Georg Simmel: Zur Philosophie des Schauspielers
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Der Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, begründet und hrsg. von Werner
Sombart, zusammen mit Richard Strauss, Georg Brandes und Richard Muther unter Mitwirkung von Hugo von Hofmannsthal, 2. Jg., No. 51/52 vom 18. Dezember 1908, S.
1685-1689 (Berlin)
Die Leistung des
Schauspielers enthält einen inneren Gegensatz, der sie zu einem
kunstphilosophischen Rätsel macht.
Wie sie sich darbietet,
wirkt sie als spontane, aus dem Wesensgrunde und Temperament des
Leistenden hervorbrechende Aeußerung, als das Sich-Auswirken eines
unmittelbaren, durch sich selbst und die vorgeführten Schicksale
bestimmten Lebens.
Und nun ist das Wunder, daß
dieses an einem von anderswoher gegebenen und geformten Inhalt zum
Ausdruck gelangt, an Worten und Handlungen, deren Sinn und Zusammenhänge
als eine fremde, feste Notwendigkeit von jenem persönlichen,
eigengesetzlichen Gefühl und Verhalten vorgefunden werden.
Indem so der objektive
Inhalt der Leistung und die schöpferische Subjektivität des Künstlers
in einzigartiger Weise außereinander und ineinander sind, muß die ideale
Forderung an seine Leistung sich als ein besonderes und nicht ohne
weiteres durchsichtiges Gebilde aus diesen Elementen und doch jenseits
ihrer ergeben.
Die Rolle nämlich, wie sie
in dem Dichtwerk als solchem vorliegt, kann diese Forderung noch nicht
fixieren: denn es leuchtet wohl unmittelbar ein, daß eine Rolle, z. B.
die Kameliendame, die Sarah Bernhard in vollkommener Weise darstellt,
unbefriedigend und widerspruchsvoll wirken würde, wenn eine ganz andere Künstlerpersönlichkeit,
z. B. die Duse, sie in derselben Auffassung und Ausführung darböte, oder
wenn Kainz die Auffassung Hamlets von Salvini kopierte.
Wir würden empfinden: die
objektiv dichterischen Gebilde, Marguerite Gautier oder Hamlet, stellen
keine starren Forderungen, in die der Schauspieler sich einfach zu fügen
hat.
Vielmehr, so wunderlich es
klingen mag: wie ein Schauspieler eine Rolle aufzufassen hat, ergibt sich
nicht, auch nicht als ideale Forderung, aus der Rolle selbst, sondern aus
der Beziehung seines künstlerischen Naturells zu der Rolle.
Wenn man sagt, er habe eine
Rolle »falsch« aufgefaßt, so bedeutet das entweder, daß er das rechte
Verhältnis zwischen seiner, sich irgendwie offenbarenden künstlerischen
Subjektivität und dem objektiven Gebilde des Dichters nicht zu
realisieren wußte, oder daß jene überhaupt nicht imstande ist, von
ihrem Zentrum her und mit ihrer Ganzheit auf dies letztere zu reagieren.
Was anderes als eine solche
rechtmäßige, einem gültigen Ideal unterliegende Abhängigkeit der
Aufgabe von der besonderen Wesensart des einzelnen Schauspielers kann es
begreiflich machen, daß drei Schauspieler die gleiche Rolle auf drei ganz
verschiedene Weisen auffassen, alle drei gleichmäßig künstlerisch
befriedigend, alle drei gleichwertig als »Interpretation« des
Dichtwerkes, keine von ihnen also an einem Maßstab als falsch oder
richtig beurteilbar, der sich aus dem Dichtwerk für sich allein eindeutig
ergäbe?
Es steht nicht einfach auf
der einen Seite eine objektive, vom Dichter fixierte Aufgabe, und auf der
anderen eine reale, schauspielerische Subjektivität, so daß es sich nur
um die Hineinformung dieser in Jene handelte; sondern über diesen beiden
erhebt sich ein drittes: die Forderung, die diese Rolle an diesen
Schauspieler und vielleicht an keinen andern stellt, das besondere
Gesetz, das dieser schauspielerischen Persönlichkeit aus dieser Rolle
kommt.
Damit ist einerseits die
falsche Objektivität überwunden, die den Schauspieler zur Marionette
seiner Rolle macht, und die konsequent das Ideal ausbilden Müßte, daß
alle Schauspieler die gleiche Rolle auf die gleiche Weise spielen sollten:
ebenso aber auch die falsche Subjektivität, nach der der Schauspieler nur
sich selbst, sozusagen wie die Natur ihn geschaffen hat, zu spielen hätte,
und die Rolle nur das zufällige Gewand wäre, in dem seine Individualität
sich darbietet.
Vielmehr, es steht vor ihm
ein ideal, wie eben seine Individualität diese Rolle zu formen hat, damit
ein Höchstes an künstlerischem Gesamtwert resultiere.
Und dieses Ideal ist ein so
streng forderndes, so objektiv über jede Stimmung und Willkür, man könnte
sagen: über die bloße Realität des Schauspielers erhaben, wie eine
sittliche Norm es ist, die dem Menschen aus einer sachlichen Situation
kommt, aber von ihm nur fordern kann, was seine Persönlichkeit in
dieser an besonderer sittlicher Leistung hergeben kann und muß, und was für
eine andere Persönlichkeit unter den gleichen Umständen vielleicht etwas
ganz anderes wäre.
Daß eine Rolle einem
Schauspieler »liegt«, bedeutet nichts anderes, als daß diese, durch das
Verhältnis zwischen seiner Subjektivität und der Rolle präformierte
Auffassung ihm leicht auffindbar ist und daß der sozusagen natürliche
Verlauf seiner seelischen Realität wie von selbst die Bahn einhält, in
der die Struktur seines künstlerischen Naturells sich an der gegebenen
Aufgabe zu der künstlerisch wertvollsten Leistung gestaltet.
Zugleich tritt die
Bedeutung des besonderen Phänomens hervor, daß der Schauspieler, wie man
sagt, »sich selbst spielt«.
Die eigene bloße Natur,
das eigene Temperament, das dieser subjektive Realismus auszuleben strebt
und zu dessen Explosion ihm der Inhalt der Rolle sozusagen ein bloßer
Vorwand ist, ergibt freilich manchmal eine vollendete Kunstleistung.
Allein es ist ein nur
praktisch hinreichender, die Tiefe des Zusammenhanges aber nicht berührender
Ausdruck, daß dies aus dem zufälligen Zusammenfallen der Subjektivität
des Künstlers mit der Rolle, wie der Dichter sie gezeichnet hat,
hervorgehe.
Denn steckte in dieser
letzteren wirklich die für sich allein entscheidende Norm, so könnte
jenes glückliche Ereignis nur an einem einzigen Schauspieler, bzw. bei
den ihm ganz genau gleichenden Individualitäten stattfinden, während es
in Wirklichkeit nicht gar zu selten und an keineswegs identischen Persönlichkeiten
derselben Rolle gegenüber stattzufinden scheint.
Die künstlerische
Forderung bleibt vielmehr immer von der Frage bestimmt, wie die
Individualität des bestimmten Schauspielers sich angesichts der
bestimmten Rolle zu verhalten, zu stilisieren, darzubieten habe, um das schauspielerische
Bild so vollkommen wie möglich zu gestalten; denn nicht das
geschriebene Drama steht auf der Bühne und bildet das jetzt fragliche
Problem, sondern die von ganz neuen und eigenen Kunstgesichtspunkten aus
geformte schauspielerische Aktion.
Mit deren idealer
Vollendung also, wie sie sich als Entwickelungsmöglichkeit der einzelnen
schauspielerischen Persönlichkeit ergibt, fällt die aus dem temperamentmäßigen,
an sich noch nicht künstlerischen Impuls erfolgende Darbietung zusammen,
wenn diese - in der also der Schauspieler »sich selbst spielt« -
zugleich eine vollkommene Kunstleistung sein soll.
Es ist der Fall, dessen
Dauerform im Ethischen man die »schöne Seele« zu nennen pflegt: eine
Natur, die nur ihren ganz spontanen, keiner Umbildung bedürftigen Trieben
zu folgen braucht, um dem sittlichen Imperativ ganz und gar zu genügen.
Aber auch sie erfüllt
damit nicht ein äußeres Gebot, sondern die gerade ihrem Wesen
gelegentlich der gegebenen Situation entsprechende ideale Forderung.
Ihr rein instinktmäßiges
Handeln hat seine besondere ethische Bedeutung darin, daß anderen Naturen
das gleichwertige Verhalten nur unter Ueberwindung entgegenstehender
Instinkte gelingt: mit dem höheren, im Bewußtsein eines idealen Sollens
lebenden Menschen, wie er in einem jeden irgendwie existiert, fällt in
der »schönen Seele« der triebhafte, dem natürlichselbstischen Begehren
folgende, der ebenso in uns ist, von vornherein zusammen.
Die Harmonie entfaltet sich
nicht zwischen ihrem Sein und einem von außen an sie herantretenden
Imperativ, sondern, rein innerlich, zwischen dem sozusagen realen und dem
idealen Menschen, der wie mit unsichtbaren Linien in uns vorgezeichnet ist
und, wo jene glückliche Einheit nicht besteht, nur durch Ueber-windungen
und Umgestaltungen unserer Natur verwirklicht werden kann.
Dieses Verhältnis nun
wiederholt sich, wenngleich nicht ohne weiteres erkennbar, an unserem
Problem.
Wenn ein Schauspieler mit
dem Hamlet »sich selbst spielt«, so ist das besondere Cachet der
Leistung - immer ihre künstlerische Vollkommenheit vorausgesetzt - schief
und untief damit ausgedrückt, daß er selbst eine Hamletnatur ist.
Dies mag bis zu einem
gewissen Grade das Material des entscheidenden Verhältnisses sein, ist
aber dieses selbst so wenig, daß es ersichtlich viele reale Hamletnaturen
gibt, die durchaus nicht den Bühnenhamlet gut zu spielen oder überhaupt
zu spielen imstande sind.
Vielmehr, jenes dritte,
jenseits der wirklichen Natur des Schauspielers und des Hamlets als
dichterischen Produktes steht in Frage: die ideale Gestalt, zu der der
individuelle Schauspieler zu streben hat, um den ihm,seinem künstlerischen
Naturell möglichen Hamlet zu seiner höchsten Vollendung zu bringen. Wenn
nun seine Lebensimpulse, die Färbung seines spontan wirksamen
Temperamentes von selbst in die Richtung dieser Gestalt drängen,
wenn die ideale Figur, die im Bezirk seiner Persönlichkeit mit jenen »unsichtbaren
Linien« den Hamlet präformiert, von seiner von vornherein vorhandenen
Wirklichkeit gleichsam widerstandslos nachgezeichnet wird - dann »spielt
er sich selbst« in dem vollkommenen Hamlet.
Zwar nur für ihn ist
er vollkommen; aber nicht für seine selbstverständliche Wirklichkeit,
sondern für die ideal geforderte Gestalt, die aus dieser Wirklichkeit entwickelt
ist und erst durch ein Glück der Natur mit ihr eins ist.
Was für die gewöhnliche
Vorstellungsweise das Rätsel des Schauspielers ist: wie jemand, der eine
bestimmte, eigene Persönlichkeit Ist, auf einmal zu einer ganz anderen,
zu vielen anderen werden könnte - wird zu dem tieferen Problem: daß ein
Tun, getragen von einer körperlich-seelischen Individualität, aus deren
produktiver Genialität hervorbrechend und von ihr geformt, zugleich doch
Wort für Wort, im ganzen wie im einzelnen, gegeben ist! Wenn unter
den Betätigungsformen des Menschen die Kunst diejenige ist, in der aus
der souveränsten Freiheit des Subjekts heraus die objektive Notwendigkeit
und ideale Präformiertheit eines Inhalts verwirklicht wird, so ist dessen
die Schauspielkunst das radikalste Beispiel.
Der bildende Künstler
tritt nicht mit dem gleichen Umfang seiner aktuellen Subjektivität in das
Werk ein, es löst sich von ihm in dem Augenblick, in dem es geschaffen
wird, und die scheinbar nur äußerliche Tatsache, daß sein Werk eine körperliche
Existenz für sich hat, während das Werk des Schauspielers in den räumlich-zeitlichen
Grenzen seines Daseins beschlossen bleibt, markiert doch das Uebergewicht
der Personalität in der schauspielerischen gegenüber der malerischen
Leistung.
Aber wiederum ist diese
nicht in dem Maße objektiv gebunden wie jene.
Der realistische Maler ist
gegenüber seinem Modell, als dem Inhalt seiner Leistung, nicht so absolut
unfrei, wie der Schauspieler gegenüber dem Text seiner Rolle.
Rein auf die Betätigungsform
angesehen (jenseits aller sonstigen Vergleichung) hat auch der Porträtmaler
dem Inhalt seines Werkes gegenüber in diesem Werke weder das gleiche Maß
von Subjektivität noch von Objektivität investiert.
Damit gewinnt die
Schauspielkunst eine charakteristische Stufe innerhalb einer allgemeinsten
philosophischen Bedeutung der Kunst überhaupt.
Die Vielspältigkeit
unserer Seele läßt das Leben in eine Vielheit von Reihen
auseinandergehen, die in der praktischen wie in der theoretischen
Behandlung fremd und ohne Generalnenner nebeneinander liegen - sozusagen
in einer gegenseitigen Gleichgültigkeit, die noch etwas anderes ist und
dem Gewinn eines einheitlichen Lebenssinnes vielleicht tiefere
Schwierigkeiten entgegensetzt, als das Gegeneinander, die positiven
Feindseligkeiten, die zwischen jenen Reihen auftreten mögen.
Nun scheinen der Kunst
gewisse anschauliche Vereinheitlichungen dieser sonst für einander zufälligen
Schichten des Seins und der Werte zu gelingen: sie wirkt dann wie eine dem
Verstande schwer faßbare prästabllierte Harmonie, eine Gnade, die über
das Leben kommt, ohne aus den Kräften seiner einzelnen Elemente
entwickelbar zu sein.
Es handelt sich nicht
darum, daß die Kunst »die Dissonanzen des Lebens versöhnt« - was In
dieser Allgemeinheit nicht viel mehr als eine Phrase ist, sondern um das
Zusammentreffen einzelner, durchaus konkreter Reihen und Forderungen, das
sie in der Form der Kunst, aber in keiner andern gewinnen.
Ich erinnere hier an den
Doppelanspruch, dem das Porträt genügen muß: es soll die rein äußere
Erscheinung des Menschen zu dem höchsten Grade von Klarheit, Reiz,
optisch-artistischer Gliederung bringen und zugleich die innere Persönlichkeit,
das Unanschaulich-Seelenhafte unzweideutig nachfühlbar vortragen.
Die Formung, die den Ansprüchen
der reinen Anschaulichkeit genügt, gehorcht doch ganz anderen idealen,
liegt in einer völlig andern Wesensprovinz als diejenige, durch die uns
das psychische Wesen des Menschen symbolisiert und enthüllt wird.
Das vollkommene Kunstwerk
aber zeigt beide in einem Parallelismus und weist so, gleichsam mit
anschaulicher Ahnung, auf die unaussprechliche Wurzel hin, deren Einheit
das Zusammengehen beider Reihen im Reiche der Erscheinung ermöglicht.
Entsprechend formt die
Lyrik das Sprachmaterial zu einem Maximum seines Klangreizes, steigert die
rhythmischen und melodischen Elemente der Sprache, bis das akustische
Kunstwerk völlig in sich gegliedert und geschlossen ist.
Nun soll eben dies auch
einen Sinn, der zu dem Klang der Wortkomplexe ein rein zufälliges
Verhältnis zu haben
scheint, zum eindringlichsten Vortrag bringen; dieser Sinn soll durch
jenen Ausdruck, der einem ihm ganz heterogenen Ideal zu gebildet ist, eine
solche höchste Klarheit, Schönheit und Tiefe erreichen, als wenn dieser
Ausdruck nur um dieses Zweckes willen, nur um der inneren Bedürfnisse
des Sinnes und seiner Aeußerungen willen erwachsen wäre.
Das Wunderbare geschieht,
daß große Kunstwerke nur das eine von diesen Interessen zu seiner Höhe
gesteigert zu haben scheinen und an diesem Punkte ihnen die Höhe des
andern wie durch eine Gnade in den Schoß fällt.
Es ist leicht zu sehen, wie
ein analoger Parallelismus von Reihen, die an sich nach ganz verschiedenen
Richtungen orientiert sind, auch in der dramatischen Kunstform erreicht
wird: die Entwickelung eines Menschenschicksals in der ihm eigenen Logik,
in dem Zeitverhältnis seiner Elemente, in der Verwebung des
Seelisch-Subjektiven in die Formen und Notwendigkeiten der Außenwelt -
ist der dramatischen Form mit ihren symmetrischen Abteilungen, der
Ununterbrochenheit im Ablauf des Inhalts, den kunstmäßigen Hebungen und
Senkungen völlig fremd.
Dennoch gibt nun gerade
diese Form den Rahmen, in dem jenes Schicksal sich am vollsten auslebt, am
klarsten darstellt, oder richtiger, sie wirkt selbst als die
organisierende Kraft, die die mannigfaltigsten Schicksale zur vollsten
Ausprägung ihres Sinnes, gleichsam zum Gewinn ihres eigenen intensivsten
Seins veranlaßt.
So scheint es jeder Kunst
wesentlich zu sein, gewissen Erscheinungsreihen, die in den sonstigen
Schichten des Daseins unverbunden auftreten, zufällig konvergieren, zufällig
divergieren, eine Einheit zu gewähren, eine Harmonie, die man einmal als
ein Geschenk empfinden mag, ein beglückend Unverdientes in der Fremdheit
und dem Wirrsal der Weltelemente, ein andermal als die Ahnung eines
metaphysischen Zusammenhanges, der mitten in den Gespaltenheiten der
Erscheinungen die Kunst als sein Symbol auftauchen läßt.
In dieses Schema der
Kunstbedeutung überhaupt muß sich auch das Zentralproblem der
Schauspielkunst einfügen.
Die Worte und Taten des
Schauspielers auf der Bühne bieten sich, wie ich hervorhob, so dar, als
seien sie völlig spontan, aus seinen Impulsen und der Situation heraus
entsprungen.
Er liest nicht vor, er
deklamiert oder aglert nicht einen Inhalt so, daß dieser, als »objektiver
Geist« das eigentlich und allein vorliegende ist, und das Aufsagen seiner
nur eine Form wäre, die dem Schreiben, dem Druck oder dem Phonographen
koordiniert ist.
Dies vielmehr ist das »Spielen«
der Marionette, die nicht als etwas für sich, außer dem gegebenen
Inhalt, auftritt, sondern nur eine besondere Art von Buchstaben ist, mit
denen dieser Inhalt sich hinschreibt, um sich andern zu vermitteln.
Der Schauspieler aber
aglert für den Zuschauer rein aus sich heraus, der Inhalt, den er
darbletet, stammt für die Erscheinung nicht aus einem Buch oder aus dem
Bewußtsein und der Produktivität eines andern, sondern unmittelbar aus
seiner Seele, er bietet sich dar, das Tun und das Leiden, das man
an ihm sieht, ist das seiner Person, die sich, scheinbar wie in der Realität
des Lebens, damit entfaltet.
Indem also die Reihe des
Geschehens sich mit völlig zulänglicher Begreiflichkeit und Nachfühlbarkeit
aus dieser vor uns stehenden Persönlichkeit, aus den sichtbaren
Bedingungen ihres Schicksals und ihrem Charakter, von dem sie uns überzeugt,
ergibt, wissen oder fühlen wir dennoch zugleich, daß dies alles ein
objektiv, von anderswoher Vorgezeichnetes ist, daß es auch noch aus einer
andern Seele geflossen ist, als der, die es jetzt anschaulich aus ihren
eigenen Quellflüssen zu speisen scheint.
Das ideelle, zeitlose
Geschehen des Dramas mit seinen nur dichterisch fantasiemäßigen, von
keiner realen Person abhängigen Verknüpfungen ist eine ganz autonome
Reihe und Gestaltung, und daß es nun mit jener anderen schauspielerischen
Geschehensreihe, die ihrem scheinbaren Wesen und ihrer Anschaulichkeit
nach gleichfalls autonom und eine seelisch zulängliche Entwickelung ist,
im Inhalt übereinkommt - das ist die Harmonie zweier, ihrer
Wesenheit nach gegeneinander selbständiger Prinzipien, das läßt auch
hier das beglückte Gefühl eines nicht durch einen natürlichen Verlauf,
sondern nur durch Kunst möglichen Zusammenfallens heterogener Seinsund
Kraftreihen erwachsen.
Freilich erscheint dieser
Parallelismus ohne weiteres erklärbar: indem sein Inhalt von der einen
Seele geschaffen wird, und, in die andere übergehend, sie zur
Reproduktion anregt.
Allein so einfach liegt es
eben nicht: denn das Schauspiel ist nicht eine Reproduktion des Dramas,
wie ein Dreifarbendruck ein Gemälde reproduziert, sondern ist als
Kunstleistung eine ganz und gar selbständige Schöpfung.
Indem es das Drama als
Inhalt in die Formen dieser selbständigen Kunst aufnimmt, scheint die
Darbietung des Schauspielers gänzlich aus seiner Produktivität und
Individualität hervorzugehen.
Daß sie - um es noch
einmal zusammenzufassen - einerseits an einen gegebenen Inhalt und an die
Persönlichkeit des Dichters unbedingt fest gebunden ist: daß sie
andererseits durch ihre Form, d. h. durch das, was man hier mit Recht die
»Illusion« der Kunst nennen mag, als eine in gleichem Maße autonome,
aus der Subjektivität des Künstlers geschaffen erscheint - das ist jener
Prästabilismus der unabhängigen Reihen, dessen Wirkungen unser
begriffliches Denken als die Versöhnung und Harmonisierung der
Weltelemente in der Kunst zusammenfaßt. |