Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
presents: Georg Simmel Online

  Sociology in Switzerland   Georg Simmel Online G.Simmel: Philosophische Kultur

 

Georg Simmel: Philosophische Kultur 

Alfred Kröner Verlag, Leipzig 1919 (2. Auflage) 

Die Persönlichkeit Gottes (S. 187-204)

(>187) Die Diskussionen über das Dasein Gottes münden oft in die Erklärung des positiv Behauptenden: er könne zwar nicht angeben, was Gott sei, er glaube oder wisse aber, dass Gott sei. 

Das ist nicht die Vorstellung der Mystiker, dass Gott „ein Nichts“ sei; denn diese will nur von ihm keine einzelne Bestimmung aussagen lassen, die notwendig etwas Einseitiges, Einschränkendes, Ausschliessendes ist und damit die Allumfassung, Alldurchdringung, Absolutheit des göttlichen Prinzips verneint; das göttliche „Nichts“ des Mystikers bedeutet, dass Gott nichts Einzelnes, aber eben darum das Ganze ist. 

Jene erste Behauptung aber enthält keineswegs diesen pantheistischen Sinn, sondern die wunderliche Unlogik, die Existenz von Etwas zu behaupten, wovon man durchaus nicht sagen kann, was es denn eigentlich ist. 

Der Kritiker könnte ohne weiteres einwenden: mit welchem Rechte dieses Etwas Gott genannt werde? Gott sei ein leeres Wort, wenn zwar seine Realität behauptet, aber in keiner Weise aufgezeigt werden könne, was denn nun unter diesem Namen real sei. 

Der psychologische Grund dieses Verhaltens dürfte der sein: dass der Gottesbegriff für den modernen Menschen durch so viele und heterogene historische Inhalte und Deutungsmöglichkeiten hindurchgegangen ist, dass nur ein mit gar keinem Inhalt mehr festzulegendes Gefühl übrig geblieben ist, etwas viel Allgemeineres, als es der abstrakte Begriff wäre, der etwa das Gemeinsame all jener verschiedenen Bestimmungen des Gottesbegriffes sein könnte. 

Man kann dies als das Extrem der Gläubigkeit bezeichnen: es wird sozusagen nur geglaubt, die Form des Glaubens als solche ist in der Seele wirksam, ohne dass sein Inhalt noch irgendwie wäre.

Von der Seite des Objekts her ausgedrückt: die (>188) Frage oder Tatsache des Seins hat in der Logik des religiösen Bewusstseins die Prärogative gewonnen, die Existenz hat sozusagen ihren Inhalt verschlungen; es ist die Akzentuierung, die zuerst an Parmenides deutlich wurde, für den allein das allumfassende einheitliche Sein ist, während alle Bestimmungen, alles Dies und Das wesenlos und nichtig sind. 

So haftet hier an dem Sein Gottes alles Interesse, und – so wunderlich es in diesem abstrakten Ausdrucke erscheinen muss – was er ist, verschwindet in dem Abgrund dieses Seins-Gedankens. 

Diese objektive und jene subjektive Seite hängen zusammen: Der Gegenstand des Glaubens ist das Sein. 

Das Was und Wie macht der Verstand, die Intuition, die Überlieferung aus; aber das gleichsam von diesen fertig gestellte Gebilde bleibt so noch in der Schwebe, in einer ideellen und noch fragwürdigen Begrifflichkeit. 

Erst der Glaube rückt es in die Festigkeit des Seins, das dem Verstande und der Phantasie mit ihren nur qualitativen und quantitativen Bestimmungen gar nicht ergreifbar ist. 

Der Glaube ist sozusagen das Sinnesorgan, durch das uns das Sein als solches vermittelt wird.

Dieser enge Zusammenhang, in dem das Sein nur dem Glauben zugängig, der Glaube genau angesehen nur auf das Sein gerichtet ist, bezeichnet sozusagen den einen Pol des religiös gerichteten Bewusstseins. 

An dem andern sammeln sich die seelischen Energien, die die religiöse Welt ihrem Inhalte nach aufbauen, die Bestimmungen des göttlichen Wesens, die Heilstatsachen, die Imperative des Verhaltens. 

So unbedingt in der Lebenswirklichkeit der Religion natürlich beides unmittelbar eines ist: die religiösen Inhalte und der Glaube an ihre Wirklichkeit - so treten sie doch in der Analyse, und nicht nur in ihr, auseinander. 

Denn an ihren Polen stehen sich der religiöse Mensch als solcher und der Religionsphilosoph gegenüber. 

Für jenen ist der Glaube das Wesentliche, der Inhalt des Glaubens, obgleich er bis zur Selbstopferung für dessen Wahrheit eintritt, ist daneben doch sozusagen etwas Sekundäres; wie sich einerseits an der Gleichgültigkeit vieler tief religiöser Naturen gegen jedes Dogma zeigt, andrerseits an der Abhängigkeit der Dogmen von dem unendlich variabeln Zufall der historischen Situation (>189), während das religiöse Sein dieser so mannigfaltigen Inhalten zugeschworenen Persönlichkeiten zweifellos das wesentlich gleiche ist. 

Ihr Wirklichkeitsglaube als solcher, als die Form der Religion, ist derselbe, obgleich dessen Inhalte die heterogensten sein mögen. 

Wenn nun andrerseits diese Inhalte dem Religionsphilosophen zum Gegenstand der Konstruktion, der psychologischen Erklärung der logischen Kritik werden, so ist ihm insofern gleichgültig, ob sie geglaubt werden und ob sie wirklich sind – wie mutatis mutandis der Mathematiker mit den geometrischen Figuren verfährt, unbekümmert darum, ob ihre Gegenbilder in dem realen Raum auffindbar sind und welche Rolle sie und ihre vom ihm gefundenen Gesetzlichkeiten in den Prozessen des praktischen Bewusstseins spielen.

Innerhalb dieser Philosophie also verbleibend, der keine religiösen Entscheidungen obliegen, weil sie nur gleichsam immanent über die religiösen Inhalte – ihren Sinn, ihre Zusammenhänge, ihre logische Dignität – nicht aber über deren Wirklichkeit urteilt – untersuche ich hier den Begriff der „Persönlichkeit“ des göttlichen Prinzips. 

Gegen keinen andern desselben Bezirks vielleicht haben sich die verschiedensten Standpunkte mit so leidenschaftlicher Entschiedenheit gewendet wie gegen diesen; für die „Aufklärung" ist er ein Beweis, dass es sich in der Religion nur um die Vergöttlichung des Menschlichen handelt, der Pantheismus und die Mystik umgekehrt lehnen ihn als Vermenschlichung des Göttlichen ab. 

Allein es gibt eine höhere, beiden Kriterien entgehende Perspektive. 

Mag das Person-Sein des Menschen die Gelegenheitsursache für die psychologische Entstehung des „persönlichen Gottes" sein; aber sein logisches und metaphysisches Fundament ist davon unabhängig.

Was heisst Persönlichkeit? 

Wie mir scheint: die Erhöhung und Vollendung, die die Form des körperlichen Organismus durch ihre Fortsetzung in das seelische Dasein gewinnt. 

Der Organismus ist innerhalb des physischen Daseins ein Ausschnitt, dessen Teile in einer engeren Wechselwirkung stehen als irgend welche Zusammenfassungen solcher Elemente, die wir als unorganische bezeichnen. 

Das „Leben" kreist innerhalb eines geschlossenen Umfanges, in dem jeder Teil durch jeden bestimmt (>190) ist und den wir wegen dieses dynamischen Zusammenhanges [als] „Einheit“ charakterisieren. 

Keinem Stück des Unorganischen kommt in diesem objektiven Sinne „Einheit“ zu. 

Ein Felsen oder ein Metallklumpen ist „einer“ nur im numerischen Sinne, weil er ein Exemplar eines an ihn herangebrachten Begriffes ist; wird er mechanisch gespalten, so ist jeder Teil für sich wieder Felsen oder Metall, das in demselben Sinne Einheit ist, wie vorher das grössere – während keiner der Teile eines zerschnittenen Lebewesens in dem Sinne Einheit ist, in dem es vorher das ganze war. 

Nun aber ist die Geschlossenheit, in der die Elemente des körperlichen Organismus sich gegenseitig Form und Funktion bestimmen, keine vollständige, da das Lebewesen in fortwährenden Austauschverhältnissen mit seinem Milieu steht; aufnehmend und abgebend zeigt es sich einbezogen in ein grösseres Ganzes, so dass es als eine Einheit in strengem Sinn, d. h. als ein sich selbst genügendes, aus den Relationen seiner Teile zueinander völlig verständliches Ganzes nicht gelten kann. 

Indem aber im Organismus die bewusste Seele erwächst, zeigen deren Inhalte nun einen Grad des Zusammenschlusses und der gegenseitigen Bedingtheit, der weit über jene körperliche Einheitlichkeit hinausgeht. 

Dies wird von einem fundamentalen Unterschied des Geistigen gegen das Körperliche getragen. 

Im Körperlichen verschwindet die Ursache in der Wirkung; nachdem diese eingetreten ist, ist jene so abgelöst und gleichgültig geworden, dass nicht einmal ein irgend sichrer Schluss von der Wirkung auf die Ursache möglich ist. 

Diese Art der Kausalität besteht auch im Geistigen; ausser ihr, oder, vielleicht genauer: innerhalb ihrer aber noch eine andre, die wir als Erinnerung bezeichnen. 

Diese bedeutet, dass das frühere Ereignis nicht nur eine Ursache in jenem Sinne ist, d. h. nicht nur sein Energiequantum, seine Richtung, seine Beschaffenheit in die morphologisch vielleicht völlig anders gestaltete Wirkung umsetzt, sondern dass es, in seinem Inhalte, seiner morphologischen Identität sozusagen erhalten, als späteres Ereignis wiederkehrt.

Während jede physische Wirkung, wie ich andeutete, prinzipiell durch eine beliebige Anzahl ganz verschiedener Ursachen hervorgerufen werden könnte, kann die erinnerte Vorstellung, insofern sie erinnert ist, nur eine (>191) einzige Ursache haben: eben die inhaltlich gleiche, in einem früheren Moment bewusst gewesene Vorstellung – vorbehalten natürlich, dass der ganze dazwischen liegende Verlauf und die ganze übrige jetzt kooperierende Verfassung der Psyche es überhaupt zu der Erinnerung kommen lässt. 

Dies aber ergibt eine ganz einzigartige Konstellation. 

Während der Zeitverlauf als solcher das Vergangene vergangen sein lässt und ihm nur eine Wirkung auf das Spätere gestattet, die aber dies Spätere nicht zurückgeben und also nicht zu einer Wechselwirkung gestalten kann, hebt die Erinnerung das Vergangene in die Gegenwart und damit in eine relative Gleichgültigkeit gegen den Zeitverlauf. 

Nun aber werden Bewusstseinselemente durch Bewusstseinselemente unbedingt beeinflusst, d.h. wir können uns den kontinuierlichen Fluss unsres inneren Lebens nur unter dem Symbol denken, dass dessen Inhalte, in unsrer Abstraktion zu einzelnen, umschriebenen „Vorstellungen" kristallisiert, sich untereinander modifizieren und so die Gegenwart des Menschen, im grossen und ganzen, das Ergebnis seiner Vergangenheit ist. 

Allein da nun ausserdem die Erinnerung das Vergangene zu Gegenwärtigem macht, so wird auch das so in uns lebende Vergangene durch die inzwischen und aktuell eintretenden Vorstellungselemente beeinflusst. 

Das heisst: die einsinnige, nur vorwärts drängende Kausalität der Zeit wird innerhalb des seelischen Lebens zu einer Wechselwirkung. 

Da wir in diesem das Vergangene noch als identisch permanierenden Erinnerungsinhalt haben, so geschieht hier das scheinbar Paradoxe, dass zugleich die Gegenwart auf die Vergangenheit wirkt und die Vergangenheit auf die Gegenwart.

In unsrer jeweiligen Bewusstseinslage ist der momentan neu erzeugte Inhalt in der Regel ein Minimum, der Hauptsache nach wird sie von erinnerten Vorstellungen gespeist und ihr Gesamtbild ergibt sich aus der Wechselwirkung oder als die Wechselwirkung zwischen diesen letzteren, die gewissermassen unser ganzes bisheriges Leben repräsentieren, und den aktuell produzierten. 

So haben wir innerhalb des Bewusstseinsrayons eine Wechselwirkung und also eine organisch-personale Einheit, die unser körperliches Wesen an Geschlossenheit weit übertrifft. 

Wir werden auch nicht umhin können, die nicht bewussten Vorgänge, (>192)  auf denen in irgend einer Weise die bewussten ruhen, in dauernden Wechselwirkungen begriffen zu denken. 

Gewiss ist das Bild der mechanistischen Psychologie irrig, das „Vorstellungen“ zu Wesen macht, die auf- und absteigen, sich verbinden und sich trennen usw. 

Ein solches Bild konnte nur so entstehen, dass die logisch ausdrückbaren Inhalte aus dem kontinuierlichen und einheitlichen Fluss des inneren Lebens heraus abstrahiert und mit einer Art von Körper bekleidet wurden, so dass sie nun, gewissermassen selbständig bestehend, erst ihrerseits dieses Leben zusammenzusetzen scheinen konnten. 

Die „Vorstellung“ als ein grenzumschriebenes, für sich tätiges oder leidendes Element ist ein reines Mythologem, zu dem die Analogie der physischen Atomistik verführt hat. 

Dennoch sehe ich vorläufig keinen Weg, diese Doppelheit der Betrachtung des Seelischen zu vermeiden: es ist einmal ein einreihiger, in der dimensionslosen Lebenseinheit abrollender Prozess – dann aber auch ein Komplex aussereinander befindlicher Inhalte, die wir uns in mannigfachen Verhältnissen stehend denken müssen. 

So wenig wir nun den Symbol- und Projizierungscharakter dieses letzteren Bildes vergessen, so wenig wir uns eine „Vorstellung“ zwischen ihrem ersten Auftreten und ihrer späteren Reproduktion als tale quale im Unbewussten wie in einem Kühlraum konserviert denken dürfen, wie den Schauspieler, der unsichtbar hinter den Kulissen auf sein Stichwort wartet – so ist doch irgend eine noch so rätselhafte Art ihres „Beharrens“ unumgänglich. 

Da dieses Beharren nun unzählige Vorstellungen trifft und da keine einzige bei ihrem Wiederauftauchen eine absolute, starre Identität ihres Inhaltes zeigt, so müssen gegenseitige Beeinflussungen und Modifikationen während jenes Latenzzustandes angenommen werden. 

Die psychischen Elemente also, die irgendwie jenseits des Bewusstseins in uns bestehen, sind in fortwährenden Wechselwirkungen und schmieden sich dadurch gegenseitig zu der Einheit, die wir Persönlichkeit nennen. 

Denn diese ist doch nicht ein einfach beharrendes Zentrum, sondern ein Sich-Durchdringen, eine funktionelle Angleichung, ein Übertragen, Sich-Beziehen, Sich-Verschmelzen innerhalb des Umkreises aller Vorstellungsinhalte überhaupt. 

Im Gegensatz also zu dem isoliert betrachteten (>193) seelischen Elemente, das als solches gleichsam unlokalisiert und nicht untergebracht erscheint, erwächst unsere „Persönlichkeit" als das Geschehen, das wir mit dem Formsymbol der Wechselwirkung unter allen Elementen bezeichnen.

Wir wären also formal vollkommene Persönlichkeiten, wenn diese Wechselwirkung eine vollkommen geschlossene wäre und jedes seelische Geschehen seine Veranlassung ausschliesslich in eben diesem Umkreis hätte. 

Allein das ist nicht der Fall. 

Wir sind auch mit unsrer Psyche, wie mit unsrem Körper, in die uns äussere Welt verwebt, es finden Wirkungen in ihr statt, die nicht aus ihr allein zu erklären sind, und es scheint auch, als ob gewisse ihrer inneren Vorgänge nach aussen verliefen und sich nicht mit ihrer ganzen Wirkungsmöglichkeit in den psychischen Verlauf weiter[er]streckten. 

So wenig wir mit unsrem Körper den reinen Begriff des Organismus erfüllen, so wenig mit unsrer Seele den der Persönlichkeit. 

Mag dieser Begriff also auch psychologisch in der Erfahrung über uns selbst entstanden sein: seinem Sinne nach ist er „ein Idee", eine Kategorie, der kein empirisches Einzelwesen ganz genügt. 

Schon dass unser Dasein einen zeitlichen Verlauf als seine Form hat, dass es sich deshalb „erinnern“ muss, um seine Inhalte zu einer, immer fragmentarischen, Wechselwirkung zu bringen – verhindert jene Einheit der Inhalte, mit der wir Persönlichkeit im absoluten Sinne sein würden. 

Wie nun die Idee des Organismus sich nur an einer einzigen Vorstellung restlos realisiert: an der des Weltganzen, da dieses allein, seinem Begriffe nach, nichts ausser sich hat, das die vollkommene, in sich geschlossene Wechselwirkung all seiner Elemente durchbrechen könnte – so ist der Begriff Gottes die eigentliche Realisierung der Persönlichkeit. 

Denn er, wie die metaphysisch abgeschlossene Religiosität ihn denkt, kennt keine „Erinnerung" in der menschlich-zeitlichen Form, die immer ihr Gegenteil, das Vergessen, in sich enthält. 

Für ihn besteht keine Vergangenheit, die ihre Inhalte nur in Bruchstücken an die Wechselwirkung des aktuellen Zustandes überliefert; wer sich nicht erst zu „erinnern" braucht, für den gibt es keine Zeit, dem fällt nicht die Ganzheit und Einheit seines Seins in das Brüchige und Lückenhafte der zeitlichen Distraktion. 

Was man die „Ewigkeit" (>194) Gottes, sein Enthobensein aus der Zeitbedingtheit genannt hat, ist die Form, in der sein absolutes Persönlich-Sein möglich ist. 

Er wird durch dieses nicht vermenschlicht, sondern er bezeichnet gerade das, woran der Mensch nicht hinanreicht: die absolute Verknüpftheit und Selbstgenugsamkeit des ganzen Daseinsgehaltes. 

Ein Wesen, das der Teil eines Ganzen ist, wie der Mensch, kann nie vollkommene Persönlichkeit sein, weil es sich von aussen speist und nach aussen abgibt, – was in der Form des Nebeneinander eben dasselbe ist, was die Angewiesenheit unsrer Existenz auf die Erinnerung in der Form des Nacheinander ist: kein Moment jener [ist] wirklich in sich geschlossen, ein jeder auf Vergangenheit und Zukunft angewiesen und so keiner wirklich ganz er selbst. 

Es ist ganz irrig, dass der Gott in dem Masse Persönlichkeit sei, in dem der Mensch ihn in seine Eingeschränktheit hinabzieht. 

Denn gerade das, was den Menschen einschränkt, dass er nur der Teil eines Ganzen ist statt selbst ein Ganzes, und dass sein Dasein keine gesammelte Einheit ist, weil es in zeitliche und nur durch die Erinnerung verknüpfte Momente distrahiert ist – eben das verhindert sein ganz eigentliches Persönlichkeit-Sein. 

Gerade in dem Masse, in dem die Idee Gottes ein wirkliches Ganzes und ein zeitloses Ein-für-alle-Mal, eine absolute Verbundenheit aller seiner Daseinsmomente ist, in dem Masse also, in dem er über den Menschen hinausreicht, erfüllt er den Begriff der Persönlichkeit. 

Wie wir schon unsre eigene unvollkommene Einheit zu dem Ich verdichten, das sie in rätselhafter Weise trägt, so kristallisiert die wirkliche Einheit des Weltseins zu einer restlosen Ichform, zu der absoluten Persönlichkeit. 

Wenn man etwa sagt: der Gott als Persönlichkeit ist die Persönlichkeit als Gott - so ist das wohl wahr; nur dass dies nicht die kleine Persönlichkeit des Menschen ist, sondern gerade die grosse der Welt, die das jener versagte Ideal der Persönlichkeitsbestimmungen verwirklicht und damit der religiösen Empfindung entgegenkommt. 

Indem diese Empfindung sozusagen der Form des Alls gilt, jenseits seiner von ihr zusammengehaltenen Einzelheiten, ist ihr Gegenstand der Gott, zu dem dieser Sinn des Ganzen zusammenwächst.

Noch einmal sei betont: ob dieser Gott objektiv existiert oder auch subjektiv geglaubt wird, hat mit dieser rein ideellen (>195) Bestimmung seines Begriffes nichts zu tun, für die Sein oder Nichtsein nicht die Frage ist. 

Jedenfalls aber wird mit ihr die Alternative zwischen der pantheistischen und der personalistischen Auffassung des göttlichen Prinzips auf eine neue Basis gestellt. 

Macht man mit dem Begriff der Persönlichkeit Ernst – so dass sie nicht die Beschränktheit unseres Seins ist, sondern gerade das, woran unser Sein nur in beschränktem Masse teilhat, was wir gerade als beschränkte Wesen nicht sind – so kann er sich nur an einem absoluten Wesen realisieren, an einem, das entweder mit der Totalität der Welt eins ist, substantia sive Deus, oder an einem, das sozusagen das Totalitätsmoment der Welt bedeutet, vergleichbar der Seele als entelécheia sómatos physikoú organikoú.

Allein der pantheistische Gedanke macht noch weiterhin Probleme und Widersprüche im Gottesbegriff sichtbar, für die dessen Persönlichkeitsform eine Lösung gibt.

Die Bedeutung des göttlichen Prinzips knüpft sich in dem weit überwiegenden Teil aller Religionsgeschichte daran, dass der Gott dem Gläubigen und seiner Welt gegenübersteht. 

Der Gott, dem man sich gibt, ist vor allem der mächtige; und dieses Motiv, vom rohesten Aberglauben bis zu der sublimsten christlichen Spekulation führend, setzt irgendeine Selbständigkeit des Daseins voraus, an dem sich die Mach bewährt, formend, überwindend, lenkend; ein Gott, der mit dem Dasein in eine Einheit verschmolzen ist, kann keine Macht haben, weil er kein Objekt für diese besässe. 

Es bedarf dieses Gegenübers zwischen dem Gott und dem Einzelwesen nicht weniger für das Motiv der Liebe. 

Wenn die mystische Leidenschaft sich mit ihrem Gotte bis zur Einheit durchringen und jede Schranke des Andersseins niederreissen will, so mag sie mit jedem Schritt zu dieser Vereinigtheit sich weiter, tiefer, in ihrer Liebe beseligter fühlen – aber in dem Augenblicke der völligen Erreichtheit würde sie sich im Leeren sehen; denn in dieser absoluten Einheit würde sie nur sich selbst greifen. 

Indem die Zweiheit ganz schwände, wäre auch die Möglichkeit des Gebens und Nehmens, des Liebens und Geliebtwerdens verschwunden, an die, wie die Seele nun einmal beschaffen ist, auch die religiöse Seligkeit geknüpft bleibt. 

Auch wo diese Gefundenhaben und Besitz ist, klingt die suchende (>196) Sehnsucht noch in irgend einer seelischen Schicht an oder nach, auch die Ruhe in Gott wird nur an einer dennoch gefühlten Entferntheit gewonnen. 

Dieses Gegenüber aber, das die Liebe und das vor allem die Macht fordert, will sich mit der Absolutheit des göttlichen Wesens nicht vertragen. 

Denn jede Selbständigkeit der Dinge, jedes Nicht-Sein Gottes in ihnen ist eine Grenze seiner Macht, die doch keine Grenze kennen soll. 

Ohne den Willen Gottes fällt kein Sperling vom Dach – das heisst doch nicht, dass er, als ein passiver Zuschauer des Weltlaufs, nur nichts .gegen ihn einzuwenden hat, sondern offenbar, dass er die wirksame veranlassende Kraft in jedem Geschehen ist. 

Da nun aber alle Dinge in unaufhörlicher Bewegung sind, alle scheinbare Stofflichkeit in rastlose Oszillationen aufgeht – bleibt denn dann noch etwas, wo er nicht sei? 

Wenn die Welt Bewegung ist und er das Bewegende in jeder Bewegung, so ist die Welt nichts ausserhalb seiner. 

Das Werk, das durch den Willen eines menschlichen Schöpfers wird, geht freilich in diesem Willen nicht auf, es ist noch etwas andres als er selbst; aber doch nur, weil der Mensch ein Sein, ein Material vorfindet, an dem er wirkt. 

Wenn Gott aber wirklich allmächtig ist und alles durch seinen Willen ist, so ist nichts ausserhalb seiner, so ist er das Sein und Werden aller Dinge. 

Ganz willkürlich ist es deshalb auch, wenn die verschiedenen Punkte der Wirklichkeit von seinem Willen in verschiedenem Grade getragen sein sollen, wenn die Erscheinungen hier und dort den „Finger Gottes“ zeigen, während andere in trotziger Freiheit und „Gottverlassenheit“ sich ihm entzögen. 

Heisst das nicht, die Unterschiede unseres Erkennens, das Durcheinander von Blindheit und Scharfsichtigkeit unseres Blickes in die Wirklichkeit hineintragen?

Wenn ein Punkt die Erscheinung des göttlichen Willens ist, so muss jeder andere es ebenso sein. 

Der strenge gesetzliche Zusammenhang des Kosmos einerseits, die Einheit Gottes andrerseits verbieten, dass die Welt in ihren verschiedenen Provinzen ein verschiedenes Verhältnis zu ihm habe. 

Wenn der Fall des Sperlings vom Dache der Kraftwille Gottes ist, so ist es die unvermeidliche Konsequenz, dass die Welt völlig in seiner Einheit befasst ist, dass es zwischen ihm und ihr nirgends ein Gegenüberstehen, ein Anderssein geben kann. 

(>197) Dieser dialektische Prozess, der den konsequenten Gottesbegriff in den Pantheismus hinüberentwickelt, bei dem so entwickelten aber nicht stehen bleiben kann, weil unentbehrliche religiöse Werte an das Gegenüber und das Sondersein zwischen Gott und Welt, Gott und Mensch geknüpft sind – dieser Prozess durchzieht mit seinen Erschütterungen das Innerste aller Religionen, die mit der Absolutheit des göttlichen Prinzips Ernst machen. 

Vielleicht bedarf es gar nicht einer „Versöhnung" dieses Gegenspieles von Verschmolzenheit und Trennung; vielleicht ist dieses Von-einem-zum-andern-Getriebenwerden der allein angemessene Ausdruck unseres Verhältnisses zum Unendlichen, das wir nicht mit einer einreihigen Formel festzulegen hoffen dürfen. 

Allein die Vorstellung Gottes, an der diese Konstellation gewissermassen ihr anschauliches Symbol findet – ist seine Persönlichkeit. Denn es ist doch deren Wesen, dass eine Unbeschränktheit von Inhalten, deren jeder einzelne eine gewisse Selbständigkeit besitzt, dabei doch als Inhalte oder Erzeugnisse einer zusammenfassenden Einheit begriffen werden. 

Das Ich umgreift jeden seiner Gedanken, Gefühle, Entschlüsse als etwas nur an ihm, nur in ihm Mögliches und Wirkliches, als einen Pulsschlag seines Seins – und dennoch steht es jedem dieser Inhalte gegenüber, als ein Nicht-darin-Aufgehendes. 

Aber auch der Inhalt geht in ihm nicht auf; denn es beurteilt einen jeden, es akzeptiert oder verwirft ihn, es ist Herr über ihn oder nicht: das Geborensein aus dem Ich und dass er ein Teil von dessen Leben ist, ist jenes eigentümliche Zugehörigkeitsverhältnis, das eine Distanz und Freiheit nicht hindert. 

Wenn schon im körperlichen Leben das Glied dem ganzen Organismus anders verbunden ist, enger und freier als der Teil eines mechanisch-starren Systems dem Ganzen – so spannen sich diese Gegensätzlichkeiten innerhalb des Psychischen noch mit ganz andrer Energie. 

Je mehr wir uns als Persönlichkeit fühlen, als desto unabhängiger wissen wir unser Ich von jedem einzelnen Inhalt, desto weniger reisst irgend einer es mit, aber desto selbständiger steht auf dieser Ausbildungsstufe auch jeder einzelne Inhalt in seinem logischen und ethischen, seinem dynamischen und historischen Rechte dem Ich gegenüber, in dessen sonst bestimmtes Gesamtschicksal (>198) nicht hineingezogen. 

Und doch: je mehr wir Persönlichkeit sind, desto mehr färben wir die Gesamtheit unserer Inhalte mit der Färbung unseres Ich, desto charakteristischer ist jeder als zu uns gehörig erkennbar, desto souveräner ist dieses Ich nicht nur im Sinne der Unabhängigkeit von jedem einzelnen, sondern auch im Sinne der Herrschaft darüber. 

Alle „Persönlichkeit“ hat dieses Doppel- und Gegenspiel zwischen dem einzelnen Element und dem einheitlichen Ganzen in sich; sie unterscheidet sich damit völlig von äusserlich verwandt aussehenden Erscheinungen wie dem Staat; denn, wie omnipotent er sei, der Staat kann immer nur gewisse Teile der Gesamtexistenz seiner Bürger umgreifen. 

An der Existenzform der zur Persönlichkeit gestalteten Seele scheitern alle sonst gewohnten logischen Kategorien: wie hier das einzelne seelische Element dem Ich wurzelhaft einwohnt und das Ich in dem Innerlichsten von jenem lebt, und wie doch beide einander gegenüberstehen, um alle Mannigfaltigkeit von Nähe und Distanz, Kontrast und Verschmelzung zu erfahren, das kann eigentlich nicht beschrieben, sondern nur erlebt werden; und dazu gibt es in unsrer historischen Vorstellungswelt nur die eine Analogie: eben jenes für die Logik so problematische Verhältnis zwischen Gott und Welt. 

Dass die Gleichzeitigkeit von Gegenüberstehen und Einssein, die das religiöse Bewusstsein dauernd erlebt, kein Widersinn ist, dafür besitzen wir gleichsam ein Pfand in dem Erlebnis der Persönlichkeit. 

Jenem Doppelverhältnis gemäss muss Gott, wenn man ihn überhaupt denken will, als Persönlichkeit gedacht werden: als die Einheit und Lebendigkeit des Daseins, die ihre einzelnen Produkte sich gegenübersieht, Macht über sie übend, aber in gewissen Intervallen doch ihrer Selbständigkeit nicht Herr, in jedem einzelnen lebend und es doch wie in einer Distanz haltend, die zwischen Fremdheit oder Abfall und innigstem Verschmolzensein unendliche Stufen zeigt. 

Indem Persönlichkeit Zentrum und Peripherie oder: einheitliche Ganzheit und Teile und jenes einzigartige Verhältnis zwischen ihnen bedeutet – ist die Persönlichkeit Gottes nicht der Widerspruch gegen den Pantheismus, sondern nur gleichsam der lebendig gewordene Pantheismus selbst. 

(>199) So wenig wie die erste Bestimmung der Persönlichkeit: die geschlossene Wechselwirkung der Elemente, in ihrer Übertragung auf das göttliche Prinzip ein Anthropomorphismus war, so wenig ist es diese zweite. 

Denn mögen wir auch die in gleichzeitiger Umfassung und Sonderung bestehende Relation zwischen dem Ganzen und dem Einzelnen nur in uns selbst erleben, so ist sie doch ihrem Sinne nach eine allgemeine, gar nicht an ein bestimmtes Dasein geknüpfte Wesensform überhaupt, die in sehr verschiedenen Vollkommenheitsmassen realisiert sein kann, eine Kategorie, unter die wir die unmittelbare Tatsache unsres Daseins bringen, um es anschauen und ausdrücken zu können. 

Ein Anthropomorphismus des Göttlichen liegt nur vor, wo ein aus der menschlichen Erfahrung und Existenz als solcher hervorgegangener und an diese prinzipiell gebundener Begriff auf das Transzendente übertragen wird. 

Wenn aber umgekehrt ein Begriff seinem Sinn nach über der menschlichen Existenz steht, ein Ideelles und gleichsam Absolutes, durch das diese Existenz, mehr oder weniger an ihm teilhabend, erst gedeutet wird – so haben wir an dieser Art von Begriffen gerade die einzige berechtigte Möglichkeit, das Göttliche als ihre Vollendung, als die Realisierung ihrer absoluten Bedeutung zu denken. 

Man mag den Glauben an das Göttliche als ein Seiendes grundsätzlich ablehnen; aber es seiner Idee nach, geglaubt oder nicht, als Persönlichkeit zu bezeichnen, ist keineswegs eine Vermenschlichung seiner. 

Sondern es ist, eher umgekehrt, die Unterordnung des menschlichen Ich unter den ganz allgemeinen Begriff einer Existenzart, von der jenes nur ein einzelnes, eingeschränktes Beispiel, Gott aber die absolute, dem Weltganzen gegenüber sich vollziehende Erfüllung bieten kann.

Endlich kann man dieses Wesensbild der Persönlichkeit noch in einer anderen, sozusagen gesammelteren Form anschauen. 

Als die entscheidende Charakteristik des persönlichen Geistes erscheint mir sein inneres Sich-Selbst-Trennen in Subjekt und Objekt, das eines und dasselbe ist, seine Fähigkeit, zu sich selbst so Ich zu sagen wie zum andern Du, sein Selbstbewusstsein, mit dem er die Funktion seiner selbst zum Inhalt seiner selbst macht. 

Mit dem Selbstbewusstsein hat das Leben sich in sich (>200) gebrochen und hat sich wiedergefunden; womit natürlich nur ein schlechthin einheitlicher Akt für den Ausdruck in eine zeitliche Folge auseinandergezogen ist. 

Das ist die Grundtatsache, wenn man will: das Grundwunder des Geistes, das macht ihn zum persönlichen, dass er, in seiner Einheit verbleibend, sich dennoch sich selbst gegenüberstellt; die Identität des Wissenden und des Gewussten, wie sie im Wissen um das eigne Sein, um das eigne Wissen vorliegt, ist ein Urphänomen, das sich ganz jenseits des mechanisch-numerischen Gegensatzes von Einheit und Zweiheit stellt. 

Der Weg des Lebens, wo jeder spätere Augenblick des Wesens von seinem früheren lebt, ein andrer und doch ein Leben in beiden, wo das Erzeugte das Erzeugende fortsetzt, ein andres und doch irgendwie dasselbe – dieser zeitlich erstreckte Weg hat sich im Selbstbewusstsein zurückgebogen oder findet in ihm seine zeitlose Grundform. 

Was den Organismus im Tiefsten vom Mechanismus unterscheidet: dass eine Vielheit in ihm zur Einheit zusammengefasst ist oder dass eine Einheit sich in ein nach Raum und Zeit vielheitliches Leben entfaltet, ist in dem Wesen des persönlichen Geistes, dem Bewusstsein von sich selbst, wie in einen Punkt gesammelt. 

Denn die „Wechselwirkung“, die das Wesen des Lebendigen und des Geistes überhaupt war, hat in dem Selbstbewusstsein – darin, dass das Subjekt sein eigenes Objekt ist – gleichsam ihre absolute Gestalt gewonnen.

Hiermit scheint auch die Form am reinsten ausgedrückt zu sein, in der die Einheit des göttlichen Wesens symbolisiert wird. 

Von religionsgeschichtlicher Seite ist behauptet worden, es hätte noch niemals einen ganz reinen Monotheismus gegeben. 

Es scheint, als ob das göttliche Prinzip eine Tendenz zur Spaltung – und sei es auch nur, dass Seraphim oder „Geister“ ihm zur Seite stünden – unvermeidlich in sich trüge. 

Und seine vollkommenste Einheit, wie sie im Pantheismus und teilweise in der Mystik empfunden wird, ist zugleich seine vollkommenste Auflösung in die Vielheit der realen Erscheinungen. 

Damit scheint mir eine Annäherung an den Persönlichkeitsbegriff gegeben zu sein, der freilich hier besonders vorsichtig vor Anthropomorphismus bewahrt werden muss. 

Das Selbstbewusstsein, mit dem das Denken, in seiner Einheit verbleibend, sich in sich spaltet, (>201) um sein eignes Objekt zu werden, ist die Grundtatsache des Denkens überhaupt und sein gesammelter Typus, seine reinste und sicherste Form, gewissermassen der Vorentwurf für jedes Denken eines Einzelinhaltes. 

Die grosse Dunkelheit des Denkens: wie es, als ein in sich verbleibender Prozess, doch einen Gegenstand haben könne, wie es mit der reinen Subjektivität seines Ablaufes doch ein ihm Gegenüberstehendes in sich einziehen könnte – ist dadurch aufgehellt, dass es dieses Insich und Aussersich, diese Geschlossenheit und den Einschluss des Gegenübers schon, als Selbstbewusstsein, in sich selber hat, dass die Identität von Subjekt und Objekt die Form seines eignen Lebens ist. 

Damit zeichnet es, hier freilich nur innerhalb der Kategorie des menschlichen Denkens, die Idealform jener Spaltung, die das göttliche Prinzip erfährt, ohne darum doch – und mit steigender religiöser Entwicklung immer weniger – seine metaphysische Einheit einbüssen zu dürfen. 

So geht durch die ganze religionsphilosophische Spekulation das Motiv vom „Selbstbewusstsein Gottes", das aber sehr oft nur ein andrer Ausdruck oder eine Deutung der „Persönlichkeit Gottes" ist. 

Das göttliche Prinzip ist nicht als Einheit schlechthin zu denken, weil diese für unsere Vorstellungsmöglichkeiten steril ist; es steht, wenn es innerhalb dieser gedacht werden soll, unter demselben kategorialen Problem wie die selbstbewusste Persönlichkeit: sich in sich selbst zu trennen und damit ein Gegenüber zu gewinnen, das Bewegung, Wirksamkeit, Leben ist und doch in der eignen Einheit beschlossen bleibt – mag man dies nun mit spekulativer Phantasie zu einer Art immanenten Pantheons ausgestalten, wie etwa die christliche Dreieinigkeit, oder zu einem Pantheismus, für den der Reichtum des Weltprozesses nicht anderes ist, als diese Ausspannung der göttlichen Einheit zu ihrem eignen Objekt, wie es die Mystik Spinozas andeutet: unsre Liebe zu Gott wäre Teil der Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. 

Dieser Begriff der Persönlichkeit aber fordert, um nicht in eine Vermenschlichung des Göttlichen hineinzugleiten, eine sehr hohe Abstraktion. 

Gerade ihr letztbetonter Sinn scheint ganz und gar an den Geist gebunden; auf dessen Begriff aber kann das göttliche Prinzip nicht eingeschränkt werden. Denn Gott als Geist zu bezeichnen ist nur (>202) ein auf den Kopf gestellter Materialismus, gleich diesem eine Festlegung des Absoluten auf eine bestimmte Substanz. 

Vielmehr, wenn Persönlichkeit von Gott gelten soll, so muss sie als eine so allgemeine Form gefasst werden, dass das geistige Selbstbewusstsein, das uns allein empirisch zugängig ist, nur als ein Sonderfall darunter gehört. 

Die einzige Art, in der wir von einem Subjekte erfahren können, das sein eignes Objekt ist, ist freilich ein solches Selbstbewusstsein des Geistes. 

Aber von diesem besonderen Substrat muss jene Form gelöst werden, wenn sie einem absoluten Wesen, einem, an dem das Dasein seine Totalität hat, zukommen soll. 

Wir können uns eine nähere Vorstellung, die dieses begrifflich Geforderte anschaulich machte, nicht bilden. 

Wenn es aber eine unerlässliche Vorstellung von dem göttlichen Wesen ist: dass es, über die tote Einheit hinaus, ein Gegenüber haben muss, ein Andres, mit dem es ein lebendig Wechselwirkendes sei, dieses Andre und Gegenüber aber seine Einheit nicht durchbrechen darf, sondern dass es in dieser ganzen „selbstseligen" oder die Welt bedeutenden Relation doch immer es selbst bleiben, also Subjekt und Objekt ein Identisches sein müsse – so ist dies freilich die Form der Persönlichkeit, aber durchaus nicht die menschliche. 

Kein Anthropomorphismus trägt hiermit das menschliche Beschränktsein auf die blosse Bewusstseinsart der einheitlichen Zweiheit in Gott hinein, sondern umgekehrt, „Persönlichkeit“ ist die völlig formale, wenn man will: abstrakte Bestimmtheit, deren Realisierung im Umfang dieser Abstraktheit nur einem absoluten Wesen zukommen kann, während eine unvollkommenere, einseitig-geistige Stufe davon Sache unsres Lebens ist. 

Richtig verstanden mag man deshalb sagen: Gott ist nicht der Mensch im Grossen, aber der Mensch ist Gott im Kleinen.

Damit ist das Prinzip noch einmal bezeichnet, das diese Untersuchung geleitet hat. 

Für die Realitäten unsres Lebens gewinnen wir Ordnung und Wertung von einem Komplex von Ideen her, deren Bewusstsein freilich sich psychogenetisch aus dem zufälligen und fragmentarischen Zustand des empirischen Lebens erhebt, die aber ihrem Sinne nach eine ideelle Selbständigkeit und eine geschlossene Vollkommenheit besitzen, von der unsre menschlichen Existenzinhalte gleichsam durch einen (>203) Subtraktionsakt ihre Bezeichenbarkeit, ihr Mass, ihre Sonderform entlehnen. 

Ob und inwieweit dies geschieht, ist eine Frage der Tatsächlichkeit, die in die Feststellung jener Kategorien, in die Zusammenhänge ihres Sinnes, in ihre logische und normative Bedeutung nicht eingreift. 

Insoweit nun ein göttliches Wesen seinem Inhalte, seinem Was nach gedacht werden soll, so kann nichts andres als jene Ideen, aber in ihrer Absolutheit oder Reinheit, in Frage kommen. 

Nicht um einen Gradunterschied kann es sich handeln, so dass Gott mehr Macht, mehr Gerechtigkeit, mehr Vollkommenheit hätte als der Mensch; solche quantitativen Steigerung nimmt ersichtlich ihren Ausgangspunkt vom Menschen und ist Anthropomorphismus. 

Sondern für den Gläubigen ist er die Idee der Macht, der Gerechtigkeit, der Vollkommenheit in der Form des Seins, sein Inhalt ist unmittelbar dasjenige, was über dem relativen Dasein des Menschen als seine ideelle Kategorie steht, als die reine Bedeutsamkeit, von der unser relatives, unvollkommenes, gemischtes Leben immerhin seine Bedeutung und seine Form bekommt.

Ich müsste mich sehr täuschen, wenn dieses Verhalten nicht in allem entwickelteren religiösen Wesen als ein Moment bestünde, das freilich nur in logischen Paradoxen aussagbar ist: nicht dass Gott über dem Menschen stehe, ist das Wesentliche, sondern dass der Mensch unter Gott steht; jenes ist sozusagen das Selbstverständliche, aus diesem aber erst quillt die religiöse Lebensempfindung und Aufgabe des Menschen.

In der Relation Gott und Mensch ist nur das zweite Glied etwas Relatives, das erste aber ein Absolutes – eben die Realität jenes Ideellen, mit dem der Mensch der Relativität seines Wesens Gestalt, Grad und Sinn zumisst. 

Ob diese Realität geglaubt wird oder nicht, das hat die Religion, aber nicht die Religionsphilosophie auszumachen; sie kann nur von dem reden, was dem religiösen Menschen – wiederum mit logischer Paradoxie – oft genug sekundär ist: von dem Was des göttlichen Prinzips, nicht von seinem Dass. 

Meine Aufgabe war es, an dem Begriff der Persönlichkeit, gerade weil er so entschieden von unten, vom Menschlichen her gebildet scheint, die Schicht aufzuzeigen, in der für unser Denken die Bestimmungen einer göttlichen Wesenheit allein liegen können. 

(>204) Der Persönlichkeitsbegriff muss nur in seinem Kern und seiner Reinheit gefasst werden, um sich jener Ordnung zugehörig zu zeigen, die ihren Sinn nicht von dem Unteren her bezieht, sondern umgekehrt dieses zu Sinn und Form bringt und über den besonderen menschlichen Gestaltungsinhalten ungefähr so steht, wie für den Gläubigen das Sein Gottes über dem Sein des Menschen. 

So unabhängig aber ist jenes von diesem, aus so andern Quellen der Seele und der sachlichen Ordnungen gespeist, dass die Religionsphilosophie sehr wohl behaupten kann: Gott ist Persönlichkeit – ohne im geringsten zu behaupten oder auch nur behaupten zu dürfen: Gott ist. In dieser Schicht sich haltend, steht sie jenseits der illegalen Spekulation: denn diese will ein Sein ersinnen. Sie begnügt sich nicht mit ihrem Heimatsrecht in der ideellen Ordnung der Inhalte des Seins. 

Solange die Religionsphilosophie sich von dem unlautern Wettbewerb mit der Religion fernhält, hat sie das Recht des Gemäldes, das die innere Logik, den Sinn der Einzelheiten und Zusammenhänge anschaulicher Welt darlegt, die durch die Kunstform von ihrer zufälligen Wirklichkeit geschieden sind; die Spekulation aber gleicht dem Panorama, das mit Mitteln, wie sie zwar für den Bau jener ideellen Welt, aber nicht für den der Wirklichkeit – im Sinne der Empirie wie im Sinne des Glaubens – zureichen, dennoch den Versuch macht, die Zeugungskräfte dieser letzteren zu ersetzen.

 

 



 

 


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
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