Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
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  Sociology in Switzerland   Georg Simmel Online G.Simmel: Posthum erschienene Werke

 

Georg Simmel: Über Freiheit

ex: Georg Simmel: Über Freiheit: Bruchstücke aus dem Nachlass. Herausgegeben von Otto Baensch. In: LOGOS. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, hg. von Richard Kroner, Band XI, Heft 1, 1922, S. 1-30.  

I

Man hat es als den entscheidenden Unterschied zwischen dem naturgesetzlich berechenbaren Geschehen und dem seelischen Leben bezeichnet, dass in jenem nichts im eigentlichen Sinne Neues geschehe; denn es sei nur ein Hin- und Herschieben unveränderlicher Quanten von Energie und Masse, jeder Zustand sei in dem vorhergehenden schon virtuell enthalten und die Berechenbarkeit des späteren aus dem früheren setze eben voraus, dass jener nicht durch irgend etwas in diesem nicht enthaltenen zustande gekommen sei.

Dagegen sei es absolut unmöglich, innerhalb des fortschreitenden Lebens mit Sicherheit zu wissen, was wir im nächsten Augenblick denken oder tun werden.

Denn ein jeder solcher ist schöpferisch, er erzeugt etwas, was nicht nur eine Kombination des schon Vorhandenen ist, und deshalb auch aus ihm nicht berechenbar, sondern erst wissbar, wenn es da ist.

Da es nun der G. (Geschichte) aufgegeben ist, das lebendig-seelische Geschehen zu erkennen und zwar ein jedes grade in und aus dem Zusammenhange mit Vorangegangenem, so fordert ihre Theorie die Lösung des Problems, das sich aus dem Nebeneinander jenes angeblichen Unterschiedes und dieser Aufgabe ergibt.

Und da die letztere sich ja doch als eine Umbildung jenes unmittelbar und schöpferisch Erlebten in eine rein erkenntnismässige Form erfüllt, so könnte jener Charaktergegensatz zwischen Mechanismus und Leben eine neue Möglichkeit geben, die G. in der Skala der theoretischen Kategorien festzulegen.

Dafür fordert die behauptete Orientierung nach Tatsächlichkeit oder Ausschluss des »Neuen« eine fundamentale Prüfung.

Die prinzipiell immer mögliche Berechnung aller künftigen Zustände eines mechanischen Systems aus seinem gegenwärtigen Zustand gilt als Beweis, dass die Zukunft ihm nichts Neues zubringen kann; wie sie sich auch gestalte, prinzipiell muss sie restlos in der Gegenwart enthalten sein.

Und dies bestätige sich symptomatisch durch die gleichfalls prinzipiell immer mögliche Rückverwandlung jedes späteren Zustandes in jeden früheren.

Wir können die chemische Verbindung wieder auflösen, die transformierte Energie in die frühere Form überführen, verschobene materielle Gegenstände genau an ihren ursprünglichen Platz stellen; da so in allem Mechanischen jeder status quo ante wieder zu erreichen ist, so kann in dem beliebig gewählten Zeitabstand zwischen je zwei Zuständen eines Systems nichts Neues, das mit dem ersten von ihnen nicht schon gegeben wäre, aufgetreten sein.

Dem Lebendigen aber ist die Umkehrbarkeit versagt. Innerhalb seiner Entwicklung ist jeder bestimmte Zustand an einen bestimmten Moment der nach vorwärts gerichteten Zeit gebunden und kann durchaus an keinem andern auftreten: der Jüngling wird zum Greise, niemals aber der Greis zum Jüngling, niemals kann der seelische Zustand eines individuellen Lebens sich in ihm wiederholen, weil die dazwischen verlaufene Zeit die Verfassung der Seele jedenfalls irgendwie geändert hat, so dass sie die genau gleiche Erscheinung überhaupt nicht zum zweiten Mal hervorbringen kann, die spätere vielmehr, schon weil sie die spätere ist, eine andere sein muss.

Hier ist also das spätere nicht, wie im Mechanismus, eine bloße Umlagerung der Elemente des Früheren, da diese sonst wieder in die alte Lage zurückzubringen wären; jedes Stadium unserer seelischen Verfassung ist ein Neues, das nicht aus dem Vorherigen konstruiert, sondern abgewartet werden muss.

Hier setzt nun zunächst die Verwendung des Begriffes vom »Neuen« voraus, dass die als Mechanismen aufgefassten Erscheinungen ausschließlich mechanistisch betrachtet werden können, d. h. nur auf die gegenseitig einwirkenden Kräfte der kleinsten Teile hin (Formlose Welt).

Fasst man hingegen die Formen ins Auge, die durch und als die Synthesen jener Teile an einzelnen, irgendwie als Einheiten angesehenen Komplexen entstehen, so ergeben sich andere Möglichkeiten.

Die Formen nämlich sind unendlicher Mannigfaltigkeit zugängig, es gibt nicht den geringsten Beweis, der das Auftauchen einer bis dahin gänzlich unerhörten in jedem beliebigen Augenblick verhinderte.

Mag eine solche auch aus den vorhergegangenen Konstellationen berechenbar sein, ihre »Neuheit« wird dadurch nicht angetastet.

Der Schluss: die Berechenbarkeit aus vorangegangenen Faktoren beweise, dass das Berechnete implizite in jenen Faktoren enthalten, also nichts Neues sein könne - ist irrig.

Es gilt höchstens für das dynamische Verhältnis der Weltelemente, d. h. wenn der spätere Zustand das Freiwerden von Kräften bedeutet, die in dem früheren latent waren, dann ist tatsächlich zu der Energiesumme, die jenen bestimmt, nichts Neues hinzugekommen, um diesen zu bestimmen.

Formen aber sind überhaupt nicht in diesem Sinne auseinander entwickelbar, keine kann ihre Energie in die andere hineingeben, da sie als Formen überhaupt keine Energien haben, jede ist der andern gegenüber etwas Neues, niemals kann sich die eine in die andere transmutieren, ohne dass etwas in jener nicht Enthaltenes wirksam hinzukäme, keine geht es sozusagen etwas an, dass andere, ihr gleiche oder ungleiche, vor oder nach ihr da sind.

Im absoluten Maßstabe gilt dies für das Weltgeschehen als Ganzheit und Einheit.

Setzt man dies Geschehen auch als ein rein mechanistisches an, so kann zwar innerhalb der dauernd erhaltenen Quanten von Energie und Stoff nichts »Neues« sich realisieren, allein der Gesamtaspekt einer Phase ist von dem der vorhergehenden jedenfalls unterschieden und selbst dann etwas Neues, wenn er zuvor schon einmal in genauer Uebereinstimmung dagewesen wäre.

Denn diese Uebereinstimmung wäre im eminenten Sinne »zufällig«, die erste Realisierung nicht der Grund der zweiten; selbst bei vorausgesetzter »ewiger Wiederkehr« werden die korrespondierenden Weltzustände nicht durcheinander erzeugt, sondern ein jeder durch solche, die seiner Epoche und ihren untereinander stets differenten Formungen angehören.

Nur von einem Blickpunkt aus, für den die Geformtheit der Welt verschwindet, kann das Auftreten des Neuen in ihr geleugnet werden.

Nur weil der Mechanismus die Formen überhaupt nicht als wesenhafte Weltelemente anerkennt, sondern nur als zufällige Aspekte oder irreale Grenzbegriffe der allein realen Dynamik und Statik der kleinsten Teile, kann er wegen der Berechenbarkeit aller Zukunft, die von diesem Aspekt aus gilt, die Möglichkeit des Neuen ablehnen, alle Begreiflichkeit auf die durch Gleichungen erzielbare beschränken.

Uns aber interessiert dies jetzt nur als Grundlage für sein darüber gebautes Gegenteil: das lebendig-seelische Dasein, das in jedem Augenblick das »Neue« erzeugen soll, schöpferisch, also nicht aus Vorhergehendem berechenbar, innerhalb jeder Reihe nicht wiederholbar, weil die Summierung der von dem Individuum durchlebten Momente für jeden aktuellen solche Bedingungen des Entstehens schafft, wie sie kein früherer haben konnte.

Damit öffnet sich ein Blick auf eine Kardinalfrage der Historik, nach der Individualität der geschichtlichen Tatsachen; sie ist bekanntlich in so radikalem Sinne beantwortet worden, dass man nichts in die Geschichte als solche hineinlassen wollte, was nicht als ein schlechthin Einziges, qualitativ Individuelles angesehen werden konnte; ob es gleich von anderen, als eben den historischen Kategorien aus angesehen, sehr wohl ein Vergleichbares, d. h. allgemeinen Gesetzen, bzw. Naturgesetzen Unterworfenes sein kann.

Ist nun wirklich das seelisch-menschliche Geschehen in jedem Augenblick ein neues, unwiederholbares, so wäre dieses Problem von vornherein gelöst.

Denn damit wäre der Inhalt der G. objektiv als ein jeweils einziger bestimmt, es bedürfte für ihn keiner einseitigen partikularen Einstellung, um ihn historisch als individuellen, neuen zu behaupten; eine solche wäre dann nur nötig für die Betrachtung der gleichen Objekte als allgemein-gesetzlicher, naturhafter, die etwa durch Herauslösung einzelner Elemente jenes Geschehens, Abspaltung mechanischer Teilvorgänge von der objektiven vitalen Einheit vollziehbar wäre.

Zwar könnte in unseren Lebensläufen jeweils ein inhaltlich identischer Abschnitt wiederkehren.

Allein dies wäre, wie in dem soeben vorgekommenen Fall, etwas Zufälliges, da der Inhalt ein jedes Mal aus der Kombination anderer Bedingungen hervorginge und der Voraussetzung nach kein allgemeines Gesetz bestünde, das ihr Auftreten innerhalb der einzelnen Reihe vorzuberechnen erlaubte.

Hat nun tatsächlich das seelische Geschehen dies eigentümliche Verhältnis zu unserem theoretischen Bewusstsein, nach seinem Auftreten zwar völlig feststellbar und durchschaubar zu sein, jedem Vorwissen aber sich seinem Wesen nach zu entziehen? Kann man den Begriff des »Ueberraschenden« von seiner bloß psychologischen, gefühlsbetonten Bedeutung befreien und ihn als eine logische Kategorie für das Verhältnis von Inhalten fassen, so wäre nach jener Theorie jeder seelische Augenblick tatsächlich »überraschend« oder, wie wir es bisher nannten, neu.

[Ersichtlich liegt hier ein Knotenpunkt von Problemen zutage; in der zuletzt formulierten Frage treffen sich (wenn auch nicht zu einfachem Zusammenfallen) jene erste nach der Individualität des historischen Geschehens und die nach der Freiheit und nach der Gesetzlichkeit des Seelenlebens.]

Vielleicht empfängt dieses dunkle Problem eine Klärung, wenn man das Verhältnis zwischen dem Geschehen und der Form als Analogie heranzieht.

Diesem nämlich scheint, in der hier fraglichen Hinsicht, das Verhältnis zwischen dem seelischen Lebensprozess und seinem ausdrückbar bewussten Inhalt zu entsprechen.

In beiden Fällen handelt es sich darum, dass ein Vorgang, dessen Elemente in mechanischer oder der mechanischen ähnlichen Dynamik aufkommen, vermöge dieser in einem bestimmten Stadium seiner Entwicklung einen synthetischen Aspekt darbietet, der dem Vorgang selbst, rein als solcher und in der Entwicklung seiner Elemente betrachtet, nicht zu entnehmen ist.

Wenn eine Gebirgsmasse durch Verwitterung die Gestalt eines Dreiecks annimmt, so ist zwar Gestalt und Lage jedes Oberflächenteilchens durch mechanische Prozesse bestimmt, allein, dass das Ganze in vereinheitlichender Ueberschau ein Dreieck bildet, geht diese Prozesse und ihre konkreteinzelnen Erfolge sozusagen nichts an, sie geben diese Oberfläche her, die von ihnen abgeschöpft werden kann, von außen her und einer ganz anderen Ordnung als der Dynamik des Geschehens angehörend.

Unterscheiden wir nun von dem seelischen Prozess, als einer reinen Funktion, einem Fluten, Drängen, Energieumsetzen unterhalb des mit Worten festzulegenden Bewusstseins - unterscheiden wir von ihm seinen gewussten Inhalt (dasjenige, was wir an ihm haben, während wir jenes sind), so ist auch er gleichsam eine Oberfläche; sie ist zwar hervorgetrieben von jenem dunklen Lebensprozess, mag er zerebraler oder irgendwie anderer Natur sein, aber sie stellt sich so dar, als wäre sie von einem außerhalb dieses dynamischen Vorgangs stehenden Bewusstsein aufgenommen, sie ist wie ein nach außen gewandtes, nur nach außen sich dokumentierendes Bild und ergibt sich erst in einer Synthese der unabsehlichen Teilvorgänge ontogenetischer und phylogenetischer Art, die jener Begriff der seelischen Funktion, des seelischen Lebensvorganges deckt.

Das Bewusstsein vollzieht diese Synthese, schöpft die in ihr sich bildende Form ab, die sich damit als seelisch bewusster, begrifflich ausdrückbarer (wenigstens prinzipiell so ausdrückbarer) Inhalt bietet und in einer Schicht ganz anderen Charakters, ganz anderer Orientierung liegt, als jener zeugende, nach irgendwelchen Bewusstseinsgesetzen abrollende Prozess.

Diese Gesetze mögen unveränderliche, zeitlos geltende sein, der Prozess mag in keinem Falle seines Vorkommens etwas absolut »Neues«, Ueberraschendes sein können, sowenig wie die Verwitterungsvorgänge an jenem Gebirgskamm: wie dies letztere aber nicht verhindert, dass die für die Synthesis resultierende Form, der von der Alternative objektiv oder subjektiv nicht recht getroffene Aspekt des Berges etwas schlechthin Einmaliges, Unvergleichliches ist, sowenig macht der - vielleicht - naturgesetzliche, keine eigentliche Neuschöpfung zulassende Charakter des seelischen Prozesses die völlige Originalität und Einzigkeit seines Inhalts unmöglich.

Die Scheidung von seelischem Grundvorgang und Bewusstseinsinhalt in dieser Hinsicht klarzumachen, ist natürlich die einzige Begründung für ihre Analogisierung mit dem Verhältnisse von Geschehen und resultierender Form; im übrigen besteht kein Vergleichungspunkt.

Aus den beiden behandelten Scheidungen geht nur hervor: einerseits, dass die reine Naturgesetzlichkeit, Berechenbarkeit, Energieerhaltung der mechanistisch verstandenen Welt das Auftreten eines schlechthin »Neuen« und Ueberraschenden keineswegs ausschließt, sobald man überhaupt nur die Form als etwas angeschautes Wirkliches anerkennt; andrerseits, dass das bewusst Seelische, wenn sich innerhalb seiner die Erscheinung eines solchen Neuen tatsächlich zeigt, darum noch nicht ein jener physischen Welt unberührbares Wesensprinzip zu haben braucht, da es vermöge der Trennung seines Prozesses von seinem Inhalt gleichfalls die Naturgesetzlichkeit des Geschehens mit der völligen Neuheit eines, von diesem Geschehen irgendwie getragenen Phänomens vereinigen kann.

Man hat nun diese letztere Zweiheit mit der der Notwendigkeit und der Freiheit identifiziert.

Es bedarf zunächst einer - natürlich nur ganz partiellen - Erörterung eben dieser, insoweit sie jetzt für das Verhältnis der Geschichte zum Leben und dessen verschiedenen Aspekten in Frage kommt.

Hier ist es nun verwunderlich, dass man dieses Problem stets aus methodischen Grundsätzen heraus zu beantworten unternahm, bejahend sowohl wie verneinend; dass man nicht das ungeheure empirische Material des menschlichen Verkehrs zu Rate gezogen hat, und zwar nicht, oder wenigstens nicht nur die aus ihm zu ziehenden Erfahrungen, sondern die außerordentlich viel tieferen und gesicherteren, auf denen er beruht.

Sieht man auf diese hin, so tritt dem ganzen Komplex von Behauptungen des Freien und Ueberraschenden, Unvergleichlichen und Unberechenbaren der menschlichen Verhaltungsweisen die einfache Tatsache gegenüber: dass aller menschliche Verkehr, wie wir ihn kennen, auf dem Vorwissen eben dieser Verhaltungsweisen beruht und ohne ein solches schlechthin unmöglich wäre.

Der in unzähligen Verzahnungen laufende Mechanismus des öffentlichen wie jedes privaten Lebens in unsern und schon in sehr viel einfacheren Kulturverhältnissen würde augenblicklich stillstehen, wenn nicht jedes Individuum unbedingt sicher darauf vertraute, dass sich in unübersehbar vielen anderen Individuen und auch in ihm selbst Gedanken und Willensakte zu ganz bestimmter Zeit in ganz bestimmter Weise einstellen werden.

Dass das Vorwissen noch nicht eingetretener seelischer Vorgänge überhaupt möglich ist, d. h. dass das Vertrauen darauf durch ihr Eintreten nicht enttäuscht wird, ist ein A priori alles menschlichen Miteinander-Lebens.

Unser ganzer Verkehr ist Kreditwirtschaft, deren ökonomische Seite, mit ihren übrigen verglichen, von ganz geringer Ausdehnung ist; und alle Verbreiterung des Verkehrs kann nur in dem Maße geschehen, in dem das Wissen um die künftigen Vorstellungen und Handlungen des Mitmenschen extensiver und zuverlässiger wird.

Dieser Zunahme entspricht freilich mit der Erweiterung des sozialen Kreises eine gewisse Einbuße an Gründlichkeit und Vollständigkeit des Vorwissens um einzelne Individuen, die Entwicklung führt dahin, dass wir uns betreffs der Zukunft immer sicherer auf gewisses Allgemeines in dem Verhalten dieses Kreises verlassen können, immer weniger aber auf die individuellen seelischen Lebensäußerungen.

Aber dies ist sozusagen nur eine technische Modifikation und sie lässt vor allem die Gewissheit über das künftige Verhalten des uns nächststehenden Menschen ganz unberührt.

Gänzlich gleichgültig gegen vorhandene oder nichtvorhandene theoretische Legitimation, ebenso gleichgültig gegen die unleugbare Möglichkeit, dass der von uns am besten gekannte Mensch doch in der nächsten Stunde das absolut Unerwartete, durch seine völlige Freiheit überraschende tue, glauben wir seines künftigen Benehmens so schwankungslos gewiss zu sein, dass wir ein zukünftig anders charakterisiertes Verhalten von ihm weniger zugeben, als dass wir uns etwa in den bestfundierten Erkenntnissen der Naturgesetze getäuscht haben sollten.

Wir handeln als ob wir der künftigen Vorstellungen anderer, oft langer und individuell höchst nuancierter Vorstellungsfolgen, sicher wären, und zwar nicht etwa hypothetisch und mit Vorbehalt, sondern kategorisch und meistens, ohne dass in dieses Vorwissen auch nur die Möglichkeit, dass es anders kommen könnte, dass der andre von seiner Freiheit, abzuweichen, Gebrauch machte, sich irgendwie mischte.

Tritt man nun aber von diesem jeweils auf einen Einzelfall gerichteten Wissen - mag es auch einen ganzen Komplex von Individuen betreffen - zurück, stellt man das Subjekt nicht als individuelle Tatsächlichkeit, sondern als allgemein-menschliche Möglichkeit vor, so weiß man ohne weiteres, dass es sich auch ganz anders, ganz überraschend verhalten kann, unsre Worte unbegrenzt variabel verstehen, seinem bisherigen Charakter strikt entgegen handeln, alle Zuverlässigkeit seines Gefühlslebens durch einen rein aus seinem Innern vorbrechenden Sturm umblasen kann.

Damit zeigt die einfach praktische Alltäglichkeit ungefähr das Gegenteil einer häufig gehörten Ansicht: das Allgemein-Menschliche am Menschen, das Typisch-Durchgehende sei das Naturgesetzliche, das Unausweichliche, mit seinem Wesen Gegebene; die Individualität aber, die singuläre Realität seiner Existenz sei der Ort der Freiheit, hier höre die Berechenbarkeit auf, die generelle Entschiedenheit sei durch unendliche Möglichkeiten der Entscheidung ersetzt.

Hier scheint sich also eine Antinomie aufzutun: der konkrete einzelne Mensch einerseits ein Gegenstand des verlässlichsten, alle Lebenssicherheit überhaupt tragenden Vorwissens, andrerseits grade das ganz Unberechenbare, eigentlich »zufällige«, aller Prognose aufs überraschendste ausweichende Wesen, und: der Mensch überhaupt, das Generelle oder Typische, das in einem ideellen Sinn über den Individuen steht, aber dennoch in jedem Einzelnen subsistiert - dies ist einerseits unabsehlicher Möglichkeiten voll, keine noch so große praktische Sicherheit über das künftige seelische Verhalten des von diesem Blickpunkt her angesehenen Menschen schließt die Chance des absolut Entgegengesetzten aus; andrerseits aber erscheint doch das Allgemeine in uns als die feste Linie, um deren verlässlich gesetzlichen Verlauf die Freiheit und Unberechenbarkeit des individuellen Lebens in den überraschendsten Schwingungen spielt.

Man könnte dieser Antinomie vielleicht durch schärfere Differenzierung der Begriffe Herr werden, nachweisen, dass die Widersprüche sich gar nicht auf genau dieselben Bedeutungen ihrer beziehen.

Was aber dessen ungeachtet von ihr bestehen bleibt, scheint mir den Schluss unvermeidlich zu machen: dass die ganzen hier angewandten Kategorien des Vorwissens oder des Überraschenden, des Neuen oder des Berechenbaren, des Gesetzmäßigen oder des Freien - dass diese die Relation des Erkennens zu dem seelischen Verhalten der Subjekte überhaupt nicht umschreiben.

Dies scheint sich vielmehr in einer Schicht zu bewegen, die in den üblichen Einteilungen der Erkenntnistheorie nicht recht unterkommt und deshalb von allen Gegensätzen in dieser mit dem gleichen Recht und Unrecht in Anspruch genommen wird.

Jenes praktisch zuverlässige Vorwissen stellt sich der Entscheidung zwischen dem Sicheren oder dem Hypothetischen, dem Allgemeinen oder dem Individuellen, dem Notwendigen oder dem Freien überhaupt nicht.

Ich möchte sagen, es ist einfach als Wirklichkeit da, so gut wie sein Objekt, eine Tatsache des Lebens, die in dessen Verflechtungen steht, als eine seiner zahllosen Funktionen überhaupt, herleitbar nicht aus den Bedingungen des Wissens, sondern aus der Totalität des Lebens.

Wenn ich es als sicher oder kategorisch bezeichnete, so war es damit schon auf die Ebene der Theorie mit ihren besonderen Wertungen projiziert, in der es von sich aus gar nicht steht.

Es entspricht aber ganz der Tatsache, dass sein Objekt, das seelische Leben, an und für sich weder frei noch notwendig ist.

Es ist schlechthin und Freiheit und Notwendigkeit sind Beleuchtungen, die von einer weiteren Instanz her auf diese bloße Wirklichkeit fallen.

Sie als Reflexionen über die einfache Tatsache zu bezeichnen, wie es nahe liegt, ist vielleicht nicht erschöpfend.

Ich möchte glauben, dass es sich für die Entscheidung zwischen Freiheit und Notwendigkeit um fundamentale seelische Spannungszustände oder Bedürfnisse handelt, zu jenen polaren, das seelische Gleichgewicht erhaltenden Phänomenen gehörend, wie Bewegtheit und Ruhe, Ernst und Heiterkeit, Expansion und Konzentrierung und viele andere.

Die bloßen Realitäten geben Gelegenheit, bald mehr die eine, bald die andere dieser inneren Möglichkeiten aktuell werden zu lassen, wie (mit den nötigen Vorbehalten) die Landschaft sich dazu hergibt, uns bald als melancholisch, bald als lebensfreudig zu erscheinen.

Gewiss sind es objektive Unterschiede der Landschaften, die uns zu diesen in sie hineingesehenen Charakterisierungen ihrer auffordern; nur nicht solche, die sich mit den so bezeichneten seelischen Färbungen deckten.

So sind es wohl auch sachlich unterschiedene Vorgänge oder wenigstens Aspekte von Vorgängen, von denen die einen zu der Bezeichnung als freie, die andern zu der als notwendige veranlassen, (unbeschadet, dass sie sich gelegentlich übereinanderschieben, Unentschiedenheit oder Gleichzeitigkeit der Zuweisungen ermöglichen, wie ja auch eine und dieselbe Landschaft je nach den Beleuchtungen zwischen jenen beiden Stimmungswerten wechseln kann).

Das schlichte Dasein der Dinge jedenfalls enthält unter seinen unmittelbaren Bestimmungen weder die Freiheit noch die Notwendigkeit.

Die Täuschung hierüber hängt daran, dass eben dieses Dasein 'nicht häufig von der philosophischen Reflexion aufgenommen worden ist; sie meint es wohl, wenn sie den nackten Begriff der »Gegebenheit« verwendet, obgleich auch hierin schon eine reflektierende Beziehung auf das Subjekt lebt, die dem Dasein in seiner Reinheit fern liegt; im allgemeinen aber scheint sie mit ihm nichts Rechtes anfangen zu können, sondern fasst es gleich in irgendeiner besonderen Modifikation oder Kategorisierung auf, an die sie dann ihre systematischen Konstruktionen leichter oder sprungloser anknüpfen kann.

Es ist damit auch nicht etwa die noumenale An-sich-Existenz der Dinge im Gegensatz zu ihrer subjektbestimmten Erscheinung gemeint; auch diese Zweiheit liegt in einer höheren Reflexionsschicht, von der das bloße Dasein nicht berührt wird.

Freilich ist auch der Begriff der »Einheit« nicht darauf anzuwenden, da ihm der bedeutunggebende Gegensatz fehlt.

Die Verkennung davon, dass das Dasein nicht mit einem bis zu seinem Grunde gehenden Schnitt in freies und notwendiges aufzuteilen ist, dass es vielmehr zunächst als ein in dieser Hinsicht nicht differenziertes da ist, hat zu dem häufigen Irrtum geführt, den - versuchten oder gelungenen - Nachweis, irgendein Dasein sei nicht naturgesetzlich notwendig, mit dessen erwiesener »Freiheit« für selbstverständlich identisch anzusehen.

Tatsächlich liegt hier gar keine kontradiktorische Alternative vor, die die Bejahung der einen Seite zur logischen Folge der Verneinung der andern machte.

Es ist vielmehr ein Drittes möglich: aus der eingesehenen Nicht-Notwendigkeit kann man, statt auf die Freiheit, auch auf jene einfache Wirklichkeit schließen, für die weder die eine noch die andere Bestimmung zutrifft.

Als solches primäre Wirklichsein nun wird das menschliche Verhalten von jenem praktisch dauernd geübten Vorwissen erfasst.

Indem unsere ganze Existenz, insoweit sie im weitesten Sinne sozial ist, darin fundamentiert ist, dass wir der Impulse und Leistungen, der Vorstellungen und Gefühlsrichtungen unzähliger Anderer gewiss sind, machen wir dies nicht von einer Überlegung: ob dies Verhalten aus Freiheit oder aus Notwendigkeit hervorgehe, abhängig.

Sondern wie wir es, nachdem es einmal geschehen ist, in der Regel hinnehmen, ohne ihm eine Entscheidung jener Frage zu unterbauen, so stellen wir es auch unter der Kategorie der Zukunft vor.

Und wie seinen Inhalt, so nimmt es auch sich selbst ohne jede derartige Problematik hin, ohne viel nach Sicherheit oder Unsicherheit, nach Kriterien der Vermutung oder des Beweises zu fragen, in jedem einzelnen Falle einfach als eine Tatsache des Lebens, wie unsere Gefühle und unsere physiologischen Gegebenheiten.1

Wie wir uns zwar an Vergangenes erinnern können, aber niemals in absolut genauem und als genau erweislichem Sinne, so können wir zwar das psychologisch Zukünftige wissen, aber niemals in absolut genauem und als genau berechenbarem Sinne.

(Alles schon dagewesen - neu. Handeln: als ob wir frei wären - Theorie: als ob wir gebunden wären.

Geschichte: sich an die bloße Tatsächlichkeit, vor dieser Entscheidung, haltend.) Es ist eigentlich das entsprechende Motiv, mit dem einer der großen Scholastiker die Widerspruchslosigkeit zwischen dem göttlichen Vorwissen und der menschlichen Freiheit erweisen will.

Unser Handeln, so könnte man sein Argument zusammenfassen, mag irgendwelche Vorbedingungen haben, Freiheit oder Notwendigkeit, - irgendwie muss es ausfallen.

Diese Tatsächlichkeit seiner, mit der es in die Erscheinung tritt, ist der Gegenstand der Allwissenheit Gottes.

Auch das aus Freiheit Geschehende geschieht doch, und indem Gott einfach dies Geschehen von Ewigkeit her weiß, wird in dessen Freiheit gar nicht eingegriffen, jenes Vorwissen macht es nicht notwendig: es geschieht nicht, weil Gott es vorher weiß, sondern er weiß es, weil es geschieht.

Setzt man die Absolutheit dieses spekulativen Gedankens zu der Relativität und Unvollkommenheit des menschlichen Wesens herab, so trifft er die Art des hier gemeinten, die menschliche Praxis durchziehenden Vorwissens.

Ob der Mensch, den wir kennen, aus Freiheit oder aus Notwendigkeit handelt, ist hier ganz einflusslos; wir wissen nur: so wird er handeln; denn dies ist es, was für unsere praktischen Zwecke allein erforderlich ist.

Es ist nun zu erwägen, welche Bedeutung die hier behandelten Begriffe für die geschichtliche Formung als solche besitzen.

Sie muss sich an ihrem Unterschiede gegen die Rolle dieser Begriffe in anderen großen Kategorisierungen zeigen.

Ein gewolltes menschliches Tun, insofern es unmittelbares Bewusstsein des Handelnden ist, steht im Zeichen der Freiheit.

Ich halte es für eine Pervertierung dieses Bewusstseins durch nachträgliche theoretische Überlegungen, wenn man unter Wollen überhaupt etwas anderes als frei Wollen versteht.

Was wir Zwang nennen, besagt immer nur, dass wir uns für die eine Seite einer Alternative entscheiden, deren andere zu ergreifen nicht absolut ausgeschlossen wäre, wenn wir nur den Preis bezahlen wollten, den eben diese andere Entscheidung fordert.

Nur dass gewisse Preise gemäß den normalen Wertskalen sozusagen gar nicht in Betracht kommen, scheint uns die entsprechenden Betätigungen der Freiheit a priori auszuschließen und konstituiert damit die sogenannte »Zwangslage«.

Als Ausnahme muss man nur die Fälle der vollständigen Suggestion und jener »Inspiration« zugeben, in denen der Mensch sich als bloßes Werkzeug einer überempirischen Macht vorkommt.

Aber grade in diesen fühlt er seinen »Willen« ja auch ausgeschaltet.

Wenn die Seinswirklichkeit überhaupt als solche jenseits von Freiheit und Notwendigkeit steht, so gilt dies auch für die Seinswirklichkeit des Willens.

Allein es bietet sich hier wieder die typische Erscheinung, dass eine einfache Unmittelbarkeit, in eine dualistische Polarität auseinandergehend, sich nun doch wesentlich für die eine von deren Seiten entscheidet: die innere Qualität des Wollens kann nur als Freiheit bezeichnet werden.

Schon weil der Satz, dass unsere seelischen Akte notwendige sind, sich selbst widerspricht; denn dann wäre dieses Urteil ja selbst notwendig, d. h. es musste gefällt werden, gleichviel ob sein Inhalt wahr oder irrig ist.

Der Wille muss sich vielmehr frei entscheiden können, ob er den Argumenten für die Notwendigkeit oder denen für die Freiheit beizutreten hat.

Es ist die umfassende Freiheit des Willens überhaupt, die die Alternative zwischen Freiheit und Notwendigkeit als sekundären Gegensätzen umgreift, jenes dialektische Argument ist nur die nachträgliche Theoretisierung der Identität von unmittelbarem Wollen und Freiheit.

Aber wie das Dasein überhaupt, so geht auch das menschlich-seelische in freies und notwendiges auseinander.

Während es die erstere Bestimmung in seine unmittelbare innere Wirklichkeit hineinträgt, geht es innerhalb der theoretischen Erwägung in die zweite über; wobei unter theoretischer Erwägung im allgemeinen die als naturwissenschaftlich bezeichnete gemeint ist.

Zwischen Theorie überhaupt und Notwendigkeit überhaupt besteht ein tiefer Zusammenhang; Kants Deutung der Kausalität als einer Form des Vorstellens, durch die aus den dunklen Gegebenheiten des Sinnlichen das Erfahrungswissen gestaltet wird, ist einer der möglichen Ausdrücke oder eine Spezialisierung dieser Beziehung.

Ihre allgemeinere Fundamentierung dürfte in der Scheidung des Seins der Weltinhalte von den Inhalten des Seins gefunden werden.

Für das Sein als solches, für die Tatsache, dass überhaupt eine Welt existiert, finden wir, nach der Art unseres Denkens, keine Notwendigkeit; keiner unserer logischen oder empirischen Gesetzlichkeiten, Denkunumgänglichkeiten wäre widersprochen, wenn statt des Seins das Nichts wäre.

Darum ist das Sein schlechthin irrational, ist der Typus, oder wenn man will die einzige Absolutheit des Irrationalen.

Auch ist das Sein als solches mit nichts verbunden, die Tatsache des Seins ist innerhalb unserer Begriffsbildung eine schlechthin isolierte, aus dem Sein eines Inhalts lässt sich, insoweit man nicht auf den Inhalt selbst achtet, weder vorwärts noch rückwärts auf irgendein anderes Sein schließen.

Keine Theorie kann das Sein durchdringen, es bleibt als eine unaufgelöste Tatsache in ihr.

Da es weder hergeleitet, noch zerlegt, noch zu höheren Einheiten zusammengesetzt werden kann, so ist es überhaupt kein Gegenstand der Theorie, sondern nur des Erlebens.

Unser Lebensprozess verläuft in Verwebung mit Elementen, die, sobald diese Verwebung bewusst wird, als seiende gelten; aber wenn das Denken diesen Punkt erreicht hat, macht es Halt.

Ausschließlich Inhalte - das Was des Seins - sind verbunden, und darum kann nur an ihrer Kette ein an dem einen haftendes Sein auf den andern für uns begreiflich übertragen werden: ein Inhalt reicht es dem andern wie ein verschlossenes Gefäß.

Wir müssen alle Inhalte als miteinander verbunden vorstellen, da wir unter der Voraussetzung leben, dass unsere Wirklichkeitswelt eine Welt ist und nicht mehrere, diskontinuierliche.

Diese Verbundenheit macht den einzelnen im Sein befindlichen Inhalt zu einem notwendigen und darum steht die Theorie, der das Sein unzugängig und die auf die Inhalte angewiesen ist, im Zeichen der Notwendigkeit - wie die Praxis in dem der Freiheit.

Allein von diesem Charakter der Theorie scheint mir das historische Erkennen eine Ausnahme zu bilden.

Suche ich rein herauszulösen, was denn innerhalb seiner das nur und spezifisch Historische ist, hervorgehoben aus der allenthalben dazu wirkenden Vermischung mit naturwissenschaftlich theoretischen und praktischen Denkweisen und Intentionen - so sehe ich als sein Objekt jenes einfach wirkliche Geschehen, jenes noch von keiner nachträglichen Reflexion einkategorisierte Dasein, das mir als das primäre, noch jenseits von Freiheit wie von Notwendigkeit bestehende erschien.

Ich möchte den freilich sehr gewagten Begriff der »reinen Erfahrung« in seinem striktesten Sinne hierauf anwenden; als der Gegenstand der Historie lässt sich hier allerdings das bezeichnen, was »wirklich gewesen ist«, obgleich natürlich dann innerhalb ihrer durch die ihr eigenen Kategorien ein neues besonderes Gebilde daraus erwächst.

Dem Historiker ist es wesentlich, dass ein Geschehen geschehen ist, wie es dem Handelnden wesentlich ist, dass es aus Freiheit, dem reinen Theoretiker (dem naturwissenschaftlich zeitlos Denkenden), dass es aus Notwendigkeit geschehen ist.

Darum hat man die Geschichtswissenschaft auch als die Wirklichkeitswissenschaft schlechthin, oder auch als die Wissenschaft von dem in der Zeit Geschehenden bezeichnen können.

Die Wirklichkeit ist eben das, was vor aller Entscheidung zwischen Freiheit und Notwendigkeit steht (wobei unter ihr nicht »das Sein«, von dem ich sprach, und das in seiner inhaltfreien Reinheit eine Abstraktion ist, gemeint wird, sondern die seienden Inhalte), und das Geschehen, rein auf seine Zeitverhältnisse hin betrachtet, weiß weder von Freiheit noch von Notwendigkeit.

Nun liegt ja zutage, dass der Historiker dauernd Notwendigkeiten, gesetzliche Zusammenhänge, aufsucht.

Allein diese sind immer entweder physischer oder psychologischer Art, die Notwendigkeit von solchem Notwendigen ist sozusagen ein außerhistorisches Imponderabile, das die historischen Möglichkeiten durchflutet - grade wie die ethisch-metaphysische »Freiheit«, von der der Historiker spricht, von ihm aus einer ganz anderen Schicht als der historischen heraus den geschehenen Wirklichkeiten imputiert wird.

Da die eine oder die andere dieser Kategorien fast durchgehends wirkt, so ist das historische Erkennen eigentlich niemals das rein historische, dieses ist vielmehr in seiner Reinheit nur durch Abstraktion aus der Komplexität der tatsächlichen Geschichtsbilder herauszustellen: Geschichte ist niemals bloß Geschichte, wie ihr ganz autonomer Begriff sie erscheinen lässt.

Die Formungen, vermittelst deren sie dieses in das historische Gebilde überführt, nehmen aber, diesem reinen Begriffe nach, das Geschehen nur insofern es wirklich geschehen ist auf, nicht aber als ein, schon als Geschehen, von Freiheit oder Notwendigkeit gefärbtes oder durchdrungenes.

Dass wir die vorliegende Historie dennoch nur in dieser Gefärbtheit oder Durchdrungenheit kennen, bedeutet aber nicht etwa eine Verunreinigung im Wertsinne, die es zu beseitigen gelten könnte, da die Reflexion sie ja doch in der eigentümlichen Art und Einheit, in der sie sich bietet, hinzunehmen hat; es ist nur das Amt der Reflexion, die Elemente, aus denen diese Einheit zusammengewebt ist, nach dem reinen Sondersinn eines jeden sichtbar zu machen.

II

Es handelt sich hier um die Form, in der über den Widersprüchen zwischen unseren letzten Seinskategorien die Möglichkeit eines Lebens - d.h. doch einer Einheit des Lebens - irgendwie anschaulich oder wenigstens ausdrückbar wird.

Macht man mit der absoluten Stetigkeit alles Daseins wirklich Ernst, so verschwindet aus ihm die Kausalität, denn die Verwendung von »Ursache und Wirkung« fordert einen Trennungsstrich, der zwar keine Lücke in dem Zeitverlauf der Geschehensreihe bedeutet, aber doch dies: je ein diesseits seiner liegendes Stück dieser Reihe und ein jenseits seiner liegendes wird zu einer Einheit geballt, derart, dass eine jede solche in sich einen stärkeren Zusammenhalt hat, ihre Elemente untereinander entschiedener kontinuierlich sind, als es zwischen diesem Ganzen und dem zweiten Ganzen der Fall ist.

Nun erst kann das eine Ursache, das andere Wirkung heißen.

Es wird dazu ja ein Zentrum erfordert, um das ein Phänomenkomplex gewissermaßen kristallisiert und zu etwas relativ Beständigem oder Substantiellem oder unter einen Begriff Gefasstem wird.

Und obgleich sich im Geschehensfluss das eine pausenlos an das andere ansetzt, so muss doch die absolute Kontinuität, in der die Richtigkeit je zweier Momente niemals geringer sein kann, als die je zweier anderer, und in der jede Abgegrenztheit und innere Substantialität des Einzelwesens schlechthin aufgelöst ist, gelockert werden, wenn die Einheit: Ursache, von der Einheit: Wirkung - differenziert werden soll, so sehr die Dynamik, die Zeit kontinuierlich erfüllend, sie wieder zusammenbringen mag.

Zerschnitten wir nicht jene unausgesetzte absolute Kontinuität, so würden wir gar nichts haben, was als Ursache und was als Wirkung gelten könnte.

Ganz allgemein wird mit diesen Begriffen in einer lässigen, praktisch zwar genügenden, den genauen Sachverhalt aber verhüllenden Weise umgegangen.

Eine Billardkugel wird so gestoßen, dass sie auf eine zweite trifft; die Bewegung dieser zweiten gilt nun als die Wirkung, und als deren Ursache die Bewegung der ersteren, die ihrerseits durch den vorangegangenen Anstoß verursacht ist.

Allein zu eben diesem Vorgang »wirken« noch eine große Anzahl anderer Ursachen mit: die besonders beschaffene Unterlage, der Luftwiderstand, kurz das ganze Milieu, in dem er sich abspielt.

Streng genommen sind es Gesamtzustände, die ineinander übergleiten und die spezielle Verbindung eines Einzelelementes mit einem anderen Einzelelement ist eine praktisch erforderliche, schließlich aber willkürliche Heraushebung aus einem an sich ungespaltenen Gesamtereignis.

Wie aber dessen Phasen eine sich in sich entwickelnde Einheit sind, so besteht auch sachliche Ungetrenntheit zwischen der letzten Bewegungsphase der gestoßenen Billardkugel und der Bewegung der zweiten, auf die sie trifft.

Beide verhalten sich im objektiven Geschehen durchaus nicht anders, als sich zwei aneinander unendlich nahe Phasen in der Bewegung der einen, ersten Kugel verhalten.

Dass wir sie als zwei selbständige Körper aus der unendlichen Kontinuität des Seins heraustrennen, um sie dann wieder als Träger einer Ursache und einer Wirkung zusammenzubringen, ist eine subjektive Formgebung, eine Auslese, Zusammenballung, singularisierende Akzentlegung, die in die abgrenzungslose Stetigkeit des Seins eingezeichnet wird.

Dieser Widerspruch zwischen Kontinuität und Kausalität, ist für einen Geschehensbezirk schon weitgehend anerkannt, für den psychologischen.

Hier ruht alle Kausalität auf der Isolierung seelischer Elemente gegeneinander, sei es im Kantischen Sinne der Seelenvermögen (»der Verstand bestimmt die Sinnlichkeit«), sei es in der Vorstellungspsychologie, die die Einzelvorstellungen sich gegenseitig heben oder verdrängen, abstoßen oder verketten lässt und diesen streng kausalen Mechanismus als Leben der Seele anspricht.

Dies ist nun freilich lange als eine gewalttätige Zerreißung und willkürliche Hypostasierung durchschaut.

Wir denken uns jetzt das seelische Leben als die Entwicklung einer (im übrigen unbezeichenbaren) Einheit, die sich in jedem Augenblick anders färbt, anders erfüllt, anders orientiert, ein von den Sinnen zwar angeregtes aber von innen her getriebenes organisches Wachstum, in dem kein Schritt zwischen Moment und Moment, keine wirkliche, von vornherein bestehende Zusammenhanglosigkeit von Inhalt zu Inhalt möglich ist.

Hier entwickelt sich Phase nach Phase, eine jede hervorgetrieben aus einer gänzlich unergründeten inneren Dynamik, eine jede zwar dadurch bestimmt, dass diese Dynamik die früheren Phasen als ihre Ausdrücke durchlaufen hat; aber Kausalität in einem für uns geläufigen und belangvollen Sinne - Verknüpfung einer Einzelheit mit einer anderen, Erzeugen der einen durch Komplexe anderer Einzelheiten nach allgemeinen Gesetzen - ist hier nicht zu finden, sondern, da man ihrer nicht entraten konnte, verfiel man auf die einzige Möglichkeit ihrer Anwendung: Atomisierung des seelischen Lebens, Stauung seines kontinuierlichen Stromes zu einzelnen Vorstellungen, die, jeweils mit Eigenkräften geladen, ein mechanisches Spiel nach dem Schema Ursache und Wirkung aufführen - will man Kausalität, so muss man auf Kontinuität verzichten.

Mit der Wechselwirkung verhält es sich ebenso.

Auch hier müssen feste Kristallisierungspunkte innerhalb des fließenden Geschehens sich entfalten.

Eine gewisse Problematik des Kausalbegriffs aber wird vielleicht für diese Anwendung seiner am anschaulichsten.

Wo wir von Ursache und Wirkung sprechen, haben wir Stücke der Welt - »Stücke« in substantieller oder dynamischer, begrifflicher oder psychologischer Bedeutung - gegeneinander abgegrenzt.

Sie haben zwar einen gemeinsamen Punkt, Linie, Fläche des Aneinanderstoßens, wo sich die Umsetzung der Energie vollzieht, aber diese Berührungsstelle trennt zugleich zwei je irgendwie in sich geschlossene, irgendwie in sich zentrierende Wesenheiten.

Wie aber verträgt sich dies mit der streng gefassten Kontinuität der Weltelemente nach Raum und Zeit, nach Beschaffenheit und Bewegung? Unsere Praxis freilich, die mit begrenzten Kräften arbeitet und immer auf ein singuläres Ziel geht, zwingt uns die Kontinuität zu zerschneiden, Linien durch sie zu legen, die irgendein Stück ihrer jeweils als »ein Ding« umschränkt, einem differenzierten Begriff untertan, um ein eigenes Zentrum gelagert.

Aber damit vergewaltigen wir die Form des Weltprozesses, die unsere Theorie als ein absatzloses Gleiten annehmen muss, ein Strömen ohne Pausen und starre Gebilde, ein in jedem Sinn sprungloses, keiner besonderen Grenzüberwindung bedürftiges Gelangen von jedem Punkte zu jedem anderen.

Dass wir in diesen heraklitischen Fluss ein Netz werfen und das von ihm ideell Umgrenzte in sich enger zusammengehören lassen, als es mit anderen zusammengehört, dass wir einem Materienstück oder einer Zeitausdehnung, einem Menschenschicksal oder einem Komplex von Qualitäten, einer Bewegung oder einem Eindruck eine Konsistenz in sich selbst verleihen, durch die er zu einer Einheit wird, jenseits seiner Zugehörigkeit zu der innerlich grenzenfremden Einheit des Kosmos - das ist ein menschlich subjektives Verfahren.

Aber dank der Fähigkeit des Geistes, sich über sich selbst zu erheben, sich gleichsam von außen zu sehen, ist er in diesen von ihm selbst gezogenen Grenzen nicht schlechthin eingefangen, sondern kann jene kosmische Einheit, die sich unserer zerstückelnden, verhärtenden Anschauung versagt, dennoch als die eigentliche Wirklichkeit denken; und dies auch innerhalb von einzelnen Reihen, die als ganze zwar herausdifferenziert sind, innerhalb ihrer aber Stück an Stück zu setzen scheinen, bis die darüber gesetzte Überzeugung von ihrer Kontinuität ihre Parzellierung wieder aufhebt.

Als Gedankengebilde, »Ideen« im Platonischen Sinne, sind die Dinge in festem Umrisse isoliert, ein jedes wird bis zu dieser Grenze von seinem »Begriff« (einem nicht notwendig logisch formulierbaren) durchdrungen, der es dadurch als dieses bestimmte und eine zusammenhält.

Die Doppelbedeutung von Einheit macht sich geltend: würde es nicht als Einheit in sich vorgestellt - wodurch es erst den Sinn eines Dinges erhält - so könnte es auch im numerischen Sinne keine Einheit sein; nur weil es ein Ding ist, kann es ein Ding sein.

So haftet die Geschlossenheit eigentlich nur an dem ideellen Gebilde, an dem Begriff und der ihm entsprechenden Intuition, grade wie die geometrische Genauigkeit an einer entsprechenden, nicht aber an einer realisierten Figur haftet.

Sobald wir aber diese innerlich fixierte Gestalt in die Wirklichkeit übertragen, und sie nun vom Standpunkt dieser Wirklichkeit aus betrachten, zeigen ihre Grenzen sich als nur ideell möglich und lösen sich in stetigen Übergängen in das Diesseits und jenseits, das Vorher und Nachher, das Mehr und Weniger auf.

Damit entschwindet die Zentrierung des Dinges in sich selbst, es ist nicht mehr der Träger absolut charakterisierender Umrisse und Subjekt nur noch in dem unrealistischen Sinne, in dem wir seine Flüssigkeit in jene bloß gedachte Form bannen.

Da nun Kausalität von der Herstellung eines Subjekts als Ursache und eines Subjekts als Wirkung abhängig ist, so ist sie mit der subjektlosen Kontinuität des Weltgeschehens nicht zu vereinigen.

Damit erst scheint mir der Humesche Zweifel an der ursächlichen Verbindung auf seinen Sachgrund gebracht zu sein.

Die unmittelbare Erfahrung zeige uns nur das zeitliche Nacheinander der Erscheinungen; wenn das Auftreten der einen an ihrer Zeitstelle es notwendig zu bedingen scheine, dass eine andere an der ihrigen auftrete, so sei dies ein nur psychologisch zu erklärender Zusatz zu jener allein realen nur zeitlichen Folge.

Allerdings: sobald man das Geschehen ausschließlich auf seinen zeitlichen Verlauf hin ansieht, so folgt es der in sich schlechthin gleichmäßigen, ungegliederten Kontinuität der Zeit selbst; seine Inhalte können deshalb nicht als Ursachen und Wirkungen auftreten, weil diese an Subjekten als Sonderexistenzen haftet, und die Stetigkeit der Strömung es zu solchen nicht kommen lässt.

Hume sah nicht ein, weshalb es uns als notwendig gelten solle, dass B auf A folgt, d. h. wieso es mit dem Sachgehalt von A begründet ist, dass sich B daran ansetze.

Der eigentliche Grund davon ist, dass seine ausschließlich auf die Zeitfolge eingestellte Betrachtung es zu dem Subjekt A, als einem abgeschlossenen Sachgehalt, überhaupt nicht kommen lässt.

Ist aber diese Abschließung und Eigenzentrierung einmal an A und B vorgenommen, so sucht man durch die Notwendigkeit, mit der B sich an A schließen soll, den ununterbrochen einheitlichen Zusammenhang des Geschehens wieder herzustellen.

Da man aber die Kontinuitätsform, die diesen Zusammenhang trägt, zuvor gesprengt hat, so gelingt dies nicht, sondern der Riss zwischen der Notwendigkeit und der Wirklichkeit bleibt bestehen, den Hume gefühlt hat.

Man mag das auch so ausdrücken, Kausalität fordert die sondernde Umgrenztheit ihrer Träger, weil sie eine Relation ist.

Wenn es nichts Getrenntes gibt, ist sie sinnlos, denn dann gibt es nichts zu verbinden.

Und entsprechend sinnlos ist es - die Metaphysik hat das oft betont - an das Ganze des Daseins, als Einheit betrachtet, die Kausalforderung zu stellen.

Freilich hat man das in der Regel von außen her begründet: da das Ganze ja alles, was man als wirklich denken kann, einschließt, so habe es nichts außer sich, wovon es als Wirkung abhängen könnte.

Es ist aber ebenso gut von innen her zu ermessen: Die Einheit des Ganzen bedeutet eben die grenzenfreie Kontinuität des Geschehens.

Denn sie ist nur funktionell zu denken.

Dass sie als ruhende Substanz Einheit sei, mag als metaphysische Spekulation oder mystische Schauung gelten; sobald man sich aber in der Ebene des Empirischen mit seinen unzähligen Verschiedenheiten und Gegensätzen hält, kann ich mir unter einer starren Einheit des Ganzen nichts Rechtes denken.

Dass Goethe und eine Welle des indischen Ozeans, der Hermes des Praxiteles und die Flamme in meinem Ofen eine Seinseinheit ausmachen, bleibt mir ein bloßes Wort.

Dagegen, dass die Strömung des Weltprozesses all diese Erscheinungen gestattet, dass seine in kontinuierlicher Zeugung bestehende Einheit nicht durch solche herausgehobenen Unterschiede zerbrochen wird, - scheint mir ein durchaus vollziehbarer Gedanke.

Und dann wäre schon der Ausdruck unzutreffend, dass dieser Prozess die Grenzen der Dinge aufhöbe, verschwimmen ließe.

Denn dazu müssten diese Grenzen doch zuvor bestehen, was sie doch nur tun, wenn unsere sekundäre Betrachtungsweise sie der Einheit jener Strömung entrissen und in die begriffliche Festigkeit eines Umrisses gebannt hat.

Fassen wir nun diese Einheit als Ganzheit, so kann man allerdings aus dem oben betonten Grunde nicht nach ihrer Ursache fragen.

Da das Ganze keine hat und bei dieser Einstellung noch keine »Teile« bestehen, so ist auch innerhalb des Ganzen kein Platz für Kausalität, sondern erst in der Schicht der gesondert betrachteten Elemente.

Es scheint mir unbezweifelbar, (obgleich es nicht beweisbar ist), dass die Kontinuität des Weltgeschehens nirgends ein so deckendes Einzelbeispiel oder Symbol, einen so unmittelbaren Ausdruck findet, wie in dem, was ich vorhin als den seelischen Prozess bezeichnete.

Mag er durch Zustände von Bewusstlosigkeit unterbrochen werden- insoweit er besteht, ist das Lebensgefühl überhaupt, das ihn zunächst repräsentiert, ein absolut stetiges.

Wenn an ihm Schwankungen der Intensität beobachtbar sind, so sind sie doch nie durch jene scharfen Grenzen getrennt mit deren Setzung die eine Periode und die andere sich in sich zentral zusammenschließt und so die eine als Ursache, die andere als deren Wirkung zu bezeichnen wäre.

Hier liegt in der Tat jenes absatzlose Fließen vor und gestattet nicht die - gleichnisweise gesprochen - atomisierende Sonderung, die dann wieder durch die Kausalität in nachträgliche Einheit gebunden wird.

Zwischen Ursache und Wirkung kann kein zeitliches Intervall liegen, der Kausalprozess kann nicht zeitlich sein.

Wenn ich ein Glas zur Erde werfe, dass es zerbricht, so nenne ich meine Wurfbewegung die Ursache des Bruches.

Allein in Wirklichkeit bewirkt sie nur, dass der Gegenstand mit einer gewissen Energie versehen wird, oder auch, dass er sich in dem Augenblick, der meiner Handhabung mit ihm folgt, an einer anderen Raumstelle als in meiner Hand befindet.

Sein Verhalten in dem nächsten Augenblick seines Weges zur Erde ist darum schon nicht mehr meine Wirkung, sondern die seines vorangegangenen Verhaltens, das aber zwischen diesem jetzigen und meiner Aktion liegt.

Dass er auf die Erde aufschlägt, ist die Wirkung des dem unmittelbar vorangehenden Zustandes und meine Handbewegung ist dafür völlig gleichgültig geworden.

Zwischen Ursache und Wirkung, wenn wir mit ihren Begriffen Ernst machen, kann kein zeitlich ausgedehntes Geschehen liegen, weil dann die Ursache sich nur auf den ersten Moment dieses Zwischengeschehens, die Wirkung nur auf seinen letzten beziehen würde.

Da nun das Geschehen überhaupt kontinuierlich ist, also zwischen je zwei angebbaren Momenten immer noch eine Zeit liegt, so ist der Begriff von Ursache und Wirkung damit unvereinbar.

Er gilt nur bei einem irrealen Auseinanderrücken beider; in der Umbildung in diese Schicht ist er legitim, innerhalb des unmittelbaren Geschehens nicht.

- Es kann auch zwischen Ursache und Wirkung keine leere oder als leer anzusehende Zeit liegen, denn dann würde die Ursache ja an deren oberer Grenze aufhören und die Wirkung an ihrer unteren von neuem, aus dem Nichts, einsetzen.

Ursache und Wirkung müssen also zeitlich zusammenfallen, sind nicht zu unterscheiden, d. h. existieren nicht als Ursache und Wirkung.

Was wir Ursache nennen, ist eine Formung des absoluten Weltgeschehens, die als Durchgangsstation für die nächste, welche als deren Wirkung gilt, dasteht.

Es gibt nur das stetig flutende Geschehen, das in jedem Augenblick ein Wirklichkeitsstadium hat, welches man als die Wirkung alles vorangehenden Geschehens ansehen kann; aber man kann nicht das unmittelbar vorangehende Stadium als eigentliche und zulängliche Ursache ansprechen.

Weil die absolute Kontinuität die Kausalität aufhebt und das seelische Leben absolute Kontinuität ist (vielleicht nur seiner Idee nach?), darum kann dieses Leben das Bewusstsein der Freiheit haben.

Auch das Weltganze als Einheit ist kontinuierlich (sonst wären es mehrere Welten) und darum ist das Weltganze frei, aber nicht seine gegeneinander diskontinuierlichen Stücke. 2

»Die primäre Kausalität ist die Notwendigkeit der zeitlichen Aufeinanderfolge der Wirklichkeitstücke.« Hessen, Ind. C. 3 Wenn es also keine »Stücke« gibt, so gibt es auch keine Kausalität.

III

Der Begriff der Freiheit ist bei den Kynikern und Kyrenaikern der gleiche.

» Es ist nicht der Begriff eines bestimmten Anteils an einer durch den Staat verkörperten Herrschaftsgewalt, sondern der einer persönlichen Unabhängigkeit von jeder besonderen Staatsordnung.« Kaerst, Geschichte des Hellenismus I (zweite Auflage), Berlin 1917, Seite 88.

Dialektik der Freiheit: Freiheit geht sofort (oder schon als solche) in die Beherrschung anderer über.

Sobald diese aber da ist, ist es mit der Freiheit vorbei, der Herrscher ist von seinen Dienern abhängig, der Herr der Sklave seiner Sklaven.

Die Freiheit des Menschen hat ihr Symptom darin, dass er den andern die Freiheit gibt.

Ein Tyrann ist nicht frei. Es besteht ein tiefer Zusammenhang zwischen der eigenen Freiheit und der der anderen.

Dass jeder nur soviel Freiheit haben soll, wie mit der Freiheit aller verträglich ist, wendet dies nur ins Normative und mehr Aeußerlich-Praktische.

Kann man frei sein auf Kosten anderer? Oder vielleicht grade nur auf Kosten anderer (Nietzsche)? Gibt es ein Freiheitsquantum, nach der jeweiligen sozialen und inneren Gesamtlage bestimmt, das nur gleichmäßiger oder ungleichmäßiger verteilt werden kann?

Freiheit als Bedürfnislosigkeit, Unabhängigsein von allen Wunschbarkeiten.

Zuhöchst im buddhistischen Mönch.

Dass er dabei nichts leistet, ist kein Einwand; denn das will er ja gerade; jedes Wirken, auch das herrscherliche, macht uns abhängig, mindestens doch davon, ob sein Erfolg eintritt oder nicht.

Entscheidend aber ist, dass damit die Weltstellung des Menschen verschoben wird.

Wir sind nun einmal Geschöpfe des Kosmos und in ihn verwebt, und dass wir seiner bedürfen, ist eine unerlässliche Form unseres Zu-ihm-Gehörens (womit durchaus kein Naturalismus oder Materialismus gemeint ist).

Es ist ein verquerer Stolz nichts bedürfen zu wollen, es ziemt sich, dass wir uns in diese zugewiesene Weltstellung schicken.

Freiheit des Willens ist noch nicht vollkommene Freiheit.

Wo Wille ist, da muss noch etwas überwunden werden (sonst bedürfte es keines Willens), da herrscht noch nicht unser Sein in Reinheit und Absolutheit.

Auch die überwundene Hemmung ist noch Hemmung; darum ist das Moralische nicht der Sitz der letzten Freiheit.

Wenn Freiheit bedeutet, dass das Leben des Ich schlechthin nur von dem Ich selbst gelebt wird, von seiner Wurzel her, deren einheitliche Triebkraft keine Spaltung und Gegenstrebung kennt, so kann das in diesem Sinn freie Leben überhaupt nicht durch den Willen hindurch kanalisiert werden, sondern spricht in Liebe und Hass (es ist das, was die eigentliche »Gnade« in der empfangenen Liebe ausmacht, das von dem Willen des Liebenden ganz unabhängige), in den unüberwindbaren letzten Überzeugungen, in den unmittelbaren Instinkten.

Innere Freiheit heißt: Gebundenheit durch die Sache - nicht durch etwas, was außerhalb ihrer oder außerhalb der direkten Linie zwischen mir und ihr liegt.

Vollkommene Objektivität ist vollkommene Freiheit.

Andererseits aber ist Freiheit doch die äußere und innere Gestaltung der Dinge nach der Persönlichkeit des Gestaltenden.

Ist sie der Beweis für die legitime Vieldeutigkeit des Objekts? Oder der Punkt, an dem Subjektivität und Objektivität ihren Gegensatz verlöschen?

Freiheit, definiert Mill, wäre das Bewusstsein, dass man hätte anders handeln können.

Dies ist der reine Zirkel, denn das »Können« heißt ja gar nichts anderes als die Freiheit zu diesem Anderen zu besitzen.

Die Stoiker beschränken das Leben auf den Punkt, wo der Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit hinfällig wird, weil an ihm kein Gegensatz von Seele und Welt mehr besteht.

Der Vollendete lebt aus demselben göttlichen Sein heraus, das nichts außer sich hat, was seine Freiheit beschränken könnte.

Freiheit als Wesen des Geistes mag darin wurzeln, dass die Inhalte des seelischen Prozesses, das wirklich Bewusste, keine kausale Energie besitzt, dem Geschehen, dem Prozesse überhaupt entgegen ist.

Es gibt immer etwas zu wenig Freiheit in der Welt, grade wie etwas zu wenig Nahrungsmittel.

Was der eine hat, muss (von einer Schwelle an) dem anderen genommen werden.

Wenn ich freie Bahn haben will, müssen andere mir Platz machen.

Hier liegt die Bedeutung der Freiheit: Man kann nicht schlechthin »frei« sein, das gibt keinen Sinn, man muss frei von etwas sein.

Und die Freiheit des Menschen bedeutet, dass er von jedem angebbaren einzelnen Naturgesetz frei ist, da dies sich immer nur auf Teile seines Gesamtseins bezieht, dieses Gesamtsein sich aber nicht in Teile restlos auseinanderlegen lässt, sondern als Einheit eine Form, Schicksal, Entwicklung hat, für die es kein Gesetz gibt.

Dass das Individuum eine Einheit, eine nicht zusammensetzbare Totalität ist (bzw. soweit es das ist), macht es von jedem Naturgesetz unabhängig.

Der Mensch kann sich so verhalten oder er kann sich ganz anders verhalten - er bleibt ein Selbiger.

Dies ist die Grundkategorie, die sich uns als Freiheit spiegelt, als »Möglichkeit«, sich so oder so zu verhalten.

Während jedes andere Wesen durch Anderswerden ein anderes wird, bleibt der Mensch dabei derselbe, hat also die Freiheit, sich so oder so zu verhalten, ohne sich zu ent-ichen. Aber dies ist die objektive Freiheit des Andersseins, nicht die subjektive des Sich-anders-entscheidens.

Schließlich aber Reflexionssache? Dass der Mensch das wagende Wesen ist, hängt mit seiner Freiheit solidarisch zusammen.

Wer determiniert ist, kann nichts wagen, auch wenn sein Benehmen äußerlich diesen Charakter zeigt.

Von der anderen Seite her: erst im Wagnis offenbart sich die Freiheit.

Wenn sie, in einfachstem Schema, die Wahl zwischen zwei Wegen bedeutet, so enthält der Augenblick der Entscheidung das Wagnis: ob der eingeschlagene Weg wirklich der wertvollere ist.

Denn wäre das von vornherein so sicher, dass der andere überhaupt nicht in Frage kommt, wäre dessen Wert derartig nichtig, dass auf ihm keinesfalls etwas zu gewinnen wäre, wüsste man das Übergewicht des einen im Entscheidungsaugenblick mit absoluter Gewissheit, so würde eine Freiheit der Wahl gar nicht in Funktion treten.

Die Forderung, dass wir frei sein sollen, ist ein logischer Zirkel.

Denn nur ein freies Wesen kann etwas sollen.

Metaphysisch aber drückt er nur aus, dass Freiheit und Sollen hier eines und dasselbe sind.

Zusammenhang der Freiheit mit dem Prozess-Inhaltproblem.

Notwendigkeit kann nur im Prozess liegen, also in dem ganzen nicht-seelischen Geschehen, weil in ihm Prozess und Inhalt nicht geschieden sind.

Wo aber der Inhalt in Eigenbedeutung besteht, weil er mit dieser in einer andern Kategorie als in der der Wirklichkeit steht, ist er jenseits der Notwendigkeit.

Denn notwendig kann nur ein Wirkliches sein, da sie eben Notwendigkeit des Wirklichwerdens ist.

Indem ich den Vorstellungsinhalt als solchen vorstelle, hat er eine ideelle Festigkeit angenommen, die ihn dem Prozess als einem kontinuierlich fließenden entzieht.

(Zu erwägen, dass die strenge Kontinuität die Kausalität aufhebt.) Indem der Inhalt die Doppelstellung hat: sowohl als seelischer Prozess wirklich zu sein, wie eine geschehensfreie Geltung (nicht Wahrheit!) zu besitzen, die auch in dem Prozess enthalten ist und gespürt wird, erscheint hiermit ein nicht Notwendiges verwirklicht, d. h. eine Freiheit.

Die Freiheitsbehauptung bei Kant ruht darauf, dass er die Willensbestimmung durch den terminus ad quem ablehnt, dass ihm das Wollen als Begehren nicht nur als unethisch erscheint, sondern dies deshalb tut, weil es gar kein eigentliches oder »reines« Wollen ist; denn der Gegenstand, durch den es bestimmt wird, ist eben »Gegenstand« (vertreten durch das sinnliche Verhältnis zu ihm) und nicht das Wollen selbst.

Sobald wir etwas wollen, sind wir nicht frei, nicht mehr ganz wir selbst.

Aber dies ruht freilich auf jener Voraussetzung, dass das sinnliche Verhältnis zum Gegenstand dasselbe sei, wie der Gegenstand selbst; denn dieser bestimmt uns doch im genauen Sinne nicht, von ihm geht keine Attraktion aus, sondern von einem Reizgefühl, das schließlich doch auch in uns selbst entspringt.

Um über diese Schwierigkeit hinwegzukommen, muss Kant dekretieren, dass nur »die Vernunft« unser eigentliches Ich ausmache, wodurch das Sinnliche in die Dimension des Gegenstandes, des Nicht-Ich geschoben und die Bestimmung durch das Sinnliche also zur Unfreiheit wird.

Freilich könnte man die Vernunft auch als ein Nicht-Ich ansehen, indem sie der Vertreter eines schlechthin Überpersönlichen ist; womit auch das Bestimmtwerden durch sie Unfreiheit wäre.

Das Leben ist in der immanenten Abfolge seiner Momente (vielleicht) notwendig verknüpft; die Inhalte sind, als Welten, jeweils in sich logisch und sachlich verknüpft.

Aber voneinander sind diese Verknüpftheiten unabhängig, in Hinsicht auf die andere ist jede frei.

Nun würde die Schwierigkeit, das Wirkliche mit dem Wert zu verbinden, vielleicht nicht bestehen, wenn überhaupt nur eine Wertart zu verwirklichen wäre.

Wäre das wirkliche Dasein, soweit wir aktiv an ihm beteiligt sind, nur dem Guten zugängig, so könnte es eben tale quale unter der Kategorie des positiven Wertes betrachtet oder in sie transponiert werden, und es würde keiner Freiheit bedürfen; ebenso wenn es nur unter die negative Wertform rücken, wenn es wertmäßig nur böse sein könnte.

Weder Engel noch Teufel bedürfen der Freiheit.

Aber dass die menschliche Wirklichkeit sowohl gut wie böse sein kann, das scheint ihre Geschlossenheit in noch ganz anderer Weise zu zerreißen, das fordert noch ein Prinzip außer der Wirklichkeit und dem Wert.

Dieses bewegliche, vermittelnde Glied ist verantwortlich für Wert und sein Gegenteil.

In ihrer logischen Struktur sind Freiheit und Notwendigkeit nur negativ zu charakterisieren: Freiheit dadurch, daß etwas Anderes als das Wirkliche möglich ist, Notwendigkeit dadurch, daß ein Anderes nicht möglich ist.

Wenn beide positiv sein sollen, müssen sie Gefühle sein, mit denen wir das Wirkliche durchdringen. Alle Notwendigkeit logischen Sinnes ist ja nur eine relative; die absolute ist nicht nachweisbar.

Dennoch fühlen wir sie und aller Nachweis könnte bestenfalls auf die Entstehung dieses Gefühles führen.

Daher kommt es, daß logisch zwingende Beweise uns dennoch oft nicht überzeugen.

Nur als Erlebnisse haben Freiheit und Notwendigkeit einen positiven Sinn.

Beide weisen auf Vergangenheit und Zukunft hin, sind Gegensätze sowohl zur Gegenwart, die die Form aller Wirklichkeit ist, wie zur Zeitlosigkeit, die auch nur ein ideell Wirkliches bezeichnet.

Die Griechen waren das Volk der Gegenwart und der Zeit­losigkeit, darum wußten sie nichts von Freiheit und Notwendigkeit. Die µoira, die eiµarµenh und die Zyklik des Weltprozesses waren Tatsachen, durch die andere Tatsachen bestimmt wurden, höchstens Grenzbegriffe, mit denen sie sich der Schranken der Gegenwartswelt dunkel bewußt wurden.

 Ist »Notwendigkeit« eigentlich noch etwas anderes als Nicht-anders-sein-können, Nicht-anders-gedacht-werden-können?

Kommen wir über diese dürftige Negativität ihres Sinnes hin­aus? Gibt es Notwendiges als Positives?

Oder ist nur das Sein positiv und Notwendigkeit entstünde, indem wir uns das Sein (das eben nicht notwendig ist) auch als anderes denken können und nun die Verneinung eben dieses letzteren Notwendigkeit heißt?

Dann wäre Notwendigkeit durch die Freiheit des Geistes bedingt.

Der prinzipielle Fehler ist, daß man Freiheit als einen - mindestens als Problem - einfachen oder eindeutigen Begriff voraussetzt.

Daher die unsinnig verschiedenen, scheinbar äquivalenten Lösungen.

Die Kantische Antinomie ist doch schon ein Hinweis auf die Mehrheit seiner Bedeutungen, und zwar schon seines metaphysisch-ethischen Sinnes für sich.

Er ist ein  Sammelname wie Kunst, und es ist sehr zweifelhaft, ob man ein sachlich Gemeinsames, das diese Namengleichheit begründete, auffinden kann.

Vielleicht nicht einmal sehr wichtig.

 Doppelte Bedeutung der Freiheit: Freiheit von etwas, und Freiheit, weil nichts da ist, wodurch man gebunden ist und, infolgedessen, wovon man frei sein könnte.

Beide sind etwas völlig Verschiedenes.

Die Totalität des Seins ist frei im zweiten Sinne, und entsprechend alles, was ihr, wenn auch abgeschwächt, analog ist; die individuelle Seele, das Kunstwerk.

Aber zugleich kommt auch der andere Sinn von Freiheit fortwährend für die Seele in Betracht, und die Verwechslung und das Durcheinandergehen beider ist der Grund von Konfusion und Ratlosigkeit.

 Die Erörterung des Freiheitsproblems kann nur die zwei Erörterungen umfassen: wovon man frei ist und wozu man frei ist. Ohne diese Relationen ist Freiheit etwas so Nichtiges, wie wenn man den Ort eines Punktes suchen wollte, für den es kein Koordinatensystem gibt.

Da es unendlich viele Dinge gibt, von denen man frei sein kann, so gibt es auch unendlich viele Freiheiten. Die Freiheit  von etwas generell anderem ist auch eine generell andere Freiheit.

 Vielleicht ist dies die generell notwendige Erkenntnis: dass es gar nicht Freiheit überhaupt gibt, sondern eine Freiheit zu etwas und von etwas Bestimmtem.

 


Fussnoten

1 Das Wissen, das, obwohl es sich seiner durchaus als Wissen bewusst ist, die Frage nach seiner Sicherheit oder Unsicherheit gar nicht in sich einfließen lässt, ist eine häufigste und ganz generelle Tatsache, die nur von der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie nicht in Betracht gezogen wird - begreiflicherweise, da diese nur die wissenschaftliche Erkenntnis zu ihrem Gegenstand zu machen pflegt.

Für die Wissenschaft sind ihre Inhalte nur nach der Seite ihres Erkanntwerdens von Bedeutung und sie hat deshalb ein primäres und niemals auszuschaltendes Interesse an dem Sicherheitsgrade ihres Erkennens.

Für das Wissen aber, das nicht um des Wissens willen, sondern durch die Lebensverflechtung, das Interesse an seinen Inhalten als solchen, seine inneren und äußeren Ergebnisse gesucht wird, steht es anders.

Begrifflich angesehen musste freilich auch hier die erste Frage sich auf die Gewissheit richten und diese den Wert des Wissens bestimmen.

Allein diese logische Frage wird - außer in einzelnen Fällen, in denen aber auch nicht das Interesse des Wissens als solchen, sondern ein anderweitiges sie herbeiruft - hier nicht gestellt, sondern das Bild eines Seins, einer Qualitätsbestimmung, einer Relation erzeugt sich, hinsichtlich des Gewissheitsproblems sozusagen noch undifferenziert, als hätte es vom Baum der Erkenntnis nach ihren logisch-theoretischen Erfordernissen noch nicht gegessen; der Vorstellungsprozess macht diesseits der Frage nach Sicherheit oder Unsicherheit halt, und dies ist nicht eine psychologische Unzulänglichkeit, eine Unbewusstheit oder eine Vernachlässigung, die nicht sein sollte, sondern jenes Problem der Sicherheitsskala muss aus einer ganz anderen geistigen idealen Ordnung erst an dieses einfache Wissen herangebracht werden und liegt mit seinen unendlich abgestuften Beantwortungen überhaupt nicht in dessen eigener Entwicklungslinie.

Ist aber die Frage überhaupt erst einmal als prinzipielle aufgeworfen, so macht ihre logische Selbstverständlichkeit und Unentbehrlichkeit es uns Schwer, wieder von ihr abzusehen und uns bewusst sozusagen in den erkenntnistheoretischen Unschuldszustand zurückzuversetzen, in dem freilich das weit überwiegende Quantum unseres Wissens sich bewegt.

Insbesondere verbirgt sich uns diese Beschaffenheit seiner durch den Zwang der Sprache, dieses in Hinsicht der Sicherheit noch naive Erkennen ebenso auszudrücken, wie das durch die erkenntniskritische Frage hindurchgegangene und als kategorisch erkannte.

Allein dieses Schicksal, einen in bestimmter Hinsicht undifferenzierten Inhalt sprachlich ebenso zu bezeichnen, wie eine der gegensätzlichen Färbungen, in deren Alternative er dann nach geschehener Differenzierung gestellt ist - dieses Schicksal ist unserer Geistigkeit vielfach nicht erspart.

Ich erwähne nur einen Fall, der auch inhaltlich nicht ganz ohne Beziehung zu dem vorliegenden ist.

Vom verneinenden Urteil hat man behauptet, es setze das bejahende voraus, sei ein Urteil über ein Urteil; »S ist nicht P« bedeute: »es gilt nicht, es darf nicht angenommen werden, dass S P sei.« Ich glaube nicht, dass dies die richtige Deutung ist, vielmehr dass das bejahende und das verneinende Urteil zwei gleich ursprüngliche Setzungen, zwei parallele und nur entgegengesetzte Beziehungsarten zwischen S und P sind.

Freilich liegt ihnen der logischen Struktur nach das Urteil S ist P zugrunde, aber nicht als bejahendes, sondern als rein formale ideelle Verbundenheit von S und P, vor der differenzierenden Frage, ob diese Verbindung gültig oder ungültig ist.

Anders ausgedrückt: Verbindung heißt hier zunächst nur Beziehung in dem weitesten Sinn, in dem sie die Verbindung im engeren Sinne und die Getrenntheit einschließt; denn auch Getrenntheit ist doch ein Bezogensein, etwas ganz anderes als einfache Fremdheit und gleichgültiges Nebeneinander.

jenes formal fundamentale S ist P kommt in der Praxis hauptsächlich nur als Schulbeispiel vor.

Wenn man die Satzform rein als solche erläutern will und sich dazu dieses Urteils bedient, so kommt dabei eben absolut nicht in Frage, ob es inhaltlich gültig oder ungültig ist, es hat genau die Dignität eines einzelnen Begriffs, dessen logischer Sinn davon nicht betroffen wird, ob er innerhalb oder außerhalb der Welt des Seins stehe.

In dem Satz, der das negative Urteil umschreiben soll: Es ist nicht wahr, dass S P ist - ist der abhängige Satz von dieser in bezug auf Richtigkeit indifferenten Qualität und erreicht eine differentielle erst durch den Hauptsatz; so dass auch der bejahende Satz S ist P entsprechend umschrieben werden muss: es ist wahr, dass S P ist und erst so zu seiner Bedeutung als bejahender gelangt.

Dass man nicht diese weder bejahende noch verneinende Satzart ins Auge gefasst hat, als man erkannte, dass die logische Struktur des verneinenden Urteils die Form habe: es darf nicht geglaubt werden, dass S P sei, - dass man diesen letzteren vielmehr schon für einen positiv bejahenden hielt, dessen Bejahungsqualität erst durch den Hauptsatz wieder rückgängig gemacht wird, - das liegt, wie ich glaube, wesentlich daran, dass man für jenes vordifferentielle Urteil keinen anderen sprachlichen Ausdruck hat, als für das schon bejahte.

Ob der Satz S ist P jene oder diese Bedeutung hat, ist ihm selbst in seiner grammatikalischen Form nicht anzusehen, und so konnte diese, die man eben als »bejahende« im positiven, den Inhalt als gültig setzenden Sinne anzuwenden gewohnt ist, sich vor die andere schieben, die sich als noch unentschiedenes Material gleichmäßig der positiven wie der negativen Qualifizierung bietet.

Ich meine natürlich nicht, dass diese Satzart eine ideelle Hilfskonstruktion des gleichen Wesens ist, wie jenes naiv praktische Erkennen, das sich innerhalb seiner eigenen und ursprünglichen Kategorie der Frage nach seinem Sicherheitsmaße nicht stellt.

Weil aber dieses Erkennen sich sprachlich von demjenigen nicht unterscheiden lässt, das, nach herangebrachter Frage und Entscheidung, positiv als sicheres, in ausdrücklichem Gegensatz zu dem ungewissen, gemeint ist, - so sollte eine Analogie nur das hierin gelegene typische Schicksal unseres Geistes dartun: dass ein Inhalt aus einer einheitlich umfassenden, innerlich ungeschiedenen Formung heraus in zwei polar entgegengesetzte Formen übergeht, von denen die eine ihren sprachlichen Ausdruck (vielleicht auch noch andere Beziehungen) mit jener undifferenzierten teilt und dadurch die Klarheit über das Wesen dieser letzteren leicht hintanhält.

Dieser Primärcharakter unseres Wissens könnte eher Zweifeln begegnen, wenn sich seine Form nicht auf anderen Gebieten wiederholte und damit auf eine ganz prinzipielle Bestimmtheit unserer Entwicklung hinwiese.

Das Leben erzeugt und benutzt gewisse Funktionen oder Formen, die seinem Verlauf zunächst ganz unmittelbar einhaften - diesem einfach vorwärtsdrängenden Verlaufe, den man nachträglich in Triebmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zerlegen mag, ohne mit diesen Begriffen sein Wesen zentral oder erschöpfend zu treffen.

Es handelt und erkennt, es liebt und hasst, es schafft und zerstört, und bewegt sich damit eben nur in den tausend Wellengestalten seiner unmittelbaren Strömung.

Sobald nun diese Aeußerungen einmal da sind, erfasst das Bewusstsein sie noch von anderer Seite als von der des Lebens her, dessen Innerlichkeit sie heraufgetrieben hat und trägt und dem sie so gewissermaßen abstandslos aufliegen.

Von Bedeutungskategorien her, deren wesentlichste vielleicht der »Wert« ist, erhalten sie Einrangierungen, Verflochtenheiten, Beleuchtungen, die in der Regel in polare aber graduell vermittelte Gegensätze auseinander treten.

Nun sind sie schön oder hässlich, subjektiv oder objektiv, sittlich oder unsittlich, großartig oder unwesentlich, gesichert oder problematisch.

Dass sie diese Einstellungen erfahren, ist zwar auch wieder eine Lebensfunktion, allein ihrem eigenen Sinne nach, dem inhaltlich damit gemeinten nach, stehen sie in einer anderen Schicht, nun nicht mehr in der des einfachen Daseins, in der sie dem unmittelbaren Leben zugehörten oder es ausmachten.

In den Verläufen der Praxis oder der Gefühlsbewegungen entsteht eine Vorstellung in uns und bestimmt unser Verhalten, als ob sie (so müssen wir es von den nachträglichen Kategorien her ausdrücken) wahr wäre.

Sehr oft ist sie es nicht, allein keineswegs immer verhindert dies sie, ihren Dienst in diesen Zusammenhängen zu tun.

Auch die Entscheidung, ob sie subjektiv oder objektiv sei (was mit der zwischen irriger und richtiger ja nicht zusammenfällt), liegt der Vorstellung in ihrer primären Vitalität fern.

Diese Entscheidung kann ihr natürlich abverlangt werden, aber sie ist ihr nicht immanent, in der Struktur ihrer Unmittelbarkeit nicht aufzufinden, so primär sie auch für die metaphysische oder wissenschaftliche Reflexion überhaupt sei.

Der künstlerisch schöpferische Drang der Menschen lebt sich unzählige Mal in Gebilden aus, die - wie Goethe schon bemerkt hat - sich lange Zeit hindurch dem Kriterium der »Schönheit« noch nicht stellen, ohne für jetzt jenem Drange weniger zu genügen, an die aber sehr vielfach der aufwachsende Schönheitsbegriff seine positiven Inhalte anpasst.

Unser Handeln geht in weitestem Umfang als eine Art Naturereignis vor sich, in einem Jenseits von Gut und Böse, das freilich ein völlig anderes ist, als wenn es eine besondere Stellungnahme nach eingetretenem Bewusstsein dieser Polarität bedeuten soll.

Denn ich muss wiederholen, dass es sich nicht um ein Beiseiteschieben, aus Absicht oder Flüchtigkeit, dieser Kategorien handelt, auch nicht um einen synthetischen Standpunkt, der das Entgegengesetzte in eine höhere Einheit aufhebt, sondern um einen vor Analyse und Synthese überhaupt gelegenen.

Darum vielmehr, dass die vom Leben erzeugten und es bildenden Inhalte innerhalb seiner prinzipiell anderen Charakters sind, als nach ihrer Einstellung in die Ordnung der Ideen.

Ob metaphysische Weltanschauung auch diesen Gegensatz noch übergreift, ob sie die Idee aus dem Leben oder das Leben aus der Idee zu entwickeln vermag, ob es vielleicht der höchste Begriff Gottes sei, den Schnittpunkt oder den gemeinsamen Quell beider Ordnungen darzustellen - das braucht hier nicht erörtert zu werden.

Nur dieses schlichte Dasein der Inhalte in der Form des Lebens sollte klar werden, das in seiner Gesamtheit erst auf den Zusatz einer ideellen Kategorie hin in jene Entscheidungen auseinandergeht, in seiner Einzelheit sich auf einen bestimmten Punkt an oder zwischen den Polen begibt.

Auf welchen, ist freilich kein Zufall, aber nicht in ihr selbst, sondern in dem Verhältnis angelegt, das erst nach dem Auftreten der Kategorien zwischen dieser und ihr in Frage kommen kann.

Die hier, wie gesagt, nicht behandelte Beziehung zwischen Leben und Idee bringt es mit sich, dass bestimmte Vitalinhalte als Genuss und von vornherein für den einen Pol der kategorialen Reihen mit Beschlag belegt sind; an dem sozusagen positiven begreiflicherweise dann, wenn das Leben an dem Punkt ihrer Erzeugung besonders konzentriert und einheitlich ist.

Die von seiner quantitativ und dauernd mächtigsten Strebung erzeugte Vorstellung wird in der Regel als die wahre, das die große Lebensintensität bergende Gefühl als letzte ästhetische Instanz, die vitale Unerlässlichkeit eines Wollens wird ihm sittliches Recht zu verschaffen suchen.

Dies gilt natürlich nur mit vielen Ausnahmen, allein oft genug, um sich als gewisser Instinkt und im Sprachgebrauch zu verfestigen.

Und dies ist das allgemeine geistige Grundverhältnis, dem, mit einer leicht einzusehenden Modifikation, unser theoretischer Fall zugehört: dass die lebensmässig erforderte und erzeugte Vorstellung, vor die Entscheidung Sicher oder Unsicher gestellt, ohne weiteres als sicher gilt und funktioniert.

Dass der Inhalt solchen Vorwissens, objektiv angesehen, immer unsicher ist und die Möglichkeit eines ganz überraschenden Verlaufes bietet, ist eine darüber gesetzte Reflexion, die natürlich hier und da auch in das Vorwissen selbst eintritt, aber sozusagen nur seinen Aggregatzustand, aber nicht seine prinzipielle Bedeutung modifiziert.

Und eben diese prinzipielle Bedeutung leidet unter der objektiven Unsicherheit seines Inhalts sowenig, wie das Entsprechende an dem Gedächtnis geschieht.

2 Zu Freiheit: Das indiv. Gesetz, S. 130, 131, 146 und 147 nach dem Druck in Logos Bd. IV (1913) S. 117ff. [GSG 12, S. 431, 432, 450, 451, 452]; nach dem Druck in »Lebensanschauung, vier metaphysische Kapitel« (1918), S. 220 und 221 [GSG 16, S. 402, 403, 404].

3 Individuelle Kausalität, Studien zum transzendentalen Empirismus von Dr. Sergius Hessen, Ergänzungsheft Nr. 15 der Kant-Studien, Berlin 1909, S. 79.


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
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