Das
Geld: Wirkungen auf das individuelle und kollektive Handeln
Monica Thoma, Oktober 2000
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entstehung eines Wertes
3. Der Tausch als Kategorie der Geldanalyse
4. Die Rolle des Funktionswertes des
Geldes im Zweckhandeln der Menschen
5. Wirkungen des Geldes auf das
individuelle und kollektive Handeln: Rationalisierung und
Individualisierung
6. Entfremdung und irrationale
Verkehrung des Verhältnisses von Mittel und Zweck
7. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
1.
Einleitung
Wir sind uns in der modernen,
funktional differenzierten Gesellschaft so gewohnt mit Geld zu operieren, dass
wir die gesellschaftliche Bedeutung dessen nicht gründlich genug hinterfragen.
Es wird uns von klein auf beigebracht, dass das Geld unglaublich wertvoll sei.
Mit Lebensweisheiten wie "Wer den Rappen nicht ehrt, ist des Franken nicht
wert", werden wir in die Regeln der Geldwirtschaft eingeweiht, und wir merken
schon früh im Leben, dass das Geld einen herausragenden Bedeutungsgehalt für
unser Leben hat. Es schwingen beim Gedanken an das Geld viele Konnotationen mit,
sowohl positive wie negative.
Bei allen Implikationen des Geldes
für unser praktisches Leben und Überleben, bleiben wir jedoch meist bei den
Wirkungen stehen, die das Handeln der Menschen in der Geldwirtschaft hat -
sozusagen eine Momentaufnahme aller möglichen Auswirkungen des Handelns in der
ausgebildeten Geldwirtschaft. Die Geldwirtschaft und seine Funktionsweise wird
wie selbstverständlich hingenommen.
Obwohl uns die evolutionistische
Entstehungsgeschichte des Geldes einigermassen geläufig ist, bildet sich selten
ein klares Bild darüber, welche Wirkungen das Geld umgekehrt auf unser Handeln
hat. Die strukturellen Wirkungen des Geldes auf unser Handeln bleiben somit im
Dunkeln.
Die Funktionen des Geldes - die
sachliche, zeitliche und räumliche Übertragung eines Wertes - beeinflusst das
Handeln der Menschen. Der Wertbildungsprozess, der im rationalen,
zweckgerichteten Handeln eine zentrale Rolle spielt, wird beeinflusst, da das
Geld als absolute Wertgrösse zum Antrieb für das Handeln der Menschen in der
modernen, funktional differenzierten Gesellschaft ist.
Diese Perspektive ist von
ausserordentlicher Bedeutung für das Verständnis von Georg Simmels Werk,
"Philosophie des Geldes". Der Begriff der "Wechselwirkung", die in der
Soziologie Simmels eine zentrale Rolle spielt, ist für diese Perspektive
massgebend und verdeutlicht die heute als systemtheoretisch bezeichnete
Ausrichtung seines Denkens. Paschen von Flotow stellt diese Perspektive klar
heraus, indem er die zentrale These der "Philosophie des Geldes" darin sieht,
dass das "Geld die bewegende Kraft der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Entwicklung" sei. (Flotow 7). Er verdeutlicht dies folgendermassen:
Vom Gelde ausgehend bietet
Simmel aber eine ... umfassende Interpretation der wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Verhältnisse. Er versteht es, die Wechselwirkungen der
verschiedenen Aspekte des menschlichen Lebens miteinander zu verbinden und
auf das Geld zu beziehen. Historische, psychologische, ästhetische und
religiöse, ökonomische und soziologische Betrachtungen wechseln einander in
einer scheinbar unbekümmerten Komposition ab. Simmels Perspektive richtet
sich dabei allerdings immer auf die Erkenntnis und Deutung der Formen des
Zusammenlebens - der "Vergesellschaftung" -, die Entdeckung der "Logik" oder
der "Weltformel", die dem Wandel der einzelnen Erscheinungen zugrunde liegt.
Das Verständnis des Geldes wird so zum Schlüssel für das Verständnis der
Gegenwart (Flotow 7).
Simmel vertritt seine
Perspektive im Vorwort zur "Philosophie des Geldes" solchermassen:
In methodischer Hinsicht kann
man diese Grundabsicht so ausdrücken: dem historischen Materialismus ein
Stockwerk unterzubauen, derart, dass der Einbeziehung des wirtschaftlichen
Lebens in die Ursachen der geistigen Kultur ihr Erklärungswert gewahrt wird,
aber eben jene wirtschaftlichen Formen selbst als das Ergebnis tieferer
Wertungen und Strömungen, psychologischer, ja, metaphysischer
Voraussetzungen erkannt werden (Simmel VIII).
Das Erkenntnisinteresse
dieser Arbeit soll es in diesem Sinne sein, Simmels Verständnis der
Wirkungen des Geldes auf das individuelle und kollektive Handeln
nachzugehen. Das So-sein der Kultur und unserer heutigen Gesellschaft
sowie die Art und Weise des Handelns der Menschen in ihr soll nicht in
unmittelbarer Selbstverständlichkeit hingenommen und beschrieben werden,
sondern anhand der Eigenschaften und Bedeutungen des Geldes für das
praktische Handeln kritisch hinterfragt und herausgearbeitet werden.
Zuerst soll aber in aller Kürze auf die relativistische Position Simmels
eingegangen werden.
Inhalt
1.1 Die relativistische Position Simmels
Nach Flotow geht es Simmel in seiner
"Philosophie des Geldes" um folgende Absicht:
An einer "Einzelheit des
Lebens die Ganzheit seines Sinnes zu finden", im Geld und vom Geld her das
Leben, die Welt zu verstehen, und das Geld selbst als Ausdruck der Welt zu
verstehen ... Es gilt zu zeigen, wie "diese Einzelheit (also das Geld, Anm.
d. V.) sich nicht nur in den ganzen Umfang der Welt tragend und getragen,
verwebt, sondern sich als Symbol der wesentlichen Bewegungsformen derselben
offenbart" (Flotow 24).
Um dies vollziehen zu
können, muss er eine relativistische Philosophie des Wertes und auf
dieser aufbauend die philosophische Idee des Geldes begründen. Die
Herausarbeitung eines solchen allgemeingültigen, philosophischen
Bezugsrahmens ist deshalb notwendig, da es Simmels Anspruch ist, eine
Art Weltformel im Geld gefunden zu haben. Eine solche Weltformel soll
dementsprechend ahistorisch, allgemein gelten. Simmel versucht somit das
wirtschaftliche Handeln zunächst statisch in einem ahistorischen oder
allgemeinen Sinn philosophisch zu analysieren (Flotow 30).
Im zweiten Kapitel wird auf die
Entstehung der Bewertung eines Objekts eingegangen. Dies bildet die Grundlage
für die Entstehung und Bedeutung des Geldes, da das Geld einen Wert darstellt.
Im dritten Kapitel wird näher auf den Tausch, der für Simmel zentrale
analytische Kategorie des Geldes ist, eingegangen. Es gilt aufzuzeigen, wie
Simmel in seiner Analyse des realen wirtschaftlichen Handelns auf Erscheinungen
stösst, die von seiner "philosophischen Idee" des Geldes abweichen und wie er so
eine "Doppelrolle des Geldes" konstatiert. Das Geld enthält sowohl relative wie
auch absolute Wertelemente, denen das Zweckhandeln der Menschen unterliegt. Im
vierten Kapitel soll der Funktionswert des Geldes in Zusammenhang mit dem
Zweckhandeln erläutert werden. Die Wirkungen des Geldes auf das individuelle und
kollektive Handeln sollen dabei unter Einbezug von den von Simmel angeführten
empirischen Beispielen isoliert werden. Anschliessend werden die Wirkungen des
Geldes auf das innere des Menschen unter einigen wenigen Stichworten
zusammengefasst, um so den motivationalen Kontext des individuellen und
kollektiven Handelns zu begründen. Zuletzt wird schliesslich auf die in der
"Philosophie des Geldes" kulturkritische Stellungnahme Simmels eingegangen. Sein
Entfremdungsbegriff soll dabei näher erläutert werden.
Um Simmels Verständnis oder
Konzeption des Geldes zu klären, muss zunächst auf seine Vorstellungen
betreffend der Entstehung eines Wertes eingegangen werden. Die Wertung bildet
für ihn das Fundament aller Objektivierung und ist somit die treibende Kraft
hinter allem Zweckhandeln. Im folgenden wird näher auf die Entstehung eines
Wertes und seine Bedeutung für das Geld eingegangen.
Inhalt
2. Die Entstehung eines Wertes
Simmel begründet seine
relativistische Weltanschauung durch die Unterscheidung zwischen dem Sein oder
die Wirklichkeit und die Welt der Werte oder der Wertung (Flotow 30). Simmel
drückt das wie folgt aus:
Zu dem sozusagen fertigen, in
seiner Wirklichkeit allseitig bestimmten, objektiven Sein tritt nun erst die
Wertung hinzu, als Licht und Schatten, die nicht aus ihm selbst, sondern nur
von anderswoher stammen können (Simmel 4)
Simmel macht damit deutlich,
dass er den Wert eines Objekts als durch einen subjektiven,
psychologischen Vorgang verursacht versteht. Ein Objekt hat an und für
sich keinen festen Wert, sondern ein Wert wird diesem individuell
zugesprochen. Auf die Entstehung eines Wertes geht Simmel näher ein.
Ausgangspunkt bildet die Vorstellung eines ursprünglichen Zustandes des
Menschen, sowohl die jeweils individuelle persönliche Entwicklung, als
auch die Menschheitsgeschichte betreffend (Flotow 32). Dieser
ursprüngliche Zustand des Menschen wird als Indifferenzzustand
beschrieben, in dem die gedankliche Unterscheidung zwischen Subjekt und
Objekt noch nicht bewusst geworden ist. In einem solchen Zustand,
argumentiert Simmel, sei nur ein unmittelbarer Genussmoment vorstellbar
und somit ist noch keine Wertung möglich:
Insoweit der Mensch irgend
einen Gegenstand nur geniesst, liegt ein in sich völlig einheitlicher Aktus
vor. Wir haben in solchem Augenblick eine Empfindung, die weder ein
Bewusstsein eines uns gegenüberstehenden Objektes als solchen; noch ein
Bewusstsein eines Ich enthält, das von seinem momentanen Zustand gesondert
wäre (Simmel 11).
In diesem Indifferenzzustand
wird noch nicht zwischen Subjekt und Objekt oder Form und Inhalt
desselben unterschieden. Diese Unterscheidung kann erst zustandekommen,
wenn wir uns bewusst geworden sind, dass nicht jedes Bedürfnis
unmittelbar befriedigt werden kann. Die Realisierung, dass nicht alle
Begehrungen sofort erfüllt werden können, löst nämlich die Wahrnehmung
einer Spaltung zwischen Subjekt und Objekt aus. Gleichzeitig wird die
Spaltung als Spannung oder Distanz zwischen Subjekt und Objekt
empfunden, weil ein Objekt begehrt wird, für dessen Erlangung aber Mühen
in Kauf genommen werden müssen. (Flotow 33). Das so entstandene Begehren
erlaubt erst die Differenzierung zwischen einem "begehrenden,
geniessenden, wertenden Subjekt und das als Wert beurteilte Objekt"
(Simmel 11). Simmel argumentiert:"Indem wir begehren, was wir noch nicht
haben und geniessen, tritt dessen Inhalt uns gegenüber" (Simmel 12).
Somit wird deutlich, wie
Simmel das Zustandekommen eines einem Objekt zugeschriebenen Wertes versteht:
Die wahrgenommene Distanz und das Begehren, die durch die Realisierung der
Spaltung zwischen Subjekt und Objekt hervorgerufen wird, löst in uns ein
Wertgefühl aus. So heisst es bei Simmel: "Das so zustande gekommene Objekt, charakterisiert durch
den Abstand zum Subjekt, den dessen Begehrung ebenso feststellt wie zu
überwinden sucht - heisst uns ein Wert." (Simmel 12). Die Höhe der Wertung wird
ihrerseits durch die zur Überwindung der Distanz zwischen Subjekt und Objekt
einzusetzende Mühe bestimmt.
Die Wertung ist aber nicht ein
willkürlich subjektiver Vorgang, sondern sie entspringt dem wahrgenommenen
Verhältnis von Begehren und objektiv bestimmte Hemmnisse zur Erlangung des
Begehrten. Simmel deutet diesen Sachverhalt folgendermassen:
So ist es nicht deshalb
schwierig, die Dinge zu erlangen, weil sie wertvoll sind, sondern wir nennen
diejenigen wertvoll, die unserer Begehrung, sie zu erlangen, Hemmnisse
entgegensetzen (Simmel 13).
Hervorzuheben ist, dass
Simmel Subjekt und Objekt nicht als selbständige Einheiten versteht,
sondern dass die Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt nur
aufgrund der ins Bewusstsein eintretenden, subjektiv wahrgenommenen
Relation zueinander zustandekommt. So meint er, dass es das Subjekt als
eigenständiges, substanziell einheitliches Gebilde nicht gibt. Erst die
Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt bildet die Inhalte unserer
Vorstellung der Welt heraus. (Flotow 34-35). Die Voraussetzungen für das
Zustandekommen dieser Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt ist
einerseits das "Haben-Wollen und Geniessen-Wollen als Eigenschaft des
Subjektes", andererseits die "Brauchbarkeit oder Nützlichkeit als
Eigenschaft der Objekte" (Flotow 35). Indem das Ziel des Subjekts der
Nutzen ist und Objekte die Möglichkeit der Nützlichkeit in sich tragen,
sind beide miteinander verbunden. Nur das Bewusstwerden der Hemmnisse
zur Erlangung eines begehrten Objekts treibt das Subjekt dazu an über
die Nützlichkeit desselben nachzusinnen und bringt so die Wertung
hervor. In diesem Sinne ist die Wertung etwas Relatives, weil es ein
stark subjektiv geprägtes Moment enthält (Flotow, 35). Die
konstruktivistische Auffassung Simmels kommt in dieser Hervorhebung der
Relativität des subjektiven Erlebens deutlich zum Ausdruck.
Die Argumentationslinie Simmels ist
in diesem Zusammenhang stark geprägt von seiner relativistischen Weltanschauung.
Er versucht die Bedeutung und Wirkung des Geldes für das Handeln der Menschen
auf ahistorischer, allgemeiner Art und Weise zu deuten. Es geht ihm ja darum,
die Gültigkeit der Weltformel der Relativität aufzuzeigen, auf die sein
Verständnis der Wechselwirkung beruht. Die Verbindung vom Wertbildungsprozess
zum Geld besteht darin, dass es Absicht Simmels ist, in einer "Einzelheit des
Lebens die Ganzheit seines Sinnes zu finden" (Simmel VIII), wobei der Sinn des
Ganzen für ihn die Gültigkeit der Relativität ist. (Flotow 41). Wenn die Höhe
der Bewertung eines Objekts aufgrund ihrer Relationen zu anderen Objekten
bestimmt ist, müsste sich diese Tatsache im ökonomischen Handeln spiegeln, da
die Wirtschaft der Austausch von Wirtschaftswerten zum Inhalt hat. Dieser
Grundbestimmung folgend, versucht er in einer ökonomischen Analyse die
Gültigkeit der Relativität im konkreten ökonomischen Handeln, anhand des Geldes,
nachzuweisen (Flotow 41). Die Begründung seiner "philosophischen Idee des
Geldes" spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Gleichzeitig wird
aufgezeigt, wie das Geld die Ablösung eines Absolutistischen zu einem
relativistischen Weltbild beeinflusst hat (Flotow 39). Simmel schreibt dazu:
Dies ist die philosophische
Bedeutung des Geldes: dass es innerhalb der praktischen Welt die
entschiedenste Sichtbarkeit, die deutlichste Wirklichkeit der Formel des
allgemeinen Seins ist, nach der die Dinge ihren Sinn aneinander finden und
die Gegenseitigkeit der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und
Sosein ausmacht (Simmel 98).
Simmel argumentiert hier
gemäss der philosophischen Strömung des Wertrelativismus, in der seine
Überlegungen zum Begriff der Wechselwirkung eingebettet sind:
Im Gegensatz zur
wertphilosophischen Auffassung von der Existenz absoluter Werte vertritt der
durch interkulturelle und historische Vergleiche stark geförderte
Wertrelativismus die These von der Bezogenheit (Relativität) aller
Wertvorstellungen auf andere, meist gesellschaftliche Gegebenheiten. Werte
sind nach Auffassung des Wertrelativismus weder beliebig noch
allgemeingültig, sondern nur innerhalb eines bestimmten Bezugssystems
verbindlich (Fuchs-Heinritz et. al. 741).
Der Begriff des Tausches
steht für Simmel als Kategorie der Geldanalyse im Zentrum dieser
wertrelativistischen Argumentation (Flotow 46).
Inhalt
3. Der Tausch als Kategorie der
Geldanalyse
Auf die philosophische Idee des
Geldes, auf die Rolle des Geldes als Zeichen des relativen Tauschwertes, soll
nachfolgend näher eingegangen werden.
3.1 Die philosophische Idee des Geldes
In der konkreten wirtschaftlichen
Tätigkeit erreicht der Differenzierungsprozess der Relation von Subjekt und
Objekt eine neue Stufe. Die Wertbildung innerhalb der Wirtschaft, im konkreten
Handeln der Menschen, ist an der Form des Tausches gebunden. Die zuvor
beschriebene allgemeine Form des Wertbildungsprozesses besitzt auch im Tausch
ihre Gültigkeit. Allerdings kommt aber im Tauschvorgang eine stärker
objektivierte Wertung hervor, da mindestens zwei Parteien beteiligt sind (Flotow
46-47). Der Tausch wird von Simmel folgendermassen erläutert:
Innerhalb der Wirtschaft nun
verläuft dieser Prozess so, dass der Inhalt des Opfers oder Verzichtes, der
sich zwischen den Menschen und den Gegenstand seines Begehrens stellt,
zugleich der Gegenstand des Begehrens eines Anderen ist: der erste muss auf
einen Besitz oder Genuss verzichten, den der andere begehrt, um diesen zum
Verzicht auf das von ihm Besessene, aber von jenem Begehrte zu bewegen. Ich
werde zeigen, dass auch die Wirtschaft des isolierten Eigenproduzenten sich
auf dieselbe Formel reduzieren lässt. Es verschlingen sich also zwei
Wertbildungen ineinander, es muss ein Wert eingesetzt werden, um einen Wert
zu gewinnen. Dadurch verläuft die Erscheinung so, als ob die Dinge sich
ihren Wert gegenseitig bestimmten. Denn indem sie gegeneinander ausgetauscht
werden, gewinnt jeder die praktische Verwirklichung und das Mass seines
Wertes an dem anderen. Dies ist die entschiedenste Folge und Ausdruck der
Distanzierung der Gegenstände vom Subjekt. So lange sie diesem unmittelbar
nahe sind, solange nicht Differenziertheit der Begehrungen, Seltenheit des
Vorkommens, Schwierigkeiten und Widerstände der Erlangung sie von dem
Subjekte fortschieben, sind sie ihm sozusagen Begehrung und Genuss, aber
noch nicht Gegenstand von beidem (Simmel 27-28).
Auf dieser Konzeption des
Tausches, die analog zu seinen Ausführungen des Wertbildungsprozesses
verläuft, und auf die vorangegangene Begründung eines relativistischen
Wertbildungsprozesses aufbauend, begründet Simmel, dass der Tausch die
angemessene analytische Kategorie zur Erklärung der Ökonomie sei. Es
werden folglich keine Wirtschaftswerte ausgetauscht, die von vornherein
feststehen. Erst im Austausch selbst werden Objekte mit einem jeweils
spezifisch zeitlich fixierten Wert versehen, und zwar gemäss den
subjektiv wahrgenommenen Relationen der Objekte zueinander (Flotow 49).
Dies ist die "philosophische Idee des Geldes", anhand der Simmel
die ökonomische Wirklichkeit des Geldes ergründen will.
Wenn es ihm gelingen sollte, diesen
relativen Wertbildungsprozess im konkreten wirtschaftlichen Handeln aufzuzeigen,
könnte es ihm gelingen seine wertrelativistische Weltformel mit einem
empirischen Beispiel zu untermauern. Im Laufe seiner Abhandlung stösst er jedoch
auf reale Phänomene, die von dieser Konzeption abweichen und eine
"Doppelrolle des Geldes" nahelegen und die, wie später gezeigt werden wird,
eine fundamentale Bedeutung für das Handeln der Menschen besitzt.
Inhalt
3.2 Die Doppelrolle des Geldes
Mit der "Doppelrolle des Geldes" ist
gemeint, dass das Geld nicht nur Symbol von relativen Werten, sondern selbst ein
Wert ist. Diese Erkenntnis wird dann ersichtlich, wenn die Wirtschaft nicht nur
ahistorisch oder allgemein in einer Momentaufnahme philosophisch analysiert
wird, sondern als Wirtschaftsprozess
verstanden, ihrer konkreten zeitlichen Struktur nachgegangen wird (Flotow
93-94).
Bei der Entwicklung der
"philosophischen Idee des Geldes" ist Simmel von der Vorstellung einer naturalen
Tauschwirtschaft ausgegangen, in der Waren gegen Waren ausgetauscht werden. In
einer solchen Konzeption ist der Wert- oder Preisbildungsprozess vom Geld
unabhängig. Die Wertbildung erfolgt in diesem Modell als gegenseitige Abwägung
der Warenwerte gegeneinander im Tauschvorgang selbst. Das Geld ist in einem
solchen Verständnis nur Zeichen des bereits abgeschlossenen
Wertbildungsprozesses - es drückt die relativen Tauschwerte aus (Flotow 94).
Wird aber die zeitliche Struktur der
Wirtschaft berücksichtigt und der Tatsache, dass in ihr Waren gegen Geld und
Geld gegen Waren ausgetauscht werden Rechnung getragen, zeigt sich die Rolle des
Geldes innerhalb des Preis- oder Wertbildungsprozesses. Flotow verdeutlicht die
Implikationen der unterschiedlichen analytischen Perspektiven wie folgt: "Die
zeitliche Betrachtung kennt nur Geldpreise, also absolute Preise. Nur die
nichtzeitliche Betrachtung der Zeitpunktanalyse kennt den Preis als relativen
Preis oder Tauschwert" (94). Hierzu nimmt Simmel selbst wie folgt Stellung:
Dies ist "die Doppelrolle des
Geldes, dass es einerseits die Wertverhältnisse der austauschenden Waren
untereinander misst, andererseits aber selbst in den Austausch mit ihnen
eintritt und so selbst eine zu messende Grösse darstellt" (Simmel 90).
Somit ist das Geld mehr als nur ein Messmittel. Es stellt selbst einen konkreten
oder singulären Wert dar (Simmel 89)
Vom Geld in seiner Rolle als
absolute Grösse gehen verschiedene Wirkungen aus, die den später zu erläuternden
Funktionswert des Geldes ermöglichen. Simmel reflektiert diese Wirkungen unter
dem Begriff der "Dienste des Geldes". Er nennt in diesem Zusammenhang die
"Beständigkeit des Wertmasses", die "Kondensierung der Werte", die
"Verkehrserleichterung"
und die "Mobilisierung". Diese Dienste des Geldes sollen im Folgenden
näher beleuchtet werden.
Inhalt
3.3 Bedeutung der absoluten Preise und die Dienste des Geldes
Als logische Konsequenz der
Konstatierung einer Doppelrolle des Geldes wird festgestellt, dass das Geld mehr
ist als ein Zeichen der relativen Tauschwerte. Das einfache Tauschmodell, wie
ihn Simmel ursprünglich vorschlägt, taugt also nicht für die vollumfängliche
Erklärung des Zustandekommens eines Wertes und vernachlässigt wichtige
Einflussgrössen auf den Umgang mit Geld und somit auf das Handeln in der
Geldwirtschaft (Flotow 95).
Die Orientierung der in der
Geldwirtschaft Handelnden am absoluten Geldpreis hat laut Simmel eine wichtige
praktische Bedeutung und somit ihre Berechtigung. Es geht dabei um die
praktische Funktionen des Geldes im Gegensatz zu seiner ideelen, philosophischen
Bedeutung. Diese praktische Funktionen erlauben eine Komplexitätsreduktion der
Realität, die den Menschen Handlungssicherheit gewährt. Bei einer ständigen
Überprüfung der angemessenen relativen Preise wären wir überfordert. Das
ökonomische Handeln der Subjekte in der Geldwirtschaft wird dementsprechend eher
von einem am absoluten Geldpreis der Waren orientierten Bewusstsein gelenkt.
Die Vorstellung der
"Beständigkeit des Wertmasses" des Geldes bei einer Orientierung der
Handelnden an absoluten Geldpreisen erlaubt einen andereren Umgang mit der Zeit
als in der reinen Tauschwirtschaft. Der Dienst des Geldes, für die
"Beständigkeit des Wertmasses"
zu bürgen, betrifft die Objektivierung eines Wertes. Das Geld ermöglicht die
Übertragung eines Wertes in der Zeit und erlaubt somit die zeitliche Kontinuität
des Handelns in der Geldwirtschaft. Es handelt sich dabei für Simmel um eine Art
gesellschaftlich legitimierte "Geldillusion". Die Bedeutung der Vorstellung von
absoluten Preisen und die Berechtigung eines bestimmten Masses einer solchen
"Geldillusion" ist die Ermöglichung der zeitlichen Kontinuität der
Geldwirtschaft. Es wird von der ideellen Bedeutung des Geldes abstrahiert um
seine praktische Bedeutung vollumfänglich zur Entfaltung zu bringen (Flotow
96-101).
Zu dieser eher statischen Wirkung
kommen dynamische Wirkungen des Geldes, die bei Simmel unter den Begriffen der
"Verkehrserleichterung", "Mobilisierung" und "Kondensierung" gefasst werden
(Flotow 109). Betreffend der Wirkung der "Verkehrserleichterung" führt
Simmel an, dass der oberste Sinn und Zweck des Geldes "die Bequemlichkeit des
Güteraustausches" und die "Handlichkeit" sei (Flotow, 109). Es geht bei diesem
Dienst des Geldes also um die Funktion des Geldes, einen Wirtschaftswert
sachlich, zeitlich und räumlich übertragen zu können. In der Geldwirtschaft
kommt es zu einfacherer Austauschbarkeit der Werte und somit zu mehr
Wirtschaftsverkehr. Da das Geld allgemein anerkanntes Tauschmittel ist, wird das
Zustandekommen von Austauschbeziehungen vereinfacht. Im modernen Verständnis
geht es hierbei um die Senkung von Transaktions-kosten (109).
In Zusammenhang mit dem Dienst der
"Verkehrserleichterung" steht der Dienst der "Mobilisierung". Simmel
ist der Auffassung, dass eine Erhöhung der Nachfrage nach Wirtschaftswerten
nicht nur zu einer Steigerung der Preise führt, sondern vorallem zu einer
Steigerung des Angebots. Hier ist eine Perspektive des Wirtschaftswachstums
eingenommen und verdeutlicht nochmals die über die als Zeichen der relativen
Werte hinausgehende Bedeutung des Geldes. (Flotow, 110). Das Geld ermöglicht
eine "allgemeine Zirkulationsbeschleunigung der Werte" (Simmel 184). Über die
Verkehrserleichterung hinaus, regt es die wirtschaftliche Tätigkeit an, fördert
die "lebhaftere Bewegung" (Simmel 184).
Der vierte Dienst des Geldes, die
"Kondensierung", ist massgeblich an die Kapitalform des Geldes gebunden.
Gemäss Simmel führt die Möglichkeit des Geldzinses zum Phänomen des
Geldkapitals. Die Möglichkeit des Geldzinses ihrerseits besteht aufgrund des
Funktionswertes des Geldes einen Wert sachlich, zeitlich und räumlich übertragen
zu können. Beim Geldzins geht es bekanntlich um den Kauf eines bestimmten
gegenwärtigen Geldquantums für den Preis eines versprochenen, in der Zukunft zu
zahlenden Geldquantums. (Simmel 89). Die Einrichtung des Geldzinses spiegelt die
Tatsache, dass das Geld selbst zu einem Wert wird. Es wird somit zu einer Ware
und zu einer absoluten Grösse. Beim
"Dienst der Kondensierung" geht es Simmel darum zu zeigen, "dass grosse
Geldsummen mehr Wert haben als nur den Wert eines Vielfachen eines Teilquantums"
(Flotow 102). Es geht darum, dass durch den Geldbesitz ab einer gewissen Grösse
mit einem "Minimum von neuem Energieaufwand ein Maximum von Leistung erzielt
werden kann" (Simmel 189). Bei allen anderen Wirtschaftsgütern gibt es für
Simmel eine Sättigungsgrenze. Menschen tauschen Güter aus um die Objekte ihrer
Begehrung zu erlangen. Die Motivation für das Handeln besteht in der Vorstellung
der Erlangung eines Genusses. Ist das Begehrte Objekt aber in den eigenen Besitz
gebracht und das Bedürfnis somit befriedigt worden, klingt diese Motivation ab
und es besteht kein Anlass mehr für weiteres Handeln in dieser Sache. Im
Hinblick auf das Geld stellt Simmel aber fest, dass es eine solche
Sättigungsgrenze nicht gibt. Die Anhäufung von Geld ist sinnvoll, da es für die
Erlangung von jeglichen Werten, also auch zur Erlangung von zukünftigen Werten
in einem Wirtschaftsraum, eingesetzt werden kann (Flotow 102).
In diesem Zusammenhang zeigt sich
die Bedeutung des Geldbesitzes in Relation zu einer Person. Simmel schreibt
dazu: "... die Beziehung auf die Einheit einer Person verwirklicht die Quantität
des Geldes als Qualität, seine Extensität als Intensität, die aus dem bloss
summierenden Nebeneinander seiner Bestandteile nicht erzielbar wäre ..." (Simmel
285). Er verdeutlicht seinen Standpunkt mit folgendem Beispiel:
Eine Million, im Besitz eines
Menschen, verschafft ihm nicht nur ein Ansehen und eine soziale
Qualifikation, die etwas ganz anderes ist, als das tausendmalige Vielfache
der entsprechenden Bedeutung eines Besitzers von tausend Mark; sondern,
diese subjektive Folge begründend, ist der objektive wirtschaftliche Wert
einer Million nicht aus dem Grenznutzen etwas ihrer tausend Teile zu tausend
Mark zu berechnen, sondern bildet eine darüber stehende Einheit, wie der
Wert eines einheitlich handelnden Lebewesens über dem seiner einzelnen
Glieder (Simmel 285)
Gemäss Flotow geht es Simmel
bei den Ausführungen der Dienste des Geldes um folgende Bedeutung:
Im Zuge der Entwicklung und
Ausbreitung der Geldwirtschaft werden durch Erhöhung der Geldmenge bzw. des
Geldangebotes sowie die Zusammenfassung von Kapitalvermögen immer mehr
ökonomische Handlungen ermöglicht bzw. in die Geldwirtschaft hineingezogen.
Das Güterangebot steigt aufgrund der Erhöhung des Geldangebotes. Simmel geht
es hier also nicht nur um eine Gegenüberstellung von Tauschwirtschaft und
Geldwirtschaft mit dem Ergebnis, dass die Geldwirtschaft effizienter ist -
Kräfte spart. Es geht nicht nur um einen einmaligen Übergang von der Tausch-
zur Geldwirtschaft, sondern um die Charakterisierung der permanent wirksamen
realökonomischen Auswirkungen des Geldes im historischen wie im
kürzerfristigen ökonomischen Prozess. Nach Simmels Auffassung sind
"Verkehrserleichterung", "Mobilisierung" und "Kondensierung" fortlaufende
ökonomische Prozesse, durch die zunehmend mehr wirtschaftliche Transaktionen
in die Geldwirtschaft hineingezogen werden bzw. angeregt werden.
Geldmengenerhöhungen führen daher nicht nur zu einer Veränderung des
Preisniveaus und der relativen Preise, sondern dienen auch dazu, die
"wirtschaftlichen Bewegungen des Landes funktionell zu beleben" (Flotow
110-111).
Implizit wird hier der
Fortschrittsgedanke thematisiert - der seit der Aufklärung zum
Vorstellungsinhalt der Menschen absolut gewordene Glaube an ein immer
besseres, von Vernunft geprägten Menschen.
Im folgenden Kapitel soll aufgezeigt
werden, wie sich Simmel die Evolution des Zweckhandelns der Menschen vorstellt
und welche Rolle das Geld dabei spielt. Das Zweckhandeln zu erläutern ist
Zentral, da es die massgebliche Kategorie des Handelns in der Geldwirtschaft
ist. Das Bild eines Homo Oeconomicus, der zweckrational nach dem
Nutzenmaximierungsprinzip handelt, wird von den ökonomischen Theorien
unterstellt. Das Zustandekommen eines solch berechnenden, zweckrationalen
Handelns wird aber von Simmel als durch das Geld mitvermittelt gedeutet. Die
Bedeutung des Geldes für das Zweckhandeln der Menschen wird durch seine
Bedeutung als Mittel zur Erfüllung eines Zwecks oder zur Erreichung eines Ziels
begründet.
Im nächsten Kapitel soll nun auf die
Vorstellung Simmels betreffend der Evolution des Zweckhandelns aus dem
Triebhandeln eingegangen werden. Anschliessend soll die Bedeutung des Geldes als
Werkzeug oder als Mittel zur Zweckerreichung verdeutlicht werden, die durch die
Funktionen des Geldes ermöglicht wird. Auf dem Funktionswert des Geldes
aufbauend, sollen in der Folge Implikationen dessen im Bezug auf den
gesellschaftlich objektivierten Wert des Geldes aufgezeigt werden.
Inhalt
4. Die Rolle des Funktionswertes des
Geldes im Zweckhandeln der Menschen
Zunächst soll auf Simmels
Vorstellungen betreffend dem zweckgerichteten Handeln eingegangen werden, um
nachher Wirkungen des Geldes auf das individuelle und kollektive Handeln zu
isolieren.
4.1 Das Zweckhandeln als Differenzierung vom Triebhandeln
Simmel versteht menschliches Handeln
als "... die Brücke, über welche der Zweckinhalt aus seiner psychischen Form in
die Wirklichkeitsform übergeht" (Simmel 200). Dieses Zitat verdeutlicht wiederum
die konstruktivistische Auffassung Simmels. Menschen haben Vorstellungsinhalte,
die zunächst nur als Begriffe, Ideen oder Interessen vorhanden sind. Erst im
praktischen Handeln gehen diese Vorstellungsinhalte in die Wirklichkeitsform
über, nur wenn wir durch unser Handeln in die uns als objektiv real erscheinende
Welt eingreifen, können sich Vorstellungsinhalte in die Realität umsetzen
(Simmel 200).
Simmel differenziert zwischen zwei
unterschiedlichen Motivationen für das Handeln: Einerseits kommt eine Handlung
zustande, wenn wir aufgrund der inneren Antriebskraft, die zur Befriedigung
eines Triebes drängt, tätig werden. Andererseits können wir in der Antizipation
eines Erfolges, um eines Zweckes willen eine Handlung vollziehen. Simmel drückt
die Unterscheidung zwischen triebhaftem Handeln und Zweckhandeln folgendermassen
aus:
Der Zustand dessen Energien
uns in Bewegung setzen, hat [beim triebhaften Handeln, Anm. d. V.] insofern
zu der Handlung und ihrem Erfolge so wenig qualitative Bedeutung, wie der
Wind zu dem Fall der Frucht, die er vom Baum schüttelt. Wo dagegen die
Vorstellung des Erfolges als Veranlassung gefühlt wird, da decken sich
Ursache und Wirkung ihrem begrifflichen oder anschaubaren Inhalte nach
(Simmel 198).
Bei der Befriedigung eines
Triebes wird ein Bedürfnis innerhalb des Subjekts ausgelebt. Die
Befriedigung erschöpft sich im Handeln selbst. Im Gegensatz dazu besteht
die Motivation beim Zweckhandeln aufgrund der Vorstellung, dass das
eigene Agieren eine bestimmte Wirkung erzielt. Dabei besteht die
Befriedigung in der Rückwirkung des so erreichten Zustandes auf das
Subjekt. Die Bedeutung dieser Unterscheidung liegt für Simmel darin,
dass beim Zweckhandeln, im Gegensatz zum Triebhandeln, eine
Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt stattfindet (Simmel 199).
Hier wird an Simmels Konzeption der Entstehung eines Wertes angeknüpft.
Er meint, dass "Das zweckbestimmte Handeln", also das Handeln aufgrund
eines bestimmten in Aussicht gestellten Wertes, "die Wechselwirkung
zwischen Subjekt und Objekt in die Innerlichkeit des Geistes [hebt] ...
Erst im Zweckhandeln differenziert sich das Ich als Persönlichkeit von
den Naturelementen ausserhalb (und innerhalb) seiner" (Simmel 199).
Simmel illustriert dies in einer Gegenüberstellung der Handlungsweisen
des Naturmenschen zum Kulturmenschen. So habe der Naturmensch eine
"unregelmässige", "stossweise" Arbeitsweise im Gegensatz zum
Kulturmenschen, der "regelmässig und methodisch" vorgehe (Simmel 199).
Simmel geht weiter der Frage nach,
wie wir im Zweckhandeln praktisch vorgehen, wie wir einen subjektiv vorhandenen
Vorstellungsinhalt in die Wirklichkeitsform überführen und so in bewusster
Wechselwirkung mit unserer Umwelt treten. Er benutzt dabei den Begriff der
teleologischen Kette. Damit wir einen bestimmten Zweck erreichen können, müssen
wir Einsicht in die Kausalzusammenhänge der Glieder haben. In anderen Worten:
wenn wir einen Zweck erreichen wollen, müssen wir wissen mit welchen Mitteln wir
ihn erreichen, da ein Zweck an einem Mittel zu seiner Erlangung gebunden ist. Je
tiefer unsere Einsicht in solche kausal zusammenhängende Erscheinungen ist,
desto tiefer ist unsere Einsicht auch in teleologische Erscheinungen, weil die
Erkenntnis des Kausalen Zusammenhangs die Grundlage für teleologisch bestimmtes
Handeln ist (Simmel 201-202).
Simmel stellt fest, dass der Besitz
eines Mittels nicht nur zur Verwirklichung eines Zweckes dient, sondern dass er
auch oftmals erst den Gedanken eines neuen Zwecks erzeugt (Simmel 202). Die
Länge der Handlungsketten ist für Simmel Indikator für die Kultiviertheit einer
Gesellschaft, für das Mass des objektiven Wissens. Je länger die Handlungsketten
sind, desto grösser ist "... die Kenntnis und Beherrschung der Natur wie die
Weite und Verfeinerung der Lebensführung ..." (201) Simmel begründet seine
Ansicht damit, "dass wir mit vielgliedrigen Reihen von Mitteln mehr und
wesentlichere Zwecke erreichen können als mit kurzen. ... Die Verlängerung der
Reihe bedeutet, dass das Subjekt die Kräfte der Objekte in steigendem Masse für
sich arbeiten lässt." (202) Wiederum nimmt Simmel hier auf den primitiven
Menschen Bezug: Im holistischen Denken wurde eine magische Instanz dafür
verantwortlich gemacht, "Wenn von der Einwirkung auf ein Objekt nicht die
erhoffte Rückwirkung auf ihn [auf den primitiven Menschen, Anm. d. V.] erfolgt"
(Simmel 202).
Im folgenden wird näher auf die
Mittel oder Werkzeuge zur Zweckerreichung eingegangen. Die Rolle des Geldes als
Mittel soll dabei verdeutlicht werden.
Inhalt
4.2 Der Funktionswert des Geldes
Werkzeuge oder Mittel verhelfen uns
zur Realisierung individueller Zweckhandlungen. Hervorzuheben ist der abstrakte
Charakter des Werkzeugbegriffs Simmels. So versteht er soziale Institutionen,
wie das Recht zum Beispiel, ebenfalls als Werkzeuge. Einrichtungen des
Zivilrechts sind für ihn Mittel zur Realisierung individueller Zweckhandlungen,
ohne die der einzelne, nur auf seine eigene Fähigkeiten gestellt, seine Ziele
nicht erreichen könnte (Simmel 204).
Damit ein Zweck erreicht wird, muss
zuerst ein Mittel, oder anders ausgedrückt, ein Werkzeug zwischen Subjekt und
Objekt eingefügt werden (Simmel 205). Simmel bezeichnet ein solches Werkzeug als
"das potenzierte Mittel" (Simmel 203): es ist von vornherein durch den zu
erreichenden Zweck bestimmt, ist aber nicht schon an und für sich Endzweck.
Die Verbindung zwischen diesen
allgemein gehaltenen Überlegungen zum Handeln der Menschen und das Geld wird
durch den Begriff des Tausches hergestellt. Für den Tausch wird vorausgesetzt,
dass ich ein Objekt A besitze, dem Objekt B, das ein anderer besitzt, aber mehr
Wert zuschreibe. In der Naturalwirtschaft stellt sich das Problem, denjenigen zu
finden, der Objekt B besitzt, und dieses für mein Objekt A einzutauschen bereit
ist (Simmel 204-205). Es stellt sich die Frage der sachlichen, zeitlichen und
räumlichen Einigung der Tauschpartner. Um diese der Einigung im Weg
stehenden Hindernisse zu überwinden, muss ein Mittel in die Zweckreihe gestellt
werden. Dieses Mittel ist das Geld. Indem das Geld das Austauschen der Objekte untereinander in
sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht erleichtert, kann man es auch als
Mittel zur Zweckerreichung bezeichnen.
Indem das Geld der sozialen
Organisation und den übersubjektiven Normen unterliegt, muss der Wert des Geldes
nicht notwendigerweise an einer wertvollen Substanz wie Gold oder Silber
gebunden sein, sondern erlangt seine Wirksamkeit und seinen Wert durch seine
gesellschaftlich legitimierte Funktionen (Simmel 205). Der Wert des Geldes wird
ihm von den Subjekten entsprechend den Ausführungen zur Entstehung eines Wertes
zugeschrieben. Dabei wird sein Wert massgeblich von den Funktionen, die es zu
erfüllen imstande ist, geprägt. So meint Simmel, dass ein Werkzeug umso
wertvoller sei, desto mehr Zwecke es zu erfüllen imstande ist:
... dass ein Werkzeug ... um
so bedeutsamer und wertvoller sein wird, zu einer je grösseren Anzahl von
Zwecken es eventuell dienen kann, ein je grösserer Kreis von Möglichkeiten
seine Wirklichkeit umgibt; andrerseits, dass das Werkzeug in eben demselben
Mass an sich indifferenter, farbloser, allem einzelnen gegenüber objektiver
werden und in weiterer Distanz von jedem besonderen Zweckinhalt stehen muss
(Simmel 207-208).
Diesen Sachverhalt auf das
Geld beziehend, nimmt Simmel folgende Stellung ein:
Es ist dasjenige Werkzeug, in
dem die Möglichkeit der nicht vorausgesehenen Verwendungen auf ihr Maximum
gekommen ist und das dadurch den maximalen, auf diese Weise überhaupt
erreichbaren Wert gewonnen hat. Die blosse Möglichkeit unbegrenzter
Verwendung, die das Geld wegen des absoluten Mangels an eigenem Inhalt nicht
sowohl hat als ist, spricht sich positiv darin aus, dass es nicht ruhen mag,
sondern wie von sich aus fortwährend zum Verwendetwerden drängt (Simmel
208).
Die Funktionen des Geldes
beziehen sich also auf die sachliche, zeitliche und räumliche
Übertragung eines Wertes. Die sachliche Übertragung eines Wertes
bezeichnet in der Geldwirtschaft die Tatsache, dass Waren fast
ausschliesslich gegen Geld getauscht werden können, das Geld hingegen
zur Erlangung jeglicher Waren eingesetzt werden kann. Da das Geld für
die Erreichung der verschiedensten Zwecke eingesetzt werden kann, wird
es von Simmel als das "absolute Mittel" bezeichnet (Simmel 206).
Vom Geld in seiner Rolle als
absolutes Mittel gehen verschiedene Wirkungen aus. Deren gesellschaftliche
Implikationen sollen nun näher beschrieben werden.
Inhalt
4.2.1 Das Wertplus des
Geldes
Die psychologische Wertsteigerung
des Geldes, die aufgrund der Wahlchance zwischen qualitativ verschiedensten
Objekten und zwischen der zeitlichen und räumlichen Bestimmung des Tausch- oder
Kaufakts zustandekommt, nennt Simmel "das Wertplus des Geldes" (Simmel
208-209). Diesen durch die Funktionen des Geldes zusätzlich gewonnener Wert wird
durch folgenden Gedankengang erläutert:
Die Wahl, die es bietet, ist
nicht wie bei allen anderen Gütern spezifisch begrenzt; und, bei der
Grenzenlosigkeit des menschlichen Wollens, konkurriert immer eine Vielzahl
möglicher Verwendungen um jedes disponible Geldquantum; so dass, da die
Entscheidung doch vernünftigerweise immer das je begehrteste Gut treffen
wird, die Schätzung des Geldes in jedem gegebenen Moment gleich der des
wichtigsten, momentan empfundenen Interesses sein muss (Simmel 209).
Hier geht es um die
sachliche Übertragung eines Wertes. Da das Geld zur Erlangung aller
möglichen Werte bestimmt ist, ist sein Wert jeweils am momentan
stärksten begehrten Objekt oder am dringlichsten zu erreichenden Zweck
zu bemessen. Somit erscheint uns das Geld als höchst möglicher Wert
unter den zu erlangenden Objekten (Simmel 209-210).
Ein zweiter Aspekt des Wertplus des
Geldes, ist die Wahlfreiheit in Bezug auf die Zeitpunkte, in denen das Geld
verwendet werden kann. Simmel meint, dass der Wert des Geldes zusätzlich
gesteigert wird, indem man es "sogleich verwenden kann, aber nicht sogleich
verwenden muss" (Simmel 210). Im Gegensatz zum Naturaltausch, kommt es beim Geld
als Tauschobjekt nicht zu einer Entwertung aufgrund von Verwesung oder
Unbrauchbarkeit in einer bestimmten Jahreszeit. Simmel verdeutlicht diesen
Zusammenhang mit dem Beispiel eines Tauschgeschäfts, bei dem im Sommer frische
Fische gegen ein "erst im Winter zu tragendes Fell eingetauscht werden" (Simmel
210).
Für das Handeln der Menschen
impliziert dieser Wertplus des Geldes, dass derjenige, der sein Geld gegen die
Ware eintauscht, einen Vorteil geniesst. Simmel stützt diese Behauptung
ebenfalls mit einem Beispiel. So drückt sich dieser Vorteil des Geldbesitzers im
"Prinzip der 'Zugabe' ... beim Einkauf von wäg- und messbaren Waren" aus (Simmel
210-211).
Auch die Wahlfreiheit in Bezug auf
den räumlichen oder sozialen Einsatz des Geldes steigert dessen Wert. Auf
Beispiele zu diesem Aspekt wird aber später eingegangen, wenn die Bedeutung des
Geldes für sozial benachteiligte Individuen oder Klassen analysiert wird.
In der ausgebildeten Geldwirtschaft
sind also alle möglichen Objekte für Geld zu haben. Somit besitzen wir lieber
Geld als einzelne Objekte, sofern unsere grundlegende Lebensbedürfnisse bereits
gedeckt sind, da es uns grundlegende Wahlchancen in Bezug auf dessen sachlichen,
zeitlichen und räumlichen Einsatz einräumt. Dieses Verhältnis begründet ein
Macht- und Bedeutungsverhältnis des Wohlhabenden gegenüber dem Armen oder
weniger Bemittelten. Simmel nennt diesen Vorteil das "Superadditum des
Reichtums".
Inhalt
4.2.2 Das Superadditum
des Reichtums
Mit dem "Superadditum des Reichtums"
ist die gesellschaftliche Bevorzugung des Reichen gemeint, die zustande kommt,
weil Reichtum als eine Art moralischen Verdienstes gilt. Dieses Verhältnis
spiegelt sich auch in sprachlichen Ausdrücken. So bezeichnen wir beispielsweise
reiche Personen als "anständiger" oder als "besseres Publikum". Auch wird durch
die Begriffe "vermögend" oder "bemittelt" ausgedrückt, dass der Reiche wegen der
unbegrenzten Freiheit der Verwendung des Geldes zu Handlungen imstande ist, die
durch sein geldmässiges Machtverhältnis gegenüber weniger Bemittelte begründet
wird. Dieser Sondervorteil ist für Simmel an die Geldform der Werte geknüpft, an
den quantitativen Bestimmtheiten der Werte also (Simmel 215). Der indifferente
Charakter des Geldes spiegelt sich in der Gesellschaft: Das Wertgefühl an den
qualitativen Eigenarten der Objekte geht zurück, während die quantitative
Wahrnehmung in den Vordergrund rückt.
Das Ausmass des Superadditums des
Reichtums wird durch die Gesamtlage des Geldbesitzers bestimmt, da das Mass der
Wahlfreiheit der Verwendung des Geldes um so grösser ist, je einfacher die
lebenserhaltende Grundbedürfnisse gedeckt werden können. Die Geldaufwendung für
die Befriedigung der notdürftigen Bedürfnisse ist vorherbestimmt. Welche Zwecke
man mit einer verbleibenden Menge seines Geldes verfolgt jedoch nicht (Simmel
216). So stellt Simmel fest: Der Arme ist von den Annehmlichkeiten des
"Superadditums des Reichen" ausgeschlossen, weil die Wahlchance der
Geldverwendung aufgrund seiner finanziellen Gesamtlage nicht zustandekommt: "Die
Geldmittel des Armen sind nicht von dieser Sphäre unbegrenzter Möglichkeiten
umgeben, weil sie von vornherein ganz unmittelbar und zweifellos in sehr
bestimmte Zwecke einmünden" (Simmel 217).
Ein dieses Verhältnis zwischen Reich
und Arm weiter zuspitzender Aspekt wird durch die von Simmel als "Gesetz der
konsumtiven Preisbegrenzung"
bezeichneten Regel begründet. Viele Güter seien in solchen Mengen vorhanden,
dass sie die zahlungsfähigsten Gruppen gar nicht alle konsumieren könnten.
Deshalb muss sich der Preis solcher Waren an die Zahlungsfähigkeit der ärmsten
Schichten orientieren, damit sie überhaupt abgesetzt werden können. Dies
steigert den Vorteil des Wohlhabenden gegenüber den Armen, da er seine
grundlegende Lebensbedürfnisse zu einem geringeren Preis befriedigen kann, und
ihm somit ein grösseres Vermögen zur freien Verwendung zur Verfügung steht
(Simmel 216-217).
Der Besitz grosser Geldmengen
begründet ein weiteres gesellschaftliches Privileg. Simmel beschreibt, wie eine
"Plutokratie" oder "eine Art Erblichkeit der hohen Ämter in wenigen Familien"
herausgebildet wurde, und zwar in Ländern, die ihren Beamten einen geringen Lohn
zahlten (Simmel 217). Die niedrige Entgeltung der Beamten habe ursprünglich den
Sinn gehabt, die Verwirklichung ihrer Geldinteressen Einhalt zu gebieten. Im
Gegensatz habe es aber dazu geführt, dass nur Reiche solche Ämter übernehmen
konnten, da sie ihre Lebensbedürfnisse trotz geringer Entlohnung selbst
finanzieren konnten, und so mit speziellen Ehren, Macht und Chancen, die der
Beamtenstatus bietet, ausgestattet wurden (Simmel 217-218)
Der Reiche geniesst ausserdem den
Vorteil, sich auf eine reinere Art und Weise an die Qualitäten der Objekte zu
erfreuen, da seine Freude über den Erwerb der Objekte nicht von der
"Geldopferfrage"
getrübt wird. Mit der Geldopferfrage ist gemeint, dass der Arme viel stärker
abwägen muss, wofür er seine geringe Geldmenge ausgeben will, weil seine Mittel
eben viel stärker begrenzt sind als die des Reichen. Der psychologische Vorteil
des Reichen besteht für Simmel in der "Leichtigkeit, Unmittelbarkeit" und
"Unabgelenktheit des Erwerbes und Genusses" (Simmel 219).
Weitere Wirkungen des Geldes, die
aufgrund seiner Stellung als absolutes Mittel zum tragen kommen, betrifft das
Handeln von sozial benachteiligten Individuen oder Klassen. In seiner Analyse
der Geldwirtschaft führt Simmel empirische Beispiele an, die seine Argumentation
betreffend dem Geld als absolutes Mittel stützen. Auf diese soll nachfolgend
eingegangen werden.
Inhalt
4.2.3 Die Bedeutung
des Geldes für sozial benachteiligte Individuen oder Klassen
Für Simmel hat die Indifferenz des
Geldes in Bezug auf die Handlungsziele zur Folge, dass sozial benachteiligte
Individuen oder Klassen das Geldgeschäft bevorzugen:
Die über alle spezifischen
Zwecke erhabene Mittelsbedeutung des Geldes hat zur Folge, dass es das
Interessenzentrum und die eigentliche Domäne solcher Individuen und Klassen
wird, deren soziale Stellung sie von vielerlei persönlichen und spezifischen
Zielen ausschliesst (Simmel 220).
So führt Simmel
geschichtliche Beispiele an, die das intensive Interesse am Geldbesitz
bei sozial benachteiligten Personen oder Gruppen verdeutlichen sollen.
Er nennt römische Freigelassene, die sich auf das Geldgeschäft
konzentrierten, weil ihnen der Bürgerstatus mit seinen
Einflussmöglichkeiten verwehrt wurde. Im 4. Jahrhundert war der reichste
Bankier Athens ursprünglich Sklave. Wegen der Verachtung und Verfolgung
der Armenier in der Türkei habe sich diese Volksgruppe auf den Handel
und das Geldgeschäft spezialisiert. Auch in Spanien herrschten ähnliche
Verhältnisse für die Moriskos, sowie in Indien für die Parsen und
Tschettis, in Frankreich für die Hugenotten und in England für die
Quäker, so dass sich diese Volksgruppen verstärkt auf den Handel oder
den Geldwechsel konzentrierten (Simmel 220). Simmels Begründung für das
rege Geldinteresse solcher Individuen oder Klassen lautet wie folgt:
Vom Gelderwerb als solchem
kann man, weil eben alle möglichen Wege gleichmässig zu ihm führen, am
wenigsten jemanden prinzipiell ausschliessen. Vom reinen Geldgeschäft
deshalb nicht, weil es weniger technischer Vorbedingungen bedarf, als jeder
andere Erwerb, und sich deshalb leichter der Kontrolle und dem Eingriff
entzieht, und zudem, weil der Geldbedürftige in der Regel in einer Notlage
ist, in der er schliesslich auch die sonst verachtetste Persönlichkeit und
den sonst gemiedensten Schlupfwinkel aufsucht (Simmel 220).
Und weiter:
Macht aber jene nicht zu
raubende Möglichkeit schon das Geldgeschäft zur ultima ratio sozial
benachteiligter und bedrückter Elemente, so wirkt für sie positiv noch die
Macht des Geldes, Stellungen, Einfluss, Genüsse noch da zu gewinnen, wo man
von gewissen direkten Mitteln des sozialen Ranges: der Beamtenqualität,
bestimmten, ihnen vorenthaltenen Berufen, der Persönlichkeitsentfaltung,
ausgeschlossen ist (Simmel 221).
Es wird der französische
Adel des ancién régime angeführt, dem die Zentralisierung des Staates
seine inhaltlich wertvolle Herrschaftsfunktionen entzog. Somit lag dem
Adel daran seinen Güterbesitz in möglichst viel Geld umzusetzen, weil
dies die einzige Sphäre blieb in der er sozialen Einfluss erhalten
konnte (Simmel 221).
Auch abgesehen von der Bedeutung für
sozial benachteiligte Gruppen, bildet sich das Interesse am Geld aufgrund von
Umweltfaktoren aus. So erwähnt Simmel die Einwohner Äginas, die wegen der
Unfruchtbarkeit des Bodens auf den Handel angewiesen waren.
Simmel schreibt in diesem
Zusammenhang von der "alles überwindenden Macht" des Geldes. Er verdeutlicht
dies durch eine damalige politische Äusserung. So habe Maccaulay die
Emanzipation der Juden damit verteidigt,
... dass es ein Widersinn
wäre, ihnen die politischen Rechte vorzuentahlten, da sie vermöge ihres
Geldes die Substanz derselben doch besässen. Sie könnten Wähler kaufen,
Könige lenken, als Gläubiger ihre Schuldner beherrschen, so dass politische
Rechte nichts als die formale Vollendung von dem wären, was sie schon hätten
(Simmel 222).
Simmel ist der Meinung, dass
der Zusammenhang zwischen der Zentralität des Geldinteresses und
sozialer Benachteiligung am auffälligsten an den Juden demonstriert
werden kann. Da sie verfolgt wurden, wandten sie sich dem Geldgeschäft
zu. Gerade weil ihr Reichtum aber in Geld bestand, konnten sie so
restlos ausgebeutet werden, "denn kein anderer Besitz lässt sich so
schnell, einfach und verlustlos" in Beschlag nehmen (Simmel 223).
Der indifferente Charakter des
Geldes verdeutlicht Simmel speziell an der Rolle des Fremden innerhalb einer
etablierten sozialen Gruppe. Der Fremde ist auf die durch Geld vermittelte
Beziehungen angwiesen. Dies ist Folge der Transportfähigkeit und der über die
Gruppengrenzen hinausreichenden Verwertbarkeit des Geldes. Da die Mitglieder
einer sozialen Gruppe über persönliche Beziehungen zu den anderen
Gruppenmitglieder verfügen, können sie auf diesem direkten Weg Handlungen
untereinander regeln. Weil aber der Fremde von solchen Chancen ausgeschlossen
ist, muss er den unpersönlichen, indifferenten Charakter des Geldes nutzen.
(Simmel 224). Simmel beschreibt wie die Verteilung der Güter über den
unmittelbaren Tausch ausreicht, solange ein Wirtschaftsraum noch klein ist und
keine weitreichende Arbeitsteilung besteht, wenn die Handlungsketten also noch
relativ kurz sind. Sobald es aber darum geht, Waren aus einem weiter entfernten
Wirtschaftsraum herbeizuschaffen, wird ein Händler benötigt. Da aufgrund seines
indifferenten, qualitätslosen Charakters jeder von jedem Geld nimmt, auch wenn
persönliche Bindungen fehlen, ist der Fremde auf das Geldgeschäft oder auf den
Handel angewiesen (Simmel 224). Simmel drückt das folgendermassen aus:
Zersprengte Leute, in mehr
oder weniger geschlossene Kulturkreise hineindringend, können schwer Wurzel
schlagen, eine freie Stelle in der Produktion finden und sind deshalb
zunächst auf den Zwischenhandel angewiesen, der viel elastischer ist als die
Urproduktion selbst, dessen Spielraum durch bloss formale Kombinationen fast
unbegrenzt zu erweitern ist und der deshalb von aussen kommende, nicht von
der Wurzel her in die Gruppe hineingewachsene Elemente am ehesten aufnehmen
kann (Simmel 224).
Die Etablierung der Juden
als Handelsvolk wurde gemäss Simmel von der Tatsache vorangetrieben,
dass sie als verfolgte Gruppe über viele Länder verstreut wurden und
somit auf den Handel oder auf das Geldgeschäft angewiesen waren. Dabei
wird die "raumüberspringende Macht" des Geldes, also die räumliche oder
soziale Wahlchance in Bezug auf seinen Einsatz, deutlich.
Gemäss Simmel war es für die Juden
bedeutsam, dass sie nicht nur "Stammfremde", sondern auch "Religionsfremde"
waren. Deshalb galt im Mittelalter das Zinsverbot nicht für den Juden und somit
war er dazu bestimmt, sich auf die Geldleihe zu konzentrieren.
Die Verbindung zwischen der Rolle
des Fremden als Händler oder Geldleiher und der Entwicklung der Geldwirtschaft
und Handelsfreiheit, versucht Simmel am Beispiel der Weltbörsen des 16.
Jahrhunderts zu verdeutlichen. Lyon und Antwerpen seien durch die Fremden
geprägt worden, da der fremde Kaufmann an diesen Orten eine fast unbeschränkte
Handelsfreiheit genoss. Dies korreliert mit dem damaligen
"Geldverkehrscharakter" dieser Orte. So beschreibt er weiter, wie sich in
Antwerpen, das im 16. Jahrhundert der unbestrittene Welthandelsplatz war,
Italiener, Spanier, Postugiesen, Engländer, Oberdeutsche, also Fremde, als
Händler niedergelassen haben. In diesem Fall wandten sich aber die eingeborene
Antwerpner dem Geldgeschäft zu und wurden Bankiers oder Kommisionäre. In dieser
Internationalen Gesellschaft, die aufgrund der Interessen des Welthandels
zusammengehalten wurde, waren die Antwerpner die der anderen Gruppe fremd
gegenüberstehenden. Simmel erklärt das so:
...das Entscheidende ist hier
das soziologische Verhältnis zwischen einer grossen Gruppe und einzelnen,
ihr fremd gegenüberstehenden Individuen; diese werden eben durch die
Beziehungslosigkeit zu den konkreteren Interessen auf das Geldgeschäft mit jenen hingewiesen (Simmel 226).
Simmel deutet den damaligen
Hass des Volkes auf die grossen Banken als den "Hass des nationalen
Empfindens gegen das Internationale" (Simmel 226) Dieser Hass wurde
zusätzlich dadurch geschürt, dass die damaligen Kriege die Ausweitung
der Geldgeschäfte vorantrieben und selbst landesverräterische Geldleihen
getätigt wurden (Simmel 227).
Simmel beobachtet, dass die
Geldgeschäfte in der Moderne in vieler Hinsicht internationalen Charakter
erlangt haben. Die Bedeutung dessen liegt für ihn aber in folgendem:
"Fremde" in jenem alten Sinne
gibt es eben heute nicht mehr, die Handelsverbindungen, ihre Usancen und ihr
Recht haben aus ganz entfernten Ländern einen immer mehr sich
vereinheitlichenden Organismus gebildet. .... Der Gegensatz, der in dieser
Hinsicht zwischen den Einheimischen und den Fremden bestand, ist nur deshalb
fortgefallen, weil die einst von ihm getragene Geldform des Verkehrs die
Gesamtheit des Wirtschaftskreises ergriffen hat (Simmel 227).
Die Ausführungen zur Rolle
des Fremden innerhalb des Geldgeschäfts dient Simmel als Metapher für
das Sprichwort, dass man "mit zwei Menschen niemals Geldgeschäfte"
machen sollte, nämlich "mit dem Freund und mit dem Feind" (Simmel 227).
Weil das Geld für solch mannigfaltige Zwecke eingesetzt werden kann,
könnte es sogar unter Freunden missbräuchlich eingesetzt werden. Simmel
schreibt:
Der indizierte Partner für
das Geldgeschäft - in dem, wie man mit Recht gesagt hat, die Gemütlichkeit
aufhört - ist die uns innerlich völlig indifferente, weder für noch gegen
uns engagierte Persönlichkeit (Simmel 228).
Abgesehen davon, dass wir
den Funktionswert des Geldes, der als Mittel zur Zweckerreichung in eine
Handlung eingeht, nutzen, "färbt" das Geld umgekehrt auf unser Handeln
ab. Das Geld strukturiert die Möglichkeiten des Handelns und somit die
Möglichkeiten des gesellschaftlichen Wandels. In seinen Ausführungen zum
Zweckhandeln der Menschen unter den Bedingungen der Geldwirtschaft
entwickelt Simmel Thesen über den sozialen Wandel. Sozialer Wandel, als
Evolution der Kultur und Gesellschaft verstanden, lässt sich an der
wirtschaftsgeschichten Entwicklung nachvollziehen, da die Wirtschaft,
und das sie tragende Rechtssystem, nicht von der kulturellen Basis, von
den Subjekten der Gesellschaft, unabhängig ist (Reinhold, 223). Im
folgenden Kapitel sollen Wirkungen des Geldes auf das innere der
Menschen, und somit auf ihren Wertbildungsprozess und auf ihr Handeln
unter einigen wenigen Stichworten zusammengefasst werden, um die
Bedeutung des Geldes für die kulturelle Entwicklung zu verdeutlichen.
Inhalt
5. Wirkungen des Geldes auf das
individuelle und kollektive Handeln: Rationalisierung und
Individualisierung
Der Funktionswert des Geldes und die
Funktionsweise der Geldwirtschaft hat gemäss Simmel weitreichende kulturelle
Folgen. Diese Folgen bestehen vorallem in der Rationalisierung und
Individualisierung menschlichen Handelns.
5.1 Merkmale
geldvermittelter Rationalisierung
Simmel meint, dass die in der
Moderne ein hohes Mass erreichende Rationalisierung durch das Geld
vorangetrieben wird. Merkmale geldvermittelter Rationalisierung sind für ihn der
Rückgang emotional geleiteter Handlungen, Intellektualität und die Ausbildung
der Langsicht, sowie die Ausbildung modernen Denkens.
5.1.1 Rückgang emotional
geleiteter Handlungen
Unter dem Stichwort des
Rückganges emotional geleiteter Handlungen
wird zusammengefasst, dass der Mensch lernt die Welt zu objektivieren und die
Erfüllung eines Wunsches aufzuschieben (Pohlmann 78). Diese Fähigkeit bildet die
Grundlage für das Zweckhandeln. Simmel bezieht sich in seiner Argumentation auf
die Entwicklung des Tausches, die sich seiner Auffassung nach über andere Formen
des Besitzwechsels, wie der Raub oder das Geschenk, herausgebildet hat (Pohlmann
77). Eine wichtige Unterscheidung der Formen des Besitzwechsels besteht in der
Differenzierung, ob es sich um eine einseitige oder eine zweiseitige Form des
Besitzwechsels handelt. Beim Raub handelt es sich um eine einseitige Form, die
aufgrund der Unfähigkeit eines auf ein bestimmtes Objekt gerichteten affektiven
Impuls zu hemmen. Das Schenken, die andere Form des einseitigen Besitzwechsels,
ist ebenfalls eine von Emotionen geleitete Handlung. (Pohlmann 77-78) "Gefühle
auswählender Exklusivität, sozusagen sublimiert und ins Freundliche gekehrt,
sind seine Basis" (Pohlmann 77-78). Im Gegensatz zum emotionsgeladenen Handeln,
müssen Akteure im Tausch "die Fähigkeit, den auf den Besitz einer Sache
gerichteten Wunsch aufzuschieben und die Fähigkeit zur
Objektivation des Wunsches an und mittels des Gegenstandes, den man für
den begehrten wegzugeben bereit ist" ausprägen (Pohlmann 78). In einer
Gegenüberstellung von Naturalwirtschaft und Geldwirtschaft deutet Pohlmann die
Wirkungen des Geldes auf die Art der Handlungen wie folgt:
Gegenüber dem Naturaltausch
wird im geldvermittelten Tausch die Objektivation des Handelns um eine Stufe
weiterentwickelt: Während der Naturaltausch ein lediglich "privater"
Vergesellschaftungsakt ist - er erschöpft sich in der Aktion und Gegenaktion
der Kontrahenten - beinhaltet der geldvermittelte Tausch eine ganz neue
soziale Dimension. Er "entprivatisiert" den Vergesellschaftungsvorgang; denn
das Geld verweist den Geldnehmer an die soziale Gesamtheit, auf weitere
Vergesellschaftungsakte mit anonymen Produzenten. Der geldvermittelte Tausch
macht die Befriedigung des eigenen Wunsches zu einer dreigliedrigen Aktion,
erlegt damit dem "Aneignungsimpuls" eine zusätzliche Phase des Aufschubs auf
und fügt der Antizipationsleistung des Handelns einen neuen Akt hinzu
(Pohlmann 78-79).
Ausserdem wächst der
Aktionsradius des Handelns im geldvermittelten Tausch und somit erhöht
sich die Wahrscheinlichkeit sozialer Beziehungen in "fremden Kreisen"
(Pohlmann 79). Gemäss Pohlmann wird beim Handeln in Fremden Kreisen eine
Distanzschranke zwischen dem Fremden und den Einheimischen durch den
geldvermittelten Tausch aufrechterhalten. Die anonyme Beschaffenheit des
Tauschverhältnisses in der Geldwirtschaft hat zur Folge, dass fremde
Eigenschaften weniger stark assimiliert werden. Im Gegenzug erlaubt
diese "Distanzschranke" zum Fremden zugleich "eine tendenziell objektive
Sicht der Gruppengeschehnisse im 'fremden Kreis'" (Pohlmann 79). Der
Fremde, der wie oben erwähnt meist Händler in fremden Kreisen war, hatte
innerhalb traditionaler Gruppen eine objektivere Sichtweise und eine
stärker ausgeprägte Individualität als die Einheimischen. Da er die
vielfältigsten sozialen Kontakte unterhielt, diese aber durch das
distanziert-objektive Verhältnis des geldvermittelten Tausches
charakterisiert waren, hatte "er die Chance, sein Selbst aus der
Perspektive vieler Einzelner zu relativieren und ihm Elemente des
Vielfältigen zu assimilieren" (Pohlmann 79). Je stärker sich
verschiedene soziale Kreise durchmischen, desto Objektivierter wird also
das Weltbild dieser Kreise.
Die Ausbildung der Fähigkeit der
"Langsicht" ist mit diesem Objektivierungsprozess eng verknüpft.
Inhalt
5.1.2 Intellektualität
und die Ausbildung der Langsicht
In der Entwicklung seiner
Argumentation zum Zweckhandeln der Menschen, impliziert Simmel, dass die
Subjekte zur Erreichung ihrer Ziele zur Ausbildung der Fähigkeit der "Langsicht"
gezwungen werden. Dies kann an die vorangegangene Beschreibung des Zweckhandelns
erläutert werden. Das Zweckhandeln besteht aus einem subjektiven und einem
objektiven Moment: Die Zwecksetzung ist stark subjektiv geprägt, während die
Handlung selbst an objektive Gegebenheiten, an die Mittel zur Zweckerreichung,
gebunden ist. Das Verständnis der kausalen Zusammenhänge, von Ursache und
Wirkung, ist dabei entscheidend für die erfolgreiche Zweckerreichung (Pohlmann
80). Dieses Verhältnis spiegelt sich in der Konzeption einer Handlungskette, die
gemäss Simmel einerseits teleologisch, durch die Antizipation des
Handlungszwecks, bestimmt ist, andererseits durch das objektiv Mögliche, durch
die strukturellen Bedingungen der kausalen Zusammenhänge, in Grenzen gehalten
wird.
Die Überlegungen Simmels bezüglich
der Länge der Handlungsketten ist in diesem Zusammenhang wichtig. Er
argumentiert, dass das Mass an objektivem Wissen oder die Kenntnis kausaler
Beziehungen um so grösser ist, desto vielgliedriger eine teleologische Kette
ist. Lange Handlungsketten setzten aber nach Pohlmann "das Aufschieben-Können
der Gefühle subjektiver Befriedigung ebenso voraus wie sie es erzwingen"
(Pohlmann 80). Er bringt diesen Sachverhalt folgendermassen auf den Punkt:
Die Vervielfältigung der
Mittel in den Handlungsreihen geht also mit der Entwicklung der
Intellektualität der Handelnden und der Reduktion ihrer Emotionalität
einher. Gesellschaften mit kurzen Ketten wirtschaftlicher Abhängigkeit und
einem gering entwickelten Niveau der Naturbeherrschung erzwingen weder die
Fähigkeit zur "Langsicht" noch entwickeln sie eine kontinuierliche Kontrolle
eigener Affekte (Pohlmann 80).
In der ausgebildeten
Geldwirtschaft, v.a. beim Bestehen einer kapitalistischen
Produktionsstruktur, werden die Subjekte zu Gliedern äusserst langer
wirschaftlicher Abhängigkeitsketten (Pohlmann 80). Während sie in
Gesellschaften mit geringer Arbeitsteilung von einigen wenigen
qualitativ nicht auswechselbaren Personen abhängig sind, bewirkt die in
der Geldwirtschaft immer stärker ausgeprägte funktionale
Differenzierung, dass seine Subjekte für die Befriedigung ihrer
Bedürfnisse auf einer grösseren Zahl anonymer wirtschaftlicher
Funktionsträgern angewiesen sind. Bei einer solch stark ausgeprägten
Interdependenz der Handelnden, erzwingt der subjektive Moment der
Eigeninteresse die Fähigkeit kalkulatorischer Langsicht (Pohlmann 80).
Eine solche kalkulatorische
Langsicht kann erst ausgebildet werden, wenn die qualitativen Eigenschaften der
Dinge einem durch Quantitäten ausgedrückten Bezugssystem untergeordnet werden.
Erst diese Unterordnung der qualitativen Dimensionen der Lebenswelt unter einem
in Quantitäten gemessenen Bezugsrahmen ermöglicht die vorausschauende,
zielgerichtete Form modernen Denkens.
Inhalt
5.1.3 Die Ausbildung
modernen Denkens
Simmel postuliert eine direkt
kognitive Auswirkung der Geldwirtschaft auf seine Subjekte:
Die Ausbildung des modernen
Denkens in abstrakt-quantitativen Relationen wird nach dieser Meinung durch
das Geld begünstigt (Pohlmann 81). In einer Charakterisierung des Geldes wird
dieser Gedanke verdeutlicht:
[Wo] immer wir qualitative
Tatsächlichkeiten auf quantitative Verhältnisse zurückgliedern, bleiben die
Elemente - physischer, personaler, psychischer Art -, deren Mehr oder
Weniger den besonderen Erfolg entscheidet, an sich selbst doch in
irgendeinem Masse qualitativ charakterisiert ... Nur der Metaphysik mag die
Konstruktion absolut eigenschaftsloser Wesenheiten gelingen, die, nach rein
arithmetischen Verhältnissen zusammengeordnet und bewegt, das Spiel der Welt
erzeugen. Im Gebiet der Erscheinungen aber erreicht nur das Geld diese
Freiheit von allem Wie, diese alleinige Bestimmtheit nach dem Wieviel
(Simmel 28, zit. in Pohlmann 81).
Im Tauschakt der
Geldwirtschaft wird von der qualitativen Beschaffenheit der Objekte
abstrahiert, verschiedene Objekte werden durch einen Preis, den in Geld
ausgedrückten Tauschwert, in reinen Quantitäten gemessen und so in
Relationen ihrer Werte miteinander verglichen. Simmel meint der
Tauschwert sei "übersubjektiv, überindividuell, ohne doch eine sachliche
Qualität und Wirklichkeit an den Dingen selbst zu werden..." (Simmel 28,
zit inn Pohlmann, 81). Pohlmann erläutert den Sachverhalt
folgendermassen:
Im Geld hat der Tauschwert -
die von Qualität "abgelöste", also "reine" Quantität relationaler Art - eine
gesonderte, handgreiflich-gegenständliche Gestalt gewonnen. In vielen
Wendungen hebt Simmel diesen "Grundzug" des Geldes hervor: Geld als der "zur
Selbständigkeit gelangte Ausdruck [des] Verhältnisses ..., das die Dinge als
tauschbare eingehen" (Simmel 87), als das zur "Substanz erstarrte Geldten"
(Simmel 88), als die "Greifbarkeit des Abstraktesten, das Einzelgebilde, das
am meisten seinen Sinn in der Übereinzelheit hat" (Simmel 99), als die
"Projizierung eines blossen Verhältnisses auf ein Sondergebilde" (Simmel
99). So ist im Geld praktisch verwirklicht, was sonst nur im metaphysischen
Denken möglich ist - unter gänzlicher Abstraktion von allem "Was" alleinige
Bestimmtheit am "Wieviel" zu erhalten; in dieser Bestimmtheit bezieht es die
Waren präzis aufeinander und misst sie (Pohlmann 81).
Um die strukturelle
Bedeutung des Geldes für die Entwicklung modernen Denkens aufzuzeigen,
werden Grundmerkmale modernen Denkens mit denen traditionaler
Ordnungsprinzipien verglichen. Simmel charakterisiert das traditionale
Weltbild als "statisch, substanzialistisch und emanatisch (Pohlmann 81).
Die Gründe für die Entstehung der Welt, für das So-Sein der Dinge und
für die "Einheit der Phänomene" liegen im Verständnis traditionaler
Gesellschaften nicht in der Immanenz der erfahrbaren Wirklichkeit,
sondern in "ausserweltlichen Mächten" (Pohlmann 81). Deshalb ist die
Orientierung an der Substanz der Objekte, ihre Form und qualitative
Beschaffenheit, wie sie den Menschen gegenüberstehen, eine wichtige
Kategorie traditionalen, in absoluten Grössen operierenden Denkens
(Pohlmann 82). Im Gegensatz dazu werden im modernen Denken die Phänomene
nicht mehr als von vornherein gegeben verstanden, sondern sie werden als
in fortwährender Entwicklung begriffen (Pohlmann 82). Simmel beschreibt
diesen Sachverhalt folgendermassen:
Nachdem fast alle
Kulturepochen einzelne Ansätze dazu gesehen haben, kann man es als eine
Grundrichtung der modernen Wissenschaft bezeichnen, dass sie die
Erscheinungen nicht mehr durch und als besondere Substanzen, sondern als
Bewegungen versteht, deren Träger gleichsam immer weiter und weiter ins
Eigenschaftslose abrücken; dass sie die den Dingen anhängenden Qualitäten
als quantitative, also relative Bestimmungen auszudrücken sucht; dass sie
statt der absoluten Stabilität organischer, psychischer, ethischer, sozialer
Formationen eine rastlose Entwicklung lehrt, in der jedes Element eine
begrenzte, nur durch das Verhältnis zu seinem Vorher und Nachher
festzulegende Stelle einnimmt; dass sie auf das an sich seiende Wesen der
Dinge verzichtet und sich mit der Feststellung der Beziehungen begnügt, die
sich zwischen den Dingen und unserem Geiste, von dem Standpunkte dieses aus
gesehen, ergeben. Dass die scheinbare Ruhe der Erde nicht nur eine
komplizierte Bewegung ist, sondern dass ihre ganze Stellung im Weltall nur
durch ein Wechselverhältnis zu anderen Materienmassen besteht - das ist ein
sehr einfacher, aber sehr eingreifender Fall des Überganges von der
Festigkeit und Absolutheit der Weltinhalte zu ihrer Auflösung in Bewegungen
und Relationen (Simmel 63-64)
Dieser Bestimmung nach
deutet Simmel einen Grundzug modernen Denkens, das darin besteht, die
Welt und ihre Inhalte als durch Wechselwirkungen verschiedenster
Elemente in einer dynamischen Entwicklung zu verstehen. Dabei werden die
beobachteten Wechselwirkungen soweit wie möglich auf quantitative
Grössen reduziert. Somit ist modernes Denken vorallem charakterisiert
durch "Rechenhaftigkeit" und die Vorstellung der "Beherrschung durch
Berechnung" (Pohlmann 82). Simmel sieht diese Eigenschaften als durch
das Geld mitbedingt an:
Die Geldwirtschaft bewirkt
von sich aus die Notwendigkeit fortwährender mathematischer Operationen im
täglichen Verkehr. Das Leben vieler Menschen wird von solchem Bestimmen,
Abwägen, Rechnen, Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt
... Die Exaktheit, Schärfe, Genauigkeit in den ökonomischen Beziehungen des
Lebens, die natürlich auf seine anderweitigen Inhalte abfärbt, hält mit der
Ausbreitung des Geldwesens Schritt ... (Simmel 499, zit in Pohlmann 82).
Gemäss diesen Ausführungen
trägt das Geld massgeblich zur Rationalisierung des Handelns, zu
zweckrationalem Handeln bei. Parallel zu diesem Rationalisierungsprozess
findet aber auch eine zunehmende Individualisierung statt.
Rationalisierung und Individualisierung sind zwei Seiten der
Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft, die Hand in Hand gehen. Im
folgenden soll nun näher auf die Individualisierung eingegangen werden.
Inhalt
5.2 Merkmale
geldvermittelter Individualisierung
Merkmale geldvermittelter
Individualisierung sind für Simmel "Soziale Differenzierung",
"Versachlichung", "Formale Rationalität und Dominanz des Intellekts". Im
folgenden gilt es diesen Aspekten nachzugehen.
5.2.1 Soziale
Differenzierung, Vergesellschaftung und Versachlichung
Simmels Argumentation beruht im
Wesentlichen auf die Charakterisierung geldvermittelter
Abhängigkeitsverhältnisse oder Machtbeziehungen. Er zeigt auf, dass es ein
grosser Unterschied ist, "ob der Anspruch des Mächtigen sich unmittelbar auf die
Person des Untergeordneten, auf
bestimmte Produkte seiner Arbeit oder auf das Produkt von Arbeit
überhaupt bezieht" (Pohlmann,82). Wenn sich der Anspruch einer Leistung
auf die ganze Person des Untergeordneten bezieht, ist seine Selbstbestimmung im
Prinzip ausgeschlossen, da das Gesamtpotential seiner Fähigkeiten im
Machtverhältnis eingebunden ist, so zum Beispiel in der Sklaverei (Pohlmann
82-83). Bezieht sich der Anspruch des Mächtigen auf bestimmte Produkte seiner
Arbeit, ist dem Untergeordneten zwar die qualitative Seite seiner Arbeit
festgeschrieben, das Mass an quantitativer Abgaben ist jedoch begrenzt. Somit
besitzt der Untergeordnete in einem solchen Machtverhältnis immerhin ein
gewisses Mass an Selbstbestimmung (Pohlmann 83). In einem Machtverhältnis
schliesslich, in dem der Anspruch des Mächtigen nur auf das Produkt von Arbeit
des Untergeordneten besteht, ist die Abhängigkeit am wenigsten von persönlich,
qualitativ bestimmten Aspekten geprägt. Diese an die Geldabgabe geknüpfte
Regelung ist die objektivierteste Form der Abhängigkeit, die das höchste Mass an
Selbstbestimmung des Untergeordneten erlaubt (Pohlmann 83).
Bei dieser dritten Unterscheidung
wird deutlich, dass Simmel in geldvermittelten sozialen Verhältnissen eine
Entpersonalisierung der Abhängigkeiten begründet sieht, die dem Individuum
zunehmend selbstbestimmte Handlungschancen erlaubt. So haben gegenseitige
Abhängigkeiten in der modernen Geldwirtschaft quantitativ stark zugenommen, die
Abhängigkeiten von einigen wenigen qualitativ bestimmten Personen haben dem
gegenüber aber stark abgenommen (Pohlmann 83).
Diese Entwicklung macht Simmel in
erster Linie an der bis ins letzte funktional ausdifferenzierten Arbeitsteilung
dingfest (Pohlmann 83). Soziale Differenzierung ist somit massgeblich an die
moderne Lohnarbeit gebunden, die vom Institut der Rechtsgleichheit getragen
wird. Erst die durch das Recht begründete Wahlmöglichkeit der individuellen
Arbeitsverhältnisse schafft die Möglichkeit der Objektivierung und
Versachlichung des Machtverhältnisses und der Arbeitsleistung. Die Tatsache,
dass der Einzelne in der arbeitsteiligen Geldwirtschaft "zum auswechselbaren
Träger sachlicher, bis ins Detail fixierter Handlungsmuster" wird (Pohlmann 87),
begründet die Bedeutung des Geldes als "Grundbedingung eines Differenzierungs-
und Objektivierungsprozesses, der die Gesellschaft und den einzelnen
gleichermassen umformt" (Pohlmann 87).
Die Vergesellschaftung, ein
zentraler Begriff der Soziologie Simmels, wird ebenfalls als durch das Geld
mitbedingt verstanden. Unter "Vergesellschaftung" versteht Simmel der
eigentliche Gegenstand seiner Soziologie, welche die "Wechselwirkungen der die
Gesellschaft bildenden Elemente" untersucht. "Diese Wechselwirkungen bewirken,
dass aus den individuellen Elementen Gesellschaft wird" (Fuchs-Heinritz et al.
710). Pohlmann bringt die Bedeutung des Geldes in diesem Zusammenhang
folgendermassen auf den Punkt:
Natürlich sind moderne
Abhängigkeitsverhältnisse nur unter der Voraussetzung des Geldes möglich:
Das Geld ist nicht nur einer der Faktoren, der die moderne soziale
Differenzierung hervorbringt, sondern zugleich das Mittel, das den
arbeitsteiligen gesamtgesellschaftlichen Kosmos zusammenhält. Das Geld ist
dasjenige Mittel, das den Einzelnen nicht an bestimmte Einzelne, sondern auf
die soziale Gesamtheit verweist, ist der Schlüssel für
Vergesellschaftungsakte mit anonymen Einzelnen. Im Geld, das erst die vielen
Einzelnen zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenfasst, ist seinem
Besitzer sozusagen jeder Anbieter einer wirtschaftlichen Leistung ideell
gegenwärtig. Die Möglichkeit der Vergesellschaftung mit jedem Einzelnen hebt
die Abhängigkeit von bestimmten Einzelnen auf (Pohlmann 84).
Indem die Funktionen des
Geldes die Überwindung von sachlichen, zeitlichen und räumlichen
Distanzen ermöglichen, wird die gesamte Welt zu einem Wirtschaftskreis
zusammengeschlossen. Werden die Ausführungen über die Entstehung eines
Wertes vergegenwärtigt, zeigt sich ein Doppelprozess von
Distanzverringerung und -vergrösserung: Einerseits findet dieser Prozess
in den Sozialbeziehungen, durch die Abhängigkeitsverhältnisse
verdeutlicht, statt - bei zunehmender Rationalisierung werden die
individuelle Abhängigkeitsverhältnisse gelockert. Andererseits
wiederholt sich dieser Prozess auch im Verhältnis der Subjekte zu den
Objekten in der Geldwirtschaft. Die empfundene Distanz zwischen Begehren
und Genuss, zur Erlangung der Objekte verringert sich, da tendenziell
alle Objekte für Geld zu haben sind. Weil alles für Geld zu haben ist,
richtet sich das Zweckhandeln in der Moderne massgeblich auf die
Vermehrung des Geldbesitzes. Die Bedeutung der qualitativen
Eigenschaften der Objekte rückt in den Hintergrund, während uns die
durch das Geld vermittelte quantitative Bestimmung der Dinge bewusst
wird (Pohlmann 84-85). Das Mittel zur Erreichung verschiedenster
Endzwecke oder Ziele, das Geld, wird selbst zum Endweck.
Simmel verknüpft sein Schema der
Differenzierung und Rationalisierung mit dem Individualitätsbegriff (Pohlmann
88).
Inhalt
5.2.2 Individualität
Im gesellschaftlichen
Differenzierungsbegriff Simmels ist die moderne Differenzierung zwischen
Öffentlichem und Privatem mitgedacht. Im Gegensatz zu vormodernen
Abhängigkeitsverhältnissen, in denen die Person als unteilbare Einheit gefordert
war, differenzieren sich solche Abhängigkeitsverhältnisse der Moderne in einer
öffentlichen und einer privaten Späre der Persönlichkeit. Dieser Prozess ist die
Voraussetzung des modernen Individualitätsbegriffs. Erst mit einem bestimmten
Mass an Selbstbestimmung wächst "die Chance der Wahl von Kreisen, die nicht mehr
auf naturwüchsigen Bindungen, sondern auf ähnlichen Interessen und Fähigkeiten
der Mitglieder beruhen ... Moderne soziale Differenzierung hebt nicht die
Bindung an andere, aber die alternativlose Bindung auf." (Pohlmann 88).
Gemäss Simmel steigt die
Individualisierungstendenz in der Gesellschaft in dem Masse, wie sich eine
Person in möglichst verschiedenartige Sozialkreise bewegt (Pohlmann 89). Je
stärker sich solche Kreise durchmischen, desto unterschiedlichere,
individuellere Anlagen bilden sich beim einzelnen aus. Es kann nun aber ein
innerer Konflikt entstehen, weil das Individuum viele Anlagen ausbildet, die er
als Glied in der arbeitsteiligen Gesellschaft nicht einbringen kann (Pohlmann
89). Simmel meint, dass dieser Konflikt tendenziell überwindbar sei, weil das
Individuum lernt zwischen dem öffentlichen und dem privaten Teil seiner Person
zu unterscheiden und sich so eine objektivierende Distanz zur öffentlichen Rolle
des Individuums herausbildet. Zieht man einen Vergleich zum Marx'schen Denken,
wird deutlich, dass Simmel das was bei Marx die höchste Form der Entfremdung
ist, als einzige Möglichkeit ihrer teilweise Überwindung deutet (Pohlmann 90).
Die Spezifik modernen rationalen
Denkens und Handelns in der Geldwirtschaft, die das "Ideal zahlenmässiger
Berechenbarkeit aller Lebensbereiche" verfolgt, ist Pohlmann zufolge dadurch
mitbedingt, "dass Grundmerkmale dieses Denkens an der Formstruktur des Geldes
vorgebildet sind ... Das Ideal rechenhafter Beherrschung aller Lebensbereiche
wird erst mit ausgebildeter Geldwirtschaft möglich; und es wird erst mit
ausgebildeteter Geldwirtschaft nötig ... Die ungeheure ausdifferenzierung aller
Lebensbereiche durch die Geldwirtschaft, die Vervielfältigung alles Konkreten
erzwingt eine rechenhaft reduktionistische Systematisierung des Weltbildes"
(Pohlmann 90).
Inhalt
5.2.3 Formale
Rationalität und Dominanz des Intellekts
Die "rechenhaft-reduktionistische
Systematisierung des Weltbildes" stellt eine Komplexitätsreduktion dar, die den
Menschen in der Geldwirtschaft erst handlungsfähig macht (Pohlmann 90). Hier
zeigt sich wiederum die Bedeutung der Wechselwirkung in der Soziologie Simmels:
Die Ursache für die Differenzierung - das Geld - enthält in seinen Eigenschaften
das Mittel, mit dem diese rechenhafte Beherrschung erst möglich wird (Pohlmann
90). Die Geldwirtschaft bewirkt gemäss Simmel
... von sich aus die
Notwendigkeit fortwährender mathematischer Operationen im täglichen Verkehr.
Das Leben vieler Menschen wird von solchem Bestimmen, Abwägen, Rechnen,
Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt ... Die Exaktheit,
Schärfe, Genauigkeit in den ökonomischen Beziehungen des Lebens, die
natürlich auf seine anderweitigen Inhalte abfärbt, hält mit der Ausbreitung
des Geldwesens Schritt ... (Simmel 499, zit. in Pohlmann 91)
Im Weiteren geht eine
Umstrukturierung des Zeitbewusstseins mit der rechenhaften Durchdringung
aller Lebensbereiche einher. So fährt Simmel fort:
Die Bestimmung der abstrakten
Zeit durch die Uhren wie die des abstrakten Wertes durch das Geld geben ein
Schema feinster und sicherster Einteilungen und Messungen, das, die Inhalte
des Lebens in sich aufnehmend, diesen wenigstens für die
praktisch-äusserliche Behandlung eine sonst unerreichbare Durchsichtigkeit
und Berechenbarkeit verleiht (Simmel 500, zit. in Pohlmann 91).
Damit diese rechenhafte
Beherrschung alle gesellschaftliche Lebensbereiche durchdringen kann,
muss das Recht so strukturiert werden, dass es möglichst alle denkbaren
Fälle in einem System darstellt, und somit berechenbar wird. Ein solches
Recht ist aber nur auf dem Prinzip der Rechtsgleichheit denkbar, ein
Prinzip das "von qualitativen Besonderheiten der Individuen - etwa
schicht- und klassenbedingten Unterschieden - abstrahiert, das die
Individuen also als gleich auffasst. Das Prinzip der
Rechtsgleichheit wurde mit der politischen Befreiung des Bürgertums von
adligen Bevormundungen inthronisiert (Pohlmann 91).
Ein mit dieser Rechenhaftigkeit eng
in Verbindung stehendes Phänomen ist das bereits erwähnte Zurücktreten
affektuellen gegenüber intellektuellen Handelns. In der entwickelten
Geldwirtschaft führt die Mittelstellung des Geldes zu längeren wirtschaftlichen
Handlungsketten und fördert so die Steigerung des "intellektuellen Standards"
(Pohlmann 91). Gleichzeitig sind in diesen Handlungsketten der kapitalistischen
Geldwirtschaft aber die qualitativ heterogensten Handlungsketten miteinander
verbunden. "In der kapitalistischen Geldwirtschaft ist das Geldresultat einer
Handlungskette nicht nur Mittel für eine gänzlich andere - die auf einen
qualitativ völlig anderen Zweck zielt -, sondern das Geld selbst ist der
Endzweck qualitativ heterogenster Handlungsketten, die es miteinander verknüpft.
Die tatsächliche Verkehrung des Mittels zum Zweck führt auch psychologisch zur
Setzung des Mittels zum Selbstzweck: Geld als absolutes Mittel, als Mittel, mit
dem das qualitativ verschiedenste erlangbar ist" steigert seine Wertschätzung
(Pohlmann 91) Das Geld gilt als Wert schlechthin. Pohlmann verdeutlicht dies
sehr kompakt:
Mit der wirklichen und
psychologischen Verkehrung des Geldes zum Selbstzweck entstehen für die
Handelnden Handlungsketten ohne Anfang und Ende - das qualitativ bestimmte
Handeln wird nur zu einem Mittel für das Geld, das Geld wieder zur
Voraussetzung eines andersartigen Handelns, dessen Endzweck wiederum nichts
anderes als Geld ist usw. Das zum Selbstzweck avancierte Geld stellt also
das qualitativ Verschiedenste in einen "unendlichen Zusammenhang".
Gleichzeitig misst das Geld die unterschiedlichen Qualitäten, die es
verbindet, mit völliger Exaktheit. Der Dingwelt und den Handlungsprozessen
wird ein präzis differenziertes Netz abstrakt-quantitativer Relationalität
übergeworfen (Pohlmann 92).
Das Zurücktreten
affektuellen Handelns ist somit nicht nur Ergebnis der exakten
quantitativen Bestimmtheit aller Objekte, sondern auch Folge der
"qualitativen Ziellosigkeit der Handlungsketten" (Pohlmann 92).
Nachdem die spannungsvolle
Dichotomie zwischen Individualität und Rationalität nachgezeichnet worden ist,
ergibt sich aus Simmels Kulturbegriff heraus eine zugespitzte, kulturkritische
Bemerkung:
Die vorstellungsmässigen
Elemente des Handelns wachsen objektiv und subjektiv zu berechenbaren,
rationalen Verbindungen zusammen und schalten dadurch die gefühlsmässigen
Betonungen und Entscheidungen mehr und mehr aus, die sich nur an die Zäsuren
des Lebensverlaufes, an die Endzwecke in ihm, anschliessen (Simmel 482, zit.
in Pohlmann.92).
Die in diesem Zusammenhang
stehende Kulturkritik Simmels soll im nächsten Abschnitt geklärt werden.
Inhalt
6. Entfremdung und irrationale
Verkehrung des Verhältnisses von Mittel und Zweck
Pohlmann deutet Simmels
Kulturbegriff folgendermassen:
Unter "Kultur" versteht
Simmel - auf der untersten Ebene des Begriffs - eine Wechselwirkung zwischen
der menschlichen Subjektivität und ihren vielfältigen Objektivationen in
Kunst, Wissenschaft, Technik etc. Indem wir z.B. "die Dinge kultivieren,
kultivieren wir uns selbst: Es ist der gleiche, von uns ausgehende und in
uns zurückkehrende Werterhöhungsprozess, die die Natur ausser uns oder die
Natur in uns ergreift" (Simmel 503, zit. in Pohlmann 93).
Mit der Vergegenständlichung
sind die Produkte der menschlichen Objektivationsfähigkeit angesprochen,
und damit die folgenreiche Tatsache, dass Menschen Bewusstseinsarbeit
anhäufen können. Simmel verdeutlicht die Tragweite dieser
Objektivierungsfähigkeit:
Mit der Vergegenständlichung
des Geistes ist die Form gewonnen, die ein Konservieren und Anhäufen der
Bewusstseinsarbeit gestattet; sie ist die bedeutsamste und folgenreichste
unter den historischen Kategorien der Menschheit. Denn sie macht zur
geschichtlichen Tatsache, was als biologische so zweifelhaft ist: die
Vererbung des Erworbenen. Wenn man es als den Vorzug des Menschen den Tieren
gegenüber bezeichnet hat, dass er Erbe und nicht bloss Nachkomme ist, so ist
die Vergegenständlichung des Geistes in Worten und Werken, Organisationen
und Traditionen der Träger dieser Unterscheidung (Simmel 510-511, zit. in
Pohlmann 93).
Simmels kulturkritische
Bemerkung betrifft in diesem Zusammenhang die Entwicklung des
Verhältnisses der Wechselwirkung zwischen den menschlichen
Objektivationen und ihrer Subjektivität. Simmel meint, dass in der
modernen, funktional differenzierten Gesellschaft die objektive Kultur,
also die menschliche Vergegenständlichungen, eine immer höher gewertete
Stellung gegenüber der subjektiven Kultur einnimmt. Somit entwickeln
diese beide Sphären ein immer stärker ausgeprägtes Eigenleben und werden
immer weniger assimilierbar. Die Ursachen für dieses ungleiche
Verhältnis liegt gemäss Simmel im Differenziertheitsgrad der modernen
Arbeitsteilung und im modernen Standard technischer Apparaturen
(Pohlmann 93). Die Arbeitsteilung bewirkt, dass das im System
differenzierter Arbeitsteilung hergestellte Produkt nicht mehr die
Vergegenständlichung der individuellen Handlungsfähigkeiten des
einzelnen Arbeiters darstellt, weil das fertige Objekt eine vielzahl
Produktionshandlungen anderer Individuen enthält. Das Objekt stellt
spezialisierte, vergegenständlichte Intellektualität dar. Pohlmann
interpretiert dies solchermassen:
Die Dominanz der im Produkt
vergegenständlichten und synthetisierten Intellektualität über den
intellektuellen Standard des einzelnen Produzenten ist für Simmel notwendige
Folge moderner Arbeitsteilung überhaupt, völlig unabhängig von der
kapitalistischen oder einer denkbaren sozialistischen Verfassung der
Produktionsverhältnisse. "... [Diese] Aufhäufung von Eigenschaften und
Vollkommenheiten an dem Objekt, das ihre Synthese bildet, geht ins
Unbegrenzte, während der Ausbau der Individualitäten für jeden Zeitabschnitt
an der Naturbestimmtheit derselben eine unverrückbare Schranke findet"
(Simmel 526, zit. in Pohlmann 93).
Simmel verdeutlicht sein
Argument durch eine Beschreibung des Herstellungsprozesses eines
Kunstwerkes. Pohlmann erläutert diesen Zusammenhang wie folgt:
Die Herstellung des
Kunstwerkes erfordert das undifferenzierte Arbeitsmittel - so hat sich z.B.
das Werkzeug des Bildhauers seit Jahrtausenden kaum geändert -, weil das
undifferenzierte Arbeitsmittel die Gestaltungsmöglichkeiten am wenigsten
begrenzt, subjektives Wollen in seiner qualitativen Vielfältigkeit am
ehesten zu vergegenständlichen gestattet. Differenzierte Systeme der
Arbeitsteilung synthetisieren im Produkt eine Vielzahl partialer, von der
Totalität individueller Fähigkeiten abgespaltene Handlungen. Je höher der
Differenziertheitsgrad der Arbeitsmittel, desto eingeschränkter und
objektivierter der Charakter dieser Partialhandlungen (Pohlmann 94).
Auch unbeachtet des
kapitalistischen Charakters der Produktionsverhältnisse kommt für Simmel
also eine Entfremdung zustande. Dies verdeutlicht, was Simmel mit seinem
im Vorwort erwähnten Vorhaben, "dem historischen Materialismus ein
Stockwerk unterzubauen", meint. Die kapitalistische Produktionsstruktur
impliziert für Simmel zwar eine Verschärfung des Entfremdungscharakters
der Geldwirtschaft, weil der einzelne Arbeiter nicht mehr "Produzent"
seines mitgestalteten Produkts ist. Das Produkt der eigenen Handlung
geht gegen eine Geldentlohnung in den Besitz des Produzenten, einer
Organisation, über. In diesem Zusammenhang deutet Simmel das Verhältnis
des Arbeiters gegenüber seiner Arbeitskraft:
[Der Arbeiter] ... trennt
sich also von ihr [seiner Arbeitskraft Anm. d.V.] in dem Augenblick an, wo
sie ihre Quelle verlässt. Dass sie nun Charakter, Bewertungsweise,
Entwicklungsschicksale mit allen Waren überhaupt teilt, das bedeutet eben,
dass sie dem Arbeiter selbst gegenüber etwas Objektives geworden ist, etwas,
das er nicht mehr nicht nur ist, sondern eigentlich auch nicht mehr hat.
Denn sobald seine potentielle Arbeitsmenge sich in wirkliches Arbeiten
umsetzt, gehört nicht mehr sie, sondern ihr Geldäquivalent ihm, während sie
selbst einem Anderen, oder genauer: einer objektiven Arbeitsorganisation
zugehört (Simmel 514-515, zit. in Pohlmann 94).
Somit scheint der Endzweck
unserer Handlungsketten in der Geldwirtschaft das Geld selbst zu sein,
wobei das Geld selbst ursprünglich als Mittel zum Endzweck diente. Dies
ist mit der "irrationalen Verkehrung von Mittel und Zweck" gemeint.
Besonders betreffend der modernen Technik führt gemäss Simmel die
Rationalisierung der Mittel der Naturbeherrschung zu dieser irrationalen
Umkehrung von Mittel und Zweck, und somit zur Irrationalisierung
menschlichen Handelns. Pohlmann verdeutlicht diesen Zusammenhang
folgendermassen:
Die Technik kann rationalem
Denken nur ein Mittel zum Zwecke der Befriedigung sich ändernder
menschlicher Bedürfnisse sein. Je mehr sich die technischen Mittel nun aber
ausbilden ... desto unmöglicher wird ihre Ausrichtung an sich ändernden
menschlichen Zwecken, desto mehr diktieren diese Mittel Richtung und
Struktur menschlichen Denkens und Handelns ..." (Pohlmann 95).
Simmel selbst fasst seine
Kulturkritik prägnant in folgenden Worten zusammen:
Aber die Fäden, an denen die
Technik die Kräfte und Stoffe der Natur in unser Leben hineinzieht, sind
ebensoviele Fesseln, die uns binden ... [Der] Satz, dass wir die Natur
beherrschen, indem wir ihr dienen, hat den ... Revers, dass wir ihr dienen,
indem wir sie beherrschen (Simmel 549, zit. in Pohlmann 95).
Inhalt
7.
Zusammenfassung und Ausblick
Simmels ursprüngliches Vorhaben, das
Geld als Ausdruck der Gültigkeit seiner Weltformel der Relativität darzustellen,
ist gescheitert. Er kann seine These nicht vollumfänglich aufrecht erhalten, da
er im Laufe seiner Abhandlung auf reale wirtschaftliche Phänomene stösst, welche
die alleinige Geltung des Geldes als Ausdruck der relativen Tauschwerte nicht
unterstützen. Im praktischen Handeln der Menschen besteht eine Orientierung an
absoluten Geldpreisen. Diese Orientierung an absoluten Werten ermöglicht eine
Komplexitätsreduktion der ausdifferenzierten Geldwirtschaft und gewährt dem
modernen Menschen somit eine gewisse Handlungssicherheit in einer sonst
unüberschaubaren Wirklichkeit.
Gemäss Simmels Konzeption der
Wechselwirkung beeinflusst das vom Menschen geschaffene Mittel zur
Zweckerreichung, das Geld, im Gegenzuge sein Handeln: Es führt zu einer
Rationalisierung und Individualisierung menschlichen Handelns.
In diesem Zusammenhang hat Simmel
jedoch eine kulturkritische Zukunftsvorstellung: Er ist der Meinung, dass die
Bedeutung der objektiven Kultur, der Vergegenständlichungen des Menschen, über
die der subjektiven Kultur hinauswächst. Dies hat zur Folge, dass sich die
Möglichkeiten subjektiver Expressionen immer stärker an die bereits bestehenden
Formen menschlicher Vergegenständlichungen auszurichten haben. Der Versuch des
Menschen sich von seiner Naturgebundenheit zu befreien scheitert daran, dass er
sich selbst mit seinen Objektivationen fesselt. Diese Tatsache deutet Simmel als
Entfremdung.
Wenn wir diesen Standpunkt Simmels
auf die heutige Zeit, fast hundert Jahre nach der Entstehung seiner Schrift,
beziehen, können stichhaltige Parallelen gezogen werden. Durch die moderne
Technik ist eine globale Gesellschaft entstanden, die einerseits die
vielfältigen Bedürfnisse des Menschen auf rationelle Art und Weise befriedigen
kann. Andererseits ist der Mensch in starkem Ausmass von der verlässlichen
Funktion dieser Techniken abhängig. Dies wird deutlich, wenn wir uns die
Auswirkungen allfälliger Störungen in der global organisierten Weltwirtschaft
ausmalen.
Die Kulturkritische Sicht Simmels
kann besonders deutlich an der modernen Gentechnik verdeutlicht werden. Es
schien bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms vor allem um eine Frage
des Profits zu handeln. Um Investitionen in diesem Feld anzuregen, wurde
vorallem die Nützlichkeit solcher Forschungserkenntnisse für die Behandlung von
bisher unheilbaren Krankheiten hervorgehoben. Hat man aber die Bedeutung des
Wetttkampfs mit der Zeit für die in diesem Feld tätigen Unternehmen beachtet,
bleibt ein übler Nachgeschmack. Das Ziel dieser Firmen schien eher die Erzielung
möglichst hoher Börsengewinne zu sein, als die tatsächliche Nutzung dieser
Technologien zur Verbesserung menschlichen Lebens. Wenn man die heutige
Situation unter die Lupe nimmt, zeigt sich, dass viele Krankheiten mittels
Gentechnik zwar vor Ausbruch der Symptome diagnostiziert werden können, eine
Mögliche erfolgreiche Therapie der Krankheit mittels Gentechnik oder anderen
Mitteln aber immer noch aussteht. Natürlich kann damit argumentiert werden, dass
die nutzenbringenden Erkenntnisse erst aufgrund hoher Investitionen in
Gentechnik-unternehmen zustande kommen. Das mag auch stimmen. Der springende
Punkt ist hier aber, dass mit diesem Beispiel verdeutlicht wird, dass das Geld
in den Köpfen der Menschen zum Mittelpunkt und zur hauptsächlichen Antriebskraft
ihres Handelns geworden ist. Die Seele des Menschen spielt eine immer geringere
Rolle. Die Wissenschaft und die darin enthaltene Möglichkeit des immer
berechenbareren Umgangs mit unserer Wirklichkeit wird zum Glaubensbekenntnis des
modernen Menschen. Das Bewusstsein darüber aber, das der Mensch von einer nicht
selbst geschaffenen natürlichen Umwelt abhängig ist, scheint ihm manchmal
abhanden gekommen zu sein.
Das Zeitbewusstsein spielt in diesem
Zusammenhang eine wichtige Rolle. Bei einem solch stark ausgeprägten
Konkurrenzkampf der Unternehmungen der heutigen Weltwirtschaft, hat der Mensch
immer weniger Zeit sich an Änderungen seiner Umwelt anzupassen. Eine Lösung
dieses Problems kann natürlich nicht pauschal gegeben werden. Ein aus Simmels
Analyse gewonnener Ansatz könnte aber darin bestehen, sich wieder stärker den
grundlegenden menschlichen Bedürfnissen bewusst zu werden, sowie dem Fortschritt
dementsprechende Grenzen einzuräumen.
Inhalt
Literaturverzeichnis
Flotow, Paschen von: Geld,
Wirtschaft und Gesellschaft: Georg Simmels Philosophie des Geldes.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995.
Fuchs-Heinritz et al: Lexikon zur
Soziologie. Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH, 1994.
Pohlmann, Friedrich:
Individualität, Geld und Rationalität: Georg Simmel zwischen Karl Marx
und Max Weber. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, 1987.
Reinhold, Gerd:
Wirtschaftssoziologie. München: Oldenbourg Verlag GmbH, 1988.
Simmel, Georg: Philosophie des
Geldes. Berlin: Duncker & Humblot, 1977.
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