Georg Simmel: Einleitung
in die Moralwissenschaft
Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe
Cotta's Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1892/93
Band
2:
Sechstes Kapitel: Die Freiheit (S. 131-306)
Empirische und ethische Freiheit
Das Ich als Subjekt der
Freiheit
Die Entstehung des Begriffes der inneren oder metaphysischen
Freiheit ans äusseren und empirischen Verhältnissen
Reduktion
historischer Freiheitstheorien
Die Anarchie
Die Freiheit und die
objektiven Normen
Die Korrelation von Freiheit und Unfreiheit;
soziologische, statistische, psychologische, metaphysische Vereinigungen
beider
Dialektische Erörterung der Freiheit
Der teleologische Sinn
der Freiheit, ihre Begründung durch die Verantwortlichkeit
Anregungen
zur Bildung der Freiheitsvorstellung
Mischung von Determinations-
und Freiheitsvorstellungen als Grundlage der Praxis
Die empirische
Freiheit nach ihren positiven Inhalten
Freiheit als Herrschaft: über das
eigene Ich, über den Besitz, über andere Menschen
Der Besitz als
psychologisches Phänomen
Moralprinzip der Freiheit
Erkenntnistheoretische Erörterung der Freiheit
Die Verflechtungen der
physischen und der psychischen Kausalreihen
Innere psychische
Kausalität
Subjektive Voraussetzung aller Urteile über Freiheit und
Determination
(<131) Die neuesten Darstellungen der Ethik zeigen eine unverkennbare Tendenz,
am Probleme der Freiheit vorüberzugehen; es erscheint der Diskussion
entweder nicht bedürftig oder nicht fähig.
Jenes nicht, weil die Frage abgetan, definitiv zu Gunsten der
Determiniertheit entschieden sei, vielleicht auch, weil sie überhaupt
nicht in die Ethik, sondern in die Metaphysik und Erkenntnistheorie
gehöre; dieses nicht, weil das Problem in sich gewisse Widersprüche
berge, die seine Erwägung mit Unfruchtbarkeit schlügen, wie dies durch
seine ganze bisherige Geschichte bewiesen werde. (<132)
Nun scheint allerdings kein Zweifel, dass die bloss vorschreibende
Sittenlehre, das Kompendium der Ideale, die Freiheitsfrage nicht zu
behandeln braucht.
Denn die streng auf sich selbst beschränkte Setzung des Ideals fragt,
rein als solche, nicht nach der Möglichkeit oder dem Masse der
Verwirklichung desselben; deshalb steht sie jenseits von Freiheit und
Determiniertheit, denn die Frage nach diesen betrifft doch nur die
Bedingungen der Verwirklichung, aber nicht den Inhalt des Ideals. Die beschreibende Ethik aber scheint mir nicht das gleiche
Ignorierungsrecht zu besitzen.
Denn zunächst angenommen, die ganze Vorstellung der Freiheit sei ein
völliger Irrtum, so ist doch nicht nur seine psychologisch-historische
Erklärung von grösster Wichtigkeit, sondern die Hartnäckigkeit seines
Bestehens und seiner Forderung weist auf tiefe ethische Motive hin, deren
Behandlung man sich nicht darauf hin entziehen kann, dass sie sich in der
Freiheitsidee selbst missverstanden haben.
Es sind zweifellos in dieser Idee eine grosse Summe von Gefühlen und
Strebungen, von theoretischen und praktischen Voraussetzungen, von
individuellen und sozialen Postulaten verdichtet; dieselben herauszuholen,
gegeneinander zu isolieren und mit Rücksicht auf die Beleuchtung zu
analysieren, die sie durch ihre Vereinigung in jener Vorstellung erhalten
- das erscheint mir als eine Aufgabe, die die Moralwissenschaft nicht
abweisen darf, ganz gleichgültig, mit welchem sachlichen Recht oder
Unrecht alles dieses moralische Kapital gewissermassen im Freiheitsbegriff
investiert ist.
In der Entwicklung unserer höchsten, abstraktesten Vorstellungen
findet sich oft der eigentümliche Vorgang, dass niedere, empirische
Vorstellungen, deren Inhalt und Tendenz einen direkten Gegensatz zu den
ersteren bildet, diesen dennoch die Veranlassung des Entstehens geben.
(<133)
So ist der Gedanke, dass unsere ganze Erfahrungswelt eine Erscheinung
sei, hinter der eine intelligible Welt der Dinge an sich ruhe, gewiss
etwas völlig Anderes als der Unterschied zwischen Schein und Wahrheit,
welcher sich ganz auf dem empirischen Gebiet hält; dennoch hat offenbar
die alltägliche Erfahrung von dem Trug der Sinne, durch den hindurch die
Vernunft zu der Wahrheit der Dinge gelangt, den psychologischen Ursprung
für jene transzendentale Unterscheidung gebildet.
Es gibt keine Verwechslung, gegen die die Lehre von dem blossen
Erscheinungscharakter der Welt sich so entschieden zu wehren hätte, wie
die mit der Entgegensetzung zwischen Trug und Wirklichkeit, aus der sie
doch selbst hervorgegangen ist.
Der Begriff des punktuellen Atoms ferner kann nur durch die empirische
Teilbarkeit der Materie angeregt sein, er liegt geraden Weges in der
Fortsetzung derselben ; und doch ist er die Negation eben dieses Begriffes
der teilbaren Materie, er findet gerade seinen Gegensatz in jener
räumlichen Ausgedehntheit der Substanz, die zu der Vorstellung seiner
geführt hat.
Die Vorstellung des göttlichen Wesens endlich ist ohne Zweifel aus dem
Material irdischer Qualitäten und Beziehungen aufgebaut; und doch ist es
nun gerade der Gegensatz zu allem Irdischen, der das Göttliche
charakterisiert.
Sein Wesen besteht gerade in der Abweisung derjenigen Relativitäten,
aus denen es sich emporgebildet hat. - Mit der Freiheit nun verhält es sich nicht anders.
So wenig der reine Begriff der Willensfreiheit, den die metaphysische
Ethik behandelt, mit dem zu tun hat, was wir im Empirischen, im
bürgerlichen Leben, in individuellen Verhältnissen Freiheit nennen, so
wäre doch wahrscheinlich ohne diese letztere der Begriff der ersteren gar
nicht entstanden.
Schopenhauer hat die tiefgreifende Bemerkung gemacht, dass die
gewöhnliche Bedeutung der Freiheit: dass man tun könne, was man wolle,
es noch völlig unentschieden lasse, ob denn das Wollen selbst
determiniert wäre oder nicht; die Freiheit des Willens sei etwas völlig
anderes als die Freiheit, zu tun was man will. (<134)
Dies ist nicht nur eine richtige Erkenntnis, sondern eine der wenigen
wahrhaft fördernden in der Geschichte der Freiheitslehre.
Sie muss aber ergänzt werden durch die andere, dass jene sekundäre
Freiheit, die des Handelns gemäss dem Willen, doch den historischen
Unterbau für die Vorstellung von der Freiheit des Willens selbst bildet.
Jene hat sich psychologisch zu dieser aufgegipfelt, wenngleich der so
entstandenen ein völlig anderer Inhalt, ein Objekt ganz anderer Ordnung
zukommt. Ja, wie in den obigen Beispielen kann man sagen, dass gerade ein
gewisser Gegensatz zu den empirischen, veranlassenden Vorstellungen den
eigentlichen Sinn des ethischen Freiheitsbegriffes ausmacht.
Denn ihn charakterisiert gerade die Gleichgültigkeit dagegen, ob man
das, was man will, auch auszuführen im Stande ist; die innere Freiheit
zeigt ihr Wesen und ihren Wert gerade in der völligen Unabhängigkeit von
der äusseren Freiheit, aus der sich offenbar die Vorstellung ihrer
entwickelt hat.
Allgemeine methodische Prinzipien nötigen uns, da, wo gröbere,
sinnliche Vorgänge gegeben sind, von denen feinere und abstrakte eine
Übertragung, ein Symbol, eine Anwendung auf schwierigere und später
bewusst gewordene Objekte darstellen, die ersteren als die psychologischen
Ausgangspunkte und Veranlassungen der letzteren anzusehen ; wir würden
sonst nicht, z. B. von den sinnlichen Einzeleindrücken behaupten können,
dass sie Material und Anregung für die Bildung der allgemeinen Begriffe
wären.
So nun in unserem Falle. Da die aktuelle Überlegung uns mancherlei Möglichkeiten
verschiedenartiger Handlungsweisen zeigt, zu denen allen wir gleiche
Fähigkeit und äussere Chance haben, so wird sich wohl daraus die
Vorstellung gebildet haben, dass auch jenen inneren Bewegungen, die dem
schliesslichen Entschluss des Handelns zum Grunde liegen, auf die sich
aber das Bewusstsein erst später richtet, ebenfalls eine mehrfache
Möglichkeit der Richtung verstattet ist. (<135)
Dass ich das tun kann, was ich will, also empirisch frei bin, lässt
den Gedanken so leicht nicht aufkommen, dass eine Bindung des Willens
selber diese Freiheit an ihrer höhergelegenen Quelle von vornherein
annulliert haben könnte, und die Freiheit des Tuns wächst so
gewissermassen nach rückwärts in die Freiheit des Wollens aus.
Andrerseits wird die Überzeugung von der Unfreiheit des Willens wohl
aus der Beobachtung hervorgehen, dass unser Wille unzählige Male seine
Inhalte nicht in der äusseren Welt auszuwirken vermag.
Seine empirische Ohnmacht, die Folge überwältigender, in anderer
Richtung laufender Notwendigkeiten in der äusseren Ordnung der Dinge,
projiziert sich begreiflicher Weise zurück zu dem Glauben, dass er selbst
gefesselt, und selbst von vornherein denjenigen, alle Macht
ausschliessenden Kräften unterworfen wäre, die seine Weiterentwicklung
im Handeln unausweichlich bestimmen.
Die äussere Freiheit setzt einen Willen voraus, der als Ursache der
Handlung gedacht wird. Fällt die letztere nun ihm konform aus, reicht seine Kraft hin, um
seinen Inhalt in den äusseren Umständen auszuprägen, so nennt man ihn
frei.
Wenn dieser Begriff auf den Willen selbst übertragen werden soll, so
bedarf es nun wiederum für diesen eines weiter zurückgelegenen Prinzips,
das die Mannigfaltigkeit seiner Inhalte sich im Wollen ausleben lässt,
ohne in ihm jenen Widerstand zu finden, der in den äusseren Beziehungen
Unfreiheit bedeutet.
Ist es äussere Freiheit, dass ich tun kann, was ich will, so innere,
dass ich wollen kann, was ich will - wobei freilich, wenn keine Tautologie
herauskommen soll, entweder das letztgenannte Wollen oder das
letztgenannte Ich eine andere, gleich zu untersuchende Bedeutung als das
erste haben muss.
Oder man könnte es auch folgendermassen darstellen. Jede Freiheit bedarf, mit Jakob Böhme zu reden, eines Gegenwurfes, d.
h. eines Gegensatzes von Subjekt und Objekt, welches letztere sich
entweder nachgiebig und konform oder widerstrebend und abweisend jenem
gegen über verhält, und damit dessen Freiheit oder Unfreiheit beweist.
(<136)
In Bezug auf Freiheit im empirischen Sinne sind es nun die äusseren
Gegebenheiten, die das Objekt des wollenden Subjekts bilden, und je nach
ihrem Verhältnis zu diesem es als frei oder unfrei zeigen.
Wird nun nach der Freiheit oder Determiniertheit dieses wollenden
Subjektes selbst gefragt, so muss der notwendige Gegensatz zwischen
Subjekt und Objekt in ihm selbst gesucht werden. Ein innerstes Prinzip muss vorhanden sein, zu dem sich ein anderer
willensmässiger Bestandteil oder Funktion unserer Seele in entweder
übereinstimmender oder selbständig widerstrebender Weise verhält.
Im ersteren Falle würden wir jenes Prinzip eben als frei bezeichnen,
während es im zweiten durch Kräfte, die ausserhalb seiner stehen, in
seiner Wirkung bestimmt oder behindert wird, also determiniert, unfrei
ist.
Wenn überhaupt zwischen dem, was man im empirischen Sinne Freiheit
nennt, und dem inneren, ethischen Sinn derselben, irgend eine
Verwandtschaft bestehen soll, irgend eine Formgleichheit, die die
Anwendung des gleichen Wortes begründet, so bedürfen wir auch für seine
letztgenannte Bedeutung jener Zweiheit eines aktiven Prinzips und einer
für dieses äusserlichen Macht, die ihm entweder Freiheit lässt oder es
in einer von ihr ausgehenden Richtung bestimmt.
Dieses Innerlichste nun, dessen man zur Freiheit des Willens bedarf und
das zum Wollen selbst die Stellung hat, wie das Wollen zum Handeln in dem
empirischen Freiheitsbegriff, ist offenbar das sogenannte Ich.
Wenn man von der Freiheit des Willens spricht, so ist letzteres
jedenfalls kein genitivus subjectivus; nicht der Wille ist frei zu wollen
- das wäre ein leerer Zirkelbegriff -sondern das Ich ist frei zu wollen.
Die Freiheit bedeutet nach dieser Richtung hin, dass das Ich sich im
Wollen ausprägen kann, ohne Widerstand zu finden, d. h. ohne dass dieses
durch anderweitige, nicht aus dem Ich quellende Kräfte bestimmt werde und
so die Freiheit des Ich, zu wollen, beschränke. (<137)
Jene scheinbar tautologische Erklärung der innern Freiheit: dass ich
wollen kann, was ich will - erhält so einen synthetischen Sinn, indem der
Ton auf das zweite Ich gelegt wird; ich bin frei, wenn ich will, was ich
will, d. h. was mein Ich will, im Gegensatz zur Bestimmung meines Willens
durch Potenzen, die ich nicht meinem ursprünglichen Ich zuzähle,
wenngleich ich sie vielleicht unter den weitesten Begriff desselben fassen
muss.
Es liegt hier der Einwand nahe, den ich selbst in verwandten
Zusammenhängen hervorgehoben habe - dass mit alledem doch nur ein zweites
Wollen geschaffen sei, das an dem Ich haftet, gegen das sich jedoch die
Frage der Freiheit oder Determiniertheit genau so erhebt, wie gegen das
primäre, unmittelbar dein Handeln entsprechende.
Diese Selbsttäuschung ist jedoch nicht unvermeidlich, sobald man
annimmt, dass das Ich doch nicht bloss Wille ist, sondern eine durch alle
möglichen sonstigen Inhalte charakterisierte Individualität, ein Komplex
von Qualitäten, Gedanken, Gefühlen, vielleicht gar ein metaphysisches
Etwas.
Dann besteht seine Freiheit eben darin, dass sich dieser Charakter des
Ich ungehindert im Wollen ausprägen kann, während seine Determiniertheit
bedeutete, dass abseits gelegene Einflüsse, etwa sinnlicher,
mechanischer, suggestiver Art, die Wirksamkeit des Ich vom Wollen
ausschliessen.
Wie der Bürger nicht frei ist, wenn despotische Gewalten sein
politisches Handeln derart bestimmen, dass sein Wille ganz ohne Einfluss
auf dasselbe ist; wie ein Künstler nicht frei ist, wenn äussere
Notwendigkeiten seine Produktionsweise in Bahnen zwingen, die seinem
künstlerischen Wollen entgegengerichtet sind: so ist der Mensch in
sittlicher Beziehung nicht frei, wenn sein Wollen selbst, dessen Freisein
in seinem Erfolge für das Handeln liegt, durch andere Kräfte und in
anderen Richtungen bestimmt wird, als sie in dem Ich und seiner eigensten
Qualifizierung liegen. (<138)
Wie das Handeln frei ist, wenn es dem Willen gemäss ist, so ist der
Wille frei, wenn er dem tieferen, oberhalb seiner vorausgesetzten Prinzip
gemäss ist. Ich prüfe nun hier nicht näher, inwieweit diese Vorstellung einem
wirklichen Verhalten der Dinge erklärend entspricht, oder wenigstens in
sich widerspruchslos ist.
In beiden Beziehungen wird sie schweren Bedenken begegnen, insbesondere
durch die Lostrennung des Willens als eines gewissermassen substantiellen
Wesens von der übrigen Persönlichkeit und seine Beeinflussung durch
Kräfte, für welche diese nicht verantwortlich ist.
Es kommt mir nur darauf an plausibel zu machen, dass alle Vorstellungen
über Freiheit gewissermassen ihr Schema in dieser Vorstellung eines Ich
finden, das sieh zu dem Willen selbst verhält wie dieser zu der äusseren
Erscheinung der Handlung.
Denn ob man nun eine Freiheit behauptet oder nicht: der Begriff ihrer,
den man zugibt oder abweist, geht überall auf ein Ich zurück, aus dem
das Wollen quillt.
Dieses lch bestimmt nun entweder das Wollen mit sich konform und wird
dadurch für seine Willensakte verantwortlich; oder das Wollen wird durch
unpersönliche, mechanische Kräfte bestimmt, so dass das Ich keinen
Ausdruck in ihm findet und also auch keine Verantwortung dafür trägt. Der Wortsinn der mit der Freiheit solidarischen Zurechnung bestätigt
dieses.
Eine Tat wird mir "zugerechnet", wie ein Posten einem Konto
zugerechnet oder "zugeschrieben" wird, d.h. als zu ihm gehörig
erkannt, als Teil dieser Einheit und Gesamtheit behandelt; nur wenn die
Handlung als ein Teil meines Ich erkannt, d. h. zu mir gerechnet wird,
wird sie mir zugerechnet.
Und bedeutet die Wahlfreiheit, dass ich statt A zu wollen auch B oder C
hätte wollen können, so liegt doch der Akt des Wählens hinter - oder,
wenn man will, vor - dem Wollen.
Denn wollen kann ich nur A oder B oder C; ist es einmal da, das heisst,
ist es überhaupt wirkliches Wollen, so ist es auch eindeutig bestimmt und
hat keine Freiheit mehr, nicht das zu sein, was es nun einmal ist.
(<139)
Damit erscheint nun freilich die Schwierigkeit nur zurückgeschoben. Denn die Freiheit der Wahl zwischen A, B, C haftet nun auf dein Ich,
statt auf dem Willen. Dieses kann man auch zugeben, ja, wir behaupten dies gerade als das
hier Wesentliche.
Tatsächlich ist der ganze Begriff der inneren Freiheit nichts anderes
als eine Zurückschiebung der Erscheinung äusserer, relativer Freiheit
auf ein tiefer gelegenes Absolutes, und diese Zurückschiebung ist auch
keine Erklärung, sondern nur ein Ausdruck für das Problem oder den
angenommenen Tatbestand der Freiheit.
Wegen dieser Gleichsetzung des Freiheitsgedankens mit dem Ich-Gedanken
war es auch nur konsequent, wenn man auf Kantischen Wegen schliesslich die
Freiheit in das einmalige Ergreifen des intelligiblen Charakters setzte.
Diese Lehre von einer überzeitlichen Willenstat, die, selbst frei,
alle erscheinenden Handlungen des Individuums bestimmte und diese dadurch
an der Freiheit teilnehmen lässt, ist sehr viel logischer und
konsequenter als ihre metaphysische Wunderlichkeit zunächst annehmen
lässt.
Ihr grundlegendes Motiv ist die Überzeugung, dass der Verlauf der
empirischen Ereignisse nicht an irgend einem Zeitpunkte durch das
Eingreifen der Freiheit unterbrochen werden darf. Hat die Reihe der Erscheinungen erst einmal begonnen, so ist jede
spätere durch die frühere unweigerlich determiniert.
Deshalb ist nur das erste Glied oder, wenn man will, das Ganze als
absolutes Ganze von jener Bestimmtheit frei, die innerhalb seiner den
Relationen seiner Glieder die Freiheit nimmt.
Dem Anspruch der Kausalität würde vollkommen genügt, wenn auch der
gesamte Wirklichkeitsinhalt ein anderer wäre, und nur, nachdem er einmal
ohne jede Prädetermination so gesetzt ist, die Entwicklung seiner
Einzelheiten in gegenseitiger Determinierung erfolgt.(<140)
Wenn Kant also meint, dass ein anderer intelligibler Charakter auch
einen anderen erscheinenden gegeben hätte, so kann man dem nicht den
naheliegenden Einwurf entgegenhalten, dass ein anderer erscheinender
Charakter, als der wirkliche, den ganzen gesetzlichen Zusammenhang der
Erscheinungswelt durchbrechen würde, da gerade nur derjenige, der eben da
ist, aus den vorangegangenen Umständen sich ergeben konnte.
Denn diese Umstände wären eben von vornherein andere gewesen, wenn
jener andere intelligible Charakter als primäres Element einen der
Ausgangspunkte, eine der Grundlagen der empirischen Weltentwicklung
gebildet hätte.
Wie es kein Naturgesetz gibt, das die Welt als Ganzes notwendig machte,
ihr erster Zustand und ihre Existenz überhaupt vielmehr gegeben sein
muss, damit nun die Naturgesetze, das Vorgefunden aufnehmend, es zu den
jetzt notwendigen Formen weiterbilden, so wird auch jedes Element, das den
empirischen Willen einer Person trägt, vorgestellt als eines, dessen
Existenz überhaupt, dessen ursprüngliche - vorzeitliche oder
überzeitliche - Setzung frei ist, während es dann, einmal existierend
und in die Erscheinung eingetreten und von dem Zwänge der Naturgesetze
ergriffen, seinem empirisch-zeitlichen Phänomen nach determiniert ist,
dennoch aber in dieser bestimmten Weise determiniert nur durch die Art
seiner ursprünglichen undeterminierten Setzung.
Soll es eine Freiheit geben, so kann sie, da sie nicht innerhalb der
schon begonnenen Erscheinungsreihe auftreten darf, nur an den Anfang oder
in das überempirische Fundament derselben gesetzt werden.
Vermöge und nach der ursprünglichen Setzung herrscht in der
Erscheinungsreihe Prädestination, die aber, wie Schelling hervorhebt, der
Freiheit nicht widerspricht, weil sie Bestimmung durch das Prädestinierte
selbst, das heisst durch seine ursprüngliche, durch nichts nezessitierte
Setzung ist.
Diese, alle empirische Bedingtheit erst gründende, selbst also freie
Tat der Kreierung des wollenden Ich, ist eine völlig folgerichtige
Möglichkeit, die Kausalität des empirischen Willens mit der Freiheit zu
vereinigen. (<141)
Die Freiheit besteht auch hier in der fundamentalen Bestimmung des
einzelnen, erscheinenden Wollens durch das intelligible Ich. Wo absolute, metaphysische Freiheit zugegeben wird, kommt sie immer auf
diese Bestimmung hinaus.
Ihr Inhalt, die Sachlichkeit ihrer Entscheidung wird ihr also durch die
qualitative Bestimmtheit des Ich gegeben, und deshalb mündet auch die
radikalste Freiheitslehre, die Fichte'sche, die zugleich die Fortsetzung
der Kantischen ist, in der völligen Identifizierung des Ich mit der
Freiheit, und setzt die Freiheit, die zugleich Sittlichkeit ist, in die
Übereinstimmung des empirischen Ich mit dem reinen, was ein anderes Wort
für dieselbe Sache ist.
Darum steht auch der theoretische Solipsismus, der nur das Ich als
Realität bestehen lässt und die ganze Welt zu einem Vorgang in ihm
degradiert, in einem tiefen Zusammenhang mit der Freiheit; und zwar sind
die verknüpfenden Denkbeziehungen die folgenden.
Ich habe früher schon angeführt, dass die Welt als Ganzes nicht
kausal bedingt ist. Kein Naturgesetz bestimmt, dass es überhaupt eine Welt geben muss,
sondern erst, wenn sie existiert, wird das Kausalgesetz für ihre Teile
untereinander gültig.
Die kosmische Notwendigkeit gilt also nur für jede Einzelheit in ihrer
Beziehung zu einer anderen, aber nicht für das Ganze als Ganzes. Dieses Verhalten könnte man nun auf die menschliche Seele übertragen.
Die psychische Kausalität und Naturbestimmtheit betreffe die einzelnen
Akte derselben, die eine Vorstellung werde von der anderen notwendig
bestimmt. Aber das Ganze der Seele sei von dieser Notwendigkeit nicht getroffen,
als Ganzes sei sie frei von der Bindung, die innerhalb ihrer gelte.
Allein das wäre doch nur möglich, wenn unser Geist ein wirklicher
Mikrokosmos, ein in sich geschlossenes Ganzes wäre. Ist er auch als Ganzes nur ein Teil. der Welt.. eine ihrer
Einzelheiten, die mit anderen zu gegenseitigen Beziehungen verflochten
ist, so gilt auch für ihn die notwendige Bestimmtheit alles Partiellen
und Relativen. (<142) Ist also das Ich in der Welt beschlossen, so ist es auch als Ganzes
nicht frei, wohl aber, wenn die Welt im Ich beschlossen ist.
Ist das Ich, wie es der absolute Idealismus lehrt, das einzige
Existierende, so ist es auch frei, und die Naturnotwendigkeit gilt nur
für seine Inhalte, relativ zu einander. Dieser Zusammenhang, der zwischen der inneren Geschlossenheit, dem
Charakter kosmischer oder mikrokosmischer Vollständigkeit einerseits und
der Freiheit andrerseits besteht, erzeugt überall da eine Tendenz zu der
Annahme einer Freiheit, wo der Geist als ein System, ein in sich
abgeschlossenes Ganzes erscheint.
Der absolute Idealismus ist nur die höchste Steigerung und
Verfestigung der letzteren Überzeugung, und ihm entspricht deshalb auch
die absoluteste Freiheitslehre. Den Beweis für solchen Zusammenhang des Ichs mit der Freiheit finden
wir auch in der Negation beider geliefert, an dem Spinozistischen System,
das gerade den metaphysischen Bestand der Persönlichkeit zu Gunsten der
All-Einheit aufhebt.
Der Determinismus Spinozas und seine Leugnung einer eigentlichen
Individuation sind nur zwei Ausdrücke für dasselbe Denkmotiv, und dem
entspricht es nun vollkommen, dass er in der Bemühung, eine sittliche
Freiheit dennoch zu retten, sie in dem Vermögen zu solchen Taten
erblickt, die ausschliesslich durch die inneren Wesensgesetze des
Handelnden selbst (per solas ipsius naturae leges) verstanden werden
können.
Wenn ich aber so den Begriff der Freiheit nicht nach dem, was er wohl
sachlich sein möchte, sondern nach dem, worauf sich seine theoretischen
Ausgestaltungen zurückführen lassen, in einem Verhältnis zwischen dem
Ich und dem Willen sehe, so liegt es nahe einzuwenden, dass für
denjenigen, der das Ich seinerseits als determiniert annimmt, die
Willensfreiheit selbst dann vernichtet wäre, wenn vollkommene
Konformität zwischen dem Ich und dem Willen existierte, worein wir doch
eben die Freiheit setzten. (<143)
Hiergegen kann man indessen unsere Bestimmung des Freiheitsbegriffes
von verschiedenen Seiten her aufrecht erhalten. Zunächst lässt es, wie eben schon angedeutet, der konsequente
Determinismus sehr oft zu einem eigentlichen Ich gar nicht kommen.
Ihm geht der Kreislauf des Stoffes wie der Kraft durch alle Punkte des
Seins gleichmässig hindurch, ohne sich an einem einzigen zu jener Dauer
zu festigen, durch die sich das Ich von den verfliessenden Inhalten der
Einzelheiten oder von der empirischen Welt überhaupt abhebt.
Die Leugnung der Personalität fällt insofern, man möchte sagen a
priori, mit der Determiniertheit zusammen, von der Dogmatik des Buddhismus
an, für die der ruhelose Wirbel der Erscheinungen einerseits keine
Ausnahme vom Kausalgesetz, andrerseits kein Ich bestehen lässt, bis zu
Hume, bei dem sich der gleiche Zusammenhang zeigt.
Er ist absoluter Determinist in dem Sinne, dass ihm jeder menschliche
Willensakt als unbedingt berechenbar aus seinen psychischen und physischen
Antezedentien gilt; und in dieser fortwährenden Verknüpfung der
Ereignisse ist nun auch die Seele nichts als a bundle of different
perceptions in a perpetual flux and movement.
Bei einer derartig deterministischen Weltanschauung ist also die Seele
von vornherein so gedacht, dass das Wollen gar nicht aus ihr als einem
Wesen selbständiger, aktiver Natur hervorgehen kann.
Sie ist keine Substanz, die irgend etwas anderes aus sich bestimmen
könnte, also auch das Wollen nicht. Indem Herbart und seine Schule das Seelenleben in die Mechanik der
einzelnen Vorstellungen auf löst, tritt an die Stelle des Ich als eines
Wesens die Wechselwirkung von Vorstellungen, an die Stelle des Wollens als
einer Seelenkraft eine Bewegung, ein Aufstreben der Vorstellungen.
Die Mechanisierung des psychischen Geschehens findet also auch hier ihr
Korrelat in der Aufhebung des Ich, Des Sitzes der Freiheit. (<144) Dem entspricht es vollkommen, wenn dasjenige, was von dem Ich, mit
demjenigen., was von dem Wollen noch bleibt, in ein besonders enges
Verhältnis gesetzt wird.
Beide sollen sieh neben einander entwickeln, aneinander gekettet durch
die Gemeinsamkeit des ihnen zu Grunde liegenden wirklichen Geschehens,
durch die Vorstellungen, die ebenso das Ich des Wollens, wie das Wollen
des Ich bewirken.
Was Herbart bei alledem von der Freiheit noch erhalten will, lässt
dennoch die Beziehung zum Ich erkennen. Derjenige sei frei, dessen Willen seiner sittlichen Einsicht konform
sei. Diese sittliche Einsicht aber empfinde man als das eigentliche Selbst,
während die Begierden, die von äusseren Umständen erregt sind, als
Fremdes empfunden werden.
Daher trete das Gefühl der Freiheit ein, sobald das Fremde sich
zurückzieht vor demjenigen Willen, welcher der unmittelbare Ausdruck
jener Einsicht ist. Die Seele selbst als metaphysische Realität bleibt ganz aus dem Spiel.
Es handelt sich bei dem allen, das Ich eingeschlossen, um die
Verhältnisse zwischen Vorgängen an ihr.
Eine entschiedenere Gegeninstanz aber gegen die Beziehung des
Determinismus zur Aufhebung des Ich scheint Leibniz zu bilden, bei dem die
Seele viel mehr als bei Herbart den Charakter eines empirischen
Individuums, des Ich, trägt, und der den schärfsten Begriff des
Individuums doch mit einem lückenlosen Determinismus verbindet. Allein genauer angesehen, kommt er von einer anderen Seite her doch zu
dem gleichen Resultat.
Denn indem die Welt überhaupt, die physische nicht weniger als die
geistige, durch die Monadenlehre auf schlechthin individuelle Grundlagen
zurückgeführt wird, fällt jener eigentliche Begriff des Ich fort, der
diesem gerade eine Ausnahmestellung in dem Gewühl der Erscheinungen
anwies, und auf seine innere Einheit hin, die keinem anderen Wesen zukam,
die Befreiung von der naturgesetzlichen Determiniertheit beanspruchte.
(<145)
Ist diese Innerlichkeit und Abgeschlossenheit allgemeiner Charakter des
Seienden, ist jeder Bestandteil desselben sozusagen ein Ich, dessen
Schicksale sich ohne äussere Veranlassung aus seinen ursprünglichen
Spannkräften entwickeln, so ist allerdings der Begriff der Freiheit
erfüllt, aber er verliert seinen speziellen Sinn, weil eine anders
gestaltete Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen ist.
Sobald jeder Einfluss auf das Wollen, ausser dem aus dem tiefsten
Einheitspunkte des Ich quellenden, durch die metaphysischen Prinzipien
abgewehrt ist, so fehlt eben jener "Gegenwurf", der dem
Freiheitsbegriff erst seinen Sinn gibt.
Dadurch also, dass der Determinismus hier seine schärfste Gestalt
annimmt, für die die Entwicklung jedes Punktes der Welt in diesem Punkte
potentiell beschlossen liegt, derart, dass ein völlig ungetrübtes Auge
in ihm seine ganze Zukunft ablesen könnte - dadurch schneidet er die
ganze Freiheitsfrage in unserem Sinne ab.
Für diese vernichtet er das Ich gerade so wie der Spinozistische
Determinismus es tut: dieser, indem er überhaupt kein Ich, jener, indem
er überhaupt nur Ichs bestehen lässt.
Sowohl der Determinismus, der sich in der absoluten Einheit alles
Seins, wie derjenige, der sich in der absoluten Individualität jedes
Seins ausdrückt, verlöschen gleichmässig jene Differenzen unter den
möglichen Bestimmungen des Wollens, durch die erst Bejahung oder
Verneinung des eigentlichen Sinnes der Freiheit möglich ist.
Wenn wir also als Typus der Freiheitsfrage behaupteten: ob das Wollen,
obgleich formal vom Ich ausgehend, seine Richtung und Qualifikation
entweder von dem eigentlichen Ich selbst oder von ausserhalb desselben
gelegenen Mächten erhielte; wenn dem entgegen der erstere Fall doch nicht
mit der Freiheit identisch erschien, weil die Determiniertheit des Ich die
Freiheit auch dann aufhöbe, wenn dieses Ich wirklich den Willen nach sich
bestimmte; so sehen wir nun, dass der Determinismus in seinen hier
erwähnten Gestalten unseren Freiheitsbegriff deshalb nicht alteriert,
weil er einen speziellen Begriff des Ich von vornherein ausschliesst.
(<146)
Das Wollen des Menschen wird hier durch die gleichen Kräfte und
Gesetze wie alles andere Weltgeschehen bestimmt, unter Ausschaltung des
Ich als einer besonderen, über diesen anderweitigen Kräften stehenden
Instanz.
Unsere historische Vorstellung von der Unfreiheit ist also hier
erfüllt: ein Wollen, das nicht vom Ich bestimmt ist. Denn hierfür macht es offenbar keinen Unterschied, ob das Ich als ein
spezifisches, exzeptionelles Wesen zwar vorhanden ist, aber nicht die
selbständige Macht der Willensbestimmung besitzt, oder ob es von
vornherein negiert ist.
Ich führe endlich in dieser Reihe noch Beneke's Begriff der
psychologischen Freiheit an. Ihm erscheint der Mensch insoweit frei, als zu der vorliegenden
Handlung alle auf sie irgend bezüglichen Seelenenergien unverkürzt und
bewusst mitwirken. Unfrei handeln wir, sobald irgendwelche psychologischen
Beziehungspunkte der Handlung unbewusst bleiben.
Dieses deckt sich offenbar mit unserer Deutung aller menschlichen
Freiheitsbegriffe. Denn es besagt, dass die freie Handlung als solche von dem Gesamt-Ich,
soweit es Beziehung auf sie hat, getragen wird, dass es in ihr seinen
adäquaten Ausdruck findet.
Darum kann selbst die Handlung des Wahnsinnigen, sobald sie mit der
erkrankten Seelenprovinz nichts zu tun hat, und alle auf sie bezüglichen
psychischen Inhalte bewusst sind und zusammenwirken, frei heissen.
Die Nuancierung ist hier nur die, dass bei der Unfreiheit nicht sowohl
die Bestimmtheit des Handelnden durch schlechthin äussere Momente als das
blosse Fehlen innerer, zur Gesamtheit des hier in Betracht kommenden Ich
gehörender Kräfte betont wird.
Für die positive Bedeutung der Freiheit hingegen bleibt die Bestimmung
genau bestehen, dass die Verursachung der Einzelhandlung durch die
Gesamtheit der inneren, in dem Ich befassten Provinzen die Anwendung ihres
Begriffs rechtfertigt. (<147)
Aber auch da, wo das Ich sich als absolute, von der Kritik des
Seelenbegriffs nicht zersetzte Individualität darstellt, begnügen sich
die historisch vorliegenden Freiheitsbegriffe fast durchgehendes mit der
Konformität des Wollens mit dem Ich.
Wenn also statt dessen die Übereinstimmung des Wollens mit der
Vernunft als Freiheit gilt, so ist doch in diesen Fällen die Vernunft
ihrerseits das eigentliche Ich. Es widerspricht deshalb dem hier vorgetragenen Grundgedanken in keiner
Weise, wenn der Dualismus von Freiheit und Gebundenheit
philosophischerseits auch als der von Vernunft und Sinnlichkeit gedeutet
wird.
Dieses gibt aber zu folgenden Bemerkungen Veranlassung. Dass die Bestimmung des Willens durch sinnliche Eindrücke als
Unfreiheit gilt, im Gegensatz zu der durch die Vernunft, liegt offenbar
daran, dass die sinnlichen Eindrücke selbst ihre unzweideutigen und
zwingenden Ursachen in der äusseren Welt haben.
Indem sie in einer Weise hervorgerufen werden, die von allen
psychischen Verhältnissen im meisten der physischen Kausalität ähnelt,
vererben sie diese Gebundenheit natürlich auf die ganze Kette der
Verhältnisse, die, sieh aus ihnen entwickeln. Gebt eine Handlung wirklich aus der Sinnlichkeit als solcher hervor, so
ist kein Raum für eine Freiheit.
Wie eine Reihe von Taten, deren jede durch die vorhergehende
determiniert ist, dennoch als frei bezeichnet werden kann, sobald nur die
erste frei war, so ist umgekehrt jede beliebige Tat unfrei, sobald sie die
Folge eines unfreien Geschehens ist; weshalb denn auch gerade Handlungen
dieser Art mit Vorliebe auf die, Einwirkung ganz äusserer Mächte, der
Versuchung oder des Teufels geschoben werden.
Das Ich lehnt die Verantwortung für Ereignisse ab, für die es nur der
Durchgangspunkt ist, und in denen bloss physische Ereignisse sich durch
das Medium der Empfindung und des Impulses in Handlungen umsetzen, ohne
dass aus dem Ich selbst heraus andersartige, aus jenem sinnlichen Anstoss
nicht berechenbare Kräfte dieses Handeln modifizierten. (<148)
Weil die Sinnlichkeit von dein abhängt, was ausserhalb des Ich liegt,
sind die von ihr bestimmten Handlungen unfrei, wobei es freilich für die
völlige Willkürlichkeit zeugt, der die Hohlheit der artiger Begriffe und
Abstraktionen Raum gibt, dass gerade die sinnlich bestimmten Handlungen
wieder durchgehendes als egoistische, auf das Ich bezüglich bezeichnet
werden.
- In solcher Identifizierung, der sinnlich bestimmten mit den unfreien
Handlungen liegt nun die verhängnisvolle, durch die ganze Geschichte der
Sittenlehre sich hindurchziehende Verwechslung von Sinnlichkeit im
theoretischen und im praktischen Sinne.
Die naturgesetzliche Determinierung des Empfindens, auf die hin sich
die Empfindungslehre als den einzig exakten Zweig der Psychologie rühmen
darf, betrifft doch nur die Sinnlichkeit in zentripetaler Bedeutung, aber
keineswegs diejenige, die dem ihr angerechneten Handeln jenen besonderen,
von der Vernunftmässigkeit verschiedenen Charakter gibt.
Der Willensprozess, für den die sinnliche Empfindung den Endzweck, den
Abschluss des Handelns bildet, ist als solcher doch ganz unabhängig von
derjenigen Gesetzmässigkeit, die ihr selbst als psychologischem Prozesse
eigen ist.
Die Vorstellung des Sinnenvorganges, die im Bewusstsein vorangehend,
die Reihe der Handlungen aus sieh entspringen lässt, wird hier mit dem
realen Sinnesvorgange selbst verwechselt, und so die Determiniertheit, die
dieser seinen Konsequenzen einprägt, auf die Entwicklungen der
Vorstellung seiner als rein inneren Zweckes übertragen.
Wenn wir uns auch durch Sinneneindrücke unausweichlich bestimmt
fühlen, so ist es dadurch noch keineswegs präjudiziert, sondern steht
noch gänzlich dahin, ob das durch die Hoffnung und den Reiz derselben
geleitete Handeln gleichfalls den Charakter der Notwendigkeit oder den der
Freiheit trägt.
Die grundlegende Äusserung Kants, dass bei Bestimmung des Willens
durch eigene Glückseligkeit der sittliche Wert der Handlung sich ganz
gleichgültig dagegen verhielte, ob man das Glück in den Niederungen der
Sinnlichkeit oder auf den Höhen der Vernunft suche, findet hier ihre
Parallele. (<149)
Für die Frage, ob der Wille überhaupt frei oder determiniert ist, ist
offenbar die Frage von der Sinnlichkeit oder Vernunftmässigkeit seines
Inhalts ganz unabhängig. Denn die Freiheit, die ihm etwa in einem Falle zugesprochen wird, kann
doch nur bedeuten, dass er auch die Möglichkeit hatte, den anderen Inhalt
zu wählen, also die formale Qualität, die er an dem einen äussert, auch
einem anderen gegenüber besitzt.
Weiterhin wird die folgende erkenntnistheoretische Betrachtung die
Gleichsetzung des freien mit dem durch die Vernunft determinierten Wollen
in ihren tieferen Motiven beleuchten.
Der Unterschied zwischen der Erscheinung und dem Ding an sich, wie er
bei Kant auftritt, wird meist sehr missverständlich für metaphysisch
gehalten, für einen Unterschied, der dem zwischen dem Ich und dem
Nicht-Ich entspräche; beide würden durch den unausfüllbaren Abgrund des
kontradiktorischen Gegensatzes geschieden.
Die Unerkennbarkeit, richtiger Unvorstellbarkeit, des Dinges an sich
wäre eine absolute, aus seinem Begriff folgende. Diese allgemeine Auffassung des Kantischen Idealismus ist entschieden
unrichtig. Es handelt sich nicht um den Gegensatz von Vorstellung und
Nicht-Vorstellung, sondern um den zwischen empirischem und rein
intellektuellem Vorstellen.
Kant hat die Kritik der reinen Vernunft nicht geschrieben, um uns zu
belehren, dass das Nicht-Ich nicht das Ich ist, sondern um zu zeigen, dass
alle unsere Erkenntnis an Sinneseindrücke als Material gebunden ist und
dass durch reine, über die Sinneserscheinungen hinausgehende Vernunft
keine Erkenntnis einer Wirklichkeit möglich ist.
Nicht weil das Ding an sich seinem Begriff nach uns ewig ein
jenseitiges bleiben muss, ist es uns unerkennbar, sondern weil das reine
Denken kein Erkenntnismittel ist. (<150) Wäre es ein solches, hätten wir die intellektuelle statt der
sinnlichen Anschauung, so hätten wir auch Erkenntnis des Dinges an sich,
die nicht dem Denken an und für sich, sondern nur dem an die Sinne
gebundenen Denken versagt ist.
Dem Unterschiede zwischen Erscheinung und Ding an sich entspricht also
nicht der absolute Unterschied von Vorstellen und Nicht-Vorstellen,
sondern der relative zwischen Erfahrung und reinem Denken.
Unter den allgemeinen Begriff des Vorstellens gehört auch das Ding an
sich, der intelligible Gegenstand Kants, der zwar nicht erkennbar, weil
nicht sinnlich erkennbar, wohl aber überhaupt vorstellbar ist.
Ein ganz paralleler Unterschied nun besteht zwischen Freiheit und
Determiniertheit. Nicht das ist die Meinung des ernsthaften Denkers, dass zwischen beiden
ein absoluter kontradiktorischer Gegensatz bestehe, wie zwischen Zufall
schlechthin und Gebundenheit schlechthin.
Eine Bestimmung des Wollens findet vielmehr in jedem Falle statt, und
der Unterschied ist nur der relative, ob dieselbe durch sinnliche oder
durch vernunftmässige Motive erfolge. Wie in dem erkenntnistheoretischen Fall das Gegensatzpaar nur
empirisches und rein intellektuelles Vorstellen ist, das der Erscheinung
und dem Ding an sich entspricht, beides aber in das gemeinsame Gebiet des
Vorstellens überhaupt gehört, so ist hier sinnliche und intellektuelle
Bestimmung der entscheidende, der Gebundenheit und Freiheit entsprechende
Gegensatz, dessen beide Seiten aber unter den Begriff der Bestimmung
gehören.
Auf die fundamentalen Denkformen zurückgeführt, stellen sich beide
Fälle gleichmässig folgendermassen dar. Es sind Gebiete absoluten Charakters mit kontradiktorischen
Abgrenzungen gegen ihre Gegensätze gegeben: das Gebiet der Vorstellung
überhaupt im Gegensatz zu dem, was schlechthin nicht Vorstellung, nicht
Ich ist, und das Gebiet der Bestimmung überhaupt im Gegensatz zu dem
Zufall schlechthin.
Innerhalb dieser werden nun je zwei relative Gebiete gesondert, von
denen sich jedes nur durch seinen Gegensatz gegen das andere bei
gemeinsamer Umfassung durch jenes charakterisiert. (<151)
(Die Gebiete des sinnlichen Vorstellens und Bestimmtwerdens einerseits,
des intellektuellen Vorstellens und Bestimmtwerdens andrerseits.) Und nun
tritt bei oberflächlicherer Auffassung das Selbst- Missverständnis ein,
dass das relative Gegensatzpaar als korrespondierend den absoluten
Gegensätzen erscheint, von denen doch der eine für sich allein jenes
ganz umschliesst.
(Die sinnlich-empirische Erkenntnis einerseits. die reine
Vernunftvorstellung andrerseits soll der Vorstellung überhaupt und dem
Nicht-Vorstellbaren überhaupt, dem absoluten Dinge an sich entsprechen;
die sinnliche Deteminiertheit soll die Determiniertheit schlechthin, die
intellektuelle die Freiheit schlechthin sein.) In dem theoretischen Falle
beharrt wenigstens in Hinsicht des Verständnisses Kants der Irrtum noch
weiter.
Dem relativen Unterschiede zwischen empirischer und Vernunfterkenntnis
wird noch immer in Hinsicht des Objektes der absolute Unterschied von
Vorstellung und Ding an sich untergeschoben. In dem ethischen Falle ist der Irrtum
durchgehender vermieden oder
wenigstens beseitigt.
Es ist fast überall erkannt, dass es sich von vornherein gar nicht um
jene absolute Freiheit, die Zufall wäre, sondern um eine bestimmte Art
von Determiniertheit handelt, an der allerdings die Missverständlichkeit
des Namens Freiheit noch als ein Residuum jenes Irrtums haftet.
Auch da, wo die Wahlfreiheit am entschiedensten gefordert wurde, an den
Anfängen der christlichen Spekulation, zeigen manche Andeutungen doch,
dass auch hier nicht in dem Willen selbst die Freiheit lag, sondern in der
Nicht-Bestimmung desselben durch andere als die innerlichen Momente des
Ich.
Das Modell der menschlichen Freiheit war nämlich die Freiheit Gottes,
der die Welt ursachlos aus dem Nichts geschaffen hatte. Was bei dieser Freiheit negiert wird, sind also ausserhalb Gottes
gelegene Stoffe oder Kräfte, die etwa nur den Durchgangspunkt ihrer
Entwicklung in ihm hätten. (<152)
Unmittelbar und allein aus ihm entsprang die Welt, zu der keine ihm
äussere Notwendigkeit vorhanden war. Diese Freiheit nun ist es, von der ein Teilchen oder ein Analogon, den
Gnostikern zufolge, den Menschen von Gott verliehen ist.
Offenbar wird also auch hier der Inhalt der menschlichen Freiheit in
die Freiheit von etwas gesetzt, nämlich von Veranlassungen, welche
ausserhalb des Ich liegen. Das ganze Motiv, aus dem der christliche Denker die Freiheit fordert,
ist die Unmöglichkeit, aus Gott, als dem allguten Prinzip, das Böse in
der Welt herzuleiten.
Dazu bedurfte es eines weiteren, selbständigen Prinzips, das in der
Produzierung des Bösen ganz ebenso von aller äusseren Bedingtheit
unabhängig ist, wie Gott in der Produzierung des Guten.
Was dieses Prinzip, das Ich, frei erscheinen lässt, ist also die
Tatsache, dass seine Handlung ausschliesslich von ihm selbst ausgeht;
seine Wahlfreiheit bedeutet, dass, was es auch vollbringe, ob Gutes oder
Böses, die Veranlassung dazu ausschliesslich in ihm selbst gesucht werden
muss.
Die Freiheit und das Ich weisen eben unmittelbar aufeinander hin; die
Entschiedenheit, mit der das Christentum die Freiheit fordert, fällt mit
der Ausprägung des Persönlichkeitsbegriffes zusammen, die von ihm
ausging.
Umgekehrt dringt das Altertum weder zu der Tiefe des Freiheitsproblems,
noch zu der der Ichvorstellung, und ich glaube, dass beide Mängel nicht
ausser Zusammenhang standen.
Wenn meine Annahme richtig ist, dass der metaphysisch-ethische
Freiheitsbegriff nur in einer Verlegung des empirischen Freiheitsbegriffes
in die tieferen Schichten der Seele besteht, auf einer Übertragung des
Verhältnisses zwischen Wille und Handlung auf das zwischen Person und
Wille - so wird jene Vorstellung der Freiheit um so unentschiedener und
unvertiefter sein, je weniger noch der Begriff der Persönlichkeit seine
entschiedene Stellung als absoluter Träger der psychischen Relativitäten
gewonnen hat. (<153)
Auf die Abhängigkeit der Freiheit vom Ich weist aber auch ihre psychologische Umkehrung hin, die Abhängigkeit der
Ausbildung der Persönlichkeit von dem Vorhandensein der empirischen
Freiheit.
Die amerikanischen Neger sprechen noch jetzt von sich gern in der
dritten Person, häufig sogar nur mit der Bezeichnung - this nigger. Der Mangel, resp. die Kürze der Ausbildung ihrer Freiheit hat es zu
der ihrer Individualität noch nicht kommen lassen.
Und wenn die Statistik eine besondere Häufigkeit des Selbstmordes
unter Dienstboten und Soldaten aufweist, so wird man schliessen dürfen,
dass die Freiheitsbeschränkung, in der diese Stände übereinkommen,
jenes Gefühl eines speziellen Wertes der eigenen, individuellen Existenz
niederhält, das der kräftigste Schutz gegen Selbstmordgedanken ist.
- Die Verbindung zwischen lchvorstellung und Freiheit, die aus dem
angeführten Beispiel aus der Geschichte des Christentums hervorgeht, legt
auch die Vermittlung beider nahe, die der Sittlichkeitsbegriff überhaupt
vollzieht.
Wir begegnen ebenso oft der Vorstellung, dass das tiefste,
"eigentliche" Ich des Menschen das gute Prinzip sei, dass es
seine Sittlichkeit trage oder darstelle - wie der anderen, dass die
rechte, "eigentliche" Freiheit mit seiner Sittlichkeit identisch
sei.
So willkürlich, verschwommen und bloss analytisch derartige
Beziehungen zwischen höchsten Abstraktionen zu sein pflegen, - von der
einen wird nämlich durch irgend einen Zusatz, wie "eigentlich",
"recht", "wirklich" und ähnl. gerade nur das übrig
gelassen, was von vornherein mit der anderen übereinstimmt - so bringen
sie uns jedenfalls die psychologische Tatsache nahe, dass auch in dieser
Vermittlung durch den ethischen Wert hindurch die Angewiesenheit der
Freiheit auf den Ichbegriff zum Ausdruck ringt.
Der Parallelismus der an die Freiheit und der an das Ich geknüpften
Wertvorstellungen zeigt sich übrigens auch nach einer anderen Richtung.
(<154) Ich habe früher hervorgehoben, dass der Schätzung des Ich als des
Sitzes der Sittlichkeit, der lichten Höhe menschheitlicher Entwicklung
die entgegengesetzte gegenübersteht, nach der es gerade das böse, zu
überwindende Prinzip, den "dunkeln Despoten" in uns darstellt.
Die genau gleiche Doppelheit der Wertung knüpft sich an die Freiheit. Neben ihrer Identifizierung mit dem Besten und Edelsten in uns findet
sich doch auch die Vorstellung, dass sie der Sitz der Sünde und
Unvernunft ist. Giordano Bruno hält ihren Besitz für so unterwertig, dass er sie nur
dem Menschen in seiner Unvollkommenheit, Gott aber die Notwendigkeit
zuschreibt.
Und die populäre, sprachgebräuchliche Auffassung folgt dein, wenn sie unter
,Willkür" ohne weiteren Zusatz immer die böse
oder wenigstens ungerechtfertigte Willkür versteht. Durch dieses Wort, das an und für sich doch ein blosses Synonym für
Freiheit ist, hat die Doppelbeurteilung derselben sich einen Ausdruck
verschafft, der derjenigen des Ich fehlt, ohne dass der sachliche
Parallelismus der Schätzung dadurch gestört würde, der aus der Struktur
beider Begriffe hervorgeht.
Man muss immer im Auge haben, dass alle Begriffe von Freiheit, auch
wenn die Realität derselben noch so entschieden bejaht werden soll, doch
von vornherein auf ein Kompromiss mit der Determinierung gehen.
Die Bemühung zielt dahin, den Begriff von vornherein so zu gestalten,
dass seine Bejahung nicht dem sonst anerkannten Begriff von Kausalität
widerspreche. So sehr auch der direkte Ausdruck davon vermieden werden mag, handelt
es sich doch meistens darum, die Freiheit als eine besondere Art von
Kausalität zu verstehen; dass man eines Ich bedarf, in dem die Freiheit
hafte, von dem die freie Entscheidung ausgeht, ist offenbar noch ein Rest
von Kausalität.
Indem der Wille vom Ich abhängig gedacht wird, und dies als das Wesen
der Freiheit gilt, wird es vermieden, sie mit dem blossen
unverantwortbaren Zufall zusammenfallen zu lassen,. mit der Schöpfung der
Tat aus dem Nichts, die den ganzen Zweck der Annahme einer Freiheit
vereiteln würde. (<155)
Richtete sich einmal die Frage der Freiheit, die zunächst das äussere
Handeln betraf und hier durch dessen Verhalten zum Willen entschieden
wurde, nun gegen den Willen selbst, so bietet sich das Ich als nächste
Instanz dar, zunächst weil sein zwischen unmittelbarer Erfahrung und
metaphysischer Abstraktion liegender Charakter es zu der Ausnahmefunktion,
die es als Träger des freien Willens übt, besonders geeignet macht,
dann, weil in seinem Begriff zugleich diejenigen anderweitigen Momente
vereinigt sind, um derentwillen man überhaupt zu einem Freiheitsproblem
kam.
Denn das Ich ist hier, wie die Mehrzahl der metaphysischen Begriffe,
ein Lückenbüsser, der Name für eine Forderung, der den Schein einer
synthetischen Erfüllung derselben annimmt. Wenn der äussere Zwang fortfällt, so bleibt noch der Wille übrig,
der die Handlung bestimmt und in Bezug auf diese also frei ist.
Nun soll bei der inneren Freiheit entsprechend der innere Zwang
fortfallen, der den Menschen zu einem von Vorstellungen getriebenen
Automaten machte.
Dabei aber bleibt nichts übrig, was diese Freiheit nun ebenso trüge, wie in jenem äusserlichen Fall das Wollen es tut; und das Ich, - oder
die Vernunft oder wie man sonst den Träger der Freiheit nennt, - ist
nichts als ein x, das man an diese leere Stelle setzt, die Folge davon und
die Bezeichnung dafür., dass hier ein positives Etwas gefordert wird,
aber ebenso nur die Hypostase dieser Forderung wie das Ding in sich es
für die Forderung einer Ursache unserer Vorstellungen ist.
Wie Metaphysik überhaupt entsteht, indem man ein am Empirischen und
Relativen geltendes Verhältnis entweder ganz oder mit einem Gliede auf
das Absolute überträgt, auf dasjenige, was das ganze Gebiet des Relativen einschliesst: so ist
auch hier das empirische Verhältnis zwischen dein Handeln und Wollen auf
die Beziehung zwischen dein empirischen Wollen und dem metaphysischen Ich
übertragen. (<156)
Die wechselnde Angemessenheit jener beiden ersten zu einander, die wir
als Freiheit oder Unfreiheit bezeichnen, erscheint hier als Freiheit des
Ich, sich im Wollen auszudrücken bez. als Bestimmtheit dieses letzteren durch ihm äussere Mächte.
Die theoretischen und metaphysischen Bedürfnisse, die hierzu führten,
sind dieselben, die hinter dem Vorstellen eine Seele, ein Subjekt und
hinter dem Geschehen eine Kraft fordern.
Nachdem der Kausaltrieb erst einmal als den Träger der
Willenserscheinungen ein Ich hypostasiert hat, wird durch die Divergenz
der letzteren, durch ihre scheinbare Ungleichmässigkeit bei gleichen
äusseren Umständen eine Kraft gefordert., deren Wesen eben die
Verschiedenartigkeit der Äusserungen bei Gleichartigkeit der Reize
bildet.
Und wie die empirische Freiheit darin besteht, dass bei gleichen
physischen, politischen, ökonomischen etc. Umständen der Einzelne die Kraft hat, seinen Willen durchzusetzen, mag
dieser nun diesen bestimmten oder den entgegengesetzten Inhalt haben, so
wird in das Ich die Kraft hineinverlegt, unter ganz gleichen Umständen so
oder ganz entgegengesetzt zu wollen.
Die Vorstellung, dass hinter dem Willen ein Ich steht, welches ihn
dirigiert, fällt ganz unter die Tendenz, die jene alte Beobachtung
ausspricht, dass wir die Vorgänge in der Seele nur nach Analogie mit
äusserlich sinnlichen Bewegungen vorstellen.
Man denkt sich dabei den Willen oder das Bewusstsein gleichsam als ein
Instrument, das man auf ein Objekt richtet, wie eine Schusswaffe auf ein
Ziel. Das Verhältnis, das zwischen dem Bewusstsein und seinem äusseren
Objekte besteht, wird in das Innere der Seele transponiert.
Wie wir sehen, dass gewisse Veränderungen in der Aussenwelt daraufhin
eintreten, dass in unserem Bewusstsein gewisse Bewegungen vor sich gehen,
so schieben wir nun diese psychischen Bewegungen selbst auf ein
tiefergelegenes Subjekt, das mit dem Bewusstsein so schaltet, wie dieses
mit seinen Objekten. (<157)
Es wiederholt sich dabei jene einfache Übertragung des körperhaften
auf den seelischen Vorgang gleichsam auf einer anderen Stufe, das
Psychische wird nicht nach Analogie des rein Physischen gedacht - wie wenn
wir von Verbindung und Trennung der Vorstellungen, ihrem Gleichgewicht
oder Übergewicht, ja von Vorstellungen überhaupt sprechen, - sondern
nach Analogie eines schon zwischen Psychischem und Physischem spielenden
Vorganges.
Dieses analogisierende Verfahren muss jener abgeschwächten Kausalität
günstig sein, in der der philosophische Freiheitsbegriff besteht.
Mag man nun die Genesis des Freiheitsbegriffes aus der Analogie mit der
empirischen Freiheit überall herauserkennen können oder nicht,
jedenfalls veranlasst sie die Moralwissenschaft, die die Freiheit
zunächst psychologisch als Glaubensvorstellung untersucht, vor Allem
jenem empirischen Freiheitsbegriff näherzutreten, der nicht die Freiheit
des Willens, sondern die Freiheit des Tuns zum Inhalte hat, wie überhaupt
wohl die Einzelheiten dieser empirischen Bedeutung der Freiheit ein sehr
viel reicheres und fruchtbareres Gebiet für die Moralwissenschaft bilden,
als die metaphysische Frage nach der Freiheit des Willens selbst, vor der
jene bis jetzt sehr zu kurz gekommen sind.
Wir finden dabei zuerst, dass die Doppelbedeutung der sittlichen
Freiheit als absolutes liberum arbitrium indifferentiae und als Bestimmung
durch das Ich, durch das Gute, durch die Vernunft ihr Gegenbild auch im
Äusserlichen findet.
Der Freiheitsbegriff des anarchistischen Individualismus besteht in der
blossen Losgebundenheit von Einflüssen und Bestimmungen seitens einzelner
oder kollektiver Kräfte, er ist die rein negative Seite der Freiheit. Denn seine konsequente Ausgestaltung lehnt auch gerade jene innere
Konsequenz ab, die - nicht von mechanischem Zwang, sondern von ideellen,
dem Geiste selbst immanenten Normen ausgeht.
Die Inhaltslosigkeit dieses Freiheitsbegriffes dokumentiert oder rächt
sich, indem er nicht bei ich stehen bleibt, sondern eigentlich von
vornherein zwei psychologische Ergänzungen in sich aufzunehmen pflegt.
(<158)
Er tritt, erstens, nur selten als reine Unabhängigkeit in dem Sinne
auf, dass alle äussere Zumutung und Verlockung einer Bindung als ein
völlig Gleichgültiges abglitte.
Solche Gleichgültigkeit würde sich darin zeigen müssen., dass jene
Insinuationen und Verpflichtungen ein rein zufälliges Verhältnis zu dem
individuellen Belieben haben und ihm gelegentlich ebenso gut parallel wie
entgegengesetzt gerichtet sein können.
Statt dieser absoluten, nur in sich selbst ruhenden Freiheit begegnen
wir vielmehr in diesem Falle meistens einer positiven Opposition gegen
äussere Ansprüche, einem Kampfe gegen sie, statt einer Unberührtheit
durch sie.
Die absolute anarchische Freiheit wird in der Regel nicht gewahrt durch
Gleichgültigkeit, die sich in dem wechselnden Verhalten zu den Normen
ausspräche, sondern durch ein Verhalten durchgehender Abwehr ihrer - und
nicht nur Abwehr, sondern versuchten Niederkämpfens, - das also doch
wieder Determinierung durch sie ist, wenn auch eine solche mit negativem
Vorzeichen.
Hiermit nähert sich dieser Freiheitsbegriff gerade jener Bestimmung,
die sich mit der philosophischen Freiheit, mit der Konformität des
Wollens mit dem Ich oder einem Ideal zu verbinden pflegt: dass Freiheit
eigentlich nur Befreiung wäre, ein unendlicher Prozess, und dass wir
nicht sowohl frei sind, als frei werden.
Hiervon aber auch abgesehen, stellt sich nun, zweitens, die absolute
Freiheit im empirischen Sinne meistens nicht sowohl als Mangel jeder
Determinierung überhaupt, sondern nur jeder bestimmt gerichteten und
konsequenten Determinierung heraus, wodurch sie dann gerade jeder
Zufälligkeit äusserer Anstösse, jeder momentanen Situation und ihren
Reizen um so widerstandsloser hingegeben ist; und diese Hingebung an den
Augenblick, ja gerade die Willigkeit, der äusserlichsten, ephemersten
Lockung zu folgen, pflegt diese Freiheitstendenz mit einem gewissen Trotz
zu betonen. (<159)
Hier wird eigentlich nur jene Bindung negiert, die alle Folgehandlungen
in einer bestimmten Richtung festhalten will, nachdem eine primäre
Handlung einmal einen bestimmten Charakter getragen hat.
Der Anspruch solcher inneren Folgerichtigkeit pflegt, wo er überhaupt
vorhanden ist, um so stärker aufzutreten, je freier die Wahl des ersten
Schrittes war; wenn nun dem gegenüber das Recht der Laune verteidigt
wird, wenn der Wille sich in jedem Augenblick dem Wechsel äusserer Reize
gemäss entwickelt, ohne seine späteren Momente irgendwie von seinen
eigenen früheren abhängig zu machen, so ist dies allerdings die
schärfste empirische Opposition gegen jenen metaphysischen
Freiheitsbegriff, der die Freiheit auf das Ich gründet.
Denn das Ich findet sein Fundament ebenso wie seinen Ausdruck in dem
Zusammenhänge und der Konsequenz seiner einzelnen Inhalte, ja die
qualitative Einheitlichkeit seiner Akte gibt überhaupt erst das Recht,
von einem Ich zu sprechen.
Charakterisiert sich hier die Freiheit, als Willkür anarchischer
Laune, durch eine Hingebung des stetigen, an die eigenen Konsequenzen
gebundenen Ich an die bunte Divergenz äusserer Einflüsse und Lockungen,
so zeigt eine andere Betonung der gleichen Elemente, wieso gerade die
Abwehr solcher Reizungen und äusserer Zufälligkeiten den Begriff der
Freiheit erfüllt.
Der Lauf der Natur - in den wir auch die primären, unmittelbar an das
Physische geknüpften Willensimpulse einreihen - folgt einer
Gesetzmässigkeit, die die geradlinige Konsequenz unserer Ideen, die
innerlichen Zusammenhänge unseres Sollens fortwährend durchkreuzt, sie
in den mannigfaltigsten Winkeln schneidet.
Indem wir nun aber an diese Natur ursprünglich gebunden sind und sie,
in ihrer Gleichgültigkeit gegen unsere Ideen, die Entwicklung biegt und
bricht, die vom individuellen und idealen Standpunkt aus normal und
notwendig erscheint, stellt sieh die Befreiung von ihr als Bestimmtheit
nach Normen der Vernunft dar. (<160)
Die gerade, zwecksichere Tendenz, die diese statt der Zickzacklinie
momentaner Verflechtungen und Reizungen innehält, fällt mit der
Befreiung von der ursprünglichen Bindung durch das bloss Natürliche
zusammen.
Die Vielheit und Zerfahrenheit der Natur lässt so einerseits die
ideelle Einheit und Ordnung des Lebens als Freiheit erscheinen, während
sie selbst andrerseits, wie wir vorher gesehen hatten, gerade gegenüber
solcher teleologischen Bindung und Bestimmtheit das Bild der Freiheit
darbietet.
Der Grund dieser Willkürlichkeit in der Aufteilung der Lebensgebiete
an die Freiheit und die Gebundenheit liegt darin, dass die Natur und die
menschliche, normative Idee gegeneinander zufällig sind, dass der innere
charakterisierende Zusammenhang der einen den der anderen in keiner Weise
präjudiziert und keine irgend berechenbare Funktion seiner bildet.
Die Folge davon ist, da nun einmal diese beiden Kategorien in der
Betrachtung des Lebens gleichzeitig zu Worte kommen, dass man nur die
innere Konsequenz je einer zu betonen und zum Massstab zu machen braucht,
um die andere zufällig und gewissermassen bedeutungslos zu finden, so
dass es als die eigentliche Freiheit geschätzt wird, wenn man sich der
Macht entzieht, die sie über uns ausüben will.
Es ist indes verständlich, dass die philosophische Vorstellung von der
Freiheit sich fast ausschliesslich für die eine Möglichkeit entscheidet
und die Anarchie der Laune und des absoluten liberum arbitrium als
Unfreiheit zu bezeichnen liebt: denn diese zerstört den Begriff des Ich,
der sich auf die konsequente einheitliche Richtung der Willensäusserung
aufbaut und seinerseits das Fundament jenes Freiheitsbegriffes bildet.
Und der tiefere psychologische Grund dieser Parteikombination und der
Bindung der Freiheit an die Ichvorstellung enthüllt sich uns durch die
auf das vorhin Gesagte zurückblickende Erwägung, dass die Atomisierung
des Ich, die Auflösung seiner inneren Zusammenhänge durch eine um so
grössere Abhängigkeit von den rein äusseren Reizungen und Bedingungen
ergänzt wird. (<161)
Mit diesem Gedanken ist man von statistischer Seite dem Bedenken
entgegengetreten, dass die von der Statistik angenommene Regelmässigkeit
und Berechenbarkeit der Willenshandlungen die Negation der menschlichen
Freiheit bedeutete.
Quételet behauptet, dass gerade die Freiheit des Willens es sei, die
unsere Handlungen stetig und gleichmässig gestalte, während die
natürlichen Impulse, Leidenschaften und Eindrücke denselben den
buntesten, unregelmässigsten, zufälligsten Charakter zu verleihen
strebten.
In welcher Lage der Weise sich auch befinden möge, er entferne sich
nur wenig von dem mittleren Zustande, auf den er glaubt sich beschränken
zu müssen. Nur bei den Menschen, welche dem Strom ihrer Leidenschaften sich ganz
überlassen, findet man jene unvermittelten Übergänge, die treuen
Reflexe aller äusseren Ursachen, welche auf sie einwirken.
So begünstige also der freie Wille den regelmässigen Ablauf der
gesellschaftlichen Ereignisse statt ihn zu hemmen. Ein Volk, welches nur aus Weisen bestände, würde jährlich die
konstanteste Wiederkehr derselben Tatsachen zeigen.
Daher erkläre sich, dass die unter dem Einfluss des freien Willens
stehenden gesellschaftlichen Erscheinungen von Jahr zu Jahr mit grösserer
Regelmässigkeit vor sich gehen, als die lediglich von materiellen
Ursachen abhängigen.
Diese Deduktion mag angreifbar genug sein, vor allem, weil sie die als
regelmässig festgestellten Handlungen als Produkte der Vernunft und
Selbstbeherrschung darstellt, während die Statistik doch gerade die
Beständigkeit und Regelmässigkeit in den durch moralische
Unzulänglichkeit und Unvernunft hervorgerufenen Handlungen vor Augen
führt.
Allein sie bringt doch den Gedanken zum Ausdruck, dass es angesichts
der unendlichen Mannigfaltigkeit natürlicher Reizungen eines über ihnen
stehenden Willens bedürfe, dessen eingreifende Korrekturen allein einen
einheitlichen Zusammenhalt, ein planmässiges Fortschreiten der Handlungen
erzielen könnten; das Ich zerflattert in dem Masse, in dem diese
Umbiegungen und Einlenkungen der primären Impulse und Neigungen
ausbleiben. (<162)
Von diesen und der Prinzipienlosigkeit ihrer Einflüsse muss der Wille
frei sein, damit die zusammenhängende Bedeutung seiner Inhalte ein Ich
bilde. Und umgekehrt, je weniger eine solche innere Bindung, sozusagen ein
konsistenter Aggregatzustand der psychischen Inhalte statt hat, desto
leichter werden von aussen einströmende Reize über uns Herr.
Je unmittelbarer Jemand dem Augenblick lebt, je "freier" von
dem Zwänge innerlicher Konsequenzen, desto leichter gibt er sich dem
zufälligen Eindruck gefangen, desto geringeren Widerstand vermag er den
äusseren sinnlichen Mächten entgegenzusetzen.
Von Seiten der empirischen Freiheit zeigt sich dies in dem häufigen
Zusammenhang zwischen Anarchie und Despotismus. Je unbedingter das Handeln dem Willen folgen kann, je weniger äussere
Norm und Schranken jeden auftauchenden Impuls regulieren, desto
unbedingter und haltloser gibt sich die Persönlichkeit auch dem Einfluss
und der Direktive neu auftretender Gewalten hin.
Und zwar findet diese Korrelation nicht nur so statt, dass Freiheit und
Despotismus sich zeitlich ablösen, sondern beide bestehen nebeneinander. Der Despotismus findet oft sein Korrelat und sogar seine Unterstützung
in der vollkommensten Freiheit, ja selbst Zügellosigkeit der ihm nicht
wichtigen Beziehungen der Persönlichkeiten; die Despotien der
italienischen Renaissancezeit liefern dafür häufige Beispiele.
Wie die Menschen nun einmal beschaffen sind, setzt das innere liberum
arbitrium indifferentiae an Stelle der konsequenten, im Ich
kristallisierten Bindungen nur den Zufall wechselnden Bestimmtwerdens,
während die entsprechende äussere Form der Freiheit, bei der die
äusseren Verhältnisse ein unmittelbares Umsetzen des Willens in
Handlungen gestatten, ganz ebenso der um so entschiedeneren Fesselung des
Handelns durch Gewalten, die jenseits des eigenen Willens stehen, Tür und
Tor öffnet. (<163)
Es ist dabei natürlich im Auge zu behalten, dass jener äussere Zwang,
der das Handeln von dem Wollen abbiegt, immerhin auch nur auf den Willen
wirkt, und dass, wenn Jemand anders handeln muss, als er will, dies nur
bedeutet, dass die persönliche Neigung, der mit dem innersten Ich
konforme Wille vergewaltigt wird.
Schliesslich muss doch auch das verabscheuteste, erzwungenste Handeln
gewollt werden, sonst würde es nicht geschehen (vgl. Bd. 1, 8. 56).
Aller Unterschied zwischen Wollen und Handeln, auf den sich der
empirische Freiheitsbegriff gründet, ist doch nur ein Unterschied
zwischen zwei Willensarten: dem eigentlichen persönlichen, aus der
Majorität unserer Strebungen hervorgehenden, dessen Erfüllung unser
ganzes Ich befriedigt, und demjenigen, den äussere Verhältnisse
provozieren, weil sein Inhalt das Mittel zu irgend welchen unvermeidlichen
Zwecken bildet und dessen Erfüllung deshalb uns, d.h. die innerlicheren
und wertvolleren unserer Wollungen nicht befriedigt.
Wenn wir tun, was wir nicht wollen, weil uns die Freiheit fehlt, zu
tun, was wir wollen, so bedeutet dies, aus dein ungenauen populären
Ausdruck auf die realen Elemente zurückgeführt, das folgende.
Es sind gewisse Ziele gegeben, die wir unbedingt erreichen, oder häufiger, gewisse Zustände, die wir unbedingt vermeiden wollen.
Durch äussere Mächte, d.h. solche, über die unser Wille keine Macht
hat, ist irgendwelches Tun zur unumgänglichen Bedingung dieses Erreichens
bez. Vermeidens gemacht.
Jenes Tun aber hat ausser dem gewünschten Zweck noch Nebenerfolge,
welche uns dasselbe unerwünscht oder schmerzlich machen, und es in
Widerstreit mit wesentlichen und positiven Zielen und mit demjenigen
setzen, was wir als das eigentliche, fundamentale Wollen unseres Ich
empfinden.
Insoweit also wollen wir dieses Tun nicht, das wir schliesslich doch
wollen. (<164) Fielen jene äusseren Umstände fort, die dieses Handeln einem Teil
unserer Willensenergien aufdrängen, so würde unser Handeln sich in
anderer Richtung entfalten, und zwar gemäss den nun aus dem latenten in
den "freien" Zustand tretenden anderweitigen Tendenzen.
Freiheit und Unfreiheit sind also beides Willensverhältnisse, und der
Unterschied zwischen ihnen kann nur als ein solcher des Quantums oder auch
des Wertes gedeutet werden.
Nehmen wir die seltenen Fälle eines unmittelbar körperlichen Zwanges
bez. mechanischer Hinderung aus - sie sind tatsächlich seltener als man
glaubt, weil viele so bezeichnete Fälle sich bei genauerem Hinsehen doch
als solche psychischen Zwanges zeigen -, so bedeutet Unfreiheit, dass die
Handlung, oder Unterlassung die wir jetzt allerdings tatsächlich wollen,
weil sie ein gewolltes Ziel realisiert, zugleich den meisten oder den
wertvollsten Strebungen unseres Ich widerstreitet.
Freiheit dagegen findet statt, wenn keine äusseren Umstände da sind,
welche ein gewolltes Ziel durch ein derartiges Tun bedingt sein lassen,
und wenn infolgedessen das wirklich eintretende Tun nicht nur dieses Ziel
eines partikularen Wollens mit Unterdrückung alles übrigen realisiert,
sondern das für uns hauptsächliche oder wertvolle Wollen für sich
allein das Handeln aus sich hervorgehen lässt.
Die populäre Vorstellungsweise hat allenthalben die Neigung,
diejenigen Züge der Dinge, die bei gemeinsamer Grundlage ihre
Unterscheidung bewirken, als ihre alleinigen und deshalb trennenden
Qualitäten aufzufassen.
So vernachlässigt sie bei der Unfreiheit das Moment des Wollens, das
in ihr steckt und ihr das gleiche positive Fundament wie der Freiheit
verleiht. Es spricht für die Vermutung von der Genesis der sittlichen
Freiheitsidee aus der äusseren Freiheit, dass an jener der dem eben
erwähnten parallele Fehler begangen wird.
Wenn man die Freiheit in der Selbstbestimmung gegenüber der
Heteronomie sucht, so vergisst man meistens, dass jene fremden, durch
Autorität, Furcht, Sinnlichkeit uns gegebenen Direktiven doch auch nur
durch Aufnahme in das Ich zu Willensbestimmungen werden. (<165)
Wie wir nur unsere eigenen Gedanken denken, so wollen wir schliesslich
auch nur unsere eigenen Wollungen; was freilich den Inhalt des Gewollten
so wenig wie den des Gedachten alteriert.
Ob die Bestimmung des -Willens also ausschliesslich vom eigenen Ich
oder auch von fremden Ichs ausgeht, ist nur ein Unterschied des Grades
oder des Wertes: in jenen Fällen ist nur ein umfassenderer Teil der
Gesamtpersönlichkeit, ein tiefer in ihre Wurzeln hineinreichender, beim
Entschluss beteiligt, in diesen lässt die Nachweisbarkeit seiner Quellen
auch die psychischen Momente, die ihn tragen, als einen bloss endlichen
Teil der Person überhaupt erkennen, - dem gegenüber jenes Ich der
sittlichen Freiheit oder Autonomie gerade durch die empirische
Unbegründbarkeit seiner Entscheidungen als ein unergründliches, mit
endlichen Bestimmungen nicht zu erschöpfendes erscheint.
Daraus, dass die Unfreiheit auch einen Willen bedeutet, aber
denjenigen, der nur eine Minorität von Wollungen repräsentiert,
verstehen wir nun weiter - und damit lenken wir wieder in die
Erörterungen des vorletzten Absatzes ein - wieso man die absolute
Freiheit, die in der Luft schwebende Indifferenz so häufig gerade als
Unfreiheit bezeichnet hat.
Denn diese Freiheit, die nicht einmal Autonomie, sondern nur Zufall
ist, befriedigt keine irgend umfassenderen Strebungen; indem sie das
einzelne Wollen von seinen historischen Zusammenhängen löst, stellt sie
dasselbe ganz auf sich selbst und macht es zu einem reinen Zufall, ob noch
sonstige Inhalte des Ich, ob irgend ausgedehntere Willenskreise in ihm
repräsentiert sind.
Sie mündet also gerade an demselben Resultat wie die Unfreiheit, bei
der es auch - entweder unmittelbar oder durch den Abzug des
Widerstrebenden, positiv Nichtgewollten von dem erreichten Ziele - nur zur
Befriedigung eines Bruchteils vom Wollen kommt. (<166)
Andrerseits wird aus dem gleichen Grundgedanken klar, wieso man die
gültige sittliche Freiheit in eine Übereinstimmung des Wollens mit
objektiven Gesetzen, Ideen oder Idealen erblicken konnte.
Denn in demjenigen, was uns als objektive Norm erscheint, ist eine
grösste Zahl von Willensakten verdichtet, und durch ihre Erfüllung ist,
wenn auch nicht der individuelle, so doch der soziale Wille maximal
befriedigt.
Die Divergenz, die zwischen den beiden letzteren bestehen mag, findet
in diesen Theorien keinen Ausdruck, sei es weil für die hier
festzustellenden allgemeinen Begriffe die individuellen Differenzen
verschwinden und nur das allen Gemeinsame, das sachliche oder soziale
Interesse als Willenseinheit erscheint, sei es, weil die wahrste und gründlichste Befriedigung auch der Strebungen des
Ich nur auf Grund ihrer Übereinstimmung mit den sozialen, logischen oder
metaphysischen Forderungen erzielt würde.
Indem wir das Wesen der Freiheit für jetzt im Gegensatz zum Zufall wie
zur Unfreiheit in die Realisierung der Majorität der Wollungen setzten,
erscheinen es nur als zwei von verschiedenen Seiten aufgenommene Ansichten
eben dieses Grundgedankens, wenn die Freiheit einerseits als
Übereinstimmung des Wollens mit dem eigenen Ich, als Autonomie,
andrerseits als Übereinstimmung mit den objektiven Normen oder Ideen
bezeichnet wird.
Und indem beides gleichmässig von jener Wurzel abzweigt, bringt es
wieder die Korrelation zwischen der Vertiefung der Individualität und der
Verbreiterung des Allgemeinheitsprinzips zum Vorschein, die uns schon oft
entgegengetreten ist.
Die Korrelation zwischen dem Ich und den objektiven Normen, die in
ihrer beiderseitigen Beziehung zum Freiheitsbegriff zum Ausdruck kommt,
motiviert sieh vielleicht noch tiefer durch folgende Überlegung.
Nach dein allgemein gültigen Begriff von Freiheit wird sie dadurch
aufgehoben, dass eine einzelne Vorstellung, eine Leidenschaft oder
einseitige Blendung unbedingte Herrschaft über das Seelenleben gewinnt.
(167)
Wen eine einzige Vorstellung so erfüllt, dass sein Bewusstsein keinen
Raum mehr für eine abweichende hat, dem fehlt das Material der Freiheit,
die Mehrheit der vor dem Geiste stehenden, seiner Wahl anheim gegebenen
Möglichkeiten.
Dies kann man sicher so bezeichnen, dass der Wille nicht vom Ich
geleitet werde, denn das Ich besteht doch in der Synthese verschiedener
Vorstellungen, es verneint die Isolierung des einzelnen psychischen
Inhaltes und wächst mit der Mannigfaltigkeit derselben, die sich in den
objektiven Normen maximisiert.
Weiterhin aber scheint die Aufhebung der Freiheit, die aus der
Herrschaft einer Vorstellung über das Bewusstsein folgt, logisch zu
ergeben, dass unsere Freiheit überhaupt nie eine vollkommene sein kann;
denn in irgend einem Masse dominiert doch immer eine Vorstellung in dem
Verlauf des Seelenlebens, immer hat irgend eine Tendenz die Kraft, andere
ebenfalls mögliche aus dem Bewusstsein zu verdrängen.
Von hier aus ist es verständlich, wie man die Ataraxie, entweder als
Gleichgewicht der Vorstellungen, oder als Entleerung von allen bestimmten
Vorstellungen, zum Freiheitsideal machen konnte.
Denn in dem Augenblick, wo eine dynamische Ungleichheit zwischen den
Vorstellungen eintritt, sieht das Ich sich nicht mehr einer Reihe von
Möglichkeiten gegenüber, zwischen denen es mit überall gleicher
Bestimmungsfreiheit entschiede, sondern es wird seinerseits durch die
herrschende Vorstellung bestimmt, weil nun die Möglichkeiten seines
Handelns ihm nicht mehr mit gleicher Betonung und in gleicher Distanz
gegenüberstehen, sondern es in der Wahl zwischen ihnen und damit in
seiner eigenen Entwicklung präjudiziert ist.
Will man nun nicht durch diese Besorgnis, vor dem Überwiegen einzelner
Vorstellungen das eigentliche Ich und die Freiheit zu verlieren, sich zu
dem Ideal des Quietismus und der Indifferenz treiben lassen, so scheint
als Bedeutung der Freiheit nur jene Verfassung inneren Gleichgewichts
übrig zu bleiben, bei der jede Vorstellung genau so viel praktischen
Einfluss gewinnt, wie ihrem objektiven Inhalt und Wert angemessen ist.
(<168)
Allerdings wird die schliessliche Beherrschung der Seele durch eine
Vorstellung unter Zurückdrängung anderer auch hierdurch nicht
aufgehoben; allein für ihr Inneres an und für sich wird so doch das
bloss psychologische Übergewicht irgend einer Vorstellung ausgeschlossen.
Das Ich erscheint in sich frei und unabhängig, wenn und weil seine
Entscheidungen genau nach dem logischen und sachlichen Gewicht seiner
Objekte getroffen werden -- wie eine Waage nur dann richtiges Gewicht
zeigt, wenn sich ihre Schalen an und für sich im absoluten Äquilibrium
befinden.
Die Vergewaltigung des Seelenlebens durch eine psychologisch
überwiegende, alle anderen verdunkelnde Vorstellung hat also den
zweiseitigen Gegensatz: das eigentliche Ich, das in der Vielheit,
Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung der Vorstellungen besteht, und die
objektive Bedeutung derselben nach idealen Massstäben, die zwar auch nur
vermöge psychologischer Kräfte wirksam wird, aber inhaltlich doch
jenseits derselben und über ihnen steht.
Indem die Abweisung jenes einseitigen Zustandes zugleich als Freiheit
empfunden wird, haben wir in dieser also den Punkt, von dem aus gesehen
das Ich und die objektiven Normen gewissermassen in derselben Ebene
liegen; oder anders ausgedrückt: die Freiheit als innere Unabhängigkeit
von einseitig dominierenden Vorstellungen wird gleichmässig von dem
getragen, was wir das Ich nennen, der umfassenden Allheit der
Seeleninhalte, wie von dem Gehorsam gegen die objektiven Massstäbe,
dessen Voraussetzung eben jenes Gleichgewicht der Seele ist, das jeder
Forderung genau im Verhältnis ihrer Bedeutung nachgibt.
Die gleiche Vorstellung von Freiheit und Unfreiheit leitet uns zu jener
empirischen Freiheit, die zur Anarchie in dem Verhältnis steht, wie die
philosophische Freiheit der Autonomie zu dem Zufall des absoluten liberum
arbitrium. (<169)
Freiheit, so hatten wir schon früher gesehen, muss Freiheit von etwas
sein. Und zwar sind es immer nur ganz bestimmte einzelne Bindungen, deren
Abwesenheit wir meinen, wenn wir jemanden frei nennen.
Ein freier Mann ist ein solcher, der etwa nicht durch Amts- oder
Familienbande gefesselt ist, sondern seinen Neigungen folgen kann, aber
keineswegs ist damit gesagt, dass er nicht durch die Naturgesetze und
bürgerlichen Gesetze gebunden wäre;
ein freier Bürger ist ein Bürger, der nicht unter einem Tyrannen
steht - aber er kann dabei etwa unter einer Konstitutionellen Regierung
oder unter dem self-government stehen; man bat sogar gesagt: politisch
frei sein heisse politisch gebunden sein.
Wenn wir eine bestimmt qualifizierte Persönlichkeit - einen Bürger,
einen Forscher, aber auch einen Bauer, einen Arbeiter - frei nennen, so
schliessen wir damit diejenigen Fesselungen aus, die diesen Ständen
besonders gewöhnt oder gefährlich sind, und wenn wir den Ausdruck von
einem Menschen überhaupt brauchen, so soll auch damit nicht die
unbedingte Nachgiebigkeit der äusseren Bedingungen gegen jeden nur
möglichen Willensakt, sondern die Ungebundenheit gegenüber sonst
durchgängigen, aber doch immer endlichen, angebbaren Mächten ausgesagt
sein.
Jede empirische Freiheit des Handelns lässt also, weil sie nur eine
endliche Zahl von Bindungen negiert, eine andere endliche Zahl solcher
bestehen, ja gerade der 'Weiterbestand dieser gibt jenen spezifischen
Freiheiten erst Sinn und Möglichkeit.
Die Freiheit des Bürgers als solchen würde gar keine Bedeutung haben,
wenn nicht neben ihr Bindungen beständen, die das Individuum überhaupt
zum Bürger machen und auf die seine Freiheiten direkt hinweisen.
Die politische Maxime: wo eine Freiheit ist, da ist auch eine Steuer,
ist der Ausdruck dieses Verhältnisses. Nach andrer Seite findet dasselbe ein Beispiel und Symbol im
Sklavenrecht. (<170)
Wo Gesetz oder Herkommen ein Verhalten gegen den Sklaven ausdrücklich
gestatten, und wenn es das grausamste wäre, da liegt doch immerhin schon
eine Begrenzung der Freiheit dem Sklaven gegenüber vor, im Vergleich mit
dem Zustand, da überhaupt nichts über ihn ausgemacht war.
Denn wenn nichts ihm gegenüber erlaubt ist, so ist auch nichts
verboten. Selbst bei völligem Mangel jeder ausgesprochenen Verpflichtung gegen
ihn ist doch durch das ausgesprochene Recht über ihn das darüber
hinausgehende Verhalten stillschweigend untersagt und die Freiheit des
Herrn begrenzt.
Derselbe Akt, der die Freiheit erteilt, setzt ihr auch die Schranke,
beide entstehen als Komplementärbegriffe. Erst indem sich das Recht von einer Pflicht, die Freiheit von einem
Zwänge abhebt, erhält sie ihren Charakter.
Es ist ein ganz verwandter Gedanke, wenn man betont hat, dass es vor
dem Bestehen eines Rechtszustandes auch keine Willkür gegeben habe. Solange noch keine staatliche Norm Herrscher und Untertan gegeneinander
verpflichtete, empfände dieser die brutalste Behandlung nicht sowohl als
Willkür, denn vielmehr als Tatsache der Macht, gerade wie wir die
Beschädigung durch Blitz oder Hagel nicht als Willkür, sondern als Folge
einer Kraft empfinden, die jenseits von Willkür und Rechtsgesetz steht.
Nur wo schon ein Rechtsbewusstsein vorhanden wäre, würde Willkür als
solche gefühlt. Dies ist also nur eine andere Wendung unserer Vorstellung, dass
Freiheit nur da vorhanden ist, wo zugleich Bindung gegeben ist.
Jede Freiheit des Handelns erhält ihren qualitativen Inhalt nur durch
die neben und hinter ihr bestehenden Bestimmungen, d. h. Unfreiheiten; man
ist nicht frei schlechthin, sondern als Bürger, als Denker, als Arbeiter,
in individuellen Verhältnissen usw. -, in jedem Falle also sind Bindungen
gegeben, in Bezug auf welche der bloss negative Begriff der Freiheit erst
irgend eine positive Richtung, einen bestimmten Zweck und Sinn erhalten
kann. (<171)
Wenn nun dieser Begriff der bloss empirischen Freiheit des
Verhältnisses zwischen Wille und äusserlichem Handeln um eine Stufe
vertieft wurde, so musste sich daraus die philosophische Freiheit ergeben,
die gleichfalls die Anwendung des Freiheitsbegriffes davon abhängig
macht, dass innere Regeln vorhanden sind, denen man gehorche, und die die
Realisierung dieses Begriffes darein setzt, dass man diesen Normen auch
rein nachkomme, ohne durch einen Zwang davon abgebogen zu sein.
Der Begriff der Autonomie schon verrät es, dass sie nichts ist, als
ein auf das Innere übertragenes Abbild jener durch Bindung
charakterisierten Freiheit, als welche sich alle empirische, äusserliche
Freiheit des Handelns bei näherem Zusehen enthüllt.
Zu der Korrelation zwischen Freiheit und Gebundenheit im Empirischen
führe ich im Folgenden noch eine oben berührte Tatsache aus. Die Opposition gegen die Formen der Gesellschaft, wie der Zynismus sie
übt, führt in der Regel nicht einmal für das Individuum zu derjenigen
Freiheit, die es dabei im Auge bat.
Die Gesellschaft bringt ihre Formen und Pflichten zu dringlich an uns
heran, als dass wir uns einfach negativ zu ihnen verhalten könnten; es
bedarf vielmehr eines Kampfes, um sich von ihnen zu emanzipieren, und zwar
eines Kampfes, der nach jedem Siege erneuert werden muss und meistens mehr
Zeit, Gedanken und Leiden kostet, als ein billiger Vergleich mit ihnen.
Gerade an dem antiken Zynismus sieht man deutlich, wie die tendenziöse
Verachtung aller anständigen Formen und Äusserlichkeiten des Lebens zu
einem eigentümlichen Kultus der Formlosigkeit und Unanständigkeit
führte, den ebenso beobachtet sein wollte, ebenso strenge Regeln für das
Benehmen des Einzelnen aufstellte, wie die gute Sitte für die übrigen
Menschen.
Und es ist kaum irgendwo ein blinderer Autoritätsglaube gezüchtet
worden, als im russischen Nihilismus mit seiner Verachtung aller bisher
geprägten Formen der Gesellschaft. Der Kampf gegen die beengende Sitte bringt jedenfalls Beengungen
anderer Art; es gibt auch einen Kultus des Atheismus, eine Intoleranz der
Toleranz, eine Tyrannei der Freiheit. (<172)
Die individualistische Freiheitslehre der französischen Revolution
widersprach sich in dem Punkte, dass sie den Individuen die Freiheit, ihre
Freiheit zu beschränken, beschränkte. Gerade in Rücksicht auf die liberté individuelle du travail waren bis
Anfang dieses Jahrhunderts den Arbeitern Verbindungen behufs einer
organisation du travail verboten.
Ein preussisches Gesetz liberaler Provenienz von 1869 lässt
Verabredungen der Arbeiter zum Zweck gemeinsamen Vorgehens nicht klagbar
sein, was so motiviert wurde: es sei nötig, die Freiheit des Einzelnen so
zu wahren, dass sogar er selbst sich nicht, durch übereilte
Entschliessungen, zu binden vermöchte.
Wie es nach unseren obigen Ausführungen der Bindungen bedarf, damit es
zu einer Freiheit komme, so führt, in umgekehrter Richtung, die Freiheit
von einem bestimmten Punkte an wieder zu Bindungen.
Man wird deshalb insbesondere in Bezug auf äussere Verpflichtungen
wohl sagen können, dass, wie die Gesellschaft und das Verhältnis des
Einzelnen zu ihr nun einmal liegt, man am freisten in ihr und von ihr ist,
wenn man ihre Formen und Forderungen bis zu einem gewissen Grade erfüllt.
Auch in diesem bloss äusseren Verhältnis haben wir wieder ein
Analogon, in der Erfahrung seiner wahrscheinlich einen Ursprung jenes
ethischen Freiheitsbegriffes, der die Freiheit nicht in der Abwesenheit
der Normen, sondern in dem von innen kommenden Gehorsam gegen sie
erblickt.
Nach zwei diesen Gedanken berührenden Seiten will ich noch die
Verknüpfung der Gebundenheit mit der Freiheit verfolgen, nach einer
psychologischen und einer realistischen.
Neben dem Trieb zur Freiheit nämlich findet sich ein ganz positiver
Trieb zu ihrem Gegenteil, zur Bindung, zum Aufgeben der Selbständigkeit. Dies erscheint zunächst als ein logischer Widerspruch, da Freiheit
bedeutet, dass das Wollen seinen Ausdruck im Handeln findet, und man das
Gegenteil hiervon offenbar nicht wollen kann. (<173)
Man kann doch nicht wollen, dasjenige nicht tun zu können, was man
will. Dies wird erst verständlich, wenn wir, wie oben geschehen, den
scheinbar kontradiktorischen Gegensatz zwischen Freiheit und Unfreiheit
als einen graduellen erkennen, die Unfreiheit als ein Wollen, das sich nur
unter Überwindung anderer Wollungen realisiert.
Indem das noch in der Unfreiheit liegende Willensmoment betont wird,
kann es durch sein Verhältnis zu dem vorhandenen Willenswiderstand
eigenartige Färbungen und Reize erhalten.
Deshalb sind es einerseits raffinierte Kontrastnaturen, die den Zwang,
die Vergewaltigung gewissermassen wollüstig empfinden, sei es in der
religiösen Askese, der Versklavung des Gesamt-Ich durch eine einzige
Phantasievorstellung, sei es in der passivistischen Liebe, die ihre Lust
in dem Misshandeltwerden durch eine andere Person findet und sich bis zum
pathologischen Masochismus steigert.
Andrerseits sind es unterwertige, überhaupt schwache Seelen, die ihres
Teilchens von Willenskraft vielleicht gerade an der Reibung mit den
unterdrückten Gegenstrebungen bewusst und froh werden.
Für diese Vermutung spricht der Erfolg, mit dem oft von
herrschsüchtigen Naturen, um namentlich schwächere Charaktere einer
anderen Herrschaft zu entziehen und unter die ihre, zu bringen, die
Vorstellung angewendet wird, jene befänden sich in einer unwürdigen
Abhängigkeit und müssten sich davon befreien.
Als Ziel und Inhalt dieser Freiheit aber schiebt man ihnen nun die
eigenen Ansichten und Absichten unter; Befreiung von einer bestimmten
Bevormundung erscheint ihnen als Freiheit überhaupt.
Es wird hier wahrscheinlich durch den Wechsel der Bindungen das
vorhandene Willensquantum in besonders helles Bewusstsein gerückt, und
damit der Zwang, der dem Willen auch in dem neuen Verhältnis angetan
wird, entsprechend tiefer hinabgedrückt. (<174)
Es verhält sich damit wie mit dem Wechsel der Vorurteile. Wie oft glauben wir, uns von allen Vorurteilen befreit zu haben und nun
der Sache, wie sie an sich ist, gegenüberzustehen, während wir doch nur
statt des früheren Vorurteils ein anderes eingetauscht haben, das die
Subjektivität des Urteils zwar anders färbt, aber keineswegs beseitigt.
Eben diese Tendenz zur Bindung wird durch den häufig schlechten
Ausgang des Unternehmens, den Menschen ihre Götter zu nehmen, bestätigt:
die gewonnene Freiheit von den Göttern wird von jenen nur benutzt, um
sich Götzen zu bilden. - Es trägt zu dem Reize der Unfreiheit bei, dass man sich derselben
oft mit Recht oder Unrecht als einer freiwillig aufgenommenen bewusst ist.
Indem der Wille sich ungezwungen in die Bindung begibt, die, nachdem
sie einmal gesetzt ist, ihm freilich keine Freiheit mehr lässt, erscheint
er sich doch am letzten Ende und in letzter Instanz als frei, er ist
ursprünglich Herr über seine Unfreiheit gewesen und der Reiz davon wirkt
durch diese hindurch nach.
Ich erinnere hier an den studentischen Komment: indem der Student
gerade auf seine "Freiheit", seine Exemtion von den Formen des
philisterhaften Lebens pocht, schafft er sich im Komment freiwillig ein
viel stärker bindendes, der Persönlichkeit oft den schwersten Zwang
antuendes Formelwesen.
Trägt überhaupt die Freiheit, die neben oder über der Bindung noch
bleibt, durch sie hindurch wirkt oder sich von ihr abhebt, zu dem Trieb
zur Gebundenheit bei, so ist verständlich, wieso der letztere sich mit
Vorliebe auf die mehr formalen Angelegenheiten richtet.
Mancher, der in den eigentlichen Inhalten und Hauptsachen des Lebens
durchaus nach Freiheit strebt, fügt sich ohne weiteres in den Zwang der
Formen und Formeln des sozialen Verkehrs.
Diese Bindung ist ein Hintergrund, von dem man die individuelle
Freiheit des Wesentlichen um so tiefer und wertvoller empfindet; hier darf
man wohl Goethe in seiner späteren Epoche als das klassische Beispiel
nennen. (<175)
Ist dies das Verhältnis zwischen Bindung und Freiheit, zu dem
kräftige und bedeutendere Naturen, neigen, so verstehen wir auch
umgekehrt, wie andere gerade in der blossen Sprengung der Formel
Befriedigung luden, wie sie beim Kontrast des eigenen Willens mit der
Beengung der vorgeschriebenen Formen alles daransetzen, sich diesen
gegenüber durchzusetzen.
Dies sind wesentlich unreife, mehr nach aussen als nach innen gewandte
Naturen, die sogar meistens der Anlehnung und Bindung in den Hauptsachen
bedürfen, um im Kontrast zu dieser der Freiheit im Formalen froh zu
werden; daher sie denn auch, von den Schranken und Normierungen bei
wesentlichen Entscheidungen befreit, sich höchst unbehaglich fühlen, und
aus der Freiheit, mit der sie in diesem Umfang nichts anzufangen wissen,
sich schleunigst wieder in irgend eine Bindung zurückbegeben.
Durch diese enge Korrelation von Freiheit und Bindung vermittels des
Reizes, den auch die letztere erwirbt und der vielfach eine Bedingung des
Reizes der ersteren ist - ebenso wie von anders gelegenem Standpunkt aus
die Bindung und ihre psychischen Begleitungen auf der in ihr noch
wirksamen Freiheit ruhen - wird immer deutlicher, wieso man bei dem
Hinabverlegen der empirischen Freiheit in die metaphysische
Willensqualität die Freiheit mit einer bestimmt qualifizierten Bindung
gleichsetzen konnte.
Dieser Gedanke, den man im Empirischen häufig so ausdrückt, dass die
rechte Freiheit mit der rechten Bindung identisch sei, mag einen sehr
versteckten soziologischen Grund haben.
Ich habe schon öfter die in unzähligen Fällen bestätigte Formel der
sozialen Entwicklung erwähnt: dass diese letztere von engen Kreisen
ausgeht, die den Einzelnen streng binden, und ihn in möglichster
Gleichförmigkeit mit allen Genossen der gleichen Gruppe halten; sie setzt
sich dann gleichzeitig als Erweiterung des sozialen Kreises und als
schärfere Ausprägung und individuellere Freiheit des Einzelnen fort.
(<176)
Je grösser der Kreis ist, in dem wir stehen, desto mehr persönliche
Freiheit lässt er uns; man braucht etwa nur an den Gegensatz der
Lebensgestaltung in einer kleinen Stadt und in einer Weltstadt zu
erinnern.
Die Pflichten allgemeinen Charakters, diejenigen, die man jetzt die
sozialen nennt, die nationalen, die humanen, die also der Zugehörigkeit
zu einem grossen Kreise entspringen, lassen uns doch in ihrer spezifischen
Realisierung, in der Wahl unter ihren Inhalten und Bedeutungen eine sehr
viel grössere Freiheit, als etwa die familiären oder beruflichen, die
die engere Umgebung uns auferlegt.
Da nun die Kulturtendenz tatsächlich darauf geht, die Kreise unserer
Interessen wie unserer Pflichten durch immer ausgedehntere zu ersetzen,
und da der Bindung durch und an diese eine immer gewachsene persönliche
Freiheit entspricht, so mag sich dies wohl in der Vorstellung
kristallisieren, dass die letztere mit jener bestimmten Bindung
zusammenfalle, um so mehr, als gerade diese durch die Fülle mitwirkender
Anregungen, durch die Weite der Anknüpfungen und Ausblicke einen
besonderen Reiz entfaltet.
Diese soziologische Beziehung wirft zunächst wiederum ein Licht auf
den Konnex zwischen dem Ich und der Freiheit. Die Erweiterung der gesellschaftlichen Kreise, die uns umschliessen,
wirkt ebenso auf schärfere Individualisierung, prägnantere Eigenart des
einzelnen Mitgliedes in dem ganzen Umfang seines Wesens hin, wie auf
grössere Freiheit seiner Bewegungen.
Die Steigerungen dessen, was man im empirischen Sinne seine
Persönlichkeit und dessen, was man Freiheit nennt, stehen in
Wechselwirkung; vielleicht ist die Vergrösserung der sozialen
Beziehungskreise der vermittelnde Vorgang, der beides aneinander bindet:
der grössere Kreis verursacht vermöge der Steigerung der Konkurrenz und
der Anregungen eine grössere Differenzierung und Individualisierung der
Einzelnen, und gibt ihnen andrerseits dadurch grössere Freiheit, dass die
sozialen Zentralgewalten in ihm ihren Zwang immer mehr auf die
allgemeinsten Angelegenheiten beschränken und auf die Bevormundung der
speziellen und privaten Verhältnisse verzichten. (<177)
Endlich aber bringt uns dieser Zusammenhang auch den Reiz näher, der
an gewissen Bindungen haftet. Bindungen der allgemeinsten Art, Hingebung an den weitesten Kreis und
Verpflichtungen gegen ihn bilden gerade das Korrelat der Befreiung von den
engen, kleinlichen Verhältnissen, von dem äusseren und inneren Zwang,
mit dem die Befangenheit eingeschränkter Interessenkreise uns lähmt.
Die Bindung an jene erlöst uns von der Bindung an diese und umkleidet
sich so mit dem Reize der Freiheit. Die zweite hier zu erörternde, die Korrelation von Freiheit und
Gebundenheit tragende Tatsachenreihe, knüpft sich an das schon berührte
Verhältnis: dass selbst die Komplexe von Bindungen, in die wir
verflochten sind, an ihrem Anfangsgliede oft von freien Taten ausgehen,
dass, selbst wenn wir beim Zweiten Knechte sind, das Erste uns
freigestanden habe.
Hier finden nun. die ethisch bedeutungsvollsten Komplikationen zwischen
der empirischen Willensfreiheit und dem Zwänge der Dinge statt,
Komplikationen, an deren Schilderung die Ethik freilich vorüberzugehen
pflegt; die Einheit und Einfachheit des Prinzips, an dem zu münden die
meisten Ethiker sich für verpflichtet halten, weist
sie an das Material der einfacheren, mehr elementaren ethischen Vorgänge;
das Vorurteil einer wissenschaftlichen
Bureaukratie, dass in dem einzelnen System nun auch jedes berührte
Faktum seine zulängliche Erklärung finden müsste, lässt sie jenen
feinen, aus unzähligen sozusagen mikroskopischen Elementen
zusammengewebten Problemen aus dem Wege gehen, bei denen das Zugeständnis
unvermeidlich ist, dass die Wissenschaft sie noch nicht analysieren und
erklären, sondern höchstens ihrer Erscheinung nach beschreiben kann.
(<178)
Eine derartige schwer entwirrbare Verflechtung zeigen uns manche
Verhältnisse, in denen wir stehen, ohne selbst mehr als den ersten und
kleinsten Schritt zu ihnen getan zu haben, die sich aber durch ihr eigenes
Schwergewicht zu engen Beziehungen und strengen Verpflichtungen ausbilden;
auf einmal fühlen wir, dass uns ein Netz über das Haupt' geworfen ist,
aber wir können eigentlich nicht sagen, ob irgend eine Absicht irgend
eines Menschen es gesponnen hat.
Aber was man nun auch tun mag, das in irgend einer Berührung mit jenem
Personen- oder Interessenkreise steht, und wenn es das Äusserlichste,
Harmloseste, dem Inhalte jener Beziehungen Fremdeste ist - es fällt auch
noch in jene Waagschale, verstärkt jene einmal herrschende Tendenz, den
Druck der Atmosphäre, der uns nach der bestimmten Seite schiebt und nicht
mehr aus seiner Macht und Richtung herauslässt.
Als eines der psychologischen Momente dieser Erscheinung erwähne ich
nur das folgende. Wenn eine bestimmte Meinung über eine Persönlichkeit Platz gegriffen
hat, die das Bewusstsein über sie sehr beherrscht, so wird jede
Erwähnung dieser Persönlichkeit überhaupt, auch nach Seiten hin, die
mit jener Meinung über sie nichts zu tun haben, doch psychologisch eine
Stärkung und Festigung eben jener Meinung zur Folge haben; denn die
blosse Erwähnung reproduziert das mit der Persönlichkeit verbundene
Charakterbild.
Sobald die Beziehungen zwischen uns und anderen Menschen oder
Verhältnissen einmal einen bestimmten Charakter angenommen haben, so
führt das blosse Weiterbestehen der Beziehung, die blosse gelegentliche
Reproduktion der Tatsache, dass überhaupt irgend eine Beziehung zwischen
uns und jenen besteht, auch schon zu einer Stärkung ihres Charakters oder
wenigstens zu einer befestigten Vorstellung von ihm.
Denn die psychologische Reproduktion, die durch seine Assoziation mit
der Tatsache jener Beziehung bewirkt wird, bringt eine Summierung und
Ausbreitung seiner über immer weitere Bewusstseinsprovinzen mit sich.
Dies verzweigt sich in das schwierige Problem von der psychologischen
Macht der blossen Wiederholung. (<179) - Häufige Beispiele für derartige Steigerungen von Verhältnissen
geben die Beziehungen zwischen den Geschlechtern.
Die leichteste z. B. von dem Manne ausgebende Anknüpfung wird oft von
der anderen Seite gewissermassen in einem Vergrösserungsspiegel
aufgefangen und in einer Weise entgegengenommen und weitergeführt, der
sich jener dann so wenig entziehen kann, als wäre diese Vertiefung und
Ernsthaftigkeit der Beziehungen von vornherein seine Absicht gewesen.
Und dieser persönlichen Reaktion bedarf es oft sogar nicht, um die
Folge des ursprünglichen Tuns ganz ausser Proportion zu der Absicht
desselben zu setzen; dazu genügt der umgebende gesellschaftliche Kreis,
der oft die minimalsten Beziehungen zweier Personen aufnimmt und
gewissermassen einen Druck um sie herum herstellt, der sie einander
entgegentreibt und das, was ursprünglich frei getan wurde, in eine
unvergleichlich umfassendere Bindung überführt.
Und nicht einmal so viel Zutat persönlichen Willens, wie der
gesellschaftliche Druck ihn bietet, ist erforderlich, um aus der
ursprünglich freien Handlung eine Kette unverhältnismässiger Bindungen
erwachsen zu lassen.
Jene verpflichtenden Konsequenzen vielmehr, die die äusseren
Verhältnisse in der erwähnten wie in vielen anderen Beziehungen an die
Freiheit des ersten Tuns knüpfen, können sich verinnerlichen und nun,
selbst unter Wegfall aller äusseren drängenden Kräfte, uns von innen
heraus in einer Weise fesseln, die weder an Festigkeit noch an
Unerwartetheit den äusserlich veranlassten Bindungen etwas nachgibt.
Die verpflichtenden Kräfte, die durch die erste freie Tat entfesselt
werden, machen sieh in zweierlei Richtung geltend: durch Fixierung und
durch Steigerung der Situation.
Wenn wir uns eine gewisse Stellung unserem Willen und unseren Kräften
entsprechend einmal geschaffen haben, so hält sie uns fest; und zwar
zunächst äusserlich, weil wir uns damit zwischen determinierende Grenzen
begeben haben, zwischen die wir nun eingeklemmt sind; das Rad führt uns
mit herum, nachdem wir einmal eine seiner Speichen geworden sind.
(<180)
Ebenso wesentlich aber ist ein innerlicheres Moment: der Druck, den die
Meinung der Umgebung auf uns ausübt; sie stellt uns eben als in dieser
bestimmten Lage befindlich vor und dies zwingt uns tatsächlich, in ihr zu
bleiben.
Wir werden auch von innen heraus in der Vorstellung fixiert, die die
Allgemeinheit von uns hegt, nachdem wir ihr erst einmal Gelegenheit zur
Bildung derselben gegeben haben. Die äussere Gestaltung der Dinge und Mächte, die wir unabhängig von
uns vorfinden, gewährt doch meistens unserem Willen an irgend einem
Zeitpunkte im Lauf des Lebens den Raum. eine Stellung, eine Tendenz zu
wählen.
Haben wir sie aber einmal gewählt, so ist das Mass von Freiheit, das
in der Organisation des Ganzen auf den Einzelnen kommt, erschöpft, die
Tore, in die er freiwillig eingetreten ist, schliessen sich hinter ihm,
und indem sich das Ganze auf das neue, an dieser Stelle eingerückte
Mitglied einrichtet, verlangt es von diesem auch, dass es sich seinerseits
an das Ganze anpasse und die Stelle nicht wieder verlasse, in der man auf
ihn rechnet.
So bildet die Freiheit des Anfangs mit der Unfreiheit der Fortsetzung
ein untrennbares Ganzes der Lebensgestaltung - ein Verhältnis, das sich
dann in den kleineren und flüchtigeren Beziehungen des Jahres und des
Tages wiederholt.
Wenn nun mit der Zeit der Wille seine Richtung ändert und
begreiflicherweise die Linie der Wünsche immer weiter von der
ursprünglich ergriffenen Direktive abbiegt, so wird die
Unveränderlichkeit der letzteren als wachsende Divergenz des äusseren
Schicksals, an das man gebunden ist, von dem inneren empfunden und zwar
leicht als eine solche, an der jenes äussere die Schuld trägt. (<181)
Wie es bei räumlichen Bewegungen vorkommt, dass wir nicht wissen, ob
wir selbst uns bewegen, oder ein Objekt, das vor unseren Augen bewegt
erscheint, so tritt hier ein entsprechende Täuschung ein: während die
Situation beharrt, erscheint sie verändert, weil wir selbst uns ändern.
Und hier berührt sich die Form der Fixierung, in die die äusseren
Mächte die Entscheidungen unserer Freiheit fassen, mit der Form der
Steigerung, die diesen von jenen kommt und die oben schon in einem
Beispiel angedeutet wurde.
Die Elemente, aus denen unsere Verhältnisse bestehen, sind
ausserordentlich oft so gelagert, dass ein Anstoss nach bestimmter
Richtung allmählich immer mehr latente Kräfte frei macht.
Nachdem einmal ein erster Impuls erfolgt ist, bedarf es keines weiteren, die Bewegung entwickelt sich in der
gegebenen Direktion mit wachsender Intensität; die primäre Tat des
Individuums wirkt als eine objektive Kraft, die von den Verhältnissen
aufgenommen und weitergebildet wird, völlig unabhängig von der
subjektiven Absicht und namentlich oft ausser Proportion mit dem Masse
sittlichen Verdienstes oder sittlicher Schuld, das in jenem ersten Anstoss
enthalten war.
So bemerken wir in dem Verhältnis mehrerer Einzelner oder
Kollektiv-Individuen durchgehendes, dass ein irgendwie erlangtes
Übergewicht des Einen sich gleichsam von selbst steigert und zu einer
Macht führt, die ihm die Verhältnisse, weit über die unmittelbare
Wirkung seines eigenen Tuns hinaus in den Schooss werfen.
Hier ist das nächstliegende Beispiel die moderne Kapitalbildung. Ist erst einmal durch subjektiven Aufwand von Begabung und Fleiss oder
von Gewissenlosigkeit und Spekulation ein gewisses Mass von Kapital
erworben, so vermehrt sich dasselbe weiterhin in einer Weise, die gar kein
Verhältnis mehr mit jener ursprünglichen Tätigkeit des Besitzers hat.
Politische Hegemonien, die der adäquate Ausdruck des Vorzugs eines
primus inter pares sind, pflegen sich zu direkten
Herrschaftsverhältnissen zuzuspitzen, weil jener erste Vorzug die
Möglichkeit gibt, die durch die Entwicklung der Verhältnisse sich
darbietenden Vorteile voll auszunutzen –eine Chance, deren Konsequenzen
oft weit über das Mass von Kraft oder Verdienst hinausgehen, dem sie
überhaupt entsprungen ist. (<182)
Das Sprichwort: "Wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu" findet
allenthalben seine Anwendung. Es bestehen eben in den Dingen selbst vielfache Verbindungen, so dass
demjenigen, der über eines die Herrschaft gewinnt, zugleich die über
vieles mit diesem Verbundene zuwächst, während seine Kraft und vielleicht seine Absicht nur auf das erstere
ging.
Diese glückliche Kombination indessen, in der die äusseren Mächte
die Leistung unserer Freiheit genau in der Richtung unserer Absicht
ergänzen, ist offenbar der seltenere Fall.
Meistens werden die äusseren Ereignisse, nachdem wir den ersten
Anstoss zu ihrer Entwicklung gegeben haben, keineswegs die Richtung dieses
gradlinig fortsetzen, sondern sich an irgend ein einzelnes Element, irgend
einen Seitenerfolg desselben heften, und uns so in Verhältnisse
einspinnen, deren Entstehung freilich, aber nicht deren Art und Grad wir
veranlasst haben.
Dies hat nun sehr mannigfaltige und oft tragische Folgen für das
Menschenschicksal. Wir wissen uns wohl für die nächsten Folgen unseres Tuns
verantwortlich. So weit wir die ursächliche Verkettung der Dinge überschauen, gelten
die Folgen unserer Taten als unsere Taten selbst, die ihnen eigene
Gesetzmässigkeit erscheint dem Willen gegenüber nicht als schlechthin
Äusseres, durch Einbeziehung in unser Wissen und Willen werden sie
gewissermassen zu Ausstrahlungen unseres Ich. Allein diese Voraussicht pflegt nicht sehr weit zu reichen.
Unsere Taten, selbst die unscheinbarsten, entwickeln im Zusammenschlage
mit dem Lauf der äusseren Ereignisse unberechenbare Komplikationen, für
die wir uns vielleicht vor unserem Gewissen nicht mehr verantwortlich
fühlen, für die uns aber sozusagen das Schicksal verantwortlich macht,
indem es aus ihnen die Gesamtsituationen zusammenwebt, die uns als
objektive Mächte umschliessen und unser künftiges Handeln unweigerlich
bestimmen. (<183)
Die Freiheit des ersten Tuns schafft durch ihre äusseren Wirkungen die
Bedingungen des nun unfreien weiteren, und zwar sehr oft so, dass irgend
eins einzelne Moment von den äusseren Mächten aufgegriffen, verstärkt,
zugespitzt wird.
Das praktische Problem, das uns dabei nicht zur Ruhe kommen lässt, ist
die ausserordentliche Ungleichmässigkeit, die unberechenbare
Zufälligkeit, mit der diese Gestaltung der zwingenden Situation aus der
primären Freiheit heraus erfolgt.
Aus der genau gleichen Absicht, dem genau gleichen Tun entwickeln sich
die allerverschiedensten Folgen, je nach dem zufälligen Verhältnis
zwischen den von uns abhängigen und den unabhängigen Momenten; und diese
Folgen schaffen mit bestimmender Rückwirkung auf uns die Bahnen
künftiger Betätigung, deren Zwang selbst durch eine neue Aufrufung
unserer Freiheit nicht beseitigt werden kann.
Denn angenommen selbst, diese Freiheit existierte - wie sie denn im
empirischen Verstande tatsächlich existiert und ihre Betätigung nur
davon abhängt, was man für sie aufzuopfern willens ist - so würde sie
dennoch mit den einmal geschaffenen Bedingungen zu ringen haben,
jedenfalls von ihnen aus der Richtung gebogen werden, die sie ganz ohne
Vorhandensein derselben eingehalten hätte.
Selbst durch ein immer neues Einsetzen der Freiheit sind die
Schicksalsbedingungen und Präjudizierungen nicht einfach ungeschehen zu
machen, zu denen äussere Mächte die Momente unseres früheren Handelns
fortgebildet haben.
So befinden wir uns denn mit unserer Persönlichkeit in einer
eigentümlichen Mittelstellung zwischen Freiheit und Gebundenheit. Unsere Freiheit entfesselt Kräfte, über die sie nicht mehr Herr ist,
sie ruft Geister, die sie nicht mehr los wird.
Und so den Lauf unseres Lebens zurückverfolgend, jeden Augenblick
erkennend als durch Momente bestimmt, die aus früherer Freiheitstat durch
die Verhältnisse entwickelt worden sind, diese früheren selbst aber
(<184) wieder auflösend in ein Produkt voranliegender Freiheit und
unberechenbarer Einflüsse - münden wir schliesslich rein logisch an
einem einzigen letzten Punkt, an dem die wirkliche noch unbeeinflusste
Freiheit - sozusagen naturans, nicht naturata - hafte.
Aus diesen Verhältnissen der empirischen Freiheit, aus dieser
Abhängigkeit des späteren Handelns vom früheren, dessen Momente die
Schicksalsmächte entweder fixiert oder weitergebildet haben, wird uns die
Lehre von der intelligiblen Tat, von dem einmaligen freien Ergreifen des
Charakters verständlich.
Diese Vorstellung, zu der man sich zur Rettung der Freiheit bewogen
sah: dass der Mensch ein für allemal durch eine freie, übersinnliche Tat
sein sittliches Wesen bestimme, von dem dann alles weitere empirische
Handeln nur naturgesetzliche Erscheinung, unabänderliche Folge sei -
diese Lehre ist wohl eine metaphysische Symbolisierung jenes
erfahrungsmässigen Schicksals, das jeden Verlauf unseres Handelns zum
Sklaven seines Anfangs macht, das die Freiheit des Tuns sofort in die
Unfreiheit äusserer Mächte verflicht, und im Ganzen wie im Einzelnen der
Freiheit nur den allerersten Punkt des Beginnes überlässt.
So erscheint es auch nach dieser Richtung hin gestattet, die
metaphysische Freiheitsvorstellung als blosse Vertiefung der empirischen
zu verstehen, als Verlegung der Verhältnisse dieser in die tiefere Region
des Ich hinein. Endlich ist die folgende Überlegung in gleichem Sinne zu verwerten.
Für die Scheidung zwischen den freien und den unfreien Handlungen des
Menschen ist der Unterschied zwischen den hauptsächlichen, durchgehenden
Zügen des Lebens und den wechselnden Einzelheiten des Tages herangezogen
worden.
Goethe meint einmal, in ganz gemeinen Dingen hinge viel von Wahl und
Willen ab, das Höchste indes käme uns aus Regionen, in die unser
Vorstellen überhaupt nicht hineinreicht, und vielleicht in der gleichen
Tendenz spricht Giordano Bruno, wie ich schon anführte, dem Menschen zwar
Freiheit, Gott aber Notwendigkeit zu.
Überblicken wir das Ganze einer Laufbahn, so scheint eine gewisse
einheitliche Tendenz hindurchzugehen. (<185) Die Gesamtheit der Betätigungen des Individuums spielt eine notwendige
Rolle in dem gesellschaftlichen Milieu, und die Einzelheiten seines Lebens
scheinen in aller ihrer Buntheit und Mannigfaltigkeit doch nur die Träger
jener grossen schicksalsmässigen Notwendigkeit des Ganzen zu sein,
ungefähr wie sich die Schwingungen der Ätherteilchen im unpolarisierten
Lichtstrahl zu der Richtung desselben verhalten.
Jede einzelne Entscheidung, für sich angesehen, gibt der Laune und dem
Schwanken zwischen ja und nein beliebigen Raum; in eine überschauende
Betrachtung gefasst, spielen alle jene Zufälligkeiten nur mit sehr
begrenzter Latitude um die fortschreitende Tendenz des Ganzen, das nun als
solches eine Notwendigkeit besitzt und auf seine Elemente ausstrahlt, von
der die isolierte Anschauung der letzteren nichts enthielt.
Diese Vorstellung wiederholt sich sehr genau in einer Betrachtung, die
man über das Verhältnis historischer Gesamtbewegungen zu ihren
individuellen Trägern angestellt hat, und zwar in zwei Formen, von denen
man die eine als die teleologische, die andere als die statistisch-soziale
bezeichnen kann.
Wer dem göttlichen Willen, so hat man die erstere ausgedrückt, nach
seinem Wissen und Willen widerstrebt, der dient ihm ohne sein Wissen und
Willen. Dies wieder kann man sich in doppelter Weise denken, wenn man von jenen
roheren Formen absieht, bei denen es auf dem Umwege über abschwächende
Worte doch nur auf eine wirkliche Bindung des Willens hinauskommt.
Die Freiheit der Einzelnen könnte nämlich selbst ein Teil des
Weltplanes sein; den Inhalt des individuellen Tuns brauchte dieser nicht
zu präformieren. Er brauchte nichts darüber zu bestimmen, ob der Einzelne so oder
anders handle, sondern er bestimmt gerade, dass jedem die Möglichkeit der
Entscheidung freigegeben werde. (<186)
Die Freiheit ist demnach selbst ein notwendiges Glied des Ganzen, sie
ruht nicht auf sich selbst, sondern auf ihrer Zugehörigkeit zu der Idee
und dem Zweck des Ganzen; es lässt sich sehr wohl ein Weltzweck denken,
dem nicht die Bestimmtheit der einzelnen Handlung, sondern die Freiheit in
der Weise dient, dass es ihm ganz irrelevant ist, ob sie sich für diese
oder jene konkrete Handlung entscheidet - ungefähr wie dem Zwecke des
Staates die Freiheit der Bürger dient, selbst um den Preis, dass ihre
Handlungen ganz ohne persönliche Rücksicht auf den Staatszweck
geschehen.
Die zweite Möglichkeit ist die, dass die Handlung des Einzelnen
einfach als Tatsächlichkeit dem Weltzweck dient, ohne dass dieser als
reale Macht jene bestimmt hat.
Bei der menschlichen Teleologie wird die Vorstellung des Zweckes zur
Ursache des Handelns, und wenn man sich wie gewöhnlich die
Zweckmässigkeit des Weltganzen in dieser anthropomorphen Weise denkt, so
ist die Freiheit des Individuums nicht damit zu vereinigen; denn mag die
Bestimmung seiner einzelnen Handlung durch einen bewussten oder einen
unbewussten Willen, durch materielle ,oder sonstige Kausalität geschehen,
sobald sie eben von vornherein nur so und nicht anders, als es zu dem
vorgezeichneten Weltplan passt, geschehen kann, so ist sie unfrei.
Man kann aber, wo nicht menschliches Handeln in Frage steht, darauf
verzichten, den Endzweck, dem das Geschehen dient, als bewegende Kraft vor
das Geschehen selbst zu setzen. Die Weltordnung oder der Weltzweck mag sich vielmehr aus dem blossen
Zusammenkommen der einzelnen Handlungen herstellen, ohne dass er selbst
eine reale Kraft zur Leitung dieser einzusetzen hätte.
Dass die Freiheit zu diesem Resultat führt, wäre dann freilich
sozusagen zufällig, allein dies würde die Tatsache selbst nicht
aufheben, wenn etwa Beobachtung, Spekulation, ethisches Bedürfnis sie als
vorhanden zeigte. (<187)
Wie mehrere Elemente des Geschehens, die nicht durch zweckmässige
menschliche Bemühung zusammengeführt sind, dennoch manchmal in einer
Weise zusammenkommen, die einen menschlichen Zweck verwirklicht, so
könnte man sich im Grossen das Verhältnis der menschlichen Handlungen
zum Weltzweck denken; jede derselben für sieh betrachtet, ist nicht durch
eine auf den letzteren hinzielende Kraft provoziert, kann also frei sein;
alle insgesamt dagegen realisieren durch ihr Zusammentreffen eine ideelle
Ordnung, einen letzten allgemeinen Zweck der Welt.
Die zweite Möglichkeit, die Gesetzlichkeit des Ganzen mit der Freiheit
des Einzelnen zu vereinigen, entstammt der Beobachtung sozialer
Erscheinungen, und zwar auch ihrerseits in zweierlei Formen.
Die sogenannten moralstatistischen Gesetze wollen das konstante
Verhältnis zwischen der Anzahl zusammenlebender Menschen und der Anzahl
unter ihnen vorkommender Erscheinungen des sittlichen Lebens feststellen. Ihre Voraussetzung einerseits, ihre Behauptung andrerseits ist, dass
eine derartige Konstanz überhaupt stattfindet, d.h. dass eine gegebene
Anzahl von Menschen ceteris paribus immer die gleiche Anzahl von Morden
und Selbstmorden, Eheschliessungen und Scheidungen, Diebstählen und
unehelichen Geburten usw. produziere.
Ohne also die Freiheit des Einzelnen durch die Bestimmung zu
vernichten, dass gerade er die bestimmte sittliche oder unsittliche Tat
vollbringe, behauptet die Statistik doch, dass das Ganze, dem er
angehört, gesetzmassig und ohne einer Freiheit zur Abweichung Raum zu
lassen, ein prädestiniertes Quantum sittlich bestimmter Taten vollbringe.
Der Einzelne hat volle Freiheit, von dem so ermittelten Durchschnitt
sittlichen Verhaltens nach oben und nach unten beliebig weit abzuweichen;
indem man aber alles zusammennimmt, gleichen sich diese Schwingungen aus,
und die Verschiedenheit der Reaktion, mit der die Freiheit des Individuums
auf die gleiche äussere Bedingung antwortet, macht, wenn man nur
hinreichend grosse Gruppen betrachtet, einem immer gleichen -Durchschnitt
der Handlungen Platz. (<188)
Von den vielen Schwierigkeiten dieser Vereinigung individueller
Freiheit mit sozialer Notwendigkeit sind für den augenblicklichen Zweck
nur die beiden folgenden hervorzuheben.
Wenn es wirklich ein Naturgesetz ist, dass innerhalb einer gewissen
Menschenzahl h und eines gewissen Zeitraumes sich f Verbrecher einer
bestimmten Qualität finden, so begegnet die vorgebliche Freiheit jedes
Individuums, einer von diesen Verbrechern zu werden oder nicht, doch der
folgenden Begrenzung.
Bestände diese Freiheit, so könnten vermittels ihrer h-f Personen
sich vom Verbrechen freihalten. Tun sie das aber, so sind die übrig bleibenden f Individuen offenbar
nicht mehr frei, ebendasselbe zu tun, sondern jenes Gesetz muss, um nicht
unerfüllt zu bleiben, die übrigen f Personen, welche bis dahin sozusagen
noch nicht optiert haben, zu der Entscheidung zwingen, Verbrecher zu
werden.
Die Notwendigkeit der Lebensäusserung v, die dem Ganzen zugesprochen
wird, lässt also dem Einzelnen nur so lange Freiheit, bis die von der
numerischen Bestimmtheit des Gesetzes freigelassene Zahl der
Gruppenmitglieder (h-f) von der Freiheit, sich für das Gegenteil von v zu
entscheiden, Gebrauch gemacht hat.
Nehmen wir den Grenzfall eines solchen Gesetzes an, dass nämlich f = h
wäre, so bliebe keinem einzigen Individuum die Freiheit, sich anders als
für v zu entscheiden. Ist also einmal jene, auf das Ganze bezügliche Notwendigkeit gegeben,
so bedeutet die Freiheit des Individuums nur, dass das Wissen noch nicht
verfeinert genug ist, um dasjenige Verhältnis jedes Teiles zu bestimmen,
dessen Notwendigkeit durch die Notwendigkeit des Gesamtverhaltens
involviert ist.
So wissen wir mit annähernder Sicherheit, wie ein Gewächs von einer
gewissen Periode seines Wachstums an sich weiter entwickeln wird, ohne
dass wir doch schon die einzelnen Zellen bestimmen könnten, die die
Träger dieser Entwicklung sind. (<189)
Und indem man einerseits die Notwendigkeit der Gesamtentwicklung,
andrerseits die Mannigfaltigkeit der Funktionen im Auge hat, mit denen die
Masse der Zellen jener Entwicklung entweder dient, oder auch abgestossen,
steril oder hybrid geworden, sich ihr entzieht -- könnte man dies
Verhältnis mit nicht geringerem Rechte als in (]ein menschlichen Falle
als eine Freiheit der Zellen bezeichnen; die Gesetzmässigkeit des Ganzen
rein als solchen lässt es eben ganz offen, ob die durch jene
Gesetzmässigkeit geforderte Leistung von dieser oder von jener Zelle
übernommen wird.
Dennoch würde offenbar das Ganze sich nicht in notwendiger Weise
entwickeln, wenn nicht jedes einzelne Partikelchen eben dasselbe täte,
und die Freiheit dieses letzteren bedeutet nur, dass es für unser
Erkennen, wenn es sich auf den Standpunkt des Ganzen stellt, gleichgültig
ist, welche einzelnen Teile des Ganzen es sind, die dessen notwendige
Schicksale tragen.
An diesen Punkt lässt sich übrigens eine Bestätigung unserer
Grundvoraussetzung knüpfen, dass die Frage nach der inneren Freiheit und
ihre Beantwortung aus einer Übertragung des Charakters äusserer
Handlungserfolge auf ihre innerliche Vorstufe entspringt.
Wenn die statistischen Gesetze gewisse Ereignisse als notwendig
erweisen, ohne doch dem bestimmten Einzelnen die Notwendigkeit
aufzuerlegen, dass gerade er diese gesetzliche Forderung verwirkliche, so
entspricht dies jenem allgemeineren Standpunkt, auf dem der Einzelne sich
sagt: es: ist ganz gleichgültig, ob ich handle oder nicht, das Notwendige
geschieht ja doch, die äusseren überwältigenden Mächte lassen die
Ereignisse in einer Bahn abrollen, aus der sie mein Tun oder Lassen auch
nicht um eines Haares Breite verrücken kann.
In solchen Reflexionen sprechen sich unzählige Erfahrungen des
äusseren Laufes der Dinge aus. Und von ihnen führt ein einfacher Schluss eine Stufe tiefer hinab zu
der Überzeugung von der Unfreiheit des Willens. (<190)
Denn seine Einflusslosigkeit gegenüber dem, was doch so wie so
geschieht, bedeutet eben das Fehlen jener Kraft, in deren Anwendung und
Dirigierung sich eine vorhandene Freiheit zeigen könnte.
Die statistisch-fatalistische Überzeugung, dass sich die Schicksale
des Ganzen vollziehen, gleichgültig gegen die Mitwirkung eines bestimmten
Einzelnen, schlägt die Innenseite des Willens mit derselben Nichtigkeit,
die seine äusseren Erfolge bezeichnet.
Diese letztere hat sowohl logischer wie psychologischer Weise den
Mangel eines innerlich wirksamen Ich zur Konsequenz. die Wirkungslosigkeit
des Erfolges vertieft sich zur Wirkungslosigkeit der tiefer gelegenen
Ursache; es liegt keine Veranlassung vor, in dieser eine spontane Kraft,
die Freiheit, vorauszusetzen, wenn das Weiterwirken derselben doch nur ins
Nichts verläuft.
So beweist denn dieser Zusammenhang zwischen der äusseren Irrelevanz
des individuellen Tuns und dem Mangel innerer Freiheit ebendasselbe, was
sich in dem Zusammenhänge der positiven äusseren Erfolge mit der Annahme
der Willensfreiheit gezeigt hatte.
- Weiterhin lässt sich die statistische Vereinigung von allgemeiner
Notwendigkeit und individueller Freiheit durch folgende Überlegung über
sich selbst hinausführen.
Die Regelmässigkeit der Erscheinungen, die das statistische Gesetz
aussagt, tritt erst hervor, sobald ein hinreichend grosser Kreis in
Rechnung gezogen wird.
Von dem Durchschnitt, den jenes ermittelt, weicht der Einzelne weit ab,
und erst in einer sehr grossen Anzahl von Einzelnen gleichen sich diese
verschieden gerichteten Extreme aus; beobachteten wir etwa nur einen
kleinen Kreis, so würde sich das fragliche Verhältnis nach der einen
oder der anderen Seite hin verzerrt darstellen, es würde nicht auf jeden
numerisch gleichen Kreis anwendbar sein, wird dies vielmehr erst bei einer
bestimmten Ausdehnung desselben.
Nun ist es aber offenbar für den Einzelnen - wenn wir von hier nicht
mitsprechenden psychologischen Einflüssen absehen - ganz irrelevant,
welche und wie viele Handlungen Anderer neben ihm die seinige ergänzen
oder auch ihr gleichen.
Das Gesetz, dem die Statistik ihn unterordnet, liegt nicht in ihm,
sondern nur in dem Geiste des Beobachters, der ihn mit so und so vielen
Anderen zusammenbringt; das statistische Gesetz ist also eine subjektive
Synthese, und das Individuum in seiner Realität ist ihm fremd, ist frei
von ihm.
Allein dieser Charakter des statistischen Gesetzes, als einer von den
realen Einzelvorgängen gesonderten, wenn auch auf ihnen aufgebauten
Fiktion ändert sich, sobald wir den sozialen Kreis, von dem es gilt,
nicht als blosse Summe von Individuen betrachten, deren Verschiedenheiten
sich für die Rechnung gegenseitig paralysieren.
Stellen wir ihn statt dessen als eine Einheit vor, deren innere
Beziehungen ihre Kräfte im Verhältnis der Teilnehmerzahl entwickeln, so
kann eine reale, ursächliche Beziehung zwischen derjenigen Menschenzahl,
deren es zur Aufstellung des Gesetzes bedurfte, und der Zahl der von
diesem ausgesagten regelmassigen Vorkommnisse in ihr bestehen.
Dann bedarf es der Zusammenfassung jener bestimmten grossen Zahl nicht
nur um die Verschiedenheit der Erscheinungen über und unter dem
Durchschnitt sich für die Erkenntnis ausgleichen zu lassen, sondern weil
erst diese Zahl, in einer einheitlichen Gruppe wechselwirkender Glieder
vereinigt, die tatsächlichen Bedingungen für die festgestellte
Häufigkeit des fraglichen Vorkommnisses darbietet.
Wird die Statistik nur als Rechenmethode angewendet, so bedarf es einer
gewissen Grösse des Beobachtungskreises , weil die "Freiheit"
der Einzelnen so starke Schwankungen um den Durchschnitt herum ausführt,
dass dieselben erst bei einer sehr grossen zusammen betrachteten Anzahl
sich ausgleichen und der Durchschnitt, das "Gesetz", sieh
herausstellt.
Wenn man also z. B. festgestellt hat, dass auf je 100000 Personen eines
Volkes in Selbstmorde kommen, so kann man daraufhin noch nicht behaupten,
dass unter jeden 1000 Personen m/100 Selbstmorde geschehen; denn vermöge
der Freiheit der Einzelnen werden auf das eine herausgegriffene Tausend
vielleicht viel mehr oder viel weniger als m/100 kommen. (<192)
Fassen wir aber die Erscheinungen wie angedeutet sozialrealistisch, so
werden wir sagen: erst 100000 zusammenlebende Menschen schaffen diejenigen
sozialen Bedingungen - der Konkurrenz, der Unterdrückung, der
Glücksgegensätze -, welche im Zusammenschlage mit den persönlichen, den
Selbstmord berührenden Bestimmungen hinreichen, um eine bestimmte Anzahl
von Selbstmorden zu erzeugen.
Die sozialen, auf den Selbstmord hindrängenden Kräfte wirken in einem
Kreise von 1000 Menschen allzusehr zersplittert, werden allzusehr von den
vielen andersgerichteten Kräften überwuchert und abgelenkt, als dass sie
ein bestimmtes immer gleiches Resultat liefern könnten; gerade im
Sozialen kommt es sehr oft vor, dass die Kräfte nicht im genauen
-Verhältnis ihres Quantums sichtbar werden, sondern überhaupt erst
oberhalb eines gewissen Masses einen erkennbaren spezifischen Erfolg
haben.
Wenn die statistischen Regelmässigkeiten sich einigen Ereignissen
gegenüber schon bei einem Beobachtungskreise von 1000 Menschen, anderen
gegenüber erst bei einem solchen von 10000 oder 100000 zeigen; so muss
diese Verschiedenheit doch wohl eine reale, ausserhalb der subjektiven
Rechentechnik gelegene Ursache haben; die sozialen Kräfte, welche jene
Erscheinungen hervortreiben, werden sich wohl erst bei dem Zusammenkommen
von je 1000, 10000 oder 100000 Individuen entwickeln und, anderen,
abbiegenden gegenüber zur Geltung bringen können.
Von dem hiermit angedeuteten Standpunkt aus erscheint die Freiheit, die
das statistische Gesetz dem Einzelnen lässt, in einem besonderen Lichte.
(<193)
Enthält das statistische Gesetz eine blosse Wahrscheinlichkeit,
gewonnen aus den Zufälligkeiten der individuellen Handlungen, deren
Gegensätzlichkeiten sieh für die Beobachtung gegenseitig paralysieren,
so ist es eine blosse Abstraktion, die allerdings, soviel an ihr ist, dem
Einzelnen volle Freiheit lässt - natürlich ohne anderweitige
Bestimmtheiten desselben auszuschliessen; betrachten wir dagegen die Zahl
der Individuen, an der jenes Gesetz hervortritt, nicht als etwas sachlich
Zufälliges, nur der Technik des Erkennens Dienendes, sondern als
notwendiges, einheitliches Substrat der sozialen Wirkungen, die das Gesetz
ausspricht, so ist der Einzelne allerdings von diesem, pro rata, bestimmt;
sein Tun und Lassen hängt dann von den Kräften ab, die sich zwischen den
Mitgliedern eines Kreises von bestimmter Grösse entwickeln.
Gilt das statistische Gesetz so, wie es meistens verstanden wird,
nämlich bloss ideell, so fordert es nur die Handlungen, bestimmt aber
nicht, wer sie vollbringen soll, und gibt dem Einzelnen also die Freiheit,
ein solcher zu sein oder nicht.
Für die hier angedeutete realistische Auffassung fällt diese Freiheit
fort, ihr zufolge gibt das statistische Gesetz, allerdings in sehr roher,
allgemeiner, am einzelnen Falle nicht konstatierbarer Form, die sozialen
Einwirkungen der "grossen Zahl" von Mitgliedern des Kreises auf
das Individuum an.
Neben den statistischen Versuch, die Notwendigkeit des Ganzen mit der
Freiheit des Individuums zu vereinigen, kann man einen im engeren Sinne
soziologischen stellen. Während jener von dem Geschehen innerhalb der sozialen Gruppe, von dem
Tun ihrer einzelnen Mitglieder ausgeht, betrachtet dieser das Handeln der
Gruppe als ganzen.
Im ersten Falle hat die Allgemeinheit den Sinn der Summe, im zweiten
den des Produktes, jener betont die Vielheit, die sich in der Einheit der
Gruppe findet, dieser die Einheit, die sich aus der Vielheit der Gruppe
herstellt.
Die Aktionen einer Gruppe nämlich tragen gegenüber denen des
Individuums den Charakter einer unvergleichlichen Sicherheit,
Zweckmässigkeit und Irrtumslosigkeit. (<194)
Der Einzelne wird von widersprechenden Empfindungen und Antrieben hin-
und hergezogen, vielfache Möglichkeiten bieten sich ihm dar, und die
Unsicherheit der zu vollziehenden Wahl, die häufige Irrtümlichkeit der
vollzogenen scheinen auf Subjektivität und Freiheit seines Handelns
hinzuweisen.
Die soziale Gruppe dagegen ist sich stets darüber klar, wen sie für
ihren Feind, wen für ihren Freund zu halten hat; unbeirrt von Theorien
und Konflikten geht sie auf ihr Ziel los und zeigt kaum eine Spur jener
Diskrepanz, die beim Individuum so oft zwischen Wollen und Tun, zwischen
Zweck und Mitteln herrscht.
Der schwankenden Einzelpersönlichkeit gegenüber stellt sie das
objektiv Bestimmte dar; so dass man sich zu der Vorstellung bewogen fand,
die Bewegungen der Masse würden im Gegensatz zu dem freien Individuum
naturgesetzlich bestimmt, sie folge dem Zuge ihrer Interessen mit
derselben unbedingten, alle Wahl ausschliessenden Notwendigkeit, wie die
Materienmassen dem Zuge der Gravitation.
Es kommt hier nicht darauf an, die erkenntnisstheoretische
Unmöglichkeit einer solchen prinzipiellen Scheidung zwischen dem Sozialen
und dem Individuellen zu erweisen; vielmehr umgekehrt begreiflich zu
machen, worauf sich der Schein dieses Unterschiedes gründet.
Die Handlungen einer Gesellschaft haben offenbar diejenigen Triebe,
Empfindungen, Vorstellungen zur Grundlage, welche jedem einzelnen
Mitgliede derselben eigen sind.
Dies sind aber die primitiveren, einfacheren, weil diese von längerer
Zeit her vererbt sind und die Allen gemeinsame primäre Grundlage der
Existenz bilden, über welche sich dann erst die Mannigfaltigkeit und
Persönlichkeit des eigentlich individuellen Lebens erhöht.
Die Sicherung der Existenz, der Gewinn neuen Besitzes und neuer Macht,
der Schutz des Erworbenen - dies sind grundlegende Triebe für jeden
Einzelnen, in denen jeder den anderen versteht und in denen er sich mit
beliebig vielen anderen zweckmässigerweise so vergesellschaften kann, wie
es in den feineren und höheren Angelegenheiten der Persönlichkeit
unmöglich ist. (<195)
Weil der Einzelne in jenen prinzipiellen Strebungen nicht wählt noch
schwankt, kennt auch die soziale Strebung, die sie zusammenschliesst,
keine Wahl oder Schwankung. Worin sich viele differenzierte Wesen zusammenfinden, das kann selbst
nicht in gleichem Masse differenziert sein.
Und wie und weil der Einzelne seine einfachsten Zwecke am sichersten
erreicht, d. h. diejenigen, bei denen der kürzeste Weg zwischen Ausgangs-
und Zielpunkt liegt, so wird auch der soziale Kreis bei der Einfachheit
seiner Ziele weniger Irrtümern und Misserfolgen ausgesetzt sein.
Die niedrigeren, sinnlichen, gattungsmässigen Triebe und Funktionen
gelten uns wegen der unbedingten Gewissheit ihres Auftretens und Verlaufes
in höherem Masse naturgesetzlich, als die feineren Komplikationen des
Seelenlebens ', die das eine Individuum vom andern unterscheiden; eben
deshalb erscheinen die sozialen Bewegungen, die aus jenem allen
Gemeinsamen, unbedingt Sicheren zusammengesetzt oder darauf gerichtet
sind, als das Notwendigere, durch Naturgesetz Bestimmte; darüber erst
erhebt sich das Individuelle der Lebensgestaltung, das also jenem
gegenüber frei erscheint.
Die idealistische Geschichtsphilosophie - Kant, Fichte, Schelling,
Hegel - im Bestreben, die Freiheit des Subjekts mit den objektiven
Notwendigkeiten der Natur und Vernunft zu vereinigen, findet die
Möglichkeit dazu, den Einheitspunkt im Staate und in der Rechtsordnung.
Diesem Versuche liegt die Tatsache zu Grunde, die ich eben erörterte;
dasjenige Verhalten, das dem Menschen als Sozialwesen eignet, bei dem er
nur der Träger sozialer Bewegungen ist, zeigt im höchsten Masse den
Charakter der Gesetzlichkeit und notwendigen Bestimmtheit gegenüber dem
Schwanken und der Ungebundenheit in den eigentlich individuellen
Lebensbeziehungen.
Nur dass jene Denker sich allerdings in der Ursache dieses
Verhältnisses täuschten: sie glaubten es in der Höhe und Allumfassung
des Staats- und Rechtsbegriffes begründet, während es tatsächlich
gerade in der Beschränkung seiner Wirksamkeit auf die primitiven
Interessenkreise beruht. (<196)
Das öffentliche Recht kümmert sich nur um die unentbehrlichsten
Grundlagen der Existenz, über welchen Charakter seines Endzwecks nur die
Verfeinerung seiner technischen Ausgestaltung zu täuschen vermag; weshalb
man es denn auch, wie ich schon anführte, als das ethische Minimum oder
auch als den common sense des sozialen Organismus bezeichnen durfte.
Darin entspricht es völlig der Logik; diese bildet ihrerseits das
Erkenntnisminimum, den intellektuellen Gemeinbesitz über den sich Alle
geeinigt haben, die in dem übrigen Erkennen soweit wie nur möglich von
einander abweichen.
Wie sich mit der Rechtsform materiell Unsittliches bis zu einem sehr
hohen Grade vereinigen kann, so mit der logischen materiell Falsches -
nicht weil beides etwa nur Formen im absoluten, von jedem Inhalt
prinzipiell geschiedenen Sinne wären, wie man es allerdings von der Logik
zu behaupten pflegt, sondern weil sie nur die allernotdürftigsten
Bestimmungen treffen, die ein praktisches Zusammenleben ermöglichen.
Wenn man dennoch von Streitigkeiten und Zweifeln, die individuellerer
oder materiellerer Art sind, d. h. ausser der rechtlichen oder logischen
Materie noch weitere Interessen umschliessen, an das Recht oder die Logik
appelliert, so geschieht dies von dem Gedanken aus, das dasjenige sicher
falsch sein muss, was sogar diesen primitiven Forderungen widerspricht.
Die staatlichen Beziehungen des Bürgers vereinigen freilich seine
subjektiven Interessen mit der dem Staate eigenen Objektivität, aber nur
weil der Staat ausschliesslich für die verbreitetsten und primärsten
Bedürfnisse sorgt, für die Jeder fraglos auch freiwillig sorgt, während
er es der Freiheit des Bürgers überlässt, das Einzelne und
Individuelle seiner Interessen wahrzunehmen. (<197)
Stellt man nun Individuum und soziale Gesamtheit einander gegenüber,
so scheint es allerdings, als ob jenes frei wäre, weil wir es in diesem
Falle mehr in seinem Sichabheben von dem sozialen Kreise oder in der
Gesamtheit seiner Betätigungen betrachten, in denen die unmittelbar
sozialen mir einen Bruchteil ausmachen oder selbstverständlich und
deshalb unbemerkt sind.
Achten wir dagegen auf die sozialen Vorgänge, so scheint eben jenes
freie Individuum doch zugleich der Träger von Bewegungen zu sein, die aus
dem angeführten Grunde wie mit Naturgewalt vor sich gehen; so dass auch
hier das Ganze gesetzlich gebunden ist, während das Einzelne, aus dem
jenes doch besteht, frei erscheint.
Diese soziologische Konstellation trifft nicht nur die innere Freiheit
des Willens, sondern auch die empirische Freiheit des Handelns, bei der
nur danach gefragt wird, ob der aktuelle, im Vordergrund des Bewusstseins
stehende Wille das Handeln nach sich bestimmen kann, ohne zugleich andere
Interessen, wesentliche Willensinhalte zu zerstören.
Diese Freiheit oder Gebundenheit des Handelns setzt immer eine
gegenüberstehende Macht voraus und findet eine solche in dem
letzterwähnten Falle an den Mächten des Rechtes und der Sitte.
Obgleich beide natürlich nichts wären ohne die Einzelnen, die sie
verwirklichen und tragen, so haben sie sich doch so weit objektiviert, so
weit vom ]Persönlichen abgelöst, dass sie dem Individuum vergewaltigend
gegenübertreten, als der verdichtete Wille der kompakten Majorität.
Stimmt der Einzelne im gegebenen Falle damit von vornherein überein,
so nimmt er nur an der soeben charakterisierten inneren Notwendigkeit
dieses Ganzen selbst teil; widerstrebt er jenen gesellschaftlichen
Kräften, isoliert er sich ihnen gegenüber, so macht sich seine
Gebundenheit - nicht in ihnen, wie vorhin - sondern durch sie geltend.
In den Angelegenheiten des öffentlichen Interesses fehlt seinem Willen
die Freiheit, das Handeln nach sich zu bestimmen, gleichviel ob dieser
Wille selbst frei oder von anderswoher determiniert ist. (<198)
So ist er als Sozialwesen empirisch gebunden, während er die ihm hier
fehlende Freiheit in seinen Privatangelegenheiten, also als Individuum
schlechthin, noch besitzt oder wenigstens besitzen kann.
Mit Rücksicht auf den Ausgangspunkt aller dieser Erörterungen hat
sich nun in ihnen ergeben, dass das grosse Ganze, die allbefassende
Allgemeinheit, in ihrer Verfassung und in ihrem Handeln den Charakter der
Notwendigkeit und Gebundenheit trägt, und dass dieselbe von Elementen
verwirklicht wird, die ihrerseits anders, frei, erscheinen.
Eben dieses schien sieh an den Verhältnissen der Einzelseele zu
wiederholen. Durch alle Gegensätzlichkeit und Launenhaftigkeit des einzelnen
Handelns, durch alle Freiheit hindurch, auf welche diese Anweisung gibt,
realisiert sich das allgemeine Schicksal der Seele, wird der
unwiderstehliche Zug ihrer inneren Entwicklung kenntlich, der sich dem
flüchtigen Blick zwar unter jenen hin- und herspielenden Einzelheiten
verbirgt, dein tieferen aber nachdenkliche Tatsachen für jenes mystische
Symbol liefert, dem zufolge die Stellung der Gestirne auch den inneren
Lebenslauf des Menschen schon am Tage der Geburt determiniert habe.
Die allerverschiedensten Einzelhandlungen können doch den gleichen
Charakter dokumentieren, die gleiche innere und äussere Lebensstellung
verwirklichen.
Wie konzentrische Sphären um so weiteren Umfang zeigen, je mehr sie
sich von ihrem Mittelpunkte entfernen, so wird der Spielraum für die
Mannigfaltigkeit der Handlungen immer grösser, je weiter sie von dem
Zentrum des Lebens abstehen, und bei völliger Einheitlichkeit dieses kann
die Latitude ihrer Schwankungen und Gegensätzlichkeiten ins Unendliche
wachsen.
Und der Charakter jener unvariablen, einheitlichen Zentralität
überträgt sich auf den Gesamtumfang des Lebenskreises als eines Ganzen
gegenüber der blossen Summe seiner Einzelabschnitte als
einzelner.(<199)
Auch hier macht jene eigentümliche Denkkategorie sich geltend, ohne
die das tatsächliche Vorstellen der Menschheit überhaupt unerklärbar
ist, und deren Wichtigkeit für dieses noch lange nicht hinreichend
anerkannt ist: dass das Ganze, das nur aus den einzelnen Elementen
besteht, doch diesen gegenüber eine selbständige, substantielle, von
ihnen unabhängige Stellung erwirbt.
Dadurch eben ist es möglich, dass das Ganze einer seelischen
Entwicklung, die Zusammenfassung ihrer Elemente, eine Gebundenheit zeigt,
von der jedes dieser letzteren frei ist.
Es kommt hier nicht auf die sachliche Wahrheit oder Falschheit dieses
Standpunktes an, es handelt sich für jetzt nur um die psychologische
Tatsache, dass man wirklich dem Gesamtcharakter unserer Persönlichkeit
eine gewisse Unabhängigkeit von der Summe ihrer Einzeläusserungen glaubt
zusprechen zu können.
Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit der Äusserungen erscheint als
Freiheit, während ihre Einheitlichkeit, ihr inhaltlicher Zusammenhang
Gebundenheit bedeutet. Denn diese letzteren Qualitäten scheinen nur dadurch erklärlich, dass
die Einzelheiten aus einer ursprünglich gemeinsamen Quelle fliessen.
Die innere Übereinstimmung einer Charakterentwicklung, sobald wir ihre
grossen Züge, ihr Gesamtbild betrachten, kann nach dieser Auffassung
unmöglich ein Zufall sein; sie muss vielmehr durch eine über oder in
ihren einzelnen Momenten gelegene Kraft beherrscht sein, die dem späteren
die Freiheit nimmt, anders zu sein als es ist, nachdem das frühere einmal
so und nicht anders war.
Sehen wir dagegen die einzelnen Handlungen in ihrer Einzelheit und nur
in Beziehung zu den nächstbenachbarten an, so zeigt sich ein Bild
völliger Regellosigkeit; und Regellosigkeit gilt als Gesetzlosigkeit -
ein Glaube, der seine relative Berechtigung auf die Tatsache gründet,
dass allerdings Gesetz sich im letzten Grunde nur als regelmässiger
Eintritt gleicher Erscheinungen kundgibt.
Der hier begangene Irrtum ist nur der, dass allein die Regelmässigkeit
einfacher, primärer Erscheinungen ein reales Gesetz bedeutet, nicht aber
diejenige komplexer Vorgängen, bei denen die Gleichheit der
Gesamterscheinung einer völligen Verschiedenheit der Bestandteile und
also auch der Weiterentwicklung Raum geben kann. (<200)
Und weiterhin wäre zu bemerken, dass, wenn man das Wesentliche und den
Grundzug des Ganzen für stabil und gesetzmässig, das Gelegentliche,
Vereinzelte, Unbedeutendere aber für schwankend und unbestimmbar hält,
vielleicht hier der Fehler zugrunde liegt, dass man von vornherein die
ephemeren, in der Erscheinung ungleichmässigen und nicht vereinbaren
Momente des praktischen Charakters eben als die oberflächlichen und
unwesentlichen bezeichnet, und nur die stabilen, einen Zusammenhang
bildenden als den eigentlich Charakter, den massgebenden Grundzug des
Wesens gelten lässt.
Diese letztere Möglichkeit geht auf denselben psychologischen
Grundvorgang zurück wie die folgende, die unsere These von dem Ursprung
des philosophischen Freiheitsbegriffes stützen wird.
Ich habe oben schon bemerkt, dass, so wenig der Unterschied zwischen
der Erscheinung und dem Dinge an sich gemein habe mit dem zwischen Schein
und Wahrheit, dennoch der Gedanke des ersteren Unterschiedes psychologisch
kaum ohne die Erfahrung des letzteren entstanden wäre.
Die Vorstellung, dass unser praktisches Leben gewissermassen aus zwei
Schichten bestünde, dem wesentlichen Grundzuge, der tiefen, niemals
rastenden Strömung zu den Hauptzwecken des Lebens einerseits - den
einzelnen Angelegenheiten und Vornahmen des Tages andrerseits, die, an
sich gleichgültig, die verfliessenden Erscheinungen oder Träger jener
sind - diese Vorstellung nebst ihren weiteren metaphysischen Folgen
entspringt wahrscheinlich der ganz trivialen Beobachtung, dass es eben in
jedem Leben Handlungen von verschiedener Wichtigkeit gibt.
Die Wendung, vermöge deren dieser letztere Erfahrungssatz zu jener
tiefsinnigeren Lebensansicht wurde, besteht darin, dass man das
Nebeneinander des Wichtigen und des Gleichgültigen zu einem Übereinander
ausbaute. (<201)
Da das Wichtige seine Wirkungen noch zwischen dem Gleichgültigen und
während des Daseins desselben zeigt; da ferner das Gleichgültige
einerseits, das Wichtige andrerseits, im Rückblick je eine, durch diese
spezifische Wertung zusammengehaltene und vom anderen geschiedene Masse
ausmachen, so konnte jene Vorstellung entstehen, als bilde unser Leben,
von einer Seite gesehen, eine langsam fortschreitende, unabbiegbar
gerichtete Welle, die dasjenige, was man das "Schicksal" nennt,
eben so trägt, wie sie von ihm getragen wird; und von der anderen Seite
gesehen, ein Chaos darüberhinspielender Einzelheiten, von jedem Winde
getrieben und generell von der Bedeutsamkeit jener tieferen Strömung
geschieden; von jeder Stelle der einen aber trifft ein Senkblei irgend
eine Stelle der anderen, die Ununterbrochenheit jeder in sich geht der der
anderen parallel.
Diese Vorstellung liegt in mannigfaltiger Abwandlung den verschiedenen
Theorien vom intelligibeln Charakter, von dem beharrenden Ich, von der
"Bestimmung" des Individuums zum Grunde.
Sieht man aber näher zu, so zeigt sich, wie gesagt, dass diese beiden
Reihen von Entwicklungen, diese Doppelseitigkeit des praktischen
Schicksals im Grunde nur eine einzige fortlaufende Reihe ist, deren
Bestandteile ihre Verschiedenheit nach Wertbegriffen zu einer sachlich
numerischen Über- und Unterordnung hypostasiert haben.
Der hiermit begangene Irrtum gehört zu jenen feineren typischen
Denkfehlern, die leider noch nicht die eingehende Bearbeitung gefunden
haben, wie sie den groben und krassen Trugschlüssen der formalen Logik
zuteil geworden ist.
Nicht nur hier, sondern vielfach auch sonst findet die Verführung
statt, für solche Erscheinungen, die nach der Seite irgend einer
Qualität hin verwandt sind, eine reale, dynamische Verbindung anzunehmen,
und zwar auch dann, wenn jene Ähnlichkeiten ganz isolierte Ursprünge
haben, weder aus einander noch aus einem gemeinsamen Dritten erklärlich
sind, und selbst dann, wenn die Verwandtschaft der Erscheinungen nicht
einmal in objektiven Ähnlichkeiten, sondern nur in der Gleichheit an sie
herangebrachter subjektiver Wertbegriffe besteht, wie es in unserem Falle
geschieht. (<202)
Aus weit verzweigten Gründen, deren grundlegende wahrscheinlich
soziologischer Art sind, erscheint uns das qualitativ Ähnliche als ein
real Verwandtes, genetisch Zusammengehöriges; so differenziert sich die
zeitliche Reihe unserer Handlungen nach der Kategorie der Wichtigkeit in
das Indifferente einerseits, das Folgenreiche und Richtunggebende
andrerseits; jedes von beiden scheint aus der eben charakterisierten
Denkgewohnheit heraus eine sachliche innere Zusammengehörigkeit zu
besitzen , und, da die Glieder beider Kategorien sich in der objektiven
Zeitordnung wechselseitig ablösen, also als je ein Ganzes betrachtet,
gleichzeitig sind, so konnte daraus leicht die Vorstellung jener
Doppelreihe des Handelns: der grundlegenden charakterisierenden Züge und
ihrer unbestimmbaren fluktuierenden Erscheinungsseite, entstehen.
Diese ganze Denkweise, die die Gebundenheit in das Ganze des Menschen
als Ganzes, die Freiheit in seine einzelnen und isolierten Äusserungen
verlegt, scheint doch unserer Behauptung zu widersprechen, dass die
philosophische Freiheit in der Bestimmung des Wollens durch das Ich
bestünde.
Denn gerade jenes Ganze des Lebens, jene Folge charakteristischer
Züge, die der Persönlichkeit ihre Dauerform und ihre soziale Stellung
verleihen und so der Freiheit keinen Raum geben sollen - sie bilden doch
das eigentliche Ich, an dem gerade die Freiheit haften sollte- und
umgekehrt, das einzelne momentane Tun gibt die philosophische Einsicht
eher der unentrinnbaren Verkettung empirischer Ursachen und Wirkungen
preis, während jener Reflexion gerade diese Einzelheiten als unbestimmbar
und frei erschienen waren.
Dieser Widerspruch ist indessen zu versöhnen, wenn wir die
eigentümliche Drehung beachten, die die Begriffe von Zufall und
Notwendigkeit in der philosophischen Anschauung gewonnen haben. (<203).
Im empirischen Sinne, den auch Kaut hier als den allein zulässigen
bezeichnet, ist dasjenige Geschehen notwendig, das einem Naturgesetz
gemäss auf ein anderes folgt.
Diese Notwendigkeit ist aber insofern keine absolute, als sie von der
Existenz ihrer Veranlassung abhängt - wäre diese nicht, so wäre auch
das fragliche Geschehen nicht. Absolut notwendig wäre dieses letztere also erst, wenn seine
Veranlassung notwendig wäre; ob dies aber der Fall ist, hängt wieder von
dem ihr vorangehenden Geschehen ab, und, da die so entstehende Reihe, in
der jedes Glied zugleich Wirkung und Ursache ist, empirischer Weise nicht
abzuschliessen ist, so bleibt die Notwendigkeit jedes in Frage stehenden
Gliedes immer eine relative.
Das einzelne natürliche Geschehen ist für denjenigen, der das absolut
Notwendige sucht, nur etwas Zufälliges - nicht trotzdem, sondern gerade
weil es naturgesetzlich bestimmt ist.
Die Notwendigkeit eines Geschehens oder eines Objekts ist demnach erst
dann eine absolute, wenn sie nicht von einem anderweitigen, ausserhalb
seiner gelegenen Objekte abhängt, sondern in sich und durch sich selbst
als Notwendigkeit besteht. Die Kritik hat längst gezeigt, dass eine derartige Notwendigkeit
nicht besteht, sondern vielmehr alles Wirkliche nur relative notwendig
ist.
Dennoch ist die Forderung eines an und für sich Notwendigen nie ganz
verschwunden und ihre Wirkungen sind vielfach erkennbar. An diesen Begriff der Notwendigkeit nun im Gegensatz zu der
Notwendigkeit der natürlichen Kausalität knüpft sich der philosophische
Freiheitsbegriff.
Denn sie bedeutet, dass das Objekt, bez. seine Funktion, causa sui ist,
durch nichts anderes als durch sich selbst bestimmt wird; und eben dieses
ist die Form jener sittlichen Autonomie, jener Freiheit des Handelns, die
nicht Unabhängigkeit schlechthin ist, sondern nur Unabhängigkeit von
allem, was ausserhalb des handelnden Ich selber liegt, nur Bestimmung
durch sich selbst bedeutet. (<204)
Gerade die absolute Notwendigkeit, die alle Ableitung von einem
Anderen, alle nicht in ihr selbst liegende Genesis von sich weist, ist
insoweit mit der Freiheit identisch. Und wenn Spinoza die unbedingt notwendige Alleinheit definiert als
dasjenige, cuius essentia involvit existentiam, so findet dies seine
unmittelbare ethische Parallele in dem operari sequitur esse, das den
philosophischen Freiheitsbegriff, die durchgängige Abhängigkeit des
Willens vom Ich ausdrückt.
In beiden Fällen handelt es sich um die ausschliessliche Abhängigkeit
der Realität - es sei des Seins, es sei des Handelns - von dem ideellen
Wesen eben desselben Subjekts; und weil diese Vorstellung sowohl als
Begriff der Notwendigkeit, wie als Begriff der Freiheit gedeutet werden
kann, genügt sie der Forderung, die die philosophische Freiheit erfüllen
soll: eine Harmonie von Freiheit und Notwendigkeit zu bilden.
Es liegt nun aber auf der Hand, dass diese Selbstbestimmung sich nicht
an einzelnen Teilen eines grösseren Ganzen, sondern nur an einem in sich
geschlossenen Ganzen finden kann. Jene absolute Notwendigkeit, die zugleich Selbstbestimmung ist, kommt
deshalb nur der allbefassenden Substanz, nur dem ganzen Sein als solchem
zu, während die Einzelheiten desselben von einander abhängig, jede also
für sich betrachtet zufällig ist.
Und ebenso haftet die Freiheit ihrerseits nur an dem ganzen Ich als
Ganzem und besteht nur aus der Bestimmung desselben durch sich selbst; die
einzelne Äusserung mag durch eine andere, vorangegangene nezessitiert
sein, insofern aber das ganze Ich in ihr zum Ausdruck und Erscheinung
kommt, sie ihm konform ist oder nur in Beziehung zu ihm betrachtet wird -
insofern ist sie frei.
Jetzt wird also klar, wieso unsere letzte Betrachtung: dass das Ganze
notwendig, das Einzelne frei erscheine - mit der früheren Darstellung
doch harmoniert, nach der gerade das Ganze der Persönlichkeit, das Ich,
allein die Freiheit trage. (<205)
Insofern das Ich als ein Ganzes selbst, als ein Mikrokosmos gilt,
losgelöst von Beziehungen zu anderem, mit dem zusammen es etwa erst ein
Ganzes bildete, so ist seine Bestimmung Selbstbestimmung, also einerseits
Freiheit, andrerseits aber ist sie Notwendigkeit, da es nicht von sich los
kann und gerade, weil es nichts ausser sich hat, von dem es abhängt, nur
so sein kann, wie es ist.
Was wir Freiheit des Willens nennen, ist, wie wir sahen, die
Abhängigkeit des Willens von dem eigentlichen innersten Ich; fassen wir
die Persönlichkeit als Ganzes, so ist also die Notwendigkeit ihrer
Bestimmung, d. h. der Ausschluss jeder Zufälligkeit als .einer
Abhängigkeit von Äusserem zugleich ihre Freiheit; der einzelne
Willensakt dagegen, nicht als Ausdruck des metaphysischen Ich, sondern
nach seiner sinnlich empirischen Genesis aus anderen Einzelheiten
betrachtet, ist im Sinne der Naturkausalität notwendig, in dem dem
Absoluten zugewandten Sinne aber zufällig.
Wenn deshalb Erfahrung und Reflexion über sie uns Fälle zeigen, in
denen das Ganze von Verhältnissen und Komplexen den Charakter der
Gebundenheit, das Einzelne den der Freiheit oder Zufälligkeit trägt, so
gehört auch sie zu dem empirischen Material, dessen metaphysische
Vertiefung jenen Freiheitsbegriff - die Bestimmung des Einzelwollens durch
das Gesamt-Ich – bedeutet.
Die Schwierigkeit der Freiheitsvorstellung lässt sich
folgendermassen ausdrücken. Sie entspringt aus dem Gefühl des Subjekts: statt A zu wollen,
hätte ich auch B wollen können; ich hätte es gekonnt, - wenn ich
gewollt hätte.
Aber auch dieses zurückliegende Wollen, von dem das definitive,
erscheinende abhängt, muss doch frei sein, sonst wäre dieses nicht
frei. Also auch an seiner Statt hätte ein anderes Wollen eintreten
können - wenn ich gewollt hätte; und so fort ins Unendliche.
Diese (<206) widerspruchsvolle Vorstellung, die jedem Wollen ein
Wollenkönnen voransetzt, die Entscheidung aber, ob ich dieses Können
zu dem Wollen von A oder dem von B benutze, wiederum von einem Wollen
abhängig machen muss - diesen endlosen Prozess schneidet die
philosophische Freiheitslehre dadurch ab, dass sie das Wollen aus dem
Ich entspringen lässt.
Durch das Ich wird der unendlichen Reihe der von einander
abhängenden Wollungen ein Damm gesetzt. Das Ich enthält gewissermassen diese sämtlichen Wollungen
potentiell oder involviert in sich. Es genügt nun zur Freiheit, wenn das Wollen statt aus einem
weiteren Wollen aus dem Ich hervorgeht.
Bei dieser Sachlage kann man den Standpunkt einnehmen, dass alle
philosophischen Deutungen der Freiheit auf mehr oder weniger
greifbaren Umwegen an dem eigentlichen Problem vorübergehen und die
Schwierigkeit verschleiern, statt sie zu lösen.
Diesem Vorwurf entgehen selbst diejenigen, jetzt sehr verbreiteten
Lehren nicht, die zwar scheinbar am Determinismus als fragloser
Voraussetzung festhalten, schliesslich aber doch, um das ethische
Interesse nicht zu kompromittieren, die Freiheit durch eine Hintertür
wieder einführen, etwa mit einem "wir können die Macht der
sittlichen Motive in uns stärken", "es ist möglich, dass
wir unsere Sinnlichkeit unserer Vernunft unterordnen" - denn in
diesem "Können" liegt, wenn es nicht den Sinn, wie in dem
Satze: "Es kann heute regnen" haben soll, schon die ganze
perhorreszierte Freiheit.
Aber gerade dieser Doppelsinn des Könnens wird zu solchem feigen
Vermittlungsversuch oft genug benutzt. Freilich können wir, freilich ist es uns möglich, sowohl sittlich
wie unsittlich zu handeln.
Allein auf dem Grunde des Determinismus kann dies nur heissen, dass
von Menschen sowohl sittlich wie unsittlich gehandelt wird, und dass
wir mangelnder Erkenntnis wegen im einzelnen Falle unsicher sind,
welcher von beiden Fällen eintreten wird.
Aus dieser (<207) blossen Erkenntnisbeziehung, die das Können,
die Möglichkeit, hier bedeuten darf, wird nun aber unter der Hand ein
reales objektives Können, eine Möglichkeit im Sinne der Potenz
gemacht; das Können ist statt einer blossen Unsicherheit des
Vorstellenden über das, was geschehen wird, auf einmal eine Kraft,
die das Geschehen so oder anders lenken kann, die nicht nur die
problematische, sondern die reale Möglichkeit hat, in der bestimmten
Weise zu handeln und also, wenn Können und Möglichkeit dann noch
überhaupt einen Wortsinn haben sollen, auch die Möglichkeit anders
zu handeln.
Dem gegenüber müssen wir daran festhalten, dass Freiheit in dem
Sinne, der überhaupt einen Sinn hat und nicht nur ein Unterschiebsel
oder ein verschwommener Deutungsversuch für einen ganz
entgegengesetzten Gedanken ist, nur den reinen grundlosen Zufall
bedeutet.
Wenn wir das Wollen von A auf das Ich, die Vernunft, die
Sittlichkeit, worauf auch immer, schieben, um es der blinden
Zufälligkeit zu entziehen, so bleibt die Frage bestehen, ob diese
höhere Potenz zu dem Entschlusse, A zu wollen, notwendig bestimmt
wurde oder nicht.
Denn die Annahme, dass dieselbe sich eben für A oder für B
entscheiden könnte, bezeichnet doch nur die Situation vor der
Entscheidung für A; woraufhin nun die nach dem blossen Können
eintretende wirkliche Entscheidung stattfindet, ist damit noch nicht
ausgemacht.
Erfolgt nun diese Entscheidung so, dass die ihr vorhergehenden
Momente sie nicht notwendig, d. h. bei absoluter Gleichheit dieser
immer absolut gleich, aus sich hervortreiben, so ist dies ein
absoluter Zufall, eine Schöpfung aus dem Nichts, ja genau angesehen,
eine Schöpfung ohne Schöpfer.
Denn jene vorhandene Potenz ist dann sozusagen nur die Substanz, an
der die Entscheidung hervortritt, während es an einer Kraft fehlt,
welche dieselbe hervorgerufen hätte und sie also in der gleichen
Situation auch immer, also notwendig, (<208) hervorruft.
Nur Schlaffheit des Denkens kann die Schärfe der Alternative
zwischen Notwendigkeit und Zufall verwischen; nur sie kann den Abgrund
zwischen beiden durch Setzung eines Subjekts überbrückt meinen, von
dem die Entscheidung ausginge, gegen dessen Entscheidungstätigkeit
sich aber eben die Frage richtet, ob sie überhaupt veranlasst ist
oder nicht.
- Man könnte einen Ausweg etwa in dem Gedanken suchen, dass
Kausalität sich auch mit Verschiedenheit des Erfolges bei Gleichheit
der gegebenen Situation vereinigen liesse.
Aus der Ursache in könnte einmal die Folge n, ein anderes Mal die
Folge n1 hervorgehen, ohne dass man die Verschiedenheit von n und n1
auf den grundlosen Zufall zu schieben brauchte; dies wäre vielmehr
erst dann nötig, wenn man von vornherein annimmt, jede Ursache könne
nur eine, immer gleiche Wirkung, n oder n1 , haben, also das schon
voraussetzt, wonach gerade erst gefragt wird.
Die Frage, was m denn zu diesem Unterschiede seiner Erzeugungen
veranlasste, wäre nicht richtig gestellt. Denn dieser Unterschied besteht als solcher ausschliesslich im
Bewusstsein des Beobachters, der beides aneinander hält.
In dem Augenblick, wo in n erzeugt, wüsste es sozusagen von n1
nichts, und die Entwicklung seiner Kräfte ginge ebenso vollständig
und eindeutig in der Richtung von n, wie sie in einem anderen
Augenblick auf n, geht, und wie sie in unserer gültigen Vorstellung
von Kausalität auch jedes andere Mal auf n geht.
Der Unterschied in dem Inhalte der Kausalität braucht nicht zu
hindern, dass formell volle Kausalität zwischen in und seinen zu
verschiedenen Zeiten verschiedenen Folgen besteht.
So gut wie wir uns widerspruchslos denken können, dass eine Kraft
überhaupt und immer eine andere Wirkung übe, als sie es tatsächlich
tut, ebenso gut könnten wir, rein logisch genommen, uns vorstellen,
dass sie manchmal diese und manchmal jene Wirkung übt, jedes Mal aber
mit dem gleichen Sichumsetzen ,der Ursachen in die Wirkung, das weder
auf der Seite (<209) der einen noch auf der der andern einen Rest
lässt.
Die eigentümliche Mischung von Berechenbarkeit und
Unberechenbarkeit, die die psychischen Prozesse zeigen, die scheinbar
völlige Verschiedenheit der Folgen, die der Wille an die genau
gleiche Situation knüpft, zugleich aber auch die Überzeugung, dass
keine dieser Folgen ursachlos aus dem Nichts entspringt, sondern dass
eine Ursache sieh voll in ihnen auslebt - diese Kombination könnte
wohl zu der Vorstellung leiten, dass der psychischen Kausalität im
Unterschiede von der physischen diese Wechselform eigen wäre.
Dem Gesetze, dass nichts ursachlos geschieht, würde damit
vollständig Genüge geleistet, nur dass die Inhalte, an denen es sich
vollzieht, zu verschiedenen Zeiten verschieden wären.
Gegen diese logisch vielleicht mögliche Deutung des
Willensprozesses könnte man nur den erkenntnistheoretischen Einwand
machen, dass Kausalität, Kraftwirkung, ja niemals unmittelbar erkannt
werden kann, sondern dass ihre Existenz immer nur auf Grund einer
regelmässigen, inhaltlich gleichen Zeitfolge von Ereignissen
vorausgesetzt wird.
Eine der Materie nach wechselnde Kausalität ist allerdings
denkbar, aber nicht erfahrbar, weil Kausalität innerhalb der reinen
Erfahrung nichts anderes bedeutet, als die unverbrüchliche Gleichheit
im Inhalt der einander folgenden Erscheinungen.
Erst aus der Beobachtung dieser Gleichheit schliessen wir auf die
zu Grunde liegende Kraft, die die zweite Erscheinung ursächlich aus
der ersten hervorgetrieben hat. Jene Wechselform der Kausalität würde also, indem sie den
Erkenntnisgrund der Kausalität überhaupt negiert, eine ewig
unerweisliche Denkmöglichkeit bleiben.
Die Hauptsache ist hier aber die, dass selbst unter Voraussetzung
ihrer die Freiheit nur scheinbar vom grundlosen Zufall geschieden
wäre. Denn es wäre allerdings mit ihr gewonnen, dass ursächlicher
Weise, und ohne eine aus dem Nichts entspringende Kraft zu Hülfe zu
(<210) nehmen, die genau gleiche Situation in einmal das Wollen n,
ein anderes Mal das Wollen n1 erzeugen könnte.
Allein damit wäre nur diejenige äusserliche Erscheinung gegeben,
die wir bei tatsächlichem Vorhandensein der Freiheit erwarten
würden.
Ihre innere Wirklichkeit aber wäre genau so negiert wie bei dem
wirklich geltenden Kausalbegriff ; denn die Notwendigkeit, mit der das
Wollen n zu einer gegebenen Zeit aus m erfolgt, ist bei dieser
Voraussetzung durchaus keine geringere, als wenn m überhaupt und
immer nur die Folge n, niemals aber n1 hätte; und ebenso entsprechend
für n1.
Nur der Beobachter, der die Verschiedenheit der Folgen von in
zusammenstellt, könnte auf den Gedanken einer Freiheit von in kommen,
deren Erfolg eben jene Verschiedenheit wäre.
In Wirklichkeit wäre in jedem gegebenen Augenblicke entweder die
Folge n oder die Folge n, unbedingt notwendig; wenigstens würde
gegenüber diesem Wechsel des Erfolges die Frage noch genau so stehen,
wie sie seiner Gleichartigkeit gegenüber steht: ob eben solcher
Wechsel bez. jeder der verschiedenen Erfolge in seinem Zeitmoment
nicht seinerseits notwendig sei; und die Negierung dieser Frage würde
das einzelne Wollen doch wieder dem grundlosen Zufall, dem Ursprung
aus dem Nichts preisgeben.
Dadurch also, dass man den Inhalt der Kausalität wechselt, gewinnt
man nur das äussere Phänomen eines Indeterminismus, aber nicht die
reale Befreiung des Wollens von jener inneren Notwendigkeit, deren
Negierung allein wirkliche Freiheit, aber zugleich absoluter Zufall
wäre.
Wenn man nun aber auch das Opfer des Kausalbegriffes brächte, wenn
man unter Abweisung jedes durch den Ich-Begriff vermittelten
Kompromisses das absolute liberum arbitrium indifferentiae zugebe, so
würde damit der Zweck gar nicht erreicht, um dessentwillen es
überhaupt lohnt, eine Freiheit anzunehmen.
Es ist bekanntlich längst nachgewiesen, dass bei der Freiheit, die
im einfachen Ausschluss (<211) der Kausalität besteht, keine
Zurechnung möglich ist. Bei völliger Ursachlosigkeit der Handlung wäre sowohl Strafe wie
Lohn sinnlos, weil sie gar nicht an dieselbe Adresse gelangten, von
der das Wollen ausgegangen ist - denn das Vorhandensein eines solchen
veranlassenden Ausgangspunktes der Handlung wird ja gerade durch die
Voraussetzung negiert.
Man lasse sich nicht durch die gewohnte Vorstellung täuschen, dass
ich dafür bestraft werde, dass ich a gewollt habe, während und weil
ich frei war, b zu wollen.
Ist wirklich, wie es der reine Begriff der Freiheit fordert, jede
positive Kraft ausgeschlossen, die das Wollen von a produziert habe,
so ist es eben der reine Zufall, ob a oder b eingetreten ist, und ich
kann dafür so wenig verantwortlich gemacht werden, wie für ein
Ereignis auf dem Sirius. Nun aber zeigt sich eine unvermeidliche Antinomie, indem die
Annahme des Determinismus die Verantwortung ganz ebenso ausschliesst.
Die Vermittlungsversuche, durch welche die durchgängige
Naturgesetzlichkeit des Wollens mit dessen Zurechenbarkeit vereinigt
werden soll, sind ebenso unhaltbar wie die entgegengesetzt
gerichteten, die von der Freiheit ausgehen und diese mit der
Naturgesetzlichkeit versöhnen wollen.
Sobald das Wollen ein koordiniertes Glied eben desselben
Naturprozesses ist, dem die Verdauung und die Gravitation angehören,
so wird keine begriffliche Deduktion uns überreden, dass es sittlich
zurechenbar ist.
Wenn für den Laplace'schen Universalgeist mein Wollen aus dem
Weltzustande vor beliebig langer Zeit vermöge bestimmter
Gesetzesformeln genau so ausrechenbar ist, wie der Kreislauf des
Blutes oder die Kontraktion der unwillkürlichen Muskeln, so fällt
die Voraussetzung aller Verantwortung fort; in den gröberen, unserer
Erkenntnis zugänglichen Fällen solcher Bestimmtheit des Wollens, wie
bei den durch körperliche Störung veranlassten Innormalitäten,
zweifelt auch niemand an dem Fehlen der Verantwortung, während es
doch unleugbar ist, dass bei durchgängiger (<212) Gleichheit vor
dem Naturgesetz die zugerechneten Handlungen genau so nezessitiert
sind, wie die des Wahnsinnigen.
Erst unter der Voraussetzung, dass statt des tatsächlichen Wollens
ein anderes hätte eintreten können, wird jenes sittlich
verantwortbar, und es erscheint mir als eines der grössten Verdienste
Kants, dass er allen schwächlichen Vermittlungsversuchen gegenüber
an dieser Bedeutung, die der Freiheitsbegriff nun einmal psychologisch
in voller Schärfe besitzt, festgehalten hat.
Weder aus der Freiheit noch aus der Determiniertheit des Wollens
lässt sich also seine Verantwortbarkeit widerspruchslos herleiten;
die Kreierung eines Ich als des Sitzes der Verantwortlichkeit hatte
die Frage nur um eine Instanz höher gerückt.
Irgendwo lag der Punkt, mochte man ihn noch so sehr hin- und
herschieben, an dem sich entscheiden musste, ob unser Wollen ein
schlechthin zufälliges oder ein schlechthin nezessitiertes ist.
Und in beiden Fällen konnte es die Verantwortung für seine
Inhalte ablehnen. Es bleibt deshalb nichts übrig, als die Verantwortung, wenn wir
sie überhaupt beibehalten wollen, auf eine andere Basis als auf die
unhaltbare einer Bejahung oder Verneinung der Freiheit zu stellen. Da es unmöglich ist, sie auf die Freiheit zu gründen, so ist
vielleicht der Versuch gerechtfertigt, die Freiheit aus ihr
herzuleiten; ich meine dies folgendermassen.
Aus dem Verteidigungstriebe, den die natürliche Zweckmässigkeit
durch Auslese hervorrufen musste, mag der weitere Trieb gequollen
sein, auf die Seite, von welcher mir Böses geschieht, dies
zurückzuwenden, es ihr selber anzutun, zunächst ganz ohne zu fragen,
ob der tatsächliche Urlieber des Bösen auch wirklich Schuld daran
ist, ob er aus Willen oder Freiheit gehandelt hat; der Wilde prügelt
seinen Fetisch, Xerxes lässt das Meer peitschen, das Kind schlägt
den Stein, der ihm auf den Fuss gefallen ist (vgl. Bd. 1, 8. 392).
Diese Vergeltung (<213) war zuerst infolge ihres impulsiven
Charakters eine ausnahmslose. Aber man lernte, dass sie in einer Reihe von Fällen ihren Zweck
verfehlte, indem ihr Objekt empfindungslos war, oder kein Schutz durch
sie erzielt wurde.
Nimmt man überhaupt an, dass die Vergeltung ein zweckmässiges Tun
ist, dass sie dem Schutze des Individuums dient, so müssen wir auch
weiter eine Differenzierung innerhalb ihrer Objekte annehmen, die
statt der Blindheit eines unbedingten und mechanischen: Auge um Auge,
Zahn um Zahn, die vergeltende Reaktion nur an denjenigen üben liess,
bei denen die Vergeltung auch wirklich ihren Zweck erreichte.
Es scheint mir nun kein Zweifel, dass ein Individuum eben dann
"zurechnungsfähig", "verantwortlich" ist, wenn
die strafende Reaktion auf seine Tat bei ihm den Zweck der Strafe
erreicht, sei dieser Zweck nun Besserung oder Abschreckung oder was
immer. Wo die Qualitäten des Täters diesen Zweck entweder vereiteln oder
überflüssig machen, da ist er im Zustande der Unverantwortlichkeit.
Den Wahnsinnigen bestrafen wir nicht für seine unheilvolle Tat,
weil die Strafe keinen Zweck hätte, ihn nicht von ähnlichen Taten
abhalten würde ebenso wenig denjenigen, der keine Einsicht in die
Bedeutung seines Tuns hatte, der nicht weiss, was er tut; denn einem
intellektuellen Mangel gegenüber würde Strafe nichts nützen.
Den sinnlos Betrunkenen, der ein Verbrechen begangen hat, als
Verbrecher zu bestrafen, wäre deshalb sinnlos, weil keine Präsumtion
vorliegt., dass derselbe Mann im nüchternen Zustande sich der
gleichen Tat schuldig machen wird, und es also gar nicht erst eines
Strafmittels bedarf, um ihn davon zurückzuhalten, während, wenn er
von neuem trunken wird, die zurückhaltende Wirkung der früheren
Strafe doch ausgelöscht wäre; ähnliches gilt von demjenigen, der in
einer Notlage ein Verbrechen begangen hat.
Die zweckmässige Strafe für den Trunkenen ist diejenige für
seine Trunkenheit, weil (<214) er sich betrinkt, während er
nüchtern ist, und in diesem Zustande die erlittene Strafe ihren Zweck
erfüllen kann. Entsprechend rechtfertigt sich die Strafe der Fahrlässigkeit.
Das Bestraftwerden einer Handlungsfolge, an die man nicht gedacht
hat, soll dieser Folge eine erhöhte Reproduktionswahrscheinlichkeit
sichern; es ist der Gesichtspunkt, von dem der Brauch bei manchen
Stämmen ausging, beim Setzen eines neuen Grenzsteines die Jugend des
Ortes an diese Stelle zu führen und stark durchzuprügeln, damit die
Erinnerung daran ihr die Stelle in scharfem Bewusstsein erhalte.
Die grössere Milde, mit der die fahrlässige Sünde gegenüber der
bewussten bestraft wird, erklärt sich aus der Annahme, dass es keines
so kräftigen Eindrucks bedarf, um bloss das Bewusstsein jemandes für
die Folgen seines Tuns und Lassens zu schärfen, als da,, wo es sich
um die Umwandlung eines verdorbenen Willens handelt.
Wo wir Strafen mildern, weil der Täter sich nicht im vollen Besitz
seiner Freiheit befunden habe, da lässt sich dies überall so deuten,
dass für den Zweck, den man mit der Strafe erreichen will, die
schärfere nicht erforderlich ist.
Die gewöhnliche Anschauung schreibt Handlungen, welche Krankheiten
und Abnormitäten des Seelenlebens verraten, als solche ohne weiteres
körperlichen Ursachen zu, während sie bei normalem psychischem
Verlaufe dieses Verhältnis nicht ebenso zugibt, und deshalb im ersten
Falle Unfreiheit, im letzteren Freiheit zuerkennt.
Soll nun der Unterschied zwischen diesen beiden ein für sich
bestehender, objektiver sein, so ist jene Begründung seiner offenbar
völlig hinfällig.
Denn körperliche Veranlassungen und Korrelate sind doch auch für
das normalste und vernunftmässigste Bewusstsein vorhanden und den
Unterschied zwischen normal und innormal machen wir auf Grund gewisser
anthropomorpher Kategorien, ohne dass er das sachliche Verhalten der
Objekte berührte.
Normal und innormal sind Begriffe des Wertes, der Gewohnheit, der
Praxis, aber sie bedeuten (<215) nicht jenen fundamentalen
Unterschied in den Dingen selbst, den wir mit frei und unfrei
bezeichnen.
Wohl aber kann die Differenz zwischen den objektiven Zuständen,
die wir in diese Kategorien einreihen, eine solche sein, dass die
gleiche an sie geknüpfte Folge sehr verschiedene Bedeutung für die
sozialen Zwecke hat.
Der generelle Unterschied zwischen frei und unfrei, den man an den
zwischen rein seelischem und körperlich veranlasstem, oder zwischen
normalem und innormalem Verhalten geknüpft hat, ist also in dieser
objektiven Bedeutung nicht aufrechtzuhalten, in der er die Gleichheit
vor dem Naturgesetz in anthropomorpher Weise durchbricht, sondern kann
nur eine Spiegelung jenes Unterschiedes von Zuständen sein, den diese
in ihrer Beziehung zu unseren Zwecken aufweisen.
In dem privaten und öffentlichen ethischen Leben wird die gesamte
Reaktion auf die Unsittlichkeit mehr und mehr teleologisch; die Tat
ist nun einmal geschehen, sie kann nicht ungeschehen gemacht werden,
und jede auf sie hin erfolgende Massregel hat deshalb das Vergangene
nur soweit zu berücksichtigen, als es Erkenntnisgrund oder reales
Moment für die zukünftige Gestaltung der Dinge ist, auf die doch
allein alles Handeln gerichtet sein kann.
Diese Drehung des Standpunktes nach dem Teleologischen zu betrifft
nicht nur die reale Praxis des modernen Lebens, sondern auch die
Erkenntnis: auch diese führt die scheinbar rein begriffliche oder
ideelle Notwendigkeit mehr und mehr auf die Zweckmässigkeitsinstinkte
der Gattung zurück, und erklärt deren Reaktion auf das
unabänderliche Geschehene durch ihre Fürsorge für das noch zu
ändernde künftige Geschehen.
In Bezug auf das Freiheits- und Verantwortungsproblem aber ist
diese Maxime noch nicht fruchtbar geworden. Hier scheint noch der Zustand einer Freiheit oder Unfreiheit,
welcher vor dem Begehen der Tat an dem Täter subsistierte, für sich
allein über das Mass der strafenden Reaktion zu entscheiden.
Behalten wir statt dessen (<216) auch hier im Auge, dass die
Strafe von ihrem Zweck bestimmt wird, dass über sie in letzter
Instanz nicht ihr terminus a quo, sondern ihr terminus ad quem
entscheidet, so können wir die ganze Freiheitsvoraussetzung mit ihren
unlösbaren Schwierigkeiten ausschalten, und das Ob und Wie viel der
Verantwortung einfach davon abhängen lassen, welches Mass von Strafe
in dem gegebenen Falle zweckmässig ist, um die soziale Absicht alles
Strafens überhaupt zu erreichen.
Wir sind also nicht verantwortlich, weil wir frei sind, sondern
umgekehrt, Freiheit ist der Name für denjenigen Zustand, in dem ein
gewisses Strafmass wirksam und für die Zukunft nützlich ist; und wir
sind nicht unzurechnungsfähig, weil unser Wille unfrei, unsere freie
Willensbestimmung durch körperliche oder geistige Momente
ausgeschlossen ist, sondern umgekehrt heisst derjenige Zustand ein
unfreier, in dem es sinnlos, weil zwecklos wäre" uns unsere Tat
strafend zuzurechnen.
Die Vorstellung: er hätte auch anders gekonnt - auf die hin wir
strafen, ist nur die Spiegelung des Strafzwecks: er soll künftig
anders handeln. Es ist eine jener Projizierungen, die den Inhalt oder das Problem
einer Vorstellung oder Realität als Kraft, als Potenz vor dieselbe
verlegen.
Während man sich sonst vorzustellen pflegt, die Freiheit allein
sei es, die die Strafe gerecht macht, so sagen wir jetzt: ein
bestimmter Zustand allein ist es, der die Strafe zweckmässig macht,
und diesen bezeichnen wir als Freiheit.
Wie Gerechtigkeit ihrem Inhalte nach nur dasjenige ist, was der
Allgemeinheit gemäss der Gattungserfahrung nützlich ist, so bedeutet
die gegen ihre Ausübung gerichtete Frage: ob das Individuum, an dem
ihre positive Bestimmung vollzogen werden soll, auch frei ist - nur
dies, ob ihre Vollziehung an demselben auch wirklich dein
Gattungszwecke dient.
Und wenn wir sagen: es wäre ungerecht, ein völlig determiniertes
Wesen zu strafen, weil es gar nicht anders gekonnt hat, als so
handeln, wie es tat, so ist dies auch (<217) nur die
Rückwärtswendung der praktischen Erkenntnis, dass es sinnlos wäre,
ein Wesen zu strafen, dessen Handlungen so determiniert sind, dass die
Strafe keinen Einfluss auf dieselben ausüben kann.
Die Behauptung des Determinismus andrerseits, dass nur unter seiner
Voraussetzung überhaupt eine Strafe gerecht sei, ist, so lange wir
die Zurechnung ausschliesslich auf den vorhergehenden Zustand
gründen, immer nur künstlich und nicht ohne einen gewissen
Widerspruch des sittlichen Gefühles durchführbar; sie bezieht sich
eben auch, wenngleich verneinender Weise, auf den alten
Freiheitsbegriff, nach dem das Individuum auf Grund seiner
individuellen Beschaffenheit verantwortlich gemacht wird, statt auf
Grund des gesellschaftlichen Interesses an seinem zukünftigen
Handeln.
Dagegen ist jene deterministische Behauptung durchaus richtig,
sobald sie sagt: die Strafe hat erst dann einen Zweck, wenn das
Subjekt durch dieselbe determiniert wird; erst wenn wir annehmen, dass
die Reaktion des Verletzten auf den Verletzenden in berechenbar
gesetzmässiger Weise zu einem künftigen Schutze des ersteren führt,
hat die Strafe einen Sinn.
Weil es ein teleologischer Prozess ist, jemanden verantwortlich zu
machen, müssen wir von seinem Zwecke aus seine Fundamente, Freiheit
und Determination, bestimmen, die ewig in der Luft schweben, sobald
sie, sozusagen, als substanziell, als für sich bestehende, aus sich
begreifliche Inhalte aufgefasst werden.
Derjenige ist frei, den man mit Erfolg verantwortlich machen kann,
derjenige unfrei, bei dem man dies nicht tun kann. So münden wir tatsächlich an dem, was das sittliche Bewusstsein
von jeher gelehrt hat: dass man nur den Freien verantwortlich machen
darf, den Unfreien nicht - nur dass wir durch die Drehung in der
Reihenfolge der Begriffe nun nicht mehr nötig haben, eine Freiheit
vorauszusetzen, die aus sich selbst unverständlich, deren Antinomie
mit dem Determinismus unlöslich ist, sobald beide als primäre
Begriffe betrachtet (<218) werden.
Ferner gibt diese Deutung der Freiheit eine tiefere Rechtfertigung
jenes sittlichen Imperativs, der an die Stelle der Voraussetzung einer
vorhandenen Freiheit setzen will: befreie dich! denn dieses bedeutet
nun: gestalte deine Persönlichkeit so, dass die Reaktion der Gattung
auf dein Handeln auch zu den Zwecken führe, die diese dabei im Auge
hat.
Die Hingegebenheit an sinnliche Impulse, die Befangenheit in der
Lust des Augenblicks ist Unfreiheit, weil der solchem Unterworfene
erfahrungsgemäss die Verantwortungsfolgen seines Handelns nicht an
sich fruchtbar werden lässt; die Motive, die ihn beherrschen, haben
psychologisches Übergewicht über diejenigen, die aus früherem Lohn
und Strafe quellen.
So ist tatsächlich ein derartig sinnlich reizbarer, impulsiver
Mensch relativ unverantwortlich, was denn auch allgemein anerkannt
ist; er ist es aber nicht, weil ihm die mystische Qualität der
Freiheit fehlte, sondern weil es nutzlos ist, ihn verantwortlich zu
machen; nicht wegen seiner momentanen oder früheren Beschaffenheit an
und für sich, sondern wegen der teleologischen Bedeutung dieser
Beschaffenheit, für die die Freiheit nur eine Bezeichnung, aber nicht
ein besonderer, neben ]euer stehender Inhalt ist.
In dieser Bedeutung der Freiheit liegt also das Band zwischen
Unfreiheit und Unsittlichkeit, das so häufig zu der an sich
missverständlichen Identifizierung beider geführt hat. Andrerseits ist es nun auch gerechtfertigt, dass man Freiheit und
Vernünftigkeit identifizieren und nur den Vernünftigen
verantwortlich machen will.
Denn mit "Vernunft" bezeichnen wir die psychische
Energie, die jedem Lebensinhalte dasjenige Mass von subjektiver
Reaktion zukommen lässt, das ihm objektiv und mit Rücksicht auf das
Ganze des Lebens gebührt; die Vernunft ist das Vermögen, die rein
sachliche Bedeutung der Dinge sozusagen zeitlos vorzustellen,
ungestört durch das Übergewicht, das die Lebhaftigkeit momentaner
Reizungen diesen verschaffen will.
Die Vernünftigkeit ist also derjenige Zustand, in (<219) dem
Lohn und Strafe ihre Bedeutung am angemessensten und ungestörtesten
entfalten; in dem vernunftmässigen Wesen als solchem verschwinden
jene gleichsam von aussen eingreifenden sinnlichen Störungen, die die
beabsichtigten, sachgemässen psychologischen Folgen der Strafe
unberechenbar unterbrechen.
Deshalb wird bei einem solchen Wesen die Verantwortung die reinsten
und vollsten Ergebnisse haben, sie wird bei ihm zweckmässiger sein,
als bei dem sinnlich bestimmten, das mehr Augenblickswesen ist; an ihm
ist also tatsächlich derjenige Zustand vorhanden, der die
psychologische Grundlage zweckmässiger Verantwortung bildet und den
man als Freiheit zu bezeichnen pflegt.
Für die strafrechtliche Behandlung des Verbrechers eliminiert
diese Deutung wenigstens prinzipiell die schwierige Vorfrage, ob er
mit freier Willensbestimmung gehandelt hat oder nicht.
Der Verbrecher wird bestraft, wenn es zweckmässig ist, ihn zu
bestrafen; die Freiheit, von der man dies letztere abhängig macht,
ist nichts anderes als diejenige Beschaffenheit,. die die Strafe
wirksam,. also zweckmässig werden lässt.
Jene, wie erwähnt, durch psychologische Spiegelung entstandene
Vorstellung: dass wir ihn strafen, weil er frei war. d. h. weil er
auch hätte anders wollen können - hat allerdings eine relativ
richtige Bedeutung; wir strafen ihn, wenn und weil die Möglichkeit
vorhanden ist, dass er nach erlittener Strafe anders handelt; es muss
allerdings in ihm die Fähigkeit, die Spannkraft auch zu anderem
Handeln liegen, - sonst wäre die Strafe sinnlos.
Diese Möglichkeit, die erst durch die Strafe in einem späterer,
Moment aktualisiert werden soll, wird von der gewöhnlichen Anschauung
mit der anderen vereinigt, aus der das Unrecht hervorging, und als ihr
Äquivalent gesetzt - dies eben bedeutet der alte Freiheitsbegriff
-während tatsächlich die erstere in dem Moment vor der Tat eine sehr
viel schwächere war und erst der eingetretenen Strafe bedurfte, um
zur Wirklichkeit zu werden. (<220)
Aber dass sie als Möglichkeit, die freilich hinter der anderen
Möglichkeit an Kraft zurückstand, die Voraussetzung einer gerechten
- d. h. zweckmässigen - Strafe ist, das ist allerdings eine durchaus
richtige Präsumtion.
Man kann von hier aus also auf die volkstümlichste und scheinbar
gröbste Vorstellung der Freiheit zurückgreifen: Freiheit sei die
Möglichkeit, anders zu handeln, als man wirklich handelt.
Dieselbe ist ganz richtig, sobald man unter Möglichkeit nicht eine
qualitas occulta vorstellt, sondern dasjenige, was allein dem
Möglichkeitsbegriff eine Rechtfertigung gibt: ein ganz reales
Lagerungsverhältnis von Elementen, das vermöge des Eintritts neuer
Kraftwirkungen zu einem bestimmten Zustand oder Leistung fortgebildet
wird, in Hinsicht auf welche jenes eben als blosse
"Möglichkeit" gilt, während es an sich schon etwas
durchaus Wirkliches ist.
Die Möglichkeit ist die gedankenmässige Antizipation einer
künftigen Entwicklung und erhält ihren Ton von Ungewissheit, von
Schweben zwischen Ja und Nein nur durch die mangelnde Sicherheit
unseres Wissens um jenen Zustand und um das Eintreten der Bedingung,
die das Mögliche zum Wirklichen macht.
In diesem Sinne ist also wirklich die Freiheit die Möglichkeit des
Andershandelns - nur dass Möglichkeit hier so wenig wie irgendwo
sonst ein objektives äquilibrium zwischen Ja und Nein bedeutet,
sondern einen ganz realen psychologischen Zustand, der durch eine
bestimmte Einwirkung, die Strafe, in einen anderen, die Sittlichkeit,
übergeführt werden wird und also die "Möglichkeit" dieser
letzteren in sich enthält.
Es ist bezeichnend für diesen Sachverhalt, dass die deutsche
Kriminalistik bis zum Anfange dieses Jahrhunderts den Begriff der
Zurechnungsfähigkeit als solchen noch nicht ausgebildet hatte; man
beschränkte sich auf die Erörterung von Momenten, welche die Strafe
ausschliessen oder mildern: Jugend, Affekt, Geistesstörung,
Trunkenheit, ohne erst den Freiheitsbegriff dazwischen zu schieben.
Diese Tatsache(<221) weist darauf hin, dass nicht die
Freiheitsvorstellung der Grund ist, aus dem die Zurechnung erfolgt,
sondern dass umgekehrt die praktische Zweckmässigkeit zuerst diese
geschaffen hat und die Unzurechnungsfähigkeit nur als
zusammenfassender Ausdruck für jene Zustände anzusehen ist.
Durch diesen primären und nur praktisch, nicht metaphysisch
diskutablen Charakter der Zurechnung erklärt es sich auch, dass wir
unterhalb einer gewissen Altersstufe keine volle Zurechnungsfähigkeit
annehmen.
Freiheit müsste man doch auch einem sehr jungen Menschen
zusprechen, und wenn sie der Grund der Verantwortung wäre, auch ihn
voll bestrafen.
Allein naheliegende psychologische Erfahrungen haben gezeigt, dass
es, um die künftige Handlung eines jungen Menschen zu leiten, nicht
zweckmässig ist, ihn in derselben Weise zu strafen, wie einen ganz
erwachsenen, und dafür ist seine partielle Unzurechnungsfähigkeit
nur der Ausdruck.
Das relative Recht oder wenigstens der tatsächliche Bestand der
Abschreckungstheorie auch in ihren schroffsten Folgen beweist
dasselbe.
Wäre die Freiheit als ein primärer, für sich realer Zustand des
Individuums der Grund seiner Verantwortbarkeit, so wäre es
unverständlich, wieso man sogar bei völligem Mangel der damit
bezeichneten Beschaffenheit dem Täter seine Tat zurechnen konnte.
Tat man es dennoch, um ihn oder Andere künftig abzuschrecken, so
geht daraus hervor, dass der praktisch-soziale Zweck der Strafe über
sie entscheidet, dass er das Höhere ist, dem gegenüber das, was wir
Freiheit nennen, nur eine der Bedingungen bezeichnet, unter denen er
am leichtesten erreicht wird.
Ob verfeinerte Erkenntnis uns lehrt, unter Abweisung der
Abschreckungstheorie uns auf den Fall des Vorhandenseins dieser
Bedingung für die Strafe zu beschränken, kommt hier prinzipiell
nicht in Betracht.
Die blosse Tatsache, dass immerhin höhere Kulturen roch andere
Bedingungen des Verantwortlichmachens angenommen haben, als die
sogenannte Freiheit, beweist hinlänglich, dass nur der Zweck der
Strafe (<222) entscheidet, ob wir verantwortlich sind oder nicht,
und dass deshalb, wenn man die Freiheit zum Rechtsgrunde der Strafe
macht, man mit ihr nur denjenigen positiven Zustand bezeichnet, bei
dem die Strafe ihren Zweck am besten oder ausschliesslich erfüllt.
Die Vorstellung der Freiheit, als sei sie eine für sich bestehende
Potenz des Individuums, auf die hin nun, relativ zufällig und
begrifflich davon unabhängig, seine Verantwortbarkeit eintrete, ist
ein Produkt der individualistischen Weltanschauung; der
historisch-sozialen Betrachtung, die das Einzelne durch sein
Verhältnis zum Ganzen zu verstehen sucht, erscheint auch das
vorgeblich persönlichste Besitztum des Menschen, die Freiheit, als
eine Beschaffenheit, die ihren Charakter ausschliesslich von ihrer
sozialen Zweckmässigkeit erlangt.
Dass dennoch die Freiheit der Verantwortung gegenüber als der
fundamentalere, sozusagen breitere Begriff erscheint, von dem diese
erst abgeleitet, auf den sie, naturgemäss in beschränkterem Umfange,
erst aufgebaut ist - das ist eine Rückspiegelung der Tatsache, dass
für unser Gefühl die Verantwortung einen über ihre übliche oder
überhaupt mögliche Realisierung hinausgehenden Anspruch und Geltung
besitzt.
Und zwar stammt dieses Gefühl aus der Erfahrung, dass alles
Verantwortlichmachen nicht zureicht, um das geschehene Böse, dem es
gilt, völlig wieder gutzumachen.
Nicht einmal im Äusserlichsten ist dies möglich: der
zivilrechtliche Regressanspruch, den man auf Grund einer
Vermögensbeschädigung erhebt, kann wohl zum Ersatz der materiellen
und persönlichen Einbusse, nicht aber zu einem völligen
Wiedergutmachen der sittlichen und sozialen Erschütterung führen,
die jede Rechtsverletzung mit sich bringt.
Insoweit die Verantwortung für eine Störung der sittlichen
Ordnung eine wirkliche restitutio in integrum anstrebt, versucht sie
sich an einem eigentlich unlösbaren Problem.
Es wäre durchaus unzutreffend, die unsittliche Tat als eine
negative Grösse vorzustellen, zu der die Strafe (<223) entweder
als positive, oder als Negation der Negation derart trete, dass nun
wieder genau der vorige Stand erreicht ist.
Es verhält sich mit der Unsittlichkeit tatsächlich so, wie der
konsequente Pessimismus es vom Leiden behauptet: es gebe überhaupt
keine Ausgleichung desselben durch Lust, jeder Schmerz sei ein
absolutes Übel, das deshalb jede Äquivalenz und Möglichkeit einer Aufhebung, -
durch nachträgliche, noch so grosse Lustgefühle von
sich ablehne.
Die Störungen, die die Unsittlichkeit anrichtet, liegen oft auf
ganz anderen, oft auf unvergleichlich weiteren Gebieten, als
diejenigen sind, auf denen die Strafe ihre wieder gutmachende,
ausgleichende Wirkung übt.
Schon rein individuell wird die Strafe häufig sozusagen in anderen
Seelenprovinzen empfunden als in der Heimat der Tat, auf die sie die
Reaktion bildet.
Was wir als Verstocktheit gegenüber der Strafe oder als
Unverbesserlichkeit bezeichnen, das mag oft auf eine derartige
psychologische Konstellation herauskommen, auf eine mangelnde
Verbindung zwischen dem eigentlichen Sitz der Unsittlichkeit und dein
Gefühlszentrum, in das die Strafe mündet; nicht nur die äussere,
sondern auch die innere Strafe, die Reue und Zerknirschung bis zu
ihren extremsten Graden, liegen oft völlig beziehungslos neben dem
unsittlichen Triebe, so dass dieser seine Macht übt, seine
Verwirklichung durchsetzt, während man sich zugleich völlig darüber
klar ist, mit welchen.
Gewissensqualen man diese Unsittlichkeit bezahlen muss. Gerade aus dieser Tatsache ist wiederum ersichtlich, wie sehr es
für die Verantwortung eines einheitlichen Ichs bedarf; jene kann es
nur geben, wenn die Reaktion auf die Tat wirklich an eben den
psychischen Punkt gelangt, von dem die Tat ausging.
Die relative Häufigkeit, mit der dies geschieht, wird in der
Vorstellung des einheitlichen Ich substanzialisiert und
verabsolutiert. Dass es aber häufig auch nicht geschieht, ist eines der Momente,
die die Balance zwischen der Tat und ihrer Strafe unterbrechen.
Wenn die Tat noch so (<224) schwer heimgesucht, die
Verantwortung noch so energisch realisiert ist - es ist doch nicht als
ob Nichts geschehen wäre; mag man auf die Beschaffenheit des Täters,
auf die sozialen Folgen oder auf die Bedeutung für die sogenannte
sittliche Weltordnung sehen - in allen diesen Beziehungen ist die
genaue Deckung von Tat und Sühne, die wirkliche Aufhebung der Schuld
durch die realisierte Verantwortung teils unbeweislich, teils ihr
Gegenteil beweislich.
Es bleibt immer ein unaufgegangener Rest, für den ideeller Weise
wohl Verantwortung erfordert wird, ohne dass doch eine anführbare
Grösse und Gestaltung derselben die Ursache und Folge des Bösen wie
ungeschehen machen würde. Und so verhält es sich vielfach auch mit der Reaktion auf das
Sittliche und Gute.
Insbesondere bei edleren Naturen kompensiert sich der Dank nicht,
den sie für gegenseitig erwiesenes Gutes einander schulden; man
fühlt sich nicht von aller weiteren Verpflichtung entbunden, nachdem
man das gleiche Mass von Gutem, das man erfahren, zurückgegeben hat.
Mögen wir einen Dank noch so nachdrücklich betätigen: es bleibt
doch noch ein Residuum in dem Gefühle, dass das innerliche Band mit
alledem nicht völlig gelöst sei und bei einer neuen Gelegenheit doch
wieder seine verpflichtende Kraft äussern könne.
Bei der Liebe, die wir von jemandem erfahren, haben wir die
Vorstellung, dass sie ebenso wenig ganz und gar und ohne Rest
vergolten, wie sie eigentlich verdient werden kann; sie bleibt immer
ein Geschenk, auf das wir nicht nur keinen äusseren, sondern auch
keinen inneren Anspruch haben, und das wir nicht einmal mit der
gleichen Gegenliebe vollkommen vergelten können.
Sowohl dem Unsittlichen als dem Sittlichen gegenüber ist es eine
rohe Vorstellung, dass er "seinen Lohn dahin haben" könne;
die unsittliche und die sittliche Handlung weisen sowohl in ihren
Ursprüngen wie in ihren Folgen auf die Totalität des Individuums,
wie des sozialen Kreises hin, und die von dem Standpunkt des
sittlichen Ideals aus geforderte Reaktion (<225) auf beide
überragt deshalb immer dasjenige Mass, in dem Lohn und Strafe
empirisch zu verwirklichen ist.
Dabei ist aber kein Zweifel, dass es sich bei jener idealen
Forderung nur um eine Fortsetzung der empirisch geübten Verantwortung
handelt, nur um ein Weiterdenken derselben über ihr tatsächlich
vorgefundenes, als zweckmässig konstituiertes Mass hinaus; und wie so
oft tritt die ideale Vergrösserung und Verabsolutierung der relativen
Grösse dann als das sachlich Primäre auf, aus dem jene erst
hervorgegangen wäre.
Wenn es also als ein Widerspruch erscheint, dass die Freiheit nur
der Zustand sein soll, in dem Jemanden verantwortlich zu machen sozial
nützlich ist, und dass andrerseits die Freiheit als ein
unvergleichlich umfassenderer Zustand als die blosse
Verantwortlichkeit vorgestellt wird: so erklärt sich dies dadurch,
dass die Verantwortung durch jene innere Verbreiterung psychologisch
zu der Totalität des Gebietes auswächst, von dem ihre wirkliche
Ausübung nur einen Teil besetzt.
Indem die Freiheit nun insbesondere wegen ihres Zusammenhanges mit
dem Ich 'auf den weiteren und ideellen Sinn der Verantwortung bezogen
wird, überschreitet sie allerdings den Umfang, der ihr als blosser
die empirische Verantwortung rechtfertigender Zustand zukommt, ohne
damit prinzipiell diese Genesis zu dementieren; denn jener weitere
Sinn ist, wie wir sehen, nichts Primäres, sondern geht auch
seinerseits auf die empirische Verantwortung zurück, die er nur in
einem Vergrösserungsspiegel auffängt.
Ich habe in dem Bisherigen die psychologische Vermutung über die
Entstehung des Freiheitsbegriffes nicht scharf von der sachlichen
Bestimmung seiner Anwendbarkeit getrennt.
Es schien mir, als ob es behufs der letzteren nötig sei, durch
psychologische Analyse diejenigen Momente zur Klarheit zu bringen, auf
die hin die soziale Zweckmässigkeit diesen Begriff und seine
Anwendungen zu Stande gebracht hat.
Ich knüpfe hieran einige nur psychologische (<226)
Überlegungen, die nicht sowohl den Inhalt der Freiheit als die
Gelegenheiten beleuchten sollen, die die Entstehung ihrer Vorstellung
bedingen.
- Ich habe vorhin und schon früher (Bd. I. S. 287 f.)
hervorgehoben, dass der Freiheitsbegriff auf einer zeitlichen und
dynamischen Koordinierung mehrerer Handlungsweisen beruhe, die
tatsächlich erst nach einander und mit verschiedenen Stärkegraden in
das Bewusstsein treten.
Wir empfinden verschiedenartige Impulse, von denen in Wirklichkeit
der eine ganz, der andere gar nicht die Kraft hat, unser Handeln in
einem gegebenen Augenblicke zu bestimmen; dennoch reicht jener anders
gerichtete Antrieb aus, um ihn mit den anderen zusammen als einander
äquivalente Seiten eines Dilemmas zu empfinden, zwischen denen die
Entscheidung erst durch das Dazutreten einer freien Willenstat gegeben
würde; die Bestimmung derselben erfolge nicht durch das Übergewicht
des einen Impulses über den anderen, sondern umgekehrt, der Wille
müsse erst einem der an sich gleichen Reize das Übergewicht
verleihen.
Oder wir konstatieren die, eigene oder fremde, Fähigkeit, sich
durch den Eintritt gewisser Tatsachen, insbesondere von Strafe oder
veränderten Lebensverhältnissen in einem späteren Augenblick zu
anderen Handlungen bestimmen zu lassen, als in früheren.
Dies hypostasiert der Freiheitsbegriff dahin, dass uns schon in dem
früheren Zeitpunkt beide Handlungsweisen gleichmässig möglich
gewesen wären.
So stellt dieser Begriff allenthalben die sachlichen Inhalte des
Handelns zusammen, die freilich als äquivalente, als
gleichberechtigte und deshalb eines entscheidenden Willens bedürfende
Möglichkeiten erscheinen, weil man alle diejenigen Momente
vernachlässigt, die zu den blossen Inhalten hinzutretend, die
Möglichkeit des einen von vornherein zur alleinigen Wirklichkeit
prädestinieren. (<227)
Die allgemeinste Beobachtungsgrundlage dieses ganzen
Gedankenkreises ist also offenbar die inhaltliche Verschiedenheit der
menschlichen Handlungen.
Auf den Gedanken, dass wir auch anders handeln könnten, als wir
wirklich handeln, würden wir schwerlich kommen, wenn wir nicht
beobachteten, dass wir zu verschiedenen Zeiten selbst unter
ähnlichsten Umständen tatsächlich in sehr verschiedener Weise
handeln.
Wie die Vorstellung von Kausalität nur auf Grund der beobachteten
Regelmässigkeit der Erscheinungen entsteht, so ihr Gegenteil, die
Freiheitsidee, auf Grund der beobachteten Unregelmässigkeit
derselben.
Mit beiden greifen wir unter die Erscheinungen hinab, um ihre Form
durch eine transzendentale Potenz zu erklären, in beiden Fällen
kommen wir freilich auch nicht weiter als bis zu einer Verdichtung der
Erscheinungen, die ein selbständiges psychologisches Leben gewinnend,
als Urgrund derselben erscheint, und uns so das Problem als seine
eigene Lösung verkleidet wiedergibt.
Auch von dieser Seite her, die die empirische Mannigfaltigkeit und
Entgegengesetztheit der Handlungen als die Entstehungsgelegenheit der
Freiheitsvorstellung erscheinen lässt, zeigt sich die Verbindung
derselben mit dem Ich.
Denn eben diese Differenz der psychischen Inhalte, die Weite ihres
Auseinanderliegens wird erst die Idee einer einheitlichen Wurzel,
einer zusammenhaltenden Potenz ihrer nahegelegt haben.
Auch das, was wir im engeren empirischen Sinne das Ich nennen: das
Gefühl starker Individualität, die scharf umrissene Persönlichkeit,
das sichere Ruhen in sich selbst - das erhebt sich doch am
entschiedensten und beherrschendsten gerade über den
gegensatzreichsten Schicksalen, über der grössten Fülle innerer und
äusserer Bewegungen.
Das Bedürfnis nach der Einheit erwächst erst, wenn die Vielheit
gegeben ist, und es wächst in dem Masse, in dem diese steigt -
natürlich nur bis zu einer gewissen Grenze; geht die Vielheit und
Heterogenität der einzelnen psychischen (<228) Inhalte über
dieses Mass hinaus, so sprengt sie die Ich-Form und lässt die Inhalte
gewissermassen beziehungslos auseinanderfallen.
Man könnte dies die Elastizitätsgrenze des Ich nennen. Bis zur Erreichung derselben aber wirkt die Ich-Form um so
entschiedener, eine um so grössere Fülle von Entgegengesetztheiten
ihr zusammenzuhalten zugemutet wird.
Je einförmiger umgekehrt die Inhalte des Lebens abrollen, je mehr
deshalb der eine aus dem anderen verständlich und mit ihm harmonisch
ist, desto weniger Veranlassung liegt vor, zu einem darüberstehenden
Ich zu greifen, das vielmehr erst dann nötig ist" wenn das
Zusammenbestehen des Heterogensten eine verbindende Macht fordert; um
so formaler, um so mehr "reines Ich" muss diese sein, je
divergenter die Inhalte sind, deren Entstehen, Folge und
Wechselwirkung sie erklären soll.
So bildet denn die empirische Mannigfaltigkeit des Lebens ein neues
Band zwischen dem Ich und der Freiheit: jenes wird verlangt, um
überhaupt deren Möglichkeit, diese, um ihre Entstehung zu erklären.
Wie eines Ich, so scheint es eines ganz undeterminierten, nicht präjudizierten Vermögens zu bedürfen, das alle
"Möglichkeiten" überhaupt in sich schliesst, damit es zu
der Buntheit und Fülle jener Inhalte überhaupt komme.
Nützlicher für das wabre Verständnis des Freiheitsproblemes als
alle dialektischen Deduktionen wäre deshalb die psychologische
Aufsuchung und Analyse solcher typischen Willensvorgänge, deren
Nebeneinanderbestehen zwar gegeben" aber nach logischen,
sachlichen Gesichtspunkten unbegreiflich scheint.
Denn darin, dass die Inhalte unserer tatsächlichen Willensakte
nach begrifflichen, ethischen, ästhetischen, rationalen Normen jeder
Art so unvereinbar auseinander liegen, dass ebenderselbe Mensch mit
ebenderselben psychologischen Kraft niedrig und edel, kraftvoll und
schwächlich handelt, dass Liebe und Hass, Geistigkeit und
Sinnlichkeit seiner Interessen abwechselt, dass er einmal den
höchsten Ansprüchen, ein andermal kaum den niedrigsten genügt . und
zwar ohne dass die Verschiedenheit begleitender Umstände es
gestattete, diese Verschiedenheit schliesslich doch auf die Gleichheit
allgemeinster Gesetze zurückzuführen - darin fliesst zweifellos eine
Quelle der Freiheitsvorstellung.
Die Erfahrung, dass wir das Heterogenste nacheinander und auch
gleichzeitig in verschiedenen Provinzen unserer Interessen und
Fähigkeiten Wollen, ist gewiss ein Ursprung des Glaubens, dass wir an
dein letzten einfachen Punkte unseres Wesens die Wahl zwischen den
entgegengesetzten Möglichkeiten des Wollens haben.
Auf die Ursache und die Bedeutung dieser inhaltlichen Divergenz der
psychischen Tatsachen komme ich in einem späteren Abschnitte zu
sprechen; hier handelt es sich nur darum, dass sie ihrerseits die
Veranlassung bildet, zu der Annahme eines Freiheitsvermögens zu
greifen.
Als ein Gegenstück dazu, das zwar mehr nach der Seite des
Objektiven gewandt ist, aber gleichfalls die psychologische
Freiheitsvorstellung begründen hilft, nenne ich die Fähigkeit der
Phantasie, sich das Geschehen in allen drei Zeitmodis anders
vorzustellen, als es tatsächlich verläuft.
Statt der Dinge und Ereignisse, die die Erfahrung uns zeigt,
können wir rein ideell uns völlig anders qualifizierte denken, sehen
wir auf den blossen Inhalt des Weltbildes, ohne nach seiner
Wirklichkeit zu fragen, so können wir denselben vermöge der Eigenart
unserer Einbildungskraft ganz beliebig gestalten.
Indem min aber, wie ich im ersten Kapitel ausführte, zwischen dem
inhaltlichen Gedanken der Dinge und der Vorstellung. dass sie wirklich
sind, nur eine verschwimmende Grenze besteht, nimmt das bloss
innerliche Vorstellen-Können einer anderen als der wirklichen
Ordnung, einen Ton an, als läge in den Dingen selbst etwas wie eine
objektive Möglichkeit sieh anders zu verhalten, als sie es
erfahrungsgemäss tun.
Erst die strengste erkenntnistheoretische Schulung überzeugt uns,
dass nur das (<230) Wirkliche möglich ist; in der gewöhnlichen
lässigeren Denkart glauben wir unzählige Male, dass die Dinge
hätten anders kommen können, als sie wirklich gekommen sind.
Da derartige Denkmöglichkeiten immer an irgendwelche Elemente der
Wirklichkeit anknüpfen, die sie nur nach Ausdehnung und Richtung
modifizieren, so scheint das so entstandene Phantasiebild doch nicht
ganz ausserhalb der Wirklichkeit zu liegen, diese selbst scheint die
Kräfte zu enthalten, die eben sogut und ohne die bestehende
Weltordnung total zu verneinen, dieses bloss Mögliche hätten
verwirklichen können, das bis zu einer gewissen Stufe keine geringere
Chance der Realisierung hatte, als das tatsächlich Realisierte.
Bis uns die Ereignisse nachdrücklich eines anderen belehren, sind
wir sehr geneigt, die Wirklichkeit uns so vorzustellen, wie wir sie
uns wünschen oder träumen, und deshalb haftet selbst nach dieser
Belehrung noch ein Schatten von Realität an jenem bloss Gedachten,
Unwirklichen.
Da es nun die von Menschen geleiteten Angelegenheiten sind. mit
denen unsere Interessen und Berechnungen, unsere Hoffnungen und
Wünsche sich in allererster Linie beschäftigen, so ist ersichtlich,
wieso gerade das menschliche Handeln dein Gedanken von Möglichkeiten
Raum geben konnte, die doch nicht ganz des psychologischen
Wirklichkeitstones entbehren, und so selbst nach völliger
Dementierung durch die Wirklichkeit uns noch immer glauben lassen,
dass auch sie sich hätten verwirklichen können.
Das aber eben ist die objektive Seite des Freiheitsbegriffes.
In Bezug auf das eigene Handeln wird diese Grenzverschwommenheit
zwischen dem bloss Gedachten und dem Wirklichen, wie ich bereits
früher ausführte, dadurch begünstigt? dass wir auch zu den im
Konfliktfalle unausgeführt gebliebenen Handlungen einen Trieb und
innerlichen Ansatz gespürt haben, so dass ein wenn auch schwächerer
Grad von Wirklichkeit auch auf ihnen haftet.
Jene auf sie hindrängenden Kräfte sind nicht nur das, was sie
bedeuten, wenn sie rein auf (<231) ihren aktuellen Inhalt hin
angesehen werden, sondern sie gelten zugleich als die objektive
Möglichkeit der Handlungen, zu denen sie bei nahe geführt hätten.
Die Leistung der Phantasie, die das Nichtwirkliche zu dem
psychologischen Werte des Wirklichen ausbaut, ist eine um so kürzere
und leichtere, je näher uns innere Antriebe, wenn auch schliesslich
unterliegend, an seine Verwirklichung heranbringen.
Dies ist aber doch nur ein besonderer und psychologisch besonders
begünstigter Fall jener Abschwächung der Kategorien des Seins und
des Nichtseins, vermöge welcher neben dem Wirklichen das bloss als
möglich Gedachte in die gleiche Beleuchtung rückt und durch die
Einbildungskraft gewissermassen die gleiche Chance der Verwirklichung
erhält.
In der so entstehenden Situation gewinnt die Freiheitsvorstellung
Raum und Kompetenz, indem eine Reihe von Möglichkeiten äquivalent
erscheinen, von denen sich schliesslich nur eine verwirklichen kann -
eine Verwirklichung, deren Ursache jener Äquivalenz wegen nicht in
den Möglichkeiten oder ihren Faktoren selbst scheint liegen zu
können, sondern in einer darüberstehenden, von ihnen selbst nicht
bestimmten, also frei wählenden Macht gesucht werden muss.
Die Freiheit zeigt an sich selbst und ihrem Gegenteil ein
ähnliches Mischungsverhältnis als Grundlage des Handelns, wie es
hier zwischen objektiven Kategorien als Bedingung ihrer selbst
auftritt.
Ich habe die Antinomie der längst bekannten Deduktionen
hervorgehoben, nach denen weder der konsequente Determinismus noch die
konsequente Freiheitslehre ein verantwortliches Handeln ermöglicht.
Tatsächlich vollzieht sich unser Handeln auch weder unter der
einen noch unter der anderen Voraussetzung, sondern auf Grund einer
psychologischen Mischung beider, die wahrscheinlich von Fall zu Fall
ihre Quantitäten wechselt. Das empirische Bewusstsein des "freien" Handelns bedarf
geradezu eines mittleren Zustandes zwischen dem (<232) Bewusstsein
der Determiniertheit und der Nichtdeterminiertheit.
Es ist ein landläufiger Irrtum, dass das
praktische Handeln sich jenseits dieser Frage stellte, dass unsere
theoretischen, nach der einen oder nach der anderen Seite gerichteten
Überzeugungen ohne Belang wären, sobald es aufs Handeln ankäme.
Wir würden vielmehr irgendwie zusammengesetzte,
durch mehrere Zeitmomente sich erstreckende Handlungen nicht
einleiten, wenn wir an jene absolute Freiheit glaubten, die den
Entschluss jedes Augenblicks völlig gegen alles Vorangegangene
isoliert.
Denn unter dieser Voraussetzung wäre jede Handlung
aussichtslos und kindisch, die ihren Erfolg erst bei einer gewissen
Konsequenz der weiteren Durchführung erwarten kann.
Selten führt uns in irgend höheren Verhältnissen
der erste Schritt schon zum Ziele; könnten wir nun nicht darauf
rechnen, dass der Wille auch zu jenen weiteren Handlungen eintritt,
die durch die Endabsicht der ersten bestimmt sind, so würden wir uns
in das ganze Engagement von vornherein nicht einlassen.
Wir sind also tatsächlich überzeugt, dass unser
Wille nicht in jedem Augenblick neu aus dem Nichts geboren wird,
sondern dass vorhergehende Inhalte im Zusammenhänge mit äusseren
Verhältnissen ihn determinieren, und zwar mit solcher Sicherheit,
dass uns ein Zweifel an dem Eintreten des vorbestimmten Entschlusses
zu der vorbestimmten Zeit überhaupt gar nicht kommt, und wenn doch,
so nur auf Grund positiver Momente, anderweitiger Kräfte, von denen
wir eben auch eine ]irgendwie berechenbare, kausale Ablenkung unseres
Willens vermuten.
Bei rein psychischen Vorgängen. in die der Wille
eingreift und in denen er seine Freiheit am unbedingtesten zu
entfalten scheint, muss gerade in dieser Beziehung ein strenger
Mechanismus vorausgesetzt werden.
Wenn wir uns auf eine Vorstellung besinnen, wenn
wir uns vornehmen, zu bestimmter Zeit an Bestimmtes zu denken. so ist
der Erfolg davon und die Sicherheit desselben nur durch den
Assoziationsmechanismus, möglich, der (<233) von der momentanen
Vorstellung aus wirkend eine Kausalkette knüpft, die schliesslich in
der gesuchten Vorstellung mündet.
Wir können keine Vorstellungen durch Willensentschluss unmittelbar
hervorrufen, sondern uns nur auf die gesetzmässige Wirkung jenes
Mechanismus verlassen, gerade wie der Herr den Diener nur so mit
Erfolg herbeiruft, dass die ganze Kette psychischer und physischer
Assoziationen von dem ersten Gliede dieses Geschehens bis zum letzten
wirkt.
Alle unsere Verhältnisse zu anderen Menschen beruhen auf der
vorausgesetzten Berechenbarkeit, also Gesetzmässigkeit ihres Wollens,
auf einer Annahme, die eine entfernte Analogie mit dem
Trägheitsgesetz besitzt: wir nehmen an, dass der Willenscharakter,
ja, innerhalb begrenzter Zeiträume auch der Willensinhalt jedes
Menschen umgeändert bleibt, wenn keine positiven Ursachen verändernd
auf ihn einwirken.
Der ganze Verkehr von Menschen untereinander ist ein Gewebe von
psychologischen Einwirkungen, und wäre schlechthin unmöglich, wenn
nicht jeder darauf vertraute, dass ein von ihm ausgehender Einfluss
auf den Anderen in diesem einen kausal völlig determinierten
Willensakt auslöste.
Diese Determiniertheit der Anderen, zu deren Konstatierung und
Ausnützung uns praktische Gründe zwingen, ist vielleicht ein
Ursprung der Überzeugung auch der eigenen Determiniertheit geworden,
und zwar durch einen eigentümlichen dialektischen Prozess" wie
ich ihn früher schon an der schliesslichen Vernichtung des Egoismus
durch die Wertung des Altruismus, die doch ursprünglich aus jenem
hervorging, aufgezeigt habe.
Zunächst nämlich erscheint der Handelnde sich selbst als frei; er
selbst behält sich freie Hand und glaubt sein, Handeln in jedem
Augenblick völlig willkürlich gestalten und der Berechnung Anderer
entziehen zu können.
Das Material seines Handelns aber sind andere Individuen, mit denen
er als mit berechenbaren Grössen operiert, deren Bestimmbarkeit durch
sein eigenes Handeln und sonstige Einflüsse (<234) er voraussetzt.
Ja diese Determiniertheit der Anderen ist gerade die Bedingung,
unter der seine eigene Freiheit sich bewähren und wirkungsvoll
ausgestalten kann.
Wie im politischen und wirtschaftlichen Leben die Freiheit des
Einen, die allerdings hier nur einen ganz empirischen Sinn hat, oft
genug, die Unfreiheit Anderer zum Korrelat hat, so ist es allgemeinste
und naivste Voraussetzung unserer Beziehungen zu Menschen, dass sie
zwar berechenbar, also determiniert, wir aber in jedem Augenblick noch
in unserem Entschlusse frei wären.
Allein diese Annahme der Determiniertheit Anderer muss sich
schliesslich auch auf das eigene Ich zurückerstrecken, im Gegensatz
gegen welches sie ursprünglich bewusst wurde.
Wachsende Objektivität lehrt uns oder besteht vielmehr in der
Überzeugung, dass wir, ,die Subjekte, denselben Normen, wie alle
anderen, die uns als Objekte gegenüberstehen', unterliegen, auch wenn
die Feststellung dieser Normen und das Interesse an ihnen zuerst
gerade von einer Ausnahmestellung ausging, die wir uns in Bezug auf
sie jenen gegenüber zusprachen.
Dieses Zutrauen zu der Determiniertheit des Wollens wird nun aber,
um das Handeln, wie es wirklich ist, zu ermöglichen, durch sein
Gegenteil ergänzt, das sich einerseits als Glaube an die Freiheit,
andrerseits als Unkenntnis der speziellen Inhalte und Gesetze der -
prinzipiell zugegebenen - Determination darstellt.
Insoweit unser Handeln sich auf Andere bezieht, fallen die
praktischen Konsequenzen der beiden letzteren Möglichkeiten zusammen;
das Nichtwissen in Bezug auf die künftige Willkür Anderer affiziert
mein eigenes Verhalten offenbar in der gleichen Weise, gleichviel ob
dieses Nichtwissen aus dem Mangel objektiver Determination oder aus
der Unzulänglichkeit meiner Erkenntnis solcher hervorgeht.
Tatsächlich werden unsere gesamten Beziehungen zu Menschen dadurch
gefärbt, dass jener Berechnung ihres Verhaltens, jenem Vertrauen auf
ihre Bestimmbarkeit immer eine leise Reserve zur Seite (<235) geht,
dass doch auch ein anderes Verhalten ihrer nicht völlig
ausgeschlossen sei; die Sicherheit des kausalen Wissens steigt doch
selten in die Kategorie der Unbedingtheit auf, und wo es der Fall ist,
wo der Glaube an einen Menschen und an das Beharren seiner Gesinnung
von jedem Hauch eines Zweifels frei ist, da bekennen wir doch, dass es
ein Glaube ist, der, dem religiösen verwandt, eine grössere
subjektive Sicherheit besitzen kann, als alles Wissen. aber trotzdem
eben nicht Wissen ist.
Aus der im allgemeinen herrschenden Mischung
von Sicherheit und Unsicherheit über die Determinierung der
menschlichen Faktoren unseres Tuns stammt die praktische Aufgabe der
Lebensklugheit, mit dem künftigen Willen Anderer nie wie mit einer
absolut sicheren Grösse zu rechnen; unsere Handlungen vielmehr so
einzurichten, dass sie selbst bei einer unberechneten Änderung der
Willkür jener ihr Ziel möglichst erreichen; diese Willkür niemals
als die eine Karte zu behandeln, auf die wir alles setzen.
Jede einigermassen vertiefte Betrachtung zeigt, dass unsere
gesamten Lebensformen, die gesamten Usancen des sozialen Verkehrs, von
dieser Maxime, in verschiedenem Grade, bestimmt sind. Die Alleinherrschaft entweder der Berechenbarkeit oder der
Unberechenbarkeit Anderer würde unser gesamtes Leben und Handeln in
nicht ausdenkbarer Weise abändern.
Im Gegensatz hierzu scheidet sich, was die Beurteilung unserer
selbst und ihre Konsequenzen betrifft, die blosse Unkenntnis der an
sich determinierten Zukunft des Willens aufs schärfste von dem
Glauben an seine Freiheit.
Unsere gesamte Gefühlssphäre, unsere Beurteilung vom Werte des
Daseins, der Spannungsgrad unseres Wollens erfährt zweifellos
bedeutsame psychologische Modifikationen durch die Überzeugung von
der Freiheit oder der Unfreiheit des Ich.
Der Glaube an ein Kismet, das unsere inneren und äusseren
Schicksale lenkt, ohne eingreifender Willkür die geringste Folge zu
gestatten, bleibt sicher nicht ohne Folge für die (< 236)
Totalität unseres Wesens und Handelns. Denn wenn dieser Glaube auch ein Produkt des Charakters und der
sozialen Schicksale orientalischer Völker ist, so ist doch kein
Zweifel, dass er seinerseits wieder auf diese bestimmend
zurückgewirkt hat.
Andrerseits verleiht der Glaube an die eigene Freiheit, mag man nun
eine ganz klare und haltbare Vorstellung damit verbinden oder nicht,
dem Innenleben eine unvergleichliche Weite und Vornehmheit, ja, man
möchte sagen, einen Respekt vor dem eigenen Ich, das eine ganz
unberechenbare Zukunft, eine Unendlichkeit möglicher Entwicklungen
aus sich zu produzieren fähig ist.
Allerdings kann man auch hier sagen, dass der Freiheitsglaube nicht
sowohl die Ursache eines derart wertvollen Verhaltens, als der blosse
Name wäre, in dem man die Bedingungen eines solchen einheitlich
zusammenschlösse; wie wir es von der Vernünftigkeit, von der
Natürlichkeit des Handelns nachgewiesen haben, sei auch seine
Freiheit nur ein Ehrentitel, mit dem man seine Vorzüge nachträglich
schmückte.
Man kann dies zugeben und doch behaupten, dass gerade die
Vereinigung so vieler wertvoller Qualitäten und Besitztümer in dem
Begriffe der Freiheit von der grössten psychologischen Bedeutung
wäre; und zwar liegt das Bedeutsame und Einflussreiche dieser
Vorstellung nicht nur in jenem zuerst sich darbietenden Sinne: dass
mehrere Möglichkeiten sich in gleicher Weise eröffnen, von denen die
eine oder die andere zu verwirklichen in der Macht des freien Willens
liege; die Funktion der Freiheit ist nicht, wie es hiernach scheinen
könnte, - nach gefasstem Entschlusse abgeschlossen, sondern wirkt
vielmehr noch darüber hinaus in dem Bewusstsein, auch den bereits
gefassten Entschluss noch zurücknehmen zu können, sei es inmitten
seiner Realisierung, sei es, wo dies nicht mehr angeht, wenigstens in
Bezug auf die Grundabsicht, die uns dabei leitete, und auf den
moralischen Charakter derselben.
Dieser Sinn der Freiheit, dass sie nicht nur bis zur Schwelle der
(<237) Tat führt, sondern auch noch nach dieser in jedem
Augenblick das innere Prinzip, aus dem sie hervorging, umwandeln kann;
dieses Gefühl, gerade in dem moralisch Wertvollen, in der Gesinnung,
auch durch die eigene Vergangenheit nicht präjudiziert zu sein - gibt
unserem ganzen Innenleben eine Färbung, deren Fehlen das Bild
desselben in seinen Grundzügen ändern würde.
Gleichviel ob wir in Wirklichkeit frei oder determiniert sind, ob
die Vorstellung des einen und des anderen selbst psychologisch
notwendig ist oder nicht: diese innerlichen Konsequenzen ihrer bleiben
davon unberührt; sie wirkt einfach als psychische Kraft, deren
Erfolge, wenn sie einmal da ist, mit ihrer eigenen Provenienz nichts
mehr zu tun haben.
Und ebenso ist es für unsere innere Gesamtsituation, die sich aus
dem Vertrauen auf unsere Determiniertheit einerseits und der
Überzeugung von unserer Freiheit andrerseits zusammensetzt, ganz ohne
Belang, ob dieses beides logisch sich miteinander verträgt.
Es widerspricht sich tatsächlich nicht nur, wenn man beide
Elemente unserer Meinung von uns selbst in ihre Konsequenzen verfolgt
und damit an einem Entweder-Oder mündet, das mit der Annahme des
einen das andere völlig ausschliesst - dies ist das Schicksal fast
aller prinzipienmässigen theoretischen Behandlung realer
psychologischer Verhältnisse sondern auch in jenem relativen Mass, in
dem sie tatsächlich auftreten, widersprechen sie sich oft genug, ohne
dass wir diesen Widerspruch fühlen und das friedliche Kompromiss
dadurch stören lassen, in dem sie sich, wahrscheinlich nach höherer
praktischer Zweckmässigkeit quantitativ abgeteilt, zur Herstellung
unserer Gesamtlage zusammentun.
Für die möglichst erwünschte Gestaltung unseres Lebens ist bald
der Glaube an Freiheit, bald an Determiniertheit nützlich; immer
wechselnde Kombinationen werden erfordert, um gerade das für den
vorliegenden Zweck nötige Mass von Energie hervorzurufen, jenes
Spielen zwischen Sicherheit und Unsicherheit über (<238) sich
selbst und Andere, das ein Apriori alles menschlichen Zweckhandelns
ist; vielfach mögen auch Zustände vorhanden sein, die in sich
einheitlich und ganz sui generis sind, und erst durch nachträgliche
Deutung, und weil wir keine eigenen Kategorien für sie haben, in das
Gefühl von Freiheit und das von Determiniertheit zerlegt bez. als
Mischung derselben verstanden werden.
Die moralwissenschaftliche Ergründung des Freiheitsproblems wird
vielleicht erfolgreicher werden, wenn sie sich an der Feststellung der
Rolle versucht, die die Freiheitsvorstellung und ihr Gegenteil in der
wirklichen Gestaltung des psychischen und sittlichen Lebens spielen -
als wenn sie sich in begrifflichen Erörterungen ergeht, deren
Elemente die Ethik doch nur aus der Tatsächlichkeit des Seelenlebens
gezogen und deren relative Masse sie zu absoluten Prinzipien
gesteigert hat; auf diese Weise musste sie, indem die Steigerung nach
beiden Seiten ging, an tödlichen Gegensätzen münden, auf deren
Versöhnung nun ihr ganzes Bemühen geht, während sie selbst sie
vielleicht erst geschaffen hat.
Als Korollar hierzu gehört die Erörterung des tout comprendre
c'est tout pardonner. Von vornherein ist diese Behauptung unzulänglich, weil sie auf
einem ganz falschen Begriff des Verzeihens beruht.
Denn das Verstehen bedeutet in ihrem Sinne die Auflösung der
individuellen Handlung in Kräfte, die ausserhalb der persönlichen
Verantwortung liegen. Dadurch aber wird die Tat selbst als unverantwortbar erkannt, d. h.
die Schuld und mit ihr überhaupt die Veranlassung zur Verzeihung
aufgehoben.
So wenig wie dem Angeklagten verziehen wird, der seine Unschuld
nachweist und deshalb freigesprochen wird, so wenig braucht man dem
noch zu verzeihen, dessen Tat als Nicht-Schuld begriffen wird; nicht
weil man begreift, sondern trotzdem man nicht begreift, kann man
verzeihen.
Zudem ist das Mass dessen, was wir an den menschlichen Handlungen
"verstehen", so gering, und dieses Verstehen (<239)
führt selbst im besten Fall so wenig auf den letzten und absoluten
Quellpunkt des Tuns, dass wir gar nicht wissen können, ob ein
völliges Verstehen zu völliger Entlastung von Schuld führen würde.
Sogar die Möglichkeit, dass gerade ein viel tiefer dringendes
Verständnis uns einen Punkt entdecken liesse, an den sich doch Schuld
und Verdienst hefteten, wird durch die Tatsache nahe, gelegt, dass
sittliche Naturen denjenigen Handlungen, in die ihr Verständnis am
tiefsten eindringt, nämlich den eigenen, am schwersten Verzeihung
gewähren; die Selbsterkenntnis, mit der wir die Geschichte unseres
Lebens in ihre Faktoren verfolgen können, dient unserem Gewissen
keineswegs zu einer Exkulpierung gleichen Umfangs.
Vergleichen wir die Masse des Verstehens, das wir in Hinsicht
unserer und in Hinsicht Anderer haben, mit den entsprechenden Massen
der sittlichen Entlastung, so möchte es scheinen, als ob das
Verständnis nur bis zu einem gewissen Grade die letztere zur Folge
hätte, von diesem aber an, den wir in der Selbsterkenntnis
überschreiten, wieder ein Schuldbewusstsein ermöglichte.
Die populäre Überzeugung richtet sieh sogar direkt gegen die
Identifizierung von Verstehen und Verzeihen, soweit es das eigene Ich
angeht, indem sie die Selbsterkenntnis für den Anfang der
Versittlichung hält.
Zwar hat das "Erkenne dich selbst" gerade in dieser
populären Bedeutung zunächst nicht den Sinn eines blossen
Verstehens., sondern einer richtigen Wertung, es will sagen:
"Beurteile dich selbst richtig".
Das Ethische wird hiermit unbewusst in das rein Theoretische
eingeschwärzt, wie es Abälard in dem Titel seiner Schrift deutlich
zeigt: Ethica sea liber dictus: scito te ipsum.
Die Unfähigkeit ungebildeter Menschen, einen Sachverhalt von dem
Urteil über ihn zu trennen, beides in der Vorstellung des ersteren
auseinander zuhalten, ist bei der Erkenntnis des Ich ganz allgemein.
Unter dieser wird fast ausschliesslich die Beurteilung desselben
als gut (<240) oder schlecht verstanden; unter Einem, der sich
selbst kennt, versteht man Einen, der sich nicht für besser hält,
als er ist. Indes nicht einmal für diese erweiterte Bedeutung der
Selbsterkenntnis, die das Werturteil bereits in sich aufgenommen hat,
gilt ihre versittlichende Wirkung unbedingt.
Das vermittelnde Glied zwischen Erkenntnis und Besserung soll
offenbar die Reue sein (also die Verneinung jenes pardonner). Allein schon das Eintreten dieser auf Grund der Selbsterkenntnis
ist zweifelhaft.
Die Erkenntnis des Fehlers als eines Fehlers wird sehr häufig auch
seine Erkenntnis als eines notwendigen psychologischen Produkts der
Umstände mit sich bringen, und so, indem sie die Bedingungen der Reue
schafft,. zugleich die der Entschuldigung vor sich selbst schaffen,
mit der man sich dann in den Fehler als in etwas Unvermeidliches und
in seiner Unvermeidlichkeit Eingesehenes findet.
Für den tiefer unmoralischen Menschen gleicht die Erkenntnis oft
dem Speer, der die Wunde, die er dem Gewissen schlägt, selbst wieder
heilt.
Ferner, wenn die Reue und die Besserung nicht unmittelbar nach der
Erkenntnis eintreten, wenn nicht gerade der erste Schrecken über die
eingesehene sittliche Unzulänglichkeit eine Erschütterung des
gesamten Wesens zuwege bringt, die den sittlichen Impulsen freien
Spielraum schafft - so wird die Erkenntnis .die Besserung erschweren,
weil sie die Anpassung an den Fehler und seine Einordnung in das ganze
System des Wesens erleichtert; sie fixiert ihn gewissermassen und
macht ihn zu einem Bestandteil unseres bewussten Ich, den aufzugeben
eine innere deminutio capitis bedeutet, und der vor allem vom Trotz
und Eigensinn aufrecht erhalten wird.
Es lässt sich beobachten, dass die unbewussten
Versittlichungsprozesse in uns durch die scharfe Erkenntnis der
vorhandenen Unsittlichkeit geradezu gehemmt werden.
Dies ist namentlich der Fall, wo es sich um die bestimmten
Lebensaltern eigenen Unsittlichkeiten handelt, die vielleicht
(<241) durch die Wiederholung der Gattungsentwicklung im Individuum
mit diesen Perioden verbunden sind und mit dem Eintritt in eine neue
Periode ganz von selbst abgestossen werden.
Ich erinnere an die Verlogenheit und Grausamkeitslust bei vielen
Kindern, an sexuelle Extravaganzen in gewissen Jahren, u. Ä.
So kann das scharfe Erkennen und allzu scharfe Betonen der
sittlichen Unzulänglichkeit ihre Überwindung erschweren, weil dieser
ganze Entwicklungsprozess sein Wesen im Unbewussten hat und durch das
Eingreifen eines sehr starken Bewusstseins gelegentlich verzögert
oder abgelenkt werden kann.
Der allgemeine, diesen speziellen Fall dominierende Gesichtspunkt:
dass die Unbewusstheit in der Entwicklung des Sittlichen vielfach
zweckmässiger ist als seine Bewusstheit - ist vielleicht das
stärkste Bedenken gegen den neuerdings vorgeschlagenen ethischen
Jugendunterricht.
In dem hier vorliegenden Fall soll man deshalb Kindern solche
Fehler, die sie voraussichtlich wie Kinderkrankheiten abmachen, nicht
allzu häufig vorhalten, um ihr Bewusstsein nicht zu sehr darauf zu
konzentrieren und so eine Festigung derselben, die sonst im Fluss der
Entwicklung stehen und abgeführt werden, zu veranlassen.
Andrerseits wird die scheinbare Hemmung der Besserung bei sehr
energischem Bewusstsein des Fehlers vielfach so zusammenhängen, dass
viele Fehler uns erst dann zu klarem Bewusstsein kommen, wenn sie
schon eine Festigkeit erlangt haben, die ihre Beseitigung überhaupt
erschwert.
Wenn nun aber auch als Folge der Erkenntnis die Reue eintritt, so
ist selbst dann noch die Besserung als ihre Folge keineswegs sicher.
Die Reue ist oft genug ein nagender und lähmender Affekt, der in
dem Augenblick, wo er die Notwendigkeit der Änderung zeigt, die Kraft
dazu nimmt. Gerade die erkannten und bereuten Fehler sind sehr oft die
hartnäckigsten.
Sittlich schwache Naturen empfinden die Reue als einen genügenden
Tribut an die Moral, durch den sie sieh mit dieser abgefunden halten,
so dass (<242) diese Sühnung ohne praktische Folgen bleibt, gerade
wie der Ablassgläubige nach dargebrachtem Opfer sich entsühnt findet
und keinen Impuls daraus zieht, die Sünde künftig zu unterlassen.
Und wenn freilich ein Demosthenes meint, es gebe keine stärkere
praktische Nötigung als die Reue über Geschehenes, so setzt er
hinzu: für einen freien Mann womit offenbar ein solcher gemeint ist,
der im Wesentlichen innerliche Sittlichkeit und Abgewogenheit besitzt;
wo aber das Gemütsleben entweder extrem leidenschaftlich oder
leichtsinnig ist, wird diese Folge leicht fehlen, weil in dem einen
Fall die Reue zu einer Zerrüttung der Kraft, zum Verzagen an der
Besserung führen, im anderen als für sich selbst hinreichende Sühne
empfunden werden kann, mit der es nun abgetan ist, ohne dass sich
bessernde Folgen an sie knüpfen.
Wenn hier also die Gleichsetzung von Verstehen und Verzeihen, in
der Anwendung auf das eigene Ich, ihre Wahrheit hat; wenn umgekehrt
auch die Bedingtheit der Reue und der Besserung durch die
Selbsterkenntnis der Begründung nicht entbehrt, so weist eben auch
dies auf jene Schichtung von kausaler Erklärbarkeit und
Unerklärbarkeit, bez. von Determiniertheit und Freiheit hin, die wir
als die Grundlage alles menschlichen Handelns überhaupt erkannten und
die sich uns hier speziell in ihrer Beziehung zu den ethischen
Prozessen dokumentiert.
In dem Folgenden versuche ich den Umfang wenigstens teilweise zu
skizzieren, den der Freiheitsbegriff empirischer Weise deckt.
Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass die Freiheit sozusagen ein
formales Vermögen wäre, ein einfaches und wenigstens qualitativ
immer gleiches Können, Sein oder Haben; aus diesem Irrtum stammt der
weitere, als könne man mit logischen Deduktionen das Wesen der
(<243) Willensfreiheit ergründen oder mit wenigen Begriffen ihren
Umfang und ihre Bedeutung in sittlicher und sozialer Hinsicht
festlegen.
Der allgemeine Begriff der Freiheit sagt uns noch Nichts. Die Moralphilosophie hat ihm einen Inhalt gegeben, indem sie ihn
mit der Herrschaft der Vernunft oder mit der Konformität zwischen
Willen und eigentlichem Ich identifizierte.
Dies sind jedenfalls bedeutsame Versuche, indem sie danach ringen,
hinter einem ganz problematischen und ausgehöhlten, aber durch seine
historische Entwicklung unendlich wichtig gewordenen Begriff die
wirklichen Vorgänge zu entdecken, die ihn tragen.
Allein man wird über sie nach zwei Dimensionen hinausgehen
müssen. Zunächst bedeutet die Freiheit sehr viel mehr, als mit diesen
Definitionen ausgedrückt werden kann; mit der Flagge der Freiheit
werden eine grosse Anzahl von Vorstellungen und Forderungen gedeckt,
die jede einheitliche Definition derselben als unvollständig
erscheinen lassen.
Und zweitens sind diejenigen anscheinend konkreteren und
anschaulicheren Vorstellungen, mit denen man sich so den Begriff der
Freiheit näher zu bringen versuchte, selbst noch in erheblichem Masse
abstrakt und rein begrifflich.
Man muss noch weit unter sie selbst hinabgehen, um die realen und
psychologischen Vorgänge zu ergreifen, die man im Freiheitsbegriff
zusammenfasst und denen gegenüber die philosophischen
Veranschaulichungen der Freiheit immerhin noch hohe Abstraktionen
darstellen.
Bei dem Versuche, für die Erörterungen des Freiheitsproblemes
festen Boden unter die Füsse zu bekommen, bietet sich in allererster
Linie der oben ausgeführte Gedanke dar, dass die Willensfreiheit in
ihrem transzendentalen Sinne auf die empirische Freiheit zurückgeht.
Das Freisein von solchen Hemmnissen, die der äusseren Realisierung
der Willensvorstellungen entgegenstehen, ist offenbar das Prototyp der
absoluten oder metaphysischen Freiheit, und für die Wirklichkeit des
sittlichen Lebens hat die empirische (<244) Freiheit eine unendlich
viel grössere Bedeutung als die letztere.
Der erste Blick aber enthüllt die Fülle und Mannigfaltigkeit von
Verhältnissen, in denen diese Freiheit als Besitz oder als Ideal von
Bedeutung ist.
Was über diese Vielheit ihrer Bedeutungen hinwegzutäuschen
geeignet ist, ist der Umstand, dass das ihnen allen Gemeinsame, der
abstrakte Allgemeinbegriff aus diesen Tatsachen, bloss negativer Natur
ist.
Enthält schon jeder Begriff überhaupt der Wirklichkeit gegenüber
verneinende Momente, ja, ist er überhaupt in dem Masse allgemein. in
dem er die individuelle Wirklichkeit verneint, so muss die
Allgemeinheit, d. h. die Umfassung des Verschiedensten auf Kosten
seiner Verschiedenheit da den weitesten Charakter zeigen, wo der
Inhalt des Begriffes selbst Negation ist.
Da die Freiheit ihrem Wortsinn nach nur aussagt, dass etwas nicht
da ist, nämlich Beschränkungen, so ist ihr Begriff auf eine
unbegrenzte Zahl von einzelnen Fällen anwendbar, und indem das bloss
Negative, in welchem diese sich zusammenfinden, psychologisch den
Schein einer positiven Bestimmung annimmt, entsteht jene Fülle von
Assoziationen und weitgreifenden Anregungen, die den Begriff der
Freiheit umspielen; und die, aus den Quellen empirischer Verhältnisse
genährt, auch auf die metaphysische Freiheit den Reichtum
mitschwebender Gefühle und innerer Beziehungen ausstrahlen.
- Nun zeigt sich gerade in den empirischen Verhältnissen, dass
eine Freiheit in dem bloss negativen Sinn, dass Beschränkungen nicht
existieren sollen, kaum irgendwo auftreten kann.
Wo eine Bindung, eine Verpflichtung aufgehoben wird, da bemerken
wir bei genauerem Hinsehen durchgängig. dass auch ein Recht, irgend
eine Erweiterung der positiven Besitz- oder Machtsphäre sofort an die
Stelle des aufgehobenen Zwanges tritt.
Die feinsten persönlichen Beziehungen zwischen Menschen vollziehen
sich häufig in einem Wechsel von mehr oder weniger sichtbaren
Bindungen und Befreiungen; wo aber die letzteren (<245)
stattfinden, mögen sie nun Angelegenheiten des Intellekts oder des
Gefühlslebens betreffen, da schiebt sich doch eine andere positive
Überzeugung, ein anderes Interesse sofort an die "frei"
gewordene Stelle; worüber man sich nicht durch den Umstand täuschen
lassen darf, dass die positive Ergänzung oder Erwerbung manchmal
einer ganz anderen Kategorie angehört, und erst spätere Erfahrung
uns selber belehrt, dass sie sich über jener Befreiung aufgebaut, die
aus dem früheren Zwänge entlassenen Kräfte sich dienstbar gemacht
hat.
Häufig findet das auch so statt, dass die neuen Erwerbungen latent
schon vor der Befreiung vorhanden sind und entweder durch ihr eigenes
Drängen die Befreiung erzielen oder wenigstens durch sie zu
eigentlicher Funktionierung gelangen.
Ich erinnere etwa an die im Jahre 1892 in Frankreich sich
abspielenden Konflikte über die Koalitionsfreiheit der Arbeiter. Dass die alten Prohibitivgesetze, die die Vereinigungen der
Arbeiter zu sozialpolitischen Zwecken untersagten, aufgehoben wurden,
das war, wie man bald einsah, noch ohne eigentliche Bedeutung.
Denn nun bedrohten die Unternehmer den Arbeiter mit Entlassung, der
sich an gewerkschaftlichen Assoziationen beteiligte.
Diese Freiheit nützte also nichts, wenn nicht zugleich eine
Bestimmung zugefügt wurde, dass Niemand einen Arbeiter aus diesem
Grund entlassen dürfte, was denn auch von arbeiterparteilicher Seite
sogleich beantragt wurde.
Die Freiheit in bloss negativer Bedeutung fordert eben sofort eine
positive Weiterführung in dem Sinne, dass die Existenz, insoweit sie
durch die Realisierung jener in Gefahr geriet, durch eine besondere
Bestimmung garantiert wurde.
Die entschiedenste und wichtigste Fortsetzung und Erfüllung der
Freiheit aber tritt in dem Verhältnis des Ich zu dem äusseren Besitz
ein.
Die Freiheit des Menschen erscheint zunächst als sein Eigentum an
sich selbst, als Gehorsam seines körperlich-geistigen Wesens
ausschliesslich seinem Willen gegenüber - wobei natürlich das oben
(<246) Hervorgehobene nicht zu vergessen ist, dass wir allerdings
im letzten Grunde immer nur tun, was wir wollen, und alle besonders
betonte Freiheit, zu tun was wir wollen, nur bedeutet, dass sich dem
schliesslichen und überwiegenden Wollen keine anders gerichteten und
erst zu überwindenden Wollungen entgegenstellen.
Allein nun verschwimmt zwischen dem Ich und den äusseren Dingen
die Grenze in Bezug auf die freie Verfügung über das eine und die
anderen.
Zwischen Bewegung und Gebrauch meiner Leibesglieder und dem der
äusseren Dinge ist nur ein gradueller Unterschied; aller
willkürliche Gebrauch der Glieder muss eben sogut gelernt werden wie
der von Werkzeugen, und schliesslich wird der letztere ebenso leicht
und mechanisch wie der erstere.
Das Werkzeug ist nur eine Verlängerung des Armes, dieser selbst
aber der Seele gegenüber nur ein äusseres Mittel - wie mein Leib
meinem denkenden Ich gegenüber nur eine Vorstellung unter
Vorstellungen ist, so ist er für mein praktisches Ich nur ein
Werkzeug unter Werkzeugen: das Kind betrachtet seine eigenen Glieder
genau so wie es fremde Objekte betrachtet.
Die Kategorie von Subjekt und Objekt, ursprünglich an den
äusserlichsten Erfahrungen gebildet, setzt sich in die innerlichsten
fort: nicht nur erscheint der Seele gegenüber der Körper als Besitz
und Instrument, als ein Objekt unter Objekten, sondern auch innerhalb
der Seele selbst teilen wir so; wir glauben auch über unsere Gedanken
verfügen und den Mechanismus des Vorstellens ebenso gut zur Erreichung
irgend welcher Ziele anspannen zu können, wie das äusserlichste
Kräftesystem.
Im Bewusstsein unserer psychischen Inhalte erscheint uns ein Teil
als die eigentliche, innerlichste Kraft und Subjektivität, der andere
unter dem Bilde eines Objekts, in relativer Entgegenstellung gegen
jene, als Sphäre und Material, in und an dem sie sich auslebt.
Von dem letzten Punkte des Selbstbewusstseins, von seiner
jeweiligen Einheit aus wird die gesamte körperliche und (<247)
geistige Organisation als ein Besitz unser empfunden; wir haben sie,
und zwar so, dass sie im Verhältnis zum Ich nicht nach einer anderen
Richtung hin, sondern nur näher liegt als ein verfügbarer, unserem
Willen unterstehender Besitz von Gütern.
Denn wie dieser, so folgt auch jene nicht unbedingt nachgiebig
jedem auftauchenden Wollen, sondern bewahrt auch ihrerseits eine
gewisse Selbständigkeit, eine innere Gesetzlichkeit, mit der der
Wille sich abfinden muss; so wenig äussere Dinge uns absolut
gehorchen, so wenig tut es unser Körper oder unser Geist.
Alle Freiheit der Verfügung über diese nützt uns nichts über
die von ihren eigenen Gesetzen gezogene Grenze hinaus. Was diesen widerstreitet, können wir von uns selbst genau so
wenig, wie von einem Werkzeug aus Holz und Eisen verlangen.
Die Freiheit gegenüber dein eigenen Ich ist also nur qualitativ
unterschieden von derjenigen, die wir über äussere Dinge besitzen;
indem die Freiheit den Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt
voraussetzt - das Freie und das, woran die Freiheit geübt wird -
setzt sie sich auch in ihrem innerlichsten Sinne ihre Grenze an der
Natur des Objekts.
Beschränkt sich hier also die Macht dessen, was man das
Freiheitszentrum nennen könnte, gegenüber dem Ich in der gleichen
Weise, wie sie sich gegenüber den noch weiter von ihm getrennten
äusseren Objekten einschränkt, so kann man nun das gleiche
Verhältnis nach der Richtung hin betonen, dass die Sphäre des Ich
sich auch über äussere Gegenstände ausbreitet.
Wenn einerseits unser Arm ein blosses Werkzeug ist, wie der Meissel
oder der Violinbogen, so werden doch andrerseits Meissel und
Violinbogen von der Seele gelenkt, so dass ihre Bewegungen und
Leistungen die adäquaten Ausdrücke des innerlichen Vorganges bilden.
Das Ich ist entweder als ein Punkt oder als ein Kreis zu
symbolisieren, geht man überhaupt über das nichtssagende Erstere
hinaus zu dem Letzteren, so schliesst der Kreis des (<248) Ich auch
jene äusseren Beziehungspunkte ein, in deren Gestaltung die
Persönlichkeit sich ausprägt und ohne die das Ich gar keine Mittel
hätte, sich als ein bestimmtes Individuum von besonderer Tendenz,
Kraft und Art gegen andere abzuheben.
Und wie zentrifugale Kräfte vom Ich aus so das Äussere mit ihm
solidarisch verbinden, so tun es zentripetale. Unmittelbar als eigene Schicksale werden die äusserer Dinge oft
genug von uns vorgestellt.
Eine körperliche Verletzung empfinde ich oft nicht schmerzlicher
als die eines mir teuren Gegenstandes, und ein Eingreifen in mein
Besitztum ist eine Vergewaltigung meines Ich.
Die Gegenstände, die im Besitz eines geliebten Menschen waren,
gelten uns als "ein Stück von ihm" und eine Haarlocke von
ihm unterschiedet sich in der Art, ihn darzustellen, nicht von
Gegenständen, die er gebraucht hatte und mit denen er
"verwachsen" war.
Ich habe öfters hervorgehoben - was mir als eine unentbehrliche
und grundlegende Erkenntnis erscheint - dass doch auch das
äusserlichste Haben seinen ganzen Sinn nur in dem psychischen
Zustande hat, den es auslöst oder repräsentiert, ja dass man direkt
sagen kann: Besitzen sei ein psychologisches Phänomen, ein an gewisse
Realvorstellungen geknüpfter Empfindungsmodus.
Dies ist nicht nur die lange vernachlässigte Ergänzung der auf
die Erkenntnisseite der Dinge gerichteten Einsicht, dass das Objektive
auch nur eine Erscheinung im Bewusstsein ist; sondern es bleibt auch
bestehen, wenn man statt der phänomenalistischen Überzeugung die
realistische hegt, nach der die Dinge im absoluten Sinne ausser uns,
als von allem Vorstellen unabhängige Substanzen bestehen.
Selbst in diesem Falle würde das, was wir das Besitzen ihrer
nennen, immer nur ein in uns ausgewirktes, nicht aus dein Bewusstsein
heraustretendes Verhältnis zu ihnen sein.
Denn auch die Modifikationen der äusserlich realen Beziehungen zu
den von uns besessenen Dingen sind teils Folgen, teils Ursachen des
Besitzes, (<249) aber nicht Besitz selbst, welcher immer nur eine
Vorstellungs- und Gefühlskategorie ist, die wir auf Sachvorstellungen
anwenden.
Daraus, dass der Besitz ein psychologischer Zustand, oder, da wir
genauer nicht sowohl von Zuständen als nur von Vorgängen in der
Psyche sprechen dürfen, ein psychologischer Vorgang ist, verstehen
wir, dass kein Haben irgend lebhaftere und leidenschaftlichere Naturen
auf die Dauer befriedigt, und zwar auch nicht demselben Gegenstande
gegenüber.
Je intensivere Neigung uns zu dem Objekte zieht und je
vollständiger wir seinen Genuss erschöpfen, desto tiefer erkennen
wir, dass alles Besitzen nicht zu jenem Insicheinschlürfen des
Objektes führt, das uns, wie unklar auch immer, als Ideal
vorgeschwebt hatte; weil das Besitzen eine blosse innere Bewegung in
uns ist, muss es das Objekt schliesslich gleichsam unberührt in
seinem Ansich bestehen lassen - wie das Erkennen auch nur eine innere
Bewegung ist und dennoch den Anlauf, das Ding an sich zu erfassen,
nicht lassen mag.
Und wie eine ungestüme Denkweise, nachdem sie dies erkannt, in
Skeptizismus fällt und so im Ableugnen und Negieren überhaupt sich
noch eines letzten intellektuellen Machtspruches über die Dinge
bewusst ist, so entspringt in jenem praktischen Gefühl die
Assoziation der Leidenschaft für ein - menschliches oder
nichtmenschliches - Objekt mit dem Zerstörungstriebe: die
Leidenschaft, die an jenem geheimen Widerspruch alles positiven
Besitzenwollens ermattet, gewinnt schliesslich noch im Zerbrechen und
Misshandeln die maximale Ausdehnung der Besitz- und -Willenssphäre
über das Objekt, wenigstens die maximale Erscheinung einer solchen.
In demselben Masse nun, in dem wir den Besitz in das Innere des Ich
hineinverlegen, in eben demselben müssen wir ihn auch als einen
wahrhaften Bestandteil des Ich anerkennen.
Mögen wir uns das Ich als eine punktuelle Seele denken, die aber
immerhin ihren Inhalt doch nur an einzelnen Gefühlen, Strebungen,
Gedanken, (<250) gewinnt, weil sonst kein Ich vom anderen
unterscheidbar wäre, oder mögen wir das Ich statt als die von
vornherein gegebene Form und Quelle des Seelenlebens vielmehr als den
Schlusspunkt, als einen aus den empirischen Inhalten desselben
erwachsenen, zusammenfassenden Gedanken vorstellen: in jedem Falle
bilden jene an die Vorstellungen von Objekten geknüpften Gefühle
oder sonstigen psychischen Erregungen, die wir eben das Besitzen ihrer
nennen, eine Erweiterung des Ich.
Und nun von einer anderen Seite. gesehen: Der Kreis meines Besitzes
im weiteren Sinne fällt zusammen mit der Sphäre, die ich mit meinem
Ich erfülle.
Was meinem Willen ein völlig nachgiebiges Objekt ist, das eben
besitze ich; besitzen bedeutet verfügen können, es ist kein ruhender
Zustand, oder höchstens in soweit ruhend, als es die latenten
Kräfte, die Bedingungen der Verfügung als Funktion, darstellt.
Wenn der gewöhnliche Wortsinn schon besagt, dass ich soweit über
die Dinge verfügen kann, wie ich sie besitze, so gibt das Umgekehrte
den tieferen Begriff des Besitzes: ich besitze die Dinge wirklich
soweit, wie ich über sie verfügen kann.
Denn etwas anderes kann der absoluteste Besitz nicht mit den Dingen
machen, als den Willen des Ich in und an ihnen ausprägen.
Das Ich fiele sozusagen ausdehnungslos in einen Punkt zusammen,
wenn es keine Sphäre hätte, in der sein Wille sich realisiert, d. h.
wenn es nichts besässe; wobei denn der Unterschied zwischen äusserem
und innerem Besitz nur der eines grösseren oder geringeren Umweges
für die Auslösung von Gefühlen ist, die der Besitzkategorie
überhaupt erst Sinn und Bedeutung geben.
Deshalb kann man wirklich sagen, dass Ausdehnung des Besitzes
zugleich und unmittelbar Ausdehnung des Ich ist - wie denn auch der
Ursprung beider aus verwandten psychologischen Quellen fliesst: die
Vermögen der Reproduktion und der Apperzeption der Vorstellungen
gründen einerseits das Ich, indem sie die psychischen Inhalte ihrer
blossen Augenblicksexistenz entheben (<251) und eines dem anderen
hinzufügend das Gewebe des Ich schaffen; und eben dieselben sind
erforderlich, um jene dauernden Beziehungen zwischen uns und den
Dingen zum Bewusstsein zu bringen, die wir Besitz nennen.
Bei vielen kindlichen Völkern ist der Eigentumsbegriff von einer
uns kaum glaublichen Schwäche und Unentwickeltheit, und ein
Spezialkenner dieser ethnologischen Verhältnisse führt dies auf die
Schwäche ihres Erinnerungsvermögens zurück; dieselbe psychische
Kraft des Festhaltens und Verknüpfens, die die verschiedenen Elemente
des Bewusstseins zum Ich zusammenschliesst, bindet auch äussere
Objekte in der Weise an das Ich, die wir den Besitz ihrer nennen.
Gerade daraus aber wird uns die Zerstörungslust mancher
Naturvölker, z. B. der Neger, und die Tatsache verständlich, dass
Jägervölker das Wild oft ohne den geringsten Gebrauch oder Nutzen
vernichten.
Die Zerstörung gewährt das befriedigende Gefühl einer Macht des
Ich selbst da, wo die feineren Reizungen, die sonst den Besitz
ausmachen, noch - nicht oder nicht mehr empfunden werden.
Ist nun das Ich der Sitz der Freiheit, so ist Vermehrung des
Besitzes zugleich Steigerung der Freiheit. Je mehr Gegenstände da sind, die meinem Willen volle Expansion
ihnen gegenüber gestatten, die ihm widerstandslos gehorchen, d. h.
also je mehr ich besitze, desto freier bin ich.
So ist der Besitz äusserer Objekte eine blosse Vermehrung oder
gleichgerichtete Erweiterung der eigentlich persönlichen Freiheit im
engeren Sinne.
Wo die bäuerliche Leibeigenschaft aufgehoben wurde, da treffen wir
in ganz Europa zugleich das Bestreben, den Bauer auch zum Eigentümer
seiner Scholle zu machen - der frei verfügbare Besitz von Grund und
Boden erscheint als blosse Fortsetzung des frei verfügbaren Besitzes
der eigenen Person.
War die Forderung der Freiheit als Bedingung menschenwürdigen
Daseins einmal ausgesprochen, so war es keine Prinzipienfrage mehr,
sondern nur eine solche der Angängigkeit und Zweckmässigkeit,
(<252) wie weit sie unter den Objekten möglicher Verfügbarkeit,
von denen die äussere Persönlichkeit nur das nächstliegende war,
erstreckt werden sollte.
Und eben dieses beweist in umgekehrter Richtung ein Modus, auf dem
wenigstens in den preussischen Landen häufig die Hörigkeit der
Bauern entstanden war: der Landesherr trat einem Edelmann gewisse
hoheitliche Rechte über Steuern und Besitz des im übrigen völlig
freien Bauern ab.
Und aus dieser Beschränkung des Besitzes entwickelte sich, indem
immer eine nach der anderen sich dazu fand, allmählich der Zustand
der nur wenig beschränkten Herrschaft des Adligen über den Bauer.
- Jener Prozess der Befreiung, der von der Verfügung über das
eigene Ich -geradlinig auf die über einen verliehenen Besitz ging,
setzt sich nun in derselben Richtung im Heimstättenrecht fort.
Indem die Heimstättengesetze bestimmen, dass Niemandem ein
Grundbesitz von gewisser Grösse abgepfändet werden darf, erweitern
sie die Sphäre jener unantastbaren Freiheit, die sonst nur den
Körper des Individuums umschloss; gleichwie dieser nicht mehr - wie
in der Epoche der Sklaverei - zum Eigentum eines Anderen werden kann,
vielmehr ein Gebiet der Freiheit bildet, in das kein Eingriff ohne den
Willen des Individuums gestattet ist, so wird nun hier ein gewisser
Besitz unter die gleiche Bedingung gestellt, er wird sozusagen dem
persönlichen Körper angegliedert und steht in soweit der Seele ganz
ebenso, man könnte sagen als der geometrische Ort der Freiheit
gegenüber, wie bis dahin nur der eigene Leib.
Eben daraus ist es verständlich, dass das Land, in dem die
individuelle Freiheit die stärkste Betonung gewann: Nordamerika, auch
zuerst das Heimstättenrecht ausbildete.
Die Vorstellung von der Freiheit, die sich uns als das Fundament
aller Freiheitsphilosopheme herausgestellt hatte: dass der Wille bez.
das Handeln dem eigentlichen Ich konform stattfinde, kann man auch so
ausdrücken: Freiheit (<253) ist Selbstbeherrschung.
Wenn sie bedeutet, dass das Ich nur dem Ich gehorcht, so bedeutet
sie doch, dass das Ich dem Ich gehorcht. Sie braucht eben ein ihr Gegenüberstehendes, an dem sie sich
realisiert, das ihr Korrelat bildet, und ohne das sie in der Luft
schweben würde, wie ein transitives Verbum ohne Objekt.
Und da ist das eigene Ich - d. h. näher zugesehen gewisse
Provinzen oder Funktionen desselben gegenüber anderen, massgebenden -
das erste Feld, an dem sich diese Freiheit genannte Macht betätigen
kann und ihren ersten Sinn gewinnt.
In der empirischen Bedeutung der Freiheit stellt sich dies dar als
Herrschaft über den eigenen Leib: die Freiheit, die in dem Gegensatz
zur Sklaverei besteht.
Als Fortsetzung dieser Freiheit erschien nun die Herrschaft über
ein Besitztum; kein qualitativer, sondern nur ein Unterschied der
Entfernung von dem Zentrum der Verfügung trennt den Körper, über
den ich als über den eigenen verfüge, von dem sonstigen
gegenständlichen Eigentum, über das ich verfüge.
Und nun steigert sich diese Bedeutung der Freiheit, Herrschaft zu
sein, noch weiter dahin, dass sie Herrschaft über andere Personen
wird, deren Freiheit sie damit einschränkt; man könnte die Macht
über Andere als Ausdehnung der Freiheit über das Mass des
Individuums hinaus bezeichnen.
Wir begegnen unzählige Male der
Forderung einer Freiheit, die bei näherem Zusehen darin besteht, dass
zu Gunsten des Fordernden die Freiheit Anderer unterdrückt wird. Das
erste Beispiel, das sich hier aufdrängt, ist die sogenannte Freiheit
der Kirche. Die ganze Geschichte des Mittelalters von Karl d. Gr. bis
zu Gregor VII. zeigt den Prozess allmählicher Loslösung der Kirche
vom Staat, wachsender Freiheit und Selbständigkeit ihrer gegenüber
diesem, und in ganz demselben Masse die Zunahme ihrer Herrschaft über
den Staat. Die "Befreiung von der Welt" war der zentrale
Punkt, in dem sich die sonst vielfach auseinandergehenden Tendenzen
der (<254) Weltkirche und des Mönchstums immer wieder begegneten
und der es deshalb der Weltkirche ermöglichte, das Mönchstum für
ihre Zwecke positiver Beherrschung der Welt in ihren Dienst zu nehmen.
Gregor IX. erklärte ausdrücklich, dass die Unterdrückung und
Ausrottung der Ketzer nur der Herstellung der kirchlichen Freiheit
dienen solle.
Die scheinbar so harmlose Forderung einer "freien" Kirche
rückt doch in ein sehr bedenkliches Licht, sobald man einsieht, dass
es eine Freiheit im rein negativen Sinne gar nicht gibt, sondern dass
sie immer ein positives Tun zum Inhalt hat, und zwar ein Tun, das sich
auf Objekte erstreckt und in der Gestaltung derselben nach dem Willen
des "Freien" eben dessen Freiheit verwirklicht.
Da innerhalb einer Gemeinschaft die Handlungen jedes Mitgliedes
Wirkungen auf die anderen ausüben, d. h. da diese durch jene bestimmt
werden, so kann die absolute Freiheit einer Person oder einer
Teilgruppe nur bedeuten, dass ihre Handlungen auf Andere Einflüss
ausüben, ohne dass von diesen Anderen ein entsprechender bestimmender
Einfluss auf sie selbst ausginge.
Das aber heisst beherrschen. Es ist der grösste Irrtum, zu glauben, dass die Freiheit der
Kirche sozusagen nur sie selbst anginge, eine immanente, nicht über
sie selbst hinausgreifende Bestimmung oder Daseinsart ihrer wäre -
ein Irrtum, der nur durch mangelnde Kenntnis der soziologischen
Zusammenhänge möglich ist.
Es gibt keine Freiheit innerhalb einer Gruppe, die nicht irgendwie
Beherrschung Anderer wäre; und wenn dies im Allgemeinen deshalb nicht
hervortritt, weil diese Beherrschung eine gegenseitige ist, bez. ein
regulierendes Zentralgebilde, wie der Staat es ist, die Freiheiten der
Individuen sich unterwirft und damit den Ausdruck ihrer
Gegenseitigkeit schafft - so zeigt sich der Herrschaftscharakter der
Freiheit sofort, wenn diese Gegenseitigkeit fortfällt und ein Teil
der Gesamtheit schlechthin frei ist, d. h. die anderen ihm gegenüber
keine Freiheit haben.
Ich greife unter den (<255) vielen hierher gehörigen
Einzelheiten nur die Forderung kirchlicher Lehrfreiheit heraus.
Sobald die Kirche ihrerseits die Freiheit hat, die Jugend so zu
bilden, wie sie will, so ist der Staat eben nicht mehr
"frei", denn er erhält Bürger, welche von jener
vorgebildet und imprägniert sind. Die Freiheit der Kirche in dieser Beziehung würde also in einer
Beherrschung der Gruppe bestehen.
Die Beschränkung der kirchlichen Freiheit von dem Gedanken aus
abzuweisen, dass man in die inneren, sozusagen privaten
Angelegenheiten einer Gemeinschaft, eines Standes nicht eingreifen
dürfe, so wenig wie in die eines Individuums" ist eben deshalb
falsch, weil die Freiheit keine in dem Innern der betreffenden
Organisation verbleibende Eigenschaft ist, sondern sich immer in
irgend welchen Wirkungen auf ausserhalb stehende Persönlichkeiten
verkörpert.
Je enger und vielfacher die Verbindung mehrerer Elemente ist, desto
leichter wird die Freiheit des einen seine Herrschaft über die
anderen bedeuten.
Ist man sich erst darüber klar, dass Freiheit nichts Negatives,
nichts Formales, nichts auf ihren Träger Beschränktes ist, sondern
in ihrem engsten wie in ihrem weitesten Sinn ein Objekt fordert, an
dem sich das Wollen ausprägt, so liegt die Ausdehnung dieser
Objektssphäre auf den Willen anderer Personen in der einfachen
Konsequenz.
Das Extrem derselben ist, wie ich bereits oben andeutete, die
Zerstörung und Misshandlung anderer Menschen; erst hierdurch wird es
manchen Empfindungsweisen ganz bewusst, dass jene unser eigen sind,
dass wir "frei" mit ihnen schalten können.
Das Ich gewinnt an Macht und Selbstgefühl in dem Masse, in dem
das, was es dem Anderen antut, gegen dessen Eigenwillen ist, sein Ich
bricht.
Deshalb ist auch zu konstatieren, dass die Grausamkeitswollust
einerseits zusammen mit libertinistischer, jede Schranke verneinender
Freiheit, andrerseits mit bis zum Grössenwahn gesteigertem
Selbstgefühl auftritt; die (<256) Geschichte erweist diese
Vereinigung z. B. an einer grösseren Zahl der römischen Kaiser.
Das Gegenstück dazu zeigt die kultivierte Sitte, die, indem sie
hier wie sonst die Freiheit des Einzelnen noch ein Stück mehr
einschränkt, als das Recht, ihm sogar dasjenige Sich-Bemächtigen des
Anderen untersagt, das in der Indiskretion liegt.
In dem Mass, in dem ich in die Verhältnisse des Anderen eindringe,
gewinne ich Macht über ihn, kann mir, auf Grund der Kenntnis seiner
angreifbaren Punkte, ihm gegenüber erlauben, was ich sonst nicht
wagte, während er mir gegenüber gebunden ist - kurz, ich dehne damit
meine Freiheitssphäre über ihn aus und zwar derart, dass von einem
gewissen Punkte an die bessere Sitte dagegen einschreitet.
Und dieses Verbot betrifft nicht nur die direkte und grobe
Indiskretion, die sich in dem Horchen an der Tür oder in dem Lesen
fremder Briefe äussert, sondern viel mehr noch jene feinere und
gefährlichere Form: das Eindringen in den Anderen, zu dem man rein
durch eigenes Nachdenken und eigene Kombination freiwilliger
Äusserungen jenes gelangt.
Unzählige Male verraten die Menschen geheimste Dinge, insbesondere
Eigenschaften und Vorgänge ihres Inneren, indem sie anderes sagen,
das aber dem Seelenkenner den Schluss auf dasjenige gestattet, was sie
geheimhalten wollen.
So kann sich bei vollkommener äusserer Diskretion die tiefste
Indiskretion in den Anderen einbohren, den Unterschied zwischen
Legalität und Moralität aufs Schärfste zeichnend. Das Verbot der Berührung alles dessen, "was sein ist",
erstreckt sich so auch auf das intellektuelle Antasten dessen, was der
Andere uns nicht offenbaren mag.
Es ist freilich eine schwierige Frage, wo innerhalb des Komplexes
einer Persönlichkeit die Grenze liegt, über die hinaus nur
unsittliche Neugier uns die Kenntnis ihrer verschaffen kann; wie weit
ein Ergänzen dessen, was der Andere uns ausdrücklich zeigt,
allgemein erlaubt, ja unentbehrlich ist; ob jeder absolut Herr über
seinen (<257) Seeleninhalt ist und wo dem im sozialen und
Verkehrsinteresse Abbruch geschehen darf - eine Frage, die an die nach
dem Rechte des absoluten wirtschaftlichen Privateigentums erinnert.
Jedenfalls ist zu beobachten, dass eine kultivierte Moral die
Indiskretion auch bis zu diesen oft kaum vermeidlichen Formen herab in
demselben Masse perhorresziert, in dem sie überhaupt diejenige
Freiheit des Einzelnen einschränkt, die in der Beherrschung Anderer
liegt.
Wenn wir phänomenologisch gliedern wollen, so verwirklicht sich
die Freiheit: zunächst der eigenen Seele gegenüber (sittliche oder
philosophische Freiheit), dann dem eigenen Körper (empirische,
persönliche Freiheit), den äusseren Objekten (freier Besitz),
anderen Subjekten gegenüber (Herrschaft).
Der tatsächliche Bestand der Freiheit ist selbstverständlich von
dieser begrifflichen Reihenfolge unabhängig; ja gewisse
Ungleichmässigkeiten im Verhältnisse der Freiheitsformen beweisen
gerade ihre Zusammengehörigkeit in einem Grundprinzip.
Wir bemerken nämlich, dass der empfundene Mangel der einen Form zu
einer um so stärkeren Bestrebung nach der Seite der anderen führt. Menschen, denen persönliche Freiheit in wichtigen Beziehungen
versagt ist, entschädigen sich mit Vorliebe durch Bedrückung
Anderer, wenn nur irgend dazu Gelegenheit ist.
Die Freiheitssphäre dehnt sich eben dahin aus, wo sie kann, und
andere Menschen dem eigenen Willen zu unterwerfen ist auch nur ein
Teil ihrer, dessen Erfüllung wegen der Gleichheit des Grundtriebes
wohl dafür vikariieren kann, dass das eigene Handeln nicht dem
eigenen Willen gehorchen darf.
In streng militärisch organisierten Staaten, in denen die
Verfügung des einzelnen Bürgers über seinen Körper beschrankt ist,
tritt an Stelle dieser die eingeräumte Omnipotenz als pater familias,
also doch über den Willen Anderer.
Die Entschädigung für den äusseren Zwang kann auch nach der
andern Richtung in der Freiheitsreihe (<258) erfolgen; bei manchen
Naturen bemerkt man als Wirkung eines starken äusseren Zwanges, einer
gewaltsamen Einschränkung ihrer Handlungssphäre gerade jenes
Abschleifen der inneren Wollungen, jene ruhige Einfügung des
einzelnen Impulses in die ganze Tendenz des Ich, die eben die innere
Freiheit ausmacht.
Bei Personen mit beschränktem Besitz, mit geringer Extensität des
Könnens und Dürfens findet sich oft eine innere Ausgeglichenheit,
eine Anpassung des einzelnen Wollens an die Gesamtpersönlichkeit, die
offenbar dafür eintritt, dass kein erheblicher Umfang äusserer
Objekte durch den Willen dieser Person bestimmt wird.
Der Mangel an persönlichem Besitz, der manche Priesterschaften
charakterisiert und ihnen also die Freiheitssphäre in einer wichtigen
Hinsicht beschränkt, ist offenbar ein Motiv geworden, einerseits
durch Demut und Resignation, also durch Herrschaft über sich selbst
oder innere Freiheit, andrerseits durch Herrschaft über Andere diese
Entbehrung auszugleichen.
Ferner, wo aus sozialen Gründen die persönliche Freiheit und der
direkte Einfluss auf Andere eingeschränkt ist, da findet eine um so
stärkere Tendenz auf äusseren Besitz statt; die Freigelassenen in
Rom, die Hugenotten in Frankreich, die Juden in der ganzen Welt waren
in demselben Masse um die in dem Gütererwerb liegende
Freiheitsvermehrung bemüht, in dem entweder frühere Versklavung in
ihnen nachwirkte oder ihre soziale Position - ihnen die übrige
Freiheitssphäre beschränkte.
- Die Gleichheit des Prinzips, das der Verfügung über die eigene
Person und der über andere Personen zum Grunde liegt, spricht sich
auch darin aus, dass das öffentliche Interesse jener ersteren ebenso
Grenzen setzt, wie der letzteren.
Das römische Recht erklärt es für ungültig, wenn die Teilhaber
einer Handelsgesellschaft ihrem Recht entsagen, zu jeder Zeit die
Auseinandersetzung zu verlangen; auch das heutige Recht verfährt so
gegenüber Kaufverträgen, in denen ausdrücklich auf jeden Regress
verzichtet wird, falls sich (<259) herausstellt, dass die eine
Partei bei dem Kauf betrogen worden ist, oder gegenüber solchen, in
denen sieh der Kontrahent zu unehrenhaften Handlungen verpflichtet;
ich erwähnte schon oben, dass gewisse Bindungen der eigenen Freiheit
auf die Zukunft hinaus manchmal direkt verboten werden.
Die äussere Möglichkeit des individuellen Willens, sich in
Handlungen umzusetzen, ist offenbar von derartiger Wichtigkeit für
die Gesamtheit, dass sie die Aufhebung derselben nicht nur dann
beschränkt, wenn sie von dritten Personen, sondern auch, wenn sie von
dem fraglichen Individuum selbst ausgeht.
Die Freiheitssphäre setzt sich von der Verfügung über die eigene
Person auf die Verfügung über andere Personen fort; es ist
begreiflich, dass die Eindämmung der Freiheit durch das öffentliche
Interesse den umgekehrten Weg geht, dass sie die letztere Form der
Freiheit früher und gründlicher beschränkt als die erstere; aber
jedenfalls zeigt es sich auch von dieser Seite her, dass zwischen
beiden nur ein gradueller Unterschied existiert.
Wie es das eigene liiter.3sse ist, das die Freiheit kontinuierlich
und in einer Richtung fortschreitend ausdehnt, so ist es das soziale,
(las sie von einem Zweckstandpunkt aus - mag man ihn nun den der
sozialen Selbsterhaltung oder des Glücksmaximums oder wie sonst
nennen - einschränkt.
Dass ein solcher teleologischer Standpunkt da ist, der die
verschiedenen Arten der Freiheit und ihre Einschränkungen prinzipiell
gleichartig unter sich subsumiert und nun seinerseits wesentliche
Unterschiede zwischen ihnen stiftet, das zeigt sich an der Betrachtung
der Sklaverei.
Auch der Vorsatz, das Versprechen, der Vertrag machen den
zukünftigen Willen von dem gegenwärtigen abhängig; mit ihnen begibt
sich der Wille freiwillig seiner Freiheit. Während der Staat diese Erklärung einer teilweisen
Willensunfreiheit schützt, lässt er die Erklärung bleibender
Willensunfreiheit, die Sklaverei, jetzt ungültig sein.
Dennoch ist diese nur quantitativ von jener unterschieden, auch sie
(<260) realisiert sich doch nur in einer Summe einzelner
Unfreiheiten; wenn ich mich zu einer Dienstleistung verpflichte, sie
mag noch so andauernd und drückend sein, so erzwingt die Gesellschaft
die Ausführung dieser Willensbeschränkung, die doch offenbar ein
Teil der Sklaverei, der absoluten Willensbeschränkung, ist.
Die Unterschiede, die diese Unterschiede der Behandlung begründen,
können nur teleologischer Art sein und zwar etwa die folgenden. Die Gesellschaft hat das lebhafteste Interesse an der Gerechtigkeit
im Austausch der Leistungen; denn wenn diese Gerechtigkeit nicht bis
zu einem gewissen Grade geschützt wäre, so würde es zu einem irgend
erheblichen Masse von Austausch überhaupt nicht kommen.
Deshalb verbietet sie zum Teil Verträge, zum Teil duldet sie den
Bruch von solchen, die die Leistungswerte gar zu ungerecht verteilen:
sie gestattet die Auflösung von Kaufverträgen, bei denen die eine
Partei, auch ohne betrogen zu sein, mehr als die Hälfte über den
reellen Wert des Objekts bezahlt hat; sie lässt Geschenke unter
Umständen rückforderbar sein; sie duldet nicht, dass dem Schuldner
die allerletzten Habseligkeiten und das Handwerkszeug abgepfändet
werden, weil der Erlös zu Gunsten des Gläubigers nicht im
Verhältnis zu der Schädigung stehen würde, die der Schuldner
dadurch erlitte; sie verbietet gewerbsmässige Hasardspiele, bei denen
die Chance des Spielers gar zu gering gegenüber der des Unternehmers
ist; sie strebt endlich sichtbar dahin, in den Verhältnissen der
Lohnarbeiter wie in dem Verhältnis der Geschlechter Leistung und
Gegenleistung zu grösserer Gleichmässigkeit zu bringen.
Kurz, es ist ein vitales Interesse der Gesellschaft, dass die
Werte, die bei dein Verkehr der Individuen untereinander in Tausch
gegeben werden, nur einen möglichst geringen Spielraum der
Ungleichheit haben.
Bei einem Vertrage indes, in dem sich der eine Teil zum Sklaven des
anderen erklärte, wäre die Gleichmässigkeit der Tauschobjekte von
vornherein ausgeschlossen.(<261) Denn was der andere auch in den
Tausch gäbe, es wäre immer nur eine endliche Einschränkung seiner
Freiheitssphäre, - sei es nun Leistung oder Besitz, was er dahingibt
während jener die seinige vollkommen aufopfert.
Wenigstens der Möglichkeit nach ist hier die ungeheuerlichste
Ungleichmässigkeit zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben, und
deshalb darf dasjenige Gemeinwesen, das durch möglichste
Gerechtigkeit möglichste Lebhaftigkeit der individuellen
Wechselwirkungen erzielen will, Sklaverei selbst bei grösster, aber
jedenfalls endlicher Gegenleistung nicht dulden.
Wesentlicher aber ist folgender Gesichtspunkt. Wäre die Sklaverei wirklich nichts anderes und nicht mehr, als die
Hingabe von individuellen Rechten, die Beschränkung der
Freiheitssphäre, so könnte gerade ein abstrakter Liberalismus es
anerkennen, dass man sie freiwillig auf sich nehme.
Indem er Jedem das Recht gibt, seine Freiheit zu brauchen, wie er
will und kann, gibt er ihm auch das, sie freiwillig aufzugeben; und
wenn dies mit jedem Versprechen einer Leistung oder Duldung partiell
geschieht, so ist prinzipiell nicht abzusehen, weshalb es nicht
zusammenfassend und ein für allemal in der Erklärung zum Sklaven
geschehen dürfte; das Recht, ein Recht aufzugeben, liege eben im
Begriffe des Rechtes selbst, wie es im Begriff des Besitzes liegt,
dass man frei ist, ihn entweder zu behalten oder zu verschenken.
Tatsächlich scheint mir die freiwillige Erklärung in die
Sklaverei, in dauernde persönliche Unfreiheit auch nur deshalb
unzulässig, weil sie viel mehr bedeutet als die Aufgabe von Rechten
und Freiheiten.
Auch der Sklave geniesst gewisse Vorteile daraus, dass er in dieser
Gruppe lebt; deshalb braucht diese nicht zu gestatten, dass der
Privatbesitz des Herrn den Sklaven von ihr abtrenne, und dass alle
Leistungen desselben, die von jenen sozialen Benefizien bedingt sind,
nur jenem und höchstens durch ihn hindurch der Gesamtheit zu Gute
kommen.
Auch hat die Gesellschaft (<262) Ansprüche auf den Sklaven,
weil er nur durch Abstammung von der Gesellschaft so geworden ist, wie
er ist, weil er so gut wie jeder andere die Erbschaft der Gattung
angetreten hat, für die die gegenwärtige Gesellschaft berechtigt
ist, die Steuer zu erheben.
Die Unverhältnissmässigkeit davon, dass der Herr auch die ganze
künftige Nachkommenschaft des Sklaven miterwirbt, liegt
gleichermassen auch darin, dass er alle seine Vorfahren, soweit sie in
ihm weiterleben, miterwirbt.
Mit einem Wort: weil die Bewahrung gewisser Rechte zugleich
Verpflichtung gegen die Gesellschaft ist, deshalb ist die Aufgabe
derselben nicht gestattet - was ihrem individualistischen Wortsinn
nach nicht zu rechtfertigen wäre.
Und eben weil das öffentliche Interesse dies bewirkt, so konnte
unter anderen Umständen auch das direkte Gegenteil erfordert sein:
Augustus bestimmte durch Gesetz, dass niemand mehr als 100 Sklaven
durch Testament freilassen sollte - damit die Bürgerschaft nicht zu
sehr mit diesen schlechten Elementen überschwemmt würde.
Das Verhältnis zur Gesellschaft bestimmt also nicht nur
überhaupt, wo die Grenze zwischen Rechten oder Freiheiten und
Pflichten liegt; sondern sie bestimmt weiter die sekundäre Freiheit,
auf jene zu verzichten oder nicht.
Diese Auflösung der individuellen Freiheit in eine soziale Pflicht
hat freilich der Sklavereifrage gegenüber heute nur eine theoretische
Bedeutung; sie wird aber eminent praktisch z. B. in den Fragen nach
Erlaubtheit oder Verbot politischer Wahlbeeinflussung.
Wenn der Arbeitgeber seinem Arbeiter sagt: falls Du in einem mir
entgegengesetzten Sinne wählst, so entlasse ich Dich - so macht er
damit von seiner Freiheit im gewöhnlichen Sinne Gebrauch; denn er hat
zweifellos das Recht, seine Arbeiter nach freier Wahl anzustellen oder
zu entlassen.
Seine Handlungsweise erscheint um so erlaubter, als der Arbeiter in
der Freiheit seiner Wahl doch nur ein Recht dahingibt, auf das
(<263) ihm dem Wortsinne nach zu verzichten erlaubt sein muss.
So gut es ein "Recht" des Einzelnen ist, sich zu
berauschen oder Vormittags spazieren zu gehen, und er dennoch auf
dieses Recht verzichten muss, um von dem Unternehmer angestellt zu
werden, so gut kann er auch das Recht, nach seiner Überzeugung zu
wählen, gegen den Wert seiner Anstellung in Kauf geben.
Wenn trotzdem moderne Gesetze eine solche Hingabe der Wahlfreiheit
verbieten und den Unternehmer mit Strafe bedrohen, der die
Beschäftigung des Arbeiters von dieser Gegenleistung abhängig macht,
so rechtfertigt sich dies nur so, dass die Wahlfreiheit keine blosse
Freiheit ist, auf die man also auch verzichten könne, sondern eine
Pflicht; die Allgemeinheit hat das höchste Interesse daran, dass
jeder nach seiner eignen Überzeugung wähle und fordert dies als
Pflicht von ihm.
Es wäre also ein Widerspruch von ihr gegen sich selbst, zu
gestatten, dass jemand an derjenigen Handlung gehindert werde, die sie
selbst von ihm verlangt.
Deshalb nimmt sie dem Arbeiter die Freiheit, auf diese Freiheit zu
verzichten, aus dem ganz gleichen Grunde, aus dem sie jedem die
Freiheit nimmt, auf seine persönliche Freiheit überhaupt zu
verzichten, indem er sich zum Sklaven oder Leibeigenen erklärt.
Die Koordinierung der Bestimmung über sich selbst mit der
Bestimmung über Andere zu erweisen, ist die Erörterung der Sklaverei
deshalb besonders geeignet, weil, wie sie zeigt, das öffentliche
Interesse die Freiheit sich selbst der Freiheit zu begeben, ganz
ebenso beschränkt, wie die Freiheit einen Anderen gewaltsam zu
versklaven.
Wie für das eigenste, innerlichste Ich, dessen Wille je nach der
Möglichkeit seine Objekte zu gestalten empirisch frei oder unfrei
erscheint, nur ein gradueller, sozusagen lokaler Unterschied zwischen
dem eigenen Körper, dem äusseren Besitztum und den anderen Personen
als solchen Objekten besteht - so besteht für das öffentliche,
unsere "Freiheit" beschränkende Interesse nur der gleiche.
(<264) Es begrenzt, in umgekehrter Richtung fortschreitend,
zuerst unsere Freiheit, soweit sie andere Menschen tangiert bez.
verletzt, dann die Freiheit der Verfügung über den Besitz - Steuern,
öffentliche Lasten positiver und prohibitiver Art - endlich die
Verfügung über den eigenen Leib, manchmal sogar über die eigene
Seele, wie bei dem Religionszwang.
Diese Ausdehnung der positiven Bedeutung der Freiheit rechtfertigt
den Versuch, in ihren Begriff die gesamten Inhalte des Sollens
zusammenzufassen.
Wenn Kant das Prinzip des Rechts in der Forderung erblickt, die
Freiheit eines jeden solle so weit eingeschränkt werden, dass sie mit
der Freiheit jedes Anderen zusammen bestehen kann, so ist dies eine
negative Ausdrucksform, die dem Zwangscharakter des Rechts entspricht;
durch positive Wendung kann man dies unmittelbar zu einem Moralprinzip
des Freiheitsmaximums machen: handle so, dass die von dir geübte
Freiheit zusammen mit der, die dein Handeln den Anderen lässt oder
bereitet, ein Maximum ergibt.
Der Vorteil, den dieses Prinzip als Zusammenfassung der
tatsächlichen Moralvorstellungen hat, ist die Vereinigung der beiden
fundamentalen Ansprüche an eine solche: einmal eine objektive ideale
Gestaltung der Dinge anzugeben, innerhalb deren der Handelnde, von dem
Prinzip Bestimmte, allen Anderen koordiniert ist, eine Gestaltung, die
an und für sich sein soll; der Ton und Wert liegt hierbei auf dem
realen Effekte der Handlung, auf den allein und nicht auf das
besondere Verhältnis es ankommt, in das der gerade Handelnde sich zu
diesem objektiven Ideal setzt.
Zweitens aber hat ein Moralprinzip auch jene subjektive sittliche
Tendenz einzuschliessen, die von jedem Einzelnen für sich eine
besondere Entsagung zu Gunsten des objektiven Endzweckes fordert, die
das Verdienst gerade in eine Ausnahmestellung setzt, derart, dass der
Einzelne für sich selbst auf die Güter verzichtet, deren allgemeinen
Genuss jener ideale (<265) Zustand enthält.
Die eine Schätzungsweise wird die grossen Kulturhelden, die sie
nach den objektiven Erfolgen ihres Tuns beurteilt, in der Wertskala
obenan stellen, die andere den niederen Söldner, der sich auf einem
verlorenen, nutzlos behaupteten Posten in der Treue zu seiner Fahne
niedermachen lässt; die eine die grossartige Wohltätigkeit
amerikanischer Millionäre, deren Segnungen die ganze Kultur ihres
Landes neben tausend Einzelnen empfindet; die andere das Scherflein
der Witwe.
Die Doppelheit dieser sittlichen Wertkriterien ist etwa jener
ästhetischen zu vergleichen: wir unterscheiden die Leistung, die
objektiven, von der Persönlichkeit des Schaffenden relativ gelösten
Wert hat, sehr deutlich von derjenigen, die zwar die persönliche
Genialität des Künstlers beweist, indem sie eigenartig und sozusagen
persönlich interessant ist, aber an und für sich und ohne dass wir
den Schluss auf die dahinter stehende Persönlichkeit zögen,
unbedeutend ist.
Gewiss kann sich beides vereinigen, im ästhetischen Falle freilich
noch durchsichtiger als im ethischen; aber auch in der tatsächlichen
Vereinigung ist die Zweiheit der Werte ebenso erkennbar, wie in ihrem
getrennten Vorkommen. Nur je einen von beiden tatsächlich empfundenen Werten pflegen die
Moralprinzipien darzustellen.
Sie lehren z. B. ein Maximum von Glückseligkeit zu realisieren -
einen objektiven Zustand, den zu erstreben freilich sittlich ist, ohne
dass aber jener andere sittliche Wert zu Worte kommt, der in dem
Verzicht auf eigene Glückseligkeit zu Gunsten Anderer selbst dann
liegt, wenn damit keine Steigerung der objektiven Glückssumme
erreicht wird.
Oder es wird andrerseits der Ton nur auf die Gesinnung gelegt, auf
die besondere Stellung, auf die hin man dem Individuum subjektives
Verdienst zuspricht.
In diesem Falle kommt wieder der Inhalt des Handelns zu kurz,
insoweit man ihm ein objektives, den Handelnden mit allen Anderen
koordinierendes Ziel zumutet.
Den Dualismus zwischen dem (<266) sittlichen Werte des Strebens
nach einem objektiven, zuständlichen Ideale, das Allen, also auch dem
gerade Handelnden, in gleicher Weise zu gute kommt, und dem
persönlichen Verdienste, das gerade nur den Anderen jenes Gute will
zu gute kommen lassen, für sich aber darauf verzichten will - diesen
Dualismus wissen wenige Moralprinzipien in eine Einheit
zusammenzuführen. Ich glaube, dass dies der obigen Formel gelingt.
Was zunächst die objektiven Ziele angeht, so schreibt das Prinzip
vor, nach einer Gestaltung der Dinge zu streben, bei der sich das
Wollen jedes Einzelnen möglichst vollständig in ihnen ausprägen
kann.
Die Freiheit, so hatten wir gesehen, besteht darin, dass ein Kreis
von Objekten sich konform dem Willen des Individuums verhält.
Jedes Werkzeug, das die Materie äusseren Absichten gefügiger
macht, jede Anordnung menschlicher und sachlicher Elemente, durch die
unnütze Reibungen und schwächende Zersplitterungen vermieden werden,
jede Freude, die unsere Kräfte zum Daseinskampfe belebt, jede
Erkenntnis, mit der der Geist die äusseren Objekte seinen Kategorien
oder praktischen Zwecken unterwirft - alles dies sind Ausdehnungen
unserer Freiheit.
Denn das Mass unserer Freiheit ist das Mass, in dem die
Konstitution der uns gegenüberstehenden Objekte auf Anregung von
unserer Seite hin unsere gewollten Vorstellungen an sich realisiert.
Die Vermehrung der Freiheit in diesem weitesten und positiven Sinne
ist der allgemeine, teleologische Begriff, in dem sich alle jene
Kulturförderungen, jene aus den verschiedensten singulären Gründen
erwünschten Vornahmen und Erzeugnisse begegnen. Auch das Ideal der Verteilung des Besitzes findet in diesem Begriff
seinen Ausdruck.
Besitz, gemäss unsern Ausmachungen, ist Freiheit, denn dasjenige
Objekt, das dem Wollen eines Subjekts folgt oder nachgibt, heisst in
dem Masse der Unbeschränktheit dieses Nachgebens eben sein Besitz.
Wenn die Freiheit also mit dem Besitze wächst, so geschieht dies
doch nur bis zu einer (<267) gewissen Grenze, von der an die
Freiheit nicht mehr im Verhältnis der Besitzsteigerung zunimmt, ja
wohl auch trotz dieser abnimmt.
Es gibt einen begrenzten Umfang des Besitzes, über den hinaus der
Wille ihn sozusagen nicht mehr mit sich imprägnieren kann, nicht mehr
dasjenige Verhältnis positiver Dirigierung zu ihm aufrecht erhalten
kann, in dem eben seine Freiheit besteht - Wunsch und Habgier können
natürlich darüber hinausführen, aber sie dokumentieren ihre
Zwecklosigkeit in der Unbefriedigtheit, die selbst ihrer Erfüllung
eigen ist.
Indem also ein derartig übermässiger Besitz in einer Hand
vereinigt ist, während Anderen noch dasjenige Mass von Besitz versagt
ist, an dein ihre Freiheit sich ausleben, sich erfüllen könnte,
indem es ihn erfüllt - wird dein Ideal des Freiheitsmaximums
widersprochen.
Dieses fordert vielmehr eine derartige Verteilung des Besitzes,
dass das Mass, in dem die menschlichen Willen sich den Objekten
einprägen, ein Maximum werde.
Obgleich es selbstverständlich scheint, dass ich Einbusse erleide,
sobald ich äusseren Besitz aufgebe, so rückt diese äusserliche
Tatsache doch in ein ganz anderes Licht, sobald man die rohe,
mechanische Vorstellung des Besitzes verlässt und einsieht, dass
alles, was den Besitz wertvoll macht und um dessentwillen überhaupt
Besitz existiert und besessen wird, doch nur Gefühle sind;
schliesslich ist auch der Besitz nur ein geistiges Band zwischen den
Menschen und den Dingen, und ist für die praktische Behandlung
gleichzusetzen der Summe der psychischen Reaktionen, die sieh an diese
Beziehung knüpfen.
Wie nun unser physischer Organismus seine Reaktionen auf äussere
Einflüsse keineswegs immer proportional der Grösse dieser entfaltet,
so steht es auch nicht fest, dass die Gefühle, die das psychische und
Wert-Korrelat des Besitzes bilden, immer durch die äussere Mehrung
desselben steigen, durch Minderung sinken.
Wie vielmehr die Heilkunde immer mehr davon zurück (<268)
kommt, dass, wenn ein gewisses Quantum chemischer oder physikalischer
Eingriffe eine bestimmte Wirkung hat, eine Erhöhung desselben eine um
so viel vermehrte, aber gleichartige Wirkung haben müsse, so wird
wohl auch die Psychologie festzustellen haben, dass zwischen den Besitzgegenständen als blossen Äußerlichkeiten
und dem Besitze als Wertgefühl keineswegs ein immer gleiches
quantitatives Verhältnis besteht.
Ich erinnere an die Beobachtung der Elektrotherapie, dass die
Wirkung gehäufter Elektrisationen oft in die Gegenteile umspringt,
ferner an die eigenartigen Wirkungsunterschiede, die die
Dosierungsunterschiede der Arzneien mit sich bringen, und vieles
ähnliche.
Das Prinzip: viel hilft viel - wird immer mehr verlassen. Vielmehr sind diejenigen Abschnitte physiologischer und psychischer
Gebiete, in welchen die Reaktionen genau nach ihren äusseren
Veranlassungen abgestuft sind, offenbar sehr eng begrenzte; oberhalb
und unterhalb derselben hören die proportional graduierten Skalen
völlig auf.
Es ist mir wahrscheinlich, dass man vielfach bei gleichmässiger
Steigerung des äusseren Faktors auf eine Alternierung zwischen
positiven und negativen, steigenden und fallenden Reaktionen des
inneren treffen wird.
Es liegt nahe, hier als Analogie jene allgemeinsten
Materientheorien Boscovichs und Fechners heranzuziehen, denen zufolge
alternierende Kraftsphären von Abstossung und Anziehung jedes Atom
umgeben; nur innerhalb jeder Sphäre würde dann grössere Entfernung
oder Annäherung eine Steigerung des Effektes hervorbringen, der den
geringeren Quanten dieser Änderungen folgte; ist die Grenze dieser
Sphäre einmal beschritten, so schlägt die gleiche äussere
Modifikation in den entgegengesetzten Erfolg um.
Indem man dies nun von der extensiven in die intensive Wirkung
überträgt, lässt sich denken, dass die Reize des Besitzes
gewissermassen alternierende Sphären aufweisen, d. h. dass bei
gleichbleibender Steigerung seines äusseren Quantums seine innere und
wertbedeutende (<269) Seite bald in dem gleichen Verhältnis
wächst, bald Stagnation oder in manchen Fällen Repulsion eintritt,
bis von einem gewissen Masse dieser an wieder die entgegengesetzte
Wirkungsart sichtbar wird.
Ob nun aber die Ungleichmässigkeit zwischen den Quantitäten des
Besitzes und denen seiner inneren Folgen durch diese oder eine andere
Norm bestimmt werde: dass sie besteht, scheint mir zweifellos; man
kann auch von dem äusserlichsten Besitz nicht bestimmen, ob nicht ein
geringeres Quantum seiner unter gewissen Umständen ein höheres Mass
derjenigen Reaktionen aufruft, die seine psychische Realität bilden;
auch hier kann der Fall vorkommen, dass die Hälfte mehr als das Ganze
ist.
Schon weil nun der Punkt, an dem die Wirkung des Besitzes ihr
Vorzeichen ändert, bei den verschiedenen Individuen zweifellos
verschieden liegt, so führt die Unverhältnissmässigkeit zwischen
der Grösse des Besitzes und der Fähigkeit, ihn wirklich zum Inhalt
und Objekt der Freiheit zu haben, keineswegs zu einer schematischen
Besitzgleichheit, und zwar gerade gemäss dem Prinzip des
Freiheitsmaximums.
Und eben dieses schliesst die äussere Egalisierung von dem weiter
ausgreifenden Gesichtspunkte her aus, dass es doch noch andere
Verhältnisse, noch andere dem Ich gegenüberstehende Objekte, als den
Sachbesitz, gibt, an denen sich die Freiheit verwirklicht; jedes
Individuum hat nun für sich, indem es in sich selbst die
Ausgleichungsforderung zwischen den verschiedenen Individuen
wiederholt, diese mannigfaltigeren Sphären der Freiheit in ein
derartiges quantitatives Verhältnis zu setzen, dass ein Maximum von
Freiheit resultiert.
Je nach den inneren und äusseren Anlagen und Schicksalen werden
sich dazu die Quanten dieser Sphären bei jedem verschieden mischen
müssen; dem einen wird ein bestimmendes Verhältnis zu anderen
Personen bei gleichzeitig geringerem Sachbesitz eine grössere
Expansion der Freiheit gewähren, während sie sich bei dem andern mit
grösserem (<270) Erfolge auf den Sachbesitz unter gleichzeitiger
Geringfügigkeit des Einflusses auf Menschen richtet.
Wie sehr das Prinzip des Freiheitsmaximums auch den letzteren
Einfluss begrenzt, ersieht man daraus, dass bei einer gewissen Grösse
desselben auch er in sein Gegenteil umschlägt, und zwar sowohl, wenn
seine Grösse nach der intensiven, wie wenn sie nach der extensiven
Seite extrem wird; bei allzu unumschränkter Herrschaft über einen
Menschen geht leicht das Gefühl verloren, dass man an ihm überhaupt
etwas zu beherrschen hat, seine allzugrosse Nachgiebigkeit nimmt ihm
diejenige Bedeutung, die ihm überhaupt als einem Objekt unseres
Einflusses Wert gibt.
Und bei allzugrosser Extensität der Herrschaft über Menschen
treten unvermeidlich rückwirkende Bindungen ein, die zu grosse Anzahl
derer, die von einem Einzelnen abhängig sind, lähmt als
Schwergewicht die Freiheit seiner Bewegung und er wird der Sklave
seiner Sklaven.
Also auch hier beschneidet das Maximum der gesamten Freiheit zwar
das Übermass einseitiger Freiheit, verlangt aber keineswegs
allgemeine Gleichheit gegenseitigen Einflusses.
Nicht jeder Wille ist gleichmässig qualifiziert, eine dargebotene
Sphäre von Einfluss auf Andere auch wirklich zu erfüllen, die
Freiheit als Möglichkeit in die Freiheit als Wirklichkeit umzusetzen;
deshalb würde die Einräumung einer äusserlichen Gleichheit in
dieser Hinsicht dem einen geben, was er nicht brauchen kann, dem
andern nehmen., was er braucht, und eben dadurch der Erreichung eines
objektiven Freiheitsmaximums widersprechen.
Das Prinzip: Jeden für einen und keinen für mehr als einen zu
zählen" - erweist sich angesichts der unendlichen
Verschiedenheit der Naturen, die durch die Konstruktion eines
mittleren "Einen" absolut nicht in ihrer Wirklichkeit zu
fassen sind, hier so unzulänglich wie überall, wo durch Aufteilung
von Soll und Haben zwischen den Einzelnen ein Ideal objektiv
maximisiert werden soll.
Die zweite subjektive Seite des moralischen Interesses:(<271)
das Verdienst, das in dein Verzicht des Einzelnen liegt, ganz
gleichgültig dagegen, ob ein Ideal dadurch in seinem objektiven
Quantum gehoben oder gemindert wird - wird nun vermöge des Begriffes
der inneren Freiheit dem Prinzip des Freiheitsmaximums eingeordnet.
Der Goethesche Ausspruch: Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch sich, der sich überwindet - enthält im
Wesentlichen die sittliche Erfahrung, auf die es hier ankommt.
Der Begriff von Freiheit, der für uns resultiert war, gestattet es
vollkommen, dass man ihn auf das Verhältnis des Menschen zu sich
selbst anwendet, d. h. auf jene psychologischen Vorgänge, die wir
Mangels einer genaueren Vorstellungsart als Verhältnis verschiedener
Vorstellungsgruppen zu einander bezeichnen.
Indem verschiedene Vorstellungen gleichzeitig mit dem Willenston,
dem Bestreben nach Realisierung ausserhalb des bloss ideellen
Vorstellens auftreten, aber diese Realisierung nicht gleichzeitig
erlangen können, tritt die Erscheinung ein, die wir symbolisch damit
bezeichnen, dass die eine Wollung die andere überwindet.
Und da beide innerhalb eines und desselben Menschen liegen, kann
man dieses so ausdrücken, dass er sich selbst überwindet, und zwar
insbesondere dann, wenn die siegende Vorstellung aus Gründen, die ich
Bd. 1 S. 290 andeutete, als die Repräsentantin des eigentlichen Ich
erscheint.
Indem Tendenzen, die diesem eigentlichen Ich entgegengerichtet
sind, überwunden werden, prägt dieses seine fundamentale
Charakterqualität dem Willensinhalt ein. Jede solche Auswirkung des
Ich in einem irgendwie gegenüberstehenden Objekt ist Freiheit; denn
sie befreit jenes von dein Gegendruck, von den Hemmnissen, die sich
der Verwirklichung seines Willens entgegenstellten ; sie befreit
jedenfalls von, der bedrückenden Vorstellung, dass die Dinge anders
sind, als wir sie wollen.
Deshalb empfinden wir alle Überwindung niederer Triebe, alle
Zurückweisung von Versuchungen, jedes Durchsetzen innerer Werte gegen
die (<272) psychologische Kraft der Sinnlichkeit auch als eine
Befreiung, und deshalb ist der Verzicht auf alle angebbaren Güter zu
Gunsten Anderer dennoch zugleich eine Bewährung der Freiheit, ein
Sichauswirken innerlichster Kraft gegenüber den übrigen Inhalten der
psychologischen Sphäre; gerade je mehr diese durch Aufopferung
beschränkt wird, desto entschiedener tritt die Wirkung des als
einheitlich empfundenen Ich hervor.
Hier kann wohl an die tiefsten Motive des Christentums,
insbesondere in seinem sich Abheben von der heidnischen Welt erinnert
werden. In ihm fand sich jener völlige Verzicht auf alles, was sonst
als Wert und Inhalt der Persönlichkeit galt, doch mit einer bis dahin
unbekannten Höhe und Konzentriertheit des Persönlichkeitsgefühles
zusammen, aus der tiefsten Demut und Demütigung entsprang dem
Christen doch eine unvergleichliche innere Freiheit; im freiwilligen
Aufsichnehmen der ärgsten Sklavenlose, der Abtrennung von der Sphäre
des Besitzes jeder Art, der dem Menschen sonst Unabhängigkeit gibt,
empfanden sie jene Befreiung von der Macht des Irdischen, jene
Losgelöstheit von der Gewalt, die sonst alle Wesen bindet.
So findet denn auch die rein subjektive Wendung der sittlichen
Zielsetzung ihren Ausdruck im Freiheitsbegriff, jene Wendung, der es
nicht auf eine objektive Gestaltung der Dinge ankommt, in die der
Handelnde sich neben allen Anderen einfügt, sondern auf das
persönliche Verdienst, das sich gerade in der besonderen,
verzichtenden Stellung des Ich den Andern gegenüber zeigt (vgl. auch
S. 48).
Die Erweiterung der Freiheit ist so das Gemeinsame, das ebenso von
dem objektiven, Inhalte des sittlichen Strebens, wie von der
subjektiven Verdienstlichkeit desselben getragen wird.
Beide Werte sind an sich betrachtet in hohem Masse von einander
unabhängig, so dass sie sich, wenn jedes von ihnen als absolutes
Prinzip betont wird, in ihren Anforderungen an das Individuum manchmal
unversöhnlich bestreiten - wird nun aber erkannt, (<273) dass das
eine der Steigerung der äusseren, das andere der der inneren Freiheit
dient, zeigt sich also die Freiheit als das ihnen übergeordnete
Prinzip, so wird in der Forderung, diese zu einem Maximum zu bringen,
der Streit jener beiden geschlichtet: jede darf nur insoweit
gesteigert werden, dass sie mit dem gleichzeitigen Realisierungsgrade
der anderen ein Maximum an Freiheit ergibt.
Dadurch wird erstens alle übertriebene Aufopferung, alle
subjektivistische und bloss auf die Vollendung der eigenen Seele
gerichtete Sittlichkeit in ihrer Fehlerhaftigkeit aufgezeigt; denn man
wird den Nachweis erbringen können, dass, wo der normale sittliche
Instinkt solche Handlungsweise tadelt, sie trotz der inneren Freiheit,
die sie auswirkt, die Erweiterung der anderen - eigenen oder fremden -
Freiheitssphäre vernachlässigt, zu Gunsten der einen Freiheitsform
die andere so beschneidet, dass die Summe der Freiheit darunter
leidet.
Andrerseits wird durch unser Prinzip die Grenze bezeichnet, die das
sittliche Interesse der Tendenz auf blosse objektive Kultur- und
Besitzsteigerung zieht.
Denn so sicher die Überwindung natürlicher Hindernisse, das
Indienstnehmen von äusseren Materien und Kräften, die
Reibungsminderung in den Kulturbeziehungen der Menschen auch der
Vermehrung der Freiheit dienen, so liegt doch die Gefahr vor, dass das
Streben nach objektiven Errungenschaften und Institutionen jene
persönlichste, innerlichste Seite des sittlichen Handelns lähme, die
nicht sowohl fragt, was man tut, als wie man es tut, nicht nach der
Grösse des Vollbrachten, sondern nach der Grösse und dem Schwange
der Gesinnung, die seine Vollbringung erforderte.
Die Erfahrung zeigt, dass gerade diese subjektive Sittlichkeit ein
unvergleichliches und durch nichts zu ersetzendes Gefühl innerer
Freiheit zuwege bringt.
Wenn - also die allgemeine, wenngleich ihrer Gründe nicht bewusste
Meinung jeder von beiden Tendenzen nur einen relativen, durch die
andere beschränkten Raum gestatten will, also doch einen höheren,
(<274) absoluten Gesichtspunkt voraussetzt, an dem sich die Quanten
beider bestimmen: so wird man dies wohl so ausdrücken können, dass
dasjenige, was beiden Seiten der Sittlichkeit gleichmässig eigen ist,
die Tendenz zur Freiheit, eben durch sie und das richtige Verhältnis
zwischen ihnen maximisiert werden soll.
Indem wir den Besitz - sowohl als Beherrschung von Objekten wie von
Menschen - auf die realen psychologischen Ereignisse zurückführten,
die er repräsentiert, zeigte sich eben in seinen psychologischen
Folgen die Begründung davon, dass das Überschreiten einer gewissen
Quantitätsgrenze seinen Wert zurückgehen lässt.
Etwas Entsprechendes lässt sich nun in dem Verhältnis des Ich zu
sich selbst erkennen, das ich in der bisherigen Erörterung dem zu den
äusseren Objekten und dem zu anderen Menschen koordiniert hatte.
Die Summe der Überzeugungen gehört zu dem Umfänge des Ich in
einem Sinne, dem analog, in dem die Summe des Besitzes dazu gehört;
ebenso wie der Besitz eine Art des Vorstellens ist, so ist das
Vorstellen eine Art Besitz, und zwar unter Umständen ein so
wertvoller, dass ihn aufzugeben unmittelbar eine Alterierung und
Herabsetzung des Ich bedeutet, nicht anders wie der notgedrungene
Verzicht auf Besitz oder Einfluss.
Das Zugeständnis: ich habe mich geirrt, hat zunächst die
Bedeutung, dass aus dem bisherigen Umfang der Persönlichkeit irgend
etwas ausgeschieden wird, ohne dass jedes Mal der Ersatz dieses Minus
durch die neu angenommene Wahrheit sofort und ebenso klar wäre.
Ferner bedeutet das Aufgeben der bisherigen Meinung oft die
Modifikation des schlechthin Individuellen zu Gunsten der allgemeinen
Meinung und bringt damit unmittelbar eine Verringerung desjenigen
Selbstgefühles mit sich, das gerade in der Eigenheit der
Persönlichkeit und in ihrem Unterschiede gegen das liegt, was die
Anderen meinen oder glauben.
Es liegt nahe, solcher Beeinträchtigung der
Persönlichkeitssphäre wenigstens für (<275) das eigene Gefühl
dadurch zu begegnen, dass man an dem einmal gewonnenen individuellen
Überzeugungsinhalt um jeden Preis festhält.
Dies Phänomen des "Eigensinns" wird erstens vom
ethisch-sozialen Standpunkt aus verurteilt, denn es bedeutet das
Festhalten der eigenen Meinung, bloss weil es die eigene ist und
trotzdem sie in Widerspruch zu den allgemein gültigen Normen steht,
zweitens aber auch vom individualistischen, weil der Eigensinn, um nur
den momentanen Besitzstand nicht aufgeben zu müssen, auf die
definitive und haltbare Erweiterung desselben verzichtet, die in der
Akzeptierung der richtigen Ansichten liegt.
Trotzdem liegt die Gefahr nahe, bei dem Vorwurf, den man an ein
eigensinniges und widervernünftiges Festhalten von Meinungen knüpft,
oberflächlich und ungerecht zu verfahren.
Es ist nicht immer unberechtigt, wenn man einmal gewonnene tiefste
und allgemeinste Überzeugungen nicht ohne Weiteres einer scheinbar
bündigen, logischen Deduktion des Gegners preisgibt.
Denn selten wird diese im strengen Sinne bloss logisch sein;
bestimmte Bedeutungen der Begriffe, gewisse allgemeinste Sätze werden
in der Regel dabei vorausgesetzt, deren Unverträglichkeit mit der
eigenen Überzeugung man wohl fühlt, ohne dass dieselbe und damit der
Grund, weshalb die lückenlose gegnerische Beweisführung uns doch
nicht überzeugt, in deutliches und begriffsmässiges Bewusstsein
gelangte.
Es kommt dazu, dass derartige Überzeugungen überhaupt selten von
strengen Beweisen, als vielmehr von dem Wert abhängen, den man auf
den einen möglichen Beweis einem anderen gegenüber legt, wobei sich
denn die formale Deduktion überhaupt machtlos erweist.
Aber nicht nur dergleichen umfassende, sondern auch mehr singuläre
Überzeugungen wurzeln sehr häufig nicht sowohl in ihren direkten
Beweismomenten, als in den Verbindungsfäden mit anderen, abseits
liegenden Teilen der Persönlichkeit, so dass man in der Regel, um
Jemanden auch an einem einzelnen Punkte wirklich zu (<276)
überzeugen, sehr tief in seine Gesamtüberzeugungen hinabsteigen
müsste - eine Verpflichtung, von der man sich nur allzu gern durch
die Erklärung, dass der andere eigensinnig wäre, dispensiert glaubt.
Das Gefühl von Demütigung, welches wir bei notgedrungenem
Aufgeben einer Ansicht haben, entstammt offenbar den Assoziationen,
welche diese mit unserem gesamten Gedankenkreise eingegangen ist, und
die nun durch Erschütterung des einen Gliedes eine Unsicherheit
unseres ganzen Seeleninhaltes drohen; der Selbsterhaltungstrieb der
einzelnen Vorstellung wird von dein der ganzen Seele getragen.
Aber hier liegt auch der Punkt, wo der eigentliche Eigensinn mit
seiner Schwäche einsetzt; es ist das Zeichen eines nicht hinreichend
differenzierten Geistes, der seinen Inhalten nicht hinreichende
Selbständigkeit und Sachlichkeit gegeben hat, dass die einzelne
Vorstellung sachlich unberechtigte Assoziationen mit allen möglichen
anderen, je nach psychologischer Zufälligkeit eingeht, und dadurch
die Reinheit und Objektivität ihres Erkenntnisinhaltes einbüsst.
Durch diese Verschmelzungen wird also tatsächlich die Freiheit der
geistigen Bewegung gehemmt; für den Eigensinnigen ist der momentane
geistige Stand ein Präjudiz, das über das Ja oder Nein der neuen
Anregung gegenüber entscheidet.
Indem durch das starre Festhalten an dem subjektiven Inhalt
scheinbar gerade die Freiheit und Unabhängigkeit gewahrt wird, wird
sie tatsächlich durch dasselbe eingeschränkt und zwar in der
zweifachen Auffassung: einmal, weil die Unbeweglichkeit gewisser
Vorstellungsmassen des Eigensinnigen ihn von eigenen
Weiterentwicklungen so abschneidet, wie nur äussere Knechtung es tun
kann, und weil andrerseits die Freiheit im Sinne des Besitzes, des
Umfanges der Ichsphäre zwar für den Augenblick durch den Eigensinn
ihre Selbsterhaltungskraft zeigt, aber nur auf Kosten derjenigen
Erweiterung, die das Ich schliesslich doch gewinnen würde , wenn es
seine schlechthin individuellen Überzeugungen durch die sachlich
richtigen ersetzte.
Das (<277) Prinzip des Freiheitsmaximums deckt also auch in
Bezug auf dieses Verhältnis des Ich zu sich selbst den anerkannten
Bestand der ethischen Forderung.
Es ist hierbei das Folgende im Auge zu behalten. Die empirische Freiheit, so hatten wir gesehen, besteht in einem
gewissen Verhältnis zwischen dem Willen und seinen Objekten. Der Wille ist frei, wenn die Objekte ihm nachgeben und seinen
Inhalt in sich ausprägen.
Dass sie das aber tun, muss er erst erfahren und dies kann er nur
durch eine Rückwirkung ihrer Beschaffenheit oder Funktionierung auf
das Subjekt. Insofern ist er also mit dein Denken zu vergleichen.
Denn das blosse, rein logische Denken hat nur dann einen Sinn und
Zweck, wenn es ausserhalb seiner noch einen psychischen Inhalt anderer
Provenienz gibt: die Erfahrung - dessen inhaltliche Übereinstimmung
mit den Resultaten des Denkens erst die Richtigkeit des letzteren
erweist.
So würde auch der Wille eine völlig leere und sinnlose Funktion
sein, wenn nicht die durch ihn eingetretenen Veränderungen in der
äusseren oder inneren Welt erfahren oder gefühlt würden, damit
durch die Vergleichung dieses rezeptiven psychischen Inhalts mit dein
Inhalte des Willens festgestellt werde, ob dieser befriedigt ist oder
nicht.
Wie die Vorstellung in erkenntnisstheoretischer Hinsicht zweimal
vorhanden sein muss: einmal in der Form des blossen Denkens und dann
in der Form der Erfahrung, so muss sie es auch im
willens-theoretischen: zunächst in der Form des Gewolltwerdens und
dann in der des Empfundenwerdens.
Nur in der Übereinstimmung dieser Zweiheit, nicht in sich selbst
allein, kann das Denken wie das Wollen Sinn und Bedeutung haben.
Der Wille bedarf also eines Objekts, das nach seiner Bearbeitung
durch das Subjekt auf dieses selbsttätig zurückwirkt, indem es in
ihm die Vorstellung, die vorher unter der Kategorie des Gewollten
bewusst wurde, nun mit dem Zeichen der Realität auslöst.
Diese Reflexion (<278) über die notwendige Selbständigkeit und
Rückwirksamkeit der Willensobjekte soll hier die weitere
fundamentieren: dass auch der freieste Wille, d. h. derjenige, der die
geringste Hemmung an seinen Objekten findet, dennoch eines gewissen
Widerstandes derselben bedarf.
Wie der Bildhauer sein Werk nicht in einem gasförmigen oder
flüssigen Stoffe ausführen kann, dessen absolute Nachgiebigkeit
keine Prägung seiner Form gestattet, wie er vielmehr einer Materie
bedarf, in der der Zusammenhang der Teile zwar ihm selbst Widerstand
entgegensetzt, dafür aber auch die Form bewahrt, die die Überwindung
dieses Widerstandes ihm eingeprägt hat -gerade so steht der Wille
seinen Objekten gegenüber.
Im Verhältnis zu einem absolut unselbständigen Objekt, das sich
ihm fügte, ohne dass es irgend eines Einsatzes von Kraft bedürfte,
würde es weder zu einem Bewusstsein noch zu einem Werte seiner
Freiheit kommen, Am ersichtlichsten ist dies bei der inneren Freiheit,
bei der die Triebe, von denen das bessere Ich sich zu befreien hat,
von der gleichen psychischen Kraft wie dieses letztere selbst getragen
werden, so dass der Widerstand, der sich dem Durchsetzen des
definitiven Willens entgegenstellt, nicht nur auf der Seite des
Überwindenden, sondern auch auf der des Überwundenen unmittelbar
bewusst wird.
Aber auch in Hinsieht auf die äusseren Objekte, in deren
Beherrschung und Überwindung sich gleichfalls Freiheit zeigt, ist es
nicht anders.
Gerade die Struktur der Dinge, vermöge deren sie die eingeprägte
Form bewahren und mit eigener Kraft auf das Subjekt zurückwirkend ihm
die Erfülltheit seines Willens beweisen - gerade diese Struktur setzt
zu einer Formung ihrer eine Anstrengung voraus; denn sie hat diese
Form von vornherein nicht, und dass sie sie nicht hat, regt eben den
Willen an.
Die Freiheit erscheint um so wertvoller, ja sie erscheint um so
mehr als Freiheit, gegen je stärkere Widerstände sie sich
durchgesetzt hat.
Darum wird die Freiheit, die die Form des äusseren (<279)
Besitzes hat, entschiedener als solche empfunden, wenn der Besitz
schweren Hindernissen entgegen erworben, als wenn er uns mühelos in
den Schoss gefallen ist; darum ist die innere Freiheit
verdienstlicher, wenn sie im Kampfe gegen die Fesselungen der
Sinnlichkeit errungen wurde; darum ist das freie Ausleben der
Persönlichkeit um so mehr wirkliche Freiheit, je mehr es sich im
Verhältnis zu anderen freien Personen, als wenn es sich Sklaven
gegenüber erweist.
Hierdurch erhält nun das Idealprinzip des Freiheitsmaximums eine
wesentliche nähere Bestimmung.
Es wird nämlich klar, dass die Gestaltung äusserer Verhältnisse,
die der menschlichen Freiheit einen maximalen Spielraum geben und
deren Forderung insoweit eine grosse Zahl sittlicher Ideale
einschliesst, diese Qualifikation der Objekte nicht zu einem Maximum
treiben darf, ohne ihren Zweck selbst wieder zu annullieren.
Es ist allerdings sittliches Ideal, dass jeder in seinen
Verhältnissen zu Menschen und Dingen möglichst viel Freiheit habe;
damit es aber zu diesem Maximum komme, bedarf es doch noch gerade,
äusserlich angesehen, einer gewissen Einschränkung der Freiheit.
Besteht die sittliche Aufgabe darin, die Objekte des Willens
möglichst nachgiebig und in der Richtung des kleinsten Widerstandes
zu gestalten, so würde die absolute Erfüllung derselben es zu der
positiven Freiheit gar nicht kommen lassen, der die ganze
Handlungsweise dienen sollte.
Hierdurch wird nicht nur die Freiheit des Libertinismus und der
Gesetzlosigkeit ausgeschlossen; denn das geschieht schon unmittelbar
durch den Begriff des Freiheitsmaximums., weil diese Formen der
Freiheit in ihrem Revers oder in ihren Folgen um so stärkere
Fesselungen mit sich führen.
Es liegt in dieser Bestimmung vielmehr noch dies, dass die privaten
Verhältnisse wie die öffentlichen Einrichtungen die Freiheit im
weiteren Sinne nur als Preis einer Arbeit zulassen sollen, dass sie
einen gewissen mittleren Aggregatzustand zwischen Nachgiebigkeit und
Widerstand einhalten; (<280 ) der Wille muss sozusagen genug
Reibung an ihnen finden, um sieh daran seiner selbst bewusst zu werden
und seinen Inhalt in dauernden und wirkenden Gestaltungen ausprägen
zu können.
In Bezug auf die Freiheit gegenüber der äusseren Natur, d. h. auf
die Beherrschung derselben, ergibt sich solche Begrenzung der Freiheit
als Bedingung ihrer Maximisierung ganz von selbst.
Denn hier liegt ein unendliches Feld möglicher und unmittelbar zu
ihrem Gewinn auffordernder Fortschritte vor uns, so dass jede
erreichte Stufe, jedes gewonnene Mass von Freiheit sofort den Willen
sich auf weiteres richten lässt, so dass die Arbeit an der
Überwindung der Widerstände nie zu Ende kommt.
Denn der Sinn des Freiheitsmaximums ist doch nicht bloss der, dass
der vorhandene Wille sich widerstandslos durchsetze, sondern, dass
dieses Willensquantum seinerseits vermehrt werde; nur indem der Wille
selbst sieh steigert, können auch seine Befriedigungen, d. h. das
Quantum der Freiheit, gesteigert werden.
Auf dem Gebiet der Verhältnisse von Menschen untereinander, der
sozialen und der singulären, ist es eine triviale Wahrheit, dass die
Freiheit von einem gewissen Masse an schädlich wird, den sittlichen
Zwecken widerstreitet.
Dies könnte man für den Ausdruck der Tatsache halten, dass die
sittlichen Zwecke über der Freiheit stünden und diese oder ihr
Gegenteil einfach als Mittel im Masse ihrer Angemessenheit für jene
in Betracht kämen.
Ich meine aber, dass man es auch so ausdeuten kann: die partiellen
Einschränkungen der Freiheit seien die Bedingung, unter der bei den
gegebenen psychischen und sozialen Voraussetzungen allein das Maximum
von Freiheit überhaupt erreicht werden könnte.
Wie es mit dem Streben nach einem Maximum des Glückes vereinbar
ist, Zeiten des Leides, der Wehmut, der Gefühlsindifferenz gelten zu
lassen, weil wir auf den Unterschied angewiesene Wesen sind, und darum
das Glücksgefühl die Voraussetzung hat, dass es von Perioden anderer
Empfindungen unterbrochen (<281) werde: so mag auch die Freiheit
die Existenz eines "Gegenwurfes" voraussetzen, von dem sie
sich abhebt, an dem sie überhaupt ihre eigene Existenz erst erringt
und bewährt; und weiterhin mag das Durchsetzen eines
Freiheitsmaximums unter den tatsächlichen Verhältnissen davon
abhängen, dass man die Freiheit an manchen einzelnen Punkten
beschneidet, wo sie wohl an und für sieh durchzusetzen wäre, durch
ihre sekundären Wirkungen aber mehr Fesselungen herbe' führen
würde, als sie primär aufhebt.
So gehört das Freiheitsmaximum unter jenen Typus von Idealen, den
ich Bd. 1, S. 337 f. charakterisierte: letzte ideale Zielpunkte des
Handelns, deren völlige Realisierung indessen diejenigen Werte wieder
annullieren würde, die das Streben nach ihnen realisiert.
Von den empirischen Zuständen aus gesehen liegen die sittlichen
Werte vielleicht alle in der Richtung auf das Freiheitsmaximum; eine
absolute Verwirklichung desselben aber würde nichts desto weniger ein
unausdenkbarer Zustand sein.
Alle derartigen Versuche, die Sittlichkeit, sowohl nach ihrer
Tatsächlichkeit wie nach ihren Forderungen und Urteilskriterien, auf
einen einheitlichen Begriff zu bringen, sind im Grunde nichts als
Symbolisierungen des sittlichen Tatbestandes.
Sie erreichen im besten Falle die Feststellung, dass die sittlichen
Taten so verlaufen, als ob sie von dem betreffenden Gedanken geleitet
wären.
Dieser hat die Funktion einer Rechenmarke, deren Bedeutung in der
stetigen Relation bestellt, die die von ihr vertretenen Werte zu ihr
haben; vermöge dieses Umstandes kann man an ihr Verhältnisse und
Gesetze berechnen, in deren Form man die realen Werte nur einzusetzen
braucht, um die Wirklichkeit des Verhaltens dieser daraus abzulesen.
Der Trieb nach Einheitlichkeit der Prinzipien führt uns zu solchen
höchsten Gesichtspunkten, denen sich alle Einzelheiten, sei es des
Tuns, sei es des Sollens, unterordnen, und nur der naive Realismus,
der unser Denken noch so vielfach beherrscht, (<282) verführt uns
dazu, die bloss symbolische Bedeutung derselben für eine reale zu
halten.
Der Realismus, den Kant aufgedeckt hat, ist nur ein Teil dieses
allgemeinen Denkfehlers und nicht einmal der wichtigste, weil er die
Gesamtheit des Vorstellens betrifft, also die Relationen unter den
Einzelheiten des Vorstellens, die das Wesentliche des Lebens
ausmachen, unberührt lässt. Unser Erkenntnisleben wird von Symbolik verschiedenster Stufen
durchzogen.
Schon die Empfindungen hat man als Symbole der Realitäten
bezeichnet, indem sie zwar nicht diese selbst zur Anschauung bringen,
wohl aber deren chronologische Verhältnisse an ihrem ganz
andersartigen Material so abspiegeln, dass man an jeder Stelle ihres
Verlaufs den Schluss auf ein bestimmtes Verhalten jener ziehen darf.
Die Begriffe weiterhin sind Symbole der Anschauungen, die logischen
Gesetze Symbole des empirischen Verhaltens der Dinge; indem wir mit
den Begriffen logisch verfahren, sind wir sicher, das so erlangte Resultat an den Anschauungen, von denen wir uns
inzwischen abgewendet hatten, anzutreffen.
Wir rechnen mit den logischen oder mathematischen Gebilden, als ob
sie die Wirklichkeit wären, und können so an einem von der Erfahrung
völlig verschiedenen psychischen Inhalt diejenigen Formen gewinnen,
die für den Inhalt der Erfahrung selbst gelten.
Die einheitlichen Maximen endlich bilden in der oben geschilderten
Weise die Symbole für Wollungen, Erkenntnisse und Gefühle; ohne
inhaltliche Beziehung zu diesen, lassen sie sieh doch zu Konsequenzen
entwickeln, die auch für die Entwicklung jener zutreffen.
Wenn z. B. ein Eudämonist behauptet, dass alles Handeln der
Menschen in Wirklichkeit auf egoistische Glückssteigerung gerichtet
sei, so kann dies weder bedeuten, dass dies das bewusste Motiv des
Handelns sei - denn das wäre eine tatsächliche psychologische
Unwahrheit - noch dass das Handeln in Wirklichkeit immer der
Glückssteigerung dient - was kein geringerer Irrtum wäre.
(<283) Die Bedeutung jener Behauptung kann also nur eine
symbolische sein, eine, die die Tatsächlichkeit der Handlung nicht
unmittelbar ausdrückt, wohl aber das rechnerische Hilfsmittel ist, um
diese Tatsächlichkeit festzustellen; sie kann nur besagen: man findet
die wirklichen Handlungen jedes Individuums, indem man von jeder
gegebenen Lage aus diejenige Handlung berechnet, die zu der
Maximisierung seines Glückes führt.
Wählt man für diesen Eudämonismus ,etwa den Ausdruck: das
Streben nach Glück sei das unbewusste Motiv alles Handelns, so ist
das Unbewusste doch nur eine Hypostasierung oder Personifikation des
Symbolcharakters der Behauptung: es ist ein Verlegenheitsausdruck,
hervorgegangen aus der Vorstellung, dass diese Möglichkeit, die
Willenserscheinungen in einem einheitlichen Ausdruck zusammenzufassen,
doch eine reale Ursache haben muss.
Es ist der alte Irrtum des Kraftbegriffs; statt sich mit jenen
Zusammenfassungen der Erscheinungen zu begnügen, die, wenngleich
bloss subjektiv, doch für alles Operieren mit ihnen völlig
ausreichen, glaubt man eine tiefere Erkenntnis zu gewinnen, wenn man
den Erscheinungen "Kräfte" unterlegt, die näher angesehen
nichts sind als Substanzialisierungen jener subjektiven Begriffe. Dieser Fehler wird hier sozusagen auf einer höheren Stufe
wiederholt.
Da für die tatsächliche Möglichkeit, alle Handlungen als Mittel
zu egoistischem Glück zu deuten, weder in dem Bewusstsein, aus dem
sie hervorgehen, noch in dem Erfolge, in den sie auslaufen, eine reale
Ursache zu finden ist, so verdichtet man eben jene blosse Möglichkeit
der Deutung zu einer besonderen Kraft oder Wesenheit, die man das
Unbewusste nennt, ohne dass dieser Name etwas für sich bedeutete.
Die Voraussetzung eines durchgehenden unbewussten Strebens nach
Glück ist, besten Falls, nichts als der Ausdruck dafür, dass man
unsere Handlungen in diesem Sinne deuten kann, sie gibt aber gar
keinen Einblick in die realen Kräfte, die diese Handlungen nun im
einzelnen Falle bestimmen. (<284)- Oder ein Theist mag behaupten: der Lauf der Welt ist von
der absoluten göttlichen Weisheit geleitet.
Hier ist uns nun weder das vorausgesetzte göttliche Wesen
unmittelbar zugängig, so dass wir durch Einblick in dasselbe die
Kräfte erkannten, die alle Erscheinungen in die Bahn seiner Weisheit
leiteten, noch ist den Erscheinungen selbst die Provenienz aus der
göttlichen Weisheit unverkennbar eingeprägt.
Sie symbolisiert also nur das wirkliche Verhalten und es liegt
methodisch nur das Recht - das sachliche untersuchen wir hier nicht -
für die Behauptung vor: die irdischen Dinge verlaufen so, als ob eine
Überlegene Weisheit sie beherrschte.
Es verhält sich damit gerade wie mit der Maxime, dass die Natur
immer den kürzesten Weg zu ihren Zielen nehme.
Auch hiermit kann, ganz abgesehen von der sachlichen Zulässigkeit
des Gedankens überhaupt, doch kein reales und wirksames Gesetz der
Sparsamkeit gemeint sein, das etwa wie das Gravitationsgesetz die
primäre, die Erscheinungen beherrschende Kraft bezeichnete - vielmehr
unter völligem Beiseitesetzen der Frage, welches denn die wirklichen,
erfahrbaren Triebkräfte des Naturgeschehens sind, wird hier nur
behauptet, dass sie so angeordnet sind, als ob sie einem ihnen
übergeordneten Gesetze der Sparsamkeit gehorchten.
Solche Maximen beziehen sieh in der Art auf das Verhalten der
Dinge, dass dieses sozusagen gar nicht direkt von ihnen berührt, dass
über sein Fürsichsein damit absolut nichts ausgesagt wird; sondern
ihre Erscheinung allein wird damit im wirklichen Sinne des Wortes
bezeichnet.
Es ist ein Gesichtspunkt, mit dem man für die Zwecke des Erkennens
ebenso operieren kann wie mit einem, der die realen Ursachen des
Geschehens ausspricht - gerade in dem Sinne, in dem man das Symbol der
Sache anstatt der Sache selbst benutzt, sicher, dass das Resultat des
Verfahrens mit jenem an jedem Punkte auch für diese gültig ist,
ebenso als hätte man von vornherein mit ihr operiert.
(<285) Das Gleiche gilt ohne weiteres für Vereinheitlichungen
der Sollensvorstellungen.
Die Wahrheit, welche man der Steigerung des Glückes, oder der
Vervollkommnung der Persönlichkeit, oder der vernunftmässigen
Harmonie der Handlungen als sittlicher Forderung wenigstens
prinzipiell zusprechen mag, ruht keinesfalls in ihrer Erklärung des
Sittlichen oder in der Beschreibung seiner psychischen Wirklichkeit,
sondern darin, dass sie je einen zusammenfassenden Ausdruck für die
sittlichen Inhalte bilden, einen Ausdruck, mit Hülfe dessen sich
diese ebenso sicher konstruieren lassen, als wenn er den realen
Quellpunkt derselben unmittelbar bezeichnete.
In diesem Sinne allein ist auch das Moralprinzip des
Freiheitsmaximums zu verstehen.
Indem wir die Freiheit als ein ganz allgemeines Verhältnis
zwischen dem Willen und seinen Objekten erkannten, erweiterte es sieh
über seinen nächsten Sinn, der sich auf die Verfügung über den
eigenen Leib bezog, zu der Gesamtheit der menschlichen und sachlichen
Objekte, die mit dem Individuum in Beziehung stehen und deren Struktur
und Verhältnis zu ihm seine Freiheit oder Unfreiheit ausmachen.
Daraufhin gewinnt der Freiheitsbegriff eine so hohe abstrakte
Stellung über den gesamten Einzelheiten unserer Interessen, dass der
Versuch nicht aussichtslos erscheint, ihn als Symbol einer
durchgehenden Direktive oder Wertung derselben zu behandeln.
Nachdem uns die bisherigen Erörterungen den Inhalt wie den Umfang
des Freiheitsbegriffes gezeigt und nach beiden Seiten hin die
Einfachheit seiner logischen Bedeutung in eine Fülle empirischer
Einzelheiten aufgelöst haben, bleiben nun noch einige Überlegungen
anzustellen, die über die psychologischen Beziehungen des Begriffes
hinaus nach deren sachlicher oder erkentnistheoretischer
Fundamentierung fragen.
(<286) Als den Gegensatz der Freiheitslehre pflegt man die
Annahme eines psychologischen Mechanismus zu bezeichnen.
Geht wirklich jeder Bewusstseinsakt aus seinen Antezedentien in
derselben mechanischen Weise hervor, wie jeder physische aus den
seinigen, so findet selbstverständlich innerhalb dieses Prozesses die
Freiheit keinen Platz.
Soll diese Annahme das bedeuten, was die Assoziationspsychologie
unter ihr zu verstehen pflegt: dass sich der Vorstellungszustand jedes
Augenblicks aus dem des vorangegangenen berechnen lässt, so ist sie
mit der Tatsache, dass wir überhaupt Empfindungen haben, nicht zu
vereinigen.
Jede Empfindung tritt offenbar als ein neues Element in den Verlauf
des psychischen Geschehens ein, als eines, das aus dem vorherigen
Inhalt desselben nicht zu berechnen ist.
Mit den Elementen, die einmal in das Bewusstsein eingegangen sind,
mögen psychologische Gesetze schalten, und ihre wechselnden
Kombinationen als mechanische, aus einander zu berechnende
Entwicklungen ihrer Spannkräfte erzeugen; aber diese immanente
Kausalität des Seelenlebens versagt in dem Augenblick, wo leibliche
Reize ihrem Ablauf neue Glieder einfügen, gerade wie es die
Berechenbarkeit eines physischen Systems ausschliessen würde, wenn in
jedem Augenblick neue Faktoren in dasselbe einströmten, die sich aus
seinem bisherigen Status nicht ergeben.
Die Tatsache der von aussen hervorgerufenen Empfindung verhindert
also jedenfalls die mechanische Bestimmtheit jeder psychischen
Verfassung aus der vorhergehenden, bloss psychischen.
Allein die Schwierigkeit dieser Tatsache wendet sich auch nach der
andern, nach der physischen Seite. Das Gesetz der Erhaltung der Kraft gestattet nicht, dass in den
Wirkungen, die in einem gegebenen Moment zu Tage treten, mehr
vorhanden ist, als die Kraftsumme, welche der verursachende Moment
enthielt.
Wenn nun die äussere Veranlassung einer Empfindung stattfindet, z.
B. ein Schlag auf die Hand, so bleibt die damit in den Körper
übergegangene Kraftsumme (<287) quantitativ unverändert durch
alle nervösen, kalorischen, chemischen Umsetzungen innerhalb des
Körpers bez. des Gehirns hindurch erhalten, bis sie wieder aus dein
letzteren irgendwann heraustritt.
In dieser lückenlosen physischen Kausalreihe ist für ein
psychisches Moment, für die Empfindung, kein Platz. Denn das Gesetz der Erhaltung der Kraft fordert für den physischen
Vorgang des Schlages weitere physische Vorgänge, in denen die in
jenem enthaltene Kraft völlig kongruent aufgeht, so dass in den
späteren absolut nichts gefunden werden kann, das nicht auch in dem
ersteren, wenngleich in anderer Form, enthalten wäre.
Die Wirkung des Schlages erschöpft sich in ihren körperlichen
Wirkungen, und wenn wir ihn als die Ursache der Empfindung, eines
unkörperlichen, rein intensiven Vorganges ansprechen, so ist doch in
ihm derjenige Teil, der eben diese Wirkung hätte, absolut nicht
aufzufinden.
Die Empfindung also als eine in oder an der Kette physischer
Vorgänge auftauchende Erscheinung ist eine Schöpfung aus dem Nichts.
Jenes Gesetz lässt ihr keinen Raum, es fordert alle Kraft eines
physischen Vorganges für seine physischen Wirkungen und kann deshalb
die Erklärung, dass der Schlag auf die Hand die Ursache des
empfundenen Schmerzes ist, nicht zugeben.
Die letztere Schwierigkeit nun findet das Gesetz der Erhaltung der
Kraft nicht weniger in der Tatsache der Willenshandlungen.
Wenn ein blosser Bewusstseinsvorgang, eine Absicht die wirkliche
Ursache einer körperlichen Bewegung wäre, so wäre damit Kraft aus
Nichts geschaffen; denn eben die Kraftsumme, die in der so
entstandenen Bewegung enthalten ist, wäre vorher in der körperlichen
Natur nicht vorhanden.
Gegen diese Konsequenz, dass das Geistige nicht Ursache
körperlicher Vorgänge sein kann, ohne jenes Fundamentalgesetz zu
durchbrechen, hilft kein Palliativmittel abschwächender Hypothesen:
dass das Bewusstsein nicht die Kraft, sondern nur die Richtung der
(<288) Kraft erzeugte, wie der, der die Schleuse aufzieht, die
Wasserkraft nicht erzeugt, sondern nur formal bestimmt, oder wie nach
dem Gleichnis Descartes, der Reiter die eigenen Bewegungen des Rosses
lenkt.
Denn ein solches Bestimmen der Form und Richtung vorhandener
Kräfte ist doch nur durch einen, wenn auch noch so minimalen,
physischen Anstoss möglich; auch zur blossen Entfesselung einer Kraft
bedarf es einer Kraft, ohne die Niemand eine Schleuse aufziehen oder
ein Ross lenken kann.
Es ist und bleibt ein Wunder, eine Schöpfung aus dem Nichts, wenn
aus dem bloss Geistigen, dem blossen Bewusstseinsvorgang eine Bewegung
im Körperlichen hervorgehen soll.
Es liegt daraufhin freilich nahe, auf das Überspringen der Wirkung
zu verzichten, die körperliche Handlung als physische Wirkung der
physischen Gehirnvorgänge zu begreifen und den bewussten Willen nur
als eine Mitschwebung mit den letzteren anzusehen, die auf eine
übrigens unerklärte Weise mit ihm verbunden wäre.
Dann wäre der geistige Prozess ,ins der physischen Reihe
ausgeschaltet und diese ihrer notwendigen Lückenlosigkeit
wiederhergestellt.
Das gleiche Verhältnis gelte dann auch für die Empfindung; der
Schlag auf die Hand verursacht einen blossen Gehirnvorgang und dieser
verursacht seinerseits nicht die Schmerzempfindung denn damit eben
wäre die, physische Reihe durchbrochen sondern diese ist mit dein
physischen Vorgang in einer Weise verbunden, die nicht eine kausale
ist, sondern die man sich in einer spinozistischer,
okkasionalistischer, prästabilistischer oder sonstiger Denkrichtung
näher bringen mag.
Diese Annahme über das Wesen der Empfindung dieser Ausschluss
aller Verursachung des Psychischen durch physische Vorgänge ist die
notwendige Voraussetzung der Berechtigung, auf Grund der
Naturkausalität das Eingreifen eines ursachlosen Willens in den
Ablauf der physischen Prozesse abzulehnen.
Denn wenn man von der Empfindung zugibt, dass physische Kraft sich
(<289) hervorbringt, d. h. in ihr ins Unkörperliche verschwindet,
so ist damit das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, also die
Naturkausalität nicht weniger durchbrochen als durch das Schaffen von
bewegender Kraft aus dem körperlosen Willen.
Die vulgäre Vorstellung der Freiheit, der zufolge wir als geistige
Individuen beliebig in die äusseren Ereignisse eingreifen und ihnen
eine in ihnen selbst nicht prädeterminierte Form verleihen können,
wäre genau so möglich wie die viel weniger roh erscheinende
Vorstellung vom Wesen der Empfindung, dass sie von einem körperlichen
Vorgange nach Art der gewöhnlichen Kausalität hervorgebracht werde.
Nur die völlige Entfernung des Empfindens aus der Kausalreihe des
physischen Geschehens gibt das Recht, die Geschlossenheit dieser gegen
die Freiheit des willensmässigen Handelns ins Feld zu führen.
Allerdings könnte man gerade auf diese Korrelation des Empfindens
und des Wollens die Berechtigung gründen wollen, beides in die
physische Kausalreihe einzuschieben, und zwar so, dass die mit dein
ersteren - für den physikalischen Standpunkt - ins Nichts
verschwindende Kraft durch das letztere wieder aus diesem Nichts
ersteht, und auf diese Weise die Gesamtsumme der Kraft so unverändert
erhalten wird, wie das Naturgesetz es fordert.
Dann verhielte sich das Psychische in der physischen Reihe
ungefähr wie irrationale Glieder in einer Rechnung, die von
rationalen Grössen ausgehend, wieder in rationale mündet.
Sie werden eben wieder ausgeschaltet, ohne durch den Charakter, den
sie an und für sich haben, das Resultat zu affizieren.
Auch manche andere Entwicklungen verhalten sich so- es werden
Faktoren in sie eingeführt, die entweder aus einer ganz anderen Reihe
stammend oder in sich von destruktiver oder ablenkender Tendenz, die
Gesamtheit der Entwicklung zum Selbstwiderspruch führen würden, wenn
nicht der weitere Verlauf derselben noch einmal dem gleichen Faktor,
aber mit umgekehrtem Vorzeichen Raum gäbe, so dass er, den (<290)
ersteren paralysierend, die Reihe schliesslich ungestört an dem Ziel
münden lässt, auf das sie angelegt ist.
Bei unserem völligen Mangel an einer exakten Vorstellung über das
Verhältnis von Geist und Körper, und bei dem Spielraum, den
angesichts dessen die blossen Denkmöglichkeiten haben, scheint mir
auch diese nicht ausgeschlossen.
Mit dem Eintreten der bewussten Empfindung, die von physischen
Vorgängen verursacht ist., bricht die vom Gesetz der Krafterhaltung
beherrschte Reihe der letzteren ab; die psychischen Vorgänge bilden
ein jenseits aller messbaren Kräfte liegendes Reich, in das zwar
physische Kräfte einmünden, in dem sie aber nicht wie in ihren
sonstigen Effekten erhalten bleiben, sondern verschwinden.
Durch den Willen aber grenzt dieses Reich des Psychischen wieder an
das Gebiet des Physischen und erstattet ihm die Kräfte wieder, die es
ihm an der anderen Grenze, der Empfindung, entzogen hatte.
Diese Hypothese hätte das für sich, dass sie das Gesetz von der
Erhaltung der Kraft mit der wirklichen Verursachung des Psychischen
durch Physisches und umgekehrt zu vereinigen gestattet, eine
Vereinigung, die so lange unmöglich scheint, als man nicht das in der
Empfindung verlorene Kraftquantum durch den Willen wiedergewinnt.
Auch wird dieses Verhalten durch die Beobachtung nahegelegt, dass
der Lebhaftigkeit und Energie des Empfindens der gleiche Charakter des
Wollens zu entsprechen pflegt, während man umgekehrt die krankhafte
Willensschwäche geradezu auf eine Schwäche des sinnlichen
Empfindungsvermögens zurückgeführt hat.
Der Wille gibt danach in den von ihm ausgehenden Innervationen nur
gerade dasjenige Quantum Kraft aus, das durch die Empfindungen in die
Psyche geleitet worden ist.
Die Lücke, die auf diese Weise in die Reihe der physischen
Bewegungen gerissen wird, ist weniger unerträglich, als es auf den
ersten Blick scheint, wenn man bedenkt, dass überhaupt im Physischen
die Frage, wie denn die Kraft sich von einem Teil (<291) der
Materie dem anderen mitteile, ein grosses Geheimnis umschliesst.
Wir wissen nur, dass bei zwei an einander stossenden Billardkugeln
sich das Bewegungsquantum, das die eine verlor, irgendwie an der
anderen wiederfindet; wie diese Übertragung eigentlich zu Stande
gekommen ist, davon wissen wir nichts.
Ja, die atomistische Hypothese, die zwischen die kleinsten
Bestandteile der Körper leere Räume setzt, fordert geradezu ein
Sich-Hindurchsetzen der Kraft durch ein Gebiet, auf dem sie keinen
materiellen Träger hat.
Die Vermutung also, dass das die Empfindung hervorrufende
Kraftquantum in einer nicht, physischen Form in ihr aufgehoben sei und
vermittelst des Willens sich wieder in die physische Form umsetze,
könnte als eine positive Ausfüllung einer Vorstellungslücke gelten,
die die physikalischen Vorstellungen allenthalben lassen.
Durch diese Hypothese würde wenigstens der aus der mechanischen
Naturkausalität geschöpfte Einwand gegen die Willensfreiheit ihr
erspart bleiben. Das Eingreifen des Willens in die äussere Naturordnung wäre dann
von ihr aus gesehen ursachlos, d. h. nicht in seiner Art und Richtung
durch sie determiniert, würde aber dennoch wenigstens nicht die
Kraftsumme alterieren, deren Erhaltung das Postulat jener
Naturkausalität ist.
Es entstünde jetzt nur die Frage, ob die Bewusstseinsvorgänge
etwa in sich eine Kausalität aufweisen, die die Willensakte
determiniert.
Die Schwierigkeit der psychischen Mechanik, von der dieser
Abschnitt ausging, gilt allerdings für den Willen nicht, Die
Unberechenbarkeit des späteren psychischen Zustandes aus dem
gegenwärtigen folgt aus dem fortwährenden Auftreten neuer
Empfindungen, welche von der physischen Welt her angeregt werden und
die immanente Entwicklung des bisherigen Seeleinhaltes unterbrechen.
Allein da der Wille nicht in diesen Inhalt hinein, sondern
sozusagen aus ihm herausführt, da wenigstens seine ausgebildeteren,
von der (<292) Freiheitsfrage betroffenen Formen am Ende der
Entwicklungsreihe stehen, die von Empfindungen ausgeht, so kann er aus
dem vorhandenen psychischen Bestande, in den die Empfindungen
aufgenommen sind, mit mechanischer Gesetzmässigkeit hervorgehen.
Die Zufälligkeit, die die Empfindung vom Standpunkt der
psychologischen Kausalität aus besitzt, braucht für den Willen nicht
zu gelten.
Die Frage nach der psychologischen
Gesetzmässigkeit ist im ganzen Gebiet des Erkennens vielleicht
diejenige, bei der die allgemeinen erkenntnistheoretischen Forderungen
noch am weitesten von ihrer Erfüllung durch empirische Erkenntnisse
abstehen.
Der Voraussetzung der Kausalität steht die
Tatsache gegenüber, dass ein psychologisches Gesetz im Sinne der
Naturwissenschaft bis jetzt noch nicht gefunden worden ist; neben der
tatsächlichen Zuverlässigkeit, etwa der Assoziationsregeln, auf die
unser ganzes praktisches Leben und alle Beziehungen der Menschen
untereinander gegründet sind, steht die Beobachtung, dass es
überhaupt keine noch so entlegene positive oder negative Beziehung
zwischen Vorstellungen gibt, die nicht Assoziation herbeiführen
könnte, aber auch keine noch so nahe, die sie herbeiführen müsste;
der Forderung einer Berechenbarkeit, selbst im weitesten Sinne, setzt
sich die unüberwindlich scheinende Schwierigkeit entgegen, dass es im
Seelenleben keine fest umschriebenen Einheiten gibt, so dass die
Bezeichnung, unter der man eine solche in die Rechnung einführt,
immer dasselbe bestimmte, von allen anderen unzweideutig geschiedene
Objekt träfe.
Die Unberechenbarkeiten, welche das psychische
Leben seinen Berechenbarkeiten untermischt, erscheinen nur teilweise
als vorläufige, als solche, die der Fortschritt der Erkenntnis
aufheben wird; teilweise tragen sie den Charakter des Definitiven,
die, psychischen Vorgänge scheinen sich ihrem Wesen nach der
durchgehenden Einordnung in die Kategorie mechanischer Kausalität zu
entziehen.
Nun halte ich prinzipiell allerdings ein (<293)
solches Zugeständnis für erforderlich. In die Formen, deren Erfüllung für uns exakte
Erkenntnis bedeutet, passen die psychischen Vorgänge, wie sie sich in
unserem Selbstbewusstsein spiegeln, nicht hinein.
Die nachträgliche Betrachtung verleiht den
Bewusstseinsvorgängen gewisse Formen, Abgrenzungen, gegenseitige
Beziehungen, die aber nur Symbole sind, nur ungefähre Hinweisungen
auf einen Sachverhalt, der bei näherem Hinsehen fortwährend die
Grenzen jener begrifflichen Formulierungen überschreitet; es ist eine
blosse Konvention, wenn wir unsere Vorstellungen von den
Bewusstseinsvorgängen als Erkenntnisse derselben akzeptieren.
Als Grund dieser Inkongruenz erscheint mir die
Tatsache, dass das menschliche Bewusstsein in seinen früheren
Entwicklungsstadien ausschliesslich auf das äussere Geschehen und
seine intellektuelle Beherrschung gerichtet ist; an den äusseren
Erscheinungen also haben sich die Kategorien des Erkennens gebildet,
die längst fest geworden sein müssen, bevor sich das forschende
Bewusstsein auf sich selbst, auf die Vorgänge in seinem Inneren
richtete.
Als dies geschah, fand es nur jene Kategorien vor,
die, für ganz andere Zwecke und Objekte gebildet, dennoch die
einzigen verfügbaren Werkzeuge des Erkennens waren; die häufig
betonte Tatsache, dass wir geistige Vorgänge sprachlich gar nicht
anders ausdrücken können, als durch Worte, die für körperliche
Erscheinungen geprägt sind, ist eine Folge, wie ein Symbol dieses
Verhältnisses.
Da wir nun die Erfüllung jener Kategorien
Erkenntnis nennen, die psychischen Ereignisse aber, auf die bei ihrer
Bildung keine Rücksicht genommen ist, nicht vollkommen in sie passen,
so können wir zu, einer eigentlichen Erkenntnis dieser letzteren
allerdings vielleicht nicht gelangen.
Unter diesem Vorbehalt bemerke ich über den Mangel
an innerer Kausalität unter den psychischen Ereignissen das Folgende,
und zwar in Anlehnung an die Fragen der Assoziationspsychologie.
Ich setze hier voraus, dass, welches (<294) auch
das nähere Verhältnis von Körper und Geist sein mag, in keinem
Falle eine Vorstellung ohne einen Bewegungsvorgang im Gehirn zu Stande
kommt.
Wenn ich also sage: die Vorstellung A tritt ins
Bewusstsein, weil die mit ihr assoziierte Vorstellung B bewusst wird,
so heisst dies von der physiologischen Seite angesehen: es geht eine
Bewegung a im Zentralorgan vor sich und zwar ausgelöst durch die
Bewegung b, wobei a der Vorstellung A und b B entsprechen soll.
Nun ist es aber sehr leicht möglich, dass b
nicht die einzige und für sich zureichende Ursache von a ist,
dass vielmehr noch eine weitere physiologische Bedingung g dazu
gehört, um a und also auch A hervorzubringen, und dass dieses g keine
Bewusstseinsseite hat.
Wir erkennen dann in und durch B nur einen Teil des
Ursachenkomplexes von A; wir würden vergeblich mit den Mitteln der
Psychologie des Bewusstseins nach den Ursachen suchen, weshalb in
einem gegebenen Falle des Bewusstwerdens von B A nicht reproduziert
wird, obgleich es sonst mit ihm verbunden war; es fehlt dann eben die
Mitbedingung g, die nicht ins Bewusstsein fällt, ohne deren in
früheren Fällen vorhandene Mitwirkung aber der Effekt a und also
auch A nicht eintreten kann.
Bei diesem Verhalten der Dinge liesse sich
verstehen, weshalb es nicht gelingt, eine Mechanik des
Vorstellungswechsels aus bloss immanenten, psychischen Momenten zu
Stande zu bringen: weil diejenigen Bedingungen für das Hervortreten
einer Vorstellung, die psychischer Natur sind, nur einen Teil der dazu
erforderlichen Ursachen repräsentieren und deshalb noch des relativ
zufälligen Zusammentreffens mit den anderen, bloss physischen
Bedingungen bedürfen, um zum zureichenden Grunde für das Entstehen
jener Vorstellung zu werden.
Deshalb sind die sogenannten Assoziationsgesetze so unbestimmt und
ausnahmsvoll, also eigentlich keine Gesetze, während andrerseits
ebendaher klar ist, wieso sie in einer (<295) Anzahl von Fällen
wirklich das Richtige treffen.
Ein Korrelat dieser Hypothese ist die Annahme, die Kultursteigerung
bestehe darin, dass diejenigen Rindenprozesse, mit denen noch kein
Bewusstsein verbunden ist, mehr und mehr solches erhalten; Steigerung
des Bewusstseins, immer gründlichere Durchleuchtung des Unbewussten
durch Bewusstes sei der Weg der organischen Evolution.
Wird dies als wahr angenommen, so verstehen wir aus unserer
Hypothese von der Verursachung der bewussten Gehirnprozesse durch
teils bewusste, teils unbewusste, wieso die tiefststehenden Rassen
jenes unberechenbare, launische, sprunghafte Geisteswesen zeigen, von
dem uns vielfach berichtet wird, und wieso entsprechend gerade die
höchsten Menschen in gewissem Sinne die berechenbarsten sind:
zuverlässig in den einmal eingeschlagenen Bahnen beharrend,
kontinuierlich in Ideen und Entschlussreihen, am freiesten von
plötzlichen Impulsen und unverständlichen Gedankensprüngen.
Bei solchen Individuen sind offenbar sehr viel mehr Gehirnprozesse
mit Bewusstsein ausgestattet als bei dem Wilden, so dass der
physischen Kausalkette, aus der der einzelne Akt hervorgeht, eine
kontinuierliche Reihe von Vorstellungen entspricht; die einzelne
erscheint dadurch von einem verständlichen Zusammenhänge psychischer
Inhalte getragen, die blossen Ursachen, aus denen sie auftaucht,
stellen sich als Gründe oder Motive dem Bewusstsein dar, während da,
wo das Bewusstsein sich nur als zufällig aufzuckende,
unzusammenhängende Lichterscheinung an die physischen Vorgänge
heftet, sein einzelner Inhalt wie aus dem Nichts geboren, aus einer
unzugänglichen Ordnung der Dinge hineingeschneit erscheint.
Wenn übrigens geniale Menschen vielfach launenhaft,
ungleichmässig in ihrem Lebensrhythmus, unberechenbar in ihren
Impulsen sind, so mag dies an der Einseitigkeit der Begabung liegen:
die Durchgeistigung des Zentralorgans ist dann eben auf eine Provinz
desselben besonders konzentriert und so entsteht teils ein wirklicher
(<296) Mangel an innerem Gleichgewicht in der Psyche, teils eine
grössere Auffälligkeit desselben als bei Durchschnittsmenschen.
Da dieser Prozess der allmählichen Vergeistigung, der wachsenden
Ergänzung der psychischen Reihen, der bewussten Motivierung jedes
Aktes durch vorangehende noch keineswegs zu Ende gekommen ist, so
entspricht dem physischen Mechanismus eben noch kein ganz gleich
vollständiger psychischer.
Wenn wir selbst von dem Durchbrechen des letzteren, das die
fortwährend einströmenden Sinneseindrücke bewirken, ganz absehen,
so bleibt dennoch keine Möglichkeit, die psychischen Prozesse in eine
Reihe zu ordnen, innerhalb deren der spätere nach beständigen
Gesetzen aus dem früheren hervorgehen müsste.
Die mit Bewusstsein versehenen Hirnprozesse sind offenbar nur ein
gewisser durch den ganzen Umfang der Grosshirnrindenprozesse
überhaupt hin verteilter Teil derselben und bilden deshalb keine
Entwicklung, die aus sich allein verständlich wäre und nur den
Gesetzen gehorchte, die ihren Inhalt allein beträfen - wie dies
überhaupt bei keinem Komplex von Erscheinungen der Fall ist, der nur
einen Ausschnitt aus einer umfassenden Totalität bildet.
So gibt es z. B. keine immanente Kunstgeschichte, d. h. keine, die
eine künstlerische Erscheinung aus der anderen verständlich und
gesetzmässig entwickelte, weil die politischen, sozialen, religiösen
usw. Verhältnisse die nächsten Erscheinungen mitbestimmen und doch
ihrerseits aus den vorigen künstlerischen nicht berechenbar sind.
Deshalb ist auch nicht einmal die Menschengeschichte aus ihr
eigenen historischen Gesetzen zu entwickeln.
Denn auch sie verläuft nicht als ein in sich abgeschlossenes
Kapitel, von dem etwa nur Anfang und Ende Beeinflussung und
Zusammenhang mit den kosmischen Kräften hätten, sondern entwickelt
sich in fortwährender Endosmose und Exosmose mit diesen und erfährt
von ihnen Kraftwirkungen, deren Quellen ganz ausserhalb ihrer selbst
fliessen und (<297) deshalb auch aus der genauesten Kenntnis des
bisherigen Verlaufes nicht zu berechnen sind.
Einflüsse, die einem allem Bisherigen fremden Kräftekreis
entstammen, unterbrechen ihre immanente Entwicklung und lassen die
Gleichheit der Bedingungen, die diese selbst der Zukunft bietet, in
ungeahnte Verschiedenheit der Erfolge auslaufen.
Nur wenn die Menschengeschichte wirklich Weltgeschichte wäre,
würde jeder momentane Zustand derselben die zureichenden Bedingungen
des nächsten und übernächsten in sich schliessen.
Aus demselben methodischen Grunde gibt es keine in sich
zusammenhängende Kausalität des Psychischen; es bildet eben nur
einen sehr variablen Ausschnitt aus dem Gesamtsystem des Menschen, und
deshalb ist der einzelne psychische Akt nicht aus den vorangehenden
psychischen Akten allein zu verstehen, da diese erst im
Zusammentreffen mit anderen, ausserpsychischen Vorgängen die
zureichende Ursache jenes bildeten.
Mit der psychologischen Notwendigkeit verhält es sich wie mit der
"historischen Notwendigkeit"; das freilich ist bei beiden
keine Frage, dass das einzelne Ereignis eintrat, weil es notwendig
war; die häufige Kurzsichtigkeit in beiden Fällen ist nur die, dass
man die wenigen, uns bewussten Ursachen für so zulänglich und
abschliessend hält, dass man aus ihnen das Ereignis meint als
notwendiges verstehen zu können.
Andrerseits erscheint nun der auf solchem Wege begreifliche Mangel
einer psychologischen Kausalität als Stütze des Freiheitsbegriffes. Man hat schon lange behauptet, die Vorstellung der Freiheit stamme
daher, dass wir die Ursachen unseres Willens nicht kannten.
Diese Vermutung erhält ihren Unterbau durch die hier vorgetragene
von der gegenseitigen Durchkreuzung der zentralen Vorgänge mit und
ohne psychischen Wert.
Für denjenigen, der die Aufhebung der Freiheit in inneren
psychologischen Notwendigkeiten sucht, ist allerdings der psychische
Vorgang frei, dem kein anderer, jenen nach psychologischen Regeln
(<298) bestimmender vorangeht.
Gipfelt sich unsere physische Natur wirklich an verschiedenen
Punkten, die in keinem notwendigen gegenseitigen Zusammenhänge
stehen, zur Bewusstheit auf, werden die bewussten Vorgänge durch
solche getragen? denen kein Bewusstsein entspricht, so sind die
ersteren als bloss psychische Vorgänge tatsächlich ursachlos oder
zufällig, und erfüllen also den Begriff der Freiheit im negativen
Sinne.
Wenn wir bei den Empfindungen, welche am entschiedensten von allen
psychologischen Verursachungen frei sind, dennoch die Vorstellung der
Freiheit nicht haben, so liegt das wohl daran, dass für sie die
physische Veranlassung zu Tage liegt, während sie sich bei den rein
zentralen Prozessen verbirgt.
Andrerseits erscheinen auch die eigentlichen Denkvorgänge nicht
unter der Kategorie der Freiheit, weil bei ihnen die psychologische
Kontinuität schon in relativ hohem Masse vorhanden ist; oder
vielmehr, es kommt eben nur da zu einem eigentlichen Denkprozess, oder
wir nennen denjenigen Prozess einen vernunftmässigen, in dem ein
Vorstellungsglied sich nach stetigen Gesetzen begreiflich aus dem
anderen entwickelt, das Auftauchen des einen verständlicher Weise
durch das andere verursacht wird.
Es sind allerdings gerade die Willenserscheinungen, die von diesem
Gesichtspunkte aus als ursachlose auftreten werden; denn im Gegensatz
zu den verstandesmässigen bewegen sie sich nach der Grenze des rein
Physischen zu, und im Gegensatz zu den Empfindungen, die sich auch auf
diesem Grenzgebiet halten, fehlt ihnen die kausale Anlehnung an das
vorangehende physische Ereignis.
- Bezüglich der zentralen Vorgänge ist freilich zu bemerken, dass
wiederum die höchsten Gipfel des geistigen Lebens, die Schöpfungen
der Genialität, den Charakter psychologischer Unerklärbarkeit
tragen; auch sie, die doch entschieden die ganze Fülle
vorangegangenen geistigen Lebens zur Voraussetzung haben, erscheinen
aus der psychologischen Vergangenheit ihres Schöpfers (<299)
unableitbar, sie sind so unerwartet und spontan da, dass man von ihnen
als von Genieblitzen spricht, und dass ihr Schöpfer selbst oft genug
sie auf eine ihm jenseitige Macht schiebt, die sie ihm eingegeben
habe, auf einen Gott oder einen Genius, weil sie aus den bisherigen
Vorstellungen unerklärbar sind.
Daher denn auch der bei manchen Naturvölkern verbreitete Glaube,
dass der Wahnsinnige, dessen Gedanken den geringsten begreiflichen
Zusammenhang zeigen, von Gott erfüllt sei - und daher ferner, mit
objektiver Wendung, die häufige Herleitung gerade des Sinnlosen und
Unverständlichen von transzendenten Mächten, die wir in der
Verehrung des Mystischen und solcher Gebräuche und Einrichtungen
antreffen, deren eigentlicher Sinn längst verdunkelt und verloren
ist.
Ich möchte dies so erklären, dass die höchsten und genialen
Ideen ein Maximum psychisch-physischer Vorbedingungen haben; eine
ausserordentlich reiche Zahl seelischer Inhalte ist in ihnen
verdichtet, und wir werden uns das körperliche Korrelat dieser
psychologischen Tatsache wohl so vorstellen können, dass in die einer
solchen Idee entsprechende Hirnfunktion eine grösste Zahl anderer
einmündet, dass sie die einheitliche Resultante sehr vieler ist.
Dass in einem derartigen weit verzweigten Komplex zerebraler
Vorbedingungen auch eine grosse Anzahl von Bewegungen, die keinen
psychischen Wert besitzen, eingegliedert und mitgetragen wird, ist
höchst wahrscheinlich; von jenem Werte aber hängt die psychologische
Begreiflichkeit ab.
Deshalb also werden gerade höchste Vorstellungen, zu denen sich
das Seelenleben aufgipfelt, oft weniger begreiflich sein, als
niedriger gelegene; wenn diese von einer kleineren Zahl von Faktoren
getragen werden, so haben sie eben dadurch die grössere Chance, dass
dieselben sämtlich bewusst sind.
Die Korrelation zwischen der ursächlichen Verlegung der Funktionen
auf das Allerobjektivste und das Allersubjektivste zeigt sich auch
hier; der Mangel an psychologischer (<300) Kausalität, den die
Unbewusstheit der zerebralen Ursachen des bewussten Hirnvorganges
bewirkt, ergänzt man einerseits, wie schon erwähnt, durch die
Annahme einer objektiven Macht, die uns den Gedanken
"eingegeben" oder uns zu dem Entschluss getrieben habe - wie
Luther es im Hinblick auf seine Laufbahn ausdrückt: "es hat mich
hinangezogen, wie einen blinden Gaul" - andrerseits durch das
Zurückgreifen auf das Ich, dessen Freiheit eben das fragliche
Resultat gezeitigt habe.
Gleichviel welche metaphysische Bedeutung diese Ergänzungen
beanspruchen können: ihr Fundament, die Ursachlosigkeit des bewussten
Vorganges, erhält eine anschauliche Deutung und Begründung - so
anschaulich wie überhaupt Hypothesen dieses Gebietes sind - durch die
Vorstellung von dem kausalen Durcheinandergehen der Gehirnvorgänge,
denen Bewusstsein, und solcher, den keines verbunden ist. Ein verwandtes Moment wirkt in einer weiteren Veranlassung des
Freiheitsbegriffes.
Nicht allein die Ursachlosigkeit schlechthin ist es, die, den
negativen Sinn der Freiheit ausmachend, eine mystische Freiheitskraft
als positive Ergänzung verlangt; auch jener relative oder partielle
,Mangel an Verursachung, der in der quantitativen
Unverhältnismässigkeit von Ursache und Wirkung liegt, scheint oft
genug eine gewisse mystische Kraft zu involvieren, irgend ein, in den
"kleinen Ursachen" selbst nicht gelegenes Moment, das diese
dennoch zu "grossen Wirkungen" entfaltet.
Eine Durchbrechung des Kausalnexus liegt wenigstens in
abgeschwächtem Masse auch da vor, wo ein Geschehen zwar nicht aus
Nichts, aber aus einer im Verhältnis zu ihm minimalen Ursache
hervorgeht.
Wo etwa von dem wunderbaren Eingreifen Gottes in den Verlauf der
natürlichen Ereignisse gesprochen wird, da besteht doch das
unbegreifliche Ereignis meistens nicht in der Schöpfung eines absolut
Neuen, zu dem sich in allem Vorangegangenen nicht der geringste
Ansatzpunkt fände, (<301) sondern darin, dass irgend ein bisher
unbeobachtetes, unbedeutendes Moment weit über dasjenige Mass seiner
Wirksamkeit hinaus gesteigert wird, welches ihm der natürliche
Verlauf der Dinge eintrüge, das "der verworfene Stein zum
Eckstein gemacht wird".
Der Überschuss der Wirkung über das Quantum, das der Ursache nach
gewöhnlicher Erfahrung zukommt, ebenso aber ein erhebliches
Zurückbleiben hinter demselben erscheint ursachlos und also
"frei". Beide Erscheinungen sind innerhalb des psychischen, insbesondere
des Willenslebens in ausgedehntem Masse vorhanden.
Durch das Gehirn hindurch erfolgen Wirkungen, deren Grösse in
keinem Verhältnis zu der zwar vorhandenen, aber oft unbedeutenden
äusseren Ursache, ja selbst zu der psychologischen Veranlassung und
ihren logischen Konsequenzen steht.
Und umgekehrt finden psychologische Einflüsse statt, deren Folgen
zwar nicht verschwinden, aber weit unter derjenigen Grösse bleiben,
auf die ihr Inhalt und die Erfahrung über sie Anweisung gibt.
Wo das Handeln eines Menschen uns gegenüber uns zu gewöhnlicher
Reaktion reizt, wird die Vorstellung der Freiheit, des möglichen
Anders-Handelnkönnens nicht so auftauchen, als wenn wir etwa
einerseits weit über dies Mass hinausgehen, andrerseits uns weit
diesseits desselben halten.
In beiden Fällen scheint eine entweder prohibitive oder produktive
Kraft den Lauf der Dinge quantitativ zu modifizieren, der aus den in
ihnen selbst gelegenen Kräften und gemäss gewöhnlicher Kausalität
erfolgt wäre.
Ich erinnere an das berühmte Beispiel F. A. Langes: in einem
Kaufmann, der sich soeben noch in phlegmatischer Ruhe befand, wird
durch eine Depesche, die das Fallissement eines Geschäftsfreundes
meldet, eine exzessiv erregte Tätigkeit, eine nach allen möglichen
Seiten hin entfaltete Energie wachgerufen.
Die äussere und direkte Anregung zu diesem Handeln bestand
ausschliesslich in dem sinnlichen Bilde der Buchstaben in der
Depesche.
Tausendmal haben ganz ähnliche (<302) Sinnesreize ihn
getroffen, ohne seinen Willen auch nur annähernd zu bewegen; diesmal
entfesseln ein paar Buchstaben Willenskräfte in ihm, die er
möglicherweise selbst gar nicht vermutete; derselbe Sinnesreiz würde
dagegen jeden anderen Bürger der Stadt, der mit der falliten Firma
nichts zu tun hat, vielleicht kaum zu einem Worte des Erstaunens
bewegen.
Die quantitative Unverhältnismässigkeit, die in jenem Falle
zwischen Ursache und Wirkung besteht, ist nur durch die ungeheure
Fülle von Spannkräften erklärlich, die im Zentralorgan aufgehäuft
und so angeordnet sind, dass die Erregung gewisser Teile, so schwach
sie auch an und für sich sei, sich auf alle anderen fortsetzt und
alle Kräfte aus dem Zustande der Latenz in den der Wirksamkeit
überführt.
Lägen diese Punkte der höchsten Reizbarkeit nun bei allen
Menschen an der gleichen Stelle des psychischen Organismus, so würde
sich weiter keine auf die Freiheit bezügliche Reflexion daran
knüpfen, die erscheinende Wirkung der Ursache wäre immer die gleiche
und wir würden dann diese Proportion für die angemessene halten;
denn ob Ursache und Wirkung oder überhaupt zwei psychische Grössen
einander äquivalent sind, das können wir hier, wie überall, wo ein
gemeinsamer objektiver Massstab, den physische Grössen besitzen,
fehlt, nur an der Erfahrung über ihr tatsächliches
durchschnittliches Verhältnis beurteilen.
Bei einigen derartigen Punkten verhält es sich auch annähernd so:
die Vorstellung der Lebensgefahr, bei Müttern die an die Kinder
anknüpfenden Sorgen, die Hoffnung auf aussergewöhnlichen Gewinn -
dies sind Reizungen, deren äusserst lebhafte Willensfolgen ihnen
durchaus proportional erscheinen, weil sie eben allenthalben mit ihnen
verbunden sind.
Auf ein besonderes, die gewöhnlichen Proportionen von Ursachen und
Willensfolgen durchbrechendes Prinzip gibt erst die grosse
individuelle Verschiedenheit Anweisung, die wir in der Lage der
reizbaren Punkte bemerken und infolge deren jeder (<303) Mensch nach
irgend einer Seite den Durchschnitt des Massverhältnisses zwischen
psychologischer Ursache und Wirkung überschreitet. Von verschiedenen Standpunkten aus erscheint dies als Inhalt oder
als Beweis von Freiheit.
Zunächst, bloss negativ, wegen der Unabhängigkeit, welche in
diesen Fällen die Willenshandlung gegenüber demjenigen
Wirkungsquantum aufweist, das ihrer Ursache erfahrungsgemäss zukommt.
Die Wirkung tritt ein, ohne von der angebbaren Ursache in ihrem
Quantum bestimmt zu sein; die Unberechenbarkeit in dem Masse und der
Anordnung der latenten psychischen Kräfte, die die erscheinende
Ursache aktualisiert, lassen die Folge als von dieser Ursache frei
erscheinen.
Gerade weil die Unabhängigkeit hier in individuell verschiedener
Weise, an individuell verschiedenen Punkten auftritt, erscheint sie
überhaupt als Unabhängigkeit - was nach den obigen Ausmachungen
nicht der Fall wäre, wenn das auffällige quantitative Verhältnis
zwischen Reiz und Willenserfolg, immer nur in einer und derselben
Richtung läge, weil es dann zu der Auffälligkeit desselben gar nicht
käme.
Dies weist einerseits auf die positive Ergänzung des negativen
Freiheitsbegriffes, auf eine innere, von allem Äusseren und
Angebbaren nur angeregte, aber nicht bestimmte Kraft hin, die eben der
eigentliche Träger unseres Handelns wäre; andrerseits verleiht es
dieser Kraft den Charakter als Ich, womit wieder individuelle
Fürsichbestehen besonders in dem Falle bezeichnen, wenn sich aus dem
bisherigen Verhalten äusserlich gleicher Wesen kein bindender Schluss
auf das in Frage stehende ziehen lässt.
So erhält die Vorstellung der Freiheit ein zweiseitiges Fundament
in den realen physisch-psychischen Verhältnissen, die wir auszudeuten
versuchten, einmal durch die Annahme, dass die bewussten oder
psychisch qualifizierten Hirnvorgänge gekreuzt und mitveranlasst
werden von nur physischen, des Bewusstseinswertes entbehrenden; und
zweitens durch die Vorstellung, dass das Gehirn eine grosse Fülle von
Spannkräften (<304) in sich birgt, und sie auf Veranlassungen hin
entfaltet, deren Grösse in keinem Verhältnis zu dem schliesslich
ausgelösten Willenseffekt steht; so dass durch diesen Überschuss der
Wirkung über die Ursache die Vorstellung einer Unabhängigkeit jener
von dieser entsteht, während zugleich die individuelle
Verschiedenheit in der Lage der so reizbaren Punkte diese mehr
negative Freiheit mit dem Hinweis auf ein individuelles Ich
ausstattet, das eben zu der geringfügigen Ursache das an der Wirkung
bemerkbare Plus hinzufügt.
Endlich ist noch ein dialektisches Moment zu erwähnen, das
sämtliche Erörterungen über die Freiheit affiziert und auch
seinerseits ihrer Annahme einen gewissen realen Boden bereitet.
Nach der vulgären Vorstellung von Freiheit sitzt in uns eine
sozusagen richterliche Instanz, die zwischen den verschiedenen, mit
selbständiger Kraft auftretenden Impulsen und Ansprüchen frei
entscheidet; denn nicht die Kraft, welche das einzelne Element
mitbringt, entscheide darüber, ob es verfolgt oder zurückgedrängt,
bejaht oder verneint wird; sondern das sei die Sache der
"Freiheit", die unabhängig von aller psychologischen
Vehemenz oder Schwäche der einzelnen Vorstellung nur nach logischen,
ethischen oder sonstigen Werten über ihre Weiterentwicklung bestimme.
So gewiss sich nun gegen dieses über dem psychischen Mechanismus
thronende Ich von Neuem die Frage richtet, woher ihm denn die Kräfte
zu seinen Entscheidungen kämen, so dass es nicht als eine Lösung,
sondern als eine blosse Wiederholung der Schwierigkeiten in der Form
der Hypostasierung erscheint - so tief begründet sind doch auch diese
Schwierigkeiten und so berechtigt die Bedürfnisse, die sich in dem
freien Ich eine freilich täuschende Befriedigung geschaffen haben.
Denn nicht nur uni die sittliche, sondern sozusagen auch um die
logische Zurechnung handelt es sich. Die Annahme einer mechanisch zwingenden Notwendigkeit im Ablauf
unserer (<305) Vorstellungen scheint den Wahrheitswert derselben in
Frage zu stellen.
Denn über die unwillkürlich und dem psychologischen Mechanismus
gemäss auftauchende Vorstellung von irgend einem Objekt erheben sich
weitere Vorstellungen, welche prüfen, ob jene auch mit ihrem Objekt
oder mit den logischen Forderungen übereinstimmt oder nicht; ist nun
diese höhere und sachlich entscheidende Vorstellung selbst wieder
eine psychologisch nezessitierte, tritt sie auf, weil sie das von
jeher berechenbare Resultat
des Seelenzustandes ist und gar nicht anders sein kann, als sie
ist, so steht doch auch ihr die Frage entgegen, ob sie denn neben
ihrer psychologischen Ursache auch sachlich und logisch begründet
sei.
Die Entscheidung darüber aber würde wieder eine Instanz und ein
Kriterium voraussetzen, die beide über dem psychologischen
Mechanismus stehen, um seine Resultate nach deren mehr als
psychologischem Werte abzuwägen, usf. ins Unendliche.
Leugnen wir also die Freiheit, indem wir behaupten, dass jede
Vorstellung in uns nach unweigerlichen Gesetzen auftaucht, dass sie,
was nur ein anderer Ausdruck für dieselbe Überzeugung ist, das
Bewusstsein nach dem Masse ihrer psychologischen Kraft, nicht nach dem
ihres logischen Wertes beherrscht - und dass beides etwa von
vornherein und immer zusammenfalle, wird niemand behaupten -: so gibt
es keine Gewähr für die objektive Richtigkeit unserer
Überzeugungen, weil jedes Kriterium auch wieder den gleichen
psychologischen Bedingungen und damit dem gleichen Zweifel unterliegt.
Und dieser richtet sich notwendig zuallererst gegen die Behauptung
von der Unfreiheit des psychischen Mechanismus, von der er ausgegangen
ist.
Denn dass wir das Urteil fällen: wir sind unfrei, jede Vorstellung
in uns ist psychologisch nezessitiert - das ist dem eigenen Inhalte
dieses Urteils Dach selbst psychologisch notwendig; wer es fällt,
kann überhaupt in (<306) diesem Augenblick gar kein anderes
fällen, gleichviel ob die objektive Wirklichkeit damit übereinstimmt
oder nicht.
Das Urteil: unser Geist ist unfrei, hebt sich demnach selber auf;
wer es ausspricht, muss sich zunächst doch die Anwendung davon auf
sich selbst gefallen lassen und damit zugleich auf die Möglichkeit
eines objektiven Nachweises seiner Wahrheit verzichten.
Georg Simmel: Einleitung
in die Moralwissenschaft
Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe
Cotta's Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1892/93
Vorworte
Band 1:
1.
Kapitel: Das Sollen
2.
Kapitel: Egoismus und Altruismus
3.
Kapitel: Sittliches Verdienst und sittliche Schuld
4.
Kapitel: Die Glückseligkeit
Band 2:
5.
Kapitel: Der kategorische Imperativ
6.
Kapitel: Die Freiheit
7.
Kapitel: Einheit und Widerstreit der Zwecke
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