Georg Simmel:
Psychologische
und ethnologische Studien über
Musik
ex: Zeitschrift
für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Hg. v. M.
Lazarus u. H. Steinthal. 13. Bd. 3. Heft. Berlin: Ferd.
Dümmler/Harrwitz & Gossmann 1882. S. 261-305.
Darwin über Sprache
Gesang
der Vögel
Ursprung des Gesanges
und der Sprache
Die Affekte
Musik, Takt und
Rhythmus
Instrumentalmusik
Naturvölker und
Blasinstrumente
Folgerungen
Gedanke und
Sprache - Musik und Stimmung
ntwicklung der Musik
Musik und die Frauen
Der Refrain
Volkslied
Erregung und Besänftigung durch Musik
Verschiedenheit des nationalen Geschmack
Technische
Entwicklung der Musik
Das Jodeln
Darwin schreibt in der »Abstammung des Menschen«
(1875, II, 317): »Wir müssen annehmen, dass die Rhythmen und Kadenzen
der oratorischen Sprache aus vorher entwickelten musikalischen Kräften
herzuleiten sind. Auf diese Weise können wir verstehen, woher es kommt,
dass Musik, Tanz, Gesang und Poesie so sehr alte Künste sind. Wir können
selbst noch weiter gehen und annehmen, dass musikalische Laute eine der
Grundlagen für die Entwicklung der Sprache abgeben.«
*
* Auf dieselbe Idee kam schon Leibnitz, bemerkt aber
(Nouveaux Essais sur l'ent. hum. III I.: Il faut considérer aussi qu'on
pourrait parler, c'est à dire, se faire entendre par les sons de la
bouche sans former des sons articulés, si on se servait des tons de
Musique pour cet effet; mais il faudrait plus d'art pour inventer un
langage des tons, au lieu que celui des mots a pu être forme et
perfectionné peu à peu par des personnes qui se trouvent dans la
simplicitè naturelle.
In demselben Sinne spricht er in dem Werke Ȇber den
Ausdruck der Gemütsbewegungen« (1872, 88).
Der Gesang der Vögel, führt er aus, dient vor allem
dem Zweck des Lockens, er drückt die geschlechtlichen Triebe aus und
bezaubert die Weibchen.
Zu demselben Zwecke nun soll der Mensch seine Stimme zuerst gebraucht
haben, und zwar darum nicht als Wortsprache, weil diese eines der
spätesten Produkte der menschlichen Entwicklung sei, musikalische Töne
jedoch zum Zwecke der Lockung des Weibchens, oder auch umgekehrt, des
Männchens, sich schon bei sehr niedrig stehenden Tieren finden.
Ebenso bemerkt Jäger (Ausland 1867 Nr. 42, zitiert
von Steinthal): dass der Gesang der Vögel keineswegs die nächste
Verwandtschaft mit der artikulierten Wortsprache besitze, sondern ganz
genau dem unartikulierten, wortlosen Jodeln des Menschen entspreche.
Es ist nämlich »der Empfindungslaut für
geschlechtliche Erregung, der Ton des Wollustgefühls.« Freilich gewinnt
er eine erweiterte Bedeutung, indem er auch für Lustgefühle andern
Ursprungs gebraucht werde, wie für Wohlbehagen über Sonnenschein oder
gefundenes Futter.
Doch sei zu bedenken, dass Wärme und gewisse
Nahrungsstoffe zugleich auch Stimulantia seien.
Das Jodeln des Menschen aber hänge ebenso mit der
Geschlechtssphäre zusammen; denn es sei das Verständigungszeichen
zwischen Bursch und Dirne.
Gegen diese Ansichten möchte ich erwidern: Jede
lautliche Äußerung der Vögel ist gesanglicher Natur; wie jeden Affekt
überhaupt, so müssen sie natürlich auch den geschlechtlichen im Gesang
äußern.
Selbst wenn dieser der heftigste ist, hätten doch auch
alle andern das Recht, zur gleichen Analogie zu dienen.
Wäre dies aber der Fall, so ist nicht abzusehen, warum
der Mensch je zur Wortsprache vorgeschritten sein sollte, da er doch alles
in Tönen ausdrücken konnte.
Würde ferner beim Menschen, wenn der wortlose Gesang
ihm so von seinen Vorfahren angeerbt (ich will mich hier sogar auf den
Darwin'schen Standpunkt stellen), also soviel natürlicher wäre, als die
Sprache, würde er sich dann nicht wenigstens auf der niedrigsten
Kulturstufe als Überbleibsel erhalten haben, so dass er irgendwie einmal
in jenes »wortlose Jodeln« ausbricht? Aber außer dem Jodeln unsrer
Gebirgsvölker, über das nachher zu sprechen ist und das mit der
Geschlechtssphäre in gar keinem strengen Zusammenhang steht, ist davon,
wie mir Herr Professor Bastian versicherte und wie ich mich selbst in
meinen Studien überzeugte, nirgends auf der Welt die Rede.
Dem Vogel ist allerdings der Gesang der natürliche
Ausgleich des Affekts, dem Menschen aber zunächst der Schrei; und da
sollte er für einen so natürlichen Affekt, wie der Geschlechtstrieb ist,
einen andern gesucht haben? So scheint mir auf diesem Wege die Priorität
des Gesanges vor der Sprache unbeweisbar, und ebensowenig durch das
gleichfalls geltend gemachte Argument, dass Kinder eher nachsingen als
nachsprechen. (Mir sagte dagegen eine Mutter von fünf Kindern, die sich
später als nicht unbegabt in musikalischer Beziehung herausstellten, dass
keines ihrer Kinder vor dem zweiten bis dritten Jahr irgend wie in Tönen
gesungen habe.)
Der Grund der Erscheinung, glaube ich, ist einfach der:
das Kind versteht den Sinn der vorgesprochenen Worte kaum, es handelt sich
bei seinem Nachsprechen um mechanische Wiederholung, das Kind muss die
Reihenfolge der Buchstaben behalten, um sie zu reproduzieren; natürlich
ist das schwer, viel leichter als die Buchstaben, ist es für dasselbe,
den Tonfall, mit dem sie gesprochen, der einen viel schärfern sinnlichen
Eindruck macht, zu behalten und zu reproduzieren; ist der Tonfall nun
gesanglich moduliert, so wird er naturgemäß einen noch schärfern
Eindruck machen und das Kind wird es deshalb leichter nachahmen können.
Nur also, weil sie sich mechanisch leichter behalten
lässt, wird die Melodie eher als das Wort vom Kinde wiederholt.
Was allein beweisend wäre, dass ein Kind wortlos zu
singen anfinge, ohne dass eine Nachahmung anzunehmen wäre, ist bis jetzt
noch nicht nachgewiesen.
Gerade das wortlose Vorsichhinsingen wird nur bei
Erwachsenen, nie bei kleinen Kindern beobachtet, die immer Worte singen.
Welche Rolle das Gedächtnis dabei spielt, sieht man
daraus: ein Kind könne eine einfache Volksmelodie nachsingen; nur singe
man ihm z. B. eine Chopin'sche Melodie, die aus denselben Tönen
besteht (nur in andrer Reihenfolge), vor, und es wird sie nicht
wiederholen können, offenbar doch nur aus dem Grunde, weil, wie auch bei
Erwachsenen, das Gedächtnis die weniger natürliche Tonreihe nicht so gut
aufzunehmen vermag; dass die Reproduktion technisch dem Kinde möglich
ist, zeigt jenes Nachsingen des Volksliedes.
Dem wenn auch noch dunklen Bewusstsein der größeren
Sicherheit der Reproduktion durch die Verbindung mit Tönen ist es wohl
zuzuschreiben, dass alte Völker vor Erfindung der Buchstabenschrift ihre
Gesetze sangen.
Es handelt sich hier keineswegs nur um eine
Erleichterung der Reihenreproduktion, die den temporal gleichen Ablauf
derselben zur Ursache hätte, sondern jedes einzelne Glied (oder
wenigstens Gruppe) der einen Reihe geht mit dem entsprechenden der andern
eine auch sachlich begründete Verschmelzung ein.
Die Blutsverwandtschaft der Poesie mit der Musik zeigt
sich auch von dieser Seite, da bekanntlich auch Rhythmisches und Gereimtes
weit eher und länger im Gedächtnis haftet, als Prosaisches.
II. Nichts kommt mir wahrscheinlicher vor, als dass der
Gesang an seiner Quelle die durch den Affekt nach der Seite des
Rhythmus und der Modulation hin gesteigerte Sprache gewesen sei. Und
zwar begründe ich dieselbe folgendermaßen.
Sprache und Geist entwickeln sich in gegenseitiger
Stützung und Kräftigung, jeder Fortschritt des einen baut sich auf einem
des andern auf. »Menschliches Sein ist Denken, sagt Steintal, und das
menschliche Denken ist ursprünglich Sprechen.«
Wo also beim Urmenschen psychischer Prozess ist, da ist
auch Sprache; das menschliche Streben nach Äußerung, nach Ausgleichung
des inneren Affekts durch äußere Motion, das bis dahin nur durch
Gebärden und Schreien sich befriedigen konnte, findet in der Sprache
reichere und angemessenere Formen.
Und diese Brücke der Sprache, die das Tier zum
Menschen führt, kann nicht wieder zurückgegangen werden; in immer
charakteristischerer Sprache sucht jeder Affekt seine Ausgleichung.
Ist also jedes Denken und Empfinden beim Urmenschen
Sprechen (»Kinder und Wilde sprechen fast immer«, Lazarus), so werden
gesteigerte psychische Vorgänge auch einen gesteigerten Ausdruck suchen.
Solche Vorgänge sehr akuter Art werden oft so stark
sein, dass das wie sehr auch angestrengte und nach der Seite des Ausdrucks
hin gesteigerte Sprachvermögen des Wilden keine äquivalente Ausgleichung
mehr dafür ist; so der Schreck,-* der nur einen Schrei hervorlocken wird,
so der Schmerz, der gleichfalls nur zum Schreien bringen wird.
* Je mehr das Sprachvermögen sich hebt, desto mehr
unwillkürliche Reflexe dieser Art werden in das Gebiet des Sprechens
hineingezogen. Das geht soweit, dass bei stärkster Gewöhnung an die
Sprache selbst bei den Affekten, die uns fast die Besinnung nehmen, die
naturgemäß nur einen unartikulierten Schrei hervorbringen, man doch in
Worte ausbricht; bei einem sehr heftigen Schreck rufen wir: Himmel! oder
Jesus! u. ähnl.
Nun wird es aber Affekte geben, die, nicht stark genug,
um den Trieb nach sprachlicher Äußerung gänzlich zu überwinden,
dennoch in dem gewöhnlichen Modus und Ausdruck der Sprache keine ganz
genügende Ausgleichung finden.
So der Zorn, der seinen Ausdruck noch in den Worten,
aber mit erhöhter Betonung und lauter als sonst gebrauchter Stimme,
findet, die Niedergeschlagenheit, die sich der Worte mit leiser und
eintöniger Aussprache bedient.
Es wird nun ferner auch Affekte geben, welche das
rhythmische wie das modulatorische Element, das in der Sprache liegt,
steigern.
Ein solcher muss z. B. bei den Kriegszügen eintreten.
Die Anspannung der Energie, die bei allen Völkern der
Erde den taktmäßigen Schritt und den Tanz bei dieser Gelegenheit
hervorbringt, verleiht aller Tätigkeit in diesen Augenblicken einen
rhythmischen Charakter.
Ist der Wilde soweit vorgeschritten (und wenn von
organisierten Kriegszügen die Rede ist, muss er es sein), dass er seine
Affekte schon mehr in der Form der Sprache äußert, dass sich im Stamm
für bestimmte Gelegenheiten bestimmte Ausdrücke gebildet haben (z. B.
bei Kriegszügen Aufforderungen und Rufe zum Mut, Schmähung der Feinde
etc.), so dass der Affekt immer in sie verlief - so wurden nun, der ganzen
Disposition und besonders dem Schritte folgend, diese Laute rhythmisch
hervorgebracht; die Ethnologie lehrt uns diese rhythmischen Laute beim
Anrücken gegen die Feinde auf der ganzen Erde kennen, und Rhythmus ist
der erste Anfang zur Musik.
Eine zweite Veranlassung zum Hervorbrechen des Gesanges
mag ein allgemeines Gefühl des Wohlbehagens und der Freude gewesen sein.
Man kann noch jetzt bemerken, dass Leute in freudiger
Stimmung viel mehr sprechen als in gewöhnlicher oder gar gedrückter,
namentlich Kinder (auch wenn sie ganz allein sind) sprechen in einem fort,
sowie sie freudig erregt sind.
Aber der Urmensch, dem das Sprechmaterial mit all
seinen Fähigkeiten der Modulation und Abstufung nach jeder Seite hin noch
ein flüssiges war, * sich noch nicht, wie bei uns, zu einem relativ
stabilen Tonfall verhärtet hatte, wird, wenn auch dieselben Worte, sie
doch bei freudigen Affekten in anderer Betonung als gewöhnlich gebraucht
haben.
* Vgl. die viel mehr als bei uns zur
Bedeutungsbezeichnung verwandte Tonmodulation in allen niedrigen Sprachen.
Und nun sehe man, wie noch jetzt der Modus des
Sprechens sich ändert, wenn wir in freudigem Affekt reden; wieviel mehr
wir darin nach der Höhe und nach der Tiefe abweichen; wie der Tonfall ein
viel melodischerer und harmonischerer ist, gleichsam als suchte die innere
Harmonie eine äußere Offenbarung.
Ferner beachte man, wie die freudige Stimmung zum
Rhythmus hindrängt, nicht nur weil Rhythmus und melodischer Tonfall in
engstem Zusammenhang stehen, sondern auch noch an und für sich - ist doch
die rhythmische Bewegung des Tanzes ein Reflex, wie verschiedener anderer,
so auch der frohen Stimmung (Lazarus, Leben der Seele, II 136).
In diese Kategorie von Affekten mag auch der
Geschlechtstrieb gerechnet werden.
Dass aus ihm die Entstehung der Musik als wortlose
nicht zu beweisen ist, glaube ich oben gezeigt zu haben.
Wenn man davon absieht, dass das primitivste Mittel zur
Befriedigung des Geschlechtstriebes, das wir auf der Erde finden, der Raub
ist, wo von einer Werbung nicht die Rede sein kann, so mag, wo eine solche
doch stattfindet, -jedenfalls doch in Worten - die geschlechtliche
Erregung zu einer Steigerung derselben, zum Gesange führen, wie Jäger es
annimmt.
Als rein tierischer Laut ist ein Singen beim
Menschen keinesfalls irgendwo nachzuweisen.
Auch in diesem Punkte, wie in so vielen andern, hat
Wilh. v. Humboldt ein Saatkorn der Erkenntnis ausgestreut: In der
Einleitung zur Kawisprache § 9 sagt er: »die Worte entquellen
freiwillig, ohne Not und Absicht der Brust, und es mag wohl in keiner
Einöde eine wandernde Horde gegeben haben, die nicht schon ihre Lieder
besessen hätte. Denn der Mensch als Tiergattung ist ein singendes
Geschöpf, aber Gedanken mit den Tönen verbindend.«
Noch ein vierter Affekt möge unter den Quellflüssen
des Gesangs genannt werden, der mystisch-religiöse.
Fast alle Beschwörungen, Zauberformeln, Gebete, soweit
wir sie in der Ethnographie verfolgen können, werden mit möglichstem
Pathos, d. h. demjenigen Tonfall, der dem Gesange am nächsten steht,
gesprochen.
Noch heute wird nirgends in so singendem Töne geredet,
als auf der Kanzel und bei Gebeten.
Nähert sich doch schon der gewöhnliche Ton der Bitte
auffallend dem Gesange. *
* Überhaupt: Accentus est etiam in dicendo cantus
obscurior. Cicero, de orat. Und im Mittelalter heißt es: Accentus mater
musices.
Auch das rhythmische Element muss durch das Feierliche,
Abgemessene, das im Mystizismus liegt, gesteigert werden, was sich auch
hier mit darin äußert, dass überall in den Naturreligionen der Tanz zu
den Äußerungen religiösen Affektes gehört.
Die Sprache der Negerstämme soll fast nur aus
fortlaufenden Rezitativen bestehen; gewiss ist der Grund davon kein
andrer, als die leichte Erregbarkeit dieser Völker, ihre affektvolle
Hingabe an alle augenblicklichen Ideen und Eindrücke, so dass die
Erregung fast in jedem Augenblick zu stark ist, um in einfachen Worten
sich auszudrücken und daher zur musikalischen Steigerung derselben sich
flüchtet.
Anm.
Wenn man unsern rauer klingenden Idiomen
gegenüber von der Sprache der Griechen und der Italiener gesagt hat, dass
sie »wie Musik« klängen, so ist diese Hinneigung zur Melodie im
Sprechen gewiss nicht ohne Zusammenhang mit der heitern und zugleich
leidenschaftlichen Art dieser Volkscharaktere.
So mag überhaupt, beiläufig bemerkt, was man
gewöhnlich bei Individuen wie bei Völkern musikalische Anlage nennt, auf
solche viel allgemeineren psychischen Qualitäten sich zurückführen
lassen.
Aus solchen Ursprüngen scheint mir der erste Gesang
geflossen zu sein, ein Gesang, der allerdings von dem, was wir heutzutage
unter Gesang verstehen, um eine Welt weit verschieden ist.
Aber man darf nicht vergessen, dass die Musik in diesem
Stadium auch noch keine Kunst war, ebenso wenig wie die Hütte des Wilden
ein Werk der Architektur als Kunst ist, und dass ein in jenen ersten
Ursprüngen keineswegs mitbedingter Anstoß dazu gehörte, sie zu einer
Kunst sich entfalten zu lassen.
Kein Reisender hat aber, trotz der unglaublichen
Monotonie oder Disharmonie der Gesänge der Wilden gezögert, sie doch als
Musik anzuerkennen.
Ammian hält doch die Kriegsgesänge der Barden eben
für Gesänge, wenn er sie auch nur mit dem Getöse des Meeres vergleicht,
das gegen die Felsen schlägt.
Für diese Differenzen in dem Urteil darüber, was
rechte und eigentliche Musik sei, ist die Tatsache charakteristisch, dass
die Chinesen beim Anhören europäischer Gesänge sagen: da heulen die
Hunde; während ihre eigne Musik für ein europäisches Ohr ebenso klingt.
Wenn also selbst in späterer Zeit, wo die Musik
keineswegs mehr reiner Naturlaut ist, solche Verschiedenheiten und
Schwankungen auftreten, dass man etwas bald für Gesang, bald kaum oder
gar nicht mehr für solchen hält, wie sehr müssen in der Urzeit, wo das
ganze Lautmaterial noch gleichsam in flüssigem Zustand war, die Grenzen
zwischen Schrei, Wort und Gesang geschwankt haben.
Wenn indes, besonders in dem erst erwähnten Fall, der
Gesang dem unartikulierten Schreien näher zu stehen scheint, als dem
gesprochenen Wort, so liegt der Grund davon erstens darin, dass wenn, auch
noch jetzt, eine große Anzahl von ungeschulten und musikalisch ganz
ungebildeten Leuten zusammen singen, mehr ein bloßes Geräusch als
musikalische Töne resultieren.
(Wie man überhaupt bloßes Geräusch aus an sich
musikalisch reinen Tönen herstellen kann, indem man z. B. die sämtlichen
Tasten eines Klaviers innerhalb mehrerer Oktaven zugleich niederdrückt,
vgl. Helmholtz, Tonempfindungen, 14.) Und ferner mag allerdings, wenn die
Aufregung auf den höchsten Grad gestiegen ist, auch der Gesang nicht mehr
eine genügende Ausgleichung des Affekts gewesen sein, sondern man wird
sie nur noch im Schreien gefunden haben.
Voluntary Interjections are only employed when the
suddenness or vehemence of some affection or passion returns men to their
natural state (John Horne Tooke ,
e p
e a p
t or e n t a,
n. e, I, 62).
Interessant für solchen Übergang vom Sprechen zum
Singen und von diesem zum Schreien ist, was Freycinet (Voyage autour du
monde, I, 153) von den peuples sauvages de Rio de Janeiro, à l'époque de
l'arrivée des Européens erzählt: Alle 3-4 Jahre feierten sie ein
religiöses Fest, wobei die Zauberer, nommés Caraïbes, das Volk in drei
Gebäuden unterbringen, Männer, Weiber und Kinder getrennt.
Les Carïbes entroient dans la maison des hommes, et
tous ensemble commençoient à parler fort bas; puis ils chantoient d'un
ton élevè -les femmes répondoient d'abord à ces chants d'une voix
tremblotante; mais criant bientôt de toutes leurs forces, elles sautoient
avec violence jusqu' à écumer etc.
Eine ähnliche Steigerung erwähnt Hochstetter
(Neu-Seeland, 509) bei den Liebesliedern der Maoris: »den Refrain jeder
Strophe bilden heftig hervorgestoßene unartikulierte Kehltöne; die
Absicht, die wilde, den ganzen Menschen erfassende Leidenschaft zu
zeichnen, wird in hohem Grade durch diese Art des Vortrags erreicht.«
Betreffs jenes Überganges der Sprache in den Gesang, bemerkt Martius
(Ethnographie Brasiliens, I, 330): »Wenn der Botocudo sehnlich etwas
wünscht und verlangt oder in Leidenschaft gerät, so erhebt er die
Sprache zu einem monotonen Gesang. Es ist, als wenn er die Armut seines
Ausdrucks durch die erhöhte Stärke des Lautes ersetzen wollte« etc.
Genau dasselbe bemerkt Grey (II, 301 ff.) von den Australiern.
Nur bei ihren Festen und in der Trunkenheit lassen die
Tehueltschen ihren Gesang hören, der ihrer Rede ziemlich ähnlich ist -
also offenbar ein durch die Erregung des Momentes hervorgebrachter
Übergang von dieser in jenen. (Vgl. Pöppig, Reise in Chile etc. I, 332.)
Festzuhalten scheint mir also, dass der Gesang aus der
Sprache sich entwickelt hat,* und zunächst nur eine durch den Affekt
gesteigerte Sprache gewesen sei.
* Die Brahmanen sagen,
wie schon oben zitiert, dass die Musik ihnen von Sarasvati, der Göttin
der Sprache mitgeteilt sei. Plato (n
o m
o i,II)
hält alle Musik ohne Text für unnütz, ebenso Augustin (Confessiones,
X, 50), ebenso Herder (Ideen zur Geschichte und Kritik der Poesie etc.
Nr. 33). Für Kant dagegen (Urteilskraft § 16) zählt nur die Musik ohne
Text zu den »freien Schönheiten«.
Unser Sprachgebrauch bewahrt ein Zeichen dieses
Verhältnisses, indem er die gesteigertste, gehobenste Form der Sprache,
die Poesie, als Gesang bezeichnet; und man achte darauf, wie sehr, wenn
ein Gedicht mit voller Hingabe an den Affekt, mit Pathos deklamiert wird,
die Stimme sich dem Gesange nähert, so dass man aus einiger Entfernung in
der Tat versucht sein kann, es für Gesang zu halten,* allerdings für
einen monotonen, aber genau ebenso monoton sind die Gesänge fast aller
Naturvölker, die wir kennen.
* Quand Lulli composait ses beaux Récitatifs, il
priait quelque-fois la Chammesse de lui en déclamer les paroles: il
prenoit rapidement ses tons et ensuite il les réduisoit aux régles de
l'Art. (Batteux, Les beaux arts, 258.)
Aus diesem Wesen des Gesanges resultiert es, dass er,
je näher seinem Ursprung, um so enger mit der Poesie verknüpft ist.
Bodenstedt (Ges. Schriften, III, 121) erzählt von den
gesangliebenden kaukasischen Soldaten: »Ich ließ ein paar Hauptsänger
zu mir kommen, um mir einige von den Liedern, welche mich am meisten
angesprochen hatten, diktieren zu lassen; es war jedoch unmöglich, die
Kerle dahin zu bringen, mir ein Lied Wort für Wort herzusagen. Sie
brummten und jodelten in einem fort, und hatten gewöhnlich schon das
ganze Lied zu Ende gesummt, ehe ich noch mit dem Niederschreiben der
ersten Strophe fertig war. Ich gab ihnen zu verstehen, dass mir für den
Augenblick am Gesange nichts gelegen sei, sie sollten die Lieder Wort für
Wort hersagen. Sie versuchten nach Kräften meinem Wunsche Folge zu
leisten, aber es war ihnen unmöglich, auf diese Weise einen Vers
herauszubringen. >Herr, hub endlich der Eine an, solche Sachen kann
man nicht hersagen, die müssen gesungen werden.<«
Ich brauche hier nicht erst an die innige Verschmelzung
beider im klassischen Altertum zu erinnern, ich will nur eine einzige
Stelle anführen, die mir besonders charakteristisch scheint (Cicero, pro
Archia, 19): Saxa et solitudines voci respondent, bestiae saepe immanes
cantu flectuntur atque consistunt: nos instituti rebus optimis non
poëtarum voce moveamur?
Von Orpheus, auf den Cicero hier anspielt, wird uns
berichtet, dass er die wilden Tiere durch den Ton der reinen Musik
bezähmt habe; dass sie die Worte, die Gedichte, die er sang, dem Inhalt
nach verstanden hätten, wird nirgends gesagt; und damit nun will Cicero
den Archias verteidigen, der doch nur Dichter war, nie in seinem Leben
einen Ton brauchte gesungen zu haben - aber die Vorstellungen Poesie und
Gesang sind so eng verbunden, eins apperzipiert so unfehlbar das andre,
dass auch da, wo an ihnen augenscheinlich gar keine Beziehungen auf
einander vorhanden sind, doch unbedenklich Wesen und Wirken Beider
identifiziert wird.-
III. Wie sehr charakteristisch für die Musik vor allen
Dingen der Rhythmus, d. h. also die Wiederholung gleichmäßiger Teile,
ist, zeigen die vielen Redensarten, die ein gleichförmiges Wiederholen
durch Vergleich mit der Musik bezeichnen: Entbehren sollst du, sollst
entbehren, das ist der ewige Gesang; die alte Leier; in demselben
Sinne: the old song; c'est toujours la même chanson; è sempre la stessa
canzone; volver à la misma cancion.
Bei den Tehueltschen beschränken sich die Gesänge auf
bloße Wiederholungen ganz sinn- und bedeutungsloser Worte (Musters, Unter
den Patagoniern, 185).
Der Text zu den Tanzliedern der Arekunas besteht aus
dem ewig wiederholten Wort Heia, heia (Appun, Tropen, 11, 298).
Selbst wo die Melodien überhaupt fehlen, bleibt noch
ein lebhaftes Gefühl für Takt und Rhythmus; so bei den Negern, deren
melodische Beanlagung dagegen von manchen Seiten niedrig gestellt wird
(Hamilton Smith, Nat. hist. of human species, I, 156; Schweinfurth, Quer
durch Afrika, II, 450; vgl. dagegen Soyaux, Aus West-Afrika, II, 176-79).
Bowdich (Mission nach Ashanti, 465) ist bei der
vielfachen Kompliziertheit und Disharmonie der dortigen Musik von dem
wunderbaren Takthalten der Musiker überrascht.
Schlagintweit (Kalifornien, 338) erzählt von der
ohrenzerreißenden Musik eines chinesischen Theaters: »Eine Melodie habe
ich niemals herausfinden können, aber der Takt, den der Kapellmeister
durch heftiges Aufschlagen von zwei Holzstäbchen auf ein Brett angibt,
wurde sehr genau innegehalten.« Dieselbe Taktmäßigkeit wird von den
Melanesiern erwähnt.
Über den Grund, weshalb eigentlich der Affekt zum
Rhythmus hindrängt, sei als reine Hypothese gewagt: dass wir in der
Aufregung durch die schnellere Blutzirkulation die Schläge des Herzens
und Pulses deutlicher empfinden und diese, da sie scharf rhythmisch sind,
auch im übrigen zu rhythmischer Bewegung hindrängen.
Anm. Der Trieb nach rhythmischer Bewegung äußert sich manchmal in
sonderbaren Formen; gewisse australische Stämme folgen ihm bei Gesängen,
indem sie in deren Zeitmaß die langen Enden ihrer Bärte mit den Händen
raufen. (So wenigstens scheint mir die Stelle in Browne, die eingeborenen
Australier, in Petermanns Mitteilungen, 1856, zu verstehen.) Die
arabischen Matrosen Grauls (Reise nach Ostindien etc. II, 72) fahren
sogar bei ihren Gesängen, offenbar in rhythmischen bestimmten
Zwischenräumen, mit den Köpfen zusammen.
Damit stimmt es auch, dass wir in den Stimmungen der
Niedergeschlagenheit und der Spannung, wo der Herzschlag am leisesten,
resp. am unregelmäßigsten ist, am wenigsten im Stande sind, zu singen,
dass es uns dann fast unmöglich ist, in einem Rhythmus zu bleiben, der
gegen unser inneres oszillierendes Gefühl so kontrastiert, und dass ein
Klavierspieler, der sich ängstigt, am ehesten aus dem Takt kommt.
Es findet auch eine reziproke Wirkung statt: wenn man
in der Angst durch eine große Willensanstrengung sich zu singen zwingt,
so lindert das die Angst; Kinder singen in der Dunkelheit, um sich von der
Furcht zu befreien.
Man hat beobachtet, dass der Takt der Musik selbst auf
den Pulsschlag wirkt (Krieger (?) zitiert bei Bastian, Mensch in der
Gesch., II).
Quetelet fand, dass sein Pulsschlag sich einer
rhythmischen Bewegung, die er hörte oder ausführte, akkommodiert.
Da ist es doch sehr wahrscheinlich, dass auch umgekehrt
der lebhaft als rhythmisch empfundene Puls und Herzschlag eine lautliche
Äußerung rhythmisch gestaltet.
Anm.
Aristides (de Mus. I. p. 31 Meibom)
erwähnt, dass der Rhythmus drei Sinnen bemerkbar wäre: dem Gesichtssinn
durch den Tanz, dem Gehör durch die Musik, dem Gefühl durch den
Pulsschlag. Aristoxenus vergleicht die verschiedenen rhythmischen Musiken
den entsprechenden Arten des Pulsschlages.
Wir sind in der Erregung nicht im Stande, in
gewöhnlicher Weise fortzusprechen: die durch die Aufregung heftiger
arbeitende Lunge bringt die Luft stoßweise, intermittirend heraus, so
entsteht das keuchende Sprechen bei manchen Erregungen, das zweifellos ein
Element des Rhythmus enthält.*
* Ich kannte einen alten Herrn, der immer Liedchen vor
sich hinbrummelte, nie aber deutlicher und taktmäßiger, als wenn er in
Erregung, selbst in zorniger, war.- Die Erregung bringt nur eine
Steigerung der rhythmischen Anlage zu Wege, die in Inspiration und
Exspiration immer liegt.
- Ist aber beim Menschen erst einmal ein
rhythmisierter, dann auch ein melodieartig gestalteter Sprachlaut in
unwillkürlicher Weise entstanden, so mag ein Analogon des Vorgangs
eingetreten sein, der in der Sprachschöpfung so wichtig war: dass die
Erinnerung an ein Gefühl sich eng verbindet mit der Erinnerung an den
durch dasselbe und mit ihm zugleich hervorgebrachten Laut, und dass darum,
bei dem Wiedereintreten des Affekts die Wiederholung auch der rhythmischen
resp. melodischen Laute eine um so wahrscheinlichere, leichtere und
näherliegende sein wird.
IV. Gehen wir nun zu der Frage nach der Entstehung der
Instrumentalmusik über.
Wenigstens ähnlich wie der Gesang aus dem bloßen
Sprechen, ist diese aus dem bloßen Geräusch hervorgegangen; in viel
geringerem Maße aber als jener ist sie Naturprodukt, tritt sie als
unwillkürliche Ausgleichung des Affekts ein.
Über den Unterschied zwischen Vokal- und
Instrumentalmusik, wie er eintritt, wenn die Musik schon Kunst ist, hat
Vischer (4. Heft der »Ästhetik« 980 ff.) hinreichend gesprochen,
wo er hervorhebt, dass das Instrument »schon als materielle Masse
Widerstand entgegen setzt«; es kann nur ein Abbild, nicht aber (so wie
Gesang) den direkten Ausdruck der den Menschen bewegenden Stimmung geben.
Indes, mindestens für die Zeit des Ursprungs der Musik
kann diese Entgegenstellung nicht gelten.*
* Sie ist überhaupt an sich nicht prägnant; was subjektiv Ausdruck
der Stimmung ist, ist für objektive Betrachtung ihr Abbild; denn von
Abbild im strengen Sinn kann doch hier nicht die Rede sein.
Wenn der Wilde auf dem Kriegspfade, der inneren
Erregung, die ihn auch zum Singen bei dieser Gelegenheit treibt, folgend,
seine Waffen tönend und rhythmisch zusammenschlägt, ist das nicht in
demselben Grade wie der Gesang der direkte Ausdruck seiner Stimmung? Auch
andere Affekte treiben zu einem ähnlichen unwillkürlich zu nennenden
rhythmischen Geräusche.
Der englische Arzt Dr. Chrichton Browne erzählt von
einer Melancholikerin, zu deren Leidesäußerungen es gehörte,
stundenlang die halbgeschlossenen Hände rhythmisch zusammenzuschlagen.
Wenn es überhaupt ein Gefühl gibt, welches die
Stimmbänder zu derjenigen besonderen, speziell rhythmischen Bewegung
treibt, die wir Gesang nennen, wenn dasselbe Gefühl, wie nicht
bestritten, die Beine in die rhythmische Bewegung des Tanzes bringt, warum
soll sie nicht auch die Hände zu rhythmischem Zusammenschlagen, denn dies
ist der erste, natürlichste Anfang instrumentaler Musik, dann auch zum
Zusammenschlagen mit den Instrumenten, die gerade in ihnen sind, treiben?
Ganz dasselbe gilt für das taktmäßige Auftreten der Füße auf den
Boden und das dadurch hervorgerufene Geräusch, das in demselben Maße wie
das Zusammenschlagen der Hände eine natürliche Äußerung des Gefühls
und Anfang der Instrumentalmusik ist und auch ein Grund der innigsten,
hier bis zur Identität des Akts gehenden Verknüpfung von Musik und Tanz;
bei manchen uralten Nationaltänzen spielt dieses Auftrapsen auf den Boden
noch eine notwendige Rolle.
Bei den Pehuenchen fand Pöppig (a.a.O.) keinerlei
Instrument, sondern nur beim Singen und Tanzen eine »stampfende
Bezeichnung des Taktes mit den Füßen. «*
* Unmöglich wäre es nicht, dass dieses Auftreten zum
Takte des Gesanges der Ursprung des Tanzes wäre; doch verhält sich
wahrscheinlicher der Tanz zum gewöhnlichen Gange, wie der Gesang zur
Sprache; dieselben Momente, die hier zur Rhythmisierung führten, werden
es auch dort getan haben.
Dadurch, dass so instrumentale und vokale Musik aus
derselben Quelle entspringen, erklärt sich am leichtesten die sonst gar
nicht so selbstverständliche Erscheinung, dass auf der ganzen Erde und
selbst auf den niedrigsten Stufen der Musikübung beide Musiken vereint
werden.
Auch mag zu ihrer Vereinigung beigetragen haben, dass
eine Erregung, durch Gesang gesteigert, oft zu solcher rhythmischen
Geräuscherzeugung wird geführt haben, die primitivste Form der
Begleitung.
Man nimmt im Allgemeinen an, dass der Gesang die
Grundlage der Instrumentalmusik sei; ich kann den Grund davon nicht
einsehen, wenn man es nicht in diesem Sinne versteht.
Bei manchen Polynesiern dient Händeklatschen anstatt
eines Instrumentes zur rhythmischen Begleitung des Gesangs (Gerland-Waitz
VI, 78).
Dasselbe erzählt Brugsch (Reiseberichte aus Ägypten, 254)
von den Nublern.
Von den nordwestlichen Karolinen wird berichtet, dass
man dort den Gesang begleitete, indem man den Takt auf die Hüften schlug.
(Clain bei le Gobien, Histoire des Isles Marianes, 406;
Chamisso, der über hundert Jahre später reiste, vermisst dort noch
jegliches Instrument, s. seine »Entdeckungsreise«, I, 133.) Das
Zusammenschlagen der Waffen beim Gesange erwähnt Salvado (Memorie
storiche dell' Australia, 306): Gl' instrumenti a fiato ed a corda
sono perfettamente sconosciuti agli indigem di Nuova Norcia, come altresì
è ad essi ignota qualsivoglia sorta di tamburo.
Usano però accompagnare i loro canti giulivi con due
delle stesse loro armi percuotendole l'una contra l'altra.
Bei weitem weniger als Blasinstrumente finden wir
Saiteninstrumente verbreitet, ihr Prinzip und ihre Konstruktion weisen sie
völlig aus dieser Periode hinaus, wo die Musik in höherem Maße ein
Produkt einfacher psycho-physischer Ursachen, als künstlerischer
Absichten war.
Ihrem Ursprunge und darum auch ihren Wirkungen nach
gehören die Flöten - und schon ihrer technischen Bedingungen halber -
mehr der Natur-, die Saiteninstrumente mehr der Kunstperiode an.
Ist doch das ganze hochgebildete Altertum im Gebiet der
Saiteninstrumente nicht über eine sehr unvollkommene Harfe hinausgekommen
(Westphal, Gesch. d. alten Musik, I, 95).
Mit dieser unmittelbaren Wirkung der Blasinstrumente
hängt es zusammen, dass zu mystischen und erregenden Zwecken außer den
Lärminstrumenten fast nur sie verwendet werden.
Der südafrikanische Zauberer (Mganga) führt
ein Zauberhorn, die orgiastischen Culte der Cybele und des Dionysos
umtönten Hörner und Pfeifen.
Anm. Die Musik bei den buddhistischen Gottesdiensten in Tibet wird mit Blasinstrumenten und Trommeln ausgeführt
(Schlagintweit, Reisen in Indien, II, 92).
Aus demselben Grunde haben überhaupt Naturvölker für
Blasinstrumente ein lebhaftes Gefühl; der Rhythmus charakterisiert sich
schärfer auf ihnen und sie stehen dem Gesange, der doch wohl ersten
Musikform, näher als die Saiteninstrumente.
Lartet beschreibt zwei aus Renntierknochen gefertigte
Flöten, welche in Höhlen zusammen mit Feuersteinwerkzeugen und den
Resten ausgestorbener Tiere aufgefunden worden sind (zitiert in der
»Abstammung des Menschen«, II, 314).
Anm. Solche der frühesten Kulturzeit angehörige
Flöten aus Knochen finden sich auch in Südamerika (Exemplare im
Kopenhagener ethnogr. Mus. Südamerika, 119 h u. sonst).
Im Italienischen wird ossa für Pfeife gebraucht
(Boccaccio Decam. III, 10). In Tibet wird »die menschliche Beinröhre«
als Musikinstrument benutzt (Turner, Gesandtschaftsreise nach Tibet, 349).
Hamilton (Wanderung in Nord-Afrika, 213) hörte in Angila a curious double
clarionet, formed of the leg bones of the eagle or vulture.
Martius (a.a.O.) erwähnt, dass sein Violinspiel auf
die Indianer gar keinen Eindruck machte; ja auch sehr sanfte Flöten
stehen im Eindruck auf manche Naturvölker noch zurück, wie Seemann (II,
67) von den Eskimos am stillen Meer erzählt.
Bei andern sind diese, besonders aber die lauten
Instrumente, beliebter; die Magyaren, als sie in das westliche Europa
kamen, kannten nur Blasinstrumente, denn die Worte nur für diese sind
nationalen Ursprungs, für alle andern waren sie aus europäischen
Sprachen übernommen.
Diese Neigung erhielt sich noch zu den Zeiten Ladislaus
VI. und Ludwigs II.; aus den Rangordnungen, die noch von ihren Zeiten
existieren, sieht man, dass in der königlichen Kapelle die Blasemusiker
den Vorrang vor den andern gehabt haben (Delaborde, I, 157); jedenfalls
hängt dies mit dem leidenschaftlichen und kriegerischen Charakter dieser
Nation zusammen; ist doch noch heute unsre Kriegsmusik nur Lärm- und
Blasemusik, und sicherlich nicht nur aus technischen Gründen.-
Auch die Kamtschadalen haben es nur bis zu
schalmeiartigen Pfeifen gebracht (Andree, 197).
In Liefland und Estland ist die Sackpfeife das älteste
und verbreitetste Instrument (Hupel, Topographische Nachrichten, II, 133).
Die Polynesier kannten nur Trommel, Flöte und
Muscheltrompete (Gerland-Waitz, VI, 77), ebenso die Melanesier (ebenda
604), und die alten Mexikaner (Sartorius, Zustand der Musik in Mexiko,
Cäcila, 7. Bd.).
Es besteht eine ungefähre Analogie zwischen der
Entwicklung der vokalen und der instrumentalen Musik.
Der bloße Lärm, der Anfang der letzteren, entspricht
dem Wortlaut, der der Anfang der ersteren ist.
Rhythmische Sprache, der entscheidende Schritt zum
Gesange, entspricht dem rhythmischen Geräusch und denjenigen
Blasinstrumenten, die nur einen oder wenige, monoton alternierende, Töne
angeben, endlich die Modulation, der eigentliche Gesang, der, wie unsre
ganze Entwicklung gezeigt hat, nach der Rhythmisierung eintritt und nicht
in demselben deutlichen Maße Naturprodukt ist, entspricht den mit
mehreren Tönen melodisch abwechselnden Instrumenten.
Die Lärminstrumente also sind die frühesten, die wir
finden.
Bossmann (Reise nach Guinea, 170) erzählt, dass die
Mohren daselbst, deren Musik er im übrigen für höchst barbarisch hält,
doch mindestens 10 verschiedene Trommeln hätten.
Unter den ältesten griechischen Instrumenten finden
wir die Lärmwerkzeuge in vielfacher Gestalt:
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Bei den Indianern sieht Waitz nur Lärminstrumente,
selten eine Flöte mit höchstens 6 Löchern.
Freycinet (I, 663 ff.) rühmt an der Musik auf Timor
des airs fort mélodieux; aber von Instrumenten kannten sie nur Trommel,
Tamtam und andere Lärminstrumente.
Auf der ganzen Erde findet sich das Lärminstrument
verbreitet, das z. B. Wilkes (Exploring exped.) bei den Sklaven in Rio
Janeiro beschreibt: a rattle made of tin, similar to a child's rattle;
jedes ethnologische Museum zeigt die ungeheure Ausbreitung dieses
Instrumentes, das in höchst zahlreichen Varianten auftritt, besonders
häufig aus ausgehöhlten und getrockneten Früchten gefertigt wird, die
mit Körnern oder Steinchen gefüllt werden. *
* In Neu-Guinea werden sogar erbeutete Menschenschädel, mit Steinen,
harten Fruchtkernen und Bimsstein gefüllt, als Klapper benutzt.
(Exemplare im Museum Godeffroy, wie Andree, Ethnographische Parallelen,
40, mitteilt.) Klappern wurden auch in den uralten deutschen
Heidengräbern gefunden. (Ein Exemplar in der Sammlung der deutschen
Gesellschaft in Leipzig, über andere und die betreffende Literatur s.
Ploss, das Kind, 11, 219.)
V. Von diesem Ursprung der Musik aus dem unmelodischen Lärm her bleibt
bei den Naturvölkern wie in der vokalen, so in der instrumentalen Musik
der Charakter der Monotonie vorherrschend, selbst wo schon die technischen
Mittel zu melodiöserer Gestaltung vorhanden sind* und bei Gelegenheiten,
wo man gerade eine uns sinnlicher erscheinende Musik erwarten sollte.
* Bei den Niamniamiern fand Schweinfurth (a.a.0. II,
34) die allermonotonste Musik, trotz der bedeutendsten musikalischen
Beanlagung, die sie Instrumente mit regelrecht gebauten Resonanzböden
erfinden ließ.
Bei den verführerischen Bajaderentänzen schildert
Quaas (Beschreibung von Sansibar) die Musik als eine höchst einförmige,
mit Laute und Trommel erzeugt.
»Will der chinesische Ständchensänger sich Erfolg
von seiner Gunstbezeugung versprechen, so muss er mehrere Stunden lang
sein Lied wiederholen. Da die chinesischen Liebeslieder selten mehr als
vier Strophen haben, so ist eine drei- bis vierhundertmalige Wiederholung
nichts Seltenes« (Bibliothek der Unt. u. des Wissens, 1877, 10. Bd.).
Tylor (Anahuac or Mexico etc., 207) erzählt von den
mexikanischen Tänzen, die er in Coroyotta sah: A man and a woman stood
facing each other, an old man tinkled the guitar, producing a strange, endless,
monotonous tune, and the two dancers stamped with their feet and moved
their arms and bodies about in time to the music, throwing themselves into
affected and voluptous attitudes etc.
Wer übrigens jemals einer
Tarantelle am Golf von Neapel beigewohnt hat, hat erfahren, in wie
fieberhafte Aufregung gerade eine einförmige Musik das Blut bringt und
wie sehr sie sich leidenschaftlichen und üppigen Tänzen
anpasst.*
* Ebenso befördert sie auch die mystische Erregung,
aus welcher Beobachtung wohl die Eintönigkeit so vieler mit der
Religionsübung verbundenen Gesänge hervorgeht, nicht minder bei den
Litaneien christlicher und jüdischer Kirchen, als bei den
gottesdienstlichen Zeremonien afrikanischer und asiatischer Völker (vgl.
j. L. Krapf, Reisen in Ostafrika II, 116).
VI. Wie die Sprache zum konkreten Gedanken, verhält
sich die Musik zu der mehr verschwimmenden Stimmung: das erste ruft das
zweite hervor, weil das zweite das erste hervorrief.
Auch in der Poesie erweckt in ähnlicher Weise die
Vorstellung des Dichters die analoge beim Hörer; nur dass in der Musik an
die Stelle der Vorstellungen die bei weitem weniger klaren Gefühle
treten, die bei der Poesie erst mittelbar eintreten; beim Dichter gehen
sie den Vorstellungen vorher, beim Hörer folgen sie ihnen.-
Regt also die Musik die Gefühle an, die beim Dichter
seinem Schaffen vorhergehen, so sind Erscheinungen, wie die folgenden
leicht zu verstehen.
Alfieri pflegte oft, ehe er dichtete, seinen Geist
durch Anhören von Musik vorzubereiten.
»Fast alle meine Tragödien, sagte er einst,
skizzierte ich in Gedanken beim Anhören von Musik oder wenige Stunden
später.«
Milton wurde beim Anhören der Orgel von seinen
solennen Inspirationen erfüllt.
Musik war auch eine Notwendigkeit für Warburton, den
empfindsamen Dichter.
Ein berühmter französischer Prediger, Massillon,
entwarf seine Predigten, die er vor dem Hofe zu halten hatte, während er
seine Geige spielte.
Die Anregung, die Schiller aus der Musik erhielt,
erwähnt Palleske, nach Streichers Berichten.
Damit steht jedenfalls in Zusammenhang die alte Sitte
des musikalischen Vorspiels bei den Rhapsodien, die sich in dem fast
ausnahmslosen Brauch der Komponisten erhalten hat, ein Lied nicht sogleich
mit dem Gesange, sondern mit einem Vorspiel auf dem begleitenden
Instrumente beginnen zu lassen.
Anm.
Gerade dieser direkte, weniger als bei allen
andern Künsten verstandesmäßig vermittelte Übergang: Gefühle des
Musizierenden - Musik - Gefühle des Hörers, kann nicht scharf genug
hervorgehoben werden, wenn man den psychologischen spezifischen Charakter
der Musik erkennen will. Es ist für das flach rationalistische Wesen der
psychologischen Untersuchungen des vorigen Jahrhunderts recht
charakteristisch, dass Euler (Briefe üb. Physik etc. deutsche Ausgabe,
No. 8) schreibt: »Das Vergnügen an Musik kommt also daher, weil man so
zu sagen die Absichten und Empfindungen des Komponisten errät, deren
Ausführung, wenn man sie für glücklich erkennt, die Seele mit einer
angenehmen Befriedigung erfüllt.«
Der Genuss der Musik als Kunst steht gegen jenes
relativ sinnliche Element in keinem qualitativen, sondern nur
quantitativen Gegensatz; die jetzige Musik erregt, verglichen mit jener
einfachsten, eine solche Fülle von Gefühlen verschiedenster Art, dass
eine gewisse Ausgleichung unter ihnen durch Hemmungsverhältnisse und
damit Objektivität resultiert. -
Helmholtz (die Tatsachen in der Wahrnehmung, Beilage I)
schreibt: »Ob der sehr deutliche und mannigfaltige Ausdruck von Bewegung,
den die Musik hervorbringt, nicht vielleicht darauf zurückzuführen ist,
dass die Änderung der Tonhöhe im Gesang durch Muskelinnervation
hervorgebracht wird, also durch dieselbe Art der inneren Tätigkeit, wie
die Bewegung der Glieder, wäre noch zu fragen«; die hierin und am Anfang
dieser Anmerkung ausgesprochene objektive Rekurrenz der
physisch-psychischen Phänomenenreihe erklärt viele Wirkungen der Musik.
Wenn wirklich, wie ich vermutete, der Rhythmus des
gesteigerten Herzschlags den der musikalischen Äußerung beeinflusst, so
ist es natürlich, dass durch Physiologischen Zusammenhang wie durch
psychische Assoziation und Reproduktion diese auch jenen beim Hörer
hervorruft.
VII. Immer mehr im Laufe ihrer Entwicklung wirft die
Musik ihren natürlichen Charakter* ab; je mehr sie dies tut, desto mehr
nähert sie sich ihrem Ideal als Kunst; so erreicht sie das, was dem
(ausübenden) Künstler der höchste Ruhm ist, Objektivität.
*Wie früh sich überhaupt das Bewusstsein desselben
verdunkelt, zeigt ein Fragment des Demokrit (Philodemus de Mus. IV in Vol.
Hercul. I, pag. 135 col. 36): m
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i. Diese Ansicht
erhielt sich bis zu dem so ganz falschen Standpunkt Burneys hin, der im
Jahre 1789 schrieb (History of Music, Preface): Music is an innocent
luxury, unnecessary indeed, to our existence, but a great improvement and
gratification of the sense of hearing.
Nicht als ob die Gefühle, oder auch nur die heißen
und leidenschaftlichen aus der Musik verschwinden, sie nicht mehr anregen
und nicht mehr von ihr angeregt werden sollten.
Nur soll die Musik und die Art wie sie vorgetragen
wird, nicht mehr direkt aus ihnen resultieren, wie sie es ursprünglich
getan, sondern soll nur ein Bild von ihnen sein, zurückgeworfen von dem
Spiegel der Schönheit.
In diesem Sinne hat die alte Erklärung, dass die Musik
nachahmen sollte, wie jede andere Kunst, ihre Begründung.
Sie ahmt die Töne nach, die auf Grund eines Affekts
sich der Brust entringen.
Dies vor allem scheint mir der springende Punkt in der
Erklärung der Musik als Kunst zu sein.
Es bezieht sich das ebenso natürlich auch auf die
Instrumentalmusik, die als rohste, erste Kunst die in reflektorischer
Weise hervorgebrachten rhythmischen Geräusche (s. o.) nachahmt. -
Obgleich das erste Losringen der Töne, wie gezeigt,
ursprünglich nicht ohne Worte geschieht, so können diese doch
fortgelassen werden, da die starke Leidenschaft eben den Ton hervorbringt
und dieser also das charakteristische ist.
Ich habe die Beobachtung gemacht, dass Sänger, die auf
den Text ihres Liedes nicht ordentlich achten konnten und daher allen
möglichen Widersinn zusammensangen, nichtsdestoweniger die Melodie mit
der wahrsten und tiefsten Empfindung und Verständnis sangen.
Es ist dies recht ein Beweis für den Charakter der
Musik als Kunst, sie erregt typische Empfindungen, die die mehr
individuelle Empfindung, die das Wort erregt, ganz in sich einschließen
und sie decken.
Tiefsinnig bezeichnet die Sprache das Musizieren als
»Spielen«; in der Tat ist sie jetzt ein Spiel, und muss es sein, will
sie anders Kunst sein; in ihrem Anfang aber war sie Ernst, in demselben
Maße Ernst, wie Sprache und Schrei und jeder andre natürliche Laut.
VIII. Der französische Ingenieur Victor Renauld
erzählt, es sei merkwürdig, dass bei den Botocuden fast immer die Weiber
sich die Erfindung neuer Worte angelegen sein ließen, wie auch die ihrer Lieder
und Klagegesänge.
In Siam ist die Musik fast die einzige Beschäftigung
der Frauen: the highest ambition of the fair sex in Siam is to possess the
faculty of performing the graceful evolutions and charming tunes of the
Lakhon-puying.-
Their (der Mädchen) perception of concord in the notes
is as acute as that of an European musician, and they are equally as long
in tuning their instruments (Bowring, Siam, 150).
Bei den Kamtschadalen sind nach Andree (das Amurgebiet,
197) die Frauen die Dichterinnen und Komponistinnen.
In Estland gehört der Gesang den Weibern zu (vgl.
Herder, Zu den estnischen Liedern).
Im alten Testament findet sich von Moses bis David
keine lyrische, also gesungene, Poesie erwähnt, außer im Munde zweier
Frauen: Deborahs, die ihr Siegeslied (wenn auch mit Barak zusammen) singt
(Richter, 5) und der Lobgesang Hannas für die Geburt Samuels (Sam.
I, 2).
Delaborde (Essai I, 158) erzählt von den
(Magyaren) Ungarn: On voit encore chez les paysans, qui gardent plus
longtemps les moeurs primitives, les jeunes filles s'assembler aux jours
de fête et chanter en choeur des odes et des poësies anciennes, ce qui
n'arrive jamais aux jeunes garçons.
Bei den Fidschi-Insulanern singen Männer aus den
höhern Ständen nie, sondern nur Frauen und Kinder* (d'Urville, IV,
707).
* Es ist merkwürdig, wie bei manchen Völkern die sonst so enge
Verbindung von Musik und Tanz, wo die Würde ins Spiel kommt, in einen
Gegensatz umschlägt.
Chamisso (Entdeckungsreise, III, 67) teilt mit,
dass auf Radak die Gesänge, durchaus auf Krieg und Seefahrt bezüglich,
von Weibern gesungen würden; bei den Medern blieb, wie Brisson (de regno
Persarum) erforscht hat, die Musik hauptsächlich in den Händen der
Frauen.
Bei den Römern ist der Gesang zwar auch in den
früheren Zeiten verworfen, nostris moribus abesse a principis persona,
der Tanz dagegen gilt sogar als Laster (Nepos).
Aber schon zur Gracchenzeit lernten vornehme Knaben
singen (Scipio ap. Macrobium, II, 10), während der Tanz noch lange Zeit
ein Zeichen verwerflichster Schamlosigkeit war.
Bei den Özbegen ist es nach Vambéry (Skizzen aus
Mittelasien, 73 ff.) nur eines Weibes würdig zu tanzen, in der Musik aber
werden sogar die Prinzen des Herrscherhauses unterrichtet. -
Wenigstens die Fixierung eines Unterschiedes der
Geschlechter in dieser Beziehung zeigt auch die entgegengesetzte Tatsache:
Bei den Tehueltschen tanzen nur die Männer (Musters, a.a.O., 67).
Ebenso in der Türkei, wo freilich äußere Gründe die
Veranlassung geben mögen.
In Hisinene fand Cameron (Quer durch Afrika, I, 163)
bei den sehr obszönen Tänzen doch eine strenge Scheidung von Männern
und Frauen.
Bei den Persern ist es trotz der leidenschaftlichen
Liebe zu Musik und Tanz doch einem freien Manne nicht schicklich, zu
singen und zu tanzen (Polak, Persien, 292).
Bei den Persern wurde die nicht gottesdienstliche Musik
nur von Niedriggeborenen geübt (Buch des Kawus, 732; Brugsch, Reise nach
Persien, 389).
Nach Busch (Wanderungen zwischen Hudson und Mississippi, I, 260) scheint
ein gewisses Horn bei den Negern des Mississippi nur von Frauen geblasen
zu werden.
Die Australier lassen sich durch die Gesänge ihrer
Weiber zu den höchst leidenschaftlichen Handlungen anstacheln (Grey, II,
313 ff.; Gerland-Waitz, VI, 747 und 775).
Die Weiber von Madagaskar glaubten sogar, dass, wenn
sie während der Abwesenheit ihrer Männer im Kriege zu Hause sängen und
tanzten, dies den Mut und die Energie der Männer belebe (Rochon, Reise
nach Madagaskar, übers. von Forster, 1792, 24) Auch hier ist ein
Argument aus dem Gegenteil zu entnehmen.
Prschewalski (Reisen in die Mongolei, 58) bemerkt,
dass bei den Mongolen die Frauen weniger musikalisch zu sein scheinen als
die Männer, zugleich aber auch, dass ihre Stellung diesen gegenüber eine
absolut nichtige ist.
Vielleicht entspricht die Wirkung auch dem S. 50 genannten
Affekt.
(Tiere wenigstens werden durch die Musik zur Begattung
geneigt, wozu Beispiel s. in Schneiders medizinischer Musik, I, 74 ff.)
Bei den musikalischen Insekten musizieren nur die Weibchen.
Wenn die Kimbundaweiber bei ihren lasziven Festen erst
nach dem bloßen Gesang den anstößigen Kanyetanz getanzt haben, lassen
sie, wenn dann die Männer hinzukommen dürfen, die sie zu allen Exzessen
anreizen wollen, noch Trommler und Flötisten aufspielen (Magyar, Reisen
in Südafrika, I, 314).
Sirenen verführten die Vorbeifahrenden durch Gesang.
»Gewöhne dich nicht zur Sängerin, dass sie dich
nicht fange durch ihre Reize« (Sirach 9, 3).
»Die Lippen der Hure sind süßer wie Honigseim und
ihre Kehle ist glätter denn Öl.« (Sprüche Salom, 5, 3)
Die Zusammenhänge der Musik mit geschlechtlichen
Vorgängen erhellen auch aus der Erscheinung, dass bei allen
Naturvölkern, bei denen Pubertät und Beschneidung (der Jünglinge wie
der Mädchen) zu Feierlichkeiten Veranlassung geben, die Musik bei diesen
eine Hauptrolle spielt (s. Beisp. bei Ploss a.a.0. u. sonst).
Beschäftigen sich die Frauen nun aktiv mehr mit der Musik, so wird
umgekehrt auch ihre Empfänglichkeit für dieselbe eine stärkere gewesen
sein.
Dobrizhoffer (Gesch. d. Abiponen, II, 70) erzählt,
dass sein Geigenspiel zuerst eine Menge Weibspersonen, und darauf erst die
Jünglinge scharenweise herbeigelockt habe.
Salvado (306) erzählt von den Gesängen der
Australier: I lamentevoli canti li commovono in guisa da attegiare
le fisionomie, e quelle delle donne specialmente, in modo veramente
lagrimevole.
Dass ein Unterschied von Männern und Frauen früh
bemerkt, und wahrscheinlich, wie alle Phänomene im Leben der
Naturvölker, zu mystischen Meinungen und Geboten geführt hat, zeigen
Tatsachen wie folgende: Bei den Aschanti darf keine Frau eines der
zahlreichen Instrumente berühren; der Gesang ist die einzige Form der
Musik, an der sie teilnehmen (Bowdich, 468).
Eine Gattung indischer Lieder darf nur von Männern
gesungen werden Jones, XII).
Auf Lukanor gab es Lieder, die nur von Frauen, und
andere, die nur von Männern gesungen werden durften (Mertens, Recueil des
actes etc.,146).
»Es wird auch (in Loango in den von den Mädchen zur
Zeit der ersten Menstruation bewohnten Hütten) musiziert und zwar mit den
beiden, nur vom weiblichen Geschlecht benutzten primitiven Instrumenten,
der ntubu und kuimbi, welche in keiner Jungfrauenhütte fehlen«
(Pechuel-Lösche, in der Zeitschr. für Ethnologie, 10. Jahrgang, Heft I).
IX. Noch zweifelloser als in dieser Erscheinung tritt
in einer andern das Naturelement der Musik hervor, in dem Refrain-Singen,
das man doch auf den ersten Blick für einen rein künstlerischen Modus
halten möchte.
Nur das kann der Anfang desselben gewesen sein, dass
vom Gesange eines einzelnen die Zuhörer so angeregt wurden, dass sie
unwillkürlich selbst zu singen anfingen - gewiss ursprünglich nicht in
derselben Melodie, sondern in einem wilden Tohuwabohu.
Das ist noch reine Subjektivität, der Gesang des
Ersten als solcher ist ganz gleichgültig, wirkend ist hier nur der
dadurch hervorgebrachte Affekt, der ebenso gut von irgend einer andern
Ursache könnte hervorgebracht sein.
Erst allmählich, wenn die Objektivität ein wenig mehr
Raum gewonnen, und zugleich der Sinn für wohltönende Gestaltungen sich
Bahn gebrochen, wird man, von einem Liede erregt, in denselben Tönen
mitgesungen haben.
Noch heute, wenn ein Musikstück uns erregt, singen wir
halb oder ganz unbewusst mit, oder bewegen wenigstens Hände oder Füße
in seinem Rhythmus.
Wir haben also, wo bei Naturvölkern Refrains gesungen werden, eine
Mischung der Elemente des Natürlichen und des Künstlichen. Die Stimmung, die der Gesang des Vorsängers erregt, führt unter allen
Umständen bei den Zuhörern zum Gesange; dass sie aber dasselbe singen,
wie er, und seine Töne wiederholen, ist der Kunst nahekommende
Nachahmung, in der hier indes ihrerseits auch wieder ein natürliches
Moment mitwirkt. So wie so würde jenes erste Lied zu einer ihm verwandten Stimmung bei
den Hörern geführt haben, und diese wieder zu einem verwandten, wenn
auch natürlich nicht ganz gleichen Liede. War das öfter geschehen, so musste man, namentlich bei bekannten
Liedern, die Stelle schon erwarten, die den Gipfel punkt des Effekts
bildet und also am heftigsten zum Mitsingen trieb: so dass die Wirkung um
so sichrer und allgemeiner eintrat. Bei den Indianern haben die meisten Lieder einen Refrain, den der
Chorus mitsingt (Waitz, III, 231). Freycinet (I, 663) erzählt
von der Insel Timor: la personne qui est à la tête (der Tanzenden)
chante des paroles dont le refrain est répétè en choeur. Winwood Reade (Martyrdom of Man und African Sketsch Bock, zitiert in
der Abst. des M., II, 316) bemerkt: Wird der afrikanische Neger
erregt, so bricht er häufig in Gesang aus, ein andrer antwortet mit
Gesang, während die übrige Gesellschaft, als wäre sie von einer
musikalischen Welle berührt, in vollkommenem Gleichklang einen Chor
murmelt. Brugsch (Reiseberichte aus Ägypten, 254) führt die Melodie
eines Gesanges seiner nubischen Matrosen an, »den einer solo singt,
während der Chorus seinen Gesang unter Händeklatschen begleitet und
einzelne Stellen wiederholt.« Der Vortrag des griechischen Chors war wirklicher Gesang und die für
denselben ausgewählten Tonweisen so einfach und volkstümlich, dass die
Zuschauer zuweilen in solche ihnen bekannte Melodien mit einstimmten
(Weitzmann, Gesch. d. griech. Musik, 23).
Bei der Zuckerrohr-Ernte singen die Neger oft, um bei der Arbeit nicht
zu ermatten, und zwar in der Weise, dass eine Negerin entonne d'une voix
sonore un couplet, dont le refrain est répété en choeur (Pontécoulant,
Phénomènes, 130).
Der Scholiast zu Pindar OL. 9, I erzählt, dass das Volk bei
den Olympien den Refrain t h
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denen der Name des Siegers verkündet worden; dies ist uralte Sitte.
X. An dem gleichen Punkt setzt auch die Entstehung der
Volkslieder an.
Ist theoretisch und empirisch eingesehen, dass die
besonders ansprechenden Stellen eines Einzelgesanges die Zuhörer zum
Mitsingen und Wiederholen antrieben, so mussten die Lieder, die viele
solcher Stellen enthielten, am meisten bekannt werden und sich einprägen.
Dazu kommt die Verbindung mit dem Wort, das die
Erinnerung erleichterte.
Vom ursprünglichen Mitsingen werden die einzelnen
Mitglieder des Stammes ganz naturgemäß dazu gekommen sein, wenn sie sich
zu singen gedrungen fühlten, in diesen ihnen bekannten Tönen zu singen;
es herrscht bei allen Menschen überhaupt eine starke Neigung, in schon
bekannten Melodien ihre Stimmungen auszudrücken, ehe sie zu neuen
greifen. *
* Ähnlich bemerkt Aristoteles (Probl. XIX, 5), dass
wir auch lieber schon bekanntes in der Musik hören, als unbekanntes.
Ebenso Goethe: »Musik im besten Sinne bedarf weniger der Neuheit, ja
vielmehr, je älter sie ist, je gewohnter man sie ist, desto mehr wirkt
sie.«
Jene zuerst von Einem gesungenen, und durch
refrainartiges Mitsingen bekannten Lieder werden aber eben nur darum
mitgerissen und sich verbreitet haben, weil sie dem Charakter der Zuhörer
am meisten entsprochen haben. *
* Ob hier etwa ein physisches Moment mitwirkt, so dass
die Verschiedenheiten des Kehlkopfes und des Gehörapparates bei den
verschiedenen Rassen und Völkern, die häufige und leichte Produktion und
Reproduktion gewisser Lieder und das Vermeiden andrer bedingt, ist eine
der leider noch fast phantastisch erscheinenden Aufgaben der
Anthropologie.
Ist der Volkscharakter zu Extremen geneigt, so werden die
leidenschaftlichen, ist er düster, die melancholischen Mollmelodien
zuerst zum Mitsingen, dann zum selbständigen Ausdruck der Stimmung,
endlich zum Wiederholen nur aus Vergnügen an der Sache geführt haben:
Wie bei der Sprachschöpfung die Ausdrücke eines höher Begabten
verbreitete Geltung gewonnen haben werden, weil sie die Empfindungen und
Anschauungen auch der andern am besten ausdrückten und man seine Worte
also, wie man ihnen am eifrigsten lauschte, auch dann am häufigsten wird
selbst angewendet haben, so wird man auch die Gesänge des bedeutendsten
im Stamme am ehesten nachgeahmt haben.
Bedeutend aber ist, namentlich für die in ihrem
Gesichtskreis so beschränkten Wilden, nur derjenige, der eine auch ihnen
irgendwie einwohnende Eigenschaft, d. h. also eine von den Eigenschaften
der Volksseele in höherem Grade als der Durchschnitt besitzt.
Mehr also als alle andren werden die von ihm gefundenen
Melodien ausgesprochen haben, was in aller Herzen lebte; und da sich mit
geistiger Bedeutung fast immer eine äußere oder priesterliche Macht
verbindet und man auf die Äußerungen des so Ausgezeichneten im Stamme so
wie so besonders wird aufmerksam gewesen sein, so ist auch von dieser
Seite die Verbreitung der Lieder erklärlich, die nur den Inhalt der
Volksseele repräsentierten.
Also die Qualitäten der letzteren oder wenigstens
diejenigen, welche die Grundlage der Musik bilden, finden sich durch
Talent oder Genie getragen, in besonders hohem Grade in der Seele eines
Einzelnen; sie sind aber natürlich nur darin, weil er Kind dieses Volkes
ist, weil sein ganzes empirisches Ich durch das Leben in diesem Volke sich
gebildet hat; die persönliche Anlage hat das Empfangene nur steigern, nur
gleichsam auf höhere Zinsen legen können, als die große Masse es tut.
Dessen Melodien nun werden in der beschriebenen Weise
verbreitet und zu Volksliedern.
Und wie wenn die Worte eines Abgeordneten, den das
ganze Volk gewählt hat, weil er die Eigenschaften der Nation am
vollkommensten in sich vereinigt, zu geflügelten werden, und man dann der
Wahrheit gemäß sagen kann, dass das Worte sind, die das Volk gesprochen
- ebenso haben wir nach den obigen Ausführungen in der Tat das Recht,
jene Melodien als Emanationen der Volksseele * zu betrachten, deren sonst
mehr vereinzelte Strahlen sich in dem Brennpunkt einer persönlichen
Begabung gesammelt haben. –
* Ohne jede Involvierung eines mystischen Elementes.
XI. Neben der Allgemeinheit der Gefühle, die in den
Volksliedern ausgedrückt werden, ist eine Erscheinung besonders
auffallend, die sich gerade auf den niedrigen Stufen der Musikübung
vielfach findet: dass die Musik benutzt wird um ganz spezielle, Konkrete
Vorstellungen auszudrücken. Dallas (History of the Maroons, auf Jamaica)
sagt: »It is very remarkable, that the Maroons had a particular call upon
the horn for each individual, by which he was summoned from a distance, as
easily as he would have been spoken to by name, had he been near.«
»Die Eingebornen in Ashanti behaupten, sie könnten
durch ihre Flöten sich mit einander unterhalten, und ein alter Resident
zu Akkra versicherte mir, er habe solche Gespräche
gehört und jeder Satz sei ihm erklärt worden.« »Alle Oberleute in
Ashanti haben besondre Melodien für ihre Hörner« etc. (Bowdich, 401 und
464). Bei den Tirolern dient das Jodeln vielfach dem Zwecke der
Verständigung, ebenso der Gesang der venezianischen Gondoliere und der
Weiber vom Lido. Die Inder haben für jede Jahreszeit bestimmte Melodien, die diese
bezeichnen (Jones, 28). Bei den Persern erweckt eine bestimmte Tonart, Zer-Keki, die
Vorstellung des Reichtums (Jourdain, V, 304) Am Camerones teilt man durch die Töne des Horns Nachrichten mit, auf
Bissaux publiziert man königliche Befehle auf diesem Wege (Waitz, I,
157). Ganz dasselbe ist es, wenn man auf Tahiti besondere Gesänge für das
Erbauen eines Hauses, das Fällen eines Baumes, das Herablassen eines
Kahnes ins Meer hat (Gerland-Waitz, VI, 83).*
* Wenigstens scheint die Bemerkung an diesem Ort sich auch auf die
Melodie zu beziehen; dass verschiedene Formeln und Redensarten dabei
gebraucht werden, wäre doch selbstverständlich.
In Södermannland hat der uralte Brauttanz, den die Braut mit dem
Pfarrer aufführt, eine ganz eigne Melodie (Jonas, Schweden, 217). Auf den
Wildheuflühen bei Klosters bedeutet der erste am Jacobstag daselbst
erschallende Juchzer, dass der betreffende Hirt von der Mahd Besitz
genommen hat (Christ, Pflanzenleben in der Schweiz, 310-311) Auf den Fidschi-Inseln wird das Volk zu Kannibalenfesten durch
Trommelschlag zusammengeladen, der einen ganz bestimmten, nur hierzu
gebrauchten Rhythmus hatte
(♪♪♪♪♪)
(ebenda, VI, 651, nach Erskine 291). In der deutschen Sprache hat die Bezeichnung einer bestimmten
Persönlichkeit durch musikalischen Ausdruck sich in dem Sprichwort: Wes
Brod ich esse, des Lied ich singe, erhalten. XII. Da die Musik ursprünglich das natürliche Produkt der Erregung
ist, und naturgemäß, gehört, nur wieder Erregung hervorrufen kann, so
scheint es ein Widerspruch, dass sie, wie so vielfach (besonders bei den
Griechen) hervorgehoben, auch beruhigende und sänftigende Eindrücke
macht. Derselbe lässt sich so lösen, dass diese Wirkung eine indirekte ist:
in der Tat kann die Musik immer nur irgendwie erregend wirken; indem die
Erregung aber nach einer andern Seite hin erfolgt, als die vorher
vorhandene, schwächt sie diese. Dass auch das Singen zum Zweck des Einschläferns psychologisch ebenso
zu erklären ist, findet sehr bedeutende Stützpunkte bei Volkmann (2.
Aufl. I, § 68, bes. Anm. I, vgl. außerdem Spinoza Ethik, Pars IV,
Propos. VII). Die Musik bringt, wie oben gezeigt, eine Erhöhung des Lebensgefühls
mit sich, indem sie, aus freudigen, mystischen etc. Stimmungen resultierend, solche wieder erregt; nichts ist natürlicher,
als dass besonders schmerzliche Erregungen durch diesen Gegensatz
geschwächt werden. Erst in einer voll ausgebildeten Kunst, wo keine direkte Reziprozität
zwischen den Empfindungen des Musikers und des Hörers mehr herrscht, kann
die Musik dem letzteren eine Schwächung des Affekts hervorrufen, aus der
sie beim ersteren nie entstehen konnte. Plato erwähnt die Sanftmut der Musiker; die griechische Musik* hatte
ihren Zweck in der zuletzt erwähnten Schwächung des Affekts, und da mag
das Wesen der Musiker durch die von ihnen erzielte Wirkung allmählich
beeinflusst worden sein.
* Besonders die von Plato anerkannte.
Auch kann bei sehr heftigen künstlerischen Affekten eine äußere
Sanftmut sehr wohl bestehen.*
* Auch im christlichen Mittelalterwerden besonders die beruhigenden
Wirkungen der Musik hervorgehoben, ja, sie wurde sogar zum Symbol der
Mäßigkeit und Affektlosigkeit (Beisp. bei Thomas v. Aquino, in den
Erklärungen zum canticus canticorum und auf einem Fresko der Capella
degli Spagnuoli).
Hier mag der Grund, wenigstens zum Teil, in dem asketischen Charakter
der Zeit gelegen haben, der mit bewusster Tendenz alles Naturgegebene in
sein konträres Gegenteil verkehrte. XIII. Salvado (306) erzählt von den Eingebornen Australiens:
Quante volte mi sono servito delle loro canzoni di ballo onde
incoraggiarli ed infiammarli nel lavori campestri? Non una, ma mille
volte, essendosi sdraiati per terra lassi delle forze ed annoiatisi, nel
sentirmi cantare Machielò, Machielé, che
una delle loro più comuni e più favorite canzoni,
fangen sie selbst an zu singen und zu tanzen und beginnen dann mit neuem
Mut und Kraft die Arbeit wieder.
So ist Musik überall Erleichterung für die
Arbeitenden.
Anm.
Sie ist der natürliche Ausgleich für die
durch die Arbeit hervorgerufene Erregung; so wird ihre Verbindung mit
gewissen energischen Handlungen eine so feste, dass umgekehrt sie auch
Energie hervorruft.
Freycinet (665) sagt von Timor: »Les habitans,
lorsqu'ils travaillent, chantent presque sans cesse, sur-tout si l’occupation
à Iaquelle ils se livrent, exige le concours de plusieurs individus et
une sorte de simultanéité d'action, comme quand il leur faut pagayer
dans une pirogue, porter en commun de lourds fardeaux, battre le riz etc.,
de même aussi pour s'encourager l’un l’autre á l'ouvrage.« Nec
solum in iis operibus, in quibus plurium conatus praeeunte aliqua iucunda
voce conspirat, sed etiam singulorum fatigatio quamlibet se rudi
modulatione solatur (Quintil. Inst. or. I, 10).*
* Werden doch auch einige Tiere (z. B. die
Kamele auf ihren ermüdenden Wüstenreisen) durch Musik zu neuer
Anstrengung gekräftigt.
Auch ist bekannt, dass alte Völker ihre Sklaven mit
Musikbegleitung peitschen, um ihnen die Strafe erträglicher zu machen.
(Stellen im Plutarch, Pollux, Aristoteles.) Die Eskimos
erleichtern sich die elendesten Umstände durch Musik und Tanz (Waitz, II,
67).
Aus ägyptischen Reliefs ersehen wir, dass bei den
ungeheuren Frondienstleistungen beim Heranschaffen von Monolithen ein Mann
auf den Stein stieg, um zu singen und mit den Händen einen Rhythmus zu
markieren.
Noch in neuester Zeit ist dort, unter entsprechend
anderen Verhältnissen, derselbe Gebrauch im Schwange, wie v. Hammer
mitteilt (in einer Recension des Villoteauschen Werkes, 56. Band
der Wiener Jahrbücher, 1831).
Die extravaganten Wirkungen der Musik besonders auf die
Neger sind aus vielen Beschreibungen bekannt (z. B. bei Freycinet I, bei
Waitz II, bei Pontécoulant, Durand, Voyage au Sénégal u. v. a.).
Der Fanatismus des Schamanentums, des Cybelecultes und
ähnlicher Erscheinungen ist zweifellos zum großen Teil Resultat der
dabei verwendeten Musik.
Solche Ausschreitungen hören natürlich bei
vorgeschrittenen Völkern auf.
Anm.
Aber viele lebhafte Wirkungen blieben doch
noch dem klassischen Altertum, wie die schon erwähnten Beispiele zeigen;
Terpander dämpfte durch Musik den spartanischen Aufruhr; bekannt ist die
politische Wichtigkeit, die im griechischen Staatswesen der Musik
beigelegt wurde.
Von Damon sagt Plato, seine Musik könne nicht
verändert werden, ohne dass die Verfassung des Staates selbst sich
ändere.
Die ganze Stelle, Polit. III, 10 u. 11 muss hier
zugezogen werden, wo der Einfluss der einzelnen Tonarten, Rhythmen und
Instrumente auf das Gemüt geprüft wird, um je nach diesem im Staate
erlaubt zu sein oder nicht.
Sie ist für Plato nur ein Erziehungsmittel, was
er oft ausspricht, z. B. II. P o l .
VII. 6, § 522,
P
r w t
a g . 199 g, 326 a,
de legg. II, 655 d, 668 u.s.w.
Ebenso ist der Abschnitt Athenäos XIV cap. 22. 34 von
großer Wichtigkeit und Interesse für unsern Gegenstand, ferner
Quintilian, I, X, 9-21, Cicero, de legg. II, 15.
Bei Aristoteles viele Stellen im 19. Problem und in der
Politik.
In Rom wurden im Jahre 639 alle musikalischen
Instrumente mit Ausnahme der einfachen Flöte von den Censoren untersagt;
es ist im höchsten Grade charakteristisch, dass in dem angenommenen
Einfluss auf die Sitten, Flöten und Saiteninstrumente in Rom und Hellas
die Rollen geradenwegs vertauscht haben.
(Den Lenkern des griechischen Staatswesens kam es eben
darauf an, die Seelen möglichst ruhig, zur
s w
j r o
s u n
h
zu stimmen, während die des römischen
Volkes, den kriegerischen Tendenzen des Staates entsprechend, die
Charaktere möglichst energisch und aufgeregt haben wollten.)
XIV. Es hat manchem merkwürdig geschienen, dass bei
den wilden Völkern, die doch in ihren bildnerischen Versuchen meistens
das abenteuerlich Phantastische, die grellen Farben, die abnormen
Gestalten lieben, vorzugsweise gerade die monotone Musik gefunden wird.
So bei den Botocuden, während Martius doch von ihnen, wie von allen
Ureinwohnern Amerikas (die alle sehr monotone Musiken haben), sagt: »Er
(der Ureinwohner Amerikas) vermag wohl das Ungewöhnliche, Groteske und
Wilde zu vergrößern, das Seltsame bis zum Ungeheuerlichen und
Schrecklichen auszumalen.« Ebenso lieben die Fidschi-Insulaner gerade die grausigsten,
spannendsten, phantastischsten Geschichten, während ihre Musik
entsetzlich eintönig ist.
Aber erstens stehen diese Völker dem Ursprung der
Musik aus der Sprache noch näher; da sie nur durch die graduelle Steigerung
von Modulation und Rhythmus entstand, so war sie zuerst gewiss sehr
monoton, die organische Verbindung mit dem Wort legte ihr eine Fessel auf,
die das moderne Rezitativ noch zeigt.
Und dann herrscht eine gewisse Monotonie auch in der
bildenden Kunst der Naturvölker; Humboldt (Ansichten der Natur, I, Anm. 5
1) bemerkt, dass rohe Völker im Hange zum Vereinfachen und
Verallgemeinern der Umrisse, zur rhythmischen Wiederholung und Reihung der
Bilder durch innere geistige Anlagen getrieben werden.
Es stände also dem Hange zum Phantastischen etc. eine
Strömung zum Monoton - Rhythmischen gegenüber.
Eine Seite derselben läge in dem Nachahmungstriebe
unzivilisierter Völker (den wir auch bei unsern ungebildeten Ständen
beobachten): sodass, wenn z. B. ein Beliebiger etwas an einen Felsen
gekritzelt hat, alle, die desselben Wegs kamen, dasselbe oder ganz
Ähnliches ankritzeln, wie sich auch aus der Kenntnis der Petroglyphen auf
der ganzen Erde ergibt (beste Zusammenstellung bei Andree, a.a.O., vgl.
außerdem der Analogie wegen S. 287).
Indessen besteht bei aller Monotonie der Gesänge noch
ein grell unharmonisches Zusammenklingen vieler Stimmen und ein
ebensolches Gefüge der einzelnen Tonfolgen.
»Wie der Magen der Araber das rohe Fleisch und die
warm aus dem Tiere genommene noch rauchende Leber vorzieht, so ziehe sein
Ohr auch seine in gleicher Weise rauhe und unharmonische Musik allen
andern vor« (Baker, the Nile tributaries of Abissinia, 203)- Es
lässt sich also doch eine Analogie - wenn ich sie auch keineswegs als
eine vollkommene ausgeben will - aufstellen: wie die einförmig sich
wiederholenden Gebilde aus einzelnen phantastischen, wilden Gestaltungen
bestehen, so die monotonen Gesänge aus sich ebenso wiederholenden
unharmonischen, grellen, einzelnen Tönen.
In scheinbarem Gegensatz zu diesem unmusikalischen Sinn
wissen wir, dass Indianer und Araber ein unglaublich scharfes Gehör
haben, auf Entfernungen hin hören, die für Europäer alle Geräusche mit
ungestörtem Schweigen überdecken.
Hier schlägt eine Stelle von Steinthal (Ursprung d.
Spr., 3. Aufl. 306) ein: »Ich leitete den Vorzug des
Menschen (vor den Tieren) fast ganz von der aufrechten Stellung ab.
Dazu kommen die andern Sinne (außer dem Tastsinn),
welche sämtlich, und hier klingt Herder an, extensiv schwächer, aber
intensiv stärker wirken, d. h. sich über geringere Entfernungen
erstrecken, aber mehr Eindrücke erfahren, also an den Dingen mehr
Eigenschaften entdecken und die gleichartigen Eigenschaften mehrer Dinge
genauer unterscheiden.«
(Obgleich Steintal die ganze Ausführung, der diese
Stelle entnommen ist, später als antiquiert bezeichnet, hat diese
Beobachtung, an und für sich genommen, doch Richtigkeit.)
Ich möchte hier nur darauf hinweisen, dass nur die Not
des Lebens diese Gehörsschärfe bei den Naturvölkern ausgebildet hat,
die zur Wahrnehmung der Nahrung ebenso wie der Feinde durchaus darauf
angewiesen waren.
Auch mag sie von der immerwährenden Stille herkommen,
die die meisten Naturvölker umgibt, wie ihr scharfes Gesicht von ihrem
unbegrenzten Horizont.
(Menschen, die zwischen engen Mauern leben, werden
kurzsichtig.) - Darum braucht - das ist reine Hypothese - diese Ausbildung
eine nur einseitige zu sein, die darauf ausgeht, sehr leise Geräusche,
Luftschwingungen von sehr geringer Intensität zu perzipieren.
Die Fähigkeiten des musikalischen Ohres, besonders die
beim Zusammenklingen verschiedner Töne entstehenden komplizierten
Schwingungen in ihre akustischen Komponenten zu zerlegen, ist damit noch
nicht gegeben.
Ließe sich dies feststellen, so wäre es ein
interessantes Corollar zu Fechner, (Psychophysik, II, 293) und
besonders zu der daselbst zitierten Stelle aus Erhards Otiatrik.
Dass überhaupt die Ausbildung des Gehörs nur eine
partielle, namentlich die musikalische mit den andern Seiten desselben
nicht verbunden zu sein braucht, dafür liefert einen Beleg, dass G. Carus
W. v. Humboldt als einen »Gehörmenschen« schildert, während er doch
für Musik auffallend wenig empfänglich war (cf. Kant, Urteilskraft, §
51, 3). -
XV. Die eigentlich thematische Erfindung war bei der
geringen Tonzahl, innerhalb deren die griechischen Melodien auf den
Saiteninstrumenten sich bewegen konnten, in engste Grenzen eingeschlossen;
der Reiz konnte also nicht in den Themen und ihrer Neuheit, sondern nur in
der Feinheit der Nüancirung und Ausführung liegen; ganz ähnlich wie in
ihrem Drama nicht der so oft sich wiederholende Stoff, sondern nur seine
vollendete Durchführung und die Variierung in derselben das Kriterium der
Wertschätzung abgab. Schopenhauer bemerkt, dass eine Kunstschöpfung um
so größer ist, je weniger sie ihre Größe dem Stoffe zu danken hat.
Mit dem mehrstimmigen Satz war zugleich das Kunstsein
der Musik abschließend ausgesprochen, sie bedurfte jetzt komplizierter
Regeln.
(Ansätze dazu wurden wie gesagt schon ziemlich lange
gemacht, ehe etwas unsrer Musik auch nur ähnliches entstand.
Hucbald (gest. 930), der bekanntlich zum ersten Male
den Versuch machte, mehrere Stimmen harmonisch zu verbinden, findet es
schön, übereinandergesetzte Quinten und Quarten gerade fortschreiten zu
lassen! (Rousseau, der so oft falscherweise in Äußerlichkeiten die Wege
zu seinem Ideal erblickt, wollte auch in der Musik zur Einfachheit der
reinen Natur zurückkehren und verwarf darum alle Mehrstimmigkeit: Il est
bien difficile de ne pas soupçonner que toute notre harmonie n'est qu'une
invention gothique et barbare, dont nous ne nous fussions jamais avisés
si nous eussions été plus sensibles aux véritables beautés de Part et
à la musique vraiment naturelle.
Dict. de mus. Art. Harmonie. Im Rückblick auf die
Griechen verfasste er ein Air, das nur 4 Töne umfasste. Ähnliche
Ansichten sprach Tartim aus.)
Nun wurde in den Kreisen höherer Bildung ein Interesse
für Musik erweckt, das früher nie geherrscht hatte, während die Musik
der untern Volksschichten mehr und mehr verlor.
Ich erinnere an die Erscheinung der Meistersinger, in
der die Volksmusik den Versuch machte, zu einer höhern, kunstmäßigen
Durchbildung zu gelangen; aber es kam nur zu verzwickten Berechnetheiten,
gekünstelt wie gotische Strukturen; es fehlt der Kunst nun einmal die
Lebenswärme ohne das Sonnenlicht des persönlichen Genies.
Nichtsdestoweniger ist es ein Irrtum zu glauben, dass
die Nation ohne Einfluss auf die Entwicklung der Musik wäre.
Für die übrigen Künste ist wohl nicht bezweifelt,
dass sie national sein müssen, wenn sie ihre Blüte erreichen und
bewahren wollen.
Das soll keineswegs zugleich heißen, dass sie
patriotisch sein müssen, die Geschichte zeigt sogar, dass gerade in den
zerrüttetsten Staatswesen die Kunst, gleich Blumen auf Schutthaufen, die
herrlichsten Blüten treiben konnte; was ich meine, ist nur dieses.
wie große und wie gestaltete Anlagen auch ein Mensch
ins Leben mitbringen mag, das Leben seines Vaterlandes, das ihn vom ersten
Tage an umkreist, lässt ihn doch erst zu dem werden, was er ist, drückt
ihm seinen Charakter auf, von ihm empfängt er Ziele und Wege; und gerade
je größer eine Seele ist, desto mehr wird sie von dem Stoff für
jegliche Bildung, wie ihn das nationale Leben ihr zuträgt, in sich
aufnehmen.
Dies geschieht schon ohne sein Zutun und ohne dass er
sich dessen bewusst wird, in den Jahren der Entwicklung.
Soll der Künstler also ein einheitliches Arbeiten
bewahren - und ohne dies ist kein großer Künstler möglich - so darf er
den Charakter seiner Strebungen nicht ändern, wie er ihn einmal empfangen
hat, wie ihn die Natur, die Bildung, das Wesen seines Landes ihm
aufgedrückt hat.
Also nicht darum, weil es die vaterländische Art ist,
muss der Künstler sie bewahren, nicht darum, weil es etwa der
patriotischen Würde eines Deutschen widerspricht, auf französische
Manier zu arbeiten: sondern aus dem ganz realen Grunde, dass seine
psychophysische Anlage und seine durch die Erziehung im Vaterlande
gewordene Sitten- und Wesensart nur für eine bestimmte Art des Schaffens
die richtigen Grundlagen sind, während es, wenn er davon unterschiedene
Muster nachahmt, nur zu leicht zu einer Zersplitterung seines Wesens und
damit dem Verfalle seiner Kunst kommt; in solchem Sinne muss er auf
nationalem, auf historischem Boden stehen (klares Bewusstsein davon aber, Nationalgefühl
braucht er nach dem Gesagten nicht zu haben).
Freilich, die Musik ist auf ihren psychologischen
Gehalt noch nicht genügend untersucht, um die nationalen Unterschiede mit
Worten feststellen zu können.
Betrachtet man aber die gesamte deutsche Musik seit
150jahren, daneben die französische und noch die italienische, so kann
kein Zweifel obwalten, dass jede derselben in ihrer Entwicklung sowohl,
wie im Charakter der einzelnen Kompositionen durchaus und unverwechselbar
von den andern unterschieden ist.
Zwar können wir vorderhand noch nicht nachweisen,
dass, weil der Charakter eines Volkes dieser bestimmte ist, es sich diese
bestimmte Musik schaffen musste; dass aber eine Wirkung dieser Art
stattfinden muss, zeigt jene Differenzierung der nationalen Musiken.
Weiter: wie jedes, auch das subjektivste und
individuellste Erzeugnis der Poesie, indem es in einer nationalen Sprache
geschrieben ist, eben der Sprache, die für jeden »dichtet und denkt«,
einen wesentlichen Teil dessen verdankt, was es ist, so findet jeder
Mensch schon eine historisch gewordene Volksmusik vor; natürlich verstehe
ich hier unter Volksmusik nicht nur die Volkslieder, diejenige Musik, die
das »Volk« p a t
¢ e x o c h n sich
geschaffen, sondern alles dasjenige, was überhaupt die nationale
musikalische Literatur eines Volkes bildet.
Wenn also die Musikgeschichte fast stets die
Erscheinung aufweist, dass jeder Komponist auf den Schultern seines
Vorgängers steht, so liegt implizite darin, dass die Gesamtsumme der
bisherigen musikalischen Entwicklung seines Volkes die Grundlage seiner
musikalischen Bildung ist, und soviel verdankt er der Kette seiner
Vorgänger, dass er ohne sie nimmer das geworden wäre, was er ist.*
* Wie sich am deutlichsten
von der Seite der Technik und der Theorie ergibt.
Naturgemäß wird sein Geschmack durch das
fortwährende Anhören der nationalen, bis dahin geschaffenen Musik, von
frühester Zeit an gebildet; diese häufige Gelegenheit, Musik zu hören -
und in der modernen Zeit ist man ja fast stets davon umgeben - wäre aber
nicht da, wenn nicht diese Musik in das Volk vollständig aufgenommen,
seiner Seele entsprechend wäre.
Der Komponist bekommt also die Musik, die zunächst
seine Richtung bestimmt,* als
Tradition, wie dem Dichter der Mund seines Volkes die Sprache
überliefert, die er nachher zu seinen Werken bildet.
* Und wir sehen auch alle
bedeutendsten Komponisten erst eine Weile in den Spuren ihrer Vorgänger
wandeln, bevor der eigene Styl sich daraus entwickelt.
Alle echte Kunst, sagt Goethe, muss von einem
»Überlieferten« ausgehen.
Und indem wir so zurückgehend finden, dass die
Grundlagen, auf denen jeder Komponist zu bauen anfängt, nationale sein
müssen, wenn wir bedenken, welchen Einfluss es auf den Künstler ausüben
muss, dass er jenes Musikstück eines Früheren von seinem Volke mit
Begeisterung aufgenommen, jenes vernachlässigt sieht, wenn man die ganze,
in eminentem Sinne historische Kette der Musikentwicklung betrachtet - so
kann unmöglich zugegeben werden, dass sie sich, losgelöst von allem
andern Nationalen, gleichsam ein Staat im Staate, abwickle, auch wenn wir
die Gleichung zwischen dem musikalischen und dem sonstigen Inhalt der
Volksseele noch nicht gefunden haben.
XVI. Im frühen Zustand des Naturmenschen, wo noch kein
Nationalgefühl sich bildet, finden wir auf der ganzen Erde dieselben
musikalischen Erscheinungen, ähnliche Instrumente und Melodien, dasselbe
Ausströmen der Musik aus dem Affekt und die Hingabe an ihre
nervenerschütternden Wirkungen.
Dann aber äußert sich immer mehr und mehr das
nationale Element; wir sehen, wie streng zur Zeit von Griechenlands Blüte
die asiatischen Instrumente perhorresziert wurden, ebenso die griechischen
in Rom zur Zeit kräftigsten nationalen Bewusstseins.
Wir sehen, in welcher fast eifersüchtig zu nennenden
Weise die französische und die deutsche Geigerschule ihre
charakteristischen Gegensätzlichkeiten bewahrt haben, wie ferner eine
gewisse Art internationaler Musik, der in der letzteren Zeit mehrere
Komponisten huldigten (Liszt, Berlioz), keine rechten Früchte getragen
hat, weil sie eben in keinem Boden recht fest wurzelt.
Wie heftig die nationalen Gegensätze der Musik werden
können, zeigen z. B. die Vorgänge in Paris, die die Biographie
universelle, Art. Lulli mitteilt: Jean Jaques Rousseau se mit à leur
tête (der Parteigänger für italiänische Musik), sa »lettre sur la
Musique française« fut le signal d'une guerre d'opinion, qui fit éclore
un nombre considerable de brochures.
Au parterre de l'opéra le public se partageait en deux
camps, rangés, l'un du côté de la loge du roi, l’autre du côté de
celle de la reine.
Le coin du roi se composait des défenseurs de la
musique française, les admirateurs de la musique italienne formaient le
coin de la reine. Les deux parties s'injuriaient; peu s'en fallut qu'ils
n'en vinssent aux mains.
Anm. Erinnerung an die Circusparteien. Auch hier der
interessante Prozess, dass das Objekt schließlich ganz zurücktritt;
seine Wichtigkeit, zuerst Ausgangspunkt, wurde dann Ausrede für die
Heftigkeit der Streitenden. Aber in der Musik findet sich noch öfter als
in andern Künsten und Wissenschaften diese Erscheinung, weil jeder
glaubt, dabei mitreden zu können und jeder Kampf, der an Breite gewinnt,
auch an Heftigkeit zunimmt. Je weniger sich über Musik mit Worten
vernünftigerweise streiten lässt, um so mehr wird gestritten. - Sehr oft
kann man beobachten, wie Taubstumme und Kranke, die aus irgend einem
Grunde der Sprache beraubt sind, wenn man ihre Zeichen nicht versteht, in
eine ganz unverhältnismäßige und erschreckende Heftigkeit geraten.
Ohne Vergleichung im Übrigen möchte ich die
psychologischen Ursachen dieser und jener genannten Erscheinung für ganz
ähnliche halten.
Es ist für den, der über Musik spricht, unmöglich,
in ganz adäquater Weise das konkret auszudrücken, was ihn eigentlich zu
seiner Ansicht gebracht hat; für derartige Empfindungen mangeln unsrer
Sprache die Worte; der andre kann ihn also nicht verstehen, um so weniger,
als er schon vorher eine andre Ansicht gehabt hat, die jener nicht
versteht, und aus diesem Unvermögen der Verständigung entspringt, wie in
dem Falle des Stummen, die Heftigkeit, die man in Kontroversen
ästhetischer, speziell musikalischer Art, nur zu oft konstatieren muss.
Den Chinesen, die von ihrer eignen Musik vollständig
verzückt werden, spielte Amiot les plus belles sonates, les airs de
flûte les plus méIodieux et les plus brillants vor - der Effekt ist nur,
dass er sie damit langweilt und quält. *
* Sie sagten ihm: »solche Melodien sind
nicht für unsre Ohren und unsre Ohren sind nicht für solche Melodien.«
Von der wunderbaren Macht des Nationalen in der Musik
zeugt ferner folgende Geschichte, die ich einem Journal entlehne.
»Als Bonaparte in Ägypten war, versuchte er auf alle
Weise, durch alle Wunderwerke occidentalischer Wissenschaft, Einfluss auf
die Muselmänner und deren Sympathien zu gewinnen.
Auf Monges Rat probierte er's auch mit der Musik.
Ein zahlreiches Orchester, von den geschicktesten
Musikern gebildet, versammelte sich eines Abends auf dem Platze Esbekieh
zu Kairo und führte nun in Gegenwart der Vornehmsten des Landes und einer
großen Zuhörermenge eine ganze Reihe von Musikstücken aus.
Bald erhabene Kompositionen, bald gelehrte Musik, bald
einfache, sanfte Melodie, bald Militärmärsche oder rauschende Fanfaren.
Vergebnes Mühen! Die Muselmänner blieben kalt und
gleichgültig bei alledem, ganz wie die Mumien in ihren Katakomben.
Monge war außer sich: »Die Strohköpfe sind nicht
wert, dass ihr euch weiter bemüht«, schrie er den Musikern zu, »spielt
ihnen »Marlbrough« vor, das passt vielleicht für sie!«
Marlbrough s'en va-t-en guerre,
Mirliton, Mirliton ton taine,
Marlbrough s'en va-t-en guerre,
Ne sait quand reviendra!
begann das Orchester zu spielen, und es geschah eine
Art von Wunder, schon bei den ersten Tönen belebten sich Tausende von
starren Gesichtern, es ging eine freudige Bewegung durch die lauschende
Menge, und einen Augenblick konnte man glauben, dass sich die ernsten
Muselmänner, alt und jung, auf die offenen Straßen stürzen und tanzen
würden, so freudig und fröhlich bewegt waren alle durch dieses Liedchen.
Von da ab wurde der »Marlbrough« jeden Abend
gespielt, und jeden Abend war der Erfolg derselbe.
Wie ist wohl diese eigentümliche Erscheinung zu
erklären? Gretry, Haydn, Mozart machen keinen Eindruck, das
Marlbroughlied aber bringt die ganze Bevölkerung in frohe Bewegung?
Chateaubriand glaubte die Erklärung dieses eigentümlichen Phänomens
gefunden zu haben.
Er führt nämlich an, dass die Melodie des
Marlbroughliedes arabischen Ursprungs sei; das Lied selbst gehört dem
Mittelalter an und wurde aller Wahrscheinlichkeit nach zuerst durch
Kreuzritter, unter Don Jayme I. von Aragon, nach Spanien und unter Ludwig
IX. nach Frankreich gebracht.
Das Lied enthielt die Geschichte eines Kreuzfahrers
Namens Mambron, von dem man sonst weiter nichts weiß.
Diese Geschichte vom Ritter Mambron, Musik wie Text,
war das Liedchen, welches Madame Poitrine sang, um ihren königlichen
Säugling, Sohn Ludwig XVI., einzuschläfern.
Die Königin Marie Antoinette vernahm das Liedchen
zufällig, es gefiel ihr, sie sang es nach, und durch sie kam es so in
Mode, dass es bald in ganz Europa gesungen wurde.
Durch einen lächerlichen Zufall trat der Name des
Herzogs von Marlborough oder Marlbrough (John Churchill, des Siegers von
Malplaquet, an die Stelle des alten Kreuzritters Sir Mambron.
Die Muselmänner in Ägypten vernahmen also in dieser
Melodie die Klänge eines alten Nationalgesanges und wurden davon
ergriffen«.-
Bodenstedt (a.a.O. II, 104) spricht von der »wahrhaft
herz-und ohrzerreißenden« Nationalmusik der Perser und erzählt dabei,
dass junge Asiaten, welche früh ihrer Heimat entfremdet und in Petersburg
erzogen und geschult wurden, bei ihrer gelegentlichen Rückkehr in die
Heimat doch das Trommeln und Paukenschlagen der asiatischen Spielleute
weit lieber hören und höher stellen, als alle musikalischen Genüsse,
welche die Petersburger Konzerte ihnen boten.
Ganz dieselbe Beobachtung machte Polak (a.a.O. 292).
Und endlich beachte man, dass nicht nur für den
Charakter des Volks im Großen und Ganzen offenbar seine Musik
charakteristisch ist, sondern wie die Musik auch von den wellenartigen
Schwankungen im Flusse des Volkslebens gehoben und gesenkt wird, wie jede
Steigerung des Kulturlebens auch ihr einen neuen Schwung verleiht, worauf
Ambros (Geschichte der Musik, II, Vorrede, XXII ff.) hingewiesen hat.
Ja wir sehen, wie sogar so spezielle Erscheinungen wie
die Romantik in der deutschen Kultur, Anfang des Jahrhunderts, Komponisten
(Mendelssohn, Schumann und ihren Epigonen) eine Richtung gegeben, die sie
ohne diese nie genommen hätten.
XVII. Das jodeln scheint seinem Charakter nach zu den
primitivsten Musikübungen zu gehören, unterscheidet sich aber so
wesentlich von dem Gesange, dass es durch die Besprechung der Entstehung
desselben nicht mit abgetan ist.
Da es für den Einzelnen nicht möglich ist, die zur
Erforschung dieser Erscheinung nötigen Erfahrungen zu sammeln,-*
veröffentlichte ich im Jahrbuch des Schweizer Alpenclub, Jahrgang 1879,
eine Reihe von Fragen über die Natur des Jodelns, die noch in andere
Journale aufgenommen wurden und mir eine Anzahl von Zuschriften von
Kennern des alpinen Lebens zuführten.
* Literatur darüber existiert nicht, wie ich
anzunehmen berechtigt bin, es sei denn ein kleiner Bericht von Sieber im
»Echo«, 1853, Nr. 43: »Das Jodeln der Bergbewohner« - wertlos.
Leider standen dieselben gegenseitig in so vielen Widersprüchen, dass
angenommen werden muss, das jodeln sei in den verschiedenen Alpengegenden
charakteristisch verschieden.
Was ich von dem Gemeinsamen in diesen und meinen
eigenen Beobachtungen zu induktiven Resultaten vereinigen konnte, ist
Folgendes: Der JodIer besteht aus einer ziemlich kurzen Reihenfolge von,
ohne Unterlage von Worten sondern nur von einzelnen Buchstaben, fast nur
Vokalen, hervorgebrachten Tönen, an der das Charakteristische ein
fortwährendes Abwechseln zwischen Brust- und Kopfstimme, mit
Überspringung des Falsets, ist.
Jedes sog. Überschnappen der sprechenden Stimme im
Affekt oder bei sonstiger zu heftiger Anstrengung derselben zeigt das
Protoplasma des Jodelns.
Überlegt man nun, dass ein möglichst lautes Rufen
resp. Schreien zu Verständigungszwecken im Gebirge fast immerzu geboten
ist, und dass die Anstrengung der Lunge durch das stete Steigen zum
Überschlagen der Stimme besonders disponiert, dass diese beiden
Bedingungen sich ausschließlich im Hochgebirge vereinigt finden und eben
dort ebenso ausschließlich das jodeln beobachtet wird: so ist es wohl
nicht unwahrscheinlich, dass der Jodler ursprünglich nichts andres ist,
als ein zur Kopfstimme umgeschlagener Schrei, dessen häufiges Vorkommen
Veranlassung wurde, ihn zu einer Kunstmässigen Art auszubilden.
Eine weitere Bekräftigung erhält die Hypothese der
Analogie von jodeln und Schreien durch das Faktum, dass der Jodler sehr
oft am Schluss eines Gesanges ausgestoßen wird, wo andre Völker mehr
oder weniger artikulierte Schreie anfügen.
Fassen wir nun die oben angeführte Jäger'sche Ansicht
wiederum ins Auge, wonach der Jodler, durch den Geschlechtstrieb
hervorgerufen und Vehikel seiner Befriedigung, den Anfang des Gesanges
gebildet habe.
Ich will gar nicht leugnen, dass, wenn der
Geschlechtstrieb sich etwa im Schreien geäußert, nicht auch jenes
Überschnappen der Stimme dabei stattgefunden habe; es liegt aber kein
Grund für einen Kausalnexus zwischen diesem und jenem vor; ferner spricht
das oben Erwähnte dagegen, dass der Jodler nur bei Alpenvölkern
beobachtet worden ist,* und dass es mit Vorliebe schon in dem Alter von
8-14 Jahren getrieben wird, wo von geschlechtlichen Momenten noch nicht
die Rede sein kann; endlich der Umstand, dass der Jodler eben tatsächlich
nicht charakteristisch als »Verständigungszeichen zwischen Bursch und
Dirne« auftritt; die Mehrzahl der mir gewordenen Mitteilungen stellen
sogar jede Beziehung dieser Art prinzipiell in Abrede; nur eine einzige
aus St. Gallen erwähnt, dass der Jodler allerdings zu
Verständigungszwecken zwischen dem Aelpler und seiner Dirne dient, fügt
aber hinzu, dass dieses jodeln sich gar nicht von dem zu andern oder gar
keinem Zweck unterscheidet; wenn auch als Verständigung zwischen Beiden
angewendet, trägt es doch den Charakter einer viel allgemeineren, als
einer nur vom Geschlechtstriebe diktierten.
* Ein einziges entgegenstehendes Faktum ist mir
mitgeteilt worden: bei Hasserode im Harz wurde einmal ein richtiges jodeln
bei Eingeborenen beobachtet. – Da dies aber ganz allein dasteht, muss es
auf zufällige Ursachen geschoben werden, etwa auf (geschichtlich
feststehende) Einwanderung von süddeutschen Bergbewohnern in jene Gegend.
Macht dieses alles schon die Jäger'sche Ansicht
ziemlich unwahrscheinlich, so kommt noch dazu, dass der Jodler, wenn er
der Anfang des Gesanges sein sollte, Momente der Fortbildung zu diesem in
sich tragen müsste, was keineswegs der Fall ist.
Es gibt keinen Gesang auf primitiven
Entwicklungsstufen, der wortlos wäre - während für den Jodler eben das
Charakteristische ist, dass er Worte ausschließt; in einem Bericht an
mich heißt es: »je vereinsamter der Bergbewohner ist, um so
ungekünstelter ist sein jodeln und desto weniger erinnert es an
Gesang. «
Dazu kommt noch, dass eine Anzahl von Affekten, die wir
empirisch als wichtige Quellflüsse der Musik kennen lernten, geradezu
ihrem Charakter nach den Ausdruck im jodeln unmöglich machen, z. B. der
mystisch-religiöse.
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