Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

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 Georg Simmel im 21. Jahrhundert
Textinterpretationen aus heutiger Perspektive

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Georg Simmels Kultursoziologie der Geschlechter

 

Denise Moser-Stark

 

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen und Verständnis von Kultur

3. Das Bild der Frau aus der Sicht des Mannes

4. Von den Fähigkeiten der Frauen – oder was Frauen können dürfen

5. Die neuen Bedürfnisse der Frau – oder Zukunftsperspektiven der Frau

6. Zusammenfassung

7. Persönliche Erkenntnisse

8. Literaturliste

 

1. Einleitung

Simmel, der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gelebt hat, gilt als unkonventioneller Denker (Ulmi, 1989) und als einer der bedeutendsten Soziologen zu jener Zeit. Als solcher wird er mit Max Weber oder Emil Durkheim im gleichen Atemzug erwähnt (Vromen, 1990).

Ein wichtiger Teil von Simmels Arbeit galt dem Thema der Geschlechter. Er befasste sich über 3 Jahrzehnte damit. Diese Schriften hatten Dahme und Köhnke 1985 unter dem Titel „Simmels Schriften zur Soziologie und Philosophie der Geschlechter“ zusammengefasst. Thematisch lassen sie sich wie folgt gliedern (Ulmi, 1989, S. 52):

1. Psychologische Studien

"Zur Psychologie der Frauen", erstmals veröffentlicht 1890;
"Bruchstücke aus einer Psychologie der Frauen", 1904; 
"Fragmente aus einer Philosophie der Liebe", 1907;
"Psychologie der Koketterie", 1909.

2. Stellungnahme zu Zeitfragen – meist anonym in Zeitungen erschienen

"Einiges über die Prostitution in Gegenwart und Zukunft", 1892; 
"Der Frauenkongress und die Sozialdemokratie", 1896; 
"Frauenstudium an der Berliner Universität", 1899.

3. Soziologische, historische und/oder kulturvergleichende Studien

"Ein Jubiläum der Frauenbewegung", 1892; 
"Die Verwandtenehe", 1894;  
"Der Militarismus und die Stellung der Frauen", 1894; 
"Zur Soziologie der Familie", 1895;
"Die Rolle des Geldes in den Beziehungen der Geschlechter", 1898.

Erstfassungen von:

"Weibliche Kultur", (1911 überarbeitet)
"Das Relative und das Absolute im Geschlechterproblem", (1911 überarbeitet)

Dahme und Köhnke sehen in diesen Schriften eine komprimierte Darlegung von Simmels ganzer, vielschichtiger Spannbreite seiner psychologischen, soziologischen und philosophischen Interessen sowie seines intellektuellen Entwicklungsganges:

„ ...An keinem anderen empirischen Beispiel lässt sich Simmels Entwicklung während dreier Jahrzehnte so komprimiert dokumentieren wie an Hand seiner Frauenschriften, die man deshalb auch als 'miniature' seines Gesamtwerkes lesen kann“ (Dahme und Köhnke, 1985, S. 14).

Obwohl Lichtblau (1997, S. 100) Simmels Beiträge als ersten wesentlichen Beitrag zu diesem Thema hervorhebt, muss auch betont werden, dass gerade dieses Thema um die Jahrhundertwende einen Höhepunkt an Beliebtheit erreicht hatte und schon im 18. Jahrhundert kulturphilosophisches Thema war (Ulmi, 1989, S. 11).

Wirft man einen Blick auf Simmels eigene Biographie und auf sein Verhältnis zu Frauen, wird die Vermutung wach, dass seine Erlebnisse prägend für seine Überlegungen zur Geschlechterdifferenz waren.

  • 1890 heiratete Simmel Gertrud Kinel, eine Frau aus bürgerlichem Haus. Sie hat vier bedeutende Bücher unter dem Pseudonym ‚Marie Louise Enckendorff’ veröffentlicht.

  • Dazu unterhielt er über 15 Jahre eine Beziehung zu Gertrud Kantorowicz, einer ehemaligen Studentin von ihm und seine engste wissenschaftliche Mitarbeiterin (Jung 1990, S. 13f).

  • Mit seiner Frau hatte er einen Sohn; mit seiner Geliebten eine Tochter, welche er zeitlebens nie gesehen hat, weil er – nach den Schilderungen von Margret Susman – seine Frau bis zum Schluss geliebt habe (Jung 1990, S. 13 und Ulmi, 1989, S. 107).

  • Seine Vorlesungen fanden auch unter vielen weiblichen StudentInnen grossen Anklang. Sein Sohn berichtet, dass sein Vater einer der ersten Dozenten war, die Frauen als Gasthörerinnen aufnahmen (Ulmi, 1989, S. 104). Simmel selbst äusserte sich über seine vielen Gasthörerinnen nicht sehr beglückt, denn er zog ein farbloses und indifferentes Auditorium vor: „Die Zweiheit der Erscheinungsformen und die bunten Kleider stören mich“ (Ulmi, 1989, S. 104). Dennoch förderte er immer wieder begabte Studentinnen und empfahl sie anderen Dozenten in deren Kollegien (Ulmi , 1989, S. 104).

Simmel war also von bedeutenden Frauen umgeben und dürfte von ihnen, aber auch von der Strömung seiner Zeit beeinflusst worden sein. Eines der umfangreichsten Essays zum Thema der Geschlechterdifferenz dürfte jenes über die „weibliche Kultur“ sein. Dieser Text liegt der vorliegenden Seminararbeit zugrunde.

Simmels Ansichten über die Frauen in seiner Zeit galten als revolutionär und wurden von der bürgerlichen Frauenbewegung ziemlich bejubelt. Allerdings gaben seine Gedanken auch Anlass zu heftigen Kontroversen. Aus diesem Grund sollen hier Simmels Ansichten denen von zwei bedeutenden Frauen – seiner Frau, Gertrud Simmel, alias Marie-Luise Enckendorff, und Marianne Weber, Gattin von Max Weber und Vertraute der Familie Simmel – gegenübergestellt werden.

Marie-Luise Enckendorff, Simmels Ehefrau, hat 1910 ein Buch herausgegeben mit dem Titel „Realität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben“. Ausgehend von der Feststellung, dass im Bereich der Geschlechterbeziehung grosse Verwirrung und Verfahrenheit bestehen, versucht sie die Gründe für diese Verwirrung und das eigentliche Wesen der Geschlechtlichkeit herauszuschälen. Sie kritisiert die christlich-asketischen Ideale und die bürgerlich-institutionellen Normen der Ehe, welche auf je ihre eigene Weise das Geschlechtliche als sündhaft ablehnen. Sie bemängelt, dass es an klaren Geboten und einfachen Blickpunkten fehlt. Sie fordert einerseits klare Gebote, welche den Wert der Geschlechtlichkeit anerkennen und sie ruft die Frauen auf, ihre passive Haltung abzulegen und Selbstverantwortung für ihre Geschlechtlichkeit zu übernehmen. Ihren Überlegungen stellt Enckendorff die Frage nach der Gesetzmässigkeit von Natur und Kultur voran.

Marianne Weber hat zwischen 1904 und 1919 verschiedene Aufsätze zum Thema „Frauen“ geschrieben. Diese sind unter dem Titel „Frauenfragen und Frauengedanken“ im Jahre 1919 als Buch veröffentlicht worden. Aus dieser Sammlung werde ich aus folgenden Aufsätzen zitieren:

  • Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft (1904),

  • Zur Frage der Bewertung der Hausfrauenarbeit (1912),

  • Die Frau und die objektive Kultur (1913), dieser Aufsatz war eine direkte Antwort auf Simmels Essay „Weibliche Kultur“.

  • Die besonderen Kulturaufgaben der Frau (1918).

Folgende Bereiche sind Thema in der vorliegenden Arbeit:

  • Definitionen und Verständnis von Kultur, Kapitel 2

  • Das Bild der Frau aus der Sicht des Mannes, Kapitel 3

  • Die Fähigkeiten der Frauen, Kapitel 4

  • Die neuen Bedürfnisse der Frau, Kapitel 5

Der Schluss dieser Arbeit besteht aus zwei Teilen: zuerst geht es um eine kurze Zusammenfassung der obigen Ausführungen und im letzten Teil um meine persönliche Erkenntnisse bezüglich der Ansichten und Haltungen zum Geschlechterthema dieser drei Personen.

Inhalt

2. Definitionen und Verständnis von Kultur

Simmel definiert „Kultur“ als „die Vervollkommnung von Individuen, die vermöge des in der geschichtlichen Gattungsarbeit objektivierten Geistes gewonnen wird.“ (Simmel 1919, S. 254). Der Mensch ist zuerst subjektives Wesen, das sich durch Aneignung von „Sitte, Erkenntnis, Kunst, Religion, sozialer Gestaltungen und Ausdrucksformen des Inneren“ vollendet, bzw. kultiviert (Simmel 1919, ebd.).

„Objektive Kultur“ umschreibt er als „das Ausgesprochene und Geformte, das ideell Bestehende und real Wirksame, dessen Komplex den Kulturbesitz einer Zeit ausmacht“ (Simmel 1919, ebd.).

„Subjektive Kultur“ ist für ihn demnach das „Mass, nach Ausdehnung und Intensität, mit dem die Individuen an jenen Inhalten (der objektiven Kultur) teilhaben“ (Simmel 1919, ebd.).

Je höher entwickelt die objektive Kultur ist, umso eher ist eine grosse Masse von Menschen davon ausgeschlossen. In einer primitiven Kultur gewinnt die subjektive Kultur ein bedeutend grösseres Gewicht, weil die grosse Masse der Menschen daran teilhaben kann (Simmel 1919, ebd.).

Eine weitere kulturelle Einschränkung macht Simmel, indem er die Behauptung aufstellt, dass Kultur männlich sei, weil die kulturellen Gebiete wie Kunst, Industrie, Wissenschaft, Handel, Staat und Religion von Männern erschaffen worden sei: „die Kultur der Menschheit (ist) auch ihren reinen Sachgehalten nach sozusagen nichts Geschlechtsloses und (wird) durch ihre Objektivität keineswegs in ein Jenseits von Mann und Weib gestellt. Vielmehr, unsere objektive Kultur ist, mit Ausnahme ganz weniger Gebiete, durchaus männlich“ (Simmel 1919, S. 256).

Wenn man an eine rein „menschliche“ Kultur glaube, liege der Grund darin, dass die Begriffe „Mann“ und „Mensch“ „naiv identifiziert“ würden (Simmel 1919, ebd.).

Dass Kulturinhalte nicht neutral sondern männlich geprägt sind, das führt er am Beispiel des Rechts aus: Den Frauen werde Rechtsfremdheit vorgeworfen, weil sie sich den juristischen Normen und Urteilen widersetzen würden. Ihre Opposition müsse aber nicht gegen das Recht allgemein sein, sondern nur gegen das männliche Recht, denn das Gerechtigkeitsgefühl der Frauen sei ein anderes und deshalb würden Frauen auch ein anderes Recht schaffen (Simmel 1919, S. 257).

Den Grund, dass Kultur keinen neutralen Sachgehalt sondern einen männlich geprägten hat, sieht Simmel in einer „Verwebung historischer und psychologischer Motive“ (Simmel 1919, ebd.).

- Das Sachliche in der Kultur hat sich mit jedem Entwicklungsschritt in den einzelnen Perioden vermehrt. Die Individuen werden von diesem Fortschritt immer mehr in Beschlag genommen. Und weil diese Entwicklung mehr die Dinge als die Menschen trifft, gerät das Subjektive als Privatangelegenheit in den Hintergrund und das Objektive wird immer stärker gewichtet. Dies führt dazu, dass die Kultur sich vom Menschen weg auf die Vervollkommnung und Entwicklung des Objektes ( und damit des Objektiven) ausrichtet (Simmel 1919, ebd.).

- Diese „Versachlichung der Kultur“ führt schlussendlich zur Spezialisierung und zur Arbeitsteilung: der Mensch bearbeitet nicht mehr ein ganzes Werk, sondern nur noch einzelne Teile davon. Damit kann er aber seine Persönlichkeit als Ganzes nicht mehr in ein Arbeitswerk übertragen, und dies bedeutet, dass das einzelne Subjekt aus einem Arbeitsergebnis herausgelöst ist. Das Produkt weist nur noch einen unpersönlichen Zusammenhang auf, denn es haben ja mehrere Subjekte an dessen Entstehung mitgewirkt. „Hätte in unserer Kultur nicht das Sachelement eine so entschiedene Prärogative vor dem Personalelement, so wäre die moderne Arbeitsteilung gar nicht durchzuführen, und umgekehrt, bestände diese Arbeitsteilung nicht, so könnte es nicht zu jenem objektivistischen Charakter unserer Kulturinhalte kommen“ (Simmel 1919, S. 257f.).

Enckendorff hat ebenfalls den Begriff „Kultur“ beschrieben. Sie geht dabei vom Begriffspaar „Natur – Kultur“ aus, welches mit Simmels Begriffen durchaus mit der „subjektiven und objektiven Kultur“ verglichen werden kann. Dabei fällt auf, dass Enckendorff in ihrer Begriffsbeschreibung weniger das Sachliche in den Vordergrund stellt als vielmehr das Intuitive, sprich Subjektive: „Fragt man nun, was dies Natur und Kultur eigentlich sei, so lässt sich nur schwer sagen, was deutlich unter diesen Begriffen gedacht wird, inhaltlich. Wohl aber antwortet auf diese Frage ein sehr klares Gefühl ...“ (Enckendorff 1920, S. 8). „Natur bedeutet ihrer Meinung nach das Unbewusste, Echte, Reine, die spontane Gesetzmässigkeit, die nicht erlernten Fähigkeiten, das was ein Kind schafft und seinem Alter entsprechend vollkommen ist (Enckendorff 1920, S. 7f.). „Kultur“ hingegen ist der Zustand nach dem geweckten Bewusstsein, das was prozesshaft erlernt worden ist und in diesem Zustand wiederum rein, echt, gesetzmässig und vollkommen ist (Enckendorff 1920, ebd.). Natur und Kultur bilden den „grossen Weg des Lebens“, auf dem der Mensch immer wieder nach seiner Vollkommenheit suchen muss: „das von Natur gegebene Wesen ist kein Naturwesen. ... Er ist das Wesen der Synthese Natur – Kultur“ (Enckendorff 1920, S. 18).
“... Reinheit ist die Übereinstimmung der Triebe mit dem Sinne der Welt“ (Enckendorff 1920, S. 20).
“Natur und die Einheit mit ihr im wörtlichen Sinne genommen ist diesem Wesen Mensch nur Symbol und Idee. Er darf nicht rein sein wie die Natur; das ist nicht sein Gesetz. Er soll wieder rein sein wie die Natur. Dann hat er den Weg seiner Kultur vollendet“ (Enckendorff 1920, S. 21).

Enckendorff macht keinen Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Kultur.

Weber definiert den Kulturbegriff in ihrem Aufsatz „Die besonderen Kulturaufgaben der Frau“ (Weber 1919, S. 238): „Kultur im tiefsten Sinn (bedeutet) die Vollendung der Seele durch Entfaltung aller in ihr selbst angelegten Keime und Möglichkeiten an den objektiven Geisteswerken der Menschheit“ (Weber 1919, ebd.). Simmels Definition entsprechend, unterscheidet sie eine „subjektive“ und eine „objektive“ Kultur „je nachdem, ob wir dabei an ausser uns Liegendes, an das Schaffen von Gegenständen, Ordnungen und Ideenzusammenhängen denken oder aber an die Formung des lebendigen, im steten Werden begriffenen Menschen“ (Weber 1919, ebd.). Sie betont, dass der Vollgehalt der Kulturidee erst durch das Zusammenspiel von objektiver und subjektiver Kultur verwirklicht werden könne. Sie spricht von der „Vervollkommnung des Seins durch das Objektive“ (Weber 1919, 1919, S. 130). Sie wiedergibt Simmels Begriffe, z. B.: „Er (der Mann) ist bestimmt als Schöpfer der objektiven Kultur ... Er ist ein Absolutes als Träger der Idee, sie ist ein Absolutes als Trägerin des Seins“ (Weber 1919, S. 101) und entwickelt darauf ihre Ideen weiter. Sie bemerkt: „Ein Teil der Frauen hat nun einmal den Trieb nicht nur zu sein (=subjektive Kultur), sondern auch zu leisten und zwar ein Etwas zu leisten ... und ein Teil der Frauen hat nicht nur diesen Trieb, sondern ist auch begabt mit der Kraft zu überpersönlichem Wirken und zu Objektivationen irgendwelcher Art“ (Weber 1919, S. 115). Auch in ihrer Definition von „Leistung“ kann der von Simmel formulierte Ansatz erkannt werden: „Leistung (nennen wir) dasjenige Tun, bei dem das Gewicht der sachlichen, objektiven Elemente die persönlichen Inhalte übersteigt. ... Leistung ... Art des Wirkens, die ein vom Subjekt losgelöstes Objekt: ein Ding, eine Sache hinterlässt, wie z. B. alle greifbaren Resultate geistigen Wirkens: Schriftwerke, Kunstwerke u. dgl.“ (Weber 1919, S. 126).

Bezüglich Simmels Ansicht, objektive Kultur sei männlich und er (der Mann) habe die objektiven Kulturinhalte geschaffen, hakt Weber nach und zitiert Simmel in einem anderen Artikel: „Das Frauentum muss dem männlichen Prinzip überlassen, die überpersönliche Welt zu stiften“ (Simmel, S. 334, zitiert in Weber 1919, S. 103). Weber stellt die Frage in den Raum, ob „dies nicht die Erlösung für die weibliche Gattung“ sei. „Sie (die Frau) wird damit entbunden von der Pflicht, sich in eine Welt einzustellen, für die sie viel bescheidener als der Mann ausgestattet ist ...“ (Weber 1919, S. 103f.). Dabei sieht sie zwei mögliche Interpretationen: Diese Dispensation von objektiven Aufgaben kann von den Frauen als „Befreiung von Selbstunterschätzung und männlicher Geringschätzung“ angesehen werden (Weber 1919, S. 104). Oder sie bedeutet klare Einschränkung und Bevormundung der Frau. Indem Simmel aber nicht von „Mann“ sondern von „männlichem Prinzip“ spricht, interpretiert Weber, habe er damit eine Pforte offengelassen, durch welche gewisse Frauen doch noch in die objektive Welt eingelassen werden können. Weil diese Frauen aber mit ihren Qualitäten aus dem eigentlichen Frauentum herausfallen, werden sie zum „Guthaben des ‚männlichen Prinzips’ gerechnet“ (Weber 1919, ebd.). Weber kritisiert das Einsetzen solcher „Hilfskonstruktionen“, nur um die Idee des von der „Mannheit radikal verschiedenen Frauentums“ aufrecht zuerhalten. Sie zweifelt deren Sinn und Wünschbarkeit an (Weber 1919, S. 104f.).

Inhalt

3. Das Bild der Frau aus der Sicht des Mannes

Simmel umreisst das Bild der Frau, indem er es jeweils in Bezug zum Wesen des Mannes setzt.

Eine seiner Thesen ist, dass die Arbeitsteilung dem männlichen Wesen viel mehr entspreche als dem weiblichen, denn der Mann könne „seine Kraft eher in eine einseitig festgelegte Richtung fliessen lassen, ohne seine Persönlichkeit dadurch zu gefährden“ (Simmel 1919, S. 259). Der Frau mangle es an dieser Fähigkeit, weil sie die Leistung nicht in die „Distanz der Objektivität“ stellen könne, denn ihre Peripherie sei „enger mit ihrem Zentrum verbunden, die Teile mehr mit dem Ganzen solidarisch, als in der männlichen Natur“ (Simmel 1919, ebd.). Ausserdem sei die Frau empfindlicher, verletzlicher und leichter beleidigt. Dies sei so, weil sie eine einheitlichere Natur sei und einen Angriff von Aussen häufig als auf ihre ganze Person gerichtet empfinde. „Die mangelnde Differenziertheit, die geschlossene Einheitlichkeit des seelischen Wesens lässt sozusagen keinen Angriff lokalisiert bleiben ...“ (Simmel 1919, S. 263).

Simmel vertritt auch die Ansicht, dass für den Mann das Entwicklungsprinzip eine entscheidende Macht ist, weil er das unruhige, aktive, nach „Ausser-sich“ drängende Wesen sei. Für die Frau spiele dieses Prinzip eine weniger wichtige Rolle, weil sie weniger differenziert und ein in sich geschlossenes, befriedigteres Wesen sei (Simmel 1919, ebd.).

In allen Umschreibungen der Frau benützt Simmel wertende, negative Ausdrücke (Mangel, weniger differenziert). Solche Wertungen kommen immer wieder vor. Deshalb präzisiert er, diese Ausdrücke würden eigentlich auf eine Lücke hinweisen, die aber keine sei. Die Ausdrücke würden nur gebraucht, weil „die Sprache und Begriffsbildung in der Hauptsache auf männliches Wesen eingestellt sei“ (Simmel 1919, S. 264).

Den Frauen hafte eine gewisse Unentwickeltheit an, weshalb Schopenhauer sie „zeitlebens grosse Kinder“ genannt habe. Simmel ist mit dieser Ansicht nicht einverstanden. Er widersetzt sich dem Gedanken einer Rangordnung der Entwicklung. Denn das würde bedeuten, die Frau sei erst restlos entwickelt, wenn sie das männliche Stadium erreicht habe. „Vielmehr, ein jedes Entwicklungsstadium hat in sich, als dieses bestimmte, seine Norm, an der sich der Grad seiner Vollendung misst, und rangiert diese Norm nicht ihrerseits wieder unter ein anderes Stadium, bloss weil dieses ein späteres und irgendwie verändertes ist“ (Simmel S. 259f.).

Simmel versucht also, die Frau nicht im Vergleich zum Mann zu sehen, denn dann wäre sie die „Schwächere“, die „Unentwickeltere“, er bemüht sich, ihr eine Eigenständigkeit zu verleihen: „Freilich kann hier konsequenterweise nur ein ganz radikaler Dualismus helfen: nur wenn man der weiblichen Existenz als solcher eine prinzipiell andere Basis, eine prinzipiell anders gerichtete Lebensströmung als der männlichen zuerkennt, zwei Lebenstotalitäten, jede nach einer völlig autonomen Formel erbaut – kann jene naive Verwechslung der männlichen Werte mit den Werten überhaupt weichen“ (Simmel 1919, S. 266). Dieser Dualismus wirkt sich dahin aus, dass er den Frauen Teilhabe an der objektiven Kultur zuerkennt, sofern sie „etwas leisten, was die Männer nicht können“ (Simmel 1919, S. 267).

Die tiefste Kulturbedeutung der Frau stellt für Simmel die Schönheit dar. Schönheit als die „Einheit des Inneren und des Äusseren, ...die Fähigkeit des „Für-den-anderen-da-sein, (und) dennoch immer selbstgenügsam in sich ruhen“ (Simmel 1919, S. 282). Insofern kann auch eine „verkrümmte Greisin schön“ sein – es kommt nicht nur auf das „hübsche Gesicht“ an (Simmel 1919, ebd.). Als Gegensatz dazu umschreibt er die Kulturbedeutung des Mannes als Bedeutendheit: der Mann geht aus sich heraus und leitet seine Kraft in eine Leistung ausserhalb seiner Person. „Darum muss er an einer Sache oder einer Idee, einer historischen oder Erkenntniswelt seine Bedeutung gewinnen, während die Frau in dem Sinne schön sein soll, in dem dieses ‚selig an ihm selbst’ ist“ (Simmel 1919, ebd.).Das Prinzip der Schönheit, bzw. der Bedeutendheit offenbare sich auch an der körperlichen Erscheinung: der Mann weise stärkere Muskeln auf, was Ausdruck der Kraft sei und der Körperform eine „aggressive Eckigkeit“ verleihen. Der weibliche Körper hingegen weise durch seine „Bartlosigkeit“, den „Mangel des kleinlichen und den Fluss der Linien durchbrechenden Sexualorgans“, die „gleichmässiger gerundeten Fettpolster“ viel mehr auf das Schönheitsideal hin. Zudem würden gerundete Formen die Beziehung zu einem zusammenhaltenden Zentrum und dadurch zu einer Geschlossenheit in sich anschaulich machen.

Eine weitere Charakterisierung der Frau (und des Mannes) nimmt Simmel mit dem Begriffspaar „Sein und Werden“ vor. Die Frau ist die „Seiende“, der Mann der „Werdende“ (Simmel 1919, S. 282). „Das dualistische, unruhige, der Unbestimmtheit des Werdens hingegebene Wesen des Mannes ... fordert seine Erlösung in dem objektivierten Tun“ – „Wir empfinden die Frau nicht so sehr unter der Idee des Werdens, als der des Seins – so unbestimmt und nur von fernher andeutend dieser Begriff auch sei“ (Simmel 1919, S. 286).  

Enckendorff sieht in der Geteiltheit des Mannes wenig Positives. Denn dieser sucht dauernd die Einheit der Welt, die er nicht hat. Diese findet er in der Erotik, aber sie entgleitet ihm wieder. „Es sind die Bitterkeiten, es sind die Heimatlosikgeiten seines bruchstückhaften Daseins, die ihm die Überwältigtheit geben durch die Einheit (in der Erotik)“ (Enckendorff 1920, S. 85f.).

Enckendorff zeigt auf, wie ein idealisiertes Bild der Frau entstanden ist, welches der Mann erschaffen hat und das auf der christlich feindlichen Haltung bezüglich der Geschlechtlichkeit begründet ist. Liebe und Geschlechtlichkeit sind im christlichen Glauben nicht vereinbar. Der Mann selbst erlebt sich als unvollkommen und voller Sehnsucht. Seine Sehnsucht nach vollkommener Liebe überträgt der Mann auf die Frau. So entsteht eine übermässige Idealisierung der Frau, ein sogenannter „Madonnenkult“ (Enckendorff 1920, S. 64ff.), ein erotisches Ideal, das die Frau zu unsinnlichen, körperlich unbedürftigen Wesen macht (Enckendorff 1920, S. 149). Die madonnenhafte Frau ist für den Mann ein ganz anderes, fremdes Wesen, eine „Rätselhafte, in sich gehüllt und unbegreiflich, in sich ruhend, nicht über sich hinausstrebend, verträumt. ... So mag sie die Vollendete Seele, die vollkommene sein ... Als das Wesen jener Einheitlichkeit, nimmt die Frau den Mann auf in ein Reich, in welchem sie ruht. ... Sie ist die ewig Heimatliche, er ist der ewig Zurückkehrende ... Es haftet ihr an, ihr, deren Bild doch immer von dem Bilde der Madonna abstammt, dass sie die Gewährende, die Gütige ist für ihn“ (Enckendorff 1920, S. 66ff.). Gütig sei die Frau, indem sie den Mann über seine Unvollkommenheit hinwegtröstet. Und gewähren solle sie sich dem Mann da, wo er das Leben nicht zustande bringt (Enckendorff 1920, S. 88).

Die Frau nimmt dieses Ideal der Erotik, das aus dem Madonnenbild entstammt, auf, ohne es zu verstehen, denn sie versteht auch nicht den, „der es geschaffen hat“. „von Kindheit auf umgibt es sie, dass sie ihre Bestimmung erfüllt, wenn sie das in sich Ruhende, Unverwirrte, Heilige repräsentiert“ (Enckendorff 1920, S. 106). Sie richtet sich ganz nach dem Mann aus, der ihr den einzigen Sinn in ihrem Leben gibt. Ihre Aufgabe ist es, ganz sich selbst zu sein und zu bleiben, denn sie ist die von „Natur kampflos Vollkommene“. Die Verherrlichung des Mannes ist ihr gewiss, sie muss es nur verstehen, diese mit „innerlichster Anmut anzunehmen und zu (er)tragen“ (Enckendorff 1920, S. 108f.).

In diesen Gedanken kommen Simmels Bilder der Frau ziemlich klar hervor: die Frau als das geschlossen-einheitliche Wesen, die Frau als die Vollkommene, als die Vertreterin des Schönheitsprinzips (für-den-anderen-da-seiend und in-sich-ruhend). Simmels Begriffspaar „Sein – Werden“ ist bei Enckendorff ersetzt durch das Begriffspaar „heimatlich – zurückkehrend“.

Weber würdigt bei Simmels Gedanken zum Bild der Frau, dass sein Bestreben, die Frau als ein selbständiges Wesen einzuordnen und nicht als Wesen, das nur in Beziehung zum Mann eine Bedeutung hat, dazu führt, dass er (Simmel) dadurch eine viel tiefgründigere Basis gewonnen habe als alle Denker vor ihm.

Bezüglich objektiver Arbeitsleistung, von welcher Simmel behauptet, der Mann könne seine Kraft eher in eine einseitig festgelegte Richtung fliessen lassen, ohne seine Persönlichkeit dadurch zu gefährden, hält Weber entgegen, dass auch vom Mann Opfer des ganzen Lebens gefordert würden „derart, dass für die Schönheit des Alltags, die Hingabe an das Lebendige, für die Seligkeit und Vollkommenheit des Seins keine Kraft übrig bleibt“ (Weber 1919, S. 129). Dieses Opfer werde mit der „berufsmässigen, systematischen Arbeit“ noch grösser: „Wir erleben heute, wie oft der berufstätige Mann ‚untergeht’ im Sachlichen – nicht in dem grossen Sinn des Sichopferns für ein Grosses, sondern derart, dass die Substanz seines Menschseins langsam verzehrt wird durch das unentrinnbare Zuviel täglicher Anforderungen eines Apparates, der aus seinem Geschöpf und Diener sein Herr geworden ist“ (Weber 1919, S. 130). Wenn bereits der Mann sich entweder für die Werkvollendung oder die Seinsvollendung entscheiden müsse, umso viel mehr stehe die Frau dauernd im Widerstreit zum Objektiven, denn es sei ihre Bestimmung, „Sein und Wirken in Einklang zu bringen“ (Weber 1919, S.129).

Aus Simmels Gedanken, die Frau sei als Geschlechtswesen ein in sich Bestimmtes, für sich Seiendes und sie vergesse ihr Frausein nie, hingegen vergesse der Mann seine Geschlechtsbestimmung, wenn er in die Welt der Objektiven eintrete, folgert Weber: „die Geschlechtsbestimmtheit ist für die Frau gerade als Geisteswesen von fundamentaler, für den Mann nur von nebensächlicher Bedeutung“ (Weber 1919, S. 100). Wenn Simmel vom Dualismus des Mannes – infolge Spaltung von Sein und Idee – spricht, hält Weber entgegen, dass die zu objektivem Tun veranlagte Frau gleich einen zweifachen Dualismus zu bewältigen habe: „zwischen ihrer individuellen Vollendung und ihrer Bewährung am Objektiven einerseits, und zwischen dieser letzteren und der Erfüllung ihrer gattungsmässigen Sonderaufgaben andererseits“ (Weber 1919, S. 117).

Zu Simmels radikalem Dualismus, der der Frau eine Eigenständigkeit ermöglichen soll, meint Weber, er (Simmel) lasse die Frau damit als Absolutes neben dem Mann gelten, aber nicht als Mensch, sondern als Weib, „nur solange sie das vom Manne Verschiedene repräsentiert, ist ihre metaphysische Selbständigkeit neben ihm gesichert“ (Weber 1919, S. 102). Und mit dieser Einschränkung taucht das traditionelle Frauenideal auf: die Frau soll das verwirklichen, was für den Mann am schwierigsten ist. „Das vom Mann gebildete Ideal spezifisch weiblicher Vollkommenheit erstrahlt immer auf dem Hintergrund männlicher Bedürftigkeit“ (Weber 1919, S. 103).

Was die Schönheit betrifft, so ist Weber ebenfalls der Ansicht, dass die „schöne Seele, das schöne Bild einer Geschlossenheit und Harmonie des Wesens“ die „höchste Vollendung des spezifisch Weiblichen“ sein mag. Und diese Schönheit könne sich auch ohne Umweg über die objektive Kultur entfalten. Aber der andere Weg gehe über das Ringen um Vollendung des Seins in der Aussenwelt; und diese Schönheit sei entstanden aus der bewusst erarbeiteten „Harmonisierung eines kulturerfüllten Seins“ (Weber 1919, S. 113f.).

Simmels Begriffspaar „Sein – Werden“ ist bei Weber ersetzt durch das Begriffspaar „Sein – Idee“.

Inhalt

4. Von den Fähigkeiten der Frauen – oder was Frauen können dürfen

Nachdem Simmel anhand mehrerer Facetten dargelegt hat, warum Kultur männlich ist – und dies sogar in einer doppelten Art: durch die arbeitsteilige Form und durch die männlich geprägte Rhythmik und Intention der Berufe – und dass die Frau, die dem Mann nacheifern will, nur ein unbedeutender Schatten des Mannes wird, wendet er sich den Möglichkeiten zu, in denen sich seiner Ansicht nach die Frau profilieren könnte, weil sie damit Lücken des Mannes ausfüllt (Simmel 1919, S. 269).

Weibliche Schöpfungsbereiche innerhalb der allgemeinen Kulturgebiete liegen in der Wissenschaft und in der Kunst. Simmel erwähnt folgende Tätigkeitsbereiche:

Arzt: Die Frau vermag den Zustand des Patienten intuitiv besser nachfühlen, was für Diagnose und Therapie sehr wichtig ist. Dieses Nachfühlen liegt instinkthaft und unbewusst im Wesen der Frau. Eine Frau versteht die Frau als Patientin zudem besser, weil sie vom gleichen Geschlecht ist und Frauen vertrauen sich Frauen gegenüber leichter an. Besonders Frauen aus der Unterschicht sind auf ein intuitives Verstandenwerden angewiesen, können sie sich doch allgemein schlechter ausdrücken. (Simmel 1919, S. 270f.)

Geschichte: Frauen könnten mit ihren spezifisch weiblichen Funktionen – die weiblichen Seelen seien besondere Wahrnehmungs-, Nachfühlungs- und Konstruktionsorgane – die Geschichte bereichern. Wenn nur rein photographisches Wissen in der Geschichte aneinandergereiht würde, entstehe daraus nur ein zusammenhangsloser Haufen von Wissen. Erst die Intuition, die Kombination, die Wahrnehmung erwirke ein ganzes Bild aus dem „Verständnis dunkler Volksbewegungen, aus uneingestandenen Motivierungen in Persönlichkeiten und aus dem Entziffern von Schriften“ (Simmel 1919, S. 271ff.).

In der höchsten und niedrigsten Stufe der Entwicklung wiederholt sich die Form und steht jenseits von männlich und weiblich. Dies trifft auf den Volksgesang zu (als die niedrigste Stufe) und auf die Mathematik (als die höchste, abstrakteste Stufe).

Mathematik: Diese steht demnach hinter der psychologischen Unterschiedlichkeit der Geschlechter (die Volksliederproduktion davor). Gerade weil die absolute Abstraktheit der Mathematik von geschlechtsspezifischer Wertung losgelöst ist, haben Frauen darin die bedeutendsten Leistungen erzielt (Simmel 1919, S. 276).

Im Volksgesang sind Frauen den Männern ebenbürtig, was Produktivität und Originalität betrifft. Simmel erklärt es dadurch, dass „... bei noch unterentwickelter Kultur, bei noch fehlender Objektivation des Geistes keine Gelegenheit zu der hier fraglichen Diskrepanz (zwischen Weiblich und männlich) ist“ (Simmel 1919, S. 275f.). In primitiven Kulturen sind also die männlichen Normen weniger differenziert und daher dem weiblichen Wesen ähnlicher.

Auf dem Gebiet der Kunst sieht Simmel bereits gewisse eigenständige weibliche Objektivierungsansätze (Simmel 1919, S. 274).

Literatur: Simmel räumt ein, dass die Bildung eines spezifischen weiblichen lyrischen Stils im Entstehen ist, vor allem von Frauen, die nicht den sklavenhaften Ehrgeiz haben, zu schreiben „wie ein Mann“, und die sich nicht hinter einem männlichen Pseudonym verbergen. Allerdings sind die allgemeinen Formen der Dichtung männliche Produkte und diese könnten im Widerspruch zum weiblichen Inhalt sein. Denn die überlieferte Form der Lyrik und des Dramas (Form hier: Wortschatz, Gefühlsbezirk) verlangen ein gewisses Mass an Offenbarung des Seelischen. Dieses „Sich Enthüllen und Verhüllen“ ist auf das männliche Mass eingestellt. In der weiblichen Psyche ist dieses Mass anders eingestellt. Deshalb neigt die weibliche Dichtung sowohl zu Fadheit als auch zu verletzender Schamlosigkeit (Simmel 1919, S. 274f.). Der Roman wiederum scheint für das weibliche Schaffen geeignet zu sein, da er flexiblere Formen aufweist als die Lyrik und das Drama (Simmel 1919, S. 275).

Anschauungskünste: Diese sind nicht mehr an das Wort gebunden und dürften der weiblichen Ausprägung noch besser entsprechen. „Die teils unmittelbarere, teils reserviertere Art, mit der das Innenleben der Frauen in die Sichtbarkeit tritt, ihre besondere anatomisch und physiologisch bestimmte Art, sich zu bewegen, das Verhältnis zum Raum, das aus dem eigentümlichen Tempo, der Weite und der Formung ihrer Gesten hervorgehen muss - dies alles müsste von ihnen in den Künsten der Räumlichkeil eine besondere Deutung und Gestaltung der Erscheinungen erwarten lassen.“ (Simmel 1919, S. 277). Bildende Kunst ist abhängig

  • vom Verhältnis Physe – Psyche

  • von der Umsetzungsart der seelischen Bewegungen in körperliche Bewegungen

  • von Innervationsempfindungen und

  • vom Rhythmus des Blickens und Tastens.

Die besonderen Fähigkeiten der Frau liegen genau in diesen Bereichen und dies kommt vor allem in den raumbildenden Künsten zum Zug. „Wenn es für die theoretische Erkenntnis richtig ist, dass der Raum in der Seele ist, so zeigt die Geste, dass die Seele im Raum ist“. Die Gebärde sei Ausdruck des Seelischen – nicht blosse Körperbewegung – und dies sei eine wichtige Voraussetzung für die Kunst (Simmel 1919, ebd.).

Tanz: Die innere Rhythmik der Frau habe sich von jeher besonders im Tanz objektiviert: Simmel ist der Ansicht, dass die Frau ein anderes Verhältnis zum Raum hat als der Mann und dass dies einerseits überhistorisch begründet sei, in der physisch-psychischen Eigenart der Frau, andererseits aus der historischen Beschränkung auf das Haus; „Die Gesten eines Menschen sind davon abhängig, in welchen Räumen er sich zu bewegen pflegt“ (Simmel 1919, S. 278). Obwohl die Frau sich nur begrenzt in ihren vier Wänden bewegen könne, trage sie davon keinen Nachteil, sondern entfalte noch eine spezifische Anmut in der Art eines „geschlossenen, reibungslos gleitenden und ruhig ausgeglichenen Wesens“. Dies sei möglich, weil die Frau sich ständig in Räumen bewege, in denen sie nichts mehr zu erobern habe. Dem Mann, der ausserhalb tätig ist und sich in wechselnden Räumen befindet, fehle diese Beherrschung der Räume (Simmel 1919, ebd.).

Schauspielkunst: Besonders hier zeigt sich nach Simmel eine spezifisch weibliche Leistung, weil hier das Objektive und das Subjektive, die Leistung und die „Totalität der Persönlichkeit“ eng miteinander verbunden sind. Die Schauspielkunst ermöglicht das Realisieren aller Teile zu gleicher Zeit und am gleichen Ort. Die Kategorien von Werden und Sein harmonieren in einer besonderen Art, gewichten sich aber je nach Situation unterschiedlich. Und genau dort, wo das Sein (sozusagen der Querschnitt durch das stetig sich vollziehende Schicksal) stärker gewichtet ist, kann sich die Leistung dem weiblichen Wesen anpassen, erfüllt sich „... jene objektive Kulturforderung an die Frau: zu leisten, was der Mann nicht kann“ (Simmel 1919, S. 278ff).

Für Simmel gibt es aber eigentlich nur einen Bereich, der als weibliche Leistung im grossen Stile kulturschöpferisch ist: die Hausarbeit. Das Haus spielt eine kategoriale Doppelrolle, es ist Teil und Ganzes, Lebensmoment der Teilnehmer und Gestaltung des gesamten Lebensinhaltes, es formt zum Leben aus einzelnen personalen, religiösen, geschäftlichen und geistigen Interessen, die im Haus angeboten werden und bildet Einflüsse von Aussen ab. Das Haus ist ein objektives Gebilde, durch die Rhythmik des weiblichen Wesens geprägt. Das Haus formt Dauerwerte durch Einwirkungen, Erinnerungen und Lebensorganisation, mehr als es die objektive Kulturleistung des Mannes tun könnte. Die Struktur des Hauses führt in einer „einzigartigen Geschlossenheit alle Linien des kulturellen Kosmos zusammen (Simmel 1919, S. 284ff).

Der Hausfrauenberuf gehört zur Kulturkategorie der sekundären Originalität, das heisst, er ist ein „mittleres Gebilde zwischen der Produktion aus dem Urschöpferischen Ich heraus und der blossen Wiederholung vorgezeichneter Betätigungsformen“. Er ist der einzige Beruf für Frauen, der keine spezielle Begabung erfordert und doch nicht subaltern ist. Auch bei den Männern gibt es solche Berufe, z. B. kaufmännische oder juristische Berufe (Simmel 1919, S. 291f.).

Enckendorff macht sich nicht Gedanken über mögliche Tätigkeitsbereiche der Frauen. Sie geht von der aktuellen Situation aus und stellt fest, dass das „Frauenschicksal ein wohlverdientes Schicksal“ sei. „Man hört viel von ihrer durch die Jahrtausende gehenden Unterdrückung. Man hört wenig von ihrer durch die Jahrtausenden gehenden Schuld“ (Enckendorff 1920, S. 127). Die Schuld sei die, dass die Frauen nicht hätten mitbauen wollen an dem „grossen Wege von Natur zu Kultur“ (Enckendorff 1920, S. 128). Der Mann sei aus dem Paradies gegangen und habe die Herausforderung, an einer neuen Welt zu schaffen, angenommen. Er habe den Staat, das Recht, die Sitte, die Kunst, die Religion und die Wissenschaft gemacht. Die Frau sei sitzengeblieben an der Paradiesschwelle und sehne sich nach diesem Paradies zurück. In ihrem Gemüt sei etwas von jener Einheit zurückgeblieben, aber um den Preis, nicht mehr vorwärts zu kommen. Durch ihr Verhalten habe sie die Eigenverantwortung an den Mann abgetreten. Sie hänge sich dieser Männerwelt an. Ihre Lebenserfüllung sehe sie im Dienen an jenen, die um Lebenserfüllung ringen, aber sie wolle dafür keine Verantwortung tragen (Enckendorff 1920, S. 128ff.). „Es hat nicht in der geringeren körperlichen Kraft das Verhängnis der Frau gelegen, nicht in Stunden der Wehrlosigkeit, wenn sie gebar. Das Verhängnis der Frau war, dass sie meinte, es tue gut, sich das Leben abnehmen zu lassen“ (Enckendorff 1920, S. 134). „Die Männerwelt hat dieser Frau, die den Kampf nicht will, das Leben im Hause zugewiesen, den engen Kreisgang von Pflichten, die sie nicht über sich hinausführen, mit denen die Stagnation gegeben ist“ (Enckendorff 1920, S. 140). Und weil die Frau keine eigene Weltanschauung anstrebt, hat der Mann ihr Schranken durch Institution und Sitte auferlegt, welche sie vieler Möglichkeiten beschneiden (Enckendorff 1920, S. 140f.). „Die metaphysische Schuld ist da bei den Frauen – sie vererbt sich von Geschlecht zu Geschlecht. ... eine jede sündigt ... als Gattungswesen; als Person ... ist sie schuldlos“ (Enckendorff 1920, S. 143f.).

Enckendorff entwickelt hier ein mystisches Bild von der schuldigen Frau. Sie äussert sich aber nicht zur Frage, inwiefern die Frau sich hätte beteiligen können/müssen, als die Welt neu gestaltet werden musste.

Weber macht sich wie Simmel Gedanken zu den eigentlich möglichen Tätigkeitsbereichen der Frauen. In ihrem Aufsatz „Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft (1904)“ beschreibt sie praktisch dieselben akademischen Berufe, die Simmel auch erwähnt hat: Ärztin, akademisch gebildete Lehrerin, Mathematikerin, Geschichtswissenschafterin. Aber sie kommt noch auf andere Berufe, von denen Simmel behauptet, sie seien typisch männlich geprägt: Rechtswissenschafterin, Theologin und Beamtin (Weber 1919, S. 1ff.).

Obwohl Frauen höhere Stufen intellektueller Schulung erreicht hätten, sich als Assistentinnen in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Bereichen bewährt hätten und sogar akademische Lehrbeauftragte geworden seien, bleibe die eine Frage bestehen: „ob die Frau fähig ist, auch zur Vermehrung der wissenschaftlichen Kultur und des Erkenntnisschatzes in irgendeiner Weise Einzigartiges und Unersetzliches beizutragen“ (Weber 1919, S. 1). Im geschichtlichen Rückblick findet sie heraus, dass die Frauen im Allgemeinen in ihren produktiven Leistungen unermesslich weit hinter den Männern zurückliegen. Die Männer haben objektive Leistungen in Form von selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten erbracht. Wenn Frauen geschrieben haben, dann blieben ihre Arbeiten in übernommenen Gleisen. Sie waren diejenigen, die das als Wahr erkannte gelebt und weitergegeben haben. „Dadurch verliehen sie der Wissenschaft die Blutwärme lebendigen Fühlens“ (Weber 1919, S. 2). Weber äussert die Vermutung, dass die Frau nicht unbedingt geschaffen ist, den objektiven Kosmos unseres Wissens zu fördern, sondern ihr Stärke richte sich viel mehr an allem Persönlich-Menschlichen aus, nicht an den Objekten. Ihre Fähigkeit sei, das an ihr und an anderen Erlebte und den Zusammenhang mit anderen Ereignissen scharfsinnig zu erforschen. „Ihre intensive Teilnahme an dem Wollen lebendiger Menschen lässt sie nun vielleicht stärker als der Mann das Bedürfnis empfinden, die aus Erkenntnissen gewonnenen Überzeugungen wieder in die Wirklichkeit hineinzutragen, dem Wissen durch Handeln lebendige Wirksamkeit zu verleihen“ (Weber 1919, S. 7). Dadurch dass die Wissenschaft sich zu spezialisieren begann, wuchs die Wissensmenge in unermessliche Berge, welche von keinem menschlichen Geiste mehr als Gesamtes aufgenommen werden kann. Dadurch sei die Wissenschaft lebensfremd und ungreifbar geworden. (Weber 1919, S. 8). „Die seelische Eigenart der Frau: ihre grössere Unteilbarkeit und innere Einheit, die sie treibt, ihr fachliches Schaffen immer in irgendeiner Weise mit ihrem Gesamtsein in Einklang zu bringen, lässt uns hoffen, dass ihr die Verwertung der Erkenntnis zum Aufbau ihres geistigen und sittlichen Selbst leichter gelingen als dem Manne, der es versteht, sein persönliches Leben ganz von der Sache, die er schafft, zu sondern“ (Weber 1919, S. 8f). Diese Schaffensart bringe Kulturgüter hervor, die zwar irdisch vergänglicher seien als objektive Kulturwerke, die aber zu den Höchsten und Besten gehörten, die ein Individuum überhaupt hervorbringen könne, denn sie verhindere, dass das enorm grosse, nicht mehr zu beherrschende Wissen der Geisteskultur in „Erstarrung und „blossem Fachmenschentum“ ende (Weber 1919, S. 9).

In ihrem Aufsatz „Die Frau und die objektive Kultur (1913)“ kommt Weber wie in ihrem oben erwähnte Aufsatz auf die gleichen Schaffensbereiche, welche sie für die Frau als geeignet erachtet. Zuerst hält sie aber fest, dass die Frau im objektiven Kulturbereich sowohl quantitativ als auch qualitativ nie Höchstleistungen wird erbringen können. Einerseits liegt der Grund darin, dass sie ihre Lebenskräfte auf verschiedene Bereiche aufteilen muss: als Gattungswesen ist sie zur Mutterschaft vorgesehen, als Frau strebt sie individuelle Vollendung an, was bewirkt, dass sie dauernd im Konfliktfeld zwischen Sein und Wirken (oder subjektiver und objektiver Kultur) steht (Weber 1919, S. 117ff.). Dies soll aber ihren Schaffenstrieb nicht hemmen. Dadurch, dass die Frau Sein und Wirken in Einklang zu bringen bestrebt ist, scheint sie prädestiniert zu sein, sich als Mittlerin zwischen Objekt und Subjekt, zwischen lebensentrückten ewigen Werken und dem praktischen Leben zu betätigen. Ihre Aufgabe scheint es zu sein, die geistige Entfaltung der Menschen zu aktivieren. (Weber 1919, S. 129f.)

Zur Hausfrauenarbeit meint Weber, es sei gewiss für den grösseren Teil der Frauen ein angemessenes Tätigkeitsfeld. Es dürfe aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass es für sehr viele Frauen auch Opfer und Verzicht bedeute, weil sie durch die Bedürfnisse anderer Personen bestimmt würden, weil ihre Resultate sofort in den Fluten des Alltags versinken, weil ihre Arbeit keine objektive Leistung, kein sachliches Etwas hervorbringt (Weber 1919, S. 112).

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5. Die neuen Bedürfnisse der Frau – oder Zukunftsperspektiven der Frau

Aus der geschichtlichen Entwicklung heraus betrachtet, erachtet Simmel es als schwierig, eine Prognose für die weibliche Kultur zu stellen. Denn eine objektive weibliche Kultur kann ja nur in jenen Bereichen des Lebens entstehen, in denen die Männer keine Leistung erbringen können. Wenn die erstrebte Bewegungsfreiheit der Frauen zu einer Objektivierung des weiblichen Wesens führt – und nicht nur Kopie der männlichen Kultur wird – dann wäre ein neuer Kulturteil entdeckt. Es wäre ein selbständiges Weibtum und kein selbständiges Menschentum (wie die Frauenbewegung es nennt), denn historisch gilt Mann = Mensch und folglich Menschentum = Männertum (Simmel 1919, S. 292).

Wenn das Endziel Gleichheit für Frauen und Männer sein soll, dann nur in dem Sinne von selbständigem Weibtum. Sonst würde Gleichheit dazu verleiten, alles gleichzumachen: Erziehung, Rechte, Berufe, Verhalten. Eine solche Gleichmacherei versteht Simmel nur als eine extreme Position – als Gegenreaktion darauf, dass die Frauen so lange Ungleichheit in Position und Leistung erfahren haben – und als Übergang zu einer neuen Synthese: eine objektive Kultur mit der Nuance des Weiblichen bereichert. Allerdings sieht Simmel ein formales Problem darin, dass das spezifisch weibliche Sein ein Widerspruch zur Objektivation seiner Inhalte ist und dass durch die Objektivierung den Frauen ein männlich geprägtes Leistungskriterium überstülpt werden könnte, das ihrem Wesen nicht entspricht (Simmel 1919, S. 293). Objektive Kultur könnte für das weibliche Wesen schlussendlich zu heterogen sein, und eine objektive weibliche Kultur wäre dann ein Widerspruch in sich. Und es könnte ja auch sein, dass die Entwicklung einer objektiven weiblichen Kultur nicht durch äussere Faktoren verhindert worden ist, sondern rein durch eine Diskrepanz zwischen der „Form des weiblichen Wesens und der der objektiven Kultur überhaupt“ (Simmel 1919, S. 294). Es gibt wohl einzelne objektive weibliche Kulturschöpfungen – das klarste Beispiel ist das Haus, nach Simmel die einzige weibliche Kulturleistung –, aber damit ist die Objektivierung der weiblichen Kulturschöpfung noch nicht allgemein bestätigt.

Simmel sieht im radikalen Dualismus die einzige Möglichkeit, die Deklassierung der Frauen zu verhindern und ihnen ein Aufgehen in einer autonomen Welt mit einem ganz anderen Hintergrund zu ermöglichen. Gleichmacherei ist für ihn keine Lösung. „Der Sinn dieser ginge nun nicht mehr auf eine Äquivalenz innerhalb der allgemeinen Form objektiver Kultur, sondern auf eine solche zweier ganz verschieden rhythmisierter Existenzarten, deren eine, die dualistische, auf Werden, Wissen und Wollen gerichtet ist und damit ihre Lebensinhalte aus dem Lebensprozess heraus in eine Kulturwelt objektiviert; während die andere jenseits der so subjektiv angelegten und der so objektiv entwickelten Zweiheit steht, und deshalb ihre Lebensinhalte nicht in eine gleichsam ihr äussere Form hineinleben, sondern für sie eine nach innen gewandte Perfektion suchen müsste“ (Simmel 1919, S. 295).

Enckendorff sieht die Befreiung der Frau aus ihrer bisherigen abhängigen Lage vom Mann einerseits darin, dass sie zu neuem Denken und Bewusstsein erwacht, dass sie sich das ihr eigene Ideal der Erotik aneignet, dass sie auch in der Sexualität „ganz sich selbst gehört und niemals dem anderen“ (Enckendorff 1920, S. 93). Wenn sie beginnt, sich auf sich selbst und ihre Bedürfnisse zu besinnen, wendet sie sich zurück zur Natur, geht sie zurück auf ihre Ursprünge (Enckendorff 1920, S. 113f.). Sie ist dann nicht mehr Abbild der männlichen Vorstellungen sondern eigenständiges Wesen. So kann sie auch über ihr Verhalten, ihre Liebe dem Mann gegenüber selbst bestimmen. „Ihre Liebe ist ein dargebotenes Königreich, in das sie berufen kann, oder das sie für sich verschliesst. Sie gehört nicht dem Manne. Sie ist nicht, die sich nehmen lässt, sie ist die Freie, sie ist nicht Besitz. ... Sie trägt des Mannes Kinder, nicht, weil sie sich hat erbitten lassen; ... Sie trägt sie, weil sie sie tragen will“ (Enckendorff 1920, S. 114).

Andererseits sieht Enckendorff die Notwendigkeit, dass die Frau sich von der Schuld ihre Gattung befreit (passive Lebenshaltung, Delegation der Verantwortung ihres Lebens an den Mann) und beginnt, Selbstverantwortung für ihr Leben zu übernehmen (Enckendorff 1920, S. 135f.). Dazu gebe es keine Richtlinien, „es ist einzig wichtig, dass sie das, was sie tut, als anderer Mensch tut – ob es das ist, was sie immer tat oder etwas Neues“ (Enckendorff 1920, S. 136).

Enckendorff stellt fest, dass die Frauen anfangen, sich frei zu machen. Sie beginnen gegen das männlich konstruierte erotische Ideal zu opponieren und fordern für sich „berechtigte, natürliche Sinnlichkeit“. Damit setzen sie ihre sinnlichen Bedürfnisse denen des Mannes gleich. Dies ist der erste Schritt zur Befreiung des weiblichen Seins aus der Abhängigkeit des Mannes. Auch wenn dieser Emanzipationsschritt nicht zur endgültigen Befreiung führt, setzt er wenigstens ein „Negationszeichen vor die männliche Forderung. (Denn) die Frauen müssen da ansetzen, wo sie stehen“ (Enckendorff 1920, S. 150). Enckendorff schliesst mit der Aufforderung, dass „Der einzig sittliche Weg für die Frau – und für das Geschlechtswesen Frau – der Kampf um ein selbständiges Menschentum (ist)“ (Enckendorff 1920, S. 154).

Trotz Simmels Definition, Menschentum sei Männertum, deshalb müsse der neue weibliche Kulturbereich „Weibtum“ genannt werden, benutzt Enckendorff den Ausdruck „Menschentum“.

Weber anerkennt Simmels Gedanken, dass die Frau innerhalb der objektiven Kultur eigene Wirkungsbereiche finden soll, dies sei auch „für die modernen Frauen ausserordentlich fruchtbar“ (Weber 1919, S. 107). Sie geht auch ganz mit Simmel einig, dass die Frau in diesen Bereichen fähig ist, Lücken zu füllen, die der Mann durch seine ausgeprägte Sachlichkeit hinterlässt. „ ... dass die Frau gewisse ... höhere Berufe ... mit einem eigenartigen Charisma zu beseelen vermag“ (Weber 1919, ebd.). Sie glaubt aber, dass es besonders im Bereich der sekundären Originalität für die Frauen eine Genugtuung ist, wenn sie ein Etwas schaffen kann (Weber 1919, S. 108). Gerade dieses Schaffen an einem Sachlichen werde von zahllosen Frauen als Weg angesehen, „um über sich selbst hinauszukommen“, um zur „inneren Harmonie“ zu finden (Weber 1919, S. 114). Als Quintessenz von Webers Aufsatz erachtet Ulmi Webers Ausspruch über den Trieb der Frauen, „nicht nur zu sein, sondern auch zu leisten“ (Ulmi, S. 126 und Weber, S. 115). „Und ein Teil hat nicht nur diesen Trieb, sondern ist auch begabt, mit der Kraft zu überpersönlichem Wirken und zu Objektivationen irgendwelcher Art. Die Unterbindung solcher Fähigkeiten wird meist mit innerer Qual, mit dem Gefühl der Verkümmerung vitaler Kräfte bezahlt“ (Weber 1919, ebd.). Die meisten Frauen streben zwar ausschliesslich die Entwicklung ihrer weiblichen Gattungsbestimmung an, aber der fortschreitende Kulturprozess hat ebenfalls die Frauen erfasst und in ihnen das Bedürfnis geweckt, ihren Wirkungsbereich auch ausserhäuslich auszudehnen (Weber 1919, S. 115f.). Zudem gehen immer mehr Frauen, durch äussere Not gedrungen oder weil die Hausarbeit die Frauen nicht mehr restlos zu erfüllen vermag, ausserhäuslichen Arbeiten nach. Aus diesen beiden Gründen erachtet Weber es als eine grundlegende Pflicht der Zeit, für diese Frauen geeignete Arbeitsbereiche zu finden oder zu schaffen. Dies sei allerdings erst möglich, wenn die Hoffnung, die Frauen wieder ganz in den häuslichen Bereich zurückzugewinnen, ganz begraben werde (Weber 1919, S. 118). Als wichtige Aufgabe erachtet Weber deshalb „die Vereinbarkeit weiblichen Lebens mit sachlichem Tun“ (Weber 1919, S. 119). Einen Ansatz sieht sie in der Tätigkeit des Dienens und der Leistung, letztere vor allem im künstlerischen und wissenschaftlichen Bereich. Dienst, verstanden als „Tätigkeit, deren wesentlicher Inhalt nicht die Entstehung irgendeines Objektes ist, sondern das dem Lebendigen dient, am Lebendigen geschieht“ (Weber 1919, S. 124); zur Definition von Leistung siehe unter Kapitel 2. Die Diensttätigkeit ermöglicht der Frau, über das bloss weibliche Wirken hinaus in das Objektive zu gelangen. In der Leistung kann die Frau ihre Fähigkeiten dahingehend nutzen, dass sie die „Ideale und Wertvorstellungen ... auf das Leben bezieht, auf dessen Formung ausgeht (und dadurch) die objektive Kultur in subjektive zurückverwandelt“ (Weber 1919, S. 129).

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6. Zusammenfassung

In einer kurzen Übersicht sollen die Kernpunkte der Ansichten dieser drei AutorInnen aufgeführt werden.

Kernpunkte von Georg Simmel:

  • Simmel arbeitet mit den Begriffen objektive und subjektive Kultur. Objektive Kultur – als das Geformte, das Sachliche – hat eine klare männliche Prägung. Die immer stärkere Gewichtung auf die objektive Kultur hat zur Arbeitsteilung geführt.

  • Simmels Bild der Frau entsteht aus dem Vergleich mit dem Wesen des Mannes. Die Frau ist das einheitliche Wesen. Sie verbindet das Innen (Subjektive) und das Aussen (die Welt) zu einer Einheit. Wird die Frau mit dem Mann verglichen, ist sie das schwächere, unentwickeltere Wesen. Die Frau verkörpert Kultur durch Schönheit, der Mann durch Bedeutendheit.

  • Simmel definiert die Teilhabe der Frau an der objektiven Kultur durch die Arbeit und weist ihr Tätigkeiten zu in Gebieten, in denen der Mann Lücken aufweist. Mögliche akademische Tätigkeitsgebiete für die Frau sind Medizin, Geschichte und Mathematik. Andere Tätigkeitsgebiete liegen im künstlerischen Bereich. Der eindeutigste Wirkungsbereich der Frau ist die Hausarbeit. Sie erfüllt am ehesten die Bedürfnisse der Frau nach Harmonie.

  • Eine Prognose für die Zukunftsperspektiven der weiblichen Kultur zu erstellen findet Simmel schwierig, denn die Frauen können ihren selbständigen Kulturteil – das selbständige Weibtum – nur in den Bereichen finden, in denen die Männer keine Leistung erbringen. Das selbständige Weibtum, als Synthese gesehen, beinhaltet eine objektive Kultur mit der Nuance des Weiblichen bereichert. Ob Objektivierung den Frauen wirklich entspricht, bleibt dahingestellt. Weibliche Eigenständigkeit und Vermeidung von Deklassierung ist nur möglich durch eine radikale Trennung zwischen weiblichem und männlichem Wesen.

Kernpunkte von Marianne Weber:

  • Weber arbeitet ebenfalls mit den Begriffen der objektiven und der subjektiven Kultur. Objektive Kultur als das, was ausserhalb des Menschen entsteht, Subjektive Kultur als die Formung des Menschen. Der Vollgehalt der Kultur ist erst durch das Zusammenspiel des objektiven und des subjektiven Anteils möglich. Wenn das Abgrenzen des Frauentums (nach Simmel Weibtum) von der männlichen Kultur nur durch künstliche Konstruktionen, aufrechterhalten werden kann, dann zweifelt Weber an dessen Sinn.

  • Webers Bild der Frau: Die Frau ist auch für Weber ein einheitlicheres Wesen als der Mann. Sie strebt immer wieder nach Vollendung ihres Seins. Sie steht stärker unter dem Einfluss der aufgespaltenen Welt, muss sie doch immer wieder eine Balance finden zwischen ihrer Seinsvollendung, dem objektiven Wirkungsbereich und ihrer gattungsmässigen Bestimmung. Schönheit ist auch für Weber eine weibliche Kulturverkörperung, allerdings weniger aus dem Natürlichen entstehend, sondern viel mehr als Resultat des Ringens um Seinsvollendung.

  • Nach Weber sind mögliche objektive Kulturtätigkeiten der Frau ebenfalls in akademischen Berufen zu finden. Allerdings trägt die Frau dort bedeutend weniger zur Vermehrung der wissenschaftlichen Erkenntnis bei als der Mann. Ihre Stärke ist es jedoch, vorhandene Erkenntnisse in einen Zusammenhang zu bringen und das abstrakte Wissenschaftswissen in eine lebensnahe Form umzusetzen.

  • Die Zukunftsperspektiven sind für Weber weniger problematisch. Einerseits ist die Aufforderung an die Frau, vom Mann gesonderte Wirkbereiche zu finden, ein fruchtbare Herausforderung. Andererseits finden Frauen genau wie Männer ihre Befriedigung durch das Schaffen von objektiven Werten, denn Frauen sind durch den kulturellen Fortschritt ermuntert worden, ihr Hausfrauendasein auf Tätigkeiten im ausserhäuslichen Bereich zu erweitern. Weber sieht in den Bereichen Dienstleistung und Leistung ideale Tätigkeitsbereiche, vereinen sie doch das weibliche Sein mit sachlichem Tun.

Kernpunkte von Marie-Luise Enckendorff:

  • Enckendorff benutzt das Begriffspaar „Natur – Kultur“. Natur ist das Spontane, Unbewusste, Kultur ist das prozesshaft Erlernte, Bewusste. Der Mensch ist kein Naturwesen, er ist die Synthese Natur-Kultur. Durch den Prozess der Bewusstwerdung gelangt er wieder zu einem reinen Zustand.

  • Das Bild der Frau: Enckendorff zeichnet eine Frau, die durch Religion und Institution idealisiert worden ist, der jegliche Bedürfnisse abgesprochen werden, weil sie ja von Natur aus vollkommen ist. Ihre Vollkommenheit soll sie dem Mann in aller Anmut zuteil werden lassen.

  • Nach Enckendorff hat die Frau es selbst verschuldet, dass ihr Tätigkeitsbereich auf das Hausfrauendasein eingeschränkt worden ist. Sie habe sich zeitlebens passiv an den vorwärtsstrebenden Mann gehängt und sei von ihm abhängig geworden. Auch ihre Eigenverantwortung habe sie an den Mann abgetreten.

  • Die Zukunftsperspektiven liegen in der Befreiung der Frau aus ihrer passiven, abhängigen Situation. Erst wenn sie Selbstverantwortung für ihr Dasein übernimmt und zu neuem Denken und Bewusstsein erwacht, kann sie über ihr Leben frei verfügen und befreit sich aus der männlichen Bevormundung

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7. Persönliche Erkenntnisse

Das Vergleichen der Ansichten Simmels mit denen von zwei ihm nahestehenden Frauen und Zeitgenossinnen war eine sinnvolle Ergänzung und Bereicherung, konnte doch einiges an Simmels komplexen, unklaren Aussagen geklärt und zum Teil als der Zeitströmung erkannt und eingeordnet werden.

So hat Simmel z. B. die Begriffe Mann und Frau unterschiedlich behandelt: Der Mann definiert sich durch seine gesellschaftliche Stellung und nicht über sein Geschlecht. Das Gattungsmässige fällt bei der Frau stärker mit dem Persönlichen zusammen. Deshalb ist sie durch einen ausgeprägteren Geschlechtscharakter definiert.
Aber auch Weber hat das getan: Der Begriff „Mann“ schliesst übergeschlechtliche Qualitäten ein. Der Begriff „Frau“ ist durch die geschlechtliche Besonderheit definiert.

Indem Simmel die Frau als Vollkommenheit, Ganzheit und in sich ruhend darstellt, überhöht er sie masslos und spricht ihr damit jede Fähigkeit ab, weniger als vollkommen zu sein.
Enckendorff hat genau dieses Bild der Frau rekonstruiert, stellt aber auch die These auf, dass die Frau in der Vorvergangenheit einen grossen Teil selbst verschuldet hat, nicht als Einzelperson, sondern als Gattungswesen.

Simmel benützt aufwendige Erklärungen, um genau zum traditionellen Ergebnis zu kommen: die Frau gehört an den Herd und ins Haus. Die wenigen Zugeständnisse, die er in beruflichen Belangen den Frauen macht, sind doch sehr elitär.
Weber kritisiert Simmels Haltung und betont, dass viele Frauen ein Verwirklichungsbedürfnis haben, welches ausserhalb des Hauses gesucht werden müsse. Sie wertet Hausarbeit nicht ab, sieht aber auch einen gesellschaftlichen Wandel, der die Frau aus Interesse oder aus der Notwendigkeit heraus in ausserhäusliche Arbeit einbindet.

Dass auch Simmels Frau nicht mit den Ansichten ihres Mannes übereinstimmt, hat sie in einem Brief an Marianne Weber zum Ausdruck gebracht.

„Ich weiss nicht, ob man sich’s eigentlich erlauben darf, - aber ich habe eine grosse Ungeduld über alles, was Männer von uns sagen – auch Georg. So schön es ist. Mir scheint immer, sie reden alle nur über die historische Frau – wie hoch sie sich auch in das Allgemeine versteigern. Und ich habe immer das Gefühl, dass wir detoriiert sind durch unsere historischen Schicksale, und dass nichts nötiger täte, als dass wir allmählich für uns selbst herausbrächten ... als was Gott und gemeint hat. ... Nur in unserer Männer Häuser kommen wir nicht dahinter. Dass wir einmal wieder Menschen, weibliche Menschen würden, anstatt wie jetzt übertriebene weibliche Menschen zu sein, übertrieben durch das ewige Nach-dem-Manne-Hinleben, das wir nun einige tausend Jahre getan haben, und das ich nicht als unser Wesen erfassen kann ... “ (Weber 1948, S. 383/384, zitiert in Ulmi 1989, S. 111).

Die Auseinandersetzung mit diesem Thema hat auch zur Erkenntnis geführt, dass gewisse Haltungen bis in die heutige Zeit – wenn auch in abgeschwächter Form -  überdauert haben. So z. B. die Haltung, dass eine Frau als Mutter und Hausfrau doch eher ins Haus gehört, ausserhäusliche Tätigkeiten könnten zum Nachteil der Kinder gereichen.

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8. Literaturliste

Dahme, Heinz-Jürgen und Klaus Christian Köhnke, 1976: Einleitung. In: H-J Dahme und K. Ch. Köhnke: Georg Simmel. Schriften zur Soziologie und Philosophie der Geschlechter. Frankfurt: Suhrkamp. 

Enckendorff, Marie-Luise, 1920: Realität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben. München: Duncker & Humblot.

Jung, Werner, 1990: Georg Simmel zur Einführung. Hamburg: Junius.

Lichtblau, Klaus, 1997: Die kulturelle Bedeutung des Geschlechterverhältnisses. In: K. Lichtblau: Georg Simmel. Frankfurt: Campus, S. 99-113.

Simmel, Georg, 1919: Weibliche Kultur. In: G. Simmel: Philosophische Kultur. Leipzig: Kröner (2. Aufl.), S. 255-295.

Ulmi, Marianne, 1989: Frauenfragen, Männergedanken. Zu Georg Simmels Philosophie und Soziologie der Geschlechter Zürich: eFeF-Verlag.

Vromen, Suzannne, 1990: Cultural Dilemma of Women. In: M. Kaern, B. S. Phillips and R. S. Cohen (Ed.): Georg Simmel And Contemporary Sociology. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers, S. 319-340.

Weber, Marianne, 1919: Die besonderen Kulturaufgaben der Frau (1918). In: M. Weber: Frauenfragen und Frauengedanken. Tübingen: Mohr, S. 238-261.

Weber, Marianne, 1919: Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft (1904). In: M. Weber: Frauenfragen und Frauengedanken. Tübingen: Mohr, S. 1-10.

Weber, Marianne, 1919: Die Frau und die objektive Kultur (1913). In: M. Weber: Frauenfragen und Frauengedanken. Tübingen: Mohr, S. 95-133.

Weber, Marianne, 1919: Zur Frage der Bewertung der Hausfrauenarbeit (1912). In: M. Weber: Frauenfragen und Frauengedanken. Tübingen: Mohr, S. 80-94.

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Last update: 18. Sep 06


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
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