7.
Bibliographie
1.
Einleitung
Ein
gemütliches Abendessen mit Freunden, mit der Familie oder einfach
interessanten Gesprächspartnern – das empfinden wir als
Geselligkeit. Allein zu unbeschwerten, vergnüglichen Stunden
setzt man sich in seiner Freizeit zusammen, um Gedanken
auszutauschen oder auch nur einen anstrengenden Arbeitstag
angenehm ausklingen zu lassen. Dass die Gesprächsthemen dabei
variieren und sich häufig auf einer eher oberflächlichen Ebene
bewegen, fällt kaum negativ auf. Im Gegenteil Vielen ist gerade
dieser zwanglose Charakter der Geselligkeit wichtig, die sie unter
anderem in Vereinen oder am Arbeitsplatz finden, da sie so soziale
Kontakte ausbilden und pflegen können.
Verschiedene
Theoretiker haben sich mit dem Phänomen der Geselligkeit
auseinandergesetzt und versucht, deren Wesen mit einer Definition
zu fassen. Schilling (1989, S. 12) meint: „Über Geselligkeit
spricht man nicht – Geselligkeit lebt man.“ Er führt aus,
dass es Lebensphänomene gebe, die man nur in der Phase des
Erlebens erklären könne. Eine Betrachtung, die abgehoben von der
realen Situation gemacht werde, könne nur ein „unbefriedigender
Versuch“ bleiben. Seiner Meinung nach ergeben sich
Definitionsprobleme zudem, da Geselligkeit von Personen, Raum,
Zeit und Situation abhängig sei. Geselligkeit sei das vertraute
und zwanglose Beisammensein von Menschen mit dem Ziel des
gegenseitigen Kennen- und Verstehenlernens durch Erlebnis- und
Gedankenaustausch. „Nicht Denken, sondern Fühlen, nicht der
Inhalt, sondern die Beziehungen bestimmen die Geselligkeit“
(ebd., S. 21). Im geselligen Umgang macht Schilling (ebd., S. 39)
darüber hinaus ein Moment der Unbeschwertheit aus: „In der
Geselligkeit kann der Mensch lachen, frei sein, sich erleben, sich
entgrenzen. (...) In der Geselligkeit findet der Kultur-Mensch
gewissermassen Enklaven der Leichtigkeit, Fröhlichkeit, des
Glücks, der Zufriedenheit, Gestimmtheit, Intensität“.
Zur
Geselligkeit hat sich auch der vielseitige Berliner Soziologe
Georg Simmel geäussert, und zwar unter anderem in seinem Werk „Grundfragen
der Soziologie“ (1917). Die Auseinandersetzung mit dem äusserst
reichhaltigen Text „Die Geselligkeit“ bildet denn auch das
Kernstück der vorliegenden Seminararbeit. Eine vertiefte Lektüre
soll wichtige Aspekte und essentielle Gedankengänge
herausgreifen, um diese dann in eigenen Worten wiederzugeben.
Allerdings wird diesem Hauptteil zusätzlich eine Biographie und
ein Überblick über die wissenschaftliche Tätigkeit Georg
Simmels vorangestellt, damit der Leser Einblick in den
Entstehungskontext erhält. Ein Kapitel widmet sich zudem der
Frage, inwiefern Simmel selbst gesellige Treffen in seinen Alltag
integriert hat. Daneben geht es aber ebenso darum, andere
Definitonsentwürfe – in erster Linie Friedrich Schleiermachers
„Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ (1799) -
einzubeziehen. Schliesslich sollen übereinstimmende Merkmale
ausgemacht und allfällige Differenzen diskutiert werden.
Inhalt
2.
Georg Simmel in seiner Zeit
2.1
Zur Biographie Georg Simmels
Als
jüngstes von sieben Kindern jüdischer Abstammung wurde der
Soziologe Georg Simmel am 1. März 1858 in Berlin geboren, wo er
bereits als Kind hautnah mit dem grossstädtischen Leben
konfrontiert wurde. Als Stadtmensch inmitten der Hektik der
Grossstadt ausgewachsen, widmete er einige seiner späteren
Schriften stadttypischen Themen wie beispielsweise „Geld“ oder
„Mode“.
Die
Essayistin Margarete Susman, eine Schülerin und spätere Freundin
der Familie, beschreibt den offensichtlichen Einfluss der „Urbanität“
auf Simmels wissenschaftliche Tätigkeit folgendermassen: „Vieles
in Simmels Problematik scheint sich ursprünglich an dem Anblick
gebildet zu haben, der sich alltäglich seinen Kinderaugen bot.
Sicher hängt vor allem die einzigartige Lebendigkeit, Bewegtheit
und Fülle, das Überwache seines Geistes mit diesem
grossstädtischen Ursprung zusammen.“ (1959, zitiert nach Jung
1990, S. 12).
Zwei
Jahre nach dem Tod seines Vaters, der als Gründer die
Schokoladenfabrik „Felix und Sarotti“ geleitet hatte, machte
Simmel im Jahre 1876 Abitur, um das Studium an der Berliner
Universität in den Fächern Geschichte, Ethnologie,
Völkerpsychologie, Philosophie und Kunstgeschichte in Angriff zu
nehmen. Im Jahre 1881 hatte er vor mit der Arbeit „Psychologisch-ethnologische
Studien über die Anfänge der Musik“ zu promovieren, diese
wurde allerdings abgelehnt. Seine gekrönte Preisschrift „Das
Wesen der Materie nach Kants Physischer Monadologie“ hingegen
wurde angenommen, so dass Simmel am 25. Februar 1881 „cum laude“
zum Doktor der Philosophie promovierte. Schwierigkeiten ergaben
sich später auch bei der Habilitation, zu der Simmel eine Arbeit
über Kants Lehre von Raum und Zeit einreichte. Diese wurde zwar
akzeptiert, doch bei der anschliessenden Antrittsvorlesung
verärgerte Simmel die Fakultät, worauf ihn diese durchfallen
lies. Daher schlug Simmel im Oktober 1884 drei Themen für die zu
wiederholende Probevorlesung vor, und war schliesslich
erfolgreich. Dennoch wurde er nicht zum Professor berufen, war er
doch seinen Berliner Kollegen sowohl als Person als auch durch die
von ihm behandelten Themen suspekt. „Hinzu kam ein
berufsüblicher Neid auf den überragenden Lehrerfolg Simmels“
(Jung 1990, S. 15). Als Privatdozent brillierte der vielseitige
Wissenschaftler in öffentlichen Vorlesungen sowie
Zeitungsartikeln und erfreute sich bei den Studenten grosser
Beliebtheit. „Aufregend einfallsreich, verdächtig brillant“
charakterisiert Saltzwedel (2000, S. 208) den vielseitigen
Wissenschaftler, der „von Haus aus finanziell unabhängig,
mondän, sensibel und eloquent, (...) rasch intellektuellen Ruhm“
erlangte – „vor allem, weil er sich leisten konnte, über das
zu schreiben, was ihn interessierte.“ Und das war ein äusserst
breites Themenspektrum, wie es das Kapitel 2.2 zum
wissenschaftlichen Werk Simmel aufzeigen wird.
1890
heiratet Georg Simmel Gertrud Kinel, eine Kunstmalerin, die
später unter dem Pseudonym Marie-Luise Enckendorff als
philosophische Schriftstellerin bekannt wurde. 1891 wurde der
gemeinsame Sohn Hans geboren. Simmel war zu der Zeit noch immer
als Privatdozent tätig und wurde erst im Frühjahr 1900 zum
Extraordinarius ernannt. „Mehr aber auch nicht. Zu tief sassen
die Vorurteile, zu exotisch war die Figur und zu fremd war dem
philosophisch-geisteswissenschaftlichen Mainstream dasjenige, was
Simmel lehrte und mit wachsender Popularität auch publizistisch
verbreitete.“ (Jung 1990, S. 16)
Die
uneheliche Tochter Angela, die Simmel mit seiner Studentin Gertrud
Kantorowicz‘ hatte, kam 1904 zur Welt. Simmel soll es jedoch
abgelehnt haben, das Mädchen zu sehen - aus Liebe zu seiner Frau.
„Doch hat dies unausgesprochene und immer geahnte Geheimnis
langsam die schöne Ehe getrübt“ (Margarete Susman 1957, S.
282).
1909
beteiligte sich Georg Simmel, der eben wichtige Schriften wie
beispielsweise„Soziologie. Untersuchungen über die Formen der
Vergesellschaftung“ (1908) veröffentlicht hatte, zusammen mit
Ferdinand Tönies, Werner Sombart und Max Weber an der Gründung
der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Anlässlich des
Begrüssungsabends zur ersten Tagung der neugegründeten
Gesellschaft hielt er 1910einen Vortrag über die „Soziologie
der Geselligkeit“. 1911 wurde er mit dem Ehrendoktortitel der
Staatswissenschaften der Universität Freiburg geehrt, um 1914
endlich zum ordentlichen Professor berufen zu werden, wenn auch
nicht in Berlin, sondern in Strassburg. Daher musste er im Alter
von 56 Jahren Berlin und damit jene Universität, an der er
während 30 Jahren gewirkt hatte, verlassen.
Im
Bewusstsein seiner tödlichen Krankheit, Leberkrebs, arbeitet
Simmer dort bis zu seinem Tod an seinen lebensphilosophischen
Spätschriften. In einem Brief an Graf Keyserling (1918, zitiert
nach Jung 1990, S. 21) äusserte er sich 1918 über seine
tödliche Krankheit und den damit verbundenen, bevorstehenden Tod:
„Aber ich gehe mit dem Bewusstsein, dass mein Leben, nach
mittleren Massen gemessen, gerundet und gut abgeschlossen ist; ich
gehe ohne Hader mit dem Geschick und ohne Abschiedswehmut, sondern
mit dem Bewusstsein, dass es so gut und der richtige Augenblick
ist.“ Georg Simmel starb am 28. September 1918 in Strassburg, wo
er kurz zuvor sein letztes grosses Werk „Lebensanschauung. Vier
metaphysische Kapitel“ vollendet hatte.
Inhalt
2.2
Das wissenschaftliche Werk Georg Simmels
Georg
Simmel hat während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit rund
dreissig Bücher und über zweihundertfünfzig Aufsätze (Ebers
1995, S. 49) geschrieben, wobei diese ein beeindruckend breites
Themenspektrum umfassen. Seine Schriften behandeln Gegenstände
aus den Bereichen der Erkenntnistheorie, der Psychologie, der
Soziologie, der Kulturphilosophie und der Metaphysik. Als
Soziologe beleuchtete Georg Simmel ganz verschiedene Aspekte der
Gesellschaft. So machte er sich ebenso Gedanken zum Begriff der
Kultur oder zur Individualisierung, wie zu Themen wie Mode, Geld
oder der Geschlechterfrage. Mit seiner wissenschaftlichen
Tätigkeit hat Simmel wesentlich zur Etablierung der Soziologie
beigetragen und gilt – neben Ferdinand Tönnies und Max Weber
– als „Begründer der (formalen) Soziologie“ (Bachmaier /
Rentsch 1989, S. 729). Diese untersucht allgemeine Grundformen der
Vergesellschaftung wie beispielsweise Über- oder Unterordnung,
Arbeitsteilung, Konkurrenz oder Parteibildung.
Da
das umfassende, heterogene Lebenswerk Simmels durch seinen
interdisziplinären Charakter und den essayistischen Schreibstil
„keine grundlegende Systematik erkennen lässt“ (Ebers 1995,
S. 50), haben Autoren mehrfach versucht, verschiedene
Arbeitsphasen auszumachen. Dahme (1984, S. 203) zeigt folgende
Einteilung auf:
„Die
bekannteste und weitverbreitete Einteilung geht davon aus, dass
man Simmels Werk periodisch in den Griff bekommt, wenn man eine
erste positivistische Phase, in der die Grundlegung seiner
Soziologie erfolgt, von einer zweiten, um die Jahrhundertwende
einsetzende Phase intensiver Beschäftigung mit dem Problem der
Gültigkeit, der objektiven Gebilde und einer damit verbundenen
Annäherung an Problemstellungen der südwestdeutschen Schule
des Neukantianismus (antipsychologische Wendung) und einer
dritten, in der der ältere Simmel seit ca. 1910 seine
Lebensphilosophie ausarbeitet, unterscheidet.“
Dieses
Modell, das in drei Phasen unterteilt, basiert auf der Annahme,
dass sich Simmels Arbeitsschwerpunkte zeitlich gliedern lassen.
Auch Jung (1990, S. 23) gibt dieses Drei-Phasen-Modell wieder, das
einen „unter dem Einfluss des Pragmatismus und der
Evolutionstheorie stehenden Simmel, einen mittleren, etwa mit der
Philosophie des Geldes (1900) einsetzenden, auf Kant
zurückgreifenden und von soziologischen Fragestellungen
faszinierten Simmel und einen späten, der Lebensphilosophie und
einer neuen Metaphysik das Wort redenden Simmel“ unterscheidet.
Die
aktuelle Simmel-Rezeption allerdings betrachtet das reichhaltige
Lebenswerk Simmels vermehrt unter einer Gesamtperspektive. So
relativiert Dahme (1984, S. 204) das Drei-Phasen-Modell,
indem er auf die Tatsache hinweist, dass Simmel sich quasi
phasenübergreifend immer wieder zu Themen geäussert habe, die er
schon zu einem früheren Zeitpunkt angesprochen habe. Er habe so
bereits veröffentlichte Schriften durch neue Erkenntnisse
ergänzt, womit man eher von einer „Reformulierung“ (Dahme
1984, S. 204) denn von in sich abgeschlossenen Perioden sprechen
könne. Diese Argumentation stützt Dahme mit der Schrift „Grundfragen
der Soziologie“, die 1917 herausgegeben wurde und in der auch
der Text zur Geselligkeit zu finden ist. Dahme bezeichnet dieses
Werk als eine solche Reformulierung und verweist auf die
unterschiedlichen Bereiche, die darin angesprochen werden.
Auch
Jung (1990, S. 29) spricht von „Diskursüberschneidungen“ von
„Vorausandeutungen“, „Quer- und Rückverweisen“ von
irritierenden „Interferenzen zwischen dem jungen Philosophen,
dem mittleren Soziologen und dem späten Metaphysiker.“
Georg
Simmel selbst beschreibt die Entwicklung seiner Gedanken in einer
Selbstdarstellung (In: Lichtblau 1997, S. 181f). So sei er von
erkenntnistheoretischen und kantwissenschaftlichen Studien
ausgegangen, die Hand in Hand mit geschichtlichen und
sozialwissenschaftlichen Schriften gegangen seien. Mit dieser
Aussage weist er eine mögliche Epocheneinteilung von sich.
Zudem
spricht Simmel das gedankliche Grundmotiv, den Unterschied
zwischen Form und Inhalt an: Diese Trennung, die ihm rein
erkenntnistheoretisch entstanden sei, habe sich innerhalb einer
Einzelwissenschaft, der Soziologie, als methodisches Prinzip
fortgesetzt, sei von „dieser soziologischen Bedeutung des
Wechselwirkungsbegriffs aus“ aber allmählich „zu einem
schlechthin umfassenden metaphysischen Prinzip“ aufgewachsen.
Inhalt
3.
Verschiedene Definitionen von „Geselligkeit“
3.1
Allgemeine Definitionen aus Nachschlagewerken
Meyers
Grosses Universal Lexikon (1982, S. 551) definiert den Begriff „Geselligkeit“
als „zwangloses und zweckfreies durch gemeinsame Unterhaltung
(und Amüsement) bestimmtes Zusammensein von Menschen“.
Geselligkeit könne Ausdruck einer Anpassung sein, aber auch „den
kritischen und aktiven Informationsaustausch zwischen Menschen
unterschiedlicher sozialer Herkunft beinhalten, die so ihr
individuelles Wissen über fremde Erfahrungsbereiche erweitern.“
Ebenso
macht das Soziologie-Lexikon (1991, S. 198)einen Aspekt der
Unbeschwertheit aus, indem es Geselligkeit als „temporäre,
relativ oberflächliche, unverbindliche soziale Kontakte“
charakterisiert. Gerade wegen dieser Disposition der Beziehungen
gebe es keine festgefügten Rollenerwartungen. Ähnlich formuliert
das Wörterbuch der Soziologie (1994, S. 284). Es definiert
Geselligkeit als „Begriff für flüchtige, unverbindliche, ohne
genauere Erwartungs- und Rollenstrukturen ablaufende Beziehungen
zwischen (quantitativ und personell) wechselnden Personengruppen“.
Dabei würden die situationellen Gelegenheiten und Inhalte der
Geselligkeit mit kulturellen Moden und kommunikationstechnischem
Wandel wechseln.
Wie
das Meyers Grosses Universal Lexikon sieht das Wörterbuch der
Soziologie in der Geselligkeit das Zusammensein von Individuen,
die ansonsten verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen (bzw.
Handlungsbereichen) angehören. Im geselligen Gespräch würden
diese Informationen austauschen und ihr Wissen über fremde
Erfahrungsbereiche vergrössern. Damit geht es darum, sich in der
unterhaltenden Atmosphäre weiterzubilden.
Das
Standardwörterbuch für die Sozialwissenschaften (1993, S. 1457)
fasst Geselligkeit unter den Begriff „Soziabilität“. Das
Wörterbuch zeigt ein Kontinuum von Soziabilität zu
Verwandtschaft auf, wobei an einem Ende die Soziabilität als „fleeting
encounter between strangers“ [fliessendes Treffen zwischen
Fremden] steht. Einmal mehr wird somit der unverbindliche
Charakter der Geselligkeit betont - Geselligkeit als eine Form des
unbeschwerten Austauschs.
Inhalt
3.2
Georg Simmel: „Die Geselligkeit“
3.2.1
Entstehungszeit des Textes
Einzelne
Gedanken zur Geselligkeit äusserte Simmel bereits in der „Philosophie
des Geldes“ (1900) sowie in der „Soziologie“ (1908), um die
Thematik schliesslich als Beitrag zum ersten deutschen
Soziologentag mit dem Vortrag „Soziologie der Geselligkeit“
ganz ins Zentrum zu rücken. Die geringfügig überarbeitete
Version dieses Vortrags findet sich im Werk „Grundfragen der
Soziologie“, das im Jahre 1917 zur Zeit des ersten Weltkriegs
und nur ein Jahr vor Simmels Tod entstanden ist.
3.2.2
Definition von „Gesellschaft“
Einführend
definiert Georg Simmel die menschliche Gesellschaft als
Wechselwirkung unter den Individuen, die aus bestimmten Trieben
heraus oder um bestimmter Zwecke willen entstehe. Aufgrund von
erotischen Instinkten, sachlichen Interessiertheiten, religiösen
Impulsen und anderen Motiven trete der Mensch in die Interaktion
ein, das heisst, er übt Wirkungen auf andere aus und fungiert
selbst als Empfänger derartiger Wirkungen. So wird nach Simmel
(1917, S. 48) aus den individuellen Trägern dieser veranlassenden
Triebe und Zwecke eine Einheit – „eben eine „Gesellschaft“.
Jung
(1990, S. 85) weist auf einen interessanten Aspekt der
Gesellschaftsdefinition, wie sie Simmel vornimmt, hin: „Und
niemals ist von ihr [der Gesellschaft] selbst die Rede. Sie ist
immer nur - in Hegelscher Diktion – als Synthese vorausgesetzt,
d.h. gesetzt als nicht gesetzt.“
Georg
Simmel unterscheidet in jeder menschlichen Gesellschaft zwischen
ihrem Inhalt und ihrer Form. Als Inhalt oder Materie der
Vergesellschaftung bezeichnet er „alles das, was in den
Individuen als Trieb, Interesse, Zweck, Neigung, psychische
Zuständlichkeit und Bewegung“ (Simmel 1917, S. 49) vorhanden
ist. Diesen Stoffen allein schreibt er allerdings noch keinen
sozialen Charakter zu. Hunger oder Liebe beispielsweise bedeuteten
noch lange nicht Interaktion. Erst indem sie das Individuum zu
einem Austausch mit seiner Umwelt animierten, bildeten sie
Vergesellschaftung.
Wenn
der Mensch nun „das der Welt abzugewinnende Material des Lebens“
(ebd., S. 49) mit Intelligenz und Willen bearbeite und ihm eine
bestimmte Form gebe, so würden sich diese Interessen von ihrer
ursprünglichen Bestimmung lösen. Das heisst, sie
verselbstständigen sich, lösen sich von ihrem Gegenstand und
existieren nur noch um ihrer selbst Willen. So sei beispielsweise
die Wissenschaft zu einem Eigenwert geworden, der sich nicht mehr
mit der praktischen Leistung des Erkennens - im Sinne von Wissen
um das Verhalten der Dinge - zufrieden gibt. Sie wähle sich ihre
Gegenstände vielmehr frei aus. Was aus Forderungen der Praxis
entstanden sei, werde zum Selbstzweck. Als Beispiele einer
derartigen Form mit eigenen Regeln nennt Simmel die Kunst und das
Recht. Beide Bereiche seien ganz vom Leben getrennt, und
entnähmen ihm nur, was ihnen diene.
3.2.3 Definition von „Geselligkeit“
Während
Georg Simmel die Gesellschaft, in der sich das Miteinander,
Füreinander und Gegeneinander abspielt, auf der Inhaltsebene
ansiedelt, definiert er die Geselligkeit als eine Form, die
losgelöst von Inhalten als eine „Spielform der
Vergesellschaftung“ (Simmel 1917: 53) existiert. Konstituiert
werde diese durch den „Geselligkeitstrieb“, der den blossen
Vergesellschaftungsprozess aus den Realitäten des sozialen Lebens
herauslöse (ebd., S. 52).
Damit
Geselligkeit aber einen Sinn und Bestand haben könne, lege sie
besonderen Wert auf die Form, auf die gute Form. Denn die Form sei
gegenseitiges „Sich-Bestimmen“ und leiste der Geselligkeit,
die ja völlig frei von konkreten „an die Zwecksetzungen des
Lebens angeknüpften Motivierungen der Vereinheitlichung“ sei,
einen wichtigen Dienst. Weil die Geselligkeit bloss eine formale
Beziehung zur Realität habe, fänden in ihr derer Reibereien
nicht statt (ebd., S 52f).
3.2.4 Persönlichkeiten
innerhalb der Geselligkeit
Ohne
sachlichen Zweck, ohne Inhalt und ohne Resultat ist die
Geselligkeit nach der Theorie Simmels in erster Linie auf die an
ihr teilnehmenden Persönlichkeiten gestellt. Das heisst, deren
persönliche Eigenschaften wie Liebenswürdigkeit, Bildung,
Herzlichkeit etc. prägen den Charakter des geselligen
Beisammenseins. Gerade deshalb, sollen sich aber die
Persönlichkeiten nicht zu individuell betonen, verfolgen sie doch
keine äussere oder unmittelbar egoistische Interessen. Wichtiges
Element dieser Selbstregulierung sei das Taktgefühl, das den
eigenen Ansprüchen mit Blick auf das Recht des andern eine Grenze
ziehe. In die Geselligkeit soll laut Simmel nicht eintreten, „was
die Persönlichkeit an objektiven Bedeutungen“ wie Reichtum,
gesellschaftlichen Stellung, Gelehrsamkeit, Berühmtheit, etc.
besitzt. Ebenso habe „das Allerpersönlichste des Lebens, des
Charakters, der Stimmung (und) des Schicksals“ keinen Platz
(Simmel 1917, S. 54f). Wer dieses in die Geselligkeit
hineinbringt, hat nach Simmel kein Taktgefühl.
3.2.5 Der gesellige Mensch
Den
Mensch als solchen bezeichnet Simmel (1917, S. 55) als „ungeformten
Komplex von Inhalten, Kräften und Möglichkeiten“. Je nach
Motivierungen und Beziehungen gestaltet dieser sich daraus „zu
einem differenzierten, grenzbestimmten Gebilde“. Das heisst, er
nimmt eine gewisse Rolle ein wie beispielsweise als
Familienmitglied oder Berufstätiger. Er sei dann sozusagen ein
„je ad hoc konstruiertes Elaborat, sein Lebensmaterial sei
jedesmal von einer besonderen Idee bestimmt, in besondere Form
gegossen, deren relativ selbstständiges Leben freilich von der
gemeinsamen, unmittelbar aber nicht zu bezeichnenden Kraftquelle
des Ich gespeist wird“ (ebd., S. 55). Der gesellige Mensch
wiederum sei ein spezifisches Gebilde, habe er doch alle
Sachbedeutungen der Persönlichkeit abgetan. Er trete nur „mit
den Fähigkeiten, Reizen, Interessen seiner reinen Menschlichkeit
in die Geselligkeitsform ein“ (ebd., S. 55f). Trotzdem klammere
dieses Gebilde das rein Subjektive und Innerliche der
Persönlichkeit aus. Die Diskretion, die dem anderen gegenüber
wichtig sei, gelte auch für die eigene Person. Simmel spricht
dann von einer oberen und einer unteren Geselligkeitsschwelle. Die
obere sei dort, wo die Individuen ihr Zusammensein auf einen
objektiven Inhalt und Zweck stellen, die untere dort, wo das
Personale und Subjektive des Einzelnen überbetont in Erscheinung
trete. In einem solchen Fall ist die Geselligkeit nach Simmels
Ansicht (ebd., S. 56) nur noch das „äusserlich vermittelnde
Prinzip“.
3.2.6 Geselligkeit schafft
„ideale soziologische Welt“
Simmel
schreibt der Geselligkeit ein positives Formmotiv zu, wobei er von
Kant ausgeht. Dieser hat das Prinzip des Rechts aufgestellt, dass
nämlich jeder dasjenige Mass an Freiheit haben solle, das mit der
Freiheit des andern zusammen bestehen kann. Auf die Geselligkeit
bezogen heisst das, dass jeder so viel Befriedigung des
Geselligkeitstriebes haben soll, wie es mit der Befriedigung aller
andern vereinbar ist: „Jeder soll dem anderen dasjenige Maximum
an geselligen Werten (von Freude, Entlastung, Lebendigkeit)
gewähren, das mit dem Maximum der von ihm selbst empfangenen
Werte vereinbar ist“ (Simmel 1917, S. 56) .
Genauso
wie das Recht bei Kant demokratisch ist, zeigt sich laut Simmel
auch in der Geselligkeit ein demokratisches Element. Eine
Gleichheit entstehe nämlich durch das Weglassen des Persönlichen
und Sachlichen. Simmel (ebd., S. 57) redet von einer „gespielten
Demokratie“. Seinen Ausführungen nach schafft die Geselligkeit
eine „ideale soziologische Welt“, was er wie folgt begründet:
„denn in ihr ist die Freude des Einzelnen durchaus daran
gebunden, dass auch die andern froh sind, hier kann prinzipiell
niemand auf die Kosten ganz entgegengesetzter Empfindungen des
Andern seine Befriedigung finden.“
Simmel
(ebd., S. 57) charakterisiert die Geselligkeit als eine „künstliche
Welt“, da die an ihr Beteiligten „jene ganz reine, durch
keinen gleichsam materialen Akzent debalancierte Wechselwirkung“herstellen
wollen.
Das
moderne Leben ist in den Augen Simmel mit objektivem Inhalt und
Sachforderungen überlastet, so dass wir glauben, durch das
Ablegen dieser Belastungen, wenn wir in die Geselligkeit
eintreten, zu unserem „natürlich-persönlichen Sein
zurückzukehren“ (ebd., S. 57). Dabei würden wir allerdings
übersehen, dass auch dieses Persönliche in einer gewissen
Stilisierung den geselligen Menschen ausmache. Früher, als der
Mensch noch nicht mit so viel Sachlichem beschäftigt gewesen sei,
habe sich sein Formgesetz deutlicher seinem „persönlichen Sein“
gegenüber geltend gemacht. Als Folge davon sei das persönliche
Verhalten in der Geselligkeit „zeremonieller, steifer und
strenger überindividuell reguliert als heute“ (ebd., S. 58).
Das Persönliche wurde demnach ganz auf die Form reduziert.
Ein weiteres Extrem sieht Simmel in der „Courtoisie“,
mit welcher der Überlegenere nicht nur vorgibt, dem Schwächeren
gleichgestellt zu sein, sondern diesem sogar zu unterliegen. Als
„Abstraktion der Vergesellschaftung“ fordere die Geselligkeit
die reinste, durchsichtigste und am leichtesten ansprechende Art
der Wechselwirkung, „die unter Gleichen“: „Wenn
Vergesellschaftung überhaupt Wechselwirkung ist, so ist es deren
reinster und sozusagen stilisiertester Fall, wenn sie unter
Gleichen vor sich geht“ (ebd., S. 58). Diese sollen „als
gesellige gleich“ sein, wobei die Geselligkeit dasjenige Spiel
sei, „in dem man „so tut“, als ob alle gleich wären, und
zugleich, als ob man jeden besonders ehrte“ (ebd., S. 58).
In
der Geselligkeit kommt nach Simmel alles unter, was schon von sich
aus eine soziologische Spielform ist. So das Spiel selbst, das
über eigene Regeln und Gesetze verfügt. Bei den
Gesellschaftsspielen gehe es um Interaktion, wobei es nicht nur in
der Gesellschaft gespielt werde, sondern mit ihm auch „Gesellschaft“
gespielt werde.
3.2.7 Das Gespräch
innerhalb der Geselligkeit
Als
„Träger aller menschlichen Gemeinsamkeit“ werde das Gespräch
in der Geselligkeit zum Selbstzweck. Simmel (1917, S. 61) spricht
von der „Kunst des Sich-Unterhaltens“, die mit eigenen
Gesetzen Beziehungen zwischen den Individuen knüpft. Formen wie
Streit, das Entdecken von gemeinsamen Überzeugungen, das
Aufnehmen von Neuem, etc. dienten allein dieser Interaktion. Der
Inhalt des Gesprochenen dürfe kein Eigengewicht bekommen, denn
wenn eine Diskussion sachlich werde, sei sie nicht mehr gesellig.
Es geht also lediglich um die Form, was aber nicht heisse, dass
der Inhalt langweilig sein müsse. Er sei jedoch Mittel zum Zweck
und daher leicht austauschbar. Das Erzählen von Witzen,
Geschichten und Anekdoten bewertet Simmel als durchaus positiv, da
es als Gabe an die Gesprächspartner, einen Inhalt liefert, an dem
alle teilhaben können.
3.2.8 Zur historischen
Entwicklung der Geselligkeit
Im
diskutierten Aufsatz greift Simmel einige Beispiele zur
historischen Entwicklung der Geselligkeit heraus. So beschreibt er
Patrizierfamilien, die sich im frühen deutschen Mittelalter zu
ritterlichen Bruderschaften zusammenschlossen, von denen im 14.
Jahrhundert einzig die ritterlichen Interessen und
Verhaltensweisen übrig blieben. Und zwar ging der Inhalt nicht
aber die Form verloren. Das gleiche Phänomen ortet Simmel beim
„Ancien Régime“, wo der französischen Aristokratie die
konkreten Lebensinhalte gewissermassen vom Königtum genommen
wurden, so dass sie als rein gesellige Form lebte. Das
Etikettenwesen der höfischen Geselligkeit gehorchte eigenen
Gesetzen und stellte laut Simmel (1917, S. 65) zwar die
souveränste, aber zugleich eine in die Karikatur übergehende
Form dar.
3.2.9 Vorwurf der
Oberflächlichkeit
Über
„die Oberflächlichkeit des gesellschaftlichen Verkehrs“
könne man zu Recht und zu Unrecht klagen, meint Simmel (1917, S.
66). Wenn man jedoch ein Element vom Ganzen wegnehme, ihm ein
autonomes Reich mit eigenen Gesetzen gebe, könne man es jedoch
nicht mehr am Ganzen messen. Vielmehr müsse man es als frei
schwebendes Wesen sehen und als solches beurteilen.
Die
Geselligkeit habe nicht zu letzt befreienden und erheiternden
Charakter, und zwar nicht in erster Linie als das Sichflüchten
aus dem Ernst des Lebens. Im geselligen Zusammensein würden die
Aufgaben und die Schwere des Lebens „in gleichsam artistischem
Spiel genossen“ (ebd., S. 68).
Inhalt
3.3
Friedrich Schleiermacher: „Die Theorie des geselligen Betragens“
Friedrich
Schleiermacher (1768-1834) hat als erster dem Begriff „Geselligkeit“
zur philosophischen Geltung verholfen: In seinem „Versuch einer
Theorie des geselligen Betragens“ entwirft er (1799, S. 184)
Ideale, denen sich die Ausübung der Geselligkeit nähern soll.
Gleichzeitig räumt er ein, dass sich die Geselligkeit nicht immer
in dieser idealen Form zeige. Es sei allerdings ein besonderes
Glück, wenn sie sich auch nur für eine Zeitlang als ein
wirkliches Ganzes erhalten könne. Zudem gebe es „keine
Verbesserung ohne Theorie“ (ebd., S. 166).
3.3.1
Geselligkeit als Lebensprinzip
Schleiermacher
(ebd., S. 165) sieht in der Geselligkeit „eines der edelsten
Bedürfnisse“, das auf derselben Ebene wie Sittlichkeit und
Recht stehe – Geselligkeit als ein Lebensprinzip des Menschen.
Seine These begründet der deutsche Theologe und Philosoph mit der
Unterscheidung zweier gesellschaftlicher Bereiche, dem
bürgerlichen und dem häuslichen. Seiner Meinung nach kann sich
der Mensch im Beruf nicht verwirklichen; dieser banne die
Tätigkeit des Geistes und führe zur Einseitigkeit und
Beschränkung. Zu Hause allerdings könne man sich auch nicht
wirklich entfalten, komme man dort doch „nur mit Wenigem, und
immer mit demselben in Berührung“ (ebd., S. 165). Daher fordert
Schleiermacher einen dritten Bereich, einen Zustand, der diese
beiden ergänzt: die freie Geselligkeit, in der die Sphäre eines
Individuums von den Sphären anderer so mannigfaltig als möglich
durchschnitten werden soll. Das heisst der Einzelne soll Einblick
in eine ihm fremde Welt erhalten, so dass „auch die fremdesten
Gemüter und Verhältnisse ihm befreundet und gleichsam
nachbarlich werden können.“ Ganz in der intellektuellen Welt
könne der Mensch als ein Mitglied derselben agieren und sich
weiterbilden, ohne von einem Gesetz beherrscht zu sein.
3.3.2
Verhaltensmaximen innerhalb gegebener Grenzen
Im
geselligen Leben solle jeder für sich selbst Gesetzgeber sein und
sich darum bemühen, „dass das gemeine Wesen keinen Schaden
leide“ (ebd., S. 166).
Die
Vollkommenheit des geselligen Betragens bestehe darin, überall
da, wo die physische Möglichkeit der Gesellschaft gegeben sei,
eine solche zu bilden. Sei diese allerdings bereits gebildet, gehe
es darum, sie aktiv am Leben zu erhalten. Denn die Gegenwart
mehrerer Menschen in einem Raum um des geselligen Zwecks sei
lediglich der „Körper der Gesellschaft“ (ebd., S. 168), der
erst durch die Tätigkeit des Einzelnen belebt werden müsse.
Entscheidend sei es, dass mehrere Menschen auf einander einwirken,
wobei diese Einwirkung auf keine Art einseitig sein dürfe.
Schleiermacher (ebd., S. 169) verwendet in diesem Zusammenhang
auch das Wort der Wechselwirkung. Da diese Wechselwirkung alle
Teilnehmer umfassen soll, wertet er das Spiel nicht aber einem
Ball, wo sich immer wieder allein aufeinander fixierte Tanzpaare
bilden, als geselligen Anlass.
Neben
dem beschriebenen, formellen Gesetz, dass nämlich alles
Wechselwirkung sein soll, und dem materiellen, dass alle zum
freien Gedankenspiel angeregt werden sollen, formuliert
Schleiermacher (ebd., S. 170) als drittes, etwas weniger
allgemeines Gesetz der Geselligkeit das qualitative. Dieses
besagt, dass sich die gesellige Tätigkeit immer innerhalb
derjenigen Schranken halten soll, in denen allein eine bestimmte
Gesellschaft als Einheit bestehen könne. Der deutsche Philosoph
schreibt jedem Menschen eine individuelle Sphäre zu, in der
dieser allein denken und handeln könne. Werde nun in der
geselligen Unterhaltung ein Punkt angesprochen, der in der Sphäre
des Gesprächspartners nicht vorhanden sei, schlisse man diesen
aus. Aber auch wenn sich Einzelne von den Übrigen durch die Wahl
eines Gesprächsthemas trennen, sei die Gesellschaft kein Ganzes
mehr. Zusammengefasst besagt das Gebot der Schicklichkeit: „dass
nichts angeregt werden soll, was nicht in die gemeinschaftliche
Sphäre Aller gehört“ (ebd., S. 171).
3.3.3
Manier und Ton im geselligen Gespräch
Indem
jeder gesellige Austausch über eine eigne Sphäre und einen
individuellen Charakter verfügt, ist ein fester Rahmen gegeben,
innerhalb dessen sich der Mensch bewegen muss. Mitglied einer
Gesellschaft sei jemand aber nicht aufgrund besonderer Kenntnisse
oder Eigenschaften, im Gegenteil gerade seine Individualität und
Eigentümlichkeit soll der Einzelne mitbringen. Denn nur so könne
er seine Gedanken und Gefühle frei äussern, wobei er zugleich
den Charakter der Gesellschaft annehmen soll. Wichtige Aspekte bei
der Vereinigung dieser beiden Gegensätze sind nach Schleiermacher
(ebd., S. 174) die Manier und der Ton, welcher der Gesellschaft
angepasst werden soll. Allerdings soll man sich in dieser
vorgegebene Sphäre frei bewegen, die eigene Art gewähren lassen,
selbst wenn diese fehlerhaft sein sollte. Es sei dann vielmehr
Aufgabe der Andern, die unbequemen Eigenschaften eines Einzelnen
in Schranken zu halten.
Neben
dem Gesprächsstoff betont die „Theorie des geselligen Betragens“
die Bedeutung einer gewissen „Elasticität“ (ebd., S. 175),
die Fähigkeit das breite Themenspektrum einer geselligen
Gesellschaft auszukosten und geschickt über ganz verschiedene
Bereiche zu diskutieren. Diese "Elasticität" müsse
zudem mit einer gewissen Undurchdringlichkeit verbunden sein,
damit die eigene Art bestärkt werde. Durch diese beiden Faktoren
gewandt solle man sich in jeden Raum fügen und doch überall in
seiner eigensten Gestalt dastehen: „Der gewandteste ist
derjenige, der zugleich am vielseitigsten und am originellsten
ist, der in jeden Stoff hineinzugehen bereit ist, und auch den
geringfügigsten und fremdesten noch seine Eigentümlichkeit auf
mancherlei Weise auszudrücken weiss“ (ebd., S. 176).
Nach
der Theorie Schleiermachers soll das gesellige Gespräch eine
doppelte Tendenz - einen doppelten Sinn – haben; soll sich
einerseits direkt auf die Unterhaltung beziehen und andererseits
Andeutungen enthalten, die weiter verfolgt werden können. Dem
Gesprächspartner sollen so immer wieder Anknüpfungspunkte für
eigene Gedanken gegeben werden. Schwierig gestaltet sich das
jedoch, wenn sich innerhalb einer Gesellschaft ein Gefälle
auftut. Das heisst, wenn nicht etwas allen gemeinschaftliches
vorhanden ist. Was in einem solchen Fall zu tun sei, hänge davon
ab, wie eine Gesellschaft gebildet worden sei; entweder durch
Zufall, durch gemeinschaftliche Willkür Aller oder durch die
eines Einzelnen. Findet sich eine Menschengruppe durch Zufall,
seien alle für den geselligen Austausch verantwortlich und
könnten die Diskussion dem Niveau der Teilnehmenden
anpassen.
Wird
jemand mit bescheidenerem Intellekt durch gemeinschaftliche
Willkür einbezogen, muss er nach Schleiermacher (ebd., S. 183)
auch integriert werden. Lädt ein Einzelner zu einer geselligen
Runde, ist es seine Pflicht, die Wahl der Gäste durchdacht
vorzunehmen und auf gemeinsame Interessen zu achten. Nur so könne
eine ideale Konversation, an der sich alle mit eigenen Gedanken
beteiligen können, zustande kommen.
Inhalt
4.
Vergleich der zwei Aufsätze: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Im
folgenden sollen die oben zusammengetragenen Theorien von Georg
Simmel und Friedrich Schleiermacher mit einander verglichen
werden. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die beiden
Aufsätze - auch wenn sie ein Zeitraum von mehr als hundert Jahren
trennt - viele gemeinsame Gedanken enthalten. Viele Aspekte, die
bereits bei Schleiermacher zu finden sind, treten bei Simmels in
Erscheinung, wenn auch etwas anders formuliert und teilweise
detaillierter analysiert.
4.1
Geselligkeit als ein in sich geschlossenes System
Beide
Theoretiker betrachten die Geselligkeit als ein in sich
geschlossenes System mit eigenen Regeln und Verhaltenskodexen.
Schleiermacher spricht von einem Ganzen, einer Sphäre mit
individuellem Charakter, einem Zustand, der den Bereich des
Berufes und denjenigen des Häuslichen ergänzt. Als
eigengesetzliches Lebensgebiet fungiert Geselligkeit bei ihm als
Freiraum zum gegenseitigen Austausch und zur eigenen
Weiterbildung.
Bei
Simmel (1917, S. 57) wird eine künstliche Welt beschrieben, die
allenfalls unter Gleichen stattfinden könne. Simmel (ebd., S. 53)
spricht von einer „Spielform der Vergesellschaftung“, die ein
Eigenleben „eine von allen Wurzeln an Inhalten befreite
Ausübung rein und um ihrer selbst und des in dieser Gelöstheit
von ihnen ausstrahlenden Reizes willen“ (ebd., S. 52) hat.
Geselligkeit als ein frei schwebendes Wesen (ebd., S. 66), das aus
der Gesellschaft herausgehoben ist.
Gemeinsamkeiten
weisen die zwei Autoren ebenso bei der Motivation eines
Individuums zur geselligen Interaktion, zur Wechselwirkung, auf.
Sie sehen diese als ein im Menschen angelegtes Prinzip: Simmel
(ebd., S. 52) stellt einen „Geselligkeitstrieb“ fest
-Schleiermacher (1799, S. 165) definiert Geselligkeit als eines
der ersten und „edelsten Bedürfnisse“.
Inhalt
4.2
Geselligkeit als Ort der Unbeschwertheit
Bereits
Schleiermacher (1799, S. 165) betont den unbeschwerten Aspekt der
Geselligkeit, in welcher sich das Individuum mit dem Wissen um die
Grenzen frei und mit Leichtigkeit bewegen soll: „und von keinem
Gesetz beherrscht, als welches er wich selbst auflegt, hängt es
nur von ihm ab, aller Beschränkungen der häuslichen und
bürgerlichen Verhältnisse auf eine Zeitlang, soweit er will, zu
verbannen.“ In der geselligen Runde soll sich der Einzelne in
gelöster Atmosphäre unterhalten und weiterbilden.
4.3
Persönlichkeiten innerhalb der Geselligkeit
Bei
Schleiermacher wird der Charakter einer Gesellschaft wesentlich
durch den Einzelne belebt und konstituiert. Zwar soll dieser
Verhaltensmaximen wie Manier und Ton respektieren, jedoch seine
Individualität und Eigentümlichkeit unverändert mitbringen.
Innerhalb der Grenzen der anzustrebenden Einheit soll er sich
möglichst frei bewegen, dennoch die anderen Teilnehmer
einbeziehen und diese weder über- noch unterfordern. Von der
eigenen Sphäre ausgehend sollen jene Themen diskutiert werden, zu
denen sich alle äussern können.
Ebenso
stellt Simmel fest, dass die Geselligkeit in erster Linie auf den
an ihr Beteiligten basiert, deren persönliche Eigenschaften
prägend wirken. Als zentral erachtet er das Taktgefühl, dass
nämlich gerade das Allerpersönlichste nicht eingebracht wird.
Objektive Bedeutungen wie Reichtum, gesellschaftliche Stellung,
Gelehrsamkeit oder Berühmtheit haben seiner Meinung nach (1917,
S. 54) nicht in die Geselligkeit einzutreten. Ähnlich wie
Schleiermacher, der jedem Menschen eine individuelle Sphäre
zurechnet, bezeichnet Simmel den Menschen als ungeformten Komplex
von Inhalten, Kräften und Möglichkeiten. Der gesellige Mensch
wiederum sei ein spezifisches Gebilde, da er ohne die
Sachbedeutungen seiner Persönlichkeit in die Geselligkeit
eintrete.
Beide
Theoretiker fordern also, dass sich das Individuum der geselligen
Situation anpasse und gegebenenfalls persönliche Charakterzüge
zurückhalte. Während Schleiermacher die Persönlichkeit noch
freier walten lässt, ist Simmel sehr auf Diskretion bedacht. Das
heisst, er will, dass sich alle gesellig gleich sind, um die
Geselligkeit in einer idealen Form zu zelebrieren.
Unterschiedlich
gehen die beiden Autoren in der Wahl der Argumentationsperspektive
vor. Während Simmel formuliert, was zu unterlassen sei - nämlich
die Persönlichkeiten zu individuell zu betonen - spricht
Schleiermacher davon, was erhalten werden muss - der eigene
Charakter.
Inhalt