen heterogenen Elementen
durcheinandergemischten Ganzheit des realen Lebens jede Kunst ein Element,
die Welt eines Sinnes, eine Möglichkeit des Fühlens und Formens
heraushebt und damit einen umfriedeten Bezirk schafft, der vielerlei
Inhalte der Welt aufnimmt und nach seinen besonderen Gesetzen gestaltet.
Aber immerhin ist jede
etwas Einseitiges, auf einen Ton Abgestimmtes, während die Wirklichkeit
all ihre Inhalte ineinander webt und sie für jedes Individuum in die große
Einheit seines Lebens einstellt.
Innerhalb aber dieser
Einheit zeigt das Leben Zerreißungen, Fremdheiten, unversöhnliche Gegensätze
seiner Elemente und Richtungen, von denen die Selbstbeschränkung der
Kunst nichts weiß.
Die Kunst als ganze ist
viel einseitiger, die Summe ihrer Leistungen untereinander viel unberührsamer,
fremdsprachiger als das Leben ist, dagegen aber die einzelne Kunst in sich
unendlich einheitlicher und in ihren Inhalten inniger verwandt.
In der erlebten Welt ist
zugleich mehr Nähe und mehr Ferne der Elemente, als in der künstlerisch
gestalteten.
In dieses Bild von der
Weltstellung der Kunst ordnet sich die Auslegung der Porträtkunst ein.
Deren Bedeutung mußte
erst, in genauer Beschränkung, auf den Gesichtssinn eingestellt werden,
auf den der Maler allein angewiesen ist.
Erst wenn dies gesichert
ist, darf die Theorie fragen: wo aber bleibt die Seele, das unanschaulich
innerliche Moment, das doch das Porträt in seiner Wirklichkeit
unzweifelhaft darbietet? Nun erst konnte diesem die enge, künstlerisch
klare Beziehung zu dem körperlichen Phänomen zugewiesen werden.
Gewiß, in der
Lebenswirklichkeit ist prinzipiell Körperliches und Seelisches
unmittelbarer als Eines empfunden, als Eines wirksam.
Allein dennoch, in der
einzelnen Erfahrung bricht beides oft auseinander, ist beides
gegeneinander zufällig, oft fremd, gegensätzlich, ohne feste Beziehung.
In dem Begriffe der Kunst
scheint sich beides weiter gegeneinander zu spannen, um sich dadurch, daß
die Beseeltheit als das vereinheitlichende Moment der Anschauung selbst
erkannt wird, um so wirkungskräftiger, sinnvoller, als zusammengehörig
zu erweisen.
So hat zwar die
Lebenswirklichkeit eine innere Kraft, ein mächtiges Ineinanderwachsen
ihrer Elemente, vor dem die Kunst als dürftig einseitige Spiegelung
erscheinen könnte.
Aber das Leben muß dies
mit dem Chaos, mit tausend Brüchen und unbegreiflichen Zufälligkeiten
und Feindseligkeiten seiner Elemente bezahlen.
In der Umschränktheit des
Kunstbezirkes dagegen sind die Elemente zu einem festen durchsichtigen
Sinne, einer überzufälligen Harmonie verbunden.
Und dies ist das Erlösende,
Beglückende, das die Kunst uns gibt.
Denn da schließlich doch
auch sie aus dem Leben kommt, aus seinem Pulsschlag die Kräfte ihrer
Entwicklung zieht, so ist die Harmonie, die die Dinge in ihrem Spiegel
finden, so partiell sie sein mag, uns eine Ahnung und ein Pfand dafür, daß
die Elemente des Lebens im allertiefsten Grunde auch ihrer Wirklichkeit
doch vielleicht nicht so hoffnungslos gleichgültig und gegensätzlich
auseinander liegen, wie das Leben selbst uns so oft glauben machen will. |