Georg Simmel:
Der Schauspieler und die Wirklichkeit
ex: Berliner Tageblatt und
Handelszeitung, 41. Jg., Nr. II vom 7. Januar 1912, I. Beiblatt, S. 5-6
(Berlin)
Wie zurückhaltend und
kritisch man auch über die »allgemeine Meinung«, über die Vox populi
denken möge - die dunklen Ahnungen, Instinkte, Wertungen der grossen
Masse haben in der Regel einen Kern von Zutreffendem und Zuverlässigem,
den freilich eine dicke Schale von Oberflächlichem und Verblendetem
umgibt; aber er wird im Religiösen und im Politischen, im Intellektuellen
und Ethischen doch immer wieder als eine fundamentale Richtigkeit fühlbar
werden.
Nur auf einem Gebiet, das
sogar zugänglicher als jene anderen erscheint, zeigt sich das Urteil der
Allgemeinheit als sozusagen von allen Göttern verlassen, gerade im
Fundamentalen schlechthin unzulänglich: auf dem Gebiete der Kunst.
Hier trennt ein brückenloser
Abgrund die Meinung der Majorität von aller Einsicht in das Wesentliche,
und in ihm wohnt die tiefe soziale Tragik der Kunst.
Der Schauspielkunst gegenüber,
die mehr als jede andere an das unmittelbare Publikum appelliert, scheint
deshalb allenthalben in dem Masse von dessen massenmässiger
Demokratisierung der Wertmassstab sich von dem eigentlich Künstlerischen
weg zu der Unmittelbarkeit des Natureindrucks zu wenden.
Und, eigentümlich hiermit
zusammenhängend, scheint das Wesen dieser Kunst selbst ihren Naturalismus
tiefer als jede andere Kunst zu begründen.
Denn so ungefähr wird
dieses Wesen populär verstanden: durch den Schauspieler wurde das
Dichtwerk »real gemacht«.
Das Drama besteht als
abgeschlossenes Kunstwerk. Hebt der Schauspieler dies nun in eine Kunst
zweiter Potenz? Oder wenn dies sinnlos ist, führt er, als leibhaftig
lebende Erscheinung, es nicht doch in die überzeugende Wirklichkeit zurück?
Warum aber, wenn dies der
Fall ist, fordern wir von seiner Leistung den Eindruck von Kunst und nicht
den von blosser realer Natur? In diesen Fragen treffen sich alle
kunstphilosophischen Probleme der Schauspielkunst.
Die Bühnenfigur, wie sie
im Buche steht, ist sozusagen kein ganzer Mensch, sie ist nicht ein Mensch
im sinnlichen Sinne - sondern der Komplex des literarisch Erfassbaren an
einem Menschen.
Weder die Mienen noch den
Tonfall, weder das Ritardando noch das Accelerando des Sprechens, weder
die Gesten noch das Mass anschaulicher Lebendigkeit der Gestalt kann der
Dichter zeichnen oder auch wirklich unzweideutige Prämissen dafür geben.
Er hat vielmehr Schicksal,
Erscheinung, Seele dieser Gestalt in den nur eindimensionalen Verlauf des
bloss Geistigen projiziert.
Diesen nun überträgt der
Schauspieler gleichsam in die Dreidimensionalität der Vollsinnlichkeit.
Und hier liegt das erste Motiv jener naturalistischen Verbannung der
Schauspielkunst in die Wirklichkeit.
Es ist die Verwechslung der
Versinnlichung eines geistigen Gehaltes mit seiner Verwirklichung.
Wirklichkeit ist eine metaphysische Kategorie, in Sinnesimpressionen gar
nicht auflösbar: der Inhalt, den der Dichter zum dramatischen gestaltet
hat, zeigt ganz verschiedene Bedeutung, wenn er von da aus in die
Kategorie sinnlicher Gestaltung wie wenn er in die der Wirklichkeit überginge.
Der Schauspieler
versinnlicht das Drama, aber er verwirklicht es nicht, und deshalb kann
sein Tun Kunst sein, was Wirklichkeit ihrem Begriffe nach eben nicht sein
könnte.
So erscheint Schauspielerei
zunächst als die Kunst der Vollsinnlichkeit, wie Malerei die Kunst der
Augensinnlichkeit, Musik die der Gehörssinnlichkeit ist.
Innerhalb des realen
Daseins ist jedes einzelne Stück und Ereignis in endlos weiterwebende
Reihen räumlicher, begreiflicher, dynamischer Art eingestellt.
Darum ist jede einzelne
bezeichenbare Wirklichkeit ein Fragment, keine ist eine in sich
geschlossene Einheit. Zu einer solchen aber die Inhalte des Daseins zu
gestalten, ist das Wesen der Kunst.
Der Schauspieler hebt alle
Sichtbarkeiten und Hörbarkeiten der Wirklichkeitserscheinung in eine
gleichsam eingerahmte Einheit: durch die Gleichmässigkeit des Stiles,
durch die Logik in Rhythmus und Ablauf der Stimmungen, durch die fühlbar
gemachte Beziehung jeder Äusserung auf den beharrenden Charakter, durch
das Abzielen aller Einzelheiten auf die Pointe des Ganzen.
Er ist der Stilisierer
aller sinnlichen Beeindruckbarkeiten als einer Einheit. Von neuem aber
scheint an diesem Punkt die Realität in den Kunstbezirk einzubrechen, um
eine innere Lücke in ihm zufüllen.
Woher weiss der
Schauspieler sein durch die Rolle notwendig gemachtes Verhalten, da, wie
ich andeutete, es in der Rolle nicht steht und nicht stehen kann?
Mir scheint: wie sich
Hamlet zu benehmen hat, kann der Schauspieler unmöglich anderswoher
wissen, als aus der Erfahrung, der äusseren und vor allem der inneren,
wie ein Mensch, der wie Hamlet spricht und Hamlets Schicksal erlebt, sich
in Wirklichkeit zu verhalten pflegt.
Der Schauspieler taucht
also, von dem Dichtwerk nur geführt, in den Realitätsgrund hinab, aus
dem auch Shakespeare es erhoben hat, und erschafft von ihm aus das
schauspielerische Kunstwerk Hamlet.
Die Dichtung führt den
Schauspieler auf reale Koordinationen von Innerem und Äusserem hin, von
Schicksal und Reaktion, von Ereignissen und dem Luftton um sie herum -
Koordinationen, zu denen auch jene Führung ihn nie bringen könnte, wenn
er sie oder ihre schlusskräftigen Analogien nicht empirisch, in der
Kategorie der Realität, kennen gelernt hätte.
Und nun schliesst der
Naturalismus: da der Schauspieler ausser dem Hamlet Shakespeares nur die
empirische Wirklichkeit hat, an der er sich für alles von Shakespeare
nicht Gesagte orientieren kann, so muss er sich so benehmen wie ein realer
Hamlet, der auf die von Shakespeare vorgezeichneten Worte und Ereignisse
festgelegt ist, sich benehmen würde.
Dies ist dennoch ganz
irrig; über jene Wirklichkeit, zu der der Schauspieler gleichsam an der
Hand des Dramas hinabsteigt, über das sozusagen passiv gewonnene Wissen,
das den Stoff für die Gestalt Hamlets bietet, kommt nun die Aktivität
der künstlerischen Formung, der Aufbau des künstlerischen Eindrucks. Er
hält an der empirischen Wirklichkeit nicht still.
Jene realen Koordinationen
werden umgelagert, die Akzente abgetönt, die Zeitmasse rhythmisiert, aus
allen Möglichkeiten, die diese Wirklichkeit gibt, das einheitlich zu
Stilisierende ausgewählt.
Kurz, der Schauspieler
macht auch um dieser Unentbehrlichkeit der Realität willen nicht das
dramatische Kunstwerk zur Realität, sondern umgekehrt, die Wirklichkeit,
die jenes ihm zugewiesen hat, zum schauspielerischen Kunstwerk.
Wenn heute viele sensible
Menschen ihre Aversion gegen das Theater damit begründen, dass ihnen dort
zuviel vorgelogen wird, so liegt das Recht dazu nicht in seinem Zuwenig,
sondern in seinem Zuviel an Wirklichkeit.
Denn der Schauspieler überzeugt
uns nur, indem er innerhalb der künstlerischen Logik verbleibt, nicht
aber durch Hineinnehmen von Wirklichkeitsmomenten, die einer ganz anderen
Logik folgen.
Ganz fälschlich deutet man
es als die Verlogenheit des Schauspielers, dass er in seiner Realität
etwas anderes ist, als er auf der Bühne uns zu sein glauben macht.
Es ist doch keine
Verlogenheit des Lokomotivführers, dass er nicht auch an seinem
Familientisch Lokomotiven führt.
Nicht dass der Schauspieler
auf der Bühne ein König ist und im Privatleben ein armer Lump, macht
jenes zu einer Lüge; denn in seiner aktuellen Funktion als Künstler ist
er König, ein »wahrer« - aber vielleicht deshalb kein wirklicher - König.
Das Gefühl von Unwahrheit
entsteht nur bei dem schlechten Schauspieler, der entweder etwas von
seiner Wirklichkeit als armer Lump innerhalb seiner Königsrolle anklingen
lässt oder der so extrem realistisch spielt, dass er uns in die Sphäre
der Wirklichkeit trägt; da er aber in dieser allerdings ein armer Lump
ist, so entsteht jetzt die peinliche Konkurrenz zweier einander Lügen
strafender Vorstellungen des gleichen Niveaus, zu der es nicht kommen
kann, wenn das schauspielerische Bild uns in der wirklichkeitsfremden Sphäre
der Kunst festhält.
Indem wir die ganze
Irrigkeit der Idee einsehen, dass der Schauspieler die dichterische Schöpfung
»verwirkliche«, da er doch dieser Schöpfung gegenüber eine besondere
und einheitliche Kunst übt, die der Wirklichkeit genau so fern steht wie
das Dichtwerk selbst - begreifen wir sogleich, weshalb der gute Imitator
noch kein guter Schauspieler ist, dass das Talent, Menschen nachzuahmen,
nichts mit der künstlerisch-schöpferischen Begabung des Schauspielers zu
tun hat.
Denn der Gegenstand des
Nachahmers ist die Wirklichkeit, sein Ziel ist, als Wirklichkeit genommen
zu werden.
Der künstlerische
Schauspieler aber ist so wenig wie der Porträtmaler der Nachahmer der
wirklichen Welt, sondern der Schöpfer einer neuen, die freilich dem Phänomen
der Wirklichkeit verwandt ist, da beide aus dem Vorrat der Inhalte alles
Seins überhaupt gespeist werden; nur dass eben die Wirklichkeit die früheste
Form ist, in der jene Inhalte uns entgegen treten, ihre erste Erkenntnismöglichkeit
- das erregt die Illusion, als wäre die Wirklichkeit als solche der
Gegenstand der Kunst.
Die feinste Verführung
endlich, die Schauspielkunst in der Wirklichkeitssphäre festzuhalten,
liegt darin, dass die erfahrene Wirklichkeit, in die sie als in ihr
Material hinabsteigt, wesentlich eine innere ist.
Die Worte des Dichters
fordern eine Rekonstruktion aus der psychologischen Erfahrung heraus, als
die abschliessende Aufgabe des Schauspielers erscheint es, uns die
vorgeschriebenen Worte und Ereignisse als seelisch notwendige begreiflich
zu machen, seine Kunst als angewandte oder ausgeübte Psychologie.
Uns eine Menschenseele mit
ihrer inneren Bestimmtheit und ihrer Reaktion auf das Schicksal, ihren
Leidenschaften und ihren Erschütterungen überzeugend und nachfühlbar
vor Augen zu stellen - damit erschöpfe sich die Aufgabe des
Schauspielers.
Allein in der scheinbaren
Tiefe dieser Deutung ist dennoch die eigentliche Kunstleistung des
Schauspielers nicht zu finden.
Gewiss können nur
seelische Erlebnisse dem Schauspieler überhaupt die Gestalt Hamlet
interpretieren, und ohne dass er diese seelische Wirklichkeit dem
Zuschauer gleichsam zum Nacherleben hinstellte, wäre er eine Puppe oder
ein Phonograph.
Allein über diese erlebte
oder reproduzierte psychische Wirklichkeit kommt nun erst die Kunstform,
die aus einer ideellen Quelle fliesst und die von vornherein keine
Wirklichkeit, sondern eine Forderung ist.
Der alte Irrtum, den die
Philosophie glücklich abgetan hat: als sei die seelische Wirklichkeit
schon für sich etwas Überwirklicheres, Idealeres, mehr normativ
Geformtes als die körperliche - lebt hier der Kunst gegenüber wieder
auf.
Was diese aber fordert:
dass die blosse Kausalität der Tatsachen einen Sinn veranschauliche, dass
alle in die Unendlichkeit von Zeit und Raum verlaufenden Fäden nach innen
zu einer selbstgenugsamen Umgrenztheit zusammengeknüpft werden, dass das
Durcheinander der Wirklichkeit rhythmisch geordnet werde - alles dies hat
mit der Wirklichkeit, die aus dem dunkeln, unserem Bewusstsein entzogenen
Schoss des Seins fliesst, auch da nichts zu tun, wo diese Wirklichkeit
eine psychische ist.
Gewiss entstehen diese
fordernden Kunstgedanken ebenso wie die ihnen gemässe Gestaltung des
Wirklichkeitsstoffes in wirklichen menschlichen Seelen; allein der Sinn
und Inhalt davon ist etwas, was die Seele ihrer eigenen vorgefundenen
Wirklichkeit gegenüberstellt- gerade wie sie die Wahrheit ihres Denkens
der Wirklichkeit dieses Denkens gegenüberstellt.
Dass der Schauspieler uns
den Hamlet verständlich macht, dass er uns die Erschütterungen dieses
Schicksals selbst seelisch zu eigen gibt, dass er uns durch seine Gesten,
durch Ton und Tempo seiner Rede die psychologische Einsicht vermittelt:
ja, ein solcher Charakter, in solcher Lage muss gerade diese Worte
sprechen - das alles ist freilich unerlässlich; aber wenn das nun alles
geschehen ist, wenn die Rolle Hamlet nicht mehr klingende Worte und äussere
Ereignisse sind, wenn der Schauspieler sie nun in eine seelische
Wirklichkeit aufgelöst hat, deren Gegenbild er in mittelbarer Erregtheit
und Einfühlung erlebt - dann beginnt erst die schöpferische
Kunstleistung, dann wird, den angedeuteten Gesichtspunkten der Stilbildung
gehorsam, die seelisch erlebte Wirklichkeit zum Bilde, wie für den Maler
der sinnlich erlebte Eindruck der Körperwelt zum Bilde wird und wie eben
jene seelische Wirklichkeit schon für den Dramatiker zum Bilde geworden
ist.
So also kann das Axiom
ausgesprochen werden, ohne das die artistische Bedeutung des Schauspielers
überhaupt nicht zu ergreifen ist: die Schauspielkunst als solche steht
ebenso wohl jenseits der Dichtung wie jenseits der Realität.
So wenig der Schauspieler -
wie der populäre Naturalismus fordert - der Imitator des in seiner
Situation befindlichen Menschen ist, so wenig ist er - wie ein
literarischer Idealismus fordert - die Marionette seiner Rolle und als gäbe
es für ihn keine künstlerische Aufgabe, die nicht in den Zeilen der
Dichtung beschlossen sei.
Gerade diese literarische
Auffassung enthält eine geheime Verführung zu jenem Naturalismus.
Denn gesteht man dem
Schauspieler kein eigenes, nach autonomen Kunstprinzipien aus den letzten
gemeinsamen Fundamenten aller Kunst heraus schaffendes Werk zu - so ist er
eben nur der Verwirklicher seiner Rolle; denn das Kunstwerk kann nicht der
Stoff für ein anderes Kunstwerk sein; das Drama ist vielmehr der Kanal,
durch den ein aus dem Seinsgrunde gespeister Strom dem spezifischen
eigenen Kunstzwecke des Schauspielers zugeleitet wird.
Es gäbe dann keine letzten
Prinzipien als das Drama und die Wirklichkeit - und damit kann seine
Aufgabe nur die dem Naturalismus gefährlich benachbarte sein: dem Drama
den Schein der Wirklichkeit zu verschaffen.
So schön das klingen mag,
dass der Schauspieler nur dem Drama Leben einflössen, nur die
Lebendigkeitsform des Dichtwerkes dar stellen soll - sie lässt zwischen
Drama und Wirklichkeit die eigentliche und unvergleichliche
schauspielerische Kunst als solche verschwinden.
Nein, dass jemand die
Lebenselemente schauspielerisch gestalte, ist ebenso ein Urphänomen wie
dass er sie malerisch oder dichterisch, oder auch dass er sie erkenntnismässig
oder religiös neu schafft.
Und diese Kunstform des
Schauspielers ist, zu so mannigfaltigen Sinneseindrücken und Gefühlsreaktionen
sie sich entfalte, dennoch etwas wurzelhaft Einheitliches, nicht ein
Kompositum aus selbständigen optischen Reizen, akustischer
Rhythmisierung, Erschütterungen des Gemütes, Einfühlungen in das
Schicksal.
Sondern die
schauspielerische Kategorie ist eine innere Einheit, alle jene
Mannigfaltigkeiten, aus denen sich der schauspielerische Eindruck
zusammenzusetzen scheint, sind in Wirklichkeit nur die Entfaltungen jener
einen Wurzel, wie die verschieden klingenden und aussehenden Worte eines
Satzes die Darstellungen eines Sinngedankens sind.
Es gibt eben eine
schauspielerische Attitüde, die der Mensch als sein einheitliches Sosein
auf die Welt mitbringt und die ihn in einer ganz eindeutigen Weise schöpferisch
macht.
Das ist das Entscheidende:
dass der Schauspieler aus einer völlig eigengesetzlichen Einheit heraus
schafft, dass seine Kunst in denselben letzten Fundamenten aller Kunst überhaupt
ihre Wurzeln hat wie die des Dichters - obgleich ihre Betätigung
sozusagen technisch des Dichtwerkes als ihres Mediums bedarf.
Nur diese Selbständigkeit
der Schauspielkunst als Kunst legitimiert die wunderliche Erscheinung,
dass die dichterische Figur, als eine und eindeutige geschaffen, von
verschiedenen Schauspielern in völlig verschiedenen Gestaltungen geboten
wird, von denen eine jede völlig zulänglich sein kann, keine richtiger
und keine irriger als die andere.
Innerhalb des Dualismus von
Dichtwerk und Wirklichkeit, in dem man dem Schauspieler seine Stelle
anzuweisen pflegt, ist dies ganz unbegreiflich; denn sowohl als
dichterische Gestalt wie in der Realität, die man als deren Gegenbild
denken mag, gibt es eben nur einen Don Carlos oder einen Gregers Werle;
ohne also einen dritten, eigenen Wurzelboden der Schauspielkunst würde
dies Auseinanderwachsen ihrer Zweige die Einheit des Dichtwerkes wie die
der Realität zerstören müssen.
Sie ist nicht, wofür sie
gewöhnlich gilt, die Vermittlerin zwischen diesen beiden oder die
Dienerin der beiden Herren - was denn unvermeidlich zu dem Vexierproblem
ihres »Naturalismus« führen muss.
Alle Treue vielmehr, mit
der sie der Gestalt des Dichters einerseits, der Wahrheit der gegebenen
Welt anderseits folgt, ist nicht ein mechanischer Abklatsch des einen oder
des anderen, sondern bedeutet, dass die schauspielerische Persönlichkeit
- die als solche und nicht mit einer vorbestimmten Beziehung auf
geschriebene Dramen oder auf eine nachzuzeichnende Wirklichkeit geboren
wird - dieses beides als organische Elemente in die Äusserungen ihres
Lebens verwebt.
Hier wird das grosse Motiv
wirksam, mit dem die Gegenwart wieder an einer Weltanschauung baut: der
Ersatz des Mechanismus durch das Leben.
Denn ihm entspricht es,
dass jede einzelne Wirklichkeit in sich gleichsam einen Lebendigkeitspunkt
hat, der ihren Sinn ausmacht und in dessen Entfaltung sie die
Lebendigkeiten um sich herum, organisch wechselwirkend, tragend und
getragen, einbezieht - während das mechanistische Prinzip die
Erscheinungen gleichsam enteignete und sie, mehr oder weniger äusserlich,
nur aus anderen zusammensetzte.
Verstehen wir die
Schauspielkunst als eine völlig primäre künstlerische Energie der
Menschenseele, so dass sie die Dichtkunst und die Wirklichkeit ihrem
Lebensprozesse assimiliert, statt sich aus ihnen mechanisch
zusammenzusetzen, so mündet nun auch ihre Deutung in die grosse Strömung
des modernen Weltverständnisses. |