Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
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Georg Simmel: Zum Problem des Naturalismus

ex: Georg Simmel: Fragmente und Aufsätze aus dem Nachlass und Veröffentlichungen der letzten Jahre. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Dr. Gertrud Kantorowicz. München: Drei Masken Verlag, 1923, S. 267-304.

Begriff und Ausübung des modernen Naturalismus kam in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts auf und interpretierte uns seinen tiefsten Sinn dadurch, dass in den gleichen Kreisen und mit der gleichen Intention das Schlagwort l'art pour Part entstand.

Dieses ist ein Kampfwort, gerichtet gegen die Kunst, die sich als Mittel zur Vorführung einer Anekdote, einer Sentimentalität, einer Tendenz, einer literarischen Idee darbot: die Kunst sei ihr eigner Endzweck, sie habe innere Gesetze, und nur diesen, aber nicht irgendeinem ihr äußeren Gesetz hätten ihre Formungen zu gehorchen.

Dieses Prinzip werde dadurch nicht eingeschränkt, dass die Kunst als ganze noch einmal von metaphysischen oder vitalen Mächten oder Ideen umgriffen, ja unterbaut werde; nur dürften diese nicht in ihre Eigengesetzlichkeit eingreifen, nicht dem einzelnen Werk eine Richtung oktroyieren, die es, dieser Gesetzlichkeit allein überlassen, nicht nehmen würde.

Wie Gott nicht mit einem partikularen Wollen in die Einzelheiten des Lebens eingreife, so dürfe kein Einzelinteresse des flutenden realen Lebens in die Eigengesetzlichkeit der Kunst eingreifen.

- Aber wenn nun die Kunst nicht durch die Bedeutungen und Beziehungen, die ihr Inhalt außerhalb der Kunst selbst besaß, bestimmt werden sollte - irgendwelchen Inhalt mussten ihre Formen doch haben.

(Für den Dekorativismus und Expressionismus ist das doch auch die Frage; was hat denn die Musik für einen »Inhalt«? Und ist sie nicht die Kunst k a t ¢ e x o c h n ?) Und da dieser Inhalt nun durch keinerlei »Idee« geliefert werden darf, so kann er nur in dem liegen, was wir »sehen«, oder auch in anderen Künsten in dem, was »geschieht«.

Der real vorliegende Gegenstand, durch den der jeweiligen Kunst zugeordneten Sinn unmittelbar ergreifbar, ist das einzige, was als Inhalt der Kunst bleibt, wenn sie von der Dirigierung durch all das befreit wird, was ihre Formen bisher von ihrer reinen Autonomie abgelenkt hatte.

Hier liegt der Ursprung des modernen Naturalismus: die Beschränkung der Kunst auf denjenigen Inhalt, der ihr allein übrig bleibt, wenn man ihr allen, aus nicht bloß künstlerischen Quellen fließenden Inhalt abschneidet.

Freilich ist auch der »gegebne« Weltstoff nicht durch die Kunst erzeugt; allein er scheint, da er durch keine menschliche Intention bestimmt, präjudiziert ist, sich nun ganz widerstandslos der Formung durch die reinen Kunstnormen zu fügen.

Hier zeigt sich die Wirkung der naturwissenschaftlich-mechanistischen Weltanschauung: die Wirklichkeit als solche ist indifferent, ideenfrei.

Frühere Anschauungen hatten metaphysische, religiöse, ja - Griechen und Renaissance - ästhetische Werte unmittelbar im Dasein als solchem erblickt.

Ist aber das Dasein an und für sich von der Idee aus gesehen eine formlose Masse, entbehrt es jeder Gliederung durch Akzentverschiedenheiten des Wertes und der Bedeutung, so ist es der Formung durch die Kunst völlig nachgiebig, so kann die Kunst, indem sie es als Stoff aufnimmt, rein bei sich selbst bleiben.

Der Naturalismus hat diese Voraussetzung auch sogleich praktisch erwiesen, indem er sich zu Vorwürfen Gegenstände des banalsten Lebens wählte, an denen anderweitige Werte nicht so leicht oder überhaupt nicht fühlbar werden.

Je gleichgültiger der Gegenstand war, je mehr bloß naturhafte, an sich unbetonte Wirklichkeit, desto ersichtlicher war es, dass die Kunst, die ihn aufnahm, eben nur den Kunstwert und keinen anderen an ihm zum Ausdruck brachte.

In ihren tieferen sachlichen Zusammenhängen ist also die naturalistische Tendenz nichts als die auf dem Boden der modernen Weltanschauung geeignetste Auswirkung des l'art pour Part-Prinzips.

Es kommt nicht aus dem Interesse an der Natur, sondern an der Kunst.

Nun ist die Frage: was tut die Kunst mit dieser Wirklichkeit? Ahmt sie sie nach, so dass wir ihr Bild noch einmal haben, wie das Panorama und die Wachsfigur? Das ist schon dem Bilde, dem Drama gegenüber ersichtlich unsinnig, an Architektur, Tanz, Musik kann die Frage überhaupt nicht herangebracht werden.

Da wir nun aber einen gewissen Anspruch des Naturalismus empfinden, ein Prinzip der Kunst überhaupt zu sein (gleichviel ob wir ihm dies Recht in einer höheren Instanz wieder absprechen) so müssen wir als seinen Sinn etwas aufsuchen, was ihn auch auf diese Künste irgendwie anwendbar macht.

Was die äußere Wirklichkeit für das Kunstwerk überhaupt bedeuten kann, lässt sich nur von der einfachen fundamentalen Tatsache her ermessen, dass das Kunstwerk eine Schöpfertat ist.

Es ist ein Geschehen, ein aus den Produktionskräften der künstlerischen Seele quellender Prozess, dessen Ergebnis und Niederschlag das Werk bildet.

(Goethe spricht von seinen »Lebensspuren«, »die man, damit das Kind einen Namen habe, Werke nennt«.) Jeder Gegenstand, jede Gegebenheit hat also - diese Selbstverständlichkeit muss hier ausgesprochen werden - zu dem Kunstwerk überhaupt kein unmittelbares Verhältnis; sondern nur durch die Bedeutung, die dem schöpferischen, aus der rein inneren Quelle hervorbrechender Prozess von dorther kommt, kann ein Verhältnis zwischen der Wirklichkeit und dem Kunstwerk entstehen.

Auch der realistischste Künstler ist also nicht der »Storchschnabel«, der mechanisch eine Wirklichkeit in sein Werk überträgt, sondern er wird nur durch die beobachtete Wirklichkeit funktionell in besonderem Maße beeinflusst, wie andere Künstler etwa von einer literarischen oder religiösen Idee, die sie auch nicht tale quale in ihr Werk überpflanzen konnten, sondern von der auch nur ihr Schöpfungsprozess einen Einfluss erfuhr.

Dieser Einfluss war nichts Substantielles, sondern bedeutete eine Art, auf die jener Prozess nun ablief, meist nur eine Modifikation des fließenden inneren Geschehens; und erst von diesem aus sind die Spuren solcher Einflüsse in dem auskristallisierten Werke zu suchen.

Der Künstler setzt doch nicht ein Stück Realität in sein Werk ein wie der Goldschmied einen von anderwärts bezognen Edelstein in einen Ring einsetzt.

Diese substantialistische Vorstellung, dem naiven erkenntnistheoretischen Realismus entsprechend, muss gänzlich korrigiert werden.

Der Maler ist kein Transportmittel zwischen Wirklichkeit und Leinwand.

Auch für den naturalistischen Künstler hat die Wirklichkeit nur insofern Bedeutung, als unter den vielen, seinen Schaffensprozess beeinflussenden Momenten die Beobachtung der Wirklichkeit besonders stark wirksam ist.

Die Wirklichkeit löst sich, vom Künstler aufgenommen, vollständig in Dynamik auf, sie ist kein in die Strömung seines Schaffens hineingeworfener und von ihr nur weitergetragener Fremdkörper, sondern innerhalb dieser Strömung eine wirksame Energie, grade etwa wie seine allgemeine Lebensstimmung, wie die Färbung seines Milieus, wie sein Stilgefühl usf.

Es ist nun keine Frage, dass viele Künstler, die wir keineswegs als Naturalisten bezeichnen, die Wirklichkeit genau so beobachtet und in sich aufgenommen haben wie die Naturalisten.

Die Wirklichkeitseindrücke sind in dem Produktionsprozess von Michelangelo und Rembrandt vielleicht von ebenso tiefer und entscheidender Bedeutung gewesen wie in dem von Manet und Liebermann.

Wenn dennoch die fertigen Werke sich in Hinsicht des Verhältnisses zur unmittelbaren Erscheinung sehr erheblich unterscheiden, so beweist das nur, dass Ursache und Wirkung keineswegs formgleich zu sein brauchen; das ist es, was die Theorie des Naturalismus immer übersieht.

Dasselbe verursachende Element, in verschiedene Geschehensreihen eingesetzt, kann zu sehr verschiednen schließlichen Erscheinungen führen.

Je nach den übrigen mitwirkenden Momenten, vor allem: je nach der eignen, spontan schöpferischen, von sich aus formbestimmenden Wesensart des Künstlers wird das Produkt äußerlich, dem Phänomen nach, dem als Ursache wirkenden Naturbild mehr oder weniger ähnlich sein.

Nur der niedere, d. h. der nicht schöpferische Künstler überträgt die Naturbeobachtung Teil für Teil in sein Werk; für den wirklich produktiven ist alles, was er aufnimmt, nur Nahrung für das innere schöpferische Leben, das in dem Werke Dauerform gewinnt, wie ein Nebenfluss, der in dem Augenblick seines Einströmens nicht nur seine Wasser mit denen des Hauptflusses ununterscheidbar mischt, sondern auch seine Eigenexistenz völlig verliert, um die des letztern anzunehmen.

Nun kann die innere Struktur dieses Schöpfungsprozesses es mit sich bringen, dass sein Resultat eine objektiv aufzeigbare morphologische Ähnlichkeit mit den in ihn eingegangnen Beobachtungselementen besitzt.

Aber nicht, weil diese es fordern, wird das Bild auf solche Weise naturalistisch, sondern weil der Schöpfungsprozess dies, seinen eignen Gesetzen nach mit sich bringt und diese eignen inneren Gesetze solche Anähnlichung von Element und Produkt erzeugen.

Aus dem Gefühl heraus, dass die Wirklichkeit, bloß weil sie da ist, das Kunstwerk doch nicht bestimmen könne, hat man dem Naturalismus noch den Begriff des Impressionismus zu - oder entgegengesetzt - jener die objektive Ähnlichkeit zwischen Gegenstand und Kunstbild anstrebend, dieser die Wiedergabe des subjektiven Eindrucks vom Gegenstand.

So bedeutsam dieser Unterschied für den dargestellten Inhalt ist, so ist er für die prinzipielle Frage des Naturalismus doch nicht entscheidend.

Denn i. ist auch das »objektive« Bild der Dinge durch die Art des subjektiven Sehens bestimmt, und z. besteht auch dem subjektiven Eindruck gegenüber die naturalistische Frage, ob er, der zunächst auch nur ein dynamisches Element des künstlerischen Schöpfungsprozesses ist, in Unverändertheit als dessen Resultat wiedererstehen soll oder nicht.

Der Impressionismus, zuerst allerdings die starre Substanz der angeblichen Objektivität und Gegebenheit auflösend, macht nun doch das Eindrucksbild zu etwas Festem, das als solches in das Kunstwerk zu übertragen wäre.

Wenn die Seele nichts Feineres, Differenzierteres; künstlerisch-formal Vollkommeneres zu geben hat als die Naturdinge, wenn sie umgekehrt diesen gegenüber sich als primitiver, unharmonischer, fragmentarischer zeigt - so weiß ich nicht, welchen Vorzug die expressionistische Kunst gegenüber der naturalistischen haben soll.

Schließlich ist das dastehende Raumkunstwerk nicht die Seele, sie kann sich in der Unmittelbarkeit ihres Lebens ja doch nicht zeigen (auch wäre ja eben davon der Wert noch diskutabel), es kommt schließlich auf dies Dastehende und seine Bedeutung nach ideell künstlerischen Normen an.

Werden diese reicher und vollkommener auf expressionistische als auf impressionistische oder naturalistische Art erfüllt - gut! Aber an sich hat jene noch keinen Vorteil; sie ist zunächst noch ein seelischer Naturalismus, dessen künstlerischer Wert problematisch ist.

Und wollte man sagen: dann ist es nicht Kunst, auf den Namen und die Kategorie kommt es ja nicht an, es ist überhaupt ein Wertvolles - dann hätte jedenfalls' die Kunst als solche noch Platz daneben.

Der eigentliche Kern der naturalistischen Frage liegt tiefer.

Die Gegebenheit, das an sich nicht zu Ändernde, das Unmittelbare oder Primäre, kurz was in diesem Zusammenhange Natur heißt und was das naturalistische Kunstwerk als solches ohne Umbildung wiedergeben will, braucht keineswegs das äußere Objekt zu sein.

Die entscheidende Frage liegt vielmehr darin: ob das schöpferische Individuum, dasjenige, was es in sich als Trieb, Eindruck, Leben, kurz als Natürlich-Unmittelbares vorfindet, zur alleinigen Quelle des Werkes werden lässt - wobei der Gegenstand des Werkes sein mag was er will - nicht modifiziert oder abgelenkt durch ein vom Individuum unabhängiges Formgesetz; oder ob der innere Vorgang, indem er in das Werk ausströmt, durch ein solches übersubjektives, ideell bestehendes Gestaltungsgesetz geführt wird?

Der naturalistische Künstler als solcher setzt seine innere Tatsächlichkeit, seine Lebensbewegtheit sozusagen gradlinig in das Werk fort, dieses ist ein Weiterschwingen jener, er entlastet sich von ihr auf diese Weise, der Wert seines Werkes liegt - für ihn wie für den Beschauer - darin, dass seine Wirklichkeit, seine Natur, die Wirklichkeit, die als gespannte Energie in ihm ist, sich entladen hat, dass sie sich in das Kunstwerk hineingegeben hat, das nun als ihre Wirkung dasteht und diese innere Lebendigkeit irgendwie in sich trägt und so wirklich ein Stück seiner eignen Wirklichkeit ist.

Naturalismus bedeutet, dass sich im Kunstwerk etwas Gegebnes wiederfindet, das nicht im künstlerischen Prozess erzeugt ist und das für das Kunstwerk wesentlich und bestimmend ist.

Der prinzipielle Gegensatz dazu, für den wir keinen entsprechend sicheren Ausdruck haben (Stil - Form - Ideenkunst) liegt vor, wenn das Kunstwerk sich seiner Form und Bedeutung nach von seinen Zeugungskräften gelöst hat, wenn es nach einem Gesetz gestaltet ist, das nur für das Kunstwerk als solches - als wäre es vom Himmel gefallen - gilt, wenn es nur als Erfolg und Verkörperung der künstlerischen Logik, nicht aber des psychologischen Lebens des Künstlers dasteht.

Wir stehen hier vor einem Knotenpunkt alles Kunstverständnisses und die hier zusammenlaufenden Fäden müssen von ihrem isolierten Ursprung her deutlich werden, gerade weil die einzelne Kunsterscheinung sie wohl immer in Verknotung zeigt.

Die Fortsetzung des inneren Zustandes in ein äußeres Sein, rein als solche angesehen, fragt nicht darnach wie dies äußere Ergebnis aussieht.

Wer schreit, weil er einen Schmerz fühlt, dem ist es gleichgültig wie dieser Schrei klingt, wer in der Leidenschaft eine zornige oder gierige Geste ausführt, interessiert sich nicht für deren sichtbare Gestaltung, ja wer einen Gedanken oder Affekt mitteilen, sich durch seine Äußerung Andern verständlich machen will, dem ist Form und Aussehen dieser Äußerung als einer für sich betrachteten Tatsache gleichgültig, wenn sie nur ihren unanschaulichen Mitteilungszweck erfüllt.

Zweifellos ist dies die Intention mancher Kunstwerke.

Genau genommen das Singen wie der Vogel singt.

Darum ist Impressionismus nicht der ganz zutreffende Ausdruck für diese Gerichtetheit - obgleich der erste Schritt zur wichtigen Erkenntnis der Lösung von der mechanischen Objekt-Gleichheit.

Die Konsequenz zieht der moderne Expressionismus, dessen tieferer Sinn doch wohl ist, dass die seelische Bewegtheit sich in die Hand, die den Pinsel hält, fortsetzt und das entstehende Bild nichts anderes ist als die Zeichen, die jene Bewegungen auf der Leinwand hinterlassen, ganz gleichgültig ob diese Zeichen außerhalb dieser reinen auf sie hinführenden Kausalfolge noch irgend einen Sinn oder Bedeutung zeigen.

Es ist eine bloße Inkonsequenz oder Zufälligkeit, wenn expressionistische Bilder noch etwas »vorstellen« sollen.

Expressionismus ist in diesen Zusammenhängen nicht Rückschlag gegen den Naturalismus, nicht seine Aufhebung sondern seine - ihn vielleicht auflösende - Vollendung.

Exkurs über Subjektivismus und Objektivismus im Kunstwerk: Als Voraussetzung ist festzuhalten, dass der Unterschied zwischen Subjektivismus und Objektivismus in der Kunst ein ganz fließender ist, oder dass in jedem Kunstwerk eine Mischung beider stattfindet, in der Objektivismus und Subjektivismus nur Bezeichnungen a potiori sind.

Dies vorausgesetzt scheint mir das Verhältnis von Subjektivismus und Objektivismus des Kunstwerks in das allgemeine von Kausalität und Teleologie aufzugehen.

Wo wir empfinden, dass ein aus der Lebensbewegtheit des Schöpfers herkommender Impuls sich gleichsam in die Bewegung seiner Hand fortgesetzt hat, wo eine innerste Zuständlichkeit oder ein inneres Geschehen sich in dem schöpferischen Tun auslebt oder erlöst, wo also die künstlerische Aktivität aus subjektiven Vorgängen im Künstler, die ihren zureichenden Grund bilden, ersteht- da sprechen wir von Subjektivismus.

Wo wir aber umgekehrt fühlen, dass das Hinstellen des Werkes, damit es eben als solches da sei, den Künstler motiviert habe, wo der Zweck: die Verwirklichung der Vision, - die Tätigkeit hervorzulocken scheint, derart, dass es sozusagen nur auf das Resultat ankommt, in dem der Prozess, die funktionellen Ursachen seiner Schöpfung verschwinden und gleichgültig geworden sind - da wird man von Objektivismus der Kunstübung sprechen können.

Wo nun eine sehr entschiedene Annäherung an eine gegebne äußere Wirklichkeit vorliegt, wird die Präsumtion nicht dafür sprechen, dass ein rein aus dem Innern hervorbrechender Trieb die Gestaltung habe entstehen und sich in dieser bestimmten Weise habe formen lassen.

Natürlich ist diese glücklichste aller Harmonien nicht unmöglich und Goethe ist ihr vollkommenster Repräsentant.

Anderseits aber kann auch ein Kunstwerk, das überhaupt kein reales Gegenbild hat oder das mit diesem völlig phantastisch verfährt, durchaus objektivisch gemeint sein.

Denn nicht das Objekt außerhalb der Kunst bestimmt diesen Begriff, sondern die in dem Kunstwerk selbst innerlich fühlbare Tendenz: ob es selbst als Objekt gewertet wird, das um seiner selbst willen da sein soll, so dass dieses selbständige von dem Schaffensprozess gelöste Dasein den Zweck seines Geschaffenwerdens bildet - oder ob das Subjekt nur sein eignes Leben ausleben will, wofür dann sein Talent Richtung und Auslass gibt.

Darum und nicht wegen mangelnder Übereinstimmung mit einem »Objekt« scheinen gewisse Werke, die wir eben subjektivische nennen, auf ihren Schöpfer, sein Sein, seine Leidenschaften und Schicksale zurückzuweisen.

Wo diese rückwärtige Verbindung aber nicht besteht, wo das Werk nicht nur seiner Form nach, sondern, für unsere Nachfühlung, auch seinem Existenzsinn nach geschlossen für sich besteht, hat es objektivischen Charakter; was sich ersichtlich dadurch nicht ändert, dass seine spezifischen Qualitäten es der Sonderart eines bestimmten Künstlers unzweideutig zuweisen.

Es liegt auf der Hand, dass die stilistisch formale Geschlossenheit eines Werkes der überzeugendste Träger dieses Selbstzweck-Charakters seiner sein wird.

Der Impressionismus nun ist eine unmittelbare, aber deshalb rohmechanische Synthese von Subjektivität und Objektivität, indem für ihn der rein subjektive Eindruck zum Objekt wird, um dessen unveränderte Nachbildung es sich handelt.

Er stellt sich in gleichzeitigen Gegensatz zum naturalistischen Objektivismus wie zum freibildenden Subjektivismus, indem er richtig erkennt, dass keine dieser einseitigen Tendenzen der eigentlichen, synthetischen Aufgabe der Kunst gerecht wird.

Allein so, dass man das Subjekt einfach zum Objekt macht, sind sie nicht zu überwinden.

Die Aufgabe des Künstlers, das ideell Vorhandene, das vor ihm als das nur zu Findende, zu Realisierende steht, liegt in einem dritten: diejenige vollkommenste Kunstwerdung des Objekts, die grade durch dieses individuelle Subjekt möglich ist.

(Aufsatz über die Philosophie des Schauspielers.) Weder das Objekt, wie es für sich ist, noch das Subjekt, wie es aus sich ist, noch die unmittelbare Reaktion des Subjekts auf das Objekt ist mit der idealen Forderung, mit dem objektiven Geist des Kunstwerks als solchen identisch.

Alles dies bleibt in irgendeinem Sinne Naturalismus.

Es steht vielmehr über dem künstlerischen Subjekt eine durch seine eignen Qualitäten bestimmte Forderung, wie grade er grade dieses Objekt zu gestalten habe.

Weder das natürliche Sein des Subjekts noch das des Objekts kommt hier in Frage, vielmehr eine Übertragung dessen, was der Impressionismus auf naturalistischem Wege sucht, in das Reich künstlerisch ideeller Vorgezeichnetheit.

Für manche Fälle wird dieser Naturalismus, der nach der Natur des Subjekts so heißt, der Erscheinung nach mit dem Naturalismus, der Nachbildung des Objekts ist, zusammenfallen.

Wo nämlich der unmittelbare Eindruck einer Wirklichkeit die künstlerische Erregung mit sich bringt, wo der Künstler ganz in diesem Eindruck aufgeht und seine ganze produktive Stimmung nur dessen Gefäß ist - da wird die sich daran schließende Ausdrucksbewegung, wie durch Mimikry in denselben Formen verlaufen.

Analogie dazu im Aufnehmen von Musik.

Eine erregende Musik mag uns manchmal zu leidenschaftlichen Gesten veranlassen, manchmal zu irgendwelchen Aktionen anspornen, wie den Soldaten in der Schlacht, also die Erregungen, die ihr Eindruck in uns lebendig macht in Richtungen verlaufen lassen, die morphologisch mit ihr nicht das Geringste zu tun haben.

Manchmal aber auch bewegt sie uns, ihren Takt a tempo mit dem Fuß zu klopfen oder sie mitzusingen - ein reiner Expressionismus, eine subjektiv naturalistische Äußerung, die genau in den Formen oder auch: mit dem Inhalt ihrer Veranlassung verläuft.

Ob in den Kunstproduktionen etwas eigentlicher Naturalismus ist, hängt von der bloßen Kausalität, von der Bestimmtheit durch den gegebenen terminus a quo ab, und ob etwas objektiv Naturalistisches daraus entsteht, ist nur zufällig; ein morphologisch von der Objektivität der äußeren Ursache ganz abweichendes Ergebnis würde nicht weniger naturalistisch sein.

Kein Zufall, dass die naturalistische Kunst in denselben Jahrzehnten dominierte, wie der Psychologismus.

Nun war dies aber zugleich die Epoche des Fanatismus für naturwissenschaftliche Exaktheit, deren Ideal auf alle möglichen, eigentlich ganz anderen Idealen zugehörige Gebiete übertragen wurde.

Dies verblendete gegen die tiefste Motivierung des Naturalismus: das dynamische Fortsetzen der inneren künstlerischen Umständlichkeit, die einseitige Triebhaftigkeit, mit der hier nur das Leben sich nach außen ergießt, und weil es eben ein künstlerisches Leben ist, irgendwie zum Gebilde wird.

Indem nun das innere Leben der Künstler sich von den literarischen Ideen und dem Konventionalismus, der die Kunst des 19. Jahrhunderts bis dahin beherrscht hatte, abwandte und sich mit Leidenschaft an den Bildern der Dinge nährte, und indem es, seinen Äußerungsimpulsen folgsam, diese Bilder der Dinge gleichsam am anderen Ende wieder von sich gab, so richtete sich das Bewusstsein eben mit einer gewissen ängstlichen Exaktheit auf dieses Resultat und erklärte, dass das objektive Ähnlichkeitsverhältnis zwischen ihm und der Wirklichkeit das Neue und Wesentliche wäre.

Tatsächlich ist das Wesentliche des naturalistischen Prinzips, dass die künstlerische Äußerung mehr einem Kausalprozess als einem teleologischen Prozess entstammt.

Für die tatsächliche Kunstleistung kommt freilich noch ein andres bestimmendes Moment hinzu, das sich später ergeben und die Paradoxie dieser Behauptung lösen wird.

Es wird aber jedenfalls aus ihr klar, dass der Naturalismus auch in andren als in den Künsten, die einer »Nachahmung« möglichen Raum geben, dominieren kann, also auch in der Lyrik, der Musik, dem Tanz, ja der Architektur.

Es kann z. B. ein Tanz, der äußerlich sogar in rein ornamentaler oder konventioneller Form verlaufen mag, von einer erotischen Hingerissenheit durchglüht sein, einer nicht künstlerisch geformten, sondern psychisch unmittelbaren, die sich in lauter Imponderabilien ausdrückt und sich vielleicht auf den Beschauer überträgt.

Dabei braucht der Tanz nicht etwa die Nachahmung verfänglicher Situationen darzubieten, keinerlei sichtbaren, objektiven Naturalismus des Erotischen, es ist nur das Weiterschwingen der naturhaften inneren Tatsächlichkeit in die Erscheinung hinein.

Wie es aussieht, ist im extremen Fall dem Tänzer fast gleichgültig, daher es dann manchmal durchaus geziemend, manchmal durchaus ungeziemend aussehen mag.

Ähnliches in der Musik wird namentlich der, der auf dem Klavier fantasieren kann, manchmal erfahren.

Eine Erregtheit, leidvoller, freudiger, oder überhaupt nur gegenstandlos leidenschaftlicher Art drängt sich unmittelbar durch die Finger und wird zu der Bewegung, wie sich eine physikalische Energie in eine neue Form umsetzt.

Wie es klingt, darauf kommt es einem nicht an und darum wird man nicht gern Zuhörer dabei haben.

Insoweit dies Moment in der Musik wirkt (alleinbestimmend wird es ja kaum sein) ist sie naturalistisch, nicht durch die kindische Nachahmung von Naturlauten, die gelegentlich vorkommt.

In der Architektur ist dieses sich Fortsetzen der inneren Wirklichkeit, das gegen die Eigengesetzlichkeit der erscheinenden Form indifferent ist, dem Wesen des Materials nach, schwer nachzuweisen; aber es klingt auch hier an.

Als der Jugendstil auch in die Baukunst eindrang, und die Logik der hergebrachten Formen erschütterte, entstanden fantastische Bauten, die besonders in den Ornamenten wirken, als ob sie nur das Auslodern eines Stimmungsimpulses wären und auf die selbständige Bedeutung des dann Dastehenden gar keine Rücksicht nähmen.

Am entschiedensten endlich ist der subjektive Naturalismus in der Schauspielkunst.

Die Theorie über diese geht zwei Wege: der eine macht damit ernst, dass der Schauspieler ausschließlich der Vollstrecker der dichterischen Gestalt und der in ihr objektivierten Absichten ihres Schöpfers ist.

Ganz erreichbar oder nicht, jedenfalls liege in der reinen Verlebendigung des literarisch-dramatischen Gebildes das Ideal, und das Maß der Annäherung an dieses bestimme das Vollendungsmaß der schauspielerischen Leistung.

Deren individuelle Besonderung und Färbung sei ein künstlerisches Adiaphoron, ein notwendiges Übel oder auch ein außerhalb der künstlerischen Wertskala gelegener Reiz.

Aber eben in diese Individualität verlegt das andre Extrem den ganzen Sinn der Schauspielkunst.

Indem hier der Mensch in seiner aktuellen Ganzheit die Leistung nicht nur trägt, sondern - einzig in allen Künsten - sozusagen die Leistung ist, dokumentiere sich die Persönlichkeit des Schauspielers unzweideutig als die Substanz seiner Kunst; sie sei das dauernde und interessierende in allem Wechsel und allen Wertunterschieden seiner Rollen.

Jenes antiindividuelle Ideal, mit dem die dichterische Figur den Schauspieler sozusagen verschluckt, um sich in all ihrer Objektivität und Fixiertheit ein Leben zu verschaffen - dieses Ideal sei ein literarisches, aber kein schauspielerisches.

Die Leistung des Schauspielers, insoweit sie etwas andres sei, als Deklamation plus einer Reihe lebender Bilder, habe ihre Bedeutung als Offenbarung einer genialen, durch ihren Rhythmus, ihr Temperament, ihre körperlich-seelische Eigenart interessanten Persönlichkeit und das schauspielerische Talent sei nichts andres, als die Möglichkeit, dies Naturell an einer dichterischen Figur gleichsam zu objektivieren, für Andere sichtbar und verständlich zu machen.

Wie es für den ersten Standpunkt prinzipiell gleichgültig ist, wer die Rolle spielt, wenn sie nur adäquat dargestellt wird, so für den letzteren, welche Rolle der Künstler spielt, wenn er sie nur spielt.

Hier ist das eine, dort das andere der ruhende Pol in der Flucht der Erscheinungen.

Nun darf man freilich sagen: was in einem so rein kausalen, sozusagen nur physiologischen Prozess entsteht - wie ein Schrei oder, wie wenn man aus nervöser Ursache Brotkügelchen knetet - ist nicht Kunst, sondern eben Natur.

Das ist richtig.

Darum ist exklusiv naturalistische Kunst auch ein nie ganz realisierter Begriff, sondern bedeutet nur gewisse Elemente und Teilstimmungen innerhalb des künstlerischen Prozesses.

Ganz klar aber kann dies Verhältnis erst werden, wenn nun sein Gegenteil betrachtet wird: das Werk, das (im Eindruck) von der naturhaften Genesis gelöst und nach einer selbständigen, nur für das Kunstprodukt als solches geltenden Norm gestaltet ist.

Gewiss ist jedes Kunstwerk aus seelischen Kräften hervorgegangen und auf seelische Wirkungen hin orientiert; gewiss trägt es auch bis in seine letzte Faser hinein, im Maße seiner Größe noch das Cachet einer seelischen Persönlichkeit, sei es eines Individuums oder eines Volkes.

Dennoch ist es Kunst in dem Maße, indem es in sich Gesetzen gehorcht, Ideen realisiert (künstlerische natürlich, nicht literarische oder moralische), deren Wert und Gültigkeit gegen die Kräfte, durch die es in einem bestimmten Leitmoment verwirklicht ist, absolut indifferent sind.

Kunst hat weder mit Psychologie, noch mit Metaphysik zu tun, sondern nur mit Kunst - obgleich sie sowohl von dem seelischen Leben des Menschen wie von dem metaphysischen Sinn und Zusammenhang des Weltganzen umgriffen und getragen wird.

Das Entscheidende für das Wesen des Kunstwerkes ist, dass es jenseits aller Verflechtungen der Wirklichkeit, sowohl der physischen wie der seelisch-geschichtlichen steht.

Natürlich kann man es auch als innerhalb dieser Verflechtungen stehend betrachten.

Ein Bild, wie eine Symphonie kann man nach der Optik wie der Akustik ihrer Elemente in physikalischer und physiologischer Hinsicht bis ins Letzte analysieren und synthetisieren; aber insoweit steht es in einer Reihe mit einer Naturerscheinung oder einem Nährmittel.

Und man kann es - wenigstens angeblich - aus geschichtlichen Bedingungen, den Tendenzen und dem Standard seiner Gegenwart, der psychologischen Struktur seines Schöpfers herleiten; aber insoweit unterscheidet es sich nicht von einer wissenschaftlichen oder religiösen Idee oder von der Erfindung des Fahrrads.

Wo es verknüpft wird mit einem Vorher und Nachher, zusammengesetzt aus Elementen, die außerhalb seiner und in anderen Ordnungen bestanden, - kurz die ganzen naturwissenschaftlichen, historischen, psychologischen Herleitungen des Kunstwerks - lassen vielleicht zwar dies Stück Realität vor uns erstehen, aber dass es ein Kunstwerk ist, nach seinem inneren sachlichen Wesen unterschieden von allen anderen Gebilden - das geht aus diesen Verknüpfungen niemals hervor.

Denn grade, dass es den Verknüpfungen, die seine äußerlich-historische Realität in die endlos weiterrollenden Reihen andrer und aller Realitäten einstellen, enthoben ist, dass es eine nur für sich bestehende, absolut selbstgenügsame Einheit ist, das macht sein Wesen als Kunstwerk aus.

Hier ist noch stärkere Exklusivität als bei Erkenntnis und Religion.

Gewiss ist, was eine Wahrheit ist, auch nicht aus ihrer genetischen Verknüpfung zu begreifen, die sie mit jedem Irrtum teilt, sondern nur aus dem zeitlosen Begriff der Wahrheit; gewiss ist Religion nur nach ihren äußerlichen Hüllen, nicht aber ihrem Wesen, das diese Hüllen zu Religion macht, historisch zu verstehen.

Dennoch haben die einzelnen Gebilde dieser Kategorien nicht dieselbe Geschlossenheit und Selbstgenügsamkeit wie das einzelne Kunstwerk.

Jede Erkenntnis steht in einem inneren Konnex mit einer unendlichen Reihe andrer ebenso zeitloser Erkenntnisse begründet und begründend.

Und Religion ist nicht denkbar außerhalb eines religiösen Lebens, in das ihre zeitlosen Inhalte in einer mit nichts andrem vergleichbaren Weise verwebt sind.

Das Kunstwerk aber hat alle Fäden nach außen hin abgeschnitten und nach innen zu einer undurchbrechlichen Form zusammengeknüpft, es ist »seelig in ihm selbst«.

Alle seelischen Werte und Ereignisse, die darin investiert sind, haben die Form ihrer ursprünglichen Bewegtheit verlassen und eine in sich schwebender, vom Begriff der Kunst allein her bestimmte angenommen.

Kein Kunstwerk ist als Kunstwerk aus seiner Zeit oder aus der Psychologie seines Schöpfers heraus zu rechtfertigen: ausschließlich aus den Forderungen der Kunst, die sehr mannigfaltig und zu verschiednen Zeiten sehr entgegengesetzte sein mögen, aber in jedem Augenblick ihres Bestands in der Ebene der überzeitlichen, rein sachlichen idealen Bedeutung liegen.

Gewiss kann man ein Kunstwerk als einen Pulsschlag des ins Unendliche weiterflutenden, aus unendlich vielen und heterogenen Quellen genährten Lebens der Menschheit ansehen; betrachtet man es aber als Kunstwerk, so ist es sozusagen vom Himmel gefallen, gänzlich in seine eignen Grenzen eingeschlossen und seine Fäden ausschließlich zu artistischen, die Kunstform bestimmenden Begriffen spinnend, aber nicht zu irgendwelchen, insoweit sie in der Ebene der Realität liegen.

In dieser Krassheit muss zunächst das vital-unmittelbare Wesen des naturalistischen Kunstwerks und sein Wesen als Kunstwerk einander entgegengesetzt werden.

Hieraus ergibt sich als höchst wichtige, unbedingt festzuhaltende Konsequenz, dass zwischen dem seelischen Trieb oder Zustand, der sich in eine Äußerung oder ein Gebilde als seine natürliche Weiterwirkung fortsetzt - und dem Kunstwerk als einer Erscheinung objektiv-artistischer Normen nach einer idealen Logik sich selbsttragender Formen ein rein zufälliges Verhältnis oder, wenn man will, überhaupt kein Verhältnis besteht.

Beides steht unter völlig verschiedenen Wesensbegriffen: das eine ein Werden, eine Bewegtheit, in die realen Weltbewegtheiten kausal verflochten, das andre ein statisches im eignen Raum definitiv abgegrenztes Phänomen, ohne Bedingtheit und ohne Folgen, eine Welt für sich, die aber nicht unter der Kategorie der Realität, sondern der reinen, seinsfreien Inhalte steht.

Erst wenn dies unerbittlich klar ist, lässt sich der Begriff des schöpferischen Künstlers bestimmen: als desjenigen, dessen naturhaft, impulsiv, dynamisch herausdrängende Kräfte von sich aus sich in einem Gebilde äußern, das jenen objektiv-idealen, gegen alles Genetische gleichgültigen, rein artistisch-zeitlosen Forderungen entspricht - als hätten diese sich mit Werdekraft geladen und von sich aus das Gebilde geschaffen, das doch tatsächlich aus einer ganz anderen, der historisch-seelisch-dynamischen Reihe stammt.

Dies ist die allgemeine Formel des Genies.

Hat man von diesem z. B. in intellektueller Hinsicht gesagt, es wisse, was es nicht gelernt hat, so bedeutet das doch: dass der seelisch-kausale, von innen her ablaufende Prozess solche Inhalte erzeugt, die mit dem logisch-objektiven Verhalten der Dinge übereinstimmen, gleichsam als ob sie von den überindividuellen, überzeitlichen Normen der Wahrheit her erzeugt seien ..... Genie als Natur.

Damit beantwortet sich die Frage, die sich angesichts des festgestellten Wesens des Kunstwerks erheben musste: wieso denn ein naturalistisches, d. h. ein rein von dem terminus a quo, der bloßen Entladung naturhaft gegebener Energien herkommendes Werk überhaupt ein Kunstwerk sein könne?

Das Genie ist eben dasjenige, was singt wie der Vogel singt, damit aber nicht Naturlaute, sondern ein Kunstwerk produziert. .... wie es doch eine, ja die Grundvoraussetzung aller Kunst ist: dass, wenn die Dinge so dargestellt werden wie sie dem Künstler erscheinen, eben damit ihr eigenes, tiefstes Wesen zur Darstellung kommt.

Man könnte zuerst daraufhin jeden genialen Schöpfer als einen Naturalisten im subjektiven Sinn bezeichnen.

Dies ist natürlich zwecklos, aber es macht doch klar, worauf jeder vorurteilslose Kunstbeobachter von selbst kommen muss: dass das ganze Gerede von naturalistischen Prinzipien und ihrem Gegenteil völlig leer ist; jedem großen Kunstwerk gegenüber erscheint diese Partei- und Begriffsfrage hinfällig und gar nicht aufzuwerfen.

Je nach dem Blickpunkt, von dem her man sieht, kann man jedes Kunstwerk entweder als Naturalismus oder als Anti-Naturalismus bezeichnen.

Die Ursache ist Natur, die Wirkung ist der Natur enthoben.

Was es dagegen wirklich gibt, ist der Unterschied von Kunst und Unkunst: d. h. ob das Werk ausschließlich künstlerischen Normen entspricht, oder ob in ihm andre Strömungen mächtig werden; die außerkünstlerisch-sensuelle, die anekdotische, die moralisierende, die auf den Publikumseffekt gehende etc.

Und innerhalb der wirklichen Kunst gibt es gute und schlechte.

Naturalismus kann, insoweit es sich um wirkliche, insbesondere um große Kunst handelt, immer nur ein relatives Hervortreten, ein stärkeres Fühlbar-werden jenes kausalen Momentes im Kunstwerk gegenüber seiner Zeitlosigkeit bedeuten, eine Akzentuierung der Richtung, aus der es kommt, gegenüber der fertigen, von allem »Ursprung« gelösten, in seinem Eigenwert schwebende Gestalt; wobei es prinzipiell gleichgültig ist, ob diese Ursprungsrichtung von der in ihren Impulsen lebenden Seele im engeren Sinn, oder von den Dingen zu kommen scheint, deren Eindruck auf diese Seele sich in ihrem natürlichen Hindrängen auf Äußerung in das Werk fortsetzt.

Eben diese Bedeutung des Naturalismus, die an Stelle der mechanischen Inhaltsgleichheit mit dem Objekt die lebendige subjektive Funktion setzt - ist auch von der Seite des Beschauers her zu beobachten.

Die Wirklichkeit als ein theoretisch Festgestelltes geht die Kunst überhaupt nichts an, sondern die Wissenschaft und eventuell die Praxis; für die Kunst können nur jene sekundären Reflexe der Wirklichkeit, die wir, logisch ziemlich unbestimmt, aber für uns jetzt ausreichend, Gefühle nennen, in Betracht kommen.

Während es nach Kants Bemerkung am Inhalt eines Dinges logisch gar nichts ändert, ob er real ist oder ob sein Inhalt nur als ideeller gedacht wird (da andernfalls nicht eben dieser Inhalt, sondern etwas anderes real sein würde), so gilt dies für die Gefühlsbedeutung des Dinges keineswegs.

Die Bewegtheit, die uns von irgend einer Wirklichkeit kommt, ist nicht nur dem Inhalte zu danken; sondern dass wir eben diesen als wirklich wissen oder, jenseits des eigentlichen Wissens, die eigentümliche Seinsbeziehung zu ihm haben, die sich zwischen unserer Wirklichkeit und einer anderen Wirklichkeit spannt - das gibt unserer Gefühlsreaktion einen ganz bestimmten Ton, den die Vorstellung der bloßen Qualitäten nicht hätte, das ist gleichsam das Pedal zu den Tönen, die dieser bloße Inhalt unserem Gefühlsvermögen entlockt.

Ferner gleiten, da jede Wirklichkeit in den nach allen Dimensionen erstreckten Reihen aller andern Wirklichkeiten steht, auch ihre Wirkungen auf uns kontinuierlich in andere über.

Darin liegt ein wesentlicher Unterschied der Kunstwirkung gegen alle Realitätswirkung, da jene an die Geschlossenheit des Kunstwerks gebunden ist.

Realitäten haben zu einander offene Türen.

Nun scheint mir also Kunst, die man naturalistisch oder realistisch nennt, dadurch charakterisiert, dass sie im Beschauer diejenigen Gefühlswirkungen, die sich an die Realität von Dingen und Leben knüpfen, auslösen, aber - so weit es wirklich sich um Kunst handelt - mit anderen Mitteln als die Wirklichkeit selbst es tut.

Die gemeinen Effekte, die unmittelbar an die Wirklichkeit herangehen und insoweit auch Wirklichkeitsgefühle provozieren, kommen dabei nicht in Betracht: das Panorama, die Wachsfigur, die »erschreckende Ähnlichkeit«, dass »das Bild aus dem Rahmen zu springen scheint«, das Kokettieren mit dem Beschauer.

Hier sind die Effekte der Wirklichkeit mit den Mitteln der Wirklichkeit erreicht.

Der Reiz der großen naturalistischen Kunst ist, dass sie all dies verschmähend, den Duft uns fühlen lässt, der um die Dinge ist, weil sie wirklich sind, aber mit den spezifischen Mitteln der wirklichkeitsfremden Kunst.

Die Wirklichkeit, die sie meint, ist etwas Qualitatives, nicht eine, die Inhalte unverändert lassende Kategorie.

Hier ist die gefühlshafte Bedeutung der Wirklichkeit ganz ohne die Wirklichkeit selbst in die Kunst hineingenommen.

Eine Gestalt wie die »Lisa« von Renoir oder eine Szene wie Manets Erschießung Maximilians sind gewiss in äußerstem Maße rein artistisch intentioniert, so sehr, dass sogar die psychologischen Ausdruckswerte so gut wie ganz ausgefallen sind; und doch ist in ihrem Eindruck etwas von der eigentümlichen Spannung und Erregung, die uns nur die Atmosphäre der Wirklichkeit als solche bereitet.

Nicht dass wir - wie man die Kunst so oft missversteht - durch die Medien dieser Bilder innerlich die Realität schauen, die ihnen als Vorbilder zugrunde liegt.

Dies ist die Aufgabe der Photographie, die kein Selbstzweck ist, sondern nur das photographierte Ding vertreten soll und es um so besser vertritt, je weniger sie selbst noch gesehen wird.

Das Kunstwerk aber ist kein Mittel, nicht dazu da, dass man es überspringe, sondern bei ihm als einem Definitivum bleibe, nicht dass es zur Welt hinleite, sondern dass die Welt hineingeleitet werde.

Auf die Frage, wie die wirkliche Lisa aussah, gibt das Bild keine Antwort, weil die Frage gar nicht daran zu stellen ist; aber das rein Bildhafte und Ideelle, als das sie vor uns steht, ruft doch, unter Ausschaltung der Wirklichkeit diese eigentümliche Reaktion in uns hervor, die sonst nur dem Lebendigen und Wirklichen gelingt.

Ich erwähne hier nur eine Einzelheit solcher sekundären Wirklichkeitsreaktionen.

Zu den Realitätsgefühlen dem Menschen gegenüber gehören in besonderem Maße diejenigen, die wir Sympathie und Antipathie nennen.

Also schön oder hässlich, bedeutend oder nichtssagend, erfreulich oder gleichgültig erscheint uns das Äußere eines Menschen auch, wenn wir es eben als bloße Oberfläche, als erscheinende Form vorstellen; sympathisch aber oder antipatisch ist es uns, sobald wir die Inhalte seiner Erscheinung als Wirklichkeit fühlen, sobald seine Realität auf uns wirkt.

Dies gehört in die Kategorie: dass unser empirischer, rein anschaulicher Eindruck eines Menschen stark beeinflusst wird durch die Antizipation dessen, was er für uns bedeuten würde, wenn er eine praktische Beziehung zu uns hätte.

Deshalb liegt diese Alternative dem Eindruck gewisser Porträttypen ganz fern, dem antiken Porträt, im ganzen auch dem Renaissance- ja dem Rembrandtporträt.

Hier ist die Distanz zu weit, als dass jener Duft der Wirklichkeit noch zu uns dränge.

Dabei kann uns das Bild als solches sympathisch oder unsympathisch sein, das ist eine andere Frage.

Gegenüber einem Porträt von Liebermann oder Corinth aber haben wir diese Gefühle sehr entschieden, und zwar sehr entschieden in Hinsicht der dargestellten Persönlichkeit.

Nicht der realen, hinter dem Bild stehenden; das wäre unkünstlerisch.

Es bleibt immer die Idee dieses Menschen, die uns hier in der Kunstform mit denselben Empfindungen affiziert, wie sie es sonst nur in der Realitätsform tut.

Aber die Realitätsbedeutung, dieses sonst nur an Wirklichkeiten geknüpfte, psychologische Verhalten ist hier der Kunstform delegiert, in das Bild des Menschen ist hier die Kraft eingegangen, einen sonst nur seiner Wirklichkeit vorbehaltenen Affekt in uns auszulösen.

Ähnlich die sinnliche Wirkung von Attitüden.

Eine Aktphotographie wirkt derart, weil die Realität, die sie vor die Fantasie stellt, dies tut, und die Photographie die psychologische Brücke zur Wirklichkeit ist; und ebenso tun gewisse, im rohen Sinne realistische Bilder.

Nun gibt es zunächst Aktbilder, denen dies Element absolut fehlt, die antiken, die der Frührenaissance, besonders Botticellis.

Andere aber, in denen es, obgleich eigentlich nur der Wirkung der Realitäten vorbehalten, dennoch enthalten ist, nun aber ganz in den artistischen Komplex eingegangen, nun unter den Gefühlen rangierend, die dem Kunstwerk rein als solchem, nicht einer dazu ergänzten Wirklichkeit, zukommen.

Es hat diese Wirkung als künstlerisches Element aufgenommen.

Insofern wird man diese Bilder im höheren Sinne naturalistisch nennen müssen, was sofort einleuchtet, wenn man eine Danae Tizians mit einem Akt Botticellis oder Signorellis vergleicht.

Dass solche - oder anders auszudrückende - Gefühlswirkungen der Realität sich am ehesten an Werke knüpfen werden, die sich auch objektiv nahe dem Eindruck von Wirklichkeiten halten, ist sicher - aber das Entscheidende ist dies nicht.

Es kann vielmehr der subjektive Erfolg, der das mehr oder weniger artistisch gewordene Gefühl von Wirklichkeiten in die Kunst hineinträgt, auch durch andre Mittel erreicht werden (Beardsley!).

Ja der Naturalismus großen Stils hat seine Größe immer darin gezeigt, dass er diese sekundären oder Gefühlswirkungen von Wirklichkeit mit anderen Mitteln als die Wirklichkeit selbst es tut, erreicht.

Und auch Musik und Tanz werden die gleiche Erscheinung zeigen können.

Das also scheinen mir die beiden Bedeutungen zu sein, in denen der Begriff des Naturalismus mit Recht auf die Kunst anwendbar ist; in die beiden Richtungen vom Künstler her und zum Beschauer hin löst sich der Irrbegriff einer objektiven Naturabschrift auf, der ein Erfolg des modernen Intellektualismus ist.

Dass das Impulsive, Naturhafte, dasjenige im Künstler, das sich nur äußern will, das Werk dominiert, statt der aus der artistischen Objektivität kommenden Gestaltung, dass man dies durch das rein Artistische hindurch fühlt - und dass der Gefühlsertrag für den Beschauer die Wirklichkeitsgefühle, wenn auch mit künstlerischen Mitteln erreicht, einschließt - das sind die Arten, auf die dem Autor die Realität im Kunstwerk wirklich lebendig werden kann, und für die die objektive Naturalistik des Werkes nur Folge oder Mittel oder Durchgangspunkt, aber kein artistisch wesenhafter Endwert sein kann.

Die Theoretiker des Naturalismus berufen sich dauernd auf die rastlosen Naturstudien der großen Künstler und ihre Äußerungen, dass die Natur allein ihre Lehrmeisterin sei usw.

Der eigentliche Beweispunkt ist darin gänzlich verschoben.

Die Kunst ist Formung von Weltinhalten, die wir auch in der Form der Wirklichkeit haben.

Wenn von ihren Gebilden Gesetzmäßigkeit, Ausschluss der Willkür, Objektivität gefordert wird, so hat dies durchaus nicht die Einsinnigkeit des Wirklichkeitsbildes, da jeder Künstler der gleichen Wirklichkeit ein andres Kunstgebilde entnimmt.

Jene Forderungen beziehen sich nicht auf die Relation des Kunstgebildes zur Wirklichkeit seiner Inhalte; sie beziehen sich darauf, dass die künstlerische Persönlichkeit zu diesen Inhalten ein ideell festgelegtes Verhältnis hat, ein ideell vorgezeichnetes Optimum: wie grade diese Schöpferkraft diese Inhalte zu gestalten habe.

Hier ist ein ganz objektiv Gefordertes, das weder das Gesetz der Person ist, noch das Gesetz der für sich allein betrachteten Inhalte, wie sie in der uns sonst zugängigen Form der Wirklichkeit gegeben sind - sondern ein Drittes, das diese beiden irgendwie in sich enthält, obgleich es nicht aus ihnen gemischt, sondern eine autonome Einheit ist.

Der technische oder psychologische Weg zu ihrer Gewinnung aber ist die Kenntnis der Inhalte, und zwar naturgemäß in der Form, in der sie sich am ersten und eindringlichsten bieten, in der Form der Wirklichkeit.

Was Lionardo und Michelangelo, Velasquez und Rembrandt zu unablässigem Naturstudium trieb, war sicher nicht das Interesse an der Wirklichkeit dessen, was sie sahen und das ihnen den Stoff für ihr Schöpfertum lieferte, das immer ein Schöpfertum der Form ist.

Durch jene prästabilierte Harmonie, die das eigentliche Wunder der Kunst ist und die durchaus der Größe des Genies proportional ist, konnten sie das Innerlichste, Eigenste, Schöpferische ihres Genies um so ungehemmter und energischer entfalten, je tiefer sie in die Eigenstruktur der Dinge eindrangen - also grade die Wirklichkeit nahmen sie den Dingen, indem sie sie zum Inhalt der Kunst machten.

Sehen wir hier noch einmal auf den banalen Begriff des Realismus zurück, der - wenn auch vielleicht nur in seiner Theorie - von der Wirklichkeit hypnotisiert ist, bloß weil sie wirklich ist, so wird er damit der Kunst als solcher nicht weniger untreu als er es der »idealisierenden« Kunst vorwirft.

Diesen Vorwurf erhebt er mit Recht.

Ein Kunstwerk, das seine zentrale, das Ganze bestimmende und dem Ganzen seinen Wert gebende Bedeutung in einer »Idee« jenseits seiner Erscheinung hat, in einer Idee, die ihren Sinn und Wert für sich und unabhängig von dieser Erscheinung besitzt - macht die Kunst gleichfalls einerseits zu einem bloßen Mittel, um mit ihr Gefühle und Impulse zu erzielen, die nach einem Punkt außerhalb der Kunst gravitieren; es macht andererseits die Idee zum Mittel für den Wert und Eindruck des Kunstwerks, fügt ihm also einen sozusagen nicht selbstverdienten Reiz hinzu, in den groben Fällen etwa aus historischen Reminiszenzen, in den feineren aus idealen Werten, religiösen oder ethischen, metaphysischen oder gemütsmässigen.

Der Realismus und dieser Idealismus gehen beide gleich weit, nur nach verschiedenen Dimensionen über die Selbständigkeit und Geschlossenheit der Kunst als Kunst hinaus.

Die bildende Kunst hat eben durchaus keine andere Domäne als die Erscheinung als dasjenige, was man den qualitativen Inhalt der anschaulichen Welt nennen könnte.

Das Sein der Erscheinung, das gleichsam unterhalb ihrer Oberfläche liegt, ist ebenso ein Jenseits der Kunst, wie die Ideen es sind, die entsprechend oberhalb der Erscheinung liegen.

In beiden Fällen lebt sie auf Borg, ihr Ort ist weder die Realität noch die Idealität der Dinge, weder deren Sein, noch deren Zugehörigkeit zu den idealen Ordnungen der Sittlichkeit oder der Erkenntnis, der sozialen oder religiösen Werte - sondern ein Drittes: die sozusagen reinen, von der Fesselung an die Wirklichkeitsform gelösten Weltinhalte, nun in derjenigen Formung, die das Verhältnis zwischen ihnen und einem schöpferischen Geist ihnen auferlegt.

Wenn es von der realistischen Partei mit besonderer Entrüstung zurückgewiesen wird, dass die Kunst »etwas soll« - so gilt dies selbstverständlich nicht von den Forderungen und Idealen, die der Kunst selbst wesentlich sind: gewiss soll das Kunstwerk etwas, nämlich so vollkommen wie möglich sein.

Es gilt aber mit vollem Recht von den Zwecksetzungen, die man der Kunst von außerhalb ihrer aufdrängen will, moralischen oder vergnüglichen, patriotischen oder religiösen.

Wenn sich aber der Realismus gegen solche fremden Gesetzgebungen, die die Kunst zu einem bloßen Mittel herabsetzen, wehrt, so vergesse er nicht, dass er, die Wirklichkeit als Wirklichkeit durch das Kunstwerk hindurchwirken lassend - in grober Unmittelbarkeit oder mit jenen feineren, seelisch-sekundären Reaktionen-, den genau gleichen Fehler begeht.

Er dient der Idee »Realität« ebenso wie jene der Idee Religion oder Versittlichung oder Vaterland.

Auch er setzt die Kunst zu einem Mittel für die Realitätsentwicklung herab - für eine Wirkung also, die ihren Wert nicht aus dem Kunstwerk, sondern aus jenseits ihrer gelegenen Ordnungen und Bedeutsamkeiten bezieht.

Erst wenn begriffen wird, dass die Kunst jenes Dritte - jenseits ebenso der Wirklichkeit wie der subjektiven Willkür - bedeutet, und dieses dadurch erreicht, dass der subjektivnaturalistische Impuls des Künstlers, seine Freiheit, dasjenige erzeugt, was nach den objektiven Forderungen der Kunst notwendig ist - erst dann mag uns eine Ahnung aufgehen, wieso an dem großen Kunstwerk auch die beiden anderen großen Gegensätze, die sonst unser Weltverhältnis unter sich aufteilen: Freiheit und Notwendigkeit ihre Gegensätzlichkeit verlieren.

Der Naturalismus hat den Wahrheitsbegriff nicht nur mechanistisch eng gefasst, sondern ihn auch falsch gerichtet, indem er die künstlerische Wahrheit in die Übereinstimmung mit einem dem Kunstwerk äußeren Objekt verlegte.

Allein dass er überhaupt ein Wahrheitsideal an die Kunst heranbrachte, ist ein unverlierbarer Gewinn.

Das lässt auch gegenüber dem absolut Unnaturalistischen jetzt vor allem die Frage der Wahrheit oder Verlogenheit stellen.

Denn Lüge ist nicht das objektiv sondern das subjektiv Unrichtige.

Wahrheit des Kunstwerks: adäquater Ausdruck eines Seins (der Seele des Künstlers) nicht des Inhalts im Verhältnis zu einem Äußeren.

Die Wahrheit des Kunstwerks ist nichts anderes als die Wahrhaftigkeit des Künstlers: dass er die innere Schauung, die er als Künstler hat, nach außen gestaltet, ohne sie durch Einflüsse aus anderen Sphären abbiegen zu lassen.

Wenn religiöses Dogma oder das Gefallen des Publikums oder historische Tradition ihn bestimmen, so markiert sich das an Unstimmigkeiten und Zufälligkeiten in dem objektiven Befund des Werkes, die wir als dessen Unwahrheit bezeichnen.

Theoretische Wahrheit ist Übereinstimmung aller Elemente, d. h. ihr harmonisches Zusammenkommen zu der Einheit unseres denkenden Ichs.

Ebenso ist künstlerische Wahrheit das Übereinstimmen aller Teile des Werkes, durch das fühlbar gemacht wird, dass sie alle aus einer künstlerischen Seele hervorgegangen sind.

Deshalb ist jede Stilunreinheit, jedes Hernehmen der Elemente des Werkes aus verschiedenen Empfindungsreihen eine Unwahrheit, weil wir fühlen, dass dies nicht aus einer seelischen Wurzel, und also nicht aus einer seelischen Wurzel erwachsen ist.

Eben dasselbe Landschaftsbild, das den Maler zu seiner anschaulichen Wiedergabe anregt, bewegt den Dichter zu einem Gedicht, den Musiker zu einer Komposition.

Das eine hat so wenig objektive Wahrheit wie das andere.

Intellektualismus: Verwechslung der theoretischen mit der künstlerischen Wahrheit - ein Hauptmotiv des Naturalismus.

Fiedlers Theorie von dem Nachbilden des Produktionsprozesses durch den Beschauer ist ein in die Kunstsphäre selbst übertragener Naturalismus.

Immer derselbe in tausend Formen versteckte Grundirrtum, dass Original und Nachbildung mechanisch »ähnlich« sein müssen, dass Ursache und Wirkung sich formal gleichen müssen.

Analogie: die scheinbare psychologische Gleichheit zwischen dem historisch Verstehenden und dem verstandenen Objekt, damit es zu einem Verstehen käme.

Verstehen ist nicht Nachbilden, obgleich irgend eine Parallelität des Seins freilich zum Verstehen gehört.

Gerade die Freude an der »Natur« der Eindrücke ist die mittelbare: Nachtigallenschlag, Blumen, Bergformen verlieren, wenn sie nachgeahmt sind und die Nachahmung als solche erkannt ist (Berge durch Wolken) jeden Reiz.

Hier gehört also außer dem formell ästhetischen Reiz noch etwas dazu, um das zwar die Natur reicher ist als die Kunst, das aber dieser dafür nicht genommen werden kann.

Am Naturprodukt fühlen wir die Genesis, wir leiten es in direkter Linie zurück auf das allgemeine Sein, dem auch wir entsprungen sind.

Die Nachahmung, die auf ganz anderem Wege zu demselben Erscheinungs-Resultat gelangt ist, macht uns völlig unsicher, es fehlt die Basis, zu der wir uns durchfühlen könnten, es schwebt in der Luft, wir suchen unwillkürlich auch ihm gegenüber nach dem Ursprung in der Reihe, deren Blüte er bildet, und wissen nicht, nach welcher Richtung wir suchen sollen, allenfalls finden wir eine, die unseren gewohnten Vorstellungen dieser Dinge ganz heterogen und im Verhältnis zu ihm ganz sinnlos ist.

Dem Kunstwerk gegenüber aber stellen wir diese Frage nicht, es schwebt zwar gleichfalls in der Luft, aber das ist auch sein Ort.

Es hat keine Basis außerhalb seiner, aber es braucht seinem Wesen nach auch keine, ja es darf gar keine, die außerhalb seiner Erscheinung liegt, haben.

Wenn die Kunst im Reiche der bloßen Inhalte des Daseins wohnt, ganz jenseits der Frage nach ihrer Existenz oder Nicht-Existenz - so muss sie dieselben so auswählen und darstellen, dass diese Frage auch wirklich psychologisch nicht auftaucht.

Dadurch sind gewisse Inhalte mehr oder weniger von vornherein ausgeschlossen: sexuelle Vorstellungen, Interessen des ganz täglichen Lebens, sehr merkwürdige Zufälle, historische Ereignisse als solche lassen durch unvermeidliche Assoziationen und innere Vermittlungen die Kategorie der Realität lebendig werden.

Bei dem bloßen Inhalt der Vorstellungen dieser Art taucht der Wunsch, die Frage, das Wissen ihrer Realität psychologisch auf, d. h. die Beziehung ihrer zu noch anderen Sinnen (der Wirklichkeit oder Möglichkeit nach) als zu dem einen, zu dem das Kunstwerk als solches spricht.

Verhältnis des Naturalismus zur Individualisierung, der Stilisierung zur Verallgemeinerung.

Damit dass die Komödie nur Typen zeichnet, macht sie ihren Realismus künstlerisch möglich.

Die Renaissance will nicht Illusionismus im Gegensatz zum Trecento, sondern sie führt nur immer mehr Elemente aus der Wirklichkeit in die spezifische Kunstwelt hinein.

Ganz ohne solche war doch auch das Trecento nicht ausgekommen.

Aber sie wirkten in ihm allerdings schon an sich gänzlich wirklichkeitsfremd, weil zu viele Bestandteile, die der Wirklichkeit korrespondierten, fehlten und erst die Zusammenwirkung solcher den Wirklichkeitseindruck erzeugen können.

Daher entsteht, wo die Kunst sich überhaupt vieler Wirklichkeitselemente bemächtigt, für den ungebildeten Beschauer leicht die Vorstellung des Realismus.

Je mehr Wirklichkeitselemente in die Kunst hineinkommen, desto größer wird ihre Aufgabe, sie zu der besonderen autonomen Kunstwelt zu gestalten.

Dies der Grund, weshalb mit steigender Bereicherung der Kunstprobleme die Bilder, die den Eindruck wirklich reiner Kunst gewähren, immer seltner werden.

Wogegen die sich von selbst ergebende Distanz von der Wirklichkeit in der frühesten Kunst bewirkt, dass auch die Werke minderer Künstler uns in die Kunstsphäre versetzen.

Später wächst die Gefahr des Illusionismus.

Daher Flucht ins Ornamentale.

Dafür die Vertiefung und Verbreiterung der Kunstsphären, wenn sie innegehalten ist, ganz unermesslich gerade durch die scheinbare Nähe des Wirklichen.

Das Ausschalten der Räumlichkeit oder überhaupt das prinzipielle Abstrahieren von Wirklichkeitselementen ist ein bloß mechanisches, äußeres Mittel, um das Fürsichsein und die Eigengesetzlichkeit der Kunst zu markieren.

Sie ist größer, wenn sie alles jenes aufnimmt, ohne dieses zu verlieren, wenn sie sich den Feind dienstbar gemacht hat.

Wie überhaupt der größere Mensch der ist, der den Dingen ihr Recht lässt oder gibt und trotzdem oder eben damit zu der vollen Entwickelung seiner selbst kommt.

(Goethe).

Plastische Gruppen meist völlig zerrissen, weil durch ihre Lücken die wirkliche Welt hineindrängt.

Nur Michelangelo und Rodin schließen ihre Gruppen so, dass dies nicht geschieht.

Eine plastische Gruppe hat etwas Realistisches.

Relation der Figuren bedeutet Realität.

Die Gestalten mögen ideal sein; die Verhältnisse zwischen ihnen können auch zwischen realen bestehen.

Deshalb ist die Gruppe um so künstlerischer je geschlossener sie ist, weil sich die Figuren dann nicht in dieser Relation gegenübertreten; sie sind nicht selbständig genug, um sich gegenseitig Realität zu gewähren.

Denn das Wesen der plastischen Figur ist die absolute Einsamkeit in ihrem Raum.

Sobald die Gruppe die Einsamkeit aufhebt, wird das Kunstprinzip der Plastik bedroht.

Gewiss hat uns die Unzulänglichkeit und rasche Erschöpftheit des Naturalismus wieder einer abstrakten, stilisierten Kunst in die Arme getrieben.

Allein ganz innerlich fühlen wir uns doch auch mit ihr nicht völlig befriedigt.

Die wirkliche neue Kunst wird ein Drittes sein.

Die Ahnung hiervon in Rodin.

Wiederum der Dualismus von Psychologie und Logik.

Bezeichnet man den Naturalismus als subjektivisch (Impressionismus, Naturalismus des Künstlers), den Stilismus als objektivisch, so kann man das Problem auch als Objektivierung des Subjekts ausdrücken.

Beim Künstler setzt sich das Erlebnis -, aber nicht das einzelne oder äußere, dessen es gar nicht bedarf, sondern die Lebensrhythmik und Dynamik als solche -, unmittelbar in schaffende bildende Innervation um.

Dies seine tiefe Fremdheit gegen die theoretische Natur, bei der das Erlebnis innerlich bleibt und keine Gestaltung sondern nur Gedanken auslöst; aber auch die Fremdheit gegen die praktische Natur, bei der nicht das Erlebnis, sondern die Forderung oder der rein aus dem Handlungszentrum hervorbrechende Trieb die Innervation auslöst.

Sobald solche Äußerung absolut unmittelbar ist, ist sie noch nicht Kunst.

- Expressionismus.

Das Kunstwerk wirkt, als wäre es vom terminus ad quem bestimmt.

Beim Künstler ist die Kausalität Teleologie oder umgekehrt.

In dem Maß, in dem Kausalität überwiegt, ist es Naturalismus, weil Natur.

Gerade der am tiefsten schöpferische Mensch sieht die Inhalte seiner inneren Vorgänge sich gegenüber, so dass er sie, die die andern nur leben, gerade so erfährt, wie ein äußerlich Beobachtetes; vielleicht ist dies beim Dramatiker am stärksten, da er Entwicklungsreihen, die ausschließlich von der Keimungskraft seines Geistes hervorgetrieben werden, als Schicksale, Charaktere, Äußerungen selbständiger Persönlichkeiten vor sich sieht.

Man kann durchaus sagen: Shakespeare habe die Hamletgestalt erfahren, gerade wie er die innere Entwickelung seines eigenen Lebens erfahren hat.

Dies ist der vollkommenste Gegensatz zu dem sekundären Talent, dem Pseudodichter, der nur Beobachtungen an Personen außerhalb seiner zusammensetzt, und weil diese von sich aus niemals ein einheitliches und kontinuierliches Persönlichkeitsbild geben, nun grade aus seiner Subjektivität als solcher die Verbindungen und zusammenhaltenden Motive hereintragen muss.

Hier ist eine Inkohärenz des Objektiven und des Subjektiven, die jedes in scharfer Sonderung fühlen lässt.

Deshalb erscheint der nicht im gleichen Sinne schöpferische, sondern nur naturalistisch beobachtende Dichter an vielen Punkten bedeutend subjektiver als jener, bei dem der Schaffensprozess von vornherein und ganz und gar als innere Erfahrung abläuft und die subjektive Produktion eine innere Schauung ist.

Es ist mir gar kein Zweifel, dass die Quelle, aus der der Schaffende die erforderliche Erkenntnis schöpft, Erfahrung ist - aber wiederum keine äußere aus fragmentarischen Beobachtungen gesammelte, sondern Erfahrung seiner selbst: d. h. in ihm selbst entwickelt sich aus einer ursprünglichen Vision, aus einem in ihm selbst liegenden, nun befruchteten Keim Moment für Moment die Gestalt. - Diese autogene Erfahrung ist nicht etwa »innere Erfahrung«, da solche immer als Erfahrung von der eignen Person verstanden wird.

Das Subjekt der Inhalte ist hier immer »Ich«.

In dem Genie aber entsteht das Gebilde, das ein anderes Subjekt hat.

Auch das Kunstwerk wird wie die Wahrheit »gefunden«, als ideell Vorgezeichnetes nachgezeichnet.

Ebenso subjektiv, im Empfangenden.

Wenn wir ein Kunstwerk völlig verstehen, wenn es völlig ergreift und erfüllt, so ist es, als ob es eine Stelle in uns ausfüllte, die genau auf diese Ausfüllung gewartet hat.

Auch in uns ist es wie die Verwirklichung von etwas, was von je als positive bestimmte Möglichkeit in uns war. a n a m n h s i V .

Das ist das eigentlich Göttliche der Kunst: dass sich das Ich an einer objektiven Wirklichkeit ausdrücke, an etwas, das ganz für sich besteht, in seiner Existenz gelöst von seinem Schöpfer, wie man von Gott sagt, dass er zwar die Welt geschaffen und mit ihren Qualitäten und Kräften ausgestattet, dann aber sie völlig den Gesetzen, die nun die ihrigen sind, überlassen hat.

Der praktische Mensch dagegen gibt entweder den bestehenden Dingen neue Formen, schafft also nicht neue Totalitäten - oder wenn er dies tut wie der Erfinder, der Staatsmann, hat das Geschaffene seinen Sinn immer in seiner weiter wirkenden Zweckbeziehung, nicht in seinem selbstgenugsamen Sein.


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
Andreasstr. 15 
8050 Zürich 
Tel. ++41 55 2444012