Georg Simmel: Sozialismus und Pessimismus
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Die Zeit. Wiener Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft, Wissenschaft und Kunst. 22. Bd. 1900, Nr. 279 vom 3. 2., S. 70-71.
Der Inhalt aller
pessimistischen Lehren ist die Unverhältnismässigkeit zwischen dem
Aufwande und dem Ertrage des Lebens, zwischen seinen Opfern an Schmerzen
und seinem Gewinn an Lust.
Zwar treffen wir auf die
tiefsinnige Vorstellung, dass die Tatsache des Schmerzes überhaupt,
gleichviel in welchem Quantum, schon ausreiche, um den Wert der Welt unter
Null zu senken, dass keine noch so gewaltige Freude ausreiche, den
geringsten Schmerz wirklich aufzuwiegen: ein Sein, in dem es überhaupt
Leiden gebe, gleichviel, was es ausserdem bieten möge, sei dadurch ein- für
allemal verurtelit, schlimmer zu sein als das Nichtsein.
Diese Idee, die übrigens
mit gleichem Rechte umgekehrt werden kann - da man die Welt um des Wunders
Willen, dass es überhaupt ein Glück gibt, mag es noch so flüchtig und
noch so teuer bezahlt sein, als unendlich wertvoll empfinden kann - ist
nicht häufig.
Im ganzen wird zugegeben,
dass das Leid des Lebens seine Unterwertigkeit noch nicht bewirken würde,
wenn es nur durch ein entsprechendes Lustquantum aufgewogen würde.
Die ganze Vorstellung, es könne
überhaupt eine gerechte Proportion zwischen Freuden und Schmerzen geben,
eine Bilanz, in der ihre Masse einander äquivalent sind, die aber eben
von dem Durchschnitt der empfindenden Wesen niemals erreicht wird, beruht
auf einem immer übersehenen Denkfehler.
Wenn ein bestimmtes
Lustquantum gegeben ist, so weiss niemand durch blosse Betrachtung
desselben zu sagen, welches Leidquantum ihm äquivalent wäre. Beides sind
positive Empfindungszustände, die sich nicht etwa wie gleichartige Grössen
mit positivem und negativem Vorzeichen verhalten; da sie qualitativ nicht
vergleichbar sind, so sind sie es auch nicht quantitativ, und die
Behauptung, die Gesamtheit oder der Durchschnitt der Freuden des Lebens
sei mit seinen Schmerzen zu teuer bezahlt, ist ebenso unmöglich, wie die,
dass alle Waren durchschnittlich mit dem dafür aufgewendeten Gelde zu
teuer bezahlt seien.
Kein Quantum auf der einen
Seite dieser Gleichungen gibt von sich aus irgend eine Anweisung auf ein
ihm äquivalentes Quantum auf der andern.
Vielmehr, das tatsächlich
vorgefundene durchschnittliche Verhältnis zwischen ihnen gibt erst den
Massstab an, nach dem nun im einzelnen Fall entschieden wird, ob eine
bestimmte Lust mit einem bestimmten Leide zu teuer oder zu billig, das
heisst: über oder unter dem empirischen Durchschnitt, bezahlt worden ist.
Alle Schmerzen überhaupt können
mit allen Freuden überhaupt nicht quantitativ verglichen werden, weil es
keinen gemeinsamen Massstab für beide gibt: sondern erst, wenn man
erfahren hat, mit wie viel von dem einen man durchschnittlich das andere
zu bezahlen hat, kann man, hieran gemessen, einzelne Quanten beider als
einander gleich oder ungleich bezeichnen.
Andere Durchschnitte sind
Sache der Glückssehnsucht, die überhaupt durch kein ausdenkbares Verhältnis
zwischen diesen Faktoren zu befriedigen wäre, aber nicht objektiver
Feststellbarkeit.
Es ist also die
pessimistische Behauptung, dass die Menschen Überhaupt, beziehungsweise
der Durchschnitt derselben, ein geringeres Quantum an Lust als an Leid
erlebten, logisch unhaltbar: denn dieser Durchschnitt ist nichts, was
gemessen werden könnte, sondern dasjenige, was seinerseits erst das eudämonistische
Zuviel oder Zuwenig eines einzelnen Menschenschicksals messen kann.
Nun hat die tatsächliche
geistige Entwickelung der Gegenwart eine Wendung genommen, die, wenngleich
aus ganz anderen als logischen Motiven, diesem Gedankengange entspricht.
Die Frage, wie viel Glück und Unglück überhaupt dem Typus Mensch
beschieden sei, hat offenbar ihr Interesse zum wesentlichen Teil verloren;
an ihre Stelle ist die viel dringlichere getreten, welches Verhältnis
beider dem einen Menschen im Unterschiede von dem anderen zuteil werde.
Wir erkennen es, wenn nicht
als unsinnig, so doch als unnütz, über die falsche Proportion zwischen
unseren Freuden und unseren Schmerzen zu klagen, wir fragen statt dessen
nach der Verteilung von beiden, gleichviel welches ihre absolute Summe
sei, und in jener finden wir viel mehr als in dieser den Grund zu
pessimistischen Klagen.
Es ist sehr merkwürdig zu
beobachten, wie die Verteilungsfrage der Glücksmomente über die Frage
nach ihrem Quantum Herr wird. Es gibt genug Anhänger des Sozialismus, die
überzeugt sind, dass er unsere Durchschnittsmasse von Lust und Leid nicht
ändern wird - so wenig wie die von Sittlichkeit und Unsittlichkeit, und
die seinen über das Glücksideal weit hinausgehenden Wert in der
Gleichheit oder Gerechtigkeit sehen, mit der er jene eudämonistischen
Gesamtmasse verteilen wird.
Ja, dies kann sich zu einem
wahren fiat justitia pereat mundus steigern, wenn diesem Ideal gegenüber
nicht nur die Güter der höheren Kultur, sondern die Quantität des Glückes
selbst so gleichgültig wird, dass man sogar ihre Herabsetzung als das
geringere Übel, als den gern bezahlten Preis für die Verwirklichung
jener Forderung empfindet.
Es scheint sogar, als ob
ein Gedankengang, der an seinem Beginn beide Ideale vereinigt, sie in
seinem Verlaufe umso gründlicher schiede.
In welcher Form nämlich
auch die einer Gesellschaftsverfassung erreichbare Annäherung an das
Gleichheitsideal geschehe - als Recht auf den vollen Arbeitsertrag oder in
mehr kommunistischer Gestalt - jedenfalls bedeutet sie dem gegenwärtigen
Zustand gegenüber einen vermehrten Besitz an Glücksgütern für die
bisher Bedürftigeren und Unglücklicheren.
Da diese nun aber die
weniger Verwöhnten sind, mit frischerer Empfänglichkeit als die bisher
Besitzenden die äusseren Güter entgegennehmen und mit lebhafterem
subjektivem Glücksgefühl auf sie antworten, so scheint die beginnende ökonomische
und kulturelle Egalisierung zugleich das vorhandene Gesamtquantum des Glücks
zu vermehren.
Die Tatsache, dass der
Mensch ein unterschiedsempfindliches Wesen ist, das heisst, nicht die
absolute Grösse der Lebensreize, sondern im wesentlichen den Unterschied
jedes einzelnen gegen den bestehenden Gefühlszustand empfindet, sichert
einem zur Verteilung kommenden Quantum von Glücksmitteln einen höheren
eudämonistischen Erfolg, wenn es den bis dahin weniger Besitzenden
zukommt.
Da dieser Prozess, immer
weiter fortgesetzt, schliesslich auf eine vollständige Ausgleichung führen
müsste, so scheint er die Brücke zu schlagen zwischen der Voraussetzung
des Pessimismus: dass der Wert des Lebens mit der Summe seines Glücks
stiege - und der des formalen Sozialismus: dass der Wert des
Menschheitslebens von der Verteilung seiner Güter abhinge. Durch die
Vermittelung der Unterschiedsempfindlichkeit würde der Gehorsam gegen den
sozialistischen Imperativ ganz von selbst zu einem Gehorsam gegen den eudämonistischen
werden.
Allein dieser Gedanke, der
von den Voraussetzungen des Pessimismus aus ihm auf dem Umwege über den
Sozialismus entgegenläuft, kehrt von einem bestimmten Punkte an wieder zu
ihm zurück.
Das Bestreben, die Glücksmittel
dadurch möglichst fruchtbar zu machen, dass man sie den bisher
Entbehrenden, also mit unabgestumpfter Empfindungsfähigkeit Reagierenden
zuteil werden lässt, führt, wie wir sahen, auf eine schliesslich
Egalisierung ihres Besitzes.
Allein wenn diese nun
erreicht ist, so muss die Unterschiedsempfindlichkeit das Gegenteil ihrer
bisherigen Wirkung entfalten.
Denn sie knüpft die
Bewusstheit des Glücksgefühles, das die ganze Lage des Menschen, und
nicht nur den sinnlichen Moment ergreifen soll, an das Bewusstsein eines
Unterschiedes gegen andere.
Ich habe dies anderwärts
so ausgedrückt, dass in unserer Seele eine wie immer dunkle Vorstellung
des durchschnittlichen Menschenloses ruht, zusammengewebt aus tausend
Erfahrungen und Überlieferungen, und dass jedes bewusste Glücksgefühl
in einer Erhebung über dieses Durchschnittsniveau besteht.
An das durchgängige Mass
der Befriedigung passt sich das menschliche Fühlen bald an und sucht von
ihm aus neues individuelles Begehren und Geniessen.
Die Gesamtfärbung unseres
Fühlens, Licht und Schatten des ganzen Lebensweges, der schliessliche
bewusste Glückswert unserer Existenz, ist durch ein Urteil über ihre
Gesamtheit bedingt, das sein Plus oder Minus an dem Durchschnitt der
Geschicke überhaupt gewinnt.
Der Weg der Kultur ist der
Weg steigender Bewusstheit.
Wir wollen sozusagen nicht
nur glücklich sein, sondern auch wissen, dass wir es sind.
Und dieses bewusste Gefühl
und Urteil vom Glückswerte des Lebens, das dann auch auf seine einzelnen
Inhalte zurückstrahlt, ruht auf Vergleichungen mit dem allgemeinen
Menschenschicksal, auf dem Gefühl von der Stelle, die wir auf der Skala
der Schicksale zwischen dem höchsten und dem tiefsten einnehmen, auf dem
Bewusstsein des Gewinnes, den uns das Leben zwischen der Niete und dem
grossen Lose zugeteilt hat.
Freilich ist es nicht der
Unterschied gegen die nächste Umgebung, den ich hiermit meine, da deren
Glück vielmehr das eigene oft steigert; auch glaube ich damit nicht in
die geistige Nähe Jenes frommen Kirchenlehrers zu geraten, der die
Hauptfreude des Paradieses darein setzte, dass die Seligen durch eine
wunderbare Vorrichtung immer die Qualen der Verdammten in der Hölle vor
Augen hätten. Aber ich meine allerdings, dass das Ideal des konsequenten
Sozialismus auf seinem Wege zum Glück aller an einen Punkt kommt, wo
dasjenige Sich-abheben des subjektiven Lebensgefühles von dem allgemeinen
Menschenlose, das uns Glücksbewusstsein bedeutet, wegen der durchgängigen
Ausgeglichenheit der Lagen nicht mehr stattfinden kann.
Nur eine einzige Bedingung
könnte verhindern, dass dies zu einem Selbstwiderspruche jenes Ideals würde;
diese Bedingung ist die Annahme der pessimistischen Lehre, nach der überhaupt
ein positiver Glückszustand von vornherein ausgeschlossen, sein Erstreben
etwas Sinnloses ist, und das Höchste, was der Mensch erreichen kann, ein
Freisein von Schmerzen ist.
In dem Falle, dass statt
des Höchstmasses von Freuden nur das Mindestmass von Leiden in Frage
kommt, scheint dies allerdings durch eine völlige Egalisierung der
Lebensbedingungen am ehesten erreichbar.
Denn wenn hierdurch, soweit
es überhaupt sozial möglich ist, die Bedingungen für die Zuspitzung der
Glücksgefühle beseitigt werden, so doch auch für die der Leidgefühle;
es ist die Annäherung an das indische Nirwana, dessen Seligkeit ja nicht
in positiven Lustempfindungen besteht, sondern in dem blossen Nichtsein,
das alle Leidgefühle entfernt und das also nur auf dem Boden eines
absoluten Pessimismus als Seligkeit gelten kann.
Das Ideal jedes
Pessimismus: das Zurückgeschlürftwerden des Individuums in die
Alleinheit, in den Schoss der Dinge, in dem alle Differenziertheit der
Erscheinungen verlöschen ist und also nichts mehr, was sich an ein Ich
anknüpfe, empfindbar ist findet sein soziologisches Mittel- oder
Gegenbild in der Verfassung einer Allgleichheit, die jedes Individuum in
ein Niveau mit allen anderen einstellt und dadurch jeden Unterschied und
Vergleich abschneidet, auf dem die sozial beeinflussbaren Betonungen des
Lebensgefühles, sowohl nach der Seite der Lust wie nach der des Leides,
beruhen.
Die tatsächliche Richtung,
in der diese Verbindung geistiger Elemente vor sich geht, ist viel mehr
ein Sozialistischwerden des Pessimismus als ein Pessimistischwerden des
Sozialismus.
Denn diesem liegt von sich
aus eine solche pessimistische Selbstausdeutung sehr fern. Er ist
vielmehr, seinem Ausgange wie seinem Zielpunkt nach, durchaus
optimistisch. jenes: weil er voraussetzen muss, dass die menschliche Natur
auf Glück und Sittlichkeit angelegt und nur durch die Komplikation und
den Widersinn historischer Verhältnisse von beiden abgebogen ist - in
beidem so recht die Verwandtschaft mit der Aufklärung des 18.
Jahrhunderts anzeigend.
Des ethischen Optimismus
bedarf er, weil einer Gesellschaftsverfassung, die die einzelnen nicht
mehr durch Not und Egoismus zu ihren Tributen an die sozialen Bedürfnisse
antreiben soll, nur noch ein einziges Motiv dazu, ausser dem unerträglichsten
Zwange, übrig bleibt: die Lust an der Arbeit, das freiwillige Dienen, das
Leisten und Sichanpassen rein um des sittlichen Gebotes und um der Liebe
zur Sache und zu den Mitmenschen willen.
In Hinsicht seines
Zielpunktes ist er optimistisch, wie jeder Revolutionismus und Chiliasmus
es ist; sein Gegenwartspessimismus ist nicht nur der direkte Hintergrund,
von dem sich seine Hoffnungen und Zusagen erst in ihrem ganzen Glanze
abheben sollen, sondern auch umgekehrt würde er die Gegenwart nicht als
so unerträglich malen können, wenn er sie nicht an so optimistischen
Zukunftsmöglichkeiten mässe.
Die tiefstgelegene
Verbindung aber, die dem Sozialismus einen so unverwüstlichen Optimismus
verleiht, ist vielleicht die folgende:
Gibt man dem Pessimismus
erst einmal seine Voraussetzungen zu: den ungeheuren Aufwand an Last und
Leid, den das Leben fordert, so scheint seine Folgerung: das unheilbare
Missverhältnis desselben zu dem Ertrage des Lebens, schwer vermeidlich.
Der Mangel eines definitiv
genugtuenden und sicher erreichbaren Endzwecks, die Geringfügigkeit der
Befriedigungen, das leere Umhergetriebenwerden in Illusionen - dies alles
lohnt nicht die Mühe des Lebens, das Ausgeben aller Kräfte, den ganzen
Einsatz des Ich.
Auch gibt es tatsächlich
keine Wertung und Hebung des Lebensinhaltes, die dies ins Gleiche setzen könnte.
Werden die Unkosten des
Lebens, der Einsatz an Schmerzen, Mühe und der der Persönlichkeit überhaupt
so hoch taxiert, wie es die Voraussetzung des Pessimismus bildet - dann
muss jeder optimistische Versuch scheitern, den Zweck und Gewinn des
Lebens auf die gleiche Höhe zu bringen.
Dass diese Voraussetzung
aber wirksam wird, hängt von jener Hypertrophie des Ich ab, die ich oben
als Korrelaterscheinung des Pessimismus dargelegt habe.
In dem Mass, in dem der
Mensch die Wichtigkeit seiner Begehrungen und Gefühle steigert, sinkt das
Vermögen der Welt, ihm zu genügen.
Das Missverhältnis
zwischen dem, was er von der Welt fordert, und dem, was sie ihm bietet,
erreicht die Stärke, in der es als Pessimismus bewusst wird, offenbar
nicht nur durch die Niedrigkeit des zweiten, sondern ebenso durch
Emporschrauben des ersten Faktors.
Deshalb wird entsprechend
die Genesung von ihm nicht ausschliesslich von einem erhöhten Geniessen,
einer umfänglicheren Befriedigung durch die Welt zu erwarten sein,
sondern ebenso von einer Herabsetzung unserer Ansprüche, von der
Selbstbescheidung des Ich.
Nun verspricht dieser dem
natürlichen Antriebe entgegengesetzte Weg nur dann mehr Erfolg als der
erste, wenn wir auf ihm eine gleichsam von aussen gebotene Stütze finden;
denn es ist nicht die Regel unseres Wesens, dass das Ich sich wie aus sich
heraus beschränke und in seinen Selbstgefühlen und Ansprüchen selber
deren Grenze entdecke.
Es bedarf vielmehr einer äusseren
Schranke, an der diese sich brechen, eines Massstabes, an dem ihr Recht
sich feststellt.
Eine solche Eindämmung
kann dem überflutenden Ich ersichtlich aus dem religiösen Ideenkreis
kommen; hier strahlt ihm ein absolutes objektives und subjektives Ideal
entgegen, das seinem ganzen Verhalten die Färbung der Demut erteilt, so
dass er nun auch die Güter der Welt dankbar und als über sein
Anspruchsrecht hinausgehend entgegennimmt.
Anderseits erreicht die
soziale Betrachtungs- und Empfindungsweise jene gegenseitige Annäherung
von Forderungen und Gewährungen, die sich nicht als Erhöhung des
Gewinnes, sondern als Verkleinerung des Einsatzes darstellt, als Überzeugung,
dass unser ganzer Aufwand an Schmerzen, Mühen und Opfern viel zu geringfügig
ist, dass die ganze Persönlichkeit mit ihrem Tun und Leiden viel zu wenig
Ansprüche machen darf, um auf das Ausbleiben höherer Entschädigungen,
beseligenderer Ziele, die pessimistische Klage zu gründen.
Denn von dem bloss sozialen
Standpunkte aus erscheint der Einzelne als ein blosses Gefäss
gesellschaftlich erarbeiteter Inhalte, eine blosse Kreuzung ausserhalb
seiner angesponnener Fäden des Gattungslebens, ein blosser
Durchgangspunkt in der historischen Entwickelung, der Zweck seines Daseins
in eben den gesellschaftlichen Zusammenhängen liegend, die seine Wurzeln
nähren.
Dadurch wird verständlich,
wieso die sozialistische Weltanschauung so sehr optimistisch ist, während
individualistische Zeiten nach einem kurzen optimistischen Aufschwung
leicht in Pessimismus verfallen: das gesteigerte Ich verlangt zuviel von
der Welt, wogegen die sozialistische Einengung seines Umkreises wieder
jene Balancierung seines Solls und seines Habens erreicht, die seinen
Bankrott verhindert.
Wobei es freilich eine
weitere und hier nicht zu entscheidende Frage ist, ob an einer Skala
gemessen, die ganz jenseits von Optimismus und Pessimismus steht, jenes
hypertrophische Ich, das von unserer sehr relativen Welt das Absolute
verlangt, neben all seinen Torheiten und Bedauerlichkeiten nicht
gelegentlich Werte erzeugt, die mit dem Sturz in den Pessimismus nicht zu
teuer bezahlt sind. |