Universität Zürich Soziologisches Institut der Universität Zürich Prof. Dr. Hans Geser

 
presents: Georg Simmel Online

  Sociology in Switzerland   Georg Simmel Online G.Simmel: Einleitung in die Moralwissenschaft

 

Georg Simmel: Einleitung in die Moralwissenschaft
Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe

Cotta's Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1892/93

Band 2: Sechstes Kapitel: Die Freiheit (S. 131-306)

Empirische und ethische Freiheit

Das Ich als Subjekt der Freiheit

Die Entstehung des Begriffes der inneren oder metaphysischen Freiheit ans äusseren und empirischen Verhältnissen

Reduktion historischer Freiheitstheorien

Die Anarchie

Die Freiheit und die objektiven Normen

Die Korrelation von Freiheit und Unfreiheit; soziologische, statistische, psychologische, metaphysische Vereinigungen beider

Dialektische Erörterung der Freiheit

Der teleologische Sinn der Freiheit, ihre Begründung durch die Verantwortlichkeit

Anregungen zur Bildung der Freiheitsvorstellung

Mischung von Determinations-  und Freiheitsvorstellungen als Grundlage der Praxis

Die empirische Freiheit nach ihren positiven Inhalten

Freiheit als Herrschaft: über das eigene Ich, über den Besitz, über andere Menschen

Der Besitz als psychologisches Phänomen

Moralprinzip der Freiheit

Erkenntnistheoretische Erörterung der Freiheit

Die Verflechtungen der physischen und der psychischen Kausalreihen

Innere psychische Kausalität

Subjektive Voraussetzung aller Urteile über Freiheit und Determination

(<131) Die neuesten Darstellungen der Ethik zeigen eine unverkennbare Tendenz, am Probleme der Freiheit vorüberzugehen; es erscheint der Diskussion entweder nicht bedürftig oder nicht fähig.

Jenes nicht, weil die Frage abgetan, definitiv zu Gunsten der Determiniertheit entschieden sei, vielleicht auch, weil sie überhaupt nicht in die Ethik, sondern in die Metaphysik und Erkenntnistheorie gehöre; dieses nicht, weil das Problem in sich gewisse Widersprüche berge, die seine Erwägung mit Unfruchtbarkeit schlügen, wie dies durch seine ganze bisherige Geschichte bewiesen werde. (<132)

Nun scheint allerdings kein Zweifel, dass die bloss vorschreibende Sittenlehre, das Kompendium der Ideale, die Freiheitsfrage nicht zu behandeln braucht.

Denn die streng auf sich selbst beschränkte Setzung des Ideals fragt, rein als solche, nicht nach der Möglichkeit oder dem Masse der Verwirklichung desselben; deshalb steht sie jenseits von Freiheit und Determiniertheit, denn die Frage nach diesen betrifft doch nur die Bedingungen der Verwirklichung, aber nicht den Inhalt des Ideals. Die beschreibende Ethik aber scheint mir nicht das gleiche Ignorierungsrecht zu besitzen.

Denn zunächst angenommen, die ganze Vorstellung der Freiheit sei ein völliger Irrtum, so ist doch nicht nur seine psychologisch-historische Erklärung von grösster Wichtigkeit, sondern die Hartnäckigkeit seines Bestehens und seiner Forderung weist auf tiefe ethische Motive hin, deren Behandlung man sich nicht darauf hin entziehen kann, dass sie sich in der Freiheitsidee selbst missverstanden haben.

Es sind zweifellos in dieser Idee eine grosse Summe von Gefühlen und Strebungen, von theoretischen und praktischen Voraussetzungen, von individuellen und sozialen Postulaten verdichtet; dieselben herauszuholen, gegeneinander zu isolieren und mit Rücksicht auf die Beleuchtung zu analysieren, die sie durch ihre Vereinigung in jener Vorstellung erhalten - das erscheint mir als eine Aufgabe, die die Moralwissenschaft nicht abweisen darf, ganz gleichgültig, mit welchem sachlichen Recht oder Unrecht alles dieses moralische Kapital gewissermassen im Freiheitsbegriff investiert ist.

In der Entwicklung unserer höchsten, abstraktesten Vorstellungen findet sich oft der eigentümliche Vorgang, dass niedere, empirische Vorstellungen, deren Inhalt und Tendenz einen direkten Gegensatz zu den ersteren bildet, diesen dennoch die Veranlassung des Entstehens geben. (<133)

So ist der Gedanke, dass unsere ganze Erfahrungswelt eine Erscheinung sei, hinter der eine intelligible Welt der Dinge an sich ruhe, gewiss etwas völlig Anderes als der Unterschied zwischen Schein und Wahrheit, welcher sich ganz auf dem empirischen Gebiet hält; dennoch hat offenbar die alltägliche Erfahrung von dem Trug der Sinne, durch den hindurch die Vernunft zu der Wahrheit der Dinge gelangt, den psychologischen Ursprung für jene transzendentale Unterscheidung gebildet.

Es gibt keine Verwechslung, gegen die die Lehre von dem blossen Erscheinungscharakter der Welt sich so entschieden zu wehren hätte, wie die mit der Entgegensetzung zwischen Trug und Wirklichkeit, aus der sie doch selbst hervorgegangen ist.

Der Begriff des punktuellen Atoms ferner kann nur durch die empirische Teilbarkeit der Materie angeregt sein, er liegt geraden Weges in der Fortsetzung derselben ; und doch ist er die Negation eben dieses Begriffes der teilbaren Materie, er findet gerade seinen Gegensatz in jener räumlichen Ausgedehntheit der Substanz, die zu der Vorstellung seiner geführt hat.

Die Vorstellung des göttlichen Wesens endlich ist ohne Zweifel aus dem Material irdischer Qualitäten und Beziehungen aufgebaut; und doch ist es nun gerade der Gegensatz zu allem Irdischen, der das Göttliche charakterisiert.

Sein Wesen besteht gerade in der Abweisung derjenigen Relativitäten, aus denen es sich emporgebildet hat. - Mit der Freiheit nun verhält es sich nicht anders.

So wenig der reine Begriff der Willensfreiheit, den die metaphysische Ethik behandelt, mit dem zu tun hat, was wir im Empirischen, im bürgerlichen Leben, in individuellen Verhältnissen Freiheit nennen, so wäre doch wahrscheinlich ohne diese letztere der Begriff der ersteren gar nicht entstanden.

Schopenhauer hat die tiefgreifende Bemerkung gemacht, dass die gewöhnliche Bedeutung der Freiheit: dass man tun könne, was man wolle, es noch völlig unentschieden lasse, ob denn das Wollen selbst determiniert wäre oder nicht; die Freiheit des Willens sei etwas völlig anderes als die Freiheit, zu tun was man will. (<134)

Dies ist nicht nur eine richtige Erkenntnis, sondern eine der wenigen wahrhaft fördernden in der Geschichte der Freiheitslehre.

Sie muss aber ergänzt werden durch die andere, dass jene sekundäre Freiheit, die des Handelns gemäss dem Willen, doch den historischen Unterbau für die Vorstellung von der Freiheit des Willens selbst bildet.

Jene hat sich psychologisch zu dieser aufgegipfelt, wenngleich der so entstandenen ein völlig anderer Inhalt, ein Objekt ganz anderer Ordnung zukommt. Ja, wie in den obigen Beispielen kann man sagen, dass gerade ein gewisser Gegensatz zu den empirischen, veranlassenden Vorstellungen den eigentlichen Sinn des ethischen Freiheitsbegriffes ausmacht.

Denn ihn charakterisiert gerade die Gleichgültigkeit dagegen, ob man das, was man will, auch auszuführen im Stande ist; die innere Freiheit zeigt ihr Wesen und ihren Wert gerade in der völligen Unabhängigkeit von der äusseren Freiheit, aus der sich offenbar die Vorstellung ihrer entwickelt hat.

Allgemeine methodische Prinzipien nötigen uns, da, wo gröbere, sinnliche Vorgänge gegeben sind, von denen feinere und abstrakte eine Übertragung, ein Symbol, eine Anwendung auf schwierigere und später bewusst gewordene Objekte darstellen, die ersteren als die psychologischen Ausgangspunkte und Veranlassungen der letzteren anzusehen ; wir würden sonst nicht, z. B. von den sinnlichen Einzeleindrücken behaupten können, dass sie Material und Anregung für die Bildung der allgemeinen Begriffe wären.

So nun in unserem Falle. Da die aktuelle Überlegung uns mancherlei Möglichkeiten verschiedenartiger Handlungsweisen zeigt, zu denen allen wir gleiche Fähigkeit und äussere Chance haben, so wird sich wohl daraus die Vorstellung gebildet haben, dass auch jenen inneren Bewegungen, die dem schliesslichen Entschluss des Handelns zum Grunde liegen, auf die sich aber das Bewusstsein erst später richtet, ebenfalls eine mehrfache Möglichkeit der Richtung verstattet ist. (<135)

Dass ich das tun kann, was ich will, also empirisch frei bin, lässt den Gedanken so leicht nicht aufkommen, dass eine Bindung des Willens selber diese Freiheit an ihrer höhergelegenen Quelle von vornherein annulliert haben könnte, und die Freiheit des Tuns wächst so gewissermassen nach rückwärts in die Freiheit des Wollens aus.

Andrerseits wird die Überzeugung von der Unfreiheit des Willens wohl aus der Beobachtung hervorgehen, dass unser Wille unzählige Male seine Inhalte nicht in der äusseren Welt auszuwirken vermag.

Seine empirische Ohnmacht, die Folge überwältigender, in anderer Richtung laufender Notwendigkeiten in der äusseren Ordnung der Dinge, projiziert sich begreiflicher Weise zurück zu dem Glauben, dass er selbst gefesselt, und selbst von vornherein denjenigen, alle Macht ausschliessenden Kräften unterworfen wäre, die seine Weiterentwicklung im Handeln unausweichlich bestimmen.

Die äussere Freiheit setzt einen Willen voraus, der als Ursache der Handlung gedacht wird. Fällt die letztere nun ihm konform aus, reicht seine Kraft hin, um seinen Inhalt in den äusseren Umständen auszuprägen, so nennt man ihn frei.

Wenn dieser Begriff auf den Willen selbst übertragen werden soll, so bedarf es nun wiederum für diesen eines weiter zurückgelegenen Prinzips, das die Mannigfaltigkeit seiner Inhalte sich im Wollen ausleben lässt, ohne in ihm jenen Widerstand zu finden, der in den äusseren Beziehungen Unfreiheit bedeutet.

Ist es äussere Freiheit, dass ich tun kann, was ich will, so innere, dass ich wollen kann, was ich will - wobei freilich, wenn keine Tautologie herauskommen soll, entweder das letztgenannte Wollen oder das letztgenannte Ich eine andere, gleich zu untersuchende Bedeutung als das erste haben muss.

Oder man könnte es auch folgendermassen darstellen. Jede Freiheit bedarf, mit Jakob Böhme zu reden, eines Gegenwurfes, d. h. eines Gegensatzes von Subjekt und Objekt, welches letztere sich entweder nachgiebig und konform oder widerstrebend und abweisend jenem gegen über verhält, und damit dessen Freiheit oder Unfreiheit beweist. (<136)

In Bezug auf Freiheit im empirischen Sinne sind es nun die äusseren Gegebenheiten, die das Objekt des wollenden Subjekts bilden, und je nach ihrem Verhältnis zu diesem es als frei oder unfrei zeigen.

Wird nun nach der Freiheit oder Determiniertheit dieses wollenden Subjektes selbst gefragt, so muss der notwendige Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt in ihm selbst gesucht werden. Ein innerstes Prinzip muss vorhanden sein, zu dem sich ein anderer willensmässiger Bestandteil oder Funktion unserer Seele in entweder übereinstimmender oder selbständig widerstrebender Weise verhält.

Im ersteren Falle würden wir jenes Prinzip eben als frei bezeichnen, während es im zweiten durch Kräfte, die ausserhalb seiner stehen, in seiner Wirkung bestimmt oder behindert wird, also determiniert, unfrei ist.

Wenn überhaupt zwischen dem, was man im empirischen Sinne Freiheit nennt, und dem inneren, ethischen Sinn derselben, irgend eine Verwandtschaft bestehen soll, irgend eine Formgleichheit, die die Anwendung des gleichen Wortes begründet, so bedürfen wir auch für seine letztgenannte Bedeutung jener Zweiheit eines aktiven Prinzips und einer für dieses äusserlichen Macht, die ihm entweder Freiheit lässt oder es in einer von ihr ausgehenden Richtung bestimmt.

Dieses Innerlichste nun, dessen man zur Freiheit des Willens bedarf und das zum Wollen selbst die Stellung hat, wie das Wollen zum Handeln in dem empirischen Freiheitsbegriff, ist offenbar das sogenannte Ich.

Wenn man von der Freiheit des Willens spricht, so ist letzteres jedenfalls kein genitivus subjectivus; nicht der Wille ist frei zu wollen - das wäre ein leerer Zirkelbegriff -sondern das Ich ist frei zu wollen.

Die Freiheit bedeutet nach dieser Richtung hin, dass das Ich sich im Wollen ausprägen kann, ohne Widerstand zu finden, d. h. ohne dass dieses durch anderweitige, nicht aus dem Ich quellende Kräfte bestimmt werde und so die Freiheit des Ich, zu wollen, beschränke. (<137)

Jene scheinbar tautologische Erklärung der innern Freiheit: dass ich wollen kann, was ich will - erhält so einen synthetischen Sinn, indem der Ton auf das zweite Ich gelegt wird; ich bin frei, wenn ich will, was ich will, d. h. was mein Ich will, im Gegensatz zur Bestimmung meines Willens durch Potenzen, die ich nicht meinem ursprünglichen Ich zuzähle, wenngleich ich sie vielleicht unter den weitesten Begriff desselben fassen muss.

Es liegt hier der Einwand nahe, den ich selbst in verwandten Zusammenhängen hervorgehoben habe - dass mit alledem doch nur ein zweites Wollen geschaffen sei, das an dem Ich haftet, gegen das sich jedoch die Frage der Freiheit oder Determiniertheit genau so erhebt, wie gegen das primäre, unmittelbar dein Handeln entsprechende.

Diese Selbsttäuschung ist jedoch nicht unvermeidlich, sobald man annimmt, dass das Ich doch nicht bloss Wille ist, sondern eine durch alle möglichen sonstigen Inhalte charakterisierte Individualität, ein Komplex von Qualitäten, Gedanken, Gefühlen, vielleicht gar ein metaphysisches Etwas.

Dann besteht seine Freiheit eben darin, dass sich dieser Charakter des Ich ungehindert im Wollen ausprägen kann, während seine Determiniertheit bedeutete, dass abseits gelegene Einflüsse, etwa sinnlicher, mechanischer, suggestiver Art, die Wirksamkeit des Ich vom Wollen ausschliessen.

Wie der Bürger nicht frei ist, wenn despotische Gewalten sein politisches Handeln derart bestimmen, dass sein Wille ganz ohne Einfluss auf dasselbe ist; wie ein Künstler nicht frei ist, wenn äussere Notwendigkeiten seine Produktionsweise in Bahnen zwingen, die seinem künstlerischen Wollen entgegengerichtet sind: so ist der Mensch in sittlicher Beziehung nicht frei, wenn sein Wollen selbst, dessen Freisein in seinem Erfolge für das Handeln liegt, durch andere Kräfte und in anderen Richtungen bestimmt wird, als sie in dem Ich und seiner eigensten Qualifizierung liegen. (<138)

Wie das Handeln frei ist, wenn es dem Willen gemäss ist, so ist der Wille frei, wenn er dem tieferen, oberhalb seiner vorausgesetzten Prinzip gemäss ist. Ich prüfe nun hier nicht näher, inwieweit diese Vorstellung einem wirklichen Verhalten der Dinge erklärend entspricht, oder wenigstens in sich widerspruchslos ist.

In beiden Beziehungen wird sie schweren Bedenken begegnen, insbesondere durch die Lostrennung des Willens als eines gewissermassen substantiellen Wesens von der übrigen Persönlichkeit und seine Beeinflussung durch Kräfte, für welche diese nicht verantwortlich ist.

Es kommt mir nur darauf an plausibel zu machen, dass alle Vorstellungen über Freiheit gewissermassen ihr Schema in dieser Vorstellung eines Ich finden, das sieh zu dem Willen selbst verhält wie dieser zu der äusseren Erscheinung der Handlung.

Denn ob man nun eine Freiheit behauptet oder nicht: der Begriff ihrer, den man zugibt oder abweist, geht überall auf ein Ich zurück, aus dem das Wollen quillt.

Dieses lch bestimmt nun entweder das Wollen mit sich konform und wird dadurch für seine Willensakte verantwortlich; oder das Wollen wird durch unpersönliche, mechanische Kräfte bestimmt, so dass das Ich keinen Ausdruck in ihm findet und also auch keine Verantwortung dafür trägt. Der Wortsinn der mit der Freiheit solidarischen Zurechnung bestätigt dieses.

Eine Tat wird mir "zugerechnet", wie ein Posten einem Konto zugerechnet oder "zugeschrieben" wird, d.h. als zu ihm gehörig erkannt, als Teil dieser Einheit und Gesamtheit behandelt; nur wenn die Handlung als ein Teil meines Ich erkannt, d. h. zu mir gerechnet wird, wird sie mir zugerechnet.

Und bedeutet die Wahlfreiheit, dass ich statt A zu wollen auch B oder C hätte wollen können, so liegt doch der Akt des Wählens hinter - oder, wenn man will, vor - dem Wollen.

Denn wollen kann ich nur A oder B oder C; ist es einmal da, das heisst, ist es überhaupt wirkliches Wollen, so ist es auch eindeutig bestimmt und hat keine Freiheit mehr, nicht das zu sein, was es nun einmal ist. (<139)

Damit erscheint nun freilich die Schwierigkeit nur zurückgeschoben. Denn die Freiheit der Wahl zwischen A, B, C haftet nun auf dein Ich, statt auf dem Willen. Dieses kann man auch zugeben, ja, wir behaupten dies gerade als das hier Wesentliche.

Tatsächlich ist der ganze Begriff der inneren Freiheit nichts anderes als eine Zurückschiebung der Erscheinung äusserer, relativer Freiheit auf ein tiefer gelegenes Absolutes, und diese Zurückschiebung ist auch keine Erklärung, sondern nur ein Ausdruck für das Problem oder den angenommenen Tatbestand der Freiheit.

Wegen dieser Gleichsetzung des Freiheitsgedankens mit dem Ich-Gedanken war es auch nur konsequent, wenn man auf Kantischen Wegen schliesslich die Freiheit in das einmalige Ergreifen des intelligiblen Charakters setzte.

Diese Lehre von einer überzeitlichen Willenstat, die, selbst frei, alle erscheinenden Handlungen des Individuums bestimmte und diese dadurch an der Freiheit teilnehmen lässt, ist sehr viel logischer und konsequenter als ihre metaphysische Wunderlichkeit zunächst annehmen lässt.

Ihr grundlegendes Motiv ist die Überzeugung, dass der Verlauf der empirischen Ereignisse nicht an irgend einem Zeitpunkte durch das Eingreifen der Freiheit unterbrochen werden darf. Hat die Reihe der Erscheinungen erst einmal begonnen, so ist jede spätere durch die frühere unweigerlich determiniert.

Deshalb ist nur das erste Glied oder, wenn man will, das Ganze als absolutes Ganze von jener Bestimmtheit frei, die innerhalb seiner den Relationen seiner Glieder die Freiheit nimmt.

Dem Anspruch der Kausalität würde vollkommen genügt, wenn auch der gesamte Wirklichkeitsinhalt ein anderer wäre, und nur, nachdem er einmal ohne jede Prädetermination so gesetzt ist, die Entwicklung seiner Einzelheiten in gegenseitiger Determinierung erfolgt.(<140)

Wenn Kant also meint, dass ein anderer intelligibler Charakter auch einen anderen erscheinenden gegeben hätte, so kann man dem nicht den naheliegenden Einwurf entgegenhalten, dass ein anderer erscheinender Charakter, als der wirkliche, den ganzen gesetzlichen Zusammenhang der Erscheinungswelt durchbrechen würde, da gerade nur derjenige, der eben da ist, aus den vorangegangenen Umständen sich ergeben konnte.

Denn diese Umstände wären eben von vornherein andere gewesen, wenn jener andere intelligible Charakter als primäres Element einen der Ausgangspunkte, eine der Grundlagen der empirischen Weltentwicklung gebildet hätte.

Wie es kein Naturgesetz gibt, das die Welt als Ganzes notwendig machte, ihr erster Zustand und ihre Existenz überhaupt vielmehr gegeben sein muss, damit nun die Naturgesetze, das Vorgefunden aufnehmend, es zu den jetzt notwendigen Formen weiterbilden, so wird auch jedes Element, das den empirischen Willen einer Person trägt, vorgestellt als eines, dessen Existenz überhaupt, dessen ursprüngliche - vorzeitliche oder überzeitliche - Setzung frei ist, während es dann, einmal existierend und in die Erscheinung eingetreten und von dem Zwänge der Naturgesetze ergriffen, seinem empirisch-zeitlichen Phänomen nach determiniert ist, dennoch aber in dieser bestimmten Weise determiniert nur durch die Art seiner ursprünglichen undeterminierten Setzung.

Soll es eine Freiheit geben, so kann sie, da sie nicht innerhalb der schon begonnenen Erscheinungsreihe auftreten darf, nur an den Anfang oder in das überempirische Fundament derselben gesetzt werden.

Vermöge und nach der ursprünglichen Setzung herrscht in der Erscheinungsreihe Prädestination, die aber, wie Schelling hervorhebt, der Freiheit nicht widerspricht, weil sie Bestimmung durch das Prädestinierte selbst, das heisst durch seine ursprüngliche, durch nichts nezessitierte Setzung ist.

Diese, alle empirische Bedingtheit erst gründende, selbst also freie Tat der Kreierung des wollenden Ich, ist eine völlig folgerichtige Möglichkeit, die Kausalität des empirischen Willens mit der Freiheit zu vereinigen. (<141)

Die Freiheit besteht auch hier in der fundamentalen Bestimmung des einzelnen, erscheinenden Wollens durch das intelligible Ich. Wo absolute, metaphysische Freiheit zugegeben wird, kommt sie immer auf diese Bestimmung hinaus.

Ihr Inhalt, die Sachlichkeit ihrer Entscheidung wird ihr also durch die qualitative Bestimmtheit des Ich gegeben, und deshalb mündet auch die radikalste Freiheitslehre, die Fichte'sche, die zugleich die Fortsetzung der Kantischen ist, in der völligen Identifizierung des Ich mit der Freiheit, und setzt die Freiheit, die zugleich Sittlichkeit ist, in die Übereinstimmung des empirischen Ich mit dem reinen, was ein anderes Wort für dieselbe Sache ist.

Darum steht auch der theoretische Solipsismus, der nur das Ich als Realität bestehen lässt und die ganze Welt zu einem Vorgang in ihm degradiert, in einem tiefen Zusammenhang mit der Freiheit; und zwar sind die verknüpfenden Denkbeziehungen die folgenden.

Ich habe früher schon angeführt, dass die Welt als Ganzes nicht kausal bedingt ist. Kein Naturgesetz bestimmt, dass es überhaupt eine Welt geben muss, sondern erst, wenn sie existiert, wird das Kausalgesetz für ihre Teile untereinander gültig.

Die kosmische Notwendigkeit gilt also nur für jede Einzelheit in ihrer Beziehung zu einer anderen, aber nicht für das Ganze als Ganzes. Dieses Verhalten könnte man nun auf die menschliche Seele übertragen. Die psychische Kausalität und Naturbestimmtheit betreffe die einzelnen Akte derselben, die eine Vorstellung werde von der anderen notwendig bestimmt. Aber das Ganze der Seele sei von dieser Notwendigkeit nicht getroffen, als Ganzes sei sie frei von der Bindung, die innerhalb ihrer gelte.

Allein das wäre doch nur möglich, wenn unser Geist ein wirklicher Mikrokosmos, ein in sich geschlossenes Ganzes wäre. Ist er auch als Ganzes nur ein Teil. der Welt.. eine ihrer Einzelheiten, die mit anderen zu gegenseitigen Beziehungen verflochten ist, so gilt auch für ihn die notwendige Bestimmtheit alles Partiellen und Relativen. (<142) Ist also das Ich in der Welt beschlossen, so ist es auch als Ganzes nicht frei, wohl aber, wenn die Welt im Ich beschlossen ist.

Ist das Ich, wie es der absolute Idealismus lehrt, das einzige Existierende, so ist es auch frei, und die Naturnotwendigkeit gilt nur für seine Inhalte, relativ zu einander. Dieser Zusammenhang, der zwischen der inneren Geschlossenheit, dem Charakter kosmischer oder mikrokosmischer Vollständigkeit einerseits und der Freiheit andrerseits besteht, erzeugt überall da eine Tendenz zu der Annahme einer Freiheit, wo der Geist als ein System, ein in sich abgeschlossenes Ganzes erscheint.

Der absolute Idealismus ist nur die höchste Steigerung und Verfestigung der letzteren Überzeugung, und ihm entspricht deshalb auch die absoluteste Freiheitslehre. Den Beweis für solchen Zusammenhang des Ichs mit der Freiheit finden wir auch in der Negation beider geliefert, an dem Spinozistischen System, das gerade den metaphysischen Bestand der Persönlichkeit zu Gunsten der All-Einheit aufhebt.

Der Determinismus Spinozas und seine Leugnung einer eigentlichen Individuation sind nur zwei Ausdrücke für dasselbe Denkmotiv, und dem entspricht es nun vollkommen, dass er in der Bemühung, eine sittliche Freiheit dennoch zu retten, sie in dem Vermögen zu solchen Taten erblickt, die ausschliesslich durch die inneren Wesensgesetze des Handelnden selbst (per solas ipsius naturae leges) verstanden werden können.

Wenn ich aber so den Begriff der Freiheit nicht nach dem, was er wohl sachlich sein möchte, sondern nach dem, worauf sich seine theoretischen Ausgestaltungen zurückführen lassen, in einem Verhältnis zwischen dem Ich und dem Willen sehe, so liegt es nahe einzuwenden, dass für denjenigen, der das Ich seinerseits als determiniert annimmt, die Willensfreiheit selbst dann vernichtet wäre, wenn vollkommene Konformität zwischen dem Ich und dem Willen existierte, worein wir doch eben die Freiheit setzten. (<143)

Hiergegen kann man indessen unsere Bestimmung des Freiheitsbegriffes von verschiedenen Seiten her aufrecht erhalten. Zunächst lässt es, wie eben schon angedeutet, der konsequente Determinismus sehr oft zu einem eigentlichen Ich gar nicht kommen.

Ihm geht der Kreislauf des Stoffes wie der Kraft durch alle Punkte des Seins gleichmässig hindurch, ohne sich an einem einzigen zu jener Dauer zu festigen, durch die sich das Ich von den verfliessenden Inhalten der Einzelheiten oder von der empirischen Welt überhaupt abhebt.

Die Leugnung der Personalität fällt insofern, man möchte sagen a priori, mit der Determiniertheit zusammen, von der Dogmatik des Buddhismus an, für die der ruhelose Wirbel der Erscheinungen einerseits keine Ausnahme vom Kausalgesetz, andrerseits kein Ich bestehen lässt, bis zu Hume, bei dem sich der gleiche Zusammenhang zeigt.

Er ist absoluter Determinist in dem Sinne, dass ihm jeder menschliche Willensakt als unbedingt berechenbar aus seinen psychischen und physischen Antezedentien gilt; und in dieser fortwährenden Verknüpfung der Ereignisse ist nun auch die Seele nichts als a bundle of different perceptions in a perpetual flux and movement.

Bei einer derartig deterministischen Weltanschauung ist also die Seele von vornherein so gedacht, dass das Wollen gar nicht aus ihr als einem Wesen selbständiger, aktiver Natur hervorgehen kann.

Sie ist keine Substanz, die irgend etwas anderes aus sich bestimmen könnte, also auch das Wollen nicht. Indem Herbart und seine Schule das Seelenleben in die Mechanik der einzelnen Vorstellungen auf löst, tritt an die Stelle des Ich als eines Wesens die Wechselwirkung von Vorstellungen, an die Stelle des Wollens als einer Seelenkraft eine Bewegung, ein Aufstreben der Vorstellungen.

Die Mechanisierung des psychischen Geschehens findet also auch hier ihr Korrelat in der Aufhebung des Ich, Des Sitzes der Freiheit. (<144) Dem entspricht es vollkommen, wenn dasjenige, was von dem Ich, mit demjenigen., was von dem Wollen noch bleibt, in ein besonders enges Verhältnis gesetzt wird.

Beide sollen sieh neben einander entwickeln, aneinander gekettet durch die Gemeinsamkeit des ihnen zu Grunde liegenden wirklichen Geschehens, durch die Vorstellungen, die ebenso das Ich des Wollens, wie das Wollen des Ich bewirken.

Was Herbart bei alledem von der Freiheit noch erhalten will, lässt dennoch die Beziehung zum Ich erkennen. Derjenige sei frei, dessen Willen seiner sittlichen Einsicht konform sei. Diese sittliche Einsicht aber empfinde man als das eigentliche Selbst, während die Begierden, die von äusseren Umständen erregt sind, als Fremdes empfunden werden.

Daher trete das Gefühl der Freiheit ein, sobald das Fremde sich zurückzieht vor demjenigen Willen, welcher der unmittelbare Ausdruck jener Einsicht ist. Die Seele selbst als metaphysische Realität bleibt ganz aus dem Spiel. Es handelt sich bei dem allen, das Ich eingeschlossen, um die Verhältnisse zwischen Vorgängen an ihr.

Eine entschiedenere Gegeninstanz aber gegen die Beziehung des Determinismus zur Aufhebung des Ich scheint Leibniz zu bilden, bei dem die Seele viel mehr als bei Herbart den Charakter eines empirischen Individuums, des Ich, trägt, und der den schärfsten Begriff des Individuums doch mit einem lückenlosen Determinismus verbindet. Allein genauer angesehen, kommt er von einer anderen Seite her doch zu dem gleichen Resultat.

Denn indem die Welt überhaupt, die physische nicht weniger als die geistige, durch die Monadenlehre auf schlechthin individuelle Grundlagen zurückgeführt wird, fällt jener eigentliche Begriff des Ich fort, der diesem gerade eine Ausnahmestellung in dem Gewühl der Erscheinungen anwies, und auf seine innere Einheit hin, die keinem anderen Wesen zukam, die Befreiung von der naturgesetzlichen Determiniertheit beanspruchte. (<145)

Ist diese Innerlichkeit und Abgeschlossenheit allgemeiner Charakter des Seienden, ist jeder Bestandteil desselben sozusagen ein Ich, dessen Schicksale sich ohne äussere Veranlassung aus seinen ursprünglichen Spannkräften entwickeln, so ist allerdings der Begriff der Freiheit erfüllt, aber er verliert seinen speziellen Sinn, weil eine anders gestaltete Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen ist.

Sobald jeder Einfluss auf das Wollen, ausser dem aus dem tiefsten Einheitspunkte des Ich quellenden, durch die metaphysischen Prinzipien abgewehrt ist, so fehlt eben jener "Gegenwurf", der dem Freiheitsbegriff erst seinen Sinn gibt.

Dadurch also, dass der Determinismus hier seine schärfste Gestalt annimmt, für die die Entwicklung jedes Punktes der Welt in diesem Punkte potentiell beschlossen liegt, derart, dass ein völlig ungetrübtes Auge in ihm seine ganze Zukunft ablesen könnte - dadurch schneidet er die ganze Freiheitsfrage in unserem Sinne ab.

Für diese vernichtet er das Ich gerade so wie der Spinozistische Determinismus es tut: dieser, indem er überhaupt kein Ich, jener, indem er überhaupt nur Ichs bestehen lässt.

Sowohl der Determinismus, der sich in der absoluten Einheit alles Seins, wie derjenige, der sich in der absoluten Individualität jedes Seins ausdrückt, verlöschen gleichmässig jene Differenzen unter den möglichen Bestimmungen des Wollens, durch die erst Bejahung oder Verneinung des eigentlichen Sinnes der Freiheit möglich ist.

Wenn wir also als Typus der Freiheitsfrage behaupteten: ob das Wollen, obgleich formal vom Ich ausgehend, seine Richtung und Qualifikation entweder von dem eigentlichen Ich selbst oder von ausserhalb desselben gelegenen Mächten erhielte; wenn dem entgegen der erstere Fall doch nicht mit der Freiheit identisch erschien, weil die Determiniertheit des Ich die Freiheit auch dann aufhöbe, wenn dieses Ich wirklich den Willen nach sich bestimmte; so sehen wir nun, dass der Determinismus in seinen hier erwähnten Gestalten unseren Freiheitsbegriff deshalb nicht alteriert, weil er einen speziellen Begriff des Ich von vornherein ausschliesst. (<146)

Das Wollen des Menschen wird hier durch die gleichen Kräfte und Gesetze wie alles andere Weltgeschehen bestimmt, unter Ausschaltung des Ich als einer besonderen, über diesen anderweitigen Kräften stehenden Instanz.

Unsere historische Vorstellung von der Unfreiheit ist also hier erfüllt: ein Wollen, das nicht vom Ich bestimmt ist. Denn hierfür macht es offenbar keinen Unterschied, ob das Ich als ein spezifisches, exzeptionelles Wesen zwar vorhanden ist, aber nicht die selbständige Macht der Willensbestimmung besitzt, oder ob es von vornherein negiert ist.

Ich führe endlich in dieser Reihe noch Beneke's Begriff der psychologischen Freiheit an. Ihm erscheint der Mensch insoweit frei, als zu der vorliegenden Handlung alle auf sie irgend bezüglichen Seelenenergien unverkürzt und bewusst mitwirken. Unfrei handeln wir, sobald irgendwelche psychologischen Beziehungspunkte der Handlung unbewusst bleiben.

Dieses deckt sich offenbar mit unserer Deutung aller menschlichen Freiheitsbegriffe. Denn es besagt, dass die freie Handlung als solche von dem Gesamt-Ich, soweit es Beziehung auf sie hat, getragen wird, dass es in ihr seinen adäquaten Ausdruck findet.

Darum kann selbst die Handlung des Wahnsinnigen, sobald sie mit der erkrankten Seelenprovinz nichts zu tun hat, und alle auf sie bezüglichen psychischen Inhalte bewusst sind und zusammenwirken, frei heissen.

Die Nuancierung ist hier nur die, dass bei der Unfreiheit nicht sowohl die Bestimmtheit des Handelnden durch schlechthin äussere Momente als das blosse Fehlen innerer, zur Gesamtheit des hier in Betracht kommenden Ich gehörender Kräfte betont wird.

Für die positive Bedeutung der Freiheit hingegen bleibt die Bestimmung genau bestehen, dass die Verursachung der Einzelhandlung durch die Gesamtheit der inneren, in dem Ich befassten Provinzen die Anwendung ihres Begriffs rechtfertigt. (<147)

Aber auch da, wo das Ich sich als absolute, von der Kritik des Seelenbegriffs nicht zersetzte Individualität darstellt, begnügen sich die historisch vorliegenden Freiheitsbegriffe fast durchgehendes mit der Konformität des Wollens mit dem Ich.

Wenn also statt dessen die Übereinstimmung des Wollens mit der Vernunft als Freiheit gilt, so ist doch in diesen Fällen die Vernunft ihrerseits das eigentliche Ich. Es widerspricht deshalb dem hier vorgetragenen Grundgedanken in keiner Weise, wenn der Dualismus von Freiheit und Gebundenheit philosophischerseits auch als der von Vernunft und Sinnlichkeit gedeutet wird.

Dieses gibt aber zu folgenden Bemerkungen Veranlassung. Dass die Bestimmung des Willens durch sinnliche Eindrücke als Unfreiheit gilt, im Gegensatz zu der durch die Vernunft, liegt offenbar daran, dass die sinnlichen Eindrücke selbst ihre unzweideutigen und zwingenden Ursachen in der äusseren Welt haben.

Indem sie in einer Weise hervorgerufen werden, die von allen psychischen Verhältnissen im meisten der physischen Kausalität ähnelt, vererben sie diese Gebundenheit natürlich auf die ganze Kette der Verhältnisse, die, sieh aus ihnen entwickeln. Gebt eine Handlung wirklich aus der Sinnlichkeit als solcher hervor, so ist kein Raum für eine Freiheit.

Wie eine Reihe von Taten, deren jede durch die vorhergehende determiniert ist, dennoch als frei bezeichnet werden kann, sobald nur die erste frei war, so ist umgekehrt jede beliebige Tat unfrei, sobald sie die Folge eines unfreien Geschehens ist; weshalb denn auch gerade Handlungen dieser Art mit Vorliebe auf die, Einwirkung ganz äusserer Mächte, der Versuchung oder des Teufels geschoben werden.

Das Ich lehnt die Verantwortung für Ereignisse ab, für die es nur der Durchgangspunkt ist, und in denen bloss physische Ereignisse sich durch das Medium der Empfindung und des Impulses in Handlungen umsetzen, ohne dass aus dem Ich selbst heraus andersartige, aus jenem sinnlichen Anstoss nicht berechenbare Kräfte dieses Handeln modifizierten. (<148)

Weil die Sinnlichkeit von dein abhängt, was ausserhalb des Ich liegt, sind die von ihr bestimmten Handlungen unfrei, wobei es freilich für die völlige Willkürlichkeit zeugt, der die Hohlheit der artiger Begriffe und Abstraktionen Raum gibt, dass gerade die sinnlich bestimmten Handlungen wieder durchgehendes als egoistische, auf das Ich bezüglich bezeichnet werden.

- In solcher Identifizierung, der sinnlich bestimmten mit den unfreien Handlungen liegt nun die verhängnisvolle, durch die ganze Geschichte der Sittenlehre sich hindurchziehende Verwechslung von Sinnlichkeit im theoretischen und im praktischen Sinne.

Die naturgesetzliche Determinierung des Empfindens, auf die hin sich die Empfindungslehre als den einzig exakten Zweig der Psychologie rühmen darf, betrifft doch nur die Sinnlichkeit in zentripetaler Bedeutung, aber keineswegs diejenige, die dem ihr angerechneten Handeln jenen besonderen, von der Vernunftmässigkeit verschiedenen Charakter gibt.

Der Willensprozess, für den die sinnliche Empfindung den Endzweck, den Abschluss des Handelns bildet, ist als solcher doch ganz unabhängig von derjenigen Gesetzmässigkeit, die ihr selbst als psychologischem Prozesse eigen ist.

Die Vorstellung des Sinnenvorganges, die im Bewusstsein vorangehend, die Reihe der Handlungen aus sieh entspringen lässt, wird hier mit dem realen Sinnesvorgange selbst verwechselt, und so die Determiniertheit, die dieser seinen Konsequenzen einprägt, auf die Entwicklungen der Vorstellung seiner als rein inneren Zweckes übertragen.

Wenn wir uns auch durch Sinneneindrücke unausweichlich bestimmt fühlen, so ist es dadurch noch keineswegs präjudiziert, sondern steht noch gänzlich dahin, ob das durch die Hoffnung und den Reiz derselben geleitete Handeln gleichfalls den Charakter der Notwendigkeit oder den der Freiheit trägt.

Die grundlegende Äusserung Kants, dass bei Bestimmung des Willens durch eigene Glückseligkeit der sittliche Wert der Handlung sich ganz gleichgültig dagegen verhielte, ob man das Glück in den Niederungen der Sinnlichkeit oder auf den Höhen der Vernunft suche, findet hier ihre Parallele. (<149)

Für die Frage, ob der Wille überhaupt frei oder determiniert ist, ist offenbar die Frage von der Sinnlichkeit oder Vernunftmässigkeit seines Inhalts ganz unabhängig. Denn die Freiheit, die ihm etwa in einem Falle zugesprochen wird, kann doch nur bedeuten, dass er auch die Möglichkeit hatte, den anderen Inhalt zu wählen, also die formale Qualität, die er an dem einen äussert, auch einem anderen gegenüber besitzt.

Weiterhin wird die folgende erkenntnistheoretische Betrachtung die Gleichsetzung des freien mit dem durch die Vernunft determinierten Wollen in ihren tieferen Motiven beleuchten.

Der Unterschied zwischen der Erscheinung und dem Ding an sich, wie er bei Kant auftritt, wird meist sehr missverständlich für metaphysisch gehalten, für einen Unterschied, der dem zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich entspräche; beide würden durch den unausfüllbaren Abgrund des kontradiktorischen Gegensatzes geschieden.

Die Unerkennbarkeit, richtiger Unvorstellbarkeit, des Dinges an sich wäre eine absolute, aus seinem Begriff folgende. Diese allgemeine Auffassung des Kantischen Idealismus ist entschieden unrichtig. Es handelt sich nicht um den Gegensatz von Vorstellung und Nicht-Vorstellung, sondern um den zwischen empirischem und rein intellektuellem Vorstellen.

Kant hat die Kritik der reinen Vernunft nicht geschrieben, um uns zu belehren, dass das Nicht-Ich nicht das Ich ist, sondern um zu zeigen, dass alle unsere Erkenntnis an Sinneseindrücke als Material gebunden ist und dass durch reine, über die Sinneserscheinungen hinausgehende Vernunft keine Erkenntnis einer Wirklichkeit möglich ist.

Nicht weil das Ding an sich seinem Begriff nach uns ewig ein jenseitiges bleiben muss, ist es uns unerkennbar, sondern weil das reine Denken kein Erkenntnismittel ist. (<150) Wäre es ein solches, hätten wir die intellektuelle statt der sinnlichen Anschauung, so hätten wir auch Erkenntnis des Dinges an sich, die nicht dem Denken an und für sich, sondern nur dem an die Sinne gebundenen Denken versagt ist.

Dem Unterschiede zwischen Erscheinung und Ding an sich entspricht also nicht der absolute Unterschied von Vorstellen und Nicht-Vorstellen, sondern der relative zwischen Erfahrung und reinem Denken.

Unter den allgemeinen Begriff des Vorstellens gehört auch das Ding an sich, der intelligible Gegenstand Kants, der zwar nicht erkennbar, weil nicht sinnlich erkennbar, wohl aber überhaupt vorstellbar ist.

Ein ganz paralleler Unterschied nun besteht zwischen Freiheit und Determiniertheit. Nicht das ist die Meinung des ernsthaften Denkers, dass zwischen beiden ein absoluter kontradiktorischer Gegensatz bestehe, wie zwischen Zufall schlechthin und Gebundenheit schlechthin.

Eine Bestimmung des Wollens findet vielmehr in jedem Falle statt, und der Unterschied ist nur der relative, ob dieselbe durch sinnliche oder durch vernunftmässige Motive erfolge. Wie in dem erkenntnistheoretischen Fall das Gegensatzpaar nur empirisches und rein intellektuelles Vorstellen ist, das der Erscheinung und dem Ding an sich entspricht, beides aber in das gemeinsame Gebiet des Vorstellens überhaupt gehört, so ist hier sinnliche und intellektuelle Bestimmung der entscheidende, der Gebundenheit und Freiheit entsprechende Gegensatz, dessen beide Seiten aber unter den Begriff der Bestimmung gehören.

Auf die fundamentalen Denkformen zurückgeführt, stellen sich beide Fälle gleichmässig folgendermassen dar. Es sind Gebiete absoluten Charakters mit kontradiktorischen Abgrenzungen gegen ihre Gegensätze gegeben: das Gebiet der Vorstellung überhaupt im Gegensatz zu dem, was schlechthin nicht Vorstellung, nicht Ich ist, und das Gebiet der Bestimmung überhaupt im Gegensatz zu dem Zufall schlechthin.

Innerhalb dieser werden nun je zwei relative Gebiete gesondert, von denen sich jedes nur durch seinen Gegensatz gegen das andere bei gemeinsamer Umfassung durch jenes charakterisiert. (<151)

(Die Gebiete des sinnlichen Vorstellens und Bestimmtwerdens einerseits, des intellektuellen Vorstellens und Bestimmtwerdens andrerseits.) Und nun tritt bei oberflächlicherer Auffassung das Selbst- Missverständnis ein, dass das relative Gegensatzpaar als korrespondierend den absoluten Gegensätzen erscheint, von denen doch der eine für sich allein jenes ganz umschliesst.

(Die sinnlich-empirische Erkenntnis einerseits. die reine Vernunftvorstellung andrerseits soll der Vorstellung überhaupt und dem Nicht-Vorstellbaren überhaupt, dem absoluten Dinge an sich entsprechen; die sinnliche Deteminiertheit soll die Determiniertheit schlechthin, die intellektuelle die Freiheit schlechthin sein.) In dem theoretischen Falle beharrt wenigstens in Hinsicht des Verständnisses Kants der Irrtum noch weiter.

Dem relativen Unterschiede zwischen empirischer und Vernunfterkenntnis wird noch immer in Hinsicht des Objektes der absolute Unterschied von Vorstellung und Ding an sich untergeschoben. In dem ethischen Falle ist der Irrtum durchgehender vermieden oder wenigstens beseitigt.

Es ist fast überall erkannt, dass es sich von vornherein gar nicht um jene absolute Freiheit, die Zufall wäre, sondern um eine bestimmte Art von Determiniertheit handelt, an der allerdings die Missverständlichkeit des Namens Freiheit noch als ein Residuum jenes Irrtums haftet.

Auch da, wo die Wahlfreiheit am entschiedensten gefordert wurde, an den Anfängen der christlichen Spekulation, zeigen manche Andeutungen doch, dass auch hier nicht in dem Willen selbst die Freiheit lag, sondern in der Nicht-Bestimmung desselben durch andere als die innerlichen Momente des Ich.

Das Modell der menschlichen Freiheit war nämlich die Freiheit Gottes, der die Welt ursachlos aus dem Nichts geschaffen hatte. Was bei dieser Freiheit negiert wird, sind also ausserhalb Gottes gelegene Stoffe oder Kräfte, die etwa nur den Durchgangspunkt ihrer Entwicklung in ihm hätten. (<152)

Unmittelbar und allein aus ihm entsprang die Welt, zu der keine ihm äussere Notwendigkeit vorhanden war. Diese Freiheit nun ist es, von der ein Teilchen oder ein Analogon, den Gnostikern zufolge, den Menschen von Gott verliehen ist.

Offenbar wird also auch hier der Inhalt der menschlichen Freiheit in die Freiheit von etwas gesetzt, nämlich von Veranlassungen, welche ausserhalb des Ich liegen. Das ganze Motiv, aus dem der christliche Denker die Freiheit fordert, ist die Unmöglichkeit, aus Gott, als dem allguten Prinzip, das Böse in der Welt herzuleiten.

Dazu bedurfte es eines weiteren, selbständigen Prinzips, das in der Produzierung des Bösen ganz ebenso von aller äusseren Bedingtheit unabhängig ist, wie Gott in der Produzierung des Guten.

Was dieses Prinzip, das Ich, frei erscheinen lässt, ist also die Tatsache, dass seine Handlung ausschliesslich von ihm selbst ausgeht; seine Wahlfreiheit bedeutet, dass, was es auch vollbringe, ob Gutes oder Böses, die Veranlassung dazu ausschliesslich in ihm selbst gesucht werden muss.

Die Freiheit und das Ich weisen eben unmittelbar aufeinander hin; die Entschiedenheit, mit der das Christentum die Freiheit fordert, fällt mit der Ausprägung des Persönlichkeitsbegriffes zusammen, die von ihm ausging.

Umgekehrt dringt das Altertum weder zu der Tiefe des Freiheitsproblems, noch zu der der Ichvorstellung, und ich glaube, dass beide Mängel nicht ausser Zusammenhang standen.

Wenn meine Annahme richtig ist, dass der metaphysisch-ethische Freiheitsbegriff nur in einer Verlegung des empirischen Freiheitsbegriffes in die tieferen Schichten der Seele besteht, auf einer Übertragung des Verhältnisses zwischen Wille und Handlung auf das zwischen Person und Wille - so wird jene Vorstellung der Freiheit um so unentschiedener und unvertiefter sein, je weniger noch der Begriff der Persönlichkeit seine entschiedene Stellung als absoluter Träger der psychischen Relativitäten gewonnen hat. (<153)

Auf die Abhängigkeit der Freiheit vom Ich weist aber auch ihre psychologische Umkehrung hin, die Abhängigkeit der Ausbildung der Persönlichkeit von dem Vorhandensein der empirischen Freiheit.

Die amerikanischen Neger sprechen noch jetzt von sich gern in der dritten Person, häufig sogar nur mit der Bezeichnung - this nigger. Der Mangel, resp. die Kürze der Ausbildung ihrer Freiheit hat es zu der ihrer Individualität noch nicht kommen lassen.

Und wenn die Statistik eine besondere Häufigkeit des Selbstmordes unter Dienstboten und Soldaten aufweist, so wird man schliessen dürfen, dass die Freiheitsbeschränkung, in der diese Stände übereinkommen, jenes Gefühl eines speziellen Wertes der eigenen, individuellen Existenz niederhält, das der kräftigste Schutz gegen Selbstmordgedanken ist.

- Die Verbindung zwischen lchvorstellung und Freiheit, die aus dem angeführten Beispiel aus der Geschichte des Christentums hervorgeht, legt auch die Vermittlung beider nahe, die der Sittlichkeitsbegriff überhaupt vollzieht.

Wir begegnen ebenso oft der Vorstellung, dass das tiefste, "eigentliche" Ich des Menschen das gute Prinzip sei, dass es seine Sittlichkeit trage oder darstelle - wie der anderen, dass die rechte, "eigentliche" Freiheit mit seiner Sittlichkeit identisch sei.

So willkürlich, verschwommen und bloss analytisch derartige Beziehungen zwischen höchsten Abstraktionen zu sein pflegen, - von der einen wird nämlich durch irgend einen Zusatz, wie "eigentlich", "recht", "wirklich" und ähnl. gerade nur das übrig gelassen, was von vornherein mit der anderen übereinstimmt - so bringen sie uns jedenfalls die psychologische Tatsache nahe, dass auch in dieser Vermittlung durch den ethischen Wert hindurch die Angewiesenheit der Freiheit auf den Ichbegriff zum Ausdruck ringt.

Der Parallelismus der an die Freiheit und der an das Ich geknüpften Wertvorstellungen zeigt sich übrigens auch nach einer anderen Richtung. (<154) Ich habe früher hervorgehoben, dass der Schätzung des Ich als des Sitzes der Sittlichkeit, der lichten Höhe menschheitlicher Entwicklung die entgegengesetzte gegenübersteht, nach der es gerade das böse, zu überwindende Prinzip, den "dunkeln Despoten" in uns darstellt.

Die genau gleiche Doppelheit der Wertung knüpft sich an die Freiheit. Neben ihrer Identifizierung mit dem Besten und Edelsten in uns findet sich doch auch die Vorstellung, dass sie der Sitz der Sünde und Unvernunft ist. Giordano Bruno hält ihren Besitz für so unterwertig, dass er sie nur dem Menschen in seiner Unvollkommenheit, Gott aber die Notwendigkeit zuschreibt.

Und die populäre, sprachgebräuchliche Auffassung folgt dein, wenn sie unter ,Willkür" ohne weiteren Zusatz immer die böse oder wenigstens ungerechtfertigte Willkür versteht. Durch dieses Wort, das an und für sich doch ein blosses Synonym für Freiheit ist, hat die Doppelbeurteilung derselben sich einen Ausdruck verschafft, der derjenigen des Ich fehlt, ohne dass der sachliche Parallelismus der Schätzung dadurch gestört würde, der aus der Struktur beider Begriffe hervorgeht.

Man muss immer im Auge haben, dass alle Begriffe von Freiheit, auch wenn die Realität derselben noch so entschieden bejaht werden soll, doch von vornherein auf ein Kompromiss mit der Determinierung gehen.

Die Bemühung zielt dahin, den Begriff von vornherein so zu gestalten, dass seine Bejahung nicht dem sonst anerkannten Begriff von Kausalität widerspreche. So sehr auch der direkte Ausdruck davon vermieden werden mag, handelt es sich doch meistens darum, die Freiheit als eine besondere Art von Kausalität zu verstehen; dass man eines Ich bedarf, in dem die Freiheit hafte, von dem die freie Entscheidung ausgeht, ist offenbar noch ein Rest von Kausalität.

Indem der Wille vom Ich abhängig gedacht wird, und dies als das Wesen der Freiheit gilt, wird es vermieden, sie mit dem blossen unverantwortbaren Zufall zusammenfallen zu lassen,. mit der Schöpfung der Tat aus dem Nichts, die den ganzen Zweck der Annahme einer Freiheit vereiteln würde. (<155)

Richtete sich einmal die Frage der Freiheit, die zunächst das äussere Handeln betraf und hier durch dessen Verhalten zum Willen entschieden wurde, nun gegen den Willen selbst, so bietet sich das Ich als nächste Instanz dar, zunächst weil sein zwischen unmittelbarer Erfahrung und metaphysischer Abstraktion liegender Charakter es zu der Ausnahmefunktion, die es als Träger des freien Willens übt, besonders geeignet macht, dann, weil in seinem Begriff zugleich diejenigen anderweitigen Momente vereinigt sind, um derentwillen man überhaupt zu einem Freiheitsproblem kam.

Denn das Ich ist hier, wie die Mehrzahl der metaphysischen Begriffe, ein Lückenbüsser, der Name für eine Forderung, der den Schein einer synthetischen Erfüllung derselben annimmt. Wenn der äussere Zwang fortfällt, so bleibt noch der Wille übrig, der die Handlung bestimmt und in Bezug auf diese also frei ist.

Nun soll bei der inneren Freiheit entsprechend der innere Zwang fortfallen, der den Menschen zu einem von Vorstellungen getriebenen Automaten machte.

Dabei aber bleibt nichts übrig, was diese Freiheit nun ebenso trüge, wie in jenem äusserlichen Fall das Wollen es tut; und das Ich, - oder die Vernunft oder wie man sonst den Träger der Freiheit nennt, - ist nichts als ein x, das man an diese leere Stelle setzt, die Folge davon und die Bezeichnung dafür., dass hier ein positives Etwas gefordert wird, aber ebenso nur die Hypostase dieser Forderung wie das Ding in sich es für die Forderung einer Ursache unserer Vorstellungen ist.

Wie Metaphysik überhaupt entsteht, indem man ein am Empirischen und Relativen geltendes Verhältnis entweder ganz oder mit einem Gliede auf das Absolute überträgt, auf dasjenige, was das ganze Gebiet des Relativen einschliesst: so ist auch hier das empirische Verhältnis zwischen dein Handeln und Wollen auf die Beziehung zwischen dein empirischen Wollen und dem metaphysischen Ich übertragen. (<156)

Die wechselnde Angemessenheit jener beiden ersten zu einander, die wir als Freiheit oder Unfreiheit bezeichnen, erscheint hier als Freiheit des Ich, sich im Wollen auszudrücken bez. als Bestimmtheit dieses letzteren durch ihm äussere Mächte.

Die theoretischen und metaphysischen Bedürfnisse, die hierzu führten, sind dieselben, die hinter dem Vorstellen eine Seele, ein Subjekt und hinter dem Geschehen eine Kraft fordern.

Nachdem der Kausaltrieb erst einmal als den Träger der Willenserscheinungen ein Ich hypostasiert hat, wird durch die Divergenz der letzteren, durch ihre scheinbare Ungleichmässigkeit bei gleichen äusseren Umständen eine Kraft gefordert., deren Wesen eben die Verschiedenartigkeit der Äusserungen bei Gleichartigkeit der Reize bildet.

Und wie die empirische Freiheit darin besteht, dass bei gleichen physischen, politischen, ökonomischen etc. Umständen der Einzelne die Kraft hat, seinen Willen durchzusetzen, mag dieser nun diesen bestimmten oder den entgegengesetzten Inhalt haben, so wird in das Ich die Kraft hineinverlegt, unter ganz gleichen Umständen so oder ganz entgegengesetzt zu wollen.

Die Vorstellung, dass hinter dem Willen ein Ich steht, welches ihn dirigiert, fällt ganz unter die Tendenz, die jene alte Beobachtung ausspricht, dass wir die Vorgänge in der Seele nur nach Analogie mit äusserlich sinnlichen Bewegungen vorstellen.

Man denkt sich dabei den Willen oder das Bewusstsein gleichsam als ein Instrument, das man auf ein Objekt richtet, wie eine Schusswaffe auf ein Ziel. Das Verhältnis, das zwischen dem Bewusstsein und seinem äusseren Objekte besteht, wird in das Innere der Seele transponiert.

Wie wir sehen, dass gewisse Veränderungen in der Aussenwelt daraufhin eintreten, dass in unserem Bewusstsein gewisse Bewegungen vor sich gehen, so schieben wir nun diese psychischen Bewegungen selbst auf ein tiefergelegenes Subjekt, das mit dem Bewusstsein so schaltet, wie dieses mit seinen Objekten. (<157)

Es wiederholt sich dabei jene einfache Übertragung des körperhaften auf den seelischen Vorgang gleichsam auf einer anderen Stufe, das Psychische wird nicht nach Analogie des rein Physischen gedacht - wie wenn wir von Verbindung und Trennung der Vorstellungen, ihrem Gleichgewicht oder Übergewicht, ja von Vorstellungen überhaupt sprechen, - sondern nach Analogie eines schon zwischen Psychischem und Physischem spielenden Vorganges.

Dieses analogisierende Verfahren muss jener abgeschwächten Kausalität günstig sein, in der der philosophische Freiheitsbegriff besteht.

Mag man nun die Genesis des Freiheitsbegriffes aus der Analogie mit der empirischen Freiheit überall herauserkennen können oder nicht, jedenfalls veranlasst sie die Moralwissenschaft, die die Freiheit zunächst psychologisch als Glaubensvorstellung untersucht, vor Allem jenem empirischen Freiheitsbegriff näherzutreten, der nicht die Freiheit des Willens, sondern die Freiheit des Tuns zum Inhalte hat, wie überhaupt wohl die Einzelheiten dieser empirischen Bedeutung der Freiheit ein sehr viel reicheres und fruchtbareres Gebiet für die Moralwissenschaft bilden, als die metaphysische Frage nach der Freiheit des Willens selbst, vor der jene bis jetzt sehr zu kurz gekommen sind.

Wir finden dabei zuerst, dass die Doppelbedeutung der sittlichen Freiheit als absolutes liberum arbitrium indifferentiae und als Bestimmung durch das Ich, durch das Gute, durch die Vernunft ihr Gegenbild auch im Äusserlichen findet.

Der Freiheitsbegriff des anarchistischen Individualismus besteht in der blossen Losgebundenheit von Einflüssen und Bestimmungen seitens einzelner oder kollektiver Kräfte, er ist die rein negative Seite der Freiheit. Denn seine konsequente Ausgestaltung lehnt auch gerade jene innere Konsequenz ab, die - nicht von mechanischem Zwang, sondern von ideellen, dem Geiste selbst immanenten Normen ausgeht.

Die Inhaltslosigkeit dieses Freiheitsbegriffes dokumentiert oder rächt sich, indem er nicht bei ich stehen bleibt, sondern eigentlich von vornherein zwei psychologische Ergänzungen in sich aufzunehmen pflegt. (<158)

Er tritt, erstens, nur selten als reine Unabhängigkeit in dem Sinne auf, dass alle äussere Zumutung und Verlockung einer Bindung als ein völlig Gleichgültiges abglitte.

Solche Gleichgültigkeit würde sich darin zeigen müssen., dass jene Insinuationen und Verpflichtungen ein rein zufälliges Verhältnis zu dem individuellen Belieben haben und ihm gelegentlich ebenso gut parallel wie entgegengesetzt gerichtet sein können.

Statt dieser absoluten, nur in sich selbst ruhenden Freiheit begegnen wir vielmehr in diesem Falle meistens einer positiven Opposition gegen äussere Ansprüche, einem Kampfe gegen sie, statt einer Unberührtheit durch sie.

Die absolute anarchische Freiheit wird in der Regel nicht gewahrt durch Gleichgültigkeit, die sich in dem wechselnden Verhalten zu den Normen ausspräche, sondern durch ein Verhalten durchgehender Abwehr ihrer - und nicht nur Abwehr, sondern versuchten Niederkämpfens, - das also doch wieder Determinierung durch sie ist, wenn auch eine solche mit negativem Vorzeichen.

Hiermit nähert sich dieser Freiheitsbegriff gerade jener Bestimmung, die sich mit der philosophischen Freiheit, mit der Konformität des Wollens mit dem Ich oder einem Ideal zu verbinden pflegt: dass Freiheit eigentlich nur Befreiung wäre, ein unendlicher Prozess, und dass wir nicht sowohl frei sind, als frei werden.

Hiervon aber auch abgesehen, stellt sich nun, zweitens, die absolute Freiheit im empirischen Sinne meistens nicht sowohl als Mangel jeder Determinierung überhaupt, sondern nur jeder bestimmt gerichteten und konsequenten Determinierung heraus, wodurch sie dann gerade jeder Zufälligkeit äusserer Anstösse, jeder momentanen Situation und ihren Reizen um so widerstandsloser hingegeben ist; und diese Hingebung an den Augenblick, ja gerade die Willigkeit, der äusserlichsten, ephemersten Lockung zu folgen, pflegt diese Freiheitstendenz mit einem gewissen Trotz zu betonen. (<159)

Hier wird eigentlich nur jene Bindung negiert, die alle Folgehandlungen in einer bestimmten Richtung festhalten will, nachdem eine primäre Handlung einmal einen bestimmten Charakter getragen hat.

Der Anspruch solcher inneren Folgerichtigkeit pflegt, wo er überhaupt vorhanden ist, um so stärker aufzutreten, je freier die Wahl des ersten Schrittes war; wenn nun dem gegenüber das Recht der Laune verteidigt wird, wenn der Wille sich in jedem Augenblick dem Wechsel äusserer Reize gemäss entwickelt, ohne seine späteren Momente irgendwie von seinen eigenen früheren abhängig zu machen, so ist dies allerdings die schärfste empirische Opposition gegen jenen metaphysischen Freiheitsbegriff, der die Freiheit auf das Ich gründet.

Denn das Ich findet sein Fundament ebenso wie seinen Ausdruck in dem Zusammenhänge und der Konsequenz seiner einzelnen Inhalte, ja die qualitative Einheitlichkeit seiner Akte gibt überhaupt erst das Recht, von einem Ich zu sprechen.

Charakterisiert sich hier die Freiheit, als Willkür anarchischer Laune, durch eine Hingebung des stetigen, an die eigenen Konsequenzen gebundenen Ich an die bunte Divergenz äusserer Einflüsse und Lockungen, so zeigt eine andere Betonung der gleichen Elemente, wieso gerade die Abwehr solcher Reizungen und äusserer Zufälligkeiten den Begriff der Freiheit erfüllt.

Der Lauf der Natur - in den wir auch die primären, unmittelbar an das Physische geknüpften Willensimpulse einreihen - folgt einer Gesetzmässigkeit, die die geradlinige Konsequenz unserer Ideen, die innerlichen Zusammenhänge unseres Sollens fortwährend durchkreuzt, sie in den mannigfaltigsten Winkeln schneidet.

Indem wir nun aber an diese Natur ursprünglich gebunden sind und sie, in ihrer Gleichgültigkeit gegen unsere Ideen, die Entwicklung biegt und bricht, die vom individuellen und idealen Standpunkt aus normal und notwendig erscheint, stellt sieh die Befreiung von ihr als Bestimmtheit nach Normen der Vernunft dar. (<160)

Die gerade, zwecksichere Tendenz, die diese statt der Zickzacklinie momentaner Verflechtungen und Reizungen innehält, fällt mit der Befreiung von der ursprünglichen Bindung durch das bloss Natürliche zusammen.

Die Vielheit und Zerfahrenheit der Natur lässt so einerseits die ideelle Einheit und Ordnung des Lebens als Freiheit erscheinen, während sie selbst andrerseits, wie wir vorher gesehen hatten, gerade gegenüber solcher teleologischen Bindung und Bestimmtheit das Bild der Freiheit darbietet.

Der Grund dieser Willkürlichkeit in der Aufteilung der Lebensgebiete an die Freiheit und die Gebundenheit liegt darin, dass die Natur und die menschliche, normative Idee gegeneinander zufällig sind, dass der innere charakterisierende Zusammenhang der einen den der anderen in keiner Weise präjudiziert und keine irgend berechenbare Funktion seiner bildet.

Die Folge davon ist, da nun einmal diese beiden Kategorien in der Betrachtung des Lebens gleichzeitig zu Worte kommen, dass man nur die innere Konsequenz je einer zu betonen und zum Massstab zu machen braucht, um die andere zufällig und gewissermassen bedeutungslos zu finden, so dass es als die eigentliche Freiheit geschätzt wird, wenn man sich der Macht entzieht, die sie über uns ausüben will.

Es ist indes verständlich, dass die philosophische Vorstellung von der Freiheit sich fast ausschliesslich für die eine Möglichkeit entscheidet und die Anarchie der Laune und des absoluten liberum arbitrium als Unfreiheit zu bezeichnen liebt: denn diese zerstört den Begriff des Ich, der sich auf die konsequente einheitliche Richtung der Willensäusserung aufbaut und seinerseits das Fundament jenes Freiheitsbegriffes bildet.

Und der tiefere psychologische Grund dieser Parteikombination und der Bindung der Freiheit an die Ichvorstellung enthüllt sich uns durch die auf das vorhin Gesagte zurückblickende Erwägung, dass die Atomisierung des Ich, die Auflösung seiner inneren Zusammenhänge durch eine um so grössere Abhängigkeit von den rein äusseren Reizungen und Bedingungen ergänzt wird. (<161)

Mit diesem Gedanken ist man von statistischer Seite dem Bedenken entgegengetreten, dass die von der Statistik angenommene Regelmässigkeit und Berechenbarkeit der Willenshandlungen die Negation der menschlichen Freiheit bedeutete.

Quételet behauptet, dass gerade die Freiheit des Willens es sei, die unsere Handlungen stetig und gleichmässig gestalte, während die natürlichen Impulse, Leidenschaften und Eindrücke denselben den buntesten, unregelmässigsten, zufälligsten Charakter zu verleihen strebten.

In welcher Lage der Weise sich auch befinden möge, er entferne sich nur wenig von dem mittleren Zustande, auf den er glaubt sich beschränken zu müssen. Nur bei den Menschen, welche dem Strom ihrer Leidenschaften sich ganz überlassen, findet man jene unvermittelten Übergänge, die treuen Reflexe aller äusseren Ursachen, welche auf sie einwirken.

So begünstige also der freie Wille den regelmässigen Ablauf der gesellschaftlichen Ereignisse statt ihn zu hemmen. Ein Volk, welches nur aus Weisen bestände, würde jährlich die konstanteste Wiederkehr derselben Tatsachen zeigen.

Daher erkläre sich, dass die unter dem Einfluss des freien Willens stehenden gesellschaftlichen Erscheinungen von Jahr zu Jahr mit grösserer Regelmässigkeit vor sich gehen, als die lediglich von materiellen Ursachen abhängigen.

Diese Deduktion mag angreifbar genug sein, vor allem, weil sie die als regelmässig festgestellten Handlungen als Produkte der Vernunft und Selbstbeherrschung darstellt, während die Statistik doch gerade die Beständigkeit und Regelmässigkeit in den durch moralische Unzulänglichkeit und Unvernunft hervorgerufenen Handlungen vor Augen führt.

Allein sie bringt doch den Gedanken zum Ausdruck, dass es angesichts der unendlichen Mannigfaltigkeit natürlicher Reizungen eines über ihnen stehenden Willens bedürfe, dessen eingreifende Korrekturen allein einen einheitlichen Zusammenhalt, ein planmässiges Fortschreiten der Handlungen erzielen könnten; das Ich zerflattert in dem Masse, in dem diese Umbiegungen und Einlenkungen der primären Impulse und Neigungen ausbleiben. (<162)

Von diesen und der Prinzipienlosigkeit ihrer Einflüsse muss der Wille frei sein, damit die zusammenhängende Bedeutung seiner Inhalte ein Ich bilde. Und umgekehrt, je weniger eine solche innere Bindung, sozusagen ein konsistenter Aggregatzustand der psychischen Inhalte statt hat, desto leichter werden von aussen einströmende Reize über uns Herr.

Je unmittelbarer Jemand dem Augenblick lebt, je "freier" von dem Zwänge innerlicher Konsequenzen, desto leichter gibt er sich dem zufälligen Eindruck gefangen, desto geringeren Widerstand vermag er den äusseren sinnlichen Mächten entgegenzusetzen.

Von Seiten der empirischen Freiheit zeigt sich dies in dem häufigen Zusammenhang zwischen Anarchie und Despotismus. Je unbedingter das Handeln dem Willen folgen kann, je weniger äussere Norm und Schranken jeden auftauchenden Impuls regulieren, desto unbedingter und haltloser gibt sich die Persönlichkeit auch dem Einfluss und der Direktive neu auftretender Gewalten hin.

Und zwar findet diese Korrelation nicht nur so statt, dass Freiheit und Despotismus sich zeitlich ablösen, sondern beide bestehen nebeneinander. Der Despotismus findet oft sein Korrelat und sogar seine Unterstützung in der vollkommensten Freiheit, ja selbst Zügellosigkeit der ihm nicht wichtigen Beziehungen der Persönlichkeiten; die Despotien der italienischen Renaissancezeit liefern dafür häufige Beispiele.

Wie die Menschen nun einmal beschaffen sind, setzt das innere liberum arbitrium indifferentiae an Stelle der konsequenten, im Ich kristallisierten Bindungen nur den Zufall wechselnden Bestimmtwerdens, während die entsprechende äussere Form der Freiheit, bei der die äusseren Verhältnisse ein unmittelbares Umsetzen des Willens in Handlungen gestatten, ganz ebenso der um so entschiedeneren Fesselung des Handelns durch Gewalten, die jenseits des eigenen Willens stehen, Tür und Tor öffnet. (<163)

Es ist dabei natürlich im Auge zu behalten, dass jener äussere Zwang, der das Handeln von dem Wollen abbiegt, immerhin auch nur auf den Willen wirkt, und dass, wenn Jemand anders handeln muss, als er will, dies nur bedeutet, dass die persönliche Neigung, der mit dem innersten Ich konforme Wille vergewaltigt wird.

Schliesslich muss doch auch das verabscheuteste, erzwungenste Handeln gewollt werden, sonst würde es nicht geschehen (vgl. Bd. 1, 8. 56).

Aller Unterschied zwischen Wollen und Handeln, auf den sich der empirische Freiheitsbegriff gründet, ist doch nur ein Unterschied zwischen zwei Willensarten: dem eigentlichen persönlichen, aus der Majorität unserer Strebungen hervorgehenden, dessen Erfüllung unser ganzes Ich befriedigt, und demjenigen, den äussere Verhältnisse provozieren, weil sein Inhalt das Mittel zu irgend welchen unvermeidlichen Zwecken bildet und dessen Erfüllung deshalb uns, d.h. die innerlicheren und wertvolleren unserer Wollungen nicht befriedigt.

Wenn wir tun, was wir nicht wollen, weil uns die Freiheit fehlt, zu tun, was wir wollen, so bedeutet dies, aus dein ungenauen populären Ausdruck auf die realen Elemente zurückgeführt, das folgende.

Es sind gewisse Ziele gegeben, die wir unbedingt erreichen, oder häufiger, gewisse Zustände, die wir unbedingt vermeiden wollen. Durch äussere Mächte, d.h. solche, über die unser Wille keine Macht hat, ist irgendwelches Tun zur unumgänglichen Bedingung dieses Erreichens bez. Vermeidens gemacht.

Jenes Tun aber hat ausser dem gewünschten Zweck noch Nebenerfolge, welche uns dasselbe unerwünscht oder schmerzlich machen, und es in Widerstreit mit wesentlichen und positiven Zielen und mit demjenigen setzen, was wir als das eigentliche, fundamentale Wollen unseres Ich empfinden.

Insoweit also wollen wir dieses Tun nicht, das wir schliesslich doch wollen. (<164) Fielen jene äusseren Umstände fort, die dieses Handeln einem Teil unserer Willensenergien aufdrängen, so würde unser Handeln sich in anderer Richtung entfalten, und zwar gemäss den nun aus dem latenten in den "freien" Zustand tretenden anderweitigen Tendenzen.

Freiheit und Unfreiheit sind also beides Willensverhältnisse, und der Unterschied zwischen ihnen kann nur als ein solcher des Quantums oder auch des Wertes gedeutet werden.

Nehmen wir die seltenen Fälle eines unmittelbar körperlichen Zwanges bez. mechanischer Hinderung aus - sie sind tatsächlich seltener als man glaubt, weil viele so bezeichnete Fälle sich bei genauerem Hinsehen doch als solche psychischen Zwanges zeigen -, so bedeutet Unfreiheit, dass die Handlung, oder Unterlassung die wir jetzt allerdings tatsächlich wollen, weil sie ein gewolltes Ziel realisiert, zugleich den meisten oder den wertvollsten Strebungen unseres Ich widerstreitet.

Freiheit dagegen findet statt, wenn keine äusseren Umstände da sind, welche ein gewolltes Ziel durch ein derartiges Tun bedingt sein lassen, und wenn infolgedessen das wirklich eintretende Tun nicht nur dieses Ziel eines partikularen Wollens mit Unterdrückung alles übrigen realisiert, sondern das für uns hauptsächliche oder wertvolle Wollen für sich allein das Handeln aus sich hervorgehen lässt.

Die populäre Vorstellungsweise hat allenthalben die Neigung, diejenigen Züge der Dinge, die bei gemeinsamer Grundlage ihre Unterscheidung bewirken, als ihre alleinigen und deshalb trennenden Qualitäten aufzufassen.

So vernachlässigt sie bei der Unfreiheit das Moment des Wollens, das in ihr steckt und ihr das gleiche positive Fundament wie der Freiheit verleiht. Es spricht für die Vermutung von der Genesis der sittlichen Freiheitsidee aus der äusseren Freiheit, dass an jener der dem eben erwähnten parallele Fehler begangen wird.

Wenn man die Freiheit in der Selbstbestimmung gegenüber der Heteronomie sucht, so vergisst man meistens, dass jene fremden, durch Autorität, Furcht, Sinnlichkeit uns gegebenen Direktiven doch auch nur durch Aufnahme in das Ich zu Willensbestimmungen werden. (<165)

Wie wir nur unsere eigenen Gedanken denken, so wollen wir schliesslich auch nur unsere eigenen Wollungen; was freilich den Inhalt des Gewollten so wenig wie den des Gedachten alteriert.

Ob die Bestimmung des -Willens also ausschliesslich vom eigenen Ich oder auch von fremden Ichs ausgeht, ist nur ein Unterschied des Grades oder des Wertes: in jenen Fällen ist nur ein umfassenderer Teil der Gesamtpersönlichkeit, ein tiefer in ihre Wurzeln hineinreichender, beim Entschluss beteiligt, in diesen lässt die Nachweisbarkeit seiner Quellen auch die psychischen Momente, die ihn tragen, als einen bloss endlichen Teil der Person überhaupt erkennen, - dem gegenüber jenes Ich der sittlichen Freiheit oder Autonomie gerade durch die empirische Unbegründbarkeit seiner Entscheidungen als ein unergründliches, mit endlichen Bestimmungen nicht zu erschöpfendes erscheint.

Daraus, dass die Unfreiheit auch einen Willen bedeutet, aber denjenigen, der nur eine Minorität von Wollungen repräsentiert, verstehen wir nun weiter - und damit lenken wir wieder in die Erörterungen des vorletzten Absatzes ein - wieso man die absolute Freiheit, die in der Luft schwebende Indifferenz so häufig gerade als Unfreiheit bezeichnet hat.

Denn diese Freiheit, die nicht einmal Autonomie, sondern nur Zufall ist, befriedigt keine irgend umfassenderen Strebungen; indem sie das einzelne Wollen von seinen historischen Zusammenhängen löst, stellt sie dasselbe ganz auf sich selbst und macht es zu einem reinen Zufall, ob noch sonstige Inhalte des Ich, ob irgend ausgedehntere Willenskreise in ihm repräsentiert sind.

Sie mündet also gerade an demselben Resultat wie die Unfreiheit, bei der es auch - entweder unmittelbar oder durch den Abzug des Widerstrebenden, positiv Nichtgewollten von dem erreichten Ziele - nur zur Befriedigung eines Bruchteils vom Wollen kommt. (<166)

Andrerseits wird aus dem gleichen Grundgedanken klar, wieso man die gültige sittliche Freiheit in eine Übereinstimmung des Wollens mit objektiven Gesetzen, Ideen oder Idealen erblicken konnte.

Denn in demjenigen, was uns als objektive Norm erscheint, ist eine grösste Zahl von Willensakten verdichtet, und durch ihre Erfüllung ist, wenn auch nicht der individuelle, so doch der soziale Wille maximal befriedigt.

Die Divergenz, die zwischen den beiden letzteren bestehen mag, findet in diesen Theorien keinen Ausdruck, sei es weil für die hier festzustellenden allgemeinen Begriffe die individuellen Differenzen verschwinden und nur das allen Gemeinsame, das sachliche oder soziale Interesse als Willenseinheit erscheint, sei es, weil die wahrste und gründlichste Befriedigung auch der Strebungen des Ich nur auf Grund ihrer Übereinstimmung mit den sozialen, logischen oder metaphysischen Forderungen erzielt würde.

Indem wir das Wesen der Freiheit für jetzt im Gegensatz zum Zufall wie zur Unfreiheit in die Realisierung der Majorität der Wollungen setzten, erscheinen es nur als zwei von verschiedenen Seiten aufgenommene Ansichten eben dieses Grundgedankens, wenn die Freiheit einerseits als Übereinstimmung des Wollens mit dem eigenen Ich, als Autonomie, andrerseits als Übereinstimmung mit den objektiven Normen oder Ideen bezeichnet wird.

Und indem beides gleichmässig von jener Wurzel abzweigt, bringt es wieder die Korrelation zwischen der Vertiefung der Individualität und der Verbreiterung des Allgemeinheitsprinzips zum Vorschein, die uns schon oft entgegengetreten ist.

Die Korrelation zwischen dem Ich und den objektiven Normen, die in ihrer beiderseitigen Beziehung zum Freiheitsbegriff zum Ausdruck kommt, motiviert sieh vielleicht noch tiefer durch folgende Überlegung.

Nach dein allgemein gültigen Begriff von Freiheit wird sie dadurch aufgehoben, dass eine einzelne Vorstellung, eine Leidenschaft oder einseitige Blendung unbedingte Herrschaft über das Seelenleben gewinnt. (167)

Wen eine einzige Vorstellung so erfüllt, dass sein Bewusstsein keinen Raum mehr für eine abweichende hat, dem fehlt das Material der Freiheit, die Mehrheit der vor dem Geiste stehenden, seiner Wahl anheim gegebenen Möglichkeiten.

Dies kann man sicher so bezeichnen, dass der Wille nicht vom Ich geleitet werde, denn das Ich besteht doch in der Synthese verschiedener Vorstellungen, es verneint die Isolierung des einzelnen psychischen Inhaltes und wächst mit der Mannigfaltigkeit derselben, die sich in den objektiven Normen maximisiert.

Weiterhin aber scheint die Aufhebung der Freiheit, die aus der Herrschaft einer Vorstellung über das Bewusstsein folgt, logisch zu ergeben, dass unsere Freiheit überhaupt nie eine vollkommene sein kann; denn in irgend einem Masse dominiert doch immer eine Vorstellung in dem Verlauf des Seelenlebens, immer hat irgend eine Tendenz die Kraft, andere ebenfalls mögliche aus dem Bewusstsein zu verdrängen.

Von hier aus ist es verständlich, wie man die Ataraxie, entweder als Gleichgewicht der Vorstellungen, oder als Entleerung von allen bestimmten Vorstellungen, zum Freiheitsideal machen konnte.

Denn in dem Augenblick, wo eine dynamische Ungleichheit zwischen den Vorstellungen eintritt, sieht das Ich sich nicht mehr einer Reihe von Möglichkeiten gegenüber, zwischen denen es mit überall gleicher Bestimmungsfreiheit entschiede, sondern es wird seinerseits durch die herrschende Vorstellung bestimmt, weil nun die Möglichkeiten seines Handelns ihm nicht mehr mit gleicher Betonung und in gleicher Distanz gegenüberstehen, sondern es in der Wahl zwischen ihnen und damit in seiner eigenen Entwicklung präjudiziert ist.

Will man nun nicht durch diese Besorgnis, vor dem Überwiegen einzelner Vorstellungen das eigentliche Ich und die Freiheit zu verlieren, sich zu dem Ideal des Quietismus und der Indifferenz treiben lassen, so scheint als Bedeutung der Freiheit nur jene Verfassung inneren Gleichgewichts übrig zu bleiben, bei der jede Vorstellung genau so viel praktischen Einfluss gewinnt, wie ihrem objektiven Inhalt und Wert angemessen ist. (<168)

Allerdings wird die schliessliche Beherrschung der Seele durch eine Vorstellung unter Zurückdrängung anderer auch hierdurch nicht aufgehoben; allein für ihr Inneres an und für sich wird so doch das bloss psychologische Übergewicht irgend einer Vorstellung ausgeschlossen.

Das Ich erscheint in sich frei und unabhängig, wenn und weil seine Entscheidungen genau nach dem logischen und sachlichen Gewicht seiner Objekte getroffen werden -- wie eine Waage nur dann richtiges Gewicht zeigt, wenn sich ihre Schalen an und für sich im absoluten Äquilibrium befinden.

Die Vergewaltigung des Seelenlebens durch eine psychologisch überwiegende, alle anderen verdunkelnde Vorstellung hat also den zweiseitigen Gegensatz: das eigentliche Ich, das in der Vielheit, Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung der Vorstellungen besteht, und die objektive Bedeutung derselben nach idealen Massstäben, die zwar auch nur vermöge psychologischer Kräfte wirksam wird, aber inhaltlich doch jenseits derselben und über ihnen steht.

Indem die Abweisung jenes einseitigen Zustandes zugleich als Freiheit empfunden wird, haben wir in dieser also den Punkt, von dem aus gesehen das Ich und die objektiven Normen gewissermassen in derselben Ebene liegen; oder anders ausgedrückt: die Freiheit als innere Unabhängigkeit von einseitig dominierenden Vorstellungen wird gleichmässig von dem getragen, was wir das Ich nennen, der umfassenden Allheit der Seeleninhalte, wie von dem Gehorsam gegen die objektiven Massstäbe, dessen Voraussetzung eben jenes Gleichgewicht der Seele ist, das jeder Forderung genau im Verhältnis ihrer Bedeutung nachgibt.

Die gleiche Vorstellung von Freiheit und Unfreiheit leitet uns zu jener empirischen Freiheit, die zur Anarchie in dem Verhältnis steht, wie die philosophische Freiheit der Autonomie zu dem Zufall des absoluten liberum arbitrium. (<169)

Freiheit, so hatten wir schon früher gesehen, muss Freiheit von etwas sein. Und zwar sind es immer nur ganz bestimmte einzelne Bindungen, deren Abwesenheit wir meinen, wenn wir jemanden frei nennen.

Ein freier Mann ist ein solcher, der etwa nicht durch Amts- oder Familienbande gefesselt ist, sondern seinen Neigungen folgen kann, aber keineswegs ist damit gesagt, dass er nicht durch die Naturgesetze und bürgerlichen Gesetze gebunden wäre;

ein freier Bürger ist ein Bürger, der nicht unter einem Tyrannen steht - aber er kann dabei etwa unter einer Konstitutionellen Regierung oder unter dem self-government stehen; man bat sogar gesagt: politisch frei sein heisse politisch gebunden sein.

Wenn wir eine bestimmt qualifizierte Persönlichkeit - einen Bürger, einen Forscher, aber auch einen Bauer, einen Arbeiter - frei nennen, so schliessen wir damit diejenigen Fesselungen aus, die diesen Ständen besonders gewöhnt oder gefährlich sind, und wenn wir den Ausdruck von einem Menschen überhaupt brauchen, so soll auch damit nicht die unbedingte Nachgiebigkeit der äusseren Bedingungen gegen jeden nur möglichen Willensakt, sondern die Ungebundenheit gegenüber sonst durchgängigen, aber doch immer endlichen, angebbaren Mächten ausgesagt sein.

Jede empirische Freiheit des Handelns lässt also, weil sie nur eine endliche Zahl von Bindungen negiert, eine andere endliche Zahl solcher bestehen, ja gerade der 'Weiterbestand dieser gibt jenen spezifischen Freiheiten erst Sinn und Möglichkeit.

Die Freiheit des Bürgers als solchen würde gar keine Bedeutung haben, wenn nicht neben ihr Bindungen beständen, die das Individuum überhaupt zum Bürger machen und auf die seine Freiheiten direkt hinweisen.

Die politische Maxime: wo eine Freiheit ist, da ist auch eine Steuer, ist der Ausdruck dieses Verhältnisses. Nach andrer Seite findet dasselbe ein Beispiel und Symbol im Sklavenrecht. (<170)

Wo Gesetz oder Herkommen ein Verhalten gegen den Sklaven ausdrücklich gestatten, und wenn es das grausamste wäre, da liegt doch immerhin schon eine Begrenzung der Freiheit dem Sklaven gegenüber vor, im Vergleich mit dem Zustand, da überhaupt nichts über ihn ausgemacht war.

Denn wenn nichts ihm gegenüber erlaubt ist, so ist auch nichts verboten. Selbst bei völligem Mangel jeder ausgesprochenen Verpflichtung gegen ihn ist doch durch das ausgesprochene Recht über ihn das darüber hinausgehende Verhalten stillschweigend untersagt und die Freiheit des Herrn begrenzt.

Derselbe Akt, der die Freiheit erteilt, setzt ihr auch die Schranke, beide entstehen als Komplementärbegriffe. Erst indem sich das Recht von einer Pflicht, die Freiheit von einem Zwänge abhebt, erhält sie ihren Charakter.

Es ist ein ganz verwandter Gedanke, wenn man betont hat, dass es vor dem Bestehen eines Rechtszustandes auch keine Willkür gegeben habe. Solange noch keine staatliche Norm Herrscher und Untertan gegeneinander verpflichtete, empfände dieser die brutalste Behandlung nicht sowohl als Willkür, denn vielmehr als Tatsache der Macht, gerade wie wir die Beschädigung durch Blitz oder Hagel nicht als Willkür, sondern als Folge einer Kraft empfinden, die jenseits von Willkür und Rechtsgesetz steht.

Nur wo schon ein Rechtsbewusstsein vorhanden wäre, würde Willkür als solche gefühlt. Dies ist also nur eine andere Wendung unserer Vorstellung, dass Freiheit nur da vorhanden ist, wo zugleich Bindung gegeben ist.

Jede Freiheit des Handelns erhält ihren qualitativen Inhalt nur durch die neben und hinter ihr bestehenden Bestimmungen, d. h. Unfreiheiten; man ist nicht frei schlechthin, sondern als Bürger, als Denker, als Arbeiter, in individuellen Verhältnissen usw. -, in jedem Falle also sind Bindungen gegeben, in Bezug auf welche der bloss negative Begriff der Freiheit erst irgend eine positive Richtung, einen bestimmten Zweck und Sinn erhalten kann. (<171)

Wenn nun dieser Begriff der bloss empirischen Freiheit des Verhältnisses zwischen Wille und äusserlichem Handeln um eine Stufe vertieft wurde, so musste sich daraus die philosophische Freiheit ergeben, die gleichfalls die Anwendung des Freiheitsbegriffes davon abhängig macht, dass innere Regeln vorhanden sind, denen man gehorche, und die die Realisierung dieses Begriffes darein setzt, dass man diesen Normen auch rein nachkomme, ohne durch einen Zwang davon abgebogen zu sein.

Der Begriff der Autonomie schon verrät es, dass sie nichts ist, als ein auf das Innere übertragenes Abbild jener durch Bindung charakterisierten Freiheit, als welche sich alle empirische, äusserliche Freiheit des Handelns bei näherem Zusehen enthüllt.

Zu der Korrelation zwischen Freiheit und Gebundenheit im Empirischen führe ich im Folgenden noch eine oben berührte Tatsache aus. Die Opposition gegen die Formen der Gesellschaft, wie der Zynismus sie übt, führt in der Regel nicht einmal für das Individuum zu derjenigen Freiheit, die es dabei im Auge bat.

Die Gesellschaft bringt ihre Formen und Pflichten zu dringlich an uns heran, als dass wir uns einfach negativ zu ihnen verhalten könnten; es bedarf vielmehr eines Kampfes, um sich von ihnen zu emanzipieren, und zwar eines Kampfes, der nach jedem Siege erneuert werden muss und meistens mehr Zeit, Gedanken und Leiden kostet, als ein billiger Vergleich mit ihnen.

Gerade an dem antiken Zynismus sieht man deutlich, wie die tendenziöse Verachtung aller anständigen Formen und Äusserlichkeiten des Lebens zu einem eigentümlichen Kultus der Formlosigkeit und Unanständigkeit führte, den ebenso beobachtet sein wollte, ebenso strenge Regeln für das Benehmen des Einzelnen aufstellte, wie die gute Sitte für die übrigen Menschen.

Und es ist kaum irgendwo ein blinderer Autoritätsglaube gezüchtet worden, als im russischen Nihilismus mit seiner Verachtung aller bisher geprägten Formen der Gesellschaft. Der Kampf gegen die beengende Sitte bringt jedenfalls Beengungen anderer Art; es gibt auch einen Kultus des Atheismus, eine Intoleranz der Toleranz, eine Tyrannei der Freiheit. (<172)

Die individualistische Freiheitslehre der französischen Revolution widersprach sich in dem Punkte, dass sie den Individuen die Freiheit, ihre Freiheit zu beschränken, beschränkte. Gerade in Rücksicht auf die liberté individuelle du travail waren bis Anfang dieses Jahrhunderts den Arbeitern Verbindungen behufs einer organisation du travail verboten.

Ein preussisches Gesetz liberaler Provenienz von 1869 lässt Verabredungen der Arbeiter zum Zweck gemeinsamen Vorgehens nicht klagbar sein, was so motiviert wurde: es sei nötig, die Freiheit des Einzelnen so zu wahren, dass sogar er selbst sich nicht, durch übereilte Entschliessungen, zu binden vermöchte.

Wie es nach unseren obigen Ausführungen der Bindungen bedarf, damit es zu einer Freiheit komme, so führt, in umgekehrter Richtung, die Freiheit von einem bestimmten Punkte an wieder zu Bindungen.

Man wird deshalb insbesondere in Bezug auf äussere Verpflichtungen wohl sagen können, dass, wie die Gesellschaft und das Verhältnis des Einzelnen zu ihr nun einmal liegt, man am freisten in ihr und von ihr ist, wenn man ihre Formen und Forderungen bis zu einem gewissen Grade erfüllt.

Auch in diesem bloss äusseren Verhältnis haben wir wieder ein Analogon, in der Erfahrung seiner wahrscheinlich einen Ursprung jenes ethischen Freiheitsbegriffes, der die Freiheit nicht in der Abwesenheit der Normen, sondern in dem von innen kommenden Gehorsam gegen sie erblickt.

Nach zwei diesen Gedanken berührenden Seiten will ich noch die Verknüpfung der Gebundenheit mit der Freiheit verfolgen, nach einer psychologischen und einer realistischen.

Neben dem Trieb zur Freiheit nämlich findet sich ein ganz positiver Trieb zu ihrem Gegenteil, zur Bindung, zum Aufgeben der Selbständigkeit. Dies erscheint zunächst als ein logischer Widerspruch, da Freiheit bedeutet, dass das Wollen seinen Ausdruck im Handeln findet, und man das Gegenteil hiervon offenbar nicht wollen kann. (<173)

Man kann doch nicht wollen, dasjenige nicht tun zu können, was man will. Dies wird erst verständlich, wenn wir, wie oben geschehen, den scheinbar kontradiktorischen Gegensatz zwischen Freiheit und Unfreiheit als einen graduellen erkennen, die Unfreiheit als ein Wollen, das sich nur unter Überwindung anderer Wollungen realisiert.

Indem das noch in der Unfreiheit liegende Willensmoment betont wird, kann es durch sein Verhältnis zu dem vorhandenen Willenswiderstand eigenartige Färbungen und Reize erhalten.

Deshalb sind es einerseits raffinierte Kontrastnaturen, die den Zwang, die Vergewaltigung gewissermassen wollüstig empfinden, sei es in der religiösen Askese, der Versklavung des Gesamt-Ich durch eine einzige Phantasievorstellung, sei es in der passivistischen Liebe, die ihre Lust in dem Misshandeltwerden durch eine andere Person findet und sich bis zum pathologischen Masochismus steigert.

Andrerseits sind es unterwertige, überhaupt schwache Seelen, die ihres Teilchens von Willenskraft vielleicht gerade an der Reibung mit den unterdrückten Gegenstrebungen bewusst und froh werden.

Für diese Vermutung spricht der Erfolg, mit dem oft von herrschsüchtigen Naturen, um namentlich schwächere Charaktere einer anderen Herrschaft zu entziehen und unter die ihre, zu bringen, die Vorstellung angewendet wird, jene befänden sich in einer unwürdigen Abhängigkeit und müssten sich davon befreien.

Als Ziel und Inhalt dieser Freiheit aber schiebt man ihnen nun die eigenen Ansichten und Absichten unter; Befreiung von einer bestimmten Bevormundung erscheint ihnen als Freiheit überhaupt.

Es wird hier wahrscheinlich durch den Wechsel der Bindungen das vorhandene Willensquantum in besonders helles Bewusstsein gerückt, und damit der Zwang, der dem Willen auch in dem neuen Verhältnis angetan wird, entsprechend tiefer hinabgedrückt. (<174)

Es verhält sich damit wie mit dem Wechsel der Vorurteile. Wie oft glauben wir, uns von allen Vorurteilen befreit zu haben und nun der Sache, wie sie an sich ist, gegenüberzustehen, während wir doch nur statt des früheren Vorurteils ein anderes eingetauscht haben, das die Subjektivität des Urteils zwar anders färbt, aber keineswegs beseitigt.

Eben diese Tendenz zur Bindung wird durch den häufig schlechten Ausgang des Unternehmens, den Menschen ihre Götter zu nehmen, bestätigt: die gewonnene Freiheit von den Göttern wird von jenen nur benutzt, um sich Götzen zu bilden. - Es trägt zu dem Reize der Unfreiheit bei, dass man sich derselben oft mit Recht oder Unrecht als einer freiwillig aufgenommenen bewusst ist.

Indem der Wille sich ungezwungen in die Bindung begibt, die, nachdem sie einmal gesetzt ist, ihm freilich keine Freiheit mehr lässt, erscheint er sich doch am letzten Ende und in letzter Instanz als frei, er ist ursprünglich Herr über seine Unfreiheit gewesen und der Reiz davon wirkt durch diese hindurch nach.

Ich erinnere hier an den studentischen Komment: indem der Student gerade auf seine "Freiheit", seine Exemtion von den Formen des philisterhaften Lebens pocht, schafft er sich im Komment freiwillig ein viel stärker bindendes, der Persönlichkeit oft den schwersten Zwang antuendes Formelwesen.

Trägt überhaupt die Freiheit, die neben oder über der Bindung noch bleibt, durch sie hindurch wirkt oder sich von ihr abhebt, zu dem Trieb zur Gebundenheit bei, so ist verständlich, wieso der letztere sich mit Vorliebe auf die mehr formalen Angelegenheiten richtet.

Mancher, der in den eigentlichen Inhalten und Hauptsachen des Lebens durchaus nach Freiheit strebt, fügt sich ohne weiteres in den Zwang der Formen und Formeln des sozialen Verkehrs.

Diese Bindung ist ein Hintergrund, von dem man die individuelle Freiheit des Wesentlichen um so tiefer und wertvoller empfindet; hier darf man wohl Goethe in seiner späteren Epoche als das klassische Beispiel nennen. (<175)

Ist dies das Verhältnis zwischen Bindung und Freiheit, zu dem kräftige und bedeutendere Naturen, neigen, so verstehen wir auch umgekehrt, wie andere gerade in der blossen Sprengung der Formel Befriedigung luden, wie sie beim Kontrast des eigenen Willens mit der Beengung der vorgeschriebenen Formen alles daransetzen, sich diesen gegenüber durchzusetzen.

Dies sind wesentlich unreife, mehr nach aussen als nach innen gewandte Naturen, die sogar meistens der Anlehnung und Bindung in den Hauptsachen bedürfen, um im Kontrast zu dieser der Freiheit im Formalen froh zu werden; daher sie denn auch, von den Schranken und Normierungen bei wesentlichen Entscheidungen befreit, sich höchst unbehaglich fühlen, und aus der Freiheit, mit der sie in diesem Umfang nichts anzufangen wissen, sich schleunigst wieder in irgend eine Bindung zurückbegeben.

Durch diese enge Korrelation von Freiheit und Bindung vermittels des Reizes, den auch die letztere erwirbt und der vielfach eine Bedingung des Reizes der ersteren ist - ebenso wie von anders gelegenem Standpunkt aus die Bindung und ihre psychischen Begleitungen auf der in ihr noch wirksamen Freiheit ruhen - wird immer deutlicher, wieso man bei dem Hinabverlegen der empirischen Freiheit in die metaphysische Willensqualität die Freiheit mit einer bestimmt qualifizierten Bindung gleichsetzen konnte.

Dieser Gedanke, den man im Empirischen häufig so ausdrückt, dass die rechte Freiheit mit der rechten Bindung identisch sei, mag einen sehr versteckten soziologischen Grund haben.

Ich habe schon öfter die in unzähligen Fällen bestätigte Formel der sozialen Entwicklung erwähnt: dass diese letztere von engen Kreisen ausgeht, die den Einzelnen streng binden, und ihn in möglichster Gleichförmigkeit mit allen Genossen der gleichen Gruppe halten; sie setzt sich dann gleichzeitig als Erweiterung des sozialen Kreises und als schärfere Ausprägung und individuellere Freiheit des Einzelnen fort. (<176)

Je grösser der Kreis ist, in dem wir stehen, desto mehr persönliche Freiheit lässt er uns; man braucht etwa nur an den Gegensatz der Lebensgestaltung in einer kleinen Stadt und in einer Weltstadt zu erinnern.

Die Pflichten allgemeinen Charakters, diejenigen, die man jetzt die sozialen nennt, die nationalen, die humanen, die also der Zugehörigkeit zu einem grossen Kreise entspringen, lassen uns doch in ihrer spezifischen Realisierung, in der Wahl unter ihren Inhalten und Bedeutungen eine sehr viel grössere Freiheit, als etwa die familiären oder beruflichen, die die engere Umgebung uns auferlegt.

Da nun die Kulturtendenz tatsächlich darauf geht, die Kreise unserer Interessen wie unserer Pflichten durch immer ausgedehntere zu ersetzen, und da der Bindung durch und an diese eine immer gewachsene persönliche Freiheit entspricht, so mag sich dies wohl in der Vorstellung kristallisieren, dass die letztere mit jener bestimmten Bindung zusammenfalle, um so mehr, als gerade diese durch die Fülle mitwirkender Anregungen, durch die Weite der Anknüpfungen und Ausblicke einen besonderen Reiz entfaltet.

Diese soziologische Beziehung wirft zunächst wiederum ein Licht auf den Konnex zwischen dem Ich und der Freiheit. Die Erweiterung der gesellschaftlichen Kreise, die uns umschliessen, wirkt ebenso auf schärfere Individualisierung, prägnantere Eigenart des einzelnen Mitgliedes in dem ganzen Umfang seines Wesens hin, wie auf grössere Freiheit seiner Bewegungen.

Die Steigerungen dessen, was man im empirischen Sinne seine Persönlichkeit und dessen, was man Freiheit nennt, stehen in Wechselwirkung; vielleicht ist die Vergrösserung der sozialen Beziehungskreise der vermittelnde Vorgang, der beides aneinander bindet: der grössere Kreis verursacht vermöge der Steigerung der Konkurrenz und der Anregungen eine grössere Differenzierung und Individualisierung der Einzelnen, und gibt ihnen andrerseits dadurch grössere Freiheit, dass die sozialen Zentralgewalten in ihm ihren Zwang immer mehr auf die allgemeinsten Angelegenheiten beschränken und auf die Bevormundung der speziellen und privaten Verhältnisse verzichten. (<177)

Endlich aber bringt uns dieser Zusammenhang auch den Reiz näher, der an gewissen Bindungen haftet. Bindungen der allgemeinsten Art, Hingebung an den weitesten Kreis und Verpflichtungen gegen ihn bilden gerade das Korrelat der Befreiung von den engen, kleinlichen Verhältnissen, von dem äusseren und inneren Zwang, mit dem die Befangenheit eingeschränkter Interessenkreise uns lähmt.

Die Bindung an jene erlöst uns von der Bindung an diese und umkleidet sich so mit dem Reize der Freiheit. Die zweite hier zu erörternde, die Korrelation von Freiheit und Gebundenheit tragende Tatsachenreihe, knüpft sich an das schon berührte Verhältnis: dass selbst die Komplexe von Bindungen, in die wir verflochten sind, an ihrem Anfangsgliede oft von freien Taten ausgehen, dass, selbst wenn wir beim Zweiten Knechte sind, das Erste uns freigestanden habe.

Hier finden nun. die ethisch bedeutungsvollsten Komplikationen zwischen der empirischen Willensfreiheit und dem Zwänge der Dinge statt, Komplikationen, an deren Schilderung die Ethik freilich vorüberzugehen pflegt; die Einheit und Einfachheit des Prinzips, an dem zu münden die meisten Ethiker sich für verpflichtet halten, weist sie an das Material der einfacheren, mehr elementaren ethischen Vorgänge; das Vorurteil einer wissenschaftlichen

Bureaukratie, dass in dem einzelnen System nun auch jedes berührte Faktum seine zulängliche Erklärung finden müsste, lässt sie jenen feinen, aus unzähligen sozusagen mikroskopischen Elementen zusammengewebten Problemen aus dem Wege gehen, bei denen das Zugeständnis unvermeidlich ist, dass die Wissenschaft sie noch nicht analysieren und erklären, sondern höchstens ihrer Erscheinung nach beschreiben kann. (<178)

Eine derartige schwer entwirrbare Verflechtung zeigen uns manche Verhältnisse, in denen wir stehen, ohne selbst mehr als den ersten und kleinsten Schritt zu ihnen getan zu haben, die sich aber durch ihr eigenes Schwergewicht zu engen Beziehungen und strengen Verpflichtungen ausbilden; auf einmal fühlen wir, dass uns ein Netz über das Haupt' geworfen ist, aber wir können eigentlich nicht sagen, ob irgend eine Absicht irgend eines Menschen es gesponnen hat.

Aber was man nun auch tun mag, das in irgend einer Berührung mit jenem Personen- oder Interessenkreise steht, und wenn es das Äusserlichste, Harmloseste, dem Inhalte jener Beziehungen Fremdeste ist - es fällt auch noch in jene Waagschale, verstärkt jene einmal herrschende Tendenz, den Druck der Atmosphäre, der uns nach der bestimmten Seite schiebt und nicht mehr aus seiner Macht und Richtung herauslässt.

Als eines der psychologischen Momente dieser Erscheinung erwähne ich nur das folgende. Wenn eine bestimmte Meinung über eine Persönlichkeit Platz gegriffen hat, die das Bewusstsein über sie sehr beherrscht, so wird jede Erwähnung dieser Persönlichkeit überhaupt, auch nach Seiten hin, die mit jener Meinung über sie nichts zu tun haben, doch psychologisch eine Stärkung und Festigung eben jener Meinung zur Folge haben; denn die blosse Erwähnung reproduziert das mit der Persönlichkeit verbundene Charakterbild.

Sobald die Beziehungen zwischen uns und anderen Menschen oder Verhältnissen einmal einen bestimmten Charakter angenommen haben, so führt das blosse Weiterbestehen der Beziehung, die blosse gelegentliche Reproduktion der Tatsache, dass überhaupt irgend eine Beziehung zwischen uns und jenen besteht, auch schon zu einer Stärkung ihres Charakters oder wenigstens zu einer befestigten Vorstellung von ihm.

Denn die psychologische Reproduktion, die durch seine Assoziation mit der Tatsache jener Beziehung bewirkt wird, bringt eine Summierung und Ausbreitung seiner über immer weitere Bewusstseinsprovinzen mit sich.

Dies verzweigt sich in das schwierige Problem von der psychologischen Macht der blossen Wiederholung. (<179) - Häufige Beispiele für derartige Steigerungen von Verhältnissen geben die Beziehungen zwischen den Geschlechtern.

Die leichteste z. B. von dem Manne ausgebende Anknüpfung wird oft von der anderen Seite gewissermassen in einem Vergrösserungsspiegel aufgefangen und in einer Weise entgegengenommen und weitergeführt, der sich jener dann so wenig entziehen kann, als wäre diese Vertiefung und Ernsthaftigkeit der Beziehungen von vornherein seine Absicht gewesen.

Und dieser persönlichen Reaktion bedarf es oft sogar nicht, um die Folge des ursprünglichen Tuns ganz ausser Proportion zu der Absicht desselben zu setzen; dazu genügt der umgebende gesellschaftliche Kreis, der oft die minimalsten Beziehungen zweier Personen aufnimmt und gewissermassen einen Druck um sie herum herstellt, der sie einander entgegentreibt und das, was ursprünglich frei getan wurde, in eine unvergleichlich umfassendere Bindung überführt.

Und nicht einmal so viel Zutat persönlichen Willens, wie der gesellschaftliche Druck ihn bietet, ist erforderlich, um aus der ursprünglich freien Handlung eine Kette unverhältnismässiger Bindungen erwachsen zu lassen.

Jene verpflichtenden Konsequenzen vielmehr, die die äusseren Verhältnisse in der erwähnten wie in vielen anderen Beziehungen an die Freiheit des ersten Tuns knüpfen, können sich verinnerlichen und nun, selbst unter Wegfall aller äusseren drängenden Kräfte, uns von innen heraus in einer Weise fesseln, die weder an Festigkeit noch an Unerwartetheit den äusserlich veranlassten Bindungen etwas nachgibt.

Die verpflichtenden Kräfte, die durch die erste freie Tat entfesselt werden, machen sieh in zweierlei Richtung geltend: durch Fixierung und durch Steigerung der Situation.

Wenn wir uns eine gewisse Stellung unserem Willen und unseren Kräften entsprechend einmal geschaffen haben, so hält sie uns fest; und zwar zunächst äusserlich, weil wir uns damit zwischen determinierende Grenzen begeben haben, zwischen die wir nun eingeklemmt sind; das Rad führt uns mit herum, nachdem wir einmal eine seiner Speichen geworden sind. (<180)

Ebenso wesentlich aber ist ein innerlicheres Moment: der Druck, den die Meinung der Umgebung auf uns ausübt; sie stellt uns eben als in dieser bestimmten Lage befindlich vor und dies zwingt uns tatsächlich, in ihr zu bleiben.

Wir werden auch von innen heraus in der Vorstellung fixiert, die die Allgemeinheit von uns hegt, nachdem wir ihr erst einmal Gelegenheit zur Bildung derselben gegeben haben. Die äussere Gestaltung der Dinge und Mächte, die wir unabhängig von uns vorfinden, gewährt doch meistens unserem Willen an irgend einem Zeitpunkte im Lauf des Lebens den Raum. eine Stellung, eine Tendenz zu wählen.

Haben wir sie aber einmal gewählt, so ist das Mass von Freiheit, das in der Organisation des Ganzen auf den Einzelnen kommt, erschöpft, die Tore, in die er freiwillig eingetreten ist, schliessen sich hinter ihm, und indem sich das Ganze auf das neue, an dieser Stelle eingerückte Mitglied einrichtet, verlangt es von diesem auch, dass es sich seinerseits an das Ganze anpasse und die Stelle nicht wieder verlasse, in der man auf ihn rechnet.

So bildet die Freiheit des Anfangs mit der Unfreiheit der Fortsetzung ein untrennbares Ganzes der Lebensgestaltung - ein Verhältnis, das sich dann in den kleineren und flüchtigeren Beziehungen des Jahres und des Tages wiederholt.

Wenn nun mit der Zeit der Wille seine Richtung ändert und begreiflicherweise die Linie der Wünsche immer weiter von der ursprünglich ergriffenen Direktive abbiegt, so wird die Unveränderlichkeit der letzteren als wachsende Divergenz des äusseren Schicksals, an das man gebunden ist, von dem inneren empfunden und zwar leicht als eine solche, an der jenes äussere die Schuld trägt. (<181)

Wie es bei räumlichen Bewegungen vorkommt, dass wir nicht wissen, ob wir selbst uns bewegen, oder ein Objekt, das vor unseren Augen bewegt erscheint, so tritt hier ein entsprechende Täuschung ein: während die Situation beharrt, erscheint sie verändert, weil wir selbst uns ändern.

Und hier berührt sich die Form der Fixierung, in die die äusseren Mächte die Entscheidungen unserer Freiheit fassen, mit der Form der Steigerung, die diesen von jenen kommt und die oben schon in einem Beispiel angedeutet wurde.

Die Elemente, aus denen unsere Verhältnisse bestehen, sind ausserordentlich oft so gelagert, dass ein Anstoss nach bestimmter Richtung allmählich immer mehr latente Kräfte frei macht.

Nachdem einmal ein erster Impuls erfolgt ist, bedarf es keines weiteren, die Bewegung entwickelt sich in der gegebenen Direktion mit wachsender Intensität; die primäre Tat des Individuums wirkt als eine objektive Kraft, die von den Verhältnissen aufgenommen und weitergebildet wird, völlig unabhängig von der subjektiven Absicht und namentlich oft ausser Proportion mit dem Masse sittlichen Verdienstes oder sittlicher Schuld, das in jenem ersten Anstoss enthalten war.

So bemerken wir in dem Verhältnis mehrerer Einzelner oder Kollektiv-Individuen durchgehendes, dass ein irgendwie erlangtes Übergewicht des Einen sich gleichsam von selbst steigert und zu einer Macht führt, die ihm die Verhältnisse, weit über die unmittelbare Wirkung seines eigenen Tuns hinaus in den Schooss werfen.

Hier ist das nächstliegende Beispiel die moderne Kapitalbildung. Ist erst einmal durch subjektiven Aufwand von Begabung und Fleiss oder von Gewissenlosigkeit und Spekulation ein gewisses Mass von Kapital erworben, so vermehrt sich dasselbe weiterhin in einer Weise, die gar kein Verhältnis mehr mit jener ursprünglichen Tätigkeit des Besitzers hat.

Politische Hegemonien, die der adäquate Ausdruck des Vorzugs eines primus inter pares sind, pflegen sich zu direkten Herrschaftsverhältnissen zuzuspitzen, weil jener erste Vorzug die Möglichkeit gibt, die durch die Entwicklung der Verhältnisse sich darbietenden Vorteile voll auszunutzen –eine Chance, deren Konsequenzen oft weit über das Mass von Kraft oder Verdienst hinausgehen, dem sie überhaupt entsprungen ist. (<182)

Das Sprichwort: "Wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu" findet allenthalben seine Anwendung. Es bestehen eben in den Dingen selbst vielfache Verbindungen, so dass demjenigen, der über eines die Herrschaft gewinnt, zugleich die über vieles mit diesem Verbundene zuwächst, während seine Kraft und vielleicht seine Absicht nur auf das erstere ging.

Diese glückliche Kombination indessen, in der die äusseren Mächte die Leistung unserer Freiheit genau in der Richtung unserer Absicht ergänzen, ist offenbar der seltenere Fall.

Meistens werden die äusseren Ereignisse, nachdem wir den ersten Anstoss zu ihrer Entwicklung gegeben haben, keineswegs die Richtung dieses gradlinig fortsetzen, sondern sich an irgend ein einzelnes Element, irgend einen Seitenerfolg desselben heften, und uns so in Verhältnisse einspinnen, deren Entstehung freilich, aber nicht deren Art und Grad wir veranlasst haben.

Dies hat nun sehr mannigfaltige und oft tragische Folgen für das Menschenschicksal. Wir wissen uns wohl für die nächsten Folgen unseres Tuns verantwortlich. So weit wir die ursächliche Verkettung der Dinge überschauen, gelten die Folgen unserer Taten als unsere Taten selbst, die ihnen eigene Gesetzmässigkeit erscheint dem Willen gegenüber nicht als schlechthin Äusseres, durch Einbeziehung in unser Wissen und Willen werden sie gewissermassen zu Ausstrahlungen unseres Ich. Allein diese Voraussicht pflegt nicht sehr weit zu reichen.

Unsere Taten, selbst die unscheinbarsten, entwickeln im Zusammenschlage mit dem Lauf der äusseren Ereignisse unberechenbare Komplikationen, für die wir uns vielleicht vor unserem Gewissen nicht mehr verantwortlich fühlen, für die uns aber sozusagen das Schicksal verantwortlich macht, indem es aus ihnen die Gesamtsituationen zusammenwebt, die uns als objektive Mächte umschliessen und unser künftiges Handeln unweigerlich bestimmen. (<183)

Die Freiheit des ersten Tuns schafft durch ihre äusseren Wirkungen die Bedingungen des nun unfreien weiteren, und zwar sehr oft so, dass irgend eins einzelne Moment von den äusseren Mächten aufgegriffen, verstärkt, zugespitzt wird.

Das praktische Problem, das uns dabei nicht zur Ruhe kommen lässt, ist die ausserordentliche Ungleichmässigkeit, die unberechenbare Zufälligkeit, mit der diese Gestaltung der zwingenden Situation aus der primären Freiheit heraus erfolgt.

Aus der genau gleichen Absicht, dem genau gleichen Tun entwickeln sich die allerverschiedensten Folgen, je nach dem zufälligen Verhältnis zwischen den von uns abhängigen und den unabhängigen Momenten; und diese Folgen schaffen mit bestimmender Rückwirkung auf uns die Bahnen künftiger Betätigung, deren Zwang selbst durch eine neue Aufrufung unserer Freiheit nicht beseitigt werden kann.

Denn angenommen selbst, diese Freiheit existierte - wie sie denn im empirischen Verstande tatsächlich existiert und ihre Betätigung nur davon abhängt, was man für sie aufzuopfern willens ist - so würde sie dennoch mit den einmal geschaffenen Bedingungen zu ringen haben, jedenfalls von ihnen aus der Richtung gebogen werden, die sie ganz ohne Vorhandensein derselben eingehalten hätte.

Selbst durch ein immer neues Einsetzen der Freiheit sind die Schicksalsbedingungen und Präjudizierungen nicht einfach ungeschehen zu machen, zu denen äussere Mächte die Momente unseres früheren Handelns fortgebildet haben.

So befinden wir uns denn mit unserer Persönlichkeit in einer eigentümlichen Mittelstellung zwischen Freiheit und Gebundenheit. Unsere Freiheit entfesselt Kräfte, über die sie nicht mehr Herr ist, sie ruft Geister, die sie nicht mehr los wird.

Und so den Lauf unseres Lebens zurückverfolgend, jeden Augenblick erkennend als durch Momente bestimmt, die aus früherer Freiheitstat durch die Verhältnisse entwickelt worden sind, diese früheren selbst aber (<184) wieder auflösend in ein Produkt voranliegender Freiheit und unberechenbarer Einflüsse - münden wir schliesslich rein logisch an einem einzigen letzten Punkt, an dem die wirkliche noch unbeeinflusste Freiheit - sozusagen naturans, nicht naturata - hafte.

Aus diesen Verhältnissen der empirischen Freiheit, aus dieser Abhängigkeit des späteren Handelns vom früheren, dessen Momente die Schicksalsmächte entweder fixiert oder weitergebildet haben, wird uns die Lehre von der intelligiblen Tat, von dem einmaligen freien Ergreifen des Charakters verständlich.

Diese Vorstellung, zu der man sich zur Rettung der Freiheit bewogen sah: dass der Mensch ein für allemal durch eine freie, übersinnliche Tat sein sittliches Wesen bestimme, von dem dann alles weitere empirische Handeln nur naturgesetzliche Erscheinung, unabänderliche Folge sei - diese Lehre ist wohl eine metaphysische Symbolisierung jenes erfahrungsmässigen Schicksals, das jeden Verlauf unseres Handelns zum Sklaven seines Anfangs macht, das die Freiheit des Tuns sofort in die Unfreiheit äusserer Mächte verflicht, und im Ganzen wie im Einzelnen der Freiheit nur den allerersten Punkt des Beginnes überlässt.

So erscheint es auch nach dieser Richtung hin gestattet, die metaphysische Freiheitsvorstellung als blosse Vertiefung der empirischen zu verstehen, als Verlegung der Verhältnisse dieser in die tiefere Region des Ich hinein. Endlich ist die folgende Überlegung in gleichem Sinne zu verwerten.

Für die Scheidung zwischen den freien und den unfreien Handlungen des Menschen ist der Unterschied zwischen den hauptsächlichen, durchgehenden Zügen des Lebens und den wechselnden Einzelheiten des Tages herangezogen worden.

Goethe meint einmal, in ganz gemeinen Dingen hinge viel von Wahl und Willen ab, das Höchste indes käme uns aus Regionen, in die unser Vorstellen überhaupt nicht hineinreicht, und vielleicht in der gleichen Tendenz spricht Giordano Bruno, wie ich schon anführte, dem Menschen zwar Freiheit, Gott aber Notwendigkeit zu.

Überblicken wir das Ganze einer Laufbahn, so scheint eine gewisse einheitliche Tendenz hindurchzugehen. (<185) Die Gesamtheit der Betätigungen des Individuums spielt eine notwendige Rolle in dem gesellschaftlichen Milieu, und die Einzelheiten seines Lebens scheinen in aller ihrer Buntheit und Mannigfaltigkeit doch nur die Träger jener grossen schicksalsmässigen Notwendigkeit des Ganzen zu sein, ungefähr wie sich die Schwingungen der Ätherteilchen im unpolarisierten Lichtstrahl zu der Richtung desselben verhalten.

Jede einzelne Entscheidung, für sich angesehen, gibt der Laune und dem Schwanken zwischen ja und nein beliebigen Raum; in eine überschauende Betrachtung gefasst, spielen alle jene Zufälligkeiten nur mit sehr begrenzter Latitude um die fortschreitende Tendenz des Ganzen, das nun als solches eine Notwendigkeit besitzt und auf seine Elemente ausstrahlt, von der die isolierte Anschauung der letzteren nichts enthielt.

Diese Vorstellung wiederholt sich sehr genau in einer Betrachtung, die man über das Verhältnis historischer Gesamtbewegungen zu ihren individuellen Trägern angestellt hat, und zwar in zwei Formen, von denen man die eine als die teleologische, die andere als die statistisch-soziale bezeichnen kann.

Wer dem göttlichen Willen, so hat man die erstere ausgedrückt, nach seinem Wissen und Willen widerstrebt, der dient ihm ohne sein Wissen und Willen. Dies wieder kann man sich in doppelter Weise denken, wenn man von jenen roheren Formen absieht, bei denen es auf dem Umwege über abschwächende Worte doch nur auf eine wirkliche Bindung des Willens hinauskommt.

Die Freiheit der Einzelnen könnte nämlich selbst ein Teil des Weltplanes sein; den Inhalt des individuellen Tuns brauchte dieser nicht zu präformieren. Er brauchte nichts darüber zu bestimmen, ob der Einzelne so oder anders handle, sondern er bestimmt gerade, dass jedem die Möglichkeit der Entscheidung freigegeben werde. (<186)

Die Freiheit ist demnach selbst ein notwendiges Glied des Ganzen, sie ruht nicht auf sich selbst, sondern auf ihrer Zugehörigkeit zu der Idee und dem Zweck des Ganzen; es lässt sich sehr wohl ein Weltzweck denken, dem nicht die Bestimmtheit der einzelnen Handlung, sondern die Freiheit in der Weise dient, dass es ihm ganz irrelevant ist, ob sie sich für diese oder jene konkrete Handlung entscheidet - ungefähr wie dem Zwecke des Staates die Freiheit der Bürger dient, selbst um den Preis, dass ihre Handlungen ganz ohne persönliche Rücksicht auf den Staatszweck geschehen.

Die zweite Möglichkeit ist die, dass die Handlung des Einzelnen einfach als Tatsächlichkeit dem Weltzweck dient, ohne dass dieser als reale Macht jene bestimmt hat.

Bei der menschlichen Teleologie wird die Vorstellung des Zweckes zur Ursache des Handelns, und wenn man sich wie gewöhnlich die Zweckmässigkeit des Weltganzen in dieser anthropomorphen Weise denkt, so ist die Freiheit des Individuums nicht damit zu vereinigen; denn mag die Bestimmung seiner einzelnen Handlung durch einen bewussten oder einen unbewussten Willen, durch materielle ,oder sonstige Kausalität geschehen, sobald sie eben von vornherein nur so und nicht anders, als es zu dem vorgezeichneten Weltplan passt, geschehen kann, so ist sie unfrei.

Man kann aber, wo nicht menschliches Handeln in Frage steht, darauf verzichten, den Endzweck, dem das Geschehen dient, als bewegende Kraft vor das Geschehen selbst zu setzen. Die Weltordnung oder der Weltzweck mag sich vielmehr aus dem blossen Zusammenkommen der einzelnen Handlungen herstellen, ohne dass er selbst eine reale Kraft zur Leitung dieser einzusetzen hätte.

Dass die Freiheit zu diesem Resultat führt, wäre dann freilich sozusagen zufällig, allein dies würde die Tatsache selbst nicht aufheben, wenn etwa Beobachtung, Spekulation, ethisches Bedürfnis sie als vorhanden zeigte. (<187)

Wie mehrere Elemente des Geschehens, die nicht durch zweckmässige menschliche Bemühung zusammengeführt sind, dennoch manchmal in einer Weise zusammenkommen, die einen menschlichen Zweck verwirklicht, so könnte man sich im Grossen das Verhältnis der menschlichen Handlungen zum Weltzweck denken; jede derselben für sieh betrachtet, ist nicht durch eine auf den letzteren hinzielende Kraft provoziert, kann also frei sein; alle insgesamt dagegen realisieren durch ihr Zusammentreffen eine ideelle Ordnung, einen letzten allgemeinen Zweck der Welt.

Die zweite Möglichkeit, die Gesetzlichkeit des Ganzen mit der Freiheit des Einzelnen zu vereinigen, entstammt der Beobachtung sozialer Erscheinungen, und zwar auch ihrerseits in zweierlei Formen.

Die sogenannten moralstatistischen Gesetze wollen das konstante Verhältnis zwischen der Anzahl zusammenlebender Menschen und der Anzahl unter ihnen vorkommender Erscheinungen des sittlichen Lebens feststellen. Ihre Voraussetzung einerseits, ihre Behauptung andrerseits ist, dass eine derartige Konstanz überhaupt stattfindet, d.h. dass eine gegebene Anzahl von Menschen ceteris paribus immer die gleiche Anzahl von Morden und Selbstmorden, Eheschliessungen und Scheidungen, Diebstählen und unehelichen Geburten usw. produziere.

Ohne also die Freiheit des Einzelnen durch die Bestimmung zu vernichten, dass gerade er die bestimmte sittliche oder unsittliche Tat vollbringe, behauptet die Statistik doch, dass das Ganze, dem er angehört, gesetzmassig und ohne einer Freiheit zur Abweichung Raum zu lassen, ein prädestiniertes Quantum sittlich bestimmter Taten vollbringe.

Der Einzelne hat volle Freiheit, von dem so ermittelten Durchschnitt sittlichen Verhaltens nach oben und nach unten beliebig weit abzuweichen; indem man aber alles zusammennimmt, gleichen sich diese Schwingungen aus, und die Verschiedenheit der Reaktion, mit der die Freiheit des Individuums auf die gleiche äussere Bedingung antwortet, macht, wenn man nur hinreichend grosse Gruppen betrachtet, einem immer gleichen -Durchschnitt der Handlungen Platz. (<188)

Von den vielen Schwierigkeiten dieser Vereinigung individueller Freiheit mit sozialer Notwendigkeit sind für den augenblicklichen Zweck nur die beiden folgenden hervorzuheben.

Wenn es wirklich ein Naturgesetz ist, dass innerhalb einer gewissen Menschenzahl h und eines gewissen Zeitraumes sich f Verbrecher einer bestimmten Qualität finden, so begegnet die vorgebliche Freiheit jedes Individuums, einer von diesen Verbrechern zu werden oder nicht, doch der folgenden Begrenzung.

Bestände diese Freiheit, so könnten vermittels ihrer h-f Personen sich vom Verbrechen freihalten. Tun sie das aber, so sind die übrig bleibenden f Individuen offenbar nicht mehr frei, ebendasselbe zu tun, sondern jenes Gesetz muss, um nicht unerfüllt zu bleiben, die übrigen f Personen, welche bis dahin sozusagen noch nicht optiert haben, zu der Entscheidung zwingen, Verbrecher zu werden.

Die Notwendigkeit der Lebensäusserung v, die dem Ganzen zugesprochen wird, lässt also dem Einzelnen nur so lange Freiheit, bis die von der numerischen Bestimmtheit des Gesetzes freigelassene Zahl der Gruppenmitglieder (h-f) von der Freiheit, sich für das Gegenteil von v zu entscheiden, Gebrauch gemacht hat.

Nehmen wir den Grenzfall eines solchen Gesetzes an, dass nämlich f = h wäre, so bliebe keinem einzigen Individuum die Freiheit, sich anders als für v zu entscheiden. Ist also einmal jene, auf das Ganze bezügliche Notwendigkeit gegeben, so bedeutet die Freiheit des Individuums nur, dass das Wissen noch nicht verfeinert genug ist, um dasjenige Verhältnis jedes Teiles zu bestimmen, dessen Notwendigkeit durch die Notwendigkeit des Gesamtverhaltens involviert ist.

So wissen wir mit annähernder Sicherheit, wie ein Gewächs von einer gewissen Periode seines Wachstums an sich weiter entwickeln wird, ohne dass wir doch schon die einzelnen Zellen bestimmen könnten, die die Träger dieser Entwicklung sind. (<189)

Und indem man einerseits die Notwendigkeit der Gesamtentwicklung, andrerseits die Mannigfaltigkeit der Funktionen im Auge hat, mit denen die Masse der Zellen jener Entwicklung entweder dient, oder auch abgestossen, steril oder hybrid geworden, sich ihr entzieht -- könnte man dies Verhältnis mit nicht geringerem Rechte als in (]ein menschlichen Falle als eine Freiheit der Zellen bezeichnen; die Gesetzmässigkeit des Ganzen rein als solchen lässt es eben ganz offen, ob die durch jene Gesetzmässigkeit geforderte Leistung von dieser oder von jener Zelle übernommen wird.

Dennoch würde offenbar das Ganze sich nicht in notwendiger Weise entwickeln, wenn nicht jedes einzelne Partikelchen eben dasselbe täte, und die Freiheit dieses letzteren bedeutet nur, dass es für unser Erkennen, wenn es sich auf den Standpunkt des Ganzen stellt, gleichgültig ist, welche einzelnen Teile des Ganzen es sind, die dessen notwendige Schicksale tragen.

An diesen Punkt lässt sich übrigens eine Bestätigung unserer Grundvoraussetzung knüpfen, dass die Frage nach der inneren Freiheit und ihre Beantwortung aus einer Übertragung des Charakters äusserer Handlungserfolge auf ihre innerliche Vorstufe entspringt.

Wenn die statistischen Gesetze gewisse Ereignisse als notwendig erweisen, ohne doch dem bestimmten Einzelnen die Notwendigkeit aufzuerlegen, dass gerade er diese gesetzliche Forderung verwirkliche, so entspricht dies jenem allgemeineren Standpunkt, auf dem der Einzelne sich sagt: es: ist ganz gleichgültig, ob ich handle oder nicht, das Notwendige geschieht ja doch, die äusseren überwältigenden Mächte lassen die Ereignisse in einer Bahn abrollen, aus der sie mein Tun oder Lassen auch nicht um eines Haares Breite verrücken kann.

In solchen Reflexionen sprechen sich unzählige Erfahrungen des äusseren Laufes der Dinge aus. Und von ihnen führt ein einfacher Schluss eine Stufe tiefer hinab zu der Überzeugung von der Unfreiheit des Willens. (<190)

Denn seine Einflusslosigkeit gegenüber dem, was doch so wie so geschieht, bedeutet eben das Fehlen jener Kraft, in deren Anwendung und Dirigierung sich eine vorhandene Freiheit zeigen könnte.

Die statistisch-fatalistische Überzeugung, dass sich die Schicksale des Ganzen vollziehen, gleichgültig gegen die Mitwirkung eines bestimmten Einzelnen, schlägt die Innenseite des Willens mit derselben Nichtigkeit, die seine äusseren Erfolge bezeichnet.

Diese letztere hat sowohl logischer wie psychologischer Weise den Mangel eines innerlich wirksamen Ich zur Konsequenz. die Wirkungslosigkeit des Erfolges vertieft sich zur Wirkungslosigkeit der tiefer gelegenen Ursache; es liegt keine Veranlassung vor, in dieser eine spontane Kraft, die Freiheit, vorauszusetzen, wenn das Weiterwirken derselben doch nur ins Nichts verläuft.

So beweist denn dieser Zusammenhang zwischen der äusseren Irrelevanz des individuellen Tuns und dem Mangel innerer Freiheit ebendasselbe, was sich in dem Zusammenhänge der positiven äusseren Erfolge mit der Annahme der Willensfreiheit gezeigt hatte.

- Weiterhin lässt sich die statistische Vereinigung von allgemeiner Notwendigkeit und individueller Freiheit durch folgende Überlegung über sich selbst hinausführen.

Die Regelmässigkeit der Erscheinungen, die das statistische Gesetz aussagt, tritt erst hervor, sobald ein hinreichend grosser Kreis in Rechnung gezogen wird.

Von dem Durchschnitt, den jenes ermittelt, weicht der Einzelne weit ab, und erst in einer sehr grossen Anzahl von Einzelnen gleichen sich diese verschieden gerichteten Extreme aus; beobachteten wir etwa nur einen kleinen Kreis, so würde sich das fragliche Verhältnis nach der einen oder der anderen Seite hin verzerrt darstellen, es würde nicht auf jeden numerisch gleichen Kreis anwendbar sein, wird dies vielmehr erst bei einer bestimmten Ausdehnung desselben.

Nun ist es aber offenbar für den Einzelnen - wenn wir von hier nicht mitsprechenden psychologischen Einflüssen absehen - ganz irrelevant, welche und wie viele Handlungen Anderer neben ihm die seinige ergänzen oder auch ihr gleichen.

Das Gesetz, dem die Statistik ihn unterordnet, liegt nicht in ihm, sondern nur in dem Geiste des Beobachters, der ihn mit so und so vielen Anderen zusammenbringt; das statistische Gesetz ist also eine subjektive Synthese, und das Individuum in seiner Realität ist ihm fremd, ist frei von ihm.

Allein dieser Charakter des statistischen Gesetzes, als einer von den realen Einzelvorgängen gesonderten, wenn auch auf ihnen aufgebauten Fiktion ändert sich, sobald wir den sozialen Kreis, von dem es gilt, nicht als blosse Summe von Individuen betrachten, deren Verschiedenheiten sich für die Rechnung gegenseitig paralysieren.

Stellen wir ihn statt dessen als eine Einheit vor, deren innere Beziehungen ihre Kräfte im Verhältnis der Teilnehmerzahl entwickeln, so kann eine reale, ursächliche Beziehung zwischen derjenigen Menschenzahl, deren es zur Aufstellung des Gesetzes bedurfte, und der Zahl der von diesem ausgesagten regelmassigen Vorkommnisse in ihr bestehen.

Dann bedarf es der Zusammenfassung jener bestimmten grossen Zahl nicht nur um die Verschiedenheit der Erscheinungen über und unter dem Durchschnitt sich für die Erkenntnis ausgleichen zu lassen, sondern weil erst diese Zahl, in einer einheitlichen Gruppe wechselwirkender Glieder vereinigt, die tatsächlichen Bedingungen für die festgestellte Häufigkeit des fraglichen Vorkommnisses darbietet.

Wird die Statistik nur als Rechenmethode angewendet, so bedarf es einer gewissen Grösse des Beobachtungskreises , weil die "Freiheit" der Einzelnen so starke Schwankungen um den Durchschnitt herum ausführt, dass dieselben erst bei einer sehr grossen zusammen betrachteten Anzahl sich ausgleichen und der Durchschnitt, das "Gesetz", sieh herausstellt.

Wenn man also z. B. festgestellt hat, dass auf je 100000 Personen eines Volkes in Selbstmorde kommen, so kann man daraufhin noch nicht behaupten, dass unter jeden 1000 Personen m/100 Selbstmorde geschehen; denn vermöge der Freiheit der Einzelnen werden auf das eine herausgegriffene Tausend vielleicht viel mehr oder viel weniger als m/100 kommen. (<192)

Fassen wir aber die Erscheinungen wie angedeutet sozialrealistisch, so werden wir sagen: erst 100000 zusammenlebende Menschen schaffen diejenigen sozialen Bedingungen - der Konkurrenz, der Unterdrückung, der Glücksgegensätze -, welche im Zusammenschlage mit den persönlichen, den Selbstmord berührenden Bestimmungen hinreichen, um eine bestimmte Anzahl von Selbstmorden zu erzeugen.

Die sozialen, auf den Selbstmord hindrängenden Kräfte wirken in einem Kreise von 1000 Menschen allzusehr zersplittert, werden allzusehr von den vielen andersgerichteten Kräften überwuchert und abgelenkt, als dass sie ein bestimmtes immer gleiches Resultat liefern könnten; gerade im Sozialen kommt es sehr oft vor, dass die Kräfte nicht im genauen -Verhältnis ihres Quantums sichtbar werden, sondern überhaupt erst oberhalb eines gewissen Masses einen erkennbaren spezifischen Erfolg haben.

Wenn die statistischen Regelmässigkeiten sich einigen Ereignissen gegenüber schon bei einem Beobachtungskreise von 1000 Menschen, anderen gegenüber erst bei einem solchen von 10000 oder 100000 zeigen; so muss diese Verschiedenheit doch wohl eine reale, ausserhalb der subjektiven Rechentechnik gelegene Ursache haben; die sozialen Kräfte, welche jene Erscheinungen hervortreiben, werden sich wohl erst bei dem Zusammenkommen von je 1000, 10000 oder 100000 Individuen entwickeln und, anderen, abbiegenden gegenüber zur Geltung bringen können.

Von dem hiermit angedeuteten Standpunkt aus erscheint die Freiheit, die das statistische Gesetz dem Einzelnen lässt, in einem besonderen Lichte. (<193)

Enthält das statistische Gesetz eine blosse Wahrscheinlichkeit, gewonnen aus den Zufälligkeiten der individuellen Handlungen, deren Gegensätzlichkeiten sieh für die Beobachtung gegenseitig paralysieren, so ist es eine blosse Abstraktion, die allerdings, soviel an ihr ist, dem Einzelnen volle Freiheit lässt - natürlich ohne anderweitige Bestimmtheiten desselben auszuschliessen; betrachten wir dagegen die Zahl der Individuen, an der jenes Gesetz hervortritt, nicht als etwas sachlich Zufälliges, nur der Technik des Erkennens Dienendes, sondern als notwendiges, einheitliches Substrat der sozialen Wirkungen, die das Gesetz ausspricht, so ist der Einzelne allerdings von diesem, pro rata, bestimmt; sein Tun und Lassen hängt dann von den Kräften ab, die sich zwischen den Mitgliedern eines Kreises von bestimmter Grösse entwickeln.

Gilt das statistische Gesetz so, wie es meistens verstanden wird, nämlich bloss ideell, so fordert es nur die Handlungen, bestimmt aber nicht, wer sie vollbringen soll, und gibt dem Einzelnen also die Freiheit, ein solcher zu sein oder nicht.

Für die hier angedeutete realistische Auffassung fällt diese Freiheit fort, ihr zufolge gibt das statistische Gesetz, allerdings in sehr roher, allgemeiner, am einzelnen Falle nicht konstatierbarer Form, die sozialen Einwirkungen der "grossen Zahl" von Mitgliedern des Kreises auf das Individuum an.

Neben den statistischen Versuch, die Notwendigkeit des Ganzen mit der Freiheit des Individuums zu vereinigen, kann man einen im engeren Sinne soziologischen stellen. Während jener von dem Geschehen innerhalb der sozialen Gruppe, von dem Tun ihrer einzelnen Mitglieder ausgeht, betrachtet dieser das Handeln der Gruppe als ganzen.

Im ersten Falle hat die Allgemeinheit den Sinn der Summe, im zweiten den des Produktes, jener betont die Vielheit, die sich in der Einheit der Gruppe findet, dieser die Einheit, die sich aus der Vielheit der Gruppe herstellt.

Die Aktionen einer Gruppe nämlich tragen gegenüber denen des Individuums den Charakter einer unvergleichlichen Sicherheit, Zweckmässigkeit und Irrtumslosigkeit. (<194)

Der Einzelne wird von widersprechenden Empfindungen und Antrieben hin- und hergezogen, vielfache Möglichkeiten bieten sich ihm dar, und die Unsicherheit der zu vollziehenden Wahl, die häufige Irrtümlichkeit der vollzogenen scheinen auf Subjektivität und Freiheit seines Handelns hinzuweisen.

Die soziale Gruppe dagegen ist sich stets darüber klar, wen sie für ihren Feind, wen für ihren Freund zu halten hat; unbeirrt von Theorien und Konflikten geht sie auf ihr Ziel los und zeigt kaum eine Spur jener Diskrepanz, die beim Individuum so oft zwischen Wollen und Tun, zwischen Zweck und Mitteln herrscht.

Der schwankenden Einzelpersönlichkeit gegenüber stellt sie das objektiv Bestimmte dar; so dass man sich zu der Vorstellung bewogen fand, die Bewegungen der Masse würden im Gegensatz zu dem freien Individuum naturgesetzlich bestimmt, sie folge dem Zuge ihrer Interessen mit derselben unbedingten, alle Wahl ausschliessenden Notwendigkeit, wie die Materienmassen dem Zuge der Gravitation.

Es kommt hier nicht darauf an, die erkenntnisstheoretische Unmöglichkeit einer solchen prinzipiellen Scheidung zwischen dem Sozialen und dem Individuellen zu erweisen; vielmehr umgekehrt begreiflich zu machen, worauf sich der Schein dieses Unterschiedes gründet.

Die Handlungen einer Gesellschaft haben offenbar diejenigen Triebe, Empfindungen, Vorstellungen zur Grundlage, welche jedem einzelnen Mitgliede derselben eigen sind.

Dies sind aber die primitiveren, einfacheren, weil diese von längerer Zeit her vererbt sind und die Allen gemeinsame primäre Grundlage der Existenz bilden, über welche sich dann erst die Mannigfaltigkeit und Persönlichkeit des eigentlich individuellen Lebens erhöht.

Die Sicherung der Existenz, der Gewinn neuen Besitzes und neuer Macht, der Schutz des Erworbenen - dies sind grundlegende Triebe für jeden Einzelnen, in denen jeder den anderen versteht und in denen er sich mit beliebig vielen anderen zweckmässigerweise so vergesellschaften kann, wie es in den feineren und höheren Angelegenheiten der Persönlichkeit unmöglich ist. (<195)

Weil der Einzelne in jenen prinzipiellen Strebungen nicht wählt noch schwankt, kennt auch die soziale Strebung, die sie zusammenschliesst, keine Wahl oder Schwankung. Worin sich viele differenzierte Wesen zusammenfinden, das kann selbst nicht in gleichem Masse differenziert sein.

Und wie und weil der Einzelne seine einfachsten Zwecke am sichersten erreicht, d. h. diejenigen, bei denen der kürzeste Weg zwischen Ausgangs- und Zielpunkt liegt, so wird auch der soziale Kreis bei der Einfachheit seiner Ziele weniger Irrtümern und Misserfolgen ausgesetzt sein.

Die niedrigeren, sinnlichen, gattungsmässigen Triebe und Funktionen gelten uns wegen der unbedingten Gewissheit ihres Auftretens und Verlaufes in höherem Masse naturgesetzlich, als die feineren Komplikationen des Seelenlebens ', die das eine Individuum vom andern unterscheiden; eben deshalb erscheinen die sozialen Bewegungen, die aus jenem allen Gemeinsamen, unbedingt Sicheren zusammengesetzt oder darauf gerichtet sind, als das Notwendigere, durch Naturgesetz Bestimmte; darüber erst erhebt sich das Individuelle der Lebensgestaltung, das also jenem gegenüber frei erscheint.

Die idealistische Geschichtsphilosophie - Kant, Fichte, Schelling, Hegel - im Bestreben, die Freiheit des Subjekts mit den objektiven Notwendigkeiten der Natur und Vernunft zu vereinigen, findet die Möglichkeit dazu, den Einheitspunkt im Staate und in der Rechtsordnung.

Diesem Versuche liegt die Tatsache zu Grunde, die ich eben erörterte; dasjenige Verhalten, das dem Menschen als Sozialwesen eignet, bei dem er nur der Träger sozialer Bewegungen ist, zeigt im höchsten Masse den Charakter der Gesetzlichkeit und notwendigen Bestimmtheit gegenüber dem Schwanken und der Ungebundenheit in den eigentlich individuellen Lebensbeziehungen.

Nur dass jene Denker sich allerdings in der Ursache dieses Verhältnisses täuschten: sie glaubten es in der Höhe und Allumfassung des Staats- und Rechtsbegriffes begründet, während es tatsächlich gerade in der Beschränkung seiner Wirksamkeit auf die primitiven Interessenkreise beruht. (<196)

Das öffentliche Recht kümmert sich nur um die unentbehrlichsten Grundlagen der Existenz, über welchen Charakter seines Endzwecks nur die Verfeinerung seiner technischen Ausgestaltung zu täuschen vermag; weshalb man es denn auch, wie ich schon anführte, als das ethische Minimum oder auch als den common sense des sozialen Organismus bezeichnen durfte.

Darin entspricht es völlig der Logik; diese bildet ihrerseits das Erkenntnisminimum, den intellektuellen Gemeinbesitz über den sich Alle geeinigt haben, die in dem übrigen Erkennen soweit wie nur möglich von einander abweichen.

Wie sich mit der Rechtsform materiell Unsittliches bis zu einem sehr hohen Grade vereinigen kann, so mit der logischen materiell Falsches - nicht weil beides etwa nur Formen im absoluten, von jedem Inhalt prinzipiell geschiedenen Sinne wären, wie man es allerdings von der Logik zu behaupten pflegt, sondern weil sie nur die allernotdürftigsten Bestimmungen treffen, die ein praktisches Zusammenleben ermöglichen.

Wenn man dennoch von Streitigkeiten und Zweifeln, die individuellerer oder materiellerer Art sind, d. h. ausser der rechtlichen oder logischen Materie noch weitere Interessen umschliessen, an das Recht oder die Logik appelliert, so geschieht dies von dem Gedanken aus, das dasjenige sicher falsch sein muss, was sogar diesen primitiven Forderungen widerspricht.

Die staatlichen Beziehungen des Bürgers vereinigen freilich seine subjektiven Interessen mit der dem Staate eigenen Objektivität, aber nur weil der Staat ausschliesslich für die verbreitetsten und primärsten Bedürfnisse sorgt, für die Jeder fraglos auch freiwillig sorgt, während er es der Freiheit des Bürgers überlässt, das Einzelne und Individuelle seiner Interessen wahrzunehmen. (<197)

Stellt man nun Individuum und soziale Gesamtheit einander gegenüber, so scheint es allerdings, als ob jenes frei wäre, weil wir es in diesem Falle mehr in seinem Sichabheben von dem sozialen Kreise oder in der Gesamtheit seiner Betätigungen betrachten, in denen die unmittelbar sozialen mir einen Bruchteil ausmachen oder selbstverständlich und deshalb unbemerkt sind.

Achten wir dagegen auf die sozialen Vorgänge, so scheint eben jenes freie Individuum doch zugleich der Träger von Bewegungen zu sein, die aus dem angeführten Grunde wie mit Naturgewalt vor sich gehen; so dass auch hier das Ganze gesetzlich gebunden ist, während das Einzelne, aus dem jenes doch besteht, frei erscheint.

Diese soziologische Konstellation trifft nicht nur die innere Freiheit des Willens, sondern auch die empirische Freiheit des Handelns, bei der nur danach gefragt wird, ob der aktuelle, im Vordergrund des Bewusstseins stehende Wille das Handeln nach sich bestimmen kann, ohne zugleich andere Interessen, wesentliche Willensinhalte zu zerstören.

Diese Freiheit oder Gebundenheit des Handelns setzt immer eine gegenüberstehende Macht voraus und findet eine solche in dem letzterwähnten Falle an den Mächten des Rechtes und der Sitte.

Obgleich beide natürlich nichts wären ohne die Einzelnen, die sie verwirklichen und tragen, so haben sie sich doch so weit objektiviert, so weit vom ]Persönlichen abgelöst, dass sie dem Individuum vergewaltigend gegenübertreten, als der verdichtete Wille der kompakten Majorität.

Stimmt der Einzelne im gegebenen Falle damit von vornherein überein, so nimmt er nur an der soeben charakterisierten inneren Notwendigkeit dieses Ganzen selbst teil; widerstrebt er jenen gesellschaftlichen Kräften, isoliert er sich ihnen gegenüber, so macht sich seine Gebundenheit - nicht in ihnen, wie vorhin - sondern durch sie geltend.

In den Angelegenheiten des öffentlichen Interesses fehlt seinem Willen die Freiheit, das Handeln nach sich zu bestimmen, gleichviel ob dieser Wille selbst frei oder von anderswoher determiniert ist. (<198)

So ist er als Sozialwesen empirisch gebunden, während er die ihm hier fehlende Freiheit in seinen Privatangelegenheiten, also als Individuum schlechthin, noch besitzt oder wenigstens besitzen kann.

Mit Rücksicht auf den Ausgangspunkt aller dieser Erörterungen hat sich nun in ihnen ergeben, dass das grosse Ganze, die allbefassende Allgemeinheit, in ihrer Verfassung und in ihrem Handeln den Charakter der Notwendigkeit und Gebundenheit trägt, und dass dieselbe von Elementen verwirklicht wird, die ihrerseits anders, frei, erscheinen.

Eben dieses schien sieh an den Verhältnissen der Einzelseele zu wiederholen. Durch alle Gegensätzlichkeit und Launenhaftigkeit des einzelnen Handelns, durch alle Freiheit hindurch, auf welche diese Anweisung gibt, realisiert sich das allgemeine Schicksal der Seele, wird der unwiderstehliche Zug ihrer inneren Entwicklung kenntlich, der sich dem flüchtigen Blick zwar unter jenen hin- und herspielenden Einzelheiten verbirgt, dein tieferen aber nachdenkliche Tatsachen für jenes mystische Symbol liefert, dem zufolge die Stellung der Gestirne auch den inneren Lebenslauf des Menschen schon am Tage der Geburt determiniert habe.

Die allerverschiedensten Einzelhandlungen können doch den gleichen Charakter dokumentieren, die gleiche innere und äussere Lebensstellung verwirklichen.

Wie konzentrische Sphären um so weiteren Umfang zeigen, je mehr sie sich von ihrem Mittelpunkte entfernen, so wird der Spielraum für die Mannigfaltigkeit der Handlungen immer grösser, je weiter sie von dem Zentrum des Lebens abstehen, und bei völliger Einheitlichkeit dieses kann die Latitude ihrer Schwankungen und Gegensätzlichkeiten ins Unendliche wachsen.

Und der Charakter jener unvariablen, einheitlichen Zentralität überträgt sich auf den Gesamtumfang des Lebenskreises als eines Ganzen gegenüber der blossen Summe seiner Einzelabschnitte als einzelner.(<199)

Auch hier macht jene eigentümliche Denkkategorie sich geltend, ohne die das tatsächliche Vorstellen der Menschheit überhaupt unerklärbar ist, und deren Wichtigkeit für dieses noch lange nicht hinreichend anerkannt ist: dass das Ganze, das nur aus den einzelnen Elementen besteht, doch diesen gegenüber eine selbständige, substantielle, von ihnen unabhängige Stellung erwirbt.

Dadurch eben ist es möglich, dass das Ganze einer seelischen Entwicklung, die Zusammenfassung ihrer Elemente, eine Gebundenheit zeigt, von der jedes dieser letzteren frei ist.

Es kommt hier nicht auf die sachliche Wahrheit oder Falschheit dieses Standpunktes an, es handelt sich für jetzt nur um die psychologische Tatsache, dass man wirklich dem Gesamtcharakter unserer Persönlichkeit eine gewisse Unabhängigkeit von der Summe ihrer Einzeläusserungen glaubt zusprechen zu können.

Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit der Äusserungen erscheint als Freiheit, während ihre Einheitlichkeit, ihr inhaltlicher Zusammenhang Gebundenheit bedeutet. Denn diese letzteren Qualitäten scheinen nur dadurch erklärlich, dass die Einzelheiten aus einer ursprünglich gemeinsamen Quelle fliessen.

Die innere Übereinstimmung einer Charakterentwicklung, sobald wir ihre grossen Züge, ihr Gesamtbild betrachten, kann nach dieser Auffassung unmöglich ein Zufall sein; sie muss vielmehr durch eine über oder in ihren einzelnen Momenten gelegene Kraft beherrscht sein, die dem späteren die Freiheit nimmt, anders zu sein als es ist, nachdem das frühere einmal so und nicht anders war.

Sehen wir dagegen die einzelnen Handlungen in ihrer Einzelheit und nur in Beziehung zu den nächstbenachbarten an, so zeigt sich ein Bild völliger Regellosigkeit; und Regellosigkeit gilt als Gesetzlosigkeit - ein Glaube, der seine relative Berechtigung auf die Tatsache gründet, dass allerdings Gesetz sich im letzten Grunde nur als regelmässiger Eintritt gleicher Erscheinungen kundgibt.

Der hier begangene Irrtum ist nur der, dass allein die Regelmässigkeit einfacher, primärer Erscheinungen ein reales Gesetz bedeutet, nicht aber diejenige komplexer Vorgängen, bei denen die Gleichheit der Gesamterscheinung einer völligen Verschiedenheit der Bestandteile und also auch der Weiterentwicklung Raum geben kann. (<200)

Und weiterhin wäre zu bemerken, dass, wenn man das Wesentliche und den Grundzug des Ganzen für stabil und gesetzmässig, das Gelegentliche, Vereinzelte, Unbedeutendere aber für schwankend und unbestimmbar hält, vielleicht hier der Fehler zugrunde liegt, dass man von vornherein die ephemeren, in der Erscheinung ungleichmässigen und nicht vereinbaren Momente des praktischen Charakters eben als die oberflächlichen und unwesentlichen bezeichnet, und nur die stabilen, einen Zusammenhang bildenden als den eigentlich Charakter, den massgebenden Grundzug des Wesens gelten lässt.

Diese letztere Möglichkeit geht auf denselben psychologischen Grundvorgang zurück wie die folgende, die unsere These von dem Ursprung des philosophischen Freiheitsbegriffes stützen wird.

Ich habe oben schon bemerkt, dass, so wenig der Unterschied zwischen der Erscheinung und dem Dinge an sich gemein habe mit dem zwischen Schein und Wahrheit, dennoch der Gedanke des ersteren Unterschiedes psychologisch kaum ohne die Erfahrung des letzteren entstanden wäre.

Die Vorstellung, dass unser praktisches Leben gewissermassen aus zwei Schichten bestünde, dem wesentlichen Grundzuge, der tiefen, niemals rastenden Strömung zu den Hauptzwecken des Lebens einerseits - den einzelnen Angelegenheiten und Vornahmen des Tages andrerseits, die, an sich gleichgültig, die verfliessenden Erscheinungen oder Träger jener sind - diese Vorstellung nebst ihren weiteren metaphysischen Folgen entspringt wahrscheinlich der ganz trivialen Beobachtung, dass es eben in jedem Leben Handlungen von verschiedener Wichtigkeit gibt.

Die Wendung, vermöge deren dieser letztere Erfahrungssatz zu jener tiefsinnigeren Lebensansicht wurde, besteht darin, dass man das Nebeneinander des Wichtigen und des Gleichgültigen zu einem Übereinander ausbaute. (<201)

Da das Wichtige seine Wirkungen noch zwischen dem Gleichgültigen und während des Daseins desselben zeigt; da ferner das Gleichgültige einerseits, das Wichtige andrerseits, im Rückblick je eine, durch diese spezifische Wertung zusammengehaltene und vom anderen geschiedene Masse ausmachen, so konnte jene Vorstellung entstehen, als bilde unser Leben, von einer Seite gesehen, eine langsam fortschreitende, unabbiegbar gerichtete Welle, die dasjenige, was man das "Schicksal" nennt, eben so trägt, wie sie von ihm getragen wird; und von der anderen Seite gesehen, ein Chaos darüberhinspielender Einzelheiten, von jedem Winde getrieben und generell von der Bedeutsamkeit jener tieferen Strömung geschieden; von jeder Stelle der einen aber trifft ein Senkblei irgend eine Stelle der anderen, die Ununterbrochenheit jeder in sich geht der der anderen parallel.

Diese Vorstellung liegt in mannigfaltiger Abwandlung den verschiedenen Theorien vom intelligibeln Charakter, von dem beharrenden Ich, von der "Bestimmung" des Individuums zum Grunde.

Sieht man aber näher zu, so zeigt sich, wie gesagt, dass diese beiden Reihen von Entwicklungen, diese Doppelseitigkeit des praktischen Schicksals im Grunde nur eine einzige fortlaufende Reihe ist, deren Bestandteile ihre Verschiedenheit nach Wertbegriffen zu einer sachlich numerischen Über- und Unterordnung hypostasiert haben.

Der hiermit begangene Irrtum gehört zu jenen feineren typischen Denkfehlern, die leider noch nicht die eingehende Bearbeitung gefunden haben, wie sie den groben und krassen Trugschlüssen der formalen Logik zuteil geworden ist.

Nicht nur hier, sondern vielfach auch sonst findet die Verführung statt, für solche Erscheinungen, die nach der Seite irgend einer Qualität hin verwandt sind, eine reale, dynamische Verbindung anzunehmen, und zwar auch dann, wenn jene Ähnlichkeiten ganz isolierte Ursprünge haben, weder aus einander noch aus einem gemeinsamen Dritten erklärlich sind, und selbst dann, wenn die Verwandtschaft der Erscheinungen nicht einmal in objektiven Ähnlichkeiten, sondern nur in der Gleichheit an sie herangebrachter subjektiver Wertbegriffe besteht, wie es in unserem Falle geschieht. (<202)

Aus weit verzweigten Gründen, deren grundlegende wahrscheinlich soziologischer Art sind, erscheint uns das qualitativ Ähnliche als ein real Verwandtes, genetisch Zusammengehöriges; so differenziert sich die zeitliche Reihe unserer Handlungen nach der Kategorie der Wichtigkeit in das Indifferente einerseits, das Folgenreiche und Richtunggebende andrerseits; jedes von beiden scheint aus der eben charakterisierten Denkgewohnheit heraus eine sachliche innere Zusammengehörigkeit zu besitzen , und, da die Glieder beider Kategorien sich in der objektiven Zeitordnung wechselseitig ablösen, also als je ein Ganzes betrachtet, gleichzeitig sind, so konnte daraus leicht die Vorstellung jener Doppelreihe des Handelns: der grundlegenden charakterisierenden Züge und ihrer unbestimmbaren fluktuierenden Erscheinungsseite, entstehen.

Diese ganze Denkweise, die die Gebundenheit in das Ganze des Menschen als Ganzes, die Freiheit in seine einzelnen und isolierten Äusserungen verlegt, scheint doch unserer Behauptung zu widersprechen, dass die philosophische Freiheit in der Bestimmung des Wollens durch das Ich bestünde.

Denn gerade jenes Ganze des Lebens, jene Folge charakteristischer Züge, die der Persönlichkeit ihre Dauerform und ihre soziale Stellung verleihen und so der Freiheit keinen Raum geben sollen - sie bilden doch das eigentliche Ich, an dem gerade die Freiheit haften sollte- und umgekehrt, das einzelne momentane Tun gibt die philosophische Einsicht eher der unentrinnbaren Verkettung empirischer Ursachen und Wirkungen preis, während jener Reflexion gerade diese Einzelheiten als unbestimmbar und frei erschienen waren.

Dieser Widerspruch ist indessen zu versöhnen, wenn wir die eigentümliche Drehung beachten, die die Begriffe von Zufall und Notwendigkeit in der philosophischen Anschauung gewonnen haben. (<203).

Im empirischen Sinne, den auch Kaut hier als den allein zulässigen bezeichnet, ist dasjenige Geschehen notwendig, das einem Naturgesetz gemäss auf ein anderes folgt.

Diese Notwendigkeit ist aber insofern keine absolute, als sie von der Existenz ihrer Veranlassung abhängt - wäre diese nicht, so wäre auch das fragliche Geschehen nicht. Absolut notwendig wäre dieses letztere also erst, wenn seine Veranlassung notwendig wäre; ob dies aber der Fall ist, hängt wieder von dem ihr vorangehenden Geschehen ab, und, da die so entstehende Reihe, in der jedes Glied zugleich Wirkung und Ursache ist, empirischer Weise nicht abzuschliessen ist, so bleibt die Notwendigkeit jedes in Frage stehenden Gliedes immer eine relative.

Das einzelne natürliche Geschehen ist für denjenigen, der das absolut Notwendige sucht, nur etwas Zufälliges - nicht trotzdem, sondern gerade weil es naturgesetzlich bestimmt ist.

Die Notwendigkeit eines Geschehens oder eines Objekts ist demnach erst dann eine absolute, wenn sie nicht von einem anderweitigen, ausserhalb seiner gelegenen Objekte abhängt, sondern in sich und durch sich selbst als Notwendigkeit besteht. Die Kritik hat längst gezeigt, dass eine derartige Notwendigkeit nicht besteht, sondern vielmehr alles Wirkliche nur relative notwendig ist.

Dennoch ist die Forderung eines an und für sich Notwendigen nie ganz verschwunden und ihre Wirkungen sind vielfach erkennbar. An diesen Begriff der Notwendigkeit nun im Gegensatz zu der Notwendigkeit der natürlichen Kausalität knüpft sich der philosophische Freiheitsbegriff.

Denn sie bedeutet, dass das Objekt, bez. seine Funktion, causa sui ist, durch nichts anderes als durch sich selbst bestimmt wird; und eben dieses ist die Form jener sittlichen Autonomie, jener Freiheit des Handelns, die nicht Unabhängigkeit schlechthin ist, sondern nur Unabhängigkeit von allem, was ausserhalb des handelnden Ich selber liegt, nur Bestimmung durch sich selbst bedeutet. (<204)

Gerade die absolute Notwendigkeit, die alle Ableitung von einem Anderen, alle nicht in ihr selbst liegende Genesis von sich weist, ist insoweit mit der Freiheit identisch. Und wenn Spinoza die unbedingt notwendige Alleinheit definiert als dasjenige, cuius essentia involvit existentiam, so findet dies seine unmittelbare ethische Parallele in dem operari sequitur esse, das den philosophischen Freiheitsbegriff, die durchgängige Abhängigkeit des Willens vom Ich ausdrückt.

In beiden Fällen handelt es sich um die ausschliessliche Abhängigkeit der Realität - es sei des Seins, es sei des Handelns - von dem ideellen Wesen eben desselben Subjekts; und weil diese Vorstellung sowohl als Begriff der Notwendigkeit, wie als Begriff der Freiheit gedeutet werden kann, genügt sie der Forderung, die die philosophische Freiheit erfüllen soll: eine Harmonie von Freiheit und Notwendigkeit zu bilden.

Es liegt nun aber auf der Hand, dass diese Selbstbestimmung sich nicht an einzelnen Teilen eines grösseren Ganzen, sondern nur an einem in sich geschlossenen Ganzen finden kann. Jene absolute Notwendigkeit, die zugleich Selbstbestimmung ist, kommt deshalb nur der allbefassenden Substanz, nur dem ganzen Sein als solchem zu, während die Einzelheiten desselben von einander abhängig, jede also für sich betrachtet zufällig ist.

Und ebenso haftet die Freiheit ihrerseits nur an dem ganzen Ich als Ganzem und besteht nur aus der Bestimmung desselben durch sich selbst; die einzelne Äusserung mag durch eine andere, vorangegangene nezessitiert sein, insofern aber das ganze Ich in ihr zum Ausdruck und Erscheinung kommt, sie ihm konform ist oder nur in Beziehung zu ihm betrachtet wird - insofern ist sie frei.

Jetzt wird also klar, wieso unsere letzte Betrachtung: dass das Ganze notwendig, das Einzelne frei erscheine - mit der früheren Darstellung doch harmoniert, nach der gerade das Ganze der Persönlichkeit, das Ich, allein die Freiheit trage. (<205)

Insofern das Ich als ein Ganzes selbst, als ein Mikrokosmos gilt, losgelöst von Beziehungen zu anderem, mit dem zusammen es etwa erst ein Ganzes bildete, so ist seine Bestimmung Selbstbestimmung, also einerseits Freiheit, andrerseits aber ist sie Notwendigkeit, da es nicht von sich los kann und gerade, weil es nichts ausser sich hat, von dem es abhängt, nur so sein kann, wie es ist.

Was wir Freiheit des Willens nennen, ist, wie wir sahen, die Abhängigkeit des Willens von dem eigentlichen innersten Ich; fassen wir die Persönlichkeit als Ganzes, so ist also die Notwendigkeit ihrer Bestimmung, d. h. der Ausschluss jeder Zufälligkeit als .einer Abhängigkeit von Äusserem zugleich ihre Freiheit; der einzelne Willensakt dagegen, nicht als Ausdruck des metaphysischen Ich, sondern nach seiner sinnlich empirischen Genesis aus anderen Einzelheiten betrachtet, ist im Sinne der Naturkausalität notwendig, in dem dem Absoluten zugewandten Sinne aber zufällig.

Wenn deshalb Erfahrung und Reflexion über sie uns Fälle zeigen, in denen das Ganze von Verhältnissen und Komplexen den Charakter der Gebundenheit, das Einzelne den der Freiheit oder Zufälligkeit trägt, so gehört auch sie zu dem empirischen Material, dessen metaphysische Vertiefung jenen Freiheitsbegriff - die Bestimmung des Einzelwollens durch das Gesamt-Ich – bedeutet.

Die Schwierigkeit der Freiheitsvorstellung lässt sich folgendermassen ausdrücken. Sie entspringt aus dem Gefühl des Subjekts: statt A zu wollen, hätte ich auch B wollen können; ich hätte es gekonnt, - wenn ich gewollt hätte.

Aber auch dieses zurückliegende Wollen, von dem das definitive, erscheinende abhängt, muss doch frei sein, sonst wäre dieses nicht frei. Also auch an seiner Statt hätte ein anderes Wollen eintreten können - wenn ich gewollt hätte; und so fort ins Unendliche.

Diese (<206) widerspruchsvolle Vorstellung, die jedem Wollen ein Wollenkönnen voransetzt, die Entscheidung aber, ob ich dieses Können zu dem Wollen von A oder dem von B benutze, wiederum von einem Wollen abhängig machen muss - diesen endlosen Prozess schneidet die philosophische Freiheitslehre dadurch ab, dass sie das Wollen aus dem Ich entspringen lässt.

Durch das Ich wird der unendlichen Reihe der von einander abhängenden Wollungen ein Damm gesetzt. Das Ich enthält gewissermassen diese sämtlichen Wollungen potentiell oder involviert in sich. Es genügt nun zur Freiheit, wenn das Wollen statt aus einem weiteren Wollen aus dem Ich hervorgeht.

Bei dieser Sachlage kann man den Standpunkt einnehmen, dass alle philosophischen Deutungen der Freiheit auf mehr oder weniger greifbaren Umwegen an dem eigentlichen Problem vorübergehen und die Schwierigkeit verschleiern, statt sie zu lösen.

Diesem Vorwurf entgehen selbst diejenigen, jetzt sehr verbreiteten Lehren nicht, die zwar scheinbar am Determinismus als fragloser Voraussetzung festhalten, schliesslich aber doch, um das ethische Interesse nicht zu kompromittieren, die Freiheit durch eine Hintertür wieder einführen, etwa mit einem "wir können die Macht der sittlichen Motive in uns stärken", "es ist möglich, dass wir unsere Sinnlichkeit unserer Vernunft unterordnen" - denn in diesem "Können" liegt, wenn es nicht den Sinn, wie in dem Satze: "Es kann heute regnen" haben soll, schon die ganze perhorreszierte Freiheit.

Aber gerade dieser Doppelsinn des Könnens wird zu solchem feigen Vermittlungsversuch oft genug benutzt. Freilich können wir, freilich ist es uns möglich, sowohl sittlich wie unsittlich zu handeln.

Allein auf dem Grunde des Determinismus kann dies nur heissen, dass von Menschen sowohl sittlich wie unsittlich gehandelt wird, und dass wir mangelnder Erkenntnis wegen im einzelnen Falle unsicher sind, welcher von beiden Fällen eintreten wird.

Aus dieser (<207) blossen Erkenntnisbeziehung, die das Können, die Möglichkeit, hier bedeuten darf, wird nun aber unter der Hand ein reales objektives Können, eine Möglichkeit im Sinne der Potenz gemacht; das Können ist statt einer blossen Unsicherheit des Vorstellenden über das, was geschehen wird, auf einmal eine Kraft, die das Geschehen so oder anders lenken kann, die nicht nur die problematische, sondern die reale Möglichkeit hat, in der bestimmten Weise zu handeln und also, wenn Können und Möglichkeit dann noch überhaupt einen Wortsinn haben sollen, auch die Möglichkeit anders zu handeln.

Dem gegenüber müssen wir daran festhalten, dass Freiheit in dem Sinne, der überhaupt einen Sinn hat und nicht nur ein Unterschiebsel oder ein verschwommener Deutungsversuch für einen ganz entgegengesetzten Gedanken ist, nur den reinen grundlosen Zufall bedeutet.

Wenn wir das Wollen von A auf das Ich, die Vernunft, die Sittlichkeit, worauf auch immer, schieben, um es der blinden Zufälligkeit zu entziehen, so bleibt die Frage bestehen, ob diese höhere Potenz zu dem Entschlusse, A zu wollen, notwendig bestimmt wurde oder nicht.

Denn die Annahme, dass dieselbe sich eben für A oder für B entscheiden könnte, bezeichnet doch nur die Situation vor der Entscheidung für A; woraufhin nun die nach dem blossen Können eintretende wirkliche Entscheidung stattfindet, ist damit noch nicht ausgemacht.

Erfolgt nun diese Entscheidung so, dass die ihr vorhergehenden Momente sie nicht notwendig, d. h. bei absoluter Gleichheit dieser immer absolut gleich, aus sich hervortreiben, so ist dies ein absoluter Zufall, eine Schöpfung aus dem Nichts, ja genau angesehen, eine Schöpfung ohne Schöpfer.

Denn jene vorhandene Potenz ist dann sozusagen nur die Substanz, an der die Entscheidung hervortritt, während es an einer Kraft fehlt, welche dieselbe hervorgerufen hätte und sie also in der gleichen Situation auch immer, also notwendig, (<208) hervorruft.

Nur Schlaffheit des Denkens kann die Schärfe der Alternative zwischen Notwendigkeit und Zufall verwischen; nur sie kann den Abgrund zwischen beiden durch Setzung eines Subjekts überbrückt meinen, von dem die Entscheidung ausginge, gegen dessen Entscheidungstätigkeit sich aber eben die Frage richtet, ob sie überhaupt veranlasst ist oder nicht.

- Man könnte einen Ausweg etwa in dem Gedanken suchen, dass Kausalität sich auch mit Verschiedenheit des Erfolges bei Gleichheit der gegebenen Situation vereinigen liesse.

Aus der Ursache in könnte einmal die Folge n, ein anderes Mal die Folge n1 hervorgehen, ohne dass man die Verschiedenheit von n und n1 auf den grundlosen Zufall zu schieben brauchte; dies wäre vielmehr erst dann nötig, wenn man von vornherein annimmt, jede Ursache könne nur eine, immer gleiche Wirkung, n oder n1 , haben, also das schon voraussetzt, wonach gerade erst gefragt wird.

Die Frage, was m denn zu diesem Unterschiede seiner Erzeugungen veranlasste, wäre nicht richtig gestellt. Denn dieser Unterschied besteht als solcher ausschliesslich im Bewusstsein des Beobachters, der beides aneinander hält.

In dem Augenblick, wo in n erzeugt, wüsste es sozusagen von n1 nichts, und die Entwicklung seiner Kräfte ginge ebenso vollständig und eindeutig in der Richtung von n, wie sie in einem anderen Augenblick auf n, geht, und wie sie in unserer gültigen Vorstellung von Kausalität auch jedes andere Mal auf n geht.

Der Unterschied in dem Inhalte der Kausalität braucht nicht zu hindern, dass formell volle Kausalität zwischen in und seinen zu verschiedenen Zeiten verschiedenen Folgen besteht.

So gut wie wir uns widerspruchslos denken können, dass eine Kraft überhaupt und immer eine andere Wirkung übe, als sie es tatsächlich tut, ebenso gut könnten wir, rein logisch genommen, uns vorstellen, dass sie manchmal diese und manchmal jene Wirkung übt, jedes Mal aber mit dem gleichen Sichumsetzen ,der Ursachen in die Wirkung, das weder auf der Seite (<209) der einen noch auf der der andern einen Rest lässt.

Die eigentümliche Mischung von Berechenbarkeit und Unberechenbarkeit, die die psychischen Prozesse zeigen, die scheinbar völlige Verschiedenheit der Folgen, die der Wille an die genau gleiche Situation knüpft, zugleich aber auch die Überzeugung, dass keine dieser Folgen ursachlos aus dem Nichts entspringt, sondern dass eine Ursache sieh voll in ihnen auslebt - diese Kombination könnte wohl zu der Vorstellung leiten, dass der psychischen Kausalität im Unterschiede von der physischen diese Wechselform eigen wäre.

Dem Gesetze, dass nichts ursachlos geschieht, würde damit vollständig Genüge geleistet, nur dass die Inhalte, an denen es sich vollzieht, zu verschiedenen Zeiten verschieden wären.

Gegen diese logisch vielleicht mögliche Deutung des Willensprozesses könnte man nur den erkenntnistheoretischen Einwand machen, dass Kausalität, Kraftwirkung, ja niemals unmittelbar erkannt werden kann, sondern dass ihre Existenz immer nur auf Grund einer regelmässigen, inhaltlich gleichen Zeitfolge von Ereignissen vorausgesetzt wird.

Eine der Materie nach wechselnde Kausalität ist allerdings denkbar, aber nicht erfahrbar, weil Kausalität innerhalb der reinen Erfahrung nichts anderes bedeutet, als die unverbrüchliche Gleichheit im Inhalt der einander folgenden Erscheinungen.

Erst aus der Beobachtung dieser Gleichheit schliessen wir auf die zu Grunde liegende Kraft, die die zweite Erscheinung ursächlich aus der ersten hervorgetrieben hat. Jene Wechselform der Kausalität würde also, indem sie den Erkenntnisgrund der Kausalität überhaupt negiert, eine ewig unerweisliche Denkmöglichkeit bleiben.

Die Hauptsache ist hier aber die, dass selbst unter Voraussetzung ihrer die Freiheit nur scheinbar vom grundlosen Zufall geschieden wäre. Denn es wäre allerdings mit ihr gewonnen, dass ursächlicher Weise, und ohne eine aus dem Nichts entspringende Kraft zu Hülfe zu (<210) nehmen, die genau gleiche Situation in einmal das Wollen n, ein anderes Mal das Wollen n1 erzeugen könnte.

Allein damit wäre nur diejenige äusserliche Erscheinung gegeben, die wir bei tatsächlichem Vorhandensein der Freiheit erwarten würden.

Ihre innere Wirklichkeit aber wäre genau so negiert wie bei dem wirklich geltenden Kausalbegriff ; denn die Notwendigkeit, mit der das Wollen n zu einer gegebenen Zeit aus m erfolgt, ist bei dieser Voraussetzung durchaus keine geringere, als wenn m überhaupt und immer nur die Folge n, niemals aber n1 hätte; und ebenso entsprechend für n1.

Nur der Beobachter, der die Verschiedenheit der Folgen von in zusammenstellt, könnte auf den Gedanken einer Freiheit von in kommen, deren Erfolg eben jene Verschiedenheit wäre.

In Wirklichkeit wäre in jedem gegebenen Augenblicke entweder die Folge n oder die Folge n, unbedingt notwendig; wenigstens würde gegenüber diesem Wechsel des Erfolges die Frage noch genau so stehen, wie sie seiner Gleichartigkeit gegenüber steht: ob eben solcher Wechsel bez. jeder der verschiedenen Erfolge in seinem Zeitmoment nicht seinerseits notwendig sei; und die Negierung dieser Frage würde das einzelne Wollen doch wieder dem grundlosen Zufall, dem Ursprung aus dem Nichts preisgeben.

Dadurch also, dass man den Inhalt der Kausalität wechselt, gewinnt man nur das äussere Phänomen eines Indeterminismus, aber nicht die reale Befreiung des Wollens von jener inneren Notwendigkeit, deren Negierung allein wirkliche Freiheit, aber zugleich absoluter Zufall wäre.

Wenn man nun aber auch das Opfer des Kausalbegriffes brächte, wenn man unter Abweisung jedes durch den Ich-Begriff vermittelten Kompromisses das absolute liberum arbitrium indifferentiae zugebe, so würde damit der Zweck gar nicht erreicht, um dessentwillen es überhaupt lohnt, eine Freiheit anzunehmen.

Es ist bekanntlich längst nachgewiesen, dass bei der Freiheit, die im einfachen Ausschluss (<211) der Kausalität besteht, keine Zurechnung möglich ist. Bei völliger Ursachlosigkeit der Handlung wäre sowohl Strafe wie Lohn sinnlos, weil sie gar nicht an dieselbe Adresse gelangten, von der das Wollen ausgegangen ist - denn das Vorhandensein eines solchen veranlassenden Ausgangspunktes der Handlung wird ja gerade durch die Voraussetzung negiert.

Man lasse sich nicht durch die gewohnte Vorstellung täuschen, dass ich dafür bestraft werde, dass ich a gewollt habe, während und weil ich frei war, b zu wollen.

Ist wirklich, wie es der reine Begriff der Freiheit fordert, jede positive Kraft ausgeschlossen, die das Wollen von a produziert habe, so ist es eben der reine Zufall, ob a oder b eingetreten ist, und ich kann dafür so wenig verantwortlich gemacht werden, wie für ein Ereignis auf dem Sirius. Nun aber zeigt sich eine unvermeidliche Antinomie, indem die Annahme des Determinismus die Verantwortung ganz ebenso ausschliesst.

Die Vermittlungsversuche, durch welche die durchgängige Naturgesetzlichkeit des Wollens mit dessen Zurechenbarkeit vereinigt werden soll, sind ebenso unhaltbar wie die entgegengesetzt gerichteten, die von der Freiheit ausgehen und diese mit der Naturgesetzlichkeit versöhnen wollen.

Sobald das Wollen ein koordiniertes Glied eben desselben Naturprozesses ist, dem die Verdauung und die Gravitation angehören, so wird keine begriffliche Deduktion uns überreden, dass es sittlich zurechenbar ist.

Wenn für den Laplace'schen Universalgeist mein Wollen aus dem Weltzustande vor beliebig langer Zeit vermöge bestimmter Gesetzesformeln genau so ausrechenbar ist, wie der Kreislauf des Blutes oder die Kontraktion der unwillkürlichen Muskeln, so fällt die Voraussetzung aller Verantwortung fort; in den gröberen, unserer Erkenntnis zugänglichen Fällen solcher Bestimmtheit des Wollens, wie bei den durch körperliche Störung veranlassten Innormalitäten, zweifelt auch niemand an dem Fehlen der Verantwortung, während es doch unleugbar ist, dass bei durchgängiger (<212) Gleichheit vor dem Naturgesetz die zugerechneten Handlungen genau so nezessitiert sind, wie die des Wahnsinnigen.

Erst unter der Voraussetzung, dass statt des tatsächlichen Wollens ein anderes hätte eintreten können, wird jenes sittlich verantwortbar, und es erscheint mir als eines der grössten Verdienste Kants, dass er allen schwächlichen Vermittlungsversuchen gegenüber an dieser Bedeutung, die der Freiheitsbegriff nun einmal psychologisch in voller Schärfe besitzt, festgehalten hat.

Weder aus der Freiheit noch aus der Determiniertheit des Wollens lässt sich also seine Verantwortbarkeit widerspruchslos herleiten; die Kreierung eines Ich als des Sitzes der Verantwortlichkeit hatte die Frage nur um eine Instanz höher gerückt.

Irgendwo lag der Punkt, mochte man ihn noch so sehr hin- und herschieben, an dem sich entscheiden musste, ob unser Wollen ein schlechthin zufälliges oder ein schlechthin nezessitiertes ist.

Und in beiden Fällen konnte es die Verantwortung für seine Inhalte ablehnen. Es bleibt deshalb nichts übrig, als die Verantwortung, wenn wir sie überhaupt beibehalten wollen, auf eine andere Basis als auf die unhaltbare einer Bejahung oder Verneinung der Freiheit zu stellen. Da es unmöglich ist, sie auf die Freiheit zu gründen, so ist vielleicht der Versuch gerechtfertigt, die Freiheit aus ihr herzuleiten; ich meine dies folgendermassen.

Aus dem Verteidigungstriebe, den die natürliche Zweckmässigkeit durch Auslese hervorrufen musste, mag der weitere Trieb gequollen sein, auf die Seite, von welcher mir Böses geschieht, dies zurückzuwenden, es ihr selber anzutun, zunächst ganz ohne zu fragen, ob der tatsächliche Urlieber des Bösen auch wirklich Schuld daran ist, ob er aus Willen oder Freiheit gehandelt hat; der Wilde prügelt seinen Fetisch, Xerxes lässt das Meer peitschen, das Kind schlägt den Stein, der ihm auf den Fuss gefallen ist (vgl. Bd. 1, 8. 392).

Diese Vergeltung (<213) war zuerst infolge ihres impulsiven Charakters eine ausnahmslose. Aber man lernte, dass sie in einer Reihe von Fällen ihren Zweck verfehlte, indem ihr Objekt empfindungslos war, oder kein Schutz durch sie erzielt wurde.

Nimmt man überhaupt an, dass die Vergeltung ein zweckmässiges Tun ist, dass sie dem Schutze des Individuums dient, so müssen wir auch weiter eine Differenzierung innerhalb ihrer Objekte annehmen, die statt der Blindheit eines unbedingten und mechanischen: Auge um Auge, Zahn um Zahn, die vergeltende Reaktion nur an denjenigen üben liess, bei denen die Vergeltung auch wirklich ihren Zweck erreichte.

Es scheint mir nun kein Zweifel, dass ein Individuum eben dann "zurechnungsfähig", "verantwortlich" ist, wenn die strafende Reaktion auf seine Tat bei ihm den Zweck der Strafe erreicht, sei dieser Zweck nun Besserung oder Abschreckung oder was immer. Wo die Qualitäten des Täters diesen Zweck entweder vereiteln oder überflüssig machen, da ist er im Zustande der Unverantwortlichkeit.

Den Wahnsinnigen bestrafen wir nicht für seine unheilvolle Tat, weil die Strafe keinen Zweck hätte, ihn nicht von ähnlichen Taten abhalten würde ebenso wenig denjenigen, der keine Einsicht in die Bedeutung seines Tuns hatte, der nicht weiss, was er tut; denn einem intellektuellen Mangel gegenüber würde Strafe nichts nützen.

Den sinnlos Betrunkenen, der ein Verbrechen begangen hat, als Verbrecher zu bestrafen, wäre deshalb sinnlos, weil keine Präsumtion vorliegt., dass derselbe Mann im nüchternen Zustande sich der gleichen Tat schuldig machen wird, und es also gar nicht erst eines Strafmittels bedarf, um ihn davon zurückzuhalten, während, wenn er von neuem trunken wird, die zurückhaltende Wirkung der früheren Strafe doch ausgelöscht wäre; ähnliches gilt von demjenigen, der in einer Notlage ein Verbrechen begangen hat.

Die zweckmässige Strafe für den Trunkenen ist diejenige für seine Trunkenheit, weil (<214) er sich betrinkt, während er nüchtern ist, und in diesem Zustande die erlittene Strafe ihren Zweck erfüllen kann. Entsprechend rechtfertigt sich die Strafe der Fahrlässigkeit.

Das Bestraftwerden einer Handlungsfolge, an die man nicht gedacht hat, soll dieser Folge eine erhöhte Reproduktionswahrscheinlichkeit sichern; es ist der Gesichtspunkt, von dem der Brauch bei manchen Stämmen ausging, beim Setzen eines neuen Grenzsteines die Jugend des Ortes an diese Stelle zu führen und stark durchzuprügeln, damit die Erinnerung daran ihr die Stelle in scharfem Bewusstsein erhalte.

Die grössere Milde, mit der die fahrlässige Sünde gegenüber der bewussten bestraft wird, erklärt sich aus der Annahme, dass es keines so kräftigen Eindrucks bedarf, um bloss das Bewusstsein jemandes für die Folgen seines Tuns und Lassens zu schärfen, als da,, wo es sich um die Umwandlung eines verdorbenen Willens handelt.

Wo wir Strafen mildern, weil der Täter sich nicht im vollen Besitz seiner Freiheit befunden habe, da lässt sich dies überall so deuten, dass für den Zweck, den man mit der Strafe erreichen will, die schärfere nicht erforderlich ist.

Die gewöhnliche Anschauung schreibt Handlungen, welche Krankheiten und Abnormitäten des Seelenlebens verraten, als solche ohne weiteres körperlichen Ursachen zu, während sie bei normalem psychischem Verlaufe dieses Verhältnis nicht ebenso zugibt, und deshalb im ersten Falle Unfreiheit, im letzteren Freiheit zuerkennt.

Soll nun der Unterschied zwischen diesen beiden ein für sich bestehender, objektiver sein, so ist jene Begründung seiner offenbar völlig hinfällig.

Denn körperliche Veranlassungen und Korrelate sind doch auch für das normalste und vernunftmässigste Bewusstsein vorhanden und den Unterschied zwischen normal und innormal machen wir auf Grund gewisser anthropomorpher Kategorien, ohne dass er das sachliche Verhalten der Objekte berührte.

Normal und innormal sind Begriffe des Wertes, der Gewohnheit, der Praxis, aber sie bedeuten (<215) nicht jenen fundamentalen Unterschied in den Dingen selbst, den wir mit frei und unfrei bezeichnen.

Wohl aber kann die Differenz zwischen den objektiven Zuständen, die wir in diese Kategorien einreihen, eine solche sein, dass die gleiche an sie geknüpfte Folge sehr verschiedene Bedeutung für die sozialen Zwecke hat.

Der generelle Unterschied zwischen frei und unfrei, den man an den zwischen rein seelischem und körperlich veranlasstem, oder zwischen normalem und innormalem Verhalten geknüpft hat, ist also in dieser objektiven Bedeutung nicht aufrechtzuhalten, in der er die Gleichheit vor dem Naturgesetz in anthropomorpher Weise durchbricht, sondern kann nur eine Spiegelung jenes Unterschiedes von Zuständen sein, den diese in ihrer Beziehung zu unseren Zwecken aufweisen.

In dem privaten und öffentlichen ethischen Leben wird die gesamte Reaktion auf die Unsittlichkeit mehr und mehr teleologisch; die Tat ist nun einmal geschehen, sie kann nicht ungeschehen gemacht werden, und jede auf sie hin erfolgende Massregel hat deshalb das Vergangene nur soweit zu berücksichtigen, als es Erkenntnisgrund oder reales Moment für die zukünftige Gestaltung der Dinge ist, auf die doch allein alles Handeln gerichtet sein kann.

Diese Drehung des Standpunktes nach dem Teleologischen zu betrifft nicht nur die reale Praxis des modernen Lebens, sondern auch die Erkenntnis: auch diese führt die scheinbar rein begriffliche oder ideelle Notwendigkeit mehr und mehr auf die Zweckmässigkeitsinstinkte der Gattung zurück, und erklärt deren Reaktion auf das unabänderliche Geschehene durch ihre Fürsorge für das noch zu ändernde künftige Geschehen.

In Bezug auf das Freiheits- und Verantwortungsproblem aber ist diese Maxime noch nicht fruchtbar geworden. Hier scheint noch der Zustand einer Freiheit oder Unfreiheit, welcher vor dem Begehen der Tat an dem Täter subsistierte, für sich allein über das Mass der strafenden Reaktion zu entscheiden.

Behalten wir statt dessen (<216) auch hier im Auge, dass die Strafe von ihrem Zweck bestimmt wird, dass über sie in letzter Instanz nicht ihr terminus a quo, sondern ihr terminus ad quem entscheidet, so können wir die ganze Freiheitsvoraussetzung mit ihren unlösbaren Schwierigkeiten ausschalten, und das Ob und Wie viel der Verantwortung einfach davon abhängen lassen, welches Mass von Strafe in dem gegebenen Falle zweckmässig ist, um die soziale Absicht alles Strafens überhaupt zu erreichen.

Wir sind also nicht verantwortlich, weil wir frei sind, sondern umgekehrt, Freiheit ist der Name für denjenigen Zustand, in dem ein gewisses Strafmass wirksam und für die Zukunft nützlich ist; und wir sind nicht unzurechnungsfähig, weil unser Wille unfrei, unsere freie Willensbestimmung durch körperliche oder geistige Momente ausgeschlossen ist, sondern umgekehrt heisst derjenige Zustand ein unfreier, in dem es sinnlos, weil zwecklos wäre" uns unsere Tat strafend zuzurechnen.

Die Vorstellung: er hätte auch anders gekonnt - auf die hin wir strafen, ist nur die Spiegelung des Strafzwecks: er soll künftig anders handeln. Es ist eine jener Projizierungen, die den Inhalt oder das Problem einer Vorstellung oder Realität als Kraft, als Potenz vor dieselbe verlegen.

Während man sich sonst vorzustellen pflegt, die Freiheit allein sei es, die die Strafe gerecht macht, so sagen wir jetzt: ein bestimmter Zustand allein ist es, der die Strafe zweckmässig macht, und diesen bezeichnen wir als Freiheit.

Wie Gerechtigkeit ihrem Inhalte nach nur dasjenige ist, was der Allgemeinheit gemäss der Gattungserfahrung nützlich ist, so bedeutet die gegen ihre Ausübung gerichtete Frage: ob das Individuum, an dem ihre positive Bestimmung vollzogen werden soll, auch frei ist - nur dies, ob ihre Vollziehung an demselben auch wirklich dein Gattungszwecke dient.

Und wenn wir sagen: es wäre ungerecht, ein völlig determiniertes Wesen zu strafen, weil es gar nicht anders gekonnt hat, als so handeln, wie es tat, so ist dies auch (<217) nur die Rückwärtswendung der praktischen Erkenntnis, dass es sinnlos wäre, ein Wesen zu strafen, dessen Handlungen so determiniert sind, dass die Strafe keinen Einfluss auf dieselben ausüben kann.

Die Behauptung des Determinismus andrerseits, dass nur unter seiner Voraussetzung überhaupt eine Strafe gerecht sei, ist, so lange wir die Zurechnung ausschliesslich auf den vorhergehenden Zustand gründen, immer nur künstlich und nicht ohne einen gewissen Widerspruch des sittlichen Gefühles durchführbar; sie bezieht sich eben auch, wenngleich verneinender Weise, auf den alten Freiheitsbegriff, nach dem das Individuum auf Grund seiner individuellen Beschaffenheit verantwortlich gemacht wird, statt auf Grund des gesellschaftlichen Interesses an seinem zukünftigen Handeln.

Dagegen ist jene deterministische Behauptung durchaus richtig, sobald sie sagt: die Strafe hat erst dann einen Zweck, wenn das Subjekt durch dieselbe determiniert wird; erst wenn wir annehmen, dass die Reaktion des Verletzten auf den Verletzenden in berechenbar gesetzmässiger Weise zu einem künftigen Schutze des ersteren führt, hat die Strafe einen Sinn.

Weil es ein teleologischer Prozess ist, jemanden verantwortlich zu machen, müssen wir von seinem Zwecke aus seine Fundamente, Freiheit und Determination, bestimmen, die ewig in der Luft schweben, sobald sie, sozusagen, als substanziell, als für sich bestehende, aus sich begreifliche Inhalte aufgefasst werden.

Derjenige ist frei, den man mit Erfolg verantwortlich machen kann, derjenige unfrei, bei dem man dies nicht tun kann. So münden wir tatsächlich an dem, was das sittliche Bewusstsein von jeher gelehrt hat: dass man nur den Freien verantwortlich machen darf, den Unfreien nicht - nur dass wir durch die Drehung in der Reihenfolge der Begriffe nun nicht mehr nötig haben, eine Freiheit vorauszusetzen, die aus sich selbst unverständlich, deren Antinomie mit dem Determinismus unlöslich ist, sobald beide als primäre Begriffe betrachtet (<218) werden.

Ferner gibt diese Deutung der Freiheit eine tiefere Rechtfertigung jenes sittlichen Imperativs, der an die Stelle der Voraussetzung einer vorhandenen Freiheit setzen will: befreie dich! denn dieses bedeutet nun: gestalte deine Persönlichkeit so, dass die Reaktion der Gattung auf dein Handeln auch zu den Zwecken führe, die diese dabei im Auge hat.

Die Hingegebenheit an sinnliche Impulse, die Befangenheit in der Lust des Augenblicks ist Unfreiheit, weil der solchem Unterworfene erfahrungsgemäss die Verantwortungsfolgen seines Handelns nicht an sich fruchtbar werden lässt; die Motive, die ihn beherrschen, haben psychologisches Übergewicht über diejenigen, die aus früherem Lohn und Strafe quellen.

So ist tatsächlich ein derartig sinnlich reizbarer, impulsiver Mensch relativ unverantwortlich, was denn auch allgemein anerkannt ist; er ist es aber nicht, weil ihm die mystische Qualität der Freiheit fehlte, sondern weil es nutzlos ist, ihn verantwortlich zu machen; nicht wegen seiner momentanen oder früheren Beschaffenheit an und für sich, sondern wegen der teleologischen Bedeutung dieser Beschaffenheit, für die die Freiheit nur eine Bezeichnung, aber nicht ein besonderer, neben ]euer stehender Inhalt ist.

In dieser Bedeutung der Freiheit liegt also das Band zwischen Unfreiheit und Unsittlichkeit, das so häufig zu der an sich missverständlichen Identifizierung beider geführt hat. Andrerseits ist es nun auch gerechtfertigt, dass man Freiheit und Vernünftigkeit identifizieren und nur den Vernünftigen verantwortlich machen will.

Denn mit "Vernunft" bezeichnen wir die psychische Energie, die jedem Lebensinhalte dasjenige Mass von subjektiver Reaktion zukommen lässt, das ihm objektiv und mit Rücksicht auf das Ganze des Lebens gebührt; die Vernunft ist das Vermögen, die rein sachliche Bedeutung der Dinge sozusagen zeitlos vorzustellen, ungestört durch das Übergewicht, das die Lebhaftigkeit momentaner Reizungen diesen verschaffen will.

Die Vernünftigkeit ist also derjenige Zustand, in (<219) dem Lohn und Strafe ihre Bedeutung am angemessensten und ungestörtesten entfalten; in dem vernunftmässigen Wesen als solchem verschwinden jene gleichsam von aussen eingreifenden sinnlichen Störungen, die die beabsichtigten, sachgemässen psychologischen Folgen der Strafe unberechenbar unterbrechen.

Deshalb wird bei einem solchen Wesen die Verantwortung die reinsten und vollsten Ergebnisse haben, sie wird bei ihm zweckmässiger sein, als bei dem sinnlich bestimmten, das mehr Augenblickswesen ist; an ihm ist also tatsächlich derjenige Zustand vorhanden, der die psychologische Grundlage zweckmässiger Verantwortung bildet und den man als Freiheit zu bezeichnen pflegt.

Für die strafrechtliche Behandlung des Verbrechers eliminiert diese Deutung wenigstens prinzipiell die schwierige Vorfrage, ob er mit freier Willensbestimmung gehandelt hat oder nicht.

Der Verbrecher wird bestraft, wenn es zweckmässig ist, ihn zu bestrafen; die Freiheit, von der man dies letztere abhängig macht, ist nichts anderes als diejenige Beschaffenheit,. die die Strafe wirksam,. also zweckmässig werden lässt.

Jene, wie erwähnt, durch psychologische Spiegelung entstandene Vorstellung: dass wir ihn strafen, weil er frei war. d. h. weil er auch hätte anders wollen können - hat allerdings eine relativ richtige Bedeutung; wir strafen ihn, wenn und weil die Möglichkeit vorhanden ist, dass er nach erlittener Strafe anders handelt; es muss allerdings in ihm die Fähigkeit, die Spannkraft auch zu anderem Handeln liegen, - sonst wäre die Strafe sinnlos.

Diese Möglichkeit, die erst durch die Strafe in einem späterer, Moment aktualisiert werden soll, wird von der gewöhnlichen Anschauung mit der anderen vereinigt, aus der das Unrecht hervorging, und als ihr Äquivalent gesetzt - dies eben bedeutet der alte Freiheitsbegriff -während tatsächlich die erstere in dem Moment vor der Tat eine sehr viel schwächere war und erst der eingetretenen Strafe bedurfte, um zur Wirklichkeit zu werden. (<220)

Aber dass sie als Möglichkeit, die freilich hinter der anderen Möglichkeit an Kraft zurückstand, die Voraussetzung einer gerechten - d. h. zweckmässigen - Strafe ist, das ist allerdings eine durchaus richtige Präsumtion.

Man kann von hier aus also auf die volkstümlichste und scheinbar gröbste Vorstellung der Freiheit zurückgreifen: Freiheit sei die Möglichkeit, anders zu handeln, als man wirklich handelt.

Dieselbe ist ganz richtig, sobald man unter Möglichkeit nicht eine qualitas occulta vorstellt, sondern dasjenige, was allein dem Möglichkeitsbegriff eine Rechtfertigung gibt: ein ganz reales Lagerungsverhältnis von Elementen, das vermöge des Eintritts neuer Kraftwirkungen zu einem bestimmten Zustand oder Leistung fortgebildet wird, in Hinsicht auf welche jenes eben als blosse "Möglichkeit" gilt, während es an sich schon etwas durchaus Wirkliches ist.

Die Möglichkeit ist die gedankenmässige Antizipation einer künftigen Entwicklung und erhält ihren Ton von Ungewissheit, von Schweben zwischen Ja und Nein nur durch die mangelnde Sicherheit unseres Wissens um jenen Zustand und um das Eintreten der Bedingung, die das Mögliche zum Wirklichen macht.

In diesem Sinne ist also wirklich die Freiheit die Möglichkeit des Andershandelns - nur dass Möglichkeit hier so wenig wie irgendwo sonst ein objektives äquilibrium zwischen Ja und Nein bedeutet, sondern einen ganz realen psychologischen Zustand, der durch eine bestimmte Einwirkung, die Strafe, in einen anderen, die Sittlichkeit, übergeführt werden wird und also die "Möglichkeit" dieser letzteren in sich enthält.

Es ist bezeichnend für diesen Sachverhalt, dass die deutsche Kriminalistik bis zum Anfange dieses Jahrhunderts den Begriff der Zurechnungsfähigkeit als solchen noch nicht ausgebildet hatte; man beschränkte sich auf die Erörterung von Momenten, welche die Strafe ausschliessen oder mildern: Jugend, Affekt, Geistesstörung, Trunkenheit, ohne erst den Freiheitsbegriff dazwischen zu schieben.

Diese Tatsache(<221) weist darauf hin, dass nicht die Freiheitsvorstellung der Grund ist, aus dem die Zurechnung erfolgt, sondern dass umgekehrt die praktische Zweckmässigkeit zuerst diese geschaffen hat und die Unzurechnungsfähigkeit nur als zusammenfassender Ausdruck für jene Zustände anzusehen ist.

Durch diesen primären und nur praktisch, nicht metaphysisch diskutablen Charakter der Zurechnung erklärt es sich auch, dass wir unterhalb einer gewissen Altersstufe keine volle Zurechnungsfähigkeit annehmen.

Freiheit müsste man doch auch einem sehr jungen Menschen zusprechen, und wenn sie der Grund der Verantwortung wäre, auch ihn voll bestrafen.

Allein naheliegende psychologische Erfahrungen haben gezeigt, dass es, um die künftige Handlung eines jungen Menschen zu leiten, nicht zweckmässig ist, ihn in derselben Weise zu strafen, wie einen ganz erwachsenen, und dafür ist seine partielle Unzurechnungsfähigkeit nur der Ausdruck.

Das relative Recht oder wenigstens der tatsächliche Bestand der Abschreckungstheorie auch in ihren schroffsten Folgen beweist dasselbe.

Wäre die Freiheit als ein primärer, für sich realer Zustand des Individuums der Grund seiner Verantwortbarkeit, so wäre es unverständlich, wieso man sogar bei völligem Mangel der damit bezeichneten Beschaffenheit dem Täter seine Tat zurechnen konnte.

Tat man es dennoch, um ihn oder Andere künftig abzuschrecken, so geht daraus hervor, dass der praktisch-soziale Zweck der Strafe über sie entscheidet, dass er das Höhere ist, dem gegenüber das, was wir Freiheit nennen, nur eine der Bedingungen bezeichnet, unter denen er am leichtesten erreicht wird.

Ob verfeinerte Erkenntnis uns lehrt, unter Abweisung der Abschreckungstheorie uns auf den Fall des Vorhandenseins dieser Bedingung für die Strafe zu beschränken, kommt hier prinzipiell nicht in Betracht.

Die blosse Tatsache, dass immerhin höhere Kulturen roch andere Bedingungen des Verantwortlichmachens angenommen haben, als die sogenannte Freiheit, beweist hinlänglich, dass nur der Zweck der Strafe (<222) entscheidet, ob wir verantwortlich sind oder nicht, und dass deshalb, wenn man die Freiheit zum Rechtsgrunde der Strafe macht, man mit ihr nur denjenigen positiven Zustand bezeichnet, bei dem die Strafe ihren Zweck am besten oder ausschliesslich erfüllt.

Die Vorstellung der Freiheit, als sei sie eine für sich bestehende Potenz des Individuums, auf die hin nun, relativ zufällig und begrifflich davon unabhängig, seine Verantwortbarkeit eintrete, ist ein Produkt der individualistischen Weltanschauung; der historisch-sozialen Betrachtung, die das Einzelne durch sein Verhältnis zum Ganzen zu verstehen sucht, erscheint auch das vorgeblich persönlichste Besitztum des Menschen, die Freiheit, als eine Beschaffenheit, die ihren Charakter ausschliesslich von ihrer sozialen Zweckmässigkeit erlangt.

Dass dennoch die Freiheit der Verantwortung gegenüber als der fundamentalere, sozusagen breitere Begriff erscheint, von dem diese erst abgeleitet, auf den sie, naturgemäss in beschränkterem Umfange, erst aufgebaut ist - das ist eine Rückspiegelung der Tatsache, dass für unser Gefühl die Verantwortung einen über ihre übliche oder überhaupt mögliche Realisierung hinausgehenden Anspruch und Geltung besitzt.

Und zwar stammt dieses Gefühl aus der Erfahrung, dass alles Verantwortlichmachen nicht zureicht, um das geschehene Böse, dem es gilt, völlig wieder gutzumachen.

Nicht einmal im Äusserlichsten ist dies möglich: der zivilrechtliche Regressanspruch, den man auf Grund einer Vermögensbeschädigung erhebt, kann wohl zum Ersatz der materiellen und persönlichen Einbusse, nicht aber zu einem völligen Wiedergutmachen der sittlichen und sozialen Erschütterung führen, die jede Rechtsverletzung mit sich bringt.

Insoweit die Verantwortung für eine Störung der sittlichen Ordnung eine wirkliche restitutio in integrum anstrebt, versucht sie sich an einem eigentlich unlösbaren Problem.

Es wäre durchaus unzutreffend, die unsittliche Tat als eine negative Grösse vorzustellen, zu der die Strafe (<223) entweder als positive, oder als Negation der Negation derart trete, dass nun wieder genau der vorige Stand erreicht ist.

Es verhält sich mit der Unsittlichkeit tatsächlich so, wie der konsequente Pessimismus es vom Leiden behauptet: es gebe überhaupt keine Ausgleichung desselben durch Lust, jeder Schmerz sei ein absolutes Übel, das deshalb jede Äquivalenz und Möglichkeit einer Aufhebung, - durch nachträgliche, noch so grosse Lustgefühle von sich ablehne.

Die Störungen, die die Unsittlichkeit anrichtet, liegen oft auf ganz anderen, oft auf unvergleichlich weiteren Gebieten, als diejenigen sind, auf denen die Strafe ihre wieder gutmachende, ausgleichende Wirkung übt.

Schon rein individuell wird die Strafe häufig sozusagen in anderen Seelenprovinzen empfunden als in der Heimat der Tat, auf die sie die Reaktion bildet.

Was wir als Verstocktheit gegenüber der Strafe oder als Unverbesserlichkeit bezeichnen, das mag oft auf eine derartige psychologische Konstellation herauskommen, auf eine mangelnde Verbindung zwischen dem eigentlichen Sitz der Unsittlichkeit und dein Gefühlszentrum, in das die Strafe mündet; nicht nur die äussere, sondern auch die innere Strafe, die Reue und Zerknirschung bis zu ihren extremsten Graden, liegen oft völlig beziehungslos neben dem unsittlichen Triebe, so dass dieser seine Macht übt, seine Verwirklichung durchsetzt, während man sich zugleich völlig darüber klar ist, mit welchen.

Gewissensqualen man diese Unsittlichkeit bezahlen muss. Gerade aus dieser Tatsache ist wiederum ersichtlich, wie sehr es für die Verantwortung eines einheitlichen Ichs bedarf; jene kann es nur geben, wenn die Reaktion auf die Tat wirklich an eben den psychischen Punkt gelangt, von dem die Tat ausging.

Die relative Häufigkeit, mit der dies geschieht, wird in der Vorstellung des einheitlichen Ich substanzialisiert und verabsolutiert. Dass es aber häufig auch nicht geschieht, ist eines der Momente, die die Balance zwischen der Tat und ihrer Strafe unterbrechen.

Wenn die Tat noch so (<224) schwer heimgesucht, die Verantwortung noch so energisch realisiert ist - es ist doch nicht als ob Nichts geschehen wäre; mag man auf die Beschaffenheit des Täters, auf die sozialen Folgen oder auf die Bedeutung für die sogenannte sittliche Weltordnung sehen - in allen diesen Beziehungen ist die genaue Deckung von Tat und Sühne, die wirkliche Aufhebung der Schuld durch die realisierte Verantwortung teils unbeweislich, teils ihr Gegenteil beweislich.

Es bleibt immer ein unaufgegangener Rest, für den ideeller Weise wohl Verantwortung erfordert wird, ohne dass doch eine anführbare Grösse und Gestaltung derselben die Ursache und Folge des Bösen wie ungeschehen machen würde. Und so verhält es sich vielfach auch mit der Reaktion auf das Sittliche und Gute.

Insbesondere bei edleren Naturen kompensiert sich der Dank nicht, den sie für gegenseitig erwiesenes Gutes einander schulden; man fühlt sich nicht von aller weiteren Verpflichtung entbunden, nachdem man das gleiche Mass von Gutem, das man erfahren, zurückgegeben hat.

Mögen wir einen Dank noch so nachdrücklich betätigen: es bleibt doch noch ein Residuum in dem Gefühle, dass das innerliche Band mit alledem nicht völlig gelöst sei und bei einer neuen Gelegenheit doch wieder seine verpflichtende Kraft äussern könne.

Bei der Liebe, die wir von jemandem erfahren, haben wir die Vorstellung, dass sie ebenso wenig ganz und gar und ohne Rest vergolten, wie sie eigentlich verdient werden kann; sie bleibt immer ein Geschenk, auf das wir nicht nur keinen äusseren, sondern auch keinen inneren Anspruch haben, und das wir nicht einmal mit der gleichen Gegenliebe vollkommen vergelten können.

Sowohl dem Unsittlichen als dem Sittlichen gegenüber ist es eine rohe Vorstellung, dass er "seinen Lohn dahin haben" könne; die unsittliche und die sittliche Handlung weisen sowohl in ihren Ursprüngen wie in ihren Folgen auf die Totalität des Individuums, wie des sozialen Kreises hin, und die von dem Standpunkt des sittlichen Ideals aus geforderte Reaktion (<225) auf beide überragt deshalb immer dasjenige Mass, in dem Lohn und Strafe empirisch zu verwirklichen ist.

Dabei ist aber kein Zweifel, dass es sich bei jener idealen Forderung nur um eine Fortsetzung der empirisch geübten Verantwortung handelt, nur um ein Weiterdenken derselben über ihr tatsächlich vorgefundenes, als zweckmässig konstituiertes Mass hinaus; und wie so oft tritt die ideale Vergrösserung und Verabsolutierung der relativen Grösse dann als das sachlich Primäre auf, aus dem jene erst hervorgegangen wäre.

Wenn es also als ein Widerspruch erscheint, dass die Freiheit nur der Zustand sein soll, in dem Jemanden verantwortlich zu machen sozial nützlich ist, und dass andrerseits die Freiheit als ein unvergleichlich umfassenderer Zustand als die blosse Verantwortlichkeit vorgestellt wird: so erklärt sich dies dadurch, dass die Verantwortung durch jene innere Verbreiterung psychologisch zu der Totalität des Gebietes auswächst, von dem ihre wirkliche Ausübung nur einen Teil besetzt.

Indem die Freiheit nun insbesondere wegen ihres Zusammenhanges mit dem Ich 'auf den weiteren und ideellen Sinn der Verantwortung bezogen wird, überschreitet sie allerdings den Umfang, der ihr als blosser die empirische Verantwortung rechtfertigender Zustand zukommt, ohne damit prinzipiell diese Genesis zu dementieren; denn jener weitere Sinn ist, wie wir sehen, nichts Primäres, sondern geht auch seinerseits auf die empirische Verantwortung zurück, die er nur in einem Vergrösserungsspiegel auffängt.

Ich habe in dem Bisherigen die psychologische Vermutung über die Entstehung des Freiheitsbegriffes nicht scharf von der sachlichen Bestimmung seiner Anwendbarkeit getrennt.

Es schien mir, als ob es behufs der letzteren nötig sei, durch psychologische Analyse diejenigen Momente zur Klarheit zu bringen, auf die hin die soziale Zweckmässigkeit diesen Begriff und seine Anwendungen zu Stande gebracht hat.

Ich knüpfe hieran einige nur psychologische (<226) Überlegungen, die nicht sowohl den Inhalt der Freiheit als die Gelegenheiten beleuchten sollen, die die Entstehung ihrer Vorstellung bedingen.

- Ich habe vorhin und schon früher (Bd. I. S. 287 f.) hervorgehoben, dass der Freiheitsbegriff auf einer zeitlichen und dynamischen Koordinierung mehrerer Handlungsweisen beruhe, die tatsächlich erst nach einander und mit verschiedenen Stärkegraden in das Bewusstsein treten.

Wir empfinden verschiedenartige Impulse, von denen in Wirklichkeit der eine ganz, der andere gar nicht die Kraft hat, unser Handeln in einem gegebenen Augenblicke zu bestimmen; dennoch reicht jener anders gerichtete Antrieb aus, um ihn mit den anderen zusammen als einander äquivalente Seiten eines Dilemmas zu empfinden, zwischen denen die Entscheidung erst durch das Dazutreten einer freien Willenstat gegeben würde; die Bestimmung derselben erfolge nicht durch das Übergewicht des einen Impulses über den anderen, sondern umgekehrt, der Wille müsse erst einem der an sich gleichen Reize das Übergewicht verleihen.

Oder wir konstatieren die, eigene oder fremde, Fähigkeit, sich durch den Eintritt gewisser Tatsachen, insbesondere von Strafe oder veränderten Lebensverhältnissen in einem späteren Augenblick zu anderen Handlungen bestimmen zu lassen, als in früheren.

Dies hypostasiert der Freiheitsbegriff dahin, dass uns schon in dem früheren Zeitpunkt beide Handlungsweisen gleichmässig möglich gewesen wären.

So stellt dieser Begriff allenthalben die sachlichen Inhalte des Handelns zusammen, die freilich als äquivalente, als gleichberechtigte und deshalb eines entscheidenden Willens bedürfende Möglichkeiten erscheinen, weil man alle diejenigen Momente vernachlässigt, die zu den blossen Inhalten hinzutretend, die Möglichkeit des einen von vornherein zur alleinigen Wirklichkeit prädestinieren. (<227)

Die allgemeinste Beobachtungsgrundlage dieses ganzen Gedankenkreises ist also offenbar die inhaltliche Verschiedenheit der menschlichen Handlungen.

Auf den Gedanken, dass wir auch anders handeln könnten, als wir wirklich handeln, würden wir schwerlich kommen, wenn wir nicht beobachteten, dass wir zu verschiedenen Zeiten selbst unter ähnlichsten Umständen tatsächlich in sehr verschiedener Weise handeln.

Wie die Vorstellung von Kausalität nur auf Grund der beobachteten Regelmässigkeit der Erscheinungen entsteht, so ihr Gegenteil, die Freiheitsidee, auf Grund der beobachteten Unregelmässigkeit derselben.

Mit beiden greifen wir unter die Erscheinungen hinab, um ihre Form durch eine transzendentale Potenz zu erklären, in beiden Fällen kommen wir freilich auch nicht weiter als bis zu einer Verdichtung der Erscheinungen, die ein selbständiges psychologisches Leben gewinnend, als Urgrund derselben erscheint, und uns so das Problem als seine eigene Lösung verkleidet wiedergibt.

Auch von dieser Seite her, die die empirische Mannigfaltigkeit und Entgegengesetztheit der Handlungen als die Entstehungsgelegenheit der Freiheitsvorstellung erscheinen lässt, zeigt sich die Verbindung derselben mit dem Ich.

Denn eben diese Differenz der psychischen Inhalte, die Weite ihres Auseinanderliegens wird erst die Idee einer einheitlichen Wurzel, einer zusammenhaltenden Potenz ihrer nahegelegt haben.

Auch das, was wir im engeren empirischen Sinne das Ich nennen: das Gefühl starker Individualität, die scharf umrissene Persönlichkeit, das sichere Ruhen in sich selbst - das erhebt sich doch am entschiedensten und beherrschendsten gerade über den gegensatzreichsten Schicksalen, über der grössten Fülle innerer und äusserer Bewegungen.

Das Bedürfnis nach der Einheit erwächst erst, wenn die Vielheit gegeben ist, und es wächst in dem Masse, in dem diese steigt - natürlich nur bis zu einer gewissen Grenze; geht die Vielheit und Heterogenität der einzelnen psychischen (<228) Inhalte über dieses Mass hinaus, so sprengt sie die Ich-Form und lässt die Inhalte gewissermassen beziehungslos auseinanderfallen.

Man könnte dies die Elastizitätsgrenze des Ich nennen. Bis zur Erreichung derselben aber wirkt die Ich-Form um so entschiedener, eine um so grössere Fülle von Entgegengesetztheiten ihr zusammenzuhalten zugemutet wird.

Je einförmiger umgekehrt die Inhalte des Lebens abrollen, je mehr deshalb der eine aus dem anderen verständlich und mit ihm harmonisch ist, desto weniger Veranlassung liegt vor, zu einem darüberstehenden Ich zu greifen, das vielmehr erst dann nötig ist" wenn das Zusammenbestehen des Heterogensten eine verbindende Macht fordert; um so formaler, um so mehr "reines Ich" muss diese sein, je divergenter die Inhalte sind, deren Entstehen, Folge und Wechselwirkung sie erklären soll.

So bildet denn die empirische Mannigfaltigkeit des Lebens ein neues Band zwischen dem Ich und der Freiheit: jenes wird verlangt, um überhaupt deren Möglichkeit, diese, um ihre Entstehung zu erklären.

Wie eines Ich, so scheint es eines ganz undeterminierten, nicht präjudizierten Vermögens zu bedürfen, das alle "Möglichkeiten" überhaupt in sich schliesst, damit es zu der Buntheit und Fülle jener Inhalte überhaupt komme.

Nützlicher für das wabre Verständnis des Freiheitsproblemes als alle dialektischen Deduktionen wäre deshalb die psychologische Aufsuchung und Analyse solcher typischen Willensvorgänge, deren Nebeneinanderbestehen zwar gegeben" aber nach logischen, sachlichen Gesichtspunkten unbegreiflich scheint.

Denn darin, dass die Inhalte unserer tatsächlichen Willensakte nach begrifflichen, ethischen, ästhetischen, rationalen Normen jeder Art so unvereinbar auseinander liegen, dass ebenderselbe Mensch mit ebenderselben psychologischen Kraft niedrig und edel, kraftvoll und schwächlich handelt, dass Liebe und Hass, Geistigkeit und Sinnlichkeit seiner Interessen abwechselt, dass er einmal den höchsten Ansprüchen, ein andermal kaum den niedrigsten genügt . und zwar ohne dass die Verschiedenheit begleitender Umstände es gestattete, diese Verschiedenheit schliesslich doch auf die Gleichheit allgemeinster Gesetze zurückzuführen - darin fliesst zweifellos eine Quelle der Freiheitsvorstellung.

Die Erfahrung, dass wir das Heterogenste nacheinander und auch gleichzeitig in verschiedenen Provinzen unserer Interessen und Fähigkeiten Wollen, ist gewiss ein Ursprung des Glaubens, dass wir an dein letzten einfachen Punkte unseres Wesens die Wahl zwischen den entgegengesetzten Möglichkeiten des Wollens haben.

Auf die Ursache und die Bedeutung dieser inhaltlichen Divergenz der psychischen Tatsachen komme ich in einem späteren Abschnitte zu sprechen; hier handelt es sich nur darum, dass sie ihrerseits die Veranlassung bildet, zu der Annahme eines Freiheitsvermögens zu greifen.

Als ein Gegenstück dazu, das zwar mehr nach der Seite des Objektiven gewandt ist, aber gleichfalls die psychologische Freiheitsvorstellung begründen hilft, nenne ich die Fähigkeit der Phantasie, sich das Geschehen in allen drei Zeitmodis anders vorzustellen, als es tatsächlich verläuft.

Statt der Dinge und Ereignisse, die die Erfahrung uns zeigt, können wir rein ideell uns völlig anders qualifizierte denken, sehen wir auf den blossen Inhalt des Weltbildes, ohne nach seiner Wirklichkeit zu fragen, so können wir denselben vermöge der Eigenart unserer Einbildungskraft ganz beliebig gestalten.

Indem min aber, wie ich im ersten Kapitel ausführte, zwischen dem inhaltlichen Gedanken der Dinge und der Vorstellung. dass sie wirklich sind, nur eine verschwimmende Grenze besteht, nimmt das bloss innerliche Vorstellen-Können einer anderen als der wirklichen Ordnung, einen Ton an, als läge in den Dingen selbst etwas wie eine objektive Möglichkeit sieh anders zu verhalten, als sie es erfahrungsgemäss tun.

Erst die strengste erkenntnistheoretische Schulung überzeugt uns, dass nur das (<230) Wirkliche möglich ist; in der gewöhnlichen lässigeren Denkart glauben wir unzählige Male, dass die Dinge hätten anders kommen können, als sie wirklich gekommen sind.

Da derartige Denkmöglichkeiten immer an irgendwelche Elemente der Wirklichkeit anknüpfen, die sie nur nach Ausdehnung und Richtung modifizieren, so scheint das so entstandene Phantasiebild doch nicht ganz ausserhalb der Wirklichkeit zu liegen, diese selbst scheint die Kräfte zu enthalten, die eben sogut und ohne die bestehende Weltordnung total zu verneinen, dieses bloss Mögliche hätten verwirklichen können, das bis zu einer gewissen Stufe keine geringere Chance der Realisierung hatte, als das tatsächlich Realisierte.

Bis uns die Ereignisse nachdrücklich eines anderen belehren, sind wir sehr geneigt, die Wirklichkeit uns so vorzustellen, wie wir sie uns wünschen oder träumen, und deshalb haftet selbst nach dieser Belehrung noch ein Schatten von Realität an jenem bloss Gedachten, Unwirklichen.

Da es nun die von Menschen geleiteten Angelegenheiten sind. mit denen unsere Interessen und Berechnungen, unsere Hoffnungen und Wünsche sich in allererster Linie beschäftigen, so ist ersichtlich, wieso gerade das menschliche Handeln dein Gedanken von Möglichkeiten Raum geben konnte, die doch nicht ganz des psychologischen Wirklichkeitstones entbehren, und so selbst nach völliger Dementierung durch die Wirklichkeit uns noch immer glauben lassen, dass auch sie sich hätten verwirklichen können.

Das aber eben ist die objektive Seite des Freiheitsbegriffes.

In Bezug auf das eigene Handeln wird diese Grenzverschwommenheit zwischen dem bloss Gedachten und dem Wirklichen, wie ich bereits früher ausführte, dadurch begünstigt? dass wir auch zu den im Konfliktfalle unausgeführt gebliebenen Handlungen einen Trieb und innerlichen Ansatz gespürt haben, so dass ein wenn auch schwächerer Grad von Wirklichkeit auch auf ihnen haftet.

Jene auf sie hindrängenden Kräfte sind nicht nur das, was sie bedeuten, wenn sie rein auf (<231) ihren aktuellen Inhalt hin angesehen werden, sondern sie gelten zugleich als die objektive Möglichkeit der Handlungen, zu denen sie bei nahe geführt hätten.

Die Leistung der Phantasie, die das Nichtwirkliche zu dem psychologischen Werte des Wirklichen ausbaut, ist eine um so kürzere und leichtere, je näher uns innere Antriebe, wenn auch schliesslich unterliegend, an seine Verwirklichung heranbringen.

Dies ist aber doch nur ein besonderer und psychologisch besonders begünstigter Fall jener Abschwächung der Kategorien des Seins und des Nichtseins, vermöge welcher neben dem Wirklichen das bloss als möglich Gedachte in die gleiche Beleuchtung rückt und durch die Einbildungskraft gewissermassen die gleiche Chance der Verwirklichung erhält.

In der so entstehenden Situation gewinnt die Freiheitsvorstellung Raum und Kompetenz, indem eine Reihe von Möglichkeiten äquivalent erscheinen, von denen sich schliesslich nur eine verwirklichen kann - eine Verwirklichung, deren Ursache jener Äquivalenz wegen nicht in den Möglichkeiten oder ihren Faktoren selbst scheint liegen zu können, sondern in einer darüberstehenden, von ihnen selbst nicht bestimmten, also frei wählenden Macht gesucht werden muss.

Die Freiheit zeigt an sich selbst und ihrem Gegenteil ein ähnliches Mischungsverhältnis als Grundlage des Handelns, wie es hier zwischen objektiven Kategorien als Bedingung ihrer selbst auftritt.

Ich habe die Antinomie der längst bekannten Deduktionen hervorgehoben, nach denen weder der konsequente Determinismus noch die konsequente Freiheitslehre ein verantwortliches Handeln ermöglicht.

Tatsächlich vollzieht sich unser Handeln auch weder unter der einen noch unter der anderen Voraussetzung, sondern auf Grund einer psychologischen Mischung beider, die wahrscheinlich von Fall zu Fall ihre Quantitäten wechselt. Das empirische Bewusstsein des "freien" Handelns bedarf geradezu eines mittleren Zustandes zwischen dem (<232) Bewusstsein der Determiniertheit und der Nichtdeterminiertheit.

Es ist ein landläufiger Irrtum, dass das praktische Handeln sich jenseits dieser Frage stellte, dass unsere theoretischen, nach der einen oder nach der anderen Seite gerichteten Überzeugungen ohne Belang wären, sobald es aufs Handeln ankäme.

Wir würden vielmehr irgendwie zusammengesetzte, durch mehrere Zeitmomente sich erstreckende Handlungen nicht einleiten, wenn wir an jene absolute Freiheit glaubten, die den Entschluss jedes Augenblicks völlig gegen alles Vorangegangene isoliert.

Denn unter dieser Voraussetzung wäre jede Handlung aussichtslos und kindisch, die ihren Erfolg erst bei einer gewissen Konsequenz der weiteren Durchführung erwarten kann.

Selten führt uns in irgend höheren Verhältnissen der erste Schritt schon zum Ziele; könnten wir nun nicht darauf rechnen, dass der Wille auch zu jenen weiteren Handlungen eintritt, die durch die Endabsicht der ersten bestimmt sind, so würden wir uns in das ganze Engagement von vornherein nicht einlassen.

Wir sind also tatsächlich überzeugt, dass unser Wille nicht in jedem Augenblick neu aus dem Nichts geboren wird, sondern dass vorhergehende Inhalte im Zusammenhänge mit äusseren Verhältnissen ihn determinieren, und zwar mit solcher Sicherheit, dass uns ein Zweifel an dem Eintreten des vorbestimmten Entschlusses zu der vorbestimmten Zeit überhaupt gar nicht kommt, und wenn doch, so nur auf Grund positiver Momente, anderweitiger Kräfte, von denen wir eben auch eine ]irgendwie berechenbare, kausale Ablenkung unseres Willens vermuten.

Bei rein psychischen Vorgängen. in die der Wille eingreift und in denen er seine Freiheit am unbedingtesten zu entfalten scheint, muss gerade in dieser Beziehung ein strenger Mechanismus vorausgesetzt werden.

Wenn wir uns auf eine Vorstellung besinnen, wenn wir uns vornehmen, zu bestimmter Zeit an Bestimmtes zu denken. so ist der Erfolg davon und die Sicherheit desselben nur durch den Assoziationsmechanismus, möglich, der (<233) von der momentanen Vorstellung aus wirkend eine Kausalkette knüpft, die schliesslich in der gesuchten Vorstellung mündet.

Wir können keine Vorstellungen durch Willensentschluss unmittelbar hervorrufen, sondern uns nur auf die gesetzmässige Wirkung jenes Mechanismus verlassen, gerade wie der Herr den Diener nur so mit Erfolg herbeiruft, dass die ganze Kette psychischer und physischer Assoziationen von dem ersten Gliede dieses Geschehens bis zum letzten wirkt.

Alle unsere Verhältnisse zu anderen Menschen beruhen auf der vorausgesetzten Berechenbarkeit, also Gesetzmässigkeit ihres Wollens, auf einer Annahme, die eine entfernte Analogie mit dem Trägheitsgesetz besitzt: wir nehmen an, dass der Willenscharakter, ja, innerhalb begrenzter Zeiträume auch der Willensinhalt jedes Menschen umgeändert bleibt, wenn keine positiven Ursachen verändernd auf ihn einwirken.

Der ganze Verkehr von Menschen untereinander ist ein Gewebe von psychologischen Einwirkungen, und wäre schlechthin unmöglich, wenn nicht jeder darauf vertraute, dass ein von ihm ausgehender Einfluss auf den Anderen in diesem einen kausal völlig determinierten Willensakt auslöste.

Diese Determiniertheit der Anderen, zu deren Konstatierung und Ausnützung uns praktische Gründe zwingen, ist vielleicht ein Ursprung der Überzeugung auch der eigenen Determiniertheit geworden, und zwar durch einen eigentümlichen dialektischen Prozess" wie ich ihn früher schon an der schliesslichen Vernichtung des Egoismus durch die Wertung des Altruismus, die doch ursprünglich aus jenem hervorging, aufgezeigt habe.

Zunächst nämlich erscheint der Handelnde sich selbst als frei; er selbst behält sich freie Hand und glaubt sein, Handeln in jedem Augenblick völlig willkürlich gestalten und der Berechnung Anderer entziehen zu können.

Das Material seines Handelns aber sind andere Individuen, mit denen er als mit berechenbaren Grössen operiert, deren Bestimmbarkeit durch sein eigenes Handeln und sonstige Einflüsse (<234) er voraussetzt.

Ja diese Determiniertheit der Anderen ist gerade die Bedingung, unter der seine eigene Freiheit sich bewähren und wirkungsvoll ausgestalten kann.

Wie im politischen und wirtschaftlichen Leben die Freiheit des Einen, die allerdings hier nur einen ganz empirischen Sinn hat, oft genug, die Unfreiheit Anderer zum Korrelat hat, so ist es allgemeinste und naivste Voraussetzung unserer Beziehungen zu Menschen, dass sie zwar berechenbar, also determiniert, wir aber in jedem Augenblick noch in unserem Entschlusse frei wären.

Allein diese Annahme der Determiniertheit Anderer muss sich schliesslich auch auf das eigene Ich zurückerstrecken, im Gegensatz gegen welches sie ursprünglich bewusst wurde.

Wachsende Objektivität lehrt uns oder besteht vielmehr in der Überzeugung, dass wir, ,die Subjekte, denselben Normen, wie alle anderen, die uns als Objekte gegenüberstehen', unterliegen, auch wenn die Feststellung dieser Normen und das Interesse an ihnen zuerst gerade von einer Ausnahmestellung ausging, die wir uns in Bezug auf sie jenen gegenüber zusprachen.

Dieses Zutrauen zu der Determiniertheit des Wollens wird nun aber, um das Handeln, wie es wirklich ist, zu ermöglichen, durch sein Gegenteil ergänzt, das sich einerseits als Glaube an die Freiheit, andrerseits als Unkenntnis der speziellen Inhalte und Gesetze der - prinzipiell zugegebenen - Determination darstellt.

Insoweit unser Handeln sich auf Andere bezieht, fallen die praktischen Konsequenzen der beiden letzteren Möglichkeiten zusammen; das Nichtwissen in Bezug auf die künftige Willkür Anderer affiziert mein eigenes Verhalten offenbar in der gleichen Weise, gleichviel ob dieses Nichtwissen aus dem Mangel objektiver Determination oder aus der Unzulänglichkeit meiner Erkenntnis solcher hervorgeht.

Tatsächlich werden unsere gesamten Beziehungen zu Menschen dadurch gefärbt, dass jener Berechnung ihres Verhaltens, jenem Vertrauen auf ihre Bestimmbarkeit immer eine leise Reserve zur Seite (<235) geht, dass doch auch ein anderes Verhalten ihrer nicht völlig ausgeschlossen sei; die Sicherheit des kausalen Wissens steigt doch selten in die Kategorie der Unbedingtheit auf, und wo es der Fall ist, wo der Glaube an einen Menschen und an das Beharren seiner Gesinnung von jedem Hauch eines Zweifels frei ist, da bekennen wir doch, dass es ein Glaube ist, der, dem religiösen verwandt, eine grössere subjektive Sicherheit besitzen kann, als alles Wissen. aber trotzdem eben nicht Wissen ist. 

Aus der im allgemeinen herrschenden Mischung von Sicherheit und Unsicherheit über die Determinierung der menschlichen Faktoren unseres Tuns stammt die praktische Aufgabe der Lebensklugheit, mit dem künftigen Willen Anderer nie wie mit einer absolut sicheren Grösse zu rechnen; unsere Handlungen vielmehr so einzurichten, dass sie selbst bei einer unberechneten Änderung der Willkür jener ihr Ziel möglichst erreichen; diese Willkür niemals als die eine Karte zu behandeln, auf die wir alles setzen.

Jede einigermassen vertiefte Betrachtung zeigt, dass unsere gesamten Lebensformen, die gesamten Usancen des sozialen Verkehrs, von dieser Maxime, in verschiedenem Grade, bestimmt sind. Die Alleinherrschaft entweder der Berechenbarkeit oder der Unberechenbarkeit Anderer würde unser gesamtes Leben und Handeln in nicht ausdenkbarer Weise abändern.

Im Gegensatz hierzu scheidet sich, was die Beurteilung unserer selbst und ihre Konsequenzen betrifft, die blosse Unkenntnis der an sich determinierten Zukunft des Willens aufs schärfste von dem Glauben an seine Freiheit.

Unsere gesamte Gefühlssphäre, unsere Beurteilung vom Werte des Daseins, der Spannungsgrad unseres Wollens erfährt zweifellos bedeutsame psychologische Modifikationen durch die Überzeugung von der Freiheit oder der Unfreiheit des Ich.

Der Glaube an ein Kismet, das unsere inneren und äusseren Schicksale lenkt, ohne eingreifender Willkür die geringste Folge zu gestatten, bleibt sicher nicht ohne Folge für die (< 236) Totalität unseres Wesens und Handelns. Denn wenn dieser Glaube auch ein Produkt des Charakters und der sozialen Schicksale orientalischer Völker ist, so ist doch kein Zweifel, dass er seinerseits wieder auf diese bestimmend zurückgewirkt hat.

Andrerseits verleiht der Glaube an die eigene Freiheit, mag man nun eine ganz klare und haltbare Vorstellung damit verbinden oder nicht, dem Innenleben eine unvergleichliche Weite und Vornehmheit, ja, man möchte sagen, einen Respekt vor dem eigenen Ich, das eine ganz unberechenbare Zukunft, eine Unendlichkeit möglicher Entwicklungen aus sich zu produzieren fähig ist.

Allerdings kann man auch hier sagen, dass der Freiheitsglaube nicht sowohl die Ursache eines derart wertvollen Verhaltens, als der blosse Name wäre, in dem man die Bedingungen eines solchen einheitlich zusammenschlösse; wie wir es von der Vernünftigkeit, von der Natürlichkeit des Handelns nachgewiesen haben, sei auch seine Freiheit nur ein Ehrentitel, mit dem man seine Vorzüge nachträglich schmückte.

Man kann dies zugeben und doch behaupten, dass gerade die Vereinigung so vieler wertvoller Qualitäten und Besitztümer in dem Begriffe der Freiheit von der grössten psychologischen Bedeutung wäre; und zwar liegt das Bedeutsame und Einflussreiche dieser Vorstellung nicht nur in jenem zuerst sich darbietenden Sinne: dass mehrere Möglichkeiten sich in gleicher Weise eröffnen, von denen die eine oder die andere zu verwirklichen in der Macht des freien Willens liege; die Funktion der Freiheit ist nicht, wie es hiernach scheinen könnte, - nach gefasstem Entschlusse abgeschlossen, sondern wirkt vielmehr noch darüber hinaus in dem Bewusstsein, auch den bereits gefassten Entschluss noch zurücknehmen zu können, sei es inmitten seiner Realisierung, sei es, wo dies nicht mehr angeht, wenigstens in Bezug auf die Grundabsicht, die uns dabei leitete, und auf den moralischen Charakter derselben.

Dieser Sinn der Freiheit, dass sie nicht nur bis zur Schwelle der (<237) Tat führt, sondern auch noch nach dieser in jedem Augenblick das innere Prinzip, aus dem sie hervorging, umwandeln kann; dieses Gefühl, gerade in dem moralisch Wertvollen, in der Gesinnung, auch durch die eigene Vergangenheit nicht präjudiziert zu sein - gibt unserem ganzen Innenleben eine Färbung, deren Fehlen das Bild desselben in seinen Grundzügen ändern würde.

Gleichviel ob wir in Wirklichkeit frei oder determiniert sind, ob die Vorstellung des einen und des anderen selbst psychologisch notwendig ist oder nicht: diese innerlichen Konsequenzen ihrer bleiben davon unberührt; sie wirkt einfach als psychische Kraft, deren Erfolge, wenn sie einmal da ist, mit ihrer eigenen Provenienz nichts mehr zu tun haben.

Und ebenso ist es für unsere innere Gesamtsituation, die sich aus dem Vertrauen auf unsere Determiniertheit einerseits und der Überzeugung von unserer Freiheit andrerseits zusammensetzt, ganz ohne Belang, ob dieses beides logisch sich miteinander verträgt.

Es widerspricht sich tatsächlich nicht nur, wenn man beide Elemente unserer Meinung von uns selbst in ihre Konsequenzen verfolgt und damit an einem Entweder-Oder mündet, das mit der Annahme des einen das andere völlig ausschliesst - dies ist das Schicksal fast aller prinzipienmässigen theoretischen Behandlung realer psychologischer Verhältnisse sondern auch in jenem relativen Mass, in dem sie tatsächlich auftreten, widersprechen sie sich oft genug, ohne dass wir diesen Widerspruch fühlen und das friedliche Kompromiss dadurch stören lassen, in dem sie sich, wahrscheinlich nach höherer praktischer Zweckmässigkeit quantitativ abgeteilt, zur Herstellung unserer Gesamtlage zusammentun.

Für die möglichst erwünschte Gestaltung unseres Lebens ist bald der Glaube an Freiheit, bald an Determiniertheit nützlich; immer wechselnde Kombinationen werden erfordert, um gerade das für den vorliegenden Zweck nötige Mass von Energie hervorzurufen, jenes Spielen zwischen Sicherheit und Unsicherheit über (<238) sich selbst und Andere, das ein Apriori alles menschlichen Zweckhandelns ist; vielfach mögen auch Zustände vorhanden sein, die in sich einheitlich und ganz sui generis sind, und erst durch nachträgliche Deutung, und weil wir keine eigenen Kategorien für sie haben, in das Gefühl von Freiheit und das von Determiniertheit zerlegt bez. als Mischung derselben verstanden werden.

Die moralwissenschaftliche Ergründung des Freiheitsproblems wird vielleicht erfolgreicher werden, wenn sie sich an der Feststellung der Rolle versucht, die die Freiheitsvorstellung und ihr Gegenteil in der wirklichen Gestaltung des psychischen und sittlichen Lebens spielen - als wenn sie sich in begrifflichen Erörterungen ergeht, deren Elemente die Ethik doch nur aus der Tatsächlichkeit des Seelenlebens gezogen und deren relative Masse sie zu absoluten Prinzipien gesteigert hat; auf diese Weise musste sie, indem die Steigerung nach beiden Seiten ging, an tödlichen Gegensätzen münden, auf deren Versöhnung nun ihr ganzes Bemühen geht, während sie selbst sie vielleicht erst geschaffen hat.

Als Korollar hierzu gehört die Erörterung des tout comprendre c'est tout pardonner. Von vornherein ist diese Behauptung unzulänglich, weil sie auf einem ganz falschen Begriff des Verzeihens beruht.

Denn das Verstehen bedeutet in ihrem Sinne die Auflösung der individuellen Handlung in Kräfte, die ausserhalb der persönlichen Verantwortung liegen. Dadurch aber wird die Tat selbst als unverantwortbar erkannt, d. h. die Schuld und mit ihr überhaupt die Veranlassung zur Verzeihung aufgehoben.

So wenig wie dem Angeklagten verziehen wird, der seine Unschuld nachweist und deshalb freigesprochen wird, so wenig braucht man dem noch zu verzeihen, dessen Tat als Nicht-Schuld begriffen wird; nicht weil man begreift, sondern trotzdem man nicht begreift, kann man verzeihen.

Zudem ist das Mass dessen, was wir an den menschlichen Handlungen "verstehen", so gering, und dieses Verstehen (<239) führt selbst im besten Fall so wenig auf den letzten und absoluten Quellpunkt des Tuns, dass wir gar nicht wissen können, ob ein völliges Verstehen zu völliger Entlastung von Schuld führen würde.

Sogar die Möglichkeit, dass gerade ein viel tiefer dringendes Verständnis uns einen Punkt entdecken liesse, an den sich doch Schuld und Verdienst hefteten, wird durch die Tatsache nahe, gelegt, dass sittliche Naturen denjenigen Handlungen, in die ihr Verständnis am tiefsten eindringt, nämlich den eigenen, am schwersten Verzeihung gewähren; die Selbsterkenntnis, mit der wir die Geschichte unseres Lebens in ihre Faktoren verfolgen können, dient unserem Gewissen keineswegs zu einer Exkulpierung gleichen Umfangs.

Vergleichen wir die Masse des Verstehens, das wir in Hinsicht unserer und in Hinsicht Anderer haben, mit den entsprechenden Massen der sittlichen Entlastung, so möchte es scheinen, als ob das Verständnis nur bis zu einem gewissen Grade die letztere zur Folge hätte, von diesem aber an, den wir in der Selbsterkenntnis überschreiten, wieder ein Schuldbewusstsein ermöglichte.

Die populäre Überzeugung richtet sieh sogar direkt gegen die Identifizierung von Verstehen und Verzeihen, soweit es das eigene Ich angeht, indem sie die Selbsterkenntnis für den Anfang der Versittlichung hält.

Zwar hat das "Erkenne dich selbst" gerade in dieser populären Bedeutung zunächst nicht den Sinn eines blossen Verstehens., sondern einer richtigen Wertung, es will sagen: "Beurteile dich selbst richtig".

Das Ethische wird hiermit unbewusst in das rein Theoretische eingeschwärzt, wie es Abälard in dem Titel seiner Schrift deutlich zeigt: Ethica sea liber dictus: scito te ipsum.

Die Unfähigkeit ungebildeter Menschen, einen Sachverhalt von dem Urteil über ihn zu trennen, beides in der Vorstellung des ersteren auseinander zuhalten, ist bei der Erkenntnis des Ich ganz allgemein.

Unter dieser wird fast ausschliesslich die Beurteilung desselben als gut (<240) oder schlecht verstanden; unter Einem, der sich selbst kennt, versteht man Einen, der sich nicht für besser hält, als er ist. Indes nicht einmal für diese erweiterte Bedeutung der Selbsterkenntnis, die das Werturteil bereits in sich aufgenommen hat, gilt ihre versittlichende Wirkung unbedingt.

Das vermittelnde Glied zwischen Erkenntnis und Besserung soll offenbar die Reue sein (also die Verneinung jenes pardonner). Allein schon das Eintreten dieser auf Grund der Selbsterkenntnis ist zweifelhaft.

Die Erkenntnis des Fehlers als eines Fehlers wird sehr häufig auch seine Erkenntnis als eines notwendigen psychologischen Produkts der Umstände mit sich bringen, und so, indem sie die Bedingungen der Reue schafft,. zugleich die der Entschuldigung vor sich selbst schaffen, mit der man sich dann in den Fehler als in etwas Unvermeidliches und in seiner Unvermeidlichkeit Eingesehenes findet.

Für den tiefer unmoralischen Menschen gleicht die Erkenntnis oft dem Speer, der die Wunde, die er dem Gewissen schlägt, selbst wieder heilt.

Ferner, wenn die Reue und die Besserung nicht unmittelbar nach der Erkenntnis eintreten, wenn nicht gerade der erste Schrecken über die eingesehene sittliche Unzulänglichkeit eine Erschütterung des gesamten Wesens zuwege bringt, die den sittlichen Impulsen freien Spielraum schafft - so wird die Erkenntnis .die Besserung erschweren, weil sie die Anpassung an den Fehler und seine Einordnung in das ganze System des Wesens erleichtert; sie fixiert ihn gewissermassen und macht ihn zu einem Bestandteil unseres bewussten Ich, den aufzugeben eine innere deminutio capitis bedeutet, und der vor allem vom Trotz und Eigensinn aufrecht erhalten wird.

Es lässt sich beobachten, dass die unbewussten Versittlichungsprozesse in uns durch die scharfe Erkenntnis der vorhandenen Unsittlichkeit geradezu gehemmt werden.

Dies ist namentlich der Fall, wo es sich um die bestimmten Lebensaltern eigenen Unsittlichkeiten handelt, die vielleicht (<241) durch die Wiederholung der Gattungsentwicklung im Individuum mit diesen Perioden verbunden sind und mit dem Eintritt in eine neue Periode ganz von selbst abgestossen werden.

Ich erinnere an die Verlogenheit und Grausamkeitslust bei vielen Kindern, an sexuelle Extravaganzen in gewissen Jahren, u. Ä. 

So kann das scharfe Erkennen und allzu scharfe Betonen der sittlichen Unzulänglichkeit ihre Überwindung erschweren, weil dieser ganze Entwicklungsprozess sein Wesen im Unbewussten hat und durch das Eingreifen eines sehr starken Bewusstseins gelegentlich verzögert oder abgelenkt werden kann.

Der allgemeine, diesen speziellen Fall dominierende Gesichtspunkt: dass die Unbewusstheit in der Entwicklung des Sittlichen vielfach zweckmässiger ist als seine Bewusstheit - ist vielleicht das stärkste Bedenken gegen den neuerdings vorgeschlagenen ethischen Jugendunterricht.

In dem hier vorliegenden Fall soll man deshalb Kindern solche Fehler, die sie voraussichtlich wie Kinderkrankheiten abmachen, nicht allzu häufig vorhalten, um ihr Bewusstsein nicht zu sehr darauf zu konzentrieren und so eine Festigung derselben, die sonst im Fluss der Entwicklung stehen und abgeführt werden, zu veranlassen.

Andrerseits wird die scheinbare Hemmung der Besserung bei sehr energischem Bewusstsein des Fehlers vielfach so zusammenhängen, dass viele Fehler uns erst dann zu klarem Bewusstsein kommen, wenn sie schon eine Festigkeit erlangt haben, die ihre Beseitigung überhaupt erschwert.

Wenn nun aber auch als Folge der Erkenntnis die Reue eintritt, so ist selbst dann noch die Besserung als ihre Folge keineswegs sicher.

Die Reue ist oft genug ein nagender und lähmender Affekt, der in dem Augenblick, wo er die Notwendigkeit der Änderung zeigt, die Kraft dazu nimmt. Gerade die erkannten und bereuten Fehler sind sehr oft die hartnäckigsten.

Sittlich schwache Naturen empfinden die Reue als einen genügenden Tribut an die Moral, durch den sie sieh mit dieser abgefunden halten, so dass (<242) diese Sühnung ohne praktische Folgen bleibt, gerade wie der Ablassgläubige nach dargebrachtem Opfer sich entsühnt findet und keinen Impuls daraus zieht, die Sünde künftig zu unterlassen.

Und wenn freilich ein Demosthenes meint, es gebe keine stärkere praktische Nötigung als die Reue über Geschehenes, so setzt er hinzu: für einen freien Mann womit offenbar ein solcher gemeint ist, der im Wesentlichen innerliche Sittlichkeit und Abgewogenheit besitzt; wo aber das Gemütsleben entweder extrem leidenschaftlich oder leichtsinnig ist, wird diese Folge leicht fehlen, weil in dem einen Fall die Reue zu einer Zerrüttung der Kraft, zum Verzagen an der Besserung führen, im anderen als für sich selbst hinreichende Sühne empfunden werden kann, mit der es nun abgetan ist, ohne dass sich bessernde Folgen an sie knüpfen.

Wenn hier also die Gleichsetzung von Verstehen und Verzeihen, in der Anwendung auf das eigene Ich, ihre Wahrheit hat; wenn umgekehrt auch die Bedingtheit der Reue und der Besserung durch die Selbsterkenntnis der Begründung nicht entbehrt, so weist eben auch dies auf jene Schichtung von kausaler Erklärbarkeit und Unerklärbarkeit, bez. von Determiniertheit und Freiheit hin, die wir als die Grundlage alles menschlichen Handelns überhaupt erkannten und die sich uns hier speziell in ihrer Beziehung zu den ethischen Prozessen dokumentiert.

In dem Folgenden versuche ich den Umfang wenigstens teilweise zu skizzieren, den der Freiheitsbegriff empirischer Weise deckt.

Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass die Freiheit sozusagen ein formales Vermögen wäre, ein einfaches und wenigstens qualitativ immer gleiches Können, Sein oder Haben; aus diesem Irrtum stammt der weitere, als könne man mit logischen Deduktionen das Wesen der (<243) Willensfreiheit ergründen oder mit wenigen Begriffen ihren Umfang und ihre Bedeutung in sittlicher und sozialer Hinsicht festlegen.

Der allgemeine Begriff der Freiheit sagt uns noch Nichts. Die Moralphilosophie hat ihm einen Inhalt gegeben, indem sie ihn mit der Herrschaft der Vernunft oder mit der Konformität zwischen Willen und eigentlichem Ich identifizierte.

Dies sind jedenfalls bedeutsame Versuche, indem sie danach ringen, hinter einem ganz problematischen und ausgehöhlten, aber durch seine historische Entwicklung unendlich wichtig gewordenen Begriff die wirklichen Vorgänge zu entdecken, die ihn tragen.

Allein man wird über sie nach zwei Dimensionen hinausgehen müssen. Zunächst bedeutet die Freiheit sehr viel mehr, als mit diesen Definitionen ausgedrückt werden kann; mit der Flagge der Freiheit werden eine grosse Anzahl von Vorstellungen und Forderungen gedeckt, die jede einheitliche Definition derselben als unvollständig erscheinen lassen.

Und zweitens sind diejenigen anscheinend konkreteren und anschaulicheren Vorstellungen, mit denen man sich so den Begriff der Freiheit näher zu bringen versuchte, selbst noch in erheblichem Masse abstrakt und rein begrifflich.

Man muss noch weit unter sie selbst hinabgehen, um die realen und psychologischen Vorgänge zu ergreifen, die man im Freiheitsbegriff zusammenfasst und denen gegenüber die philosophischen Veranschaulichungen der Freiheit immerhin noch hohe Abstraktionen darstellen.

Bei dem Versuche, für die Erörterungen des Freiheitsproblemes festen Boden unter die Füsse zu bekommen, bietet sich in allererster Linie der oben ausgeführte Gedanke dar, dass die Willensfreiheit in ihrem transzendentalen Sinne auf die empirische Freiheit zurückgeht.

Das Freisein von solchen Hemmnissen, die der äusseren Realisierung der Willensvorstellungen entgegenstehen, ist offenbar das Prototyp der absoluten oder metaphysischen Freiheit, und für die Wirklichkeit des sittlichen Lebens hat die empirische (<244) Freiheit eine unendlich viel grössere Bedeutung als die letztere.

Der erste Blick aber enthüllt die Fülle und Mannigfaltigkeit von Verhältnissen, in denen diese Freiheit als Besitz oder als Ideal von Bedeutung ist.

Was über diese Vielheit ihrer Bedeutungen hinwegzutäuschen geeignet ist, ist der Umstand, dass das ihnen allen Gemeinsame, der abstrakte Allgemeinbegriff aus diesen Tatsachen, bloss negativer Natur ist.

Enthält schon jeder Begriff überhaupt der Wirklichkeit gegenüber verneinende Momente, ja, ist er überhaupt in dem Masse allgemein. in dem er die individuelle Wirklichkeit verneint, so muss die Allgemeinheit, d. h. die Umfassung des Verschiedensten auf Kosten seiner Verschiedenheit da den weitesten Charakter zeigen, wo der Inhalt des Begriffes selbst Negation ist.

Da die Freiheit ihrem Wortsinn nach nur aussagt, dass etwas nicht da ist, nämlich Beschränkungen, so ist ihr Begriff auf eine unbegrenzte Zahl von einzelnen Fällen anwendbar, und indem das bloss Negative, in welchem diese sich zusammenfinden, psychologisch den Schein einer positiven Bestimmung annimmt, entsteht jene Fülle von Assoziationen und weitgreifenden Anregungen, die den Begriff der Freiheit umspielen; und die, aus den Quellen empirischer Verhältnisse genährt, auch auf die metaphysische Freiheit den Reichtum mitschwebender Gefühle und innerer Beziehungen ausstrahlen.

- Nun zeigt sich gerade in den empirischen Verhältnissen, dass eine Freiheit in dem bloss negativen Sinn, dass Beschränkungen nicht existieren sollen, kaum irgendwo auftreten kann.

Wo eine Bindung, eine Verpflichtung aufgehoben wird, da bemerken wir bei genauerem Hinsehen durchgängig. dass auch ein Recht, irgend eine Erweiterung der positiven Besitz- oder Machtsphäre sofort an die Stelle des aufgehobenen Zwanges tritt.

Die feinsten persönlichen Beziehungen zwischen Menschen vollziehen sich häufig in einem Wechsel von mehr oder weniger sichtbaren Bindungen und Befreiungen; wo aber die letzteren (<245) stattfinden, mögen sie nun Angelegenheiten des Intellekts oder des Gefühlslebens betreffen, da schiebt sich doch eine andere positive Überzeugung, ein anderes Interesse sofort an die "frei" gewordene Stelle; worüber man sich nicht durch den Umstand täuschen lassen darf, dass die positive Ergänzung oder Erwerbung manchmal einer ganz anderen Kategorie angehört, und erst spätere Erfahrung uns selber belehrt, dass sie sich über jener Befreiung aufgebaut, die aus dem früheren Zwänge entlassenen Kräfte sich dienstbar gemacht hat.

Häufig findet das auch so statt, dass die neuen Erwerbungen latent schon vor der Befreiung vorhanden sind und entweder durch ihr eigenes Drängen die Befreiung erzielen oder wenigstens durch sie zu eigentlicher Funktionierung gelangen.

Ich erinnere etwa an die im Jahre 1892 in Frankreich sich abspielenden Konflikte über die Koalitionsfreiheit der Arbeiter. Dass die alten Prohibitivgesetze, die die Vereinigungen der Arbeiter zu sozialpolitischen Zwecken untersagten, aufgehoben wurden, das war, wie man bald einsah, noch ohne eigentliche Bedeutung.

Denn nun bedrohten die Unternehmer den Arbeiter mit Entlassung, der sich an gewerkschaftlichen Assoziationen beteiligte.

Diese Freiheit nützte also nichts, wenn nicht zugleich eine Bestimmung zugefügt wurde, dass Niemand einen Arbeiter aus diesem Grund entlassen dürfte, was denn auch von arbeiterparteilicher Seite sogleich beantragt wurde.

Die Freiheit in bloss negativer Bedeutung fordert eben sofort eine positive Weiterführung in dem Sinne, dass die Existenz, insoweit sie durch die Realisierung jener in Gefahr geriet, durch eine besondere Bestimmung garantiert wurde.

Die entschiedenste und wichtigste Fortsetzung und Erfüllung der Freiheit aber tritt in dem Verhältnis des Ich zu dem äusseren Besitz ein.

Die Freiheit des Menschen erscheint zunächst als sein Eigentum an sich selbst, als Gehorsam seines körperlich-geistigen Wesens ausschliesslich seinem Willen gegenüber - wobei natürlich das oben (<246) Hervorgehobene nicht zu vergessen ist, dass wir allerdings im letzten Grunde immer nur tun, was wir wollen, und alle besonders betonte Freiheit, zu tun was wir wollen, nur bedeutet, dass sich dem schliesslichen und überwiegenden Wollen keine anders gerichteten und erst zu überwindenden Wollungen entgegenstellen.

Allein nun verschwimmt zwischen dem Ich und den äusseren Dingen die Grenze in Bezug auf die freie Verfügung über das eine und die anderen.

Zwischen Bewegung und Gebrauch meiner Leibesglieder und dem der äusseren Dinge ist nur ein gradueller Unterschied; aller willkürliche Gebrauch der Glieder muss eben sogut gelernt werden wie der von Werkzeugen, und schliesslich wird der letztere ebenso leicht und mechanisch wie der erstere.

Das Werkzeug ist nur eine Verlängerung des Armes, dieser selbst aber der Seele gegenüber nur ein äusseres Mittel - wie mein Leib meinem denkenden Ich gegenüber nur eine Vorstellung unter Vorstellungen ist, so ist er für mein praktisches Ich nur ein Werkzeug unter Werkzeugen: das Kind betrachtet seine eigenen Glieder genau so wie es fremde Objekte betrachtet.

Die Kategorie von Subjekt und Objekt, ursprünglich an den äusserlichsten Erfahrungen gebildet, setzt sich in die innerlichsten fort: nicht nur erscheint der Seele gegenüber der Körper als Besitz und Instrument, als ein Objekt unter Objekten, sondern auch innerhalb der Seele selbst teilen wir so; wir glauben auch über unsere Gedanken verfügen und den Mechanismus des Vorstellens ebenso gut zur Erreichung irgend welcher Ziele anspannen zu können, wie das äusserlichste Kräftesystem.

Im Bewusstsein unserer psychischen Inhalte erscheint uns ein Teil als die eigentliche, innerlichste Kraft und Subjektivität, der andere unter dem Bilde eines Objekts, in relativer Entgegenstellung gegen jene, als Sphäre und Material, in und an dem sie sich auslebt.

Von dem letzten Punkte des Selbstbewusstseins, von seiner jeweiligen Einheit aus wird die gesamte körperliche und (<247) geistige Organisation als ein Besitz unser empfunden; wir haben sie, und zwar so, dass sie im Verhältnis zum Ich nicht nach einer anderen Richtung hin, sondern nur näher liegt als ein verfügbarer, unserem Willen unterstehender Besitz von Gütern.

Denn wie dieser, so folgt auch jene nicht unbedingt nachgiebig jedem auftauchenden Wollen, sondern bewahrt auch ihrerseits eine gewisse Selbständigkeit, eine innere Gesetzlichkeit, mit der der Wille sich abfinden muss; so wenig äussere Dinge uns absolut gehorchen, so wenig tut es unser Körper oder unser Geist.

Alle Freiheit der Verfügung über diese nützt uns nichts über die von ihren eigenen Gesetzen gezogene Grenze hinaus. Was diesen widerstreitet, können wir von uns selbst genau so wenig, wie von einem Werkzeug aus Holz und Eisen verlangen.

Die Freiheit gegenüber dein eigenen Ich ist also nur qualitativ unterschieden von derjenigen, die wir über äussere Dinge besitzen; indem die Freiheit den Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt voraussetzt - das Freie und das, woran die Freiheit geübt wird - setzt sie sich auch in ihrem innerlichsten Sinne ihre Grenze an der Natur des Objekts.

Beschränkt sich hier also die Macht dessen, was man das Freiheitszentrum nennen könnte, gegenüber dem Ich in der gleichen Weise, wie sie sich gegenüber den noch weiter von ihm getrennten äusseren Objekten einschränkt, so kann man nun das gleiche Verhältnis nach der Richtung hin betonen, dass die Sphäre des Ich sich auch über äussere Gegenstände ausbreitet.

Wenn einerseits unser Arm ein blosses Werkzeug ist, wie der Meissel oder der Violinbogen, so werden doch andrerseits Meissel und Violinbogen von der Seele gelenkt, so dass ihre Bewegungen und Leistungen die adäquaten Ausdrücke des innerlichen Vorganges bilden.

Das Ich ist entweder als ein Punkt oder als ein Kreis zu symbolisieren, geht man überhaupt über das nichtssagende Erstere hinaus zu dem Letzteren, so schliesst der Kreis des (<248) Ich auch jene äusseren Beziehungspunkte ein, in deren Gestaltung die Persönlichkeit sich ausprägt und ohne die das Ich gar keine Mittel hätte, sich als ein bestimmtes Individuum von besonderer Tendenz, Kraft und Art gegen andere abzuheben.

Und wie zentrifugale Kräfte vom Ich aus so das Äussere mit ihm solidarisch verbinden, so tun es zentripetale. Unmittelbar als eigene Schicksale werden die äusserer Dinge oft genug von uns vorgestellt.

Eine körperliche Verletzung empfinde ich oft nicht schmerzlicher als die eines mir teuren Gegenstandes, und ein Eingreifen in mein Besitztum ist eine Vergewaltigung meines Ich.

Die Gegenstände, die im Besitz eines geliebten Menschen waren, gelten uns als "ein Stück von ihm" und eine Haarlocke von ihm unterschiedet sich in der Art, ihn darzustellen, nicht von Gegenständen, die er gebraucht hatte und mit denen er "verwachsen" war.

Ich habe öfters hervorgehoben - was mir als eine unentbehrliche und grundlegende Erkenntnis erscheint - dass doch auch das äusserlichste Haben seinen ganzen Sinn nur in dem psychischen Zustande hat, den es auslöst oder repräsentiert, ja dass man direkt sagen kann: Besitzen sei ein psychologisches Phänomen, ein an gewisse Realvorstellungen geknüpfter Empfindungsmodus.

Dies ist nicht nur die lange vernachlässigte Ergänzung der auf die Erkenntnisseite der Dinge gerichteten Einsicht, dass das Objektive auch nur eine Erscheinung im Bewusstsein ist; sondern es bleibt auch bestehen, wenn man statt der phänomenalistischen Überzeugung die realistische hegt, nach der die Dinge im absoluten Sinne ausser uns, als von allem Vorstellen unabhängige Substanzen bestehen.

Selbst in diesem Falle würde das, was wir das Besitzen ihrer nennen, immer nur ein in uns ausgewirktes, nicht aus dein Bewusstsein heraustretendes Verhältnis zu ihnen sein.

Denn auch die Modifikationen der äusserlich realen Beziehungen zu den von uns besessenen Dingen sind teils Folgen, teils Ursachen des Besitzes, (<249) aber nicht Besitz selbst, welcher immer nur eine Vorstellungs- und Gefühlskategorie ist, die wir auf Sachvorstellungen anwenden.

Daraus, dass der Besitz ein psychologischer Zustand, oder, da wir genauer nicht sowohl von Zuständen als nur von Vorgängen in der Psyche sprechen dürfen, ein psychologischer Vorgang ist, verstehen wir, dass kein Haben irgend lebhaftere und leidenschaftlichere Naturen auf die Dauer befriedigt, und zwar auch nicht demselben Gegenstande gegenüber.

Je intensivere Neigung uns zu dem Objekte zieht und je vollständiger wir seinen Genuss erschöpfen, desto tiefer erkennen wir, dass alles Besitzen nicht zu jenem Insicheinschlürfen des Objektes führt, das uns, wie unklar auch immer, als Ideal vorgeschwebt hatte; weil das Besitzen eine blosse innere Bewegung in uns ist, muss es das Objekt schliesslich gleichsam unberührt in seinem Ansich bestehen lassen - wie das Erkennen auch nur eine innere Bewegung ist und dennoch den Anlauf, das Ding an sich zu erfassen, nicht lassen mag.

Und wie eine ungestüme Denkweise, nachdem sie dies erkannt, in Skeptizismus fällt und so im Ableugnen und Negieren überhaupt sich noch eines letzten intellektuellen Machtspruches über die Dinge bewusst ist, so entspringt in jenem praktischen Gefühl die Assoziation der Leidenschaft für ein - menschliches oder nichtmenschliches - Objekt mit dem Zerstörungstriebe: die Leidenschaft, die an jenem geheimen Widerspruch alles positiven Besitzenwollens ermattet, gewinnt schliesslich noch im Zerbrechen und Misshandeln die maximale Ausdehnung der Besitz- und -Willenssphäre über das Objekt, wenigstens die maximale Erscheinung einer solchen.

In demselben Masse nun, in dem wir den Besitz in das Innere des Ich hineinverlegen, in eben demselben müssen wir ihn auch als einen wahrhaften Bestandteil des Ich anerkennen.

Mögen wir uns das Ich als eine punktuelle Seele denken, die aber immerhin ihren Inhalt doch nur an einzelnen Gefühlen, Strebungen, Gedanken, (<250) gewinnt, weil sonst kein Ich vom anderen unterscheidbar wäre, oder mögen wir das Ich statt als die von vornherein gegebene Form und Quelle des Seelenlebens vielmehr als den Schlusspunkt, als einen aus den empirischen Inhalten desselben erwachsenen, zusammenfassenden Gedanken vorstellen: in jedem Falle bilden jene an die Vorstellungen von Objekten geknüpften Gefühle oder sonstigen psychischen Erregungen, die wir eben das Besitzen ihrer nennen, eine Erweiterung des Ich.

Und nun von einer anderen Seite. gesehen: Der Kreis meines Besitzes im weiteren Sinne fällt zusammen mit der Sphäre, die ich mit meinem Ich erfülle.

Was meinem Willen ein völlig nachgiebiges Objekt ist, das eben besitze ich; besitzen bedeutet verfügen können, es ist kein ruhender Zustand, oder höchstens in soweit ruhend, als es die latenten Kräfte, die Bedingungen der Verfügung als Funktion, darstellt.

Wenn der gewöhnliche Wortsinn schon besagt, dass ich soweit über die Dinge verfügen kann, wie ich sie besitze, so gibt das Umgekehrte den tieferen Begriff des Besitzes: ich besitze die Dinge wirklich soweit, wie ich über sie verfügen kann.

Denn etwas anderes kann der absoluteste Besitz nicht mit den Dingen machen, als den Willen des Ich in und an ihnen ausprägen.

Das Ich fiele sozusagen ausdehnungslos in einen Punkt zusammen, wenn es keine Sphäre hätte, in der sein Wille sich realisiert, d. h. wenn es nichts besässe; wobei denn der Unterschied zwischen äusserem und innerem Besitz nur der eines grösseren oder geringeren Umweges für die Auslösung von Gefühlen ist, die der Besitzkategorie überhaupt erst Sinn und Bedeutung geben.

Deshalb kann man wirklich sagen, dass Ausdehnung des Besitzes zugleich und unmittelbar Ausdehnung des Ich ist - wie denn auch der Ursprung beider aus verwandten psychologischen Quellen fliesst: die Vermögen der Reproduktion und der Apperzeption der Vorstellungen gründen einerseits das Ich, indem sie die psychischen Inhalte ihrer blossen Augenblicksexistenz entheben (<251) und eines dem anderen hinzufügend das Gewebe des Ich schaffen; und eben dieselben sind erforderlich, um jene dauernden Beziehungen zwischen uns und den Dingen zum Bewusstsein zu bringen, die wir Besitz nennen.

Bei vielen kindlichen Völkern ist der Eigentumsbegriff von einer uns kaum glaublichen Schwäche und Unentwickeltheit, und ein Spezialkenner dieser ethnologischen Verhältnisse führt dies auf die Schwäche ihres Erinnerungsvermögens zurück; dieselbe psychische Kraft des Festhaltens und Verknüpfens, die die verschiedenen Elemente des Bewusstseins zum Ich zusammenschliesst, bindet auch äussere Objekte in der Weise an das Ich, die wir den Besitz ihrer nennen.

Gerade daraus aber wird uns die Zerstörungslust mancher Naturvölker, z. B. der Neger, und die Tatsache verständlich, dass Jägervölker das Wild oft ohne den geringsten Gebrauch oder Nutzen vernichten.

Die Zerstörung gewährt das befriedigende Gefühl einer Macht des Ich selbst da, wo die feineren Reizungen, die sonst den Besitz ausmachen, noch - nicht oder nicht mehr empfunden werden.

Ist nun das Ich der Sitz der Freiheit, so ist Vermehrung des Besitzes zugleich Steigerung der Freiheit. Je mehr Gegenstände da sind, die meinem Willen volle Expansion ihnen gegenüber gestatten, die ihm widerstandslos gehorchen, d. h. also je mehr ich besitze, desto freier bin ich.

So ist der Besitz äusserer Objekte eine blosse Vermehrung oder gleichgerichtete Erweiterung der eigentlich persönlichen Freiheit im engeren Sinne.

Wo die bäuerliche Leibeigenschaft aufgehoben wurde, da treffen wir in ganz Europa zugleich das Bestreben, den Bauer auch zum Eigentümer seiner Scholle zu machen - der frei verfügbare Besitz von Grund und Boden erscheint als blosse Fortsetzung des frei verfügbaren Besitzes der eigenen Person.

War die Forderung der Freiheit als Bedingung menschenwürdigen Daseins einmal ausgesprochen, so war es keine Prinzipienfrage mehr, sondern nur eine solche der Angängigkeit und Zweckmässigkeit, (<252) wie weit sie unter den Objekten möglicher Verfügbarkeit, von denen die äussere Persönlichkeit nur das nächstliegende war, erstreckt werden sollte.

Und eben dieses beweist in umgekehrter Richtung ein Modus, auf dem wenigstens in den preussischen Landen häufig die Hörigkeit der Bauern entstanden war: der Landesherr trat einem Edelmann gewisse hoheitliche Rechte über Steuern und Besitz des im übrigen völlig freien Bauern ab.

Und aus dieser Beschränkung des Besitzes entwickelte sich, indem immer eine nach der anderen sich dazu fand, allmählich der Zustand der nur wenig beschränkten Herrschaft des Adligen über den Bauer.

- Jener Prozess der Befreiung, der von der Verfügung über das eigene Ich -geradlinig auf die über einen verliehenen Besitz ging, setzt sich nun in derselben Richtung im Heimstättenrecht fort.

Indem die Heimstättengesetze bestimmen, dass Niemandem ein Grundbesitz von gewisser Grösse abgepfändet werden darf, erweitern sie die Sphäre jener unantastbaren Freiheit, die sonst nur den Körper des Individuums umschloss; gleichwie dieser nicht mehr - wie in der Epoche der Sklaverei - zum Eigentum eines Anderen werden kann, vielmehr ein Gebiet der Freiheit bildet, in das kein Eingriff ohne den Willen des Individuums gestattet ist, so wird nun hier ein gewisser Besitz unter die gleiche Bedingung gestellt, er wird sozusagen dem persönlichen Körper angegliedert und steht in soweit der Seele ganz ebenso, man könnte sagen als der geometrische Ort der Freiheit gegenüber, wie bis dahin nur der eigene Leib.

Eben daraus ist es verständlich, dass das Land, in dem die individuelle Freiheit die stärkste Betonung gewann: Nordamerika, auch zuerst das Heimstättenrecht ausbildete.

Die Vorstellung von der Freiheit, die sich uns als das Fundament aller Freiheitsphilosopheme herausgestellt hatte: dass der Wille bez. das Handeln dem eigentlichen Ich konform stattfinde, kann man auch so ausdrücken: Freiheit (<253) ist Selbstbeherrschung.

Wenn sie bedeutet, dass das Ich nur dem Ich gehorcht, so bedeutet sie doch, dass das Ich dem Ich gehorcht. Sie braucht eben ein ihr Gegenüberstehendes, an dem sie sich realisiert, das ihr Korrelat bildet, und ohne das sie in der Luft schweben würde, wie ein transitives Verbum ohne Objekt.

Und da ist das eigene Ich - d. h. näher zugesehen gewisse Provinzen oder Funktionen desselben gegenüber anderen, massgebenden - das erste Feld, an dem sich diese Freiheit genannte Macht betätigen kann und ihren ersten Sinn gewinnt.

In der empirischen Bedeutung der Freiheit stellt sich dies dar als Herrschaft über den eigenen Leib: die Freiheit, die in dem Gegensatz zur Sklaverei besteht.

Als Fortsetzung dieser Freiheit erschien nun die Herrschaft über ein Besitztum; kein qualitativer, sondern nur ein Unterschied der Entfernung von dem Zentrum der Verfügung trennt den Körper, über den ich als über den eigenen verfüge, von dem sonstigen gegenständlichen Eigentum, über das ich verfüge.

Und nun steigert sich diese Bedeutung der Freiheit, Herrschaft zu sein, noch weiter dahin, dass sie Herrschaft über andere Personen wird, deren Freiheit sie damit einschränkt; man könnte die Macht über Andere als Ausdehnung der Freiheit über das Mass des Individuums hinaus bezeichnen.

Wir begegnen unzählige Male der Forderung einer Freiheit, die bei näherem Zusehen darin besteht, dass zu Gunsten des Fordernden die Freiheit Anderer unterdrückt wird. Das erste Beispiel, das sich hier aufdrängt, ist die sogenannte Freiheit der Kirche. Die ganze Geschichte des Mittelalters von Karl d. Gr. bis zu Gregor VII. zeigt den Prozess allmählicher Loslösung der Kirche vom Staat, wachsender Freiheit und Selbständigkeit ihrer gegenüber diesem, und in ganz demselben Masse die Zunahme ihrer Herrschaft über den Staat. Die "Befreiung von der Welt" war der zentrale Punkt, in dem sich die sonst vielfach auseinandergehenden Tendenzen der (<254) Weltkirche und des Mönchstums immer wieder begegneten und der es deshalb der Weltkirche ermöglichte, das Mönchstum für ihre Zwecke positiver Beherrschung der Welt in ihren Dienst zu nehmen.

Gregor IX. erklärte ausdrücklich, dass die Unterdrückung und Ausrottung der Ketzer nur der Herstellung der kirchlichen Freiheit dienen solle.

Die scheinbar so harmlose Forderung einer "freien" Kirche rückt doch in ein sehr bedenkliches Licht, sobald man einsieht, dass es eine Freiheit im rein negativen Sinne gar nicht gibt, sondern dass sie immer ein positives Tun zum Inhalt hat, und zwar ein Tun, das sich auf Objekte erstreckt und in der Gestaltung derselben nach dem Willen des "Freien" eben dessen Freiheit verwirklicht.

Da innerhalb einer Gemeinschaft die Handlungen jedes Mitgliedes Wirkungen auf die anderen ausüben, d. h. da diese durch jene bestimmt werden, so kann die absolute Freiheit einer Person oder einer Teilgruppe nur bedeuten, dass ihre Handlungen auf Andere Einflüss ausüben, ohne dass von diesen Anderen ein entsprechender bestimmender Einfluss auf sie selbst ausginge.

Das aber heisst beherrschen. Es ist der grösste Irrtum, zu glauben, dass die Freiheit der Kirche sozusagen nur sie selbst anginge, eine immanente, nicht über sie selbst hinausgreifende Bestimmung oder Daseinsart ihrer wäre - ein Irrtum, der nur durch mangelnde Kenntnis der soziologischen Zusammenhänge möglich ist.

Es gibt keine Freiheit innerhalb einer Gruppe, die nicht irgendwie Beherrschung Anderer wäre; und wenn dies im Allgemeinen deshalb nicht hervortritt, weil diese Beherrschung eine gegenseitige ist, bez. ein regulierendes Zentralgebilde, wie der Staat es ist, die Freiheiten der Individuen sich unterwirft und damit den Ausdruck ihrer Gegenseitigkeit schafft - so zeigt sich der Herrschaftscharakter der Freiheit sofort, wenn diese Gegenseitigkeit fortfällt und ein Teil der Gesamtheit schlechthin frei ist, d. h. die anderen ihm gegenüber keine Freiheit haben.

Ich greife unter den (<255) vielen hierher gehörigen Einzelheiten nur die Forderung kirchlicher Lehrfreiheit heraus.

Sobald die Kirche ihrerseits die Freiheit hat, die Jugend so zu bilden, wie sie will, so ist der Staat eben nicht mehr "frei", denn er erhält Bürger, welche von jener vorgebildet und imprägniert sind. Die Freiheit der Kirche in dieser Beziehung würde also in einer Beherrschung der Gruppe bestehen.

Die Beschränkung der kirchlichen Freiheit von dem Gedanken aus abzuweisen, dass man in die inneren, sozusagen privaten Angelegenheiten einer Gemeinschaft, eines Standes nicht eingreifen dürfe, so wenig wie in die eines Individuums" ist eben deshalb falsch, weil die Freiheit keine in dem Innern der betreffenden Organisation verbleibende Eigenschaft ist, sondern sich immer in irgend welchen Wirkungen auf ausserhalb stehende Persönlichkeiten verkörpert.

Je enger und vielfacher die Verbindung mehrerer Elemente ist, desto leichter wird die Freiheit des einen seine Herrschaft über die anderen bedeuten.

Ist man sich erst darüber klar, dass Freiheit nichts Negatives, nichts Formales, nichts auf ihren Träger Beschränktes ist, sondern in ihrem engsten wie in ihrem weitesten Sinn ein Objekt fordert, an dem sich das Wollen ausprägt, so liegt die Ausdehnung dieser Objektssphäre auf den Willen anderer Personen in der einfachen Konsequenz.

Das Extrem derselben ist, wie ich bereits oben andeutete, die Zerstörung und Misshandlung anderer Menschen; erst hierdurch wird es manchen Empfindungsweisen ganz bewusst, dass jene unser eigen sind, dass wir "frei" mit ihnen schalten können.

Das Ich gewinnt an Macht und Selbstgefühl in dem Masse, in dem das, was es dem Anderen antut, gegen dessen Eigenwillen ist, sein Ich bricht.

Deshalb ist auch zu konstatieren, dass die Grausamkeitswollust einerseits zusammen mit libertinistischer, jede Schranke verneinender Freiheit, andrerseits mit bis zum Grössenwahn gesteigertem Selbstgefühl auftritt; die (<256) Geschichte erweist diese Vereinigung z. B. an einer grösseren Zahl der römischen Kaiser.

Das Gegenstück dazu zeigt die kultivierte Sitte, die, indem sie hier wie sonst die Freiheit des Einzelnen noch ein Stück mehr einschränkt, als das Recht, ihm sogar dasjenige Sich-Bemächtigen des Anderen untersagt, das in der Indiskretion liegt.

In dem Mass, in dem ich in die Verhältnisse des Anderen eindringe, gewinne ich Macht über ihn, kann mir, auf Grund der Kenntnis seiner angreifbaren Punkte, ihm gegenüber erlauben, was ich sonst nicht wagte, während er mir gegenüber gebunden ist - kurz, ich dehne damit meine Freiheitssphäre über ihn aus und zwar derart, dass von einem gewissen Punkte an die bessere Sitte dagegen einschreitet.

Und dieses Verbot betrifft nicht nur die direkte und grobe Indiskretion, die sich in dem Horchen an der Tür oder in dem Lesen fremder Briefe äussert, sondern viel mehr noch jene feinere und gefährlichere Form: das Eindringen in den Anderen, zu dem man rein durch eigenes Nachdenken und eigene Kombination freiwilliger Äusserungen jenes gelangt.

Unzählige Male verraten die Menschen geheimste Dinge, insbesondere Eigenschaften und Vorgänge ihres Inneren, indem sie anderes sagen, das aber dem Seelenkenner den Schluss auf dasjenige gestattet, was sie geheimhalten wollen.

So kann sich bei vollkommener äusserer Diskretion die tiefste Indiskretion in den Anderen einbohren, den Unterschied zwischen Legalität und Moralität aufs Schärfste zeichnend. Das Verbot der Berührung alles dessen, "was sein ist", erstreckt sich so auch auf das intellektuelle Antasten dessen, was der Andere uns nicht offenbaren mag.

Es ist freilich eine schwierige Frage, wo innerhalb des Komplexes einer Persönlichkeit die Grenze liegt, über die hinaus nur unsittliche Neugier uns die Kenntnis ihrer verschaffen kann; wie weit ein Ergänzen dessen, was der Andere uns ausdrücklich zeigt, allgemein erlaubt, ja unentbehrlich ist; ob jeder absolut Herr über seinen (<257) Seeleninhalt ist und wo dem im sozialen und Verkehrsinteresse Abbruch geschehen darf - eine Frage, die an die nach dem Rechte des absoluten wirtschaftlichen Privateigentums erinnert.

Jedenfalls ist zu beobachten, dass eine kultivierte Moral die Indiskretion auch bis zu diesen oft kaum vermeidlichen Formen herab in demselben Masse perhorresziert, in dem sie überhaupt diejenige Freiheit des Einzelnen einschränkt, die in der Beherrschung Anderer liegt.

Wenn wir phänomenologisch gliedern wollen, so verwirklicht sich die Freiheit: zunächst der eigenen Seele gegenüber (sittliche oder philosophische Freiheit), dann dem eigenen Körper (empirische, persönliche Freiheit), den äusseren Objekten (freier Besitz), anderen Subjekten gegenüber (Herrschaft).

Der tatsächliche Bestand der Freiheit ist selbstverständlich von dieser begrifflichen Reihenfolge unabhängig; ja gewisse Ungleichmässigkeiten im Verhältnisse der Freiheitsformen beweisen gerade ihre Zusammengehörigkeit in einem Grundprinzip.

Wir bemerken nämlich, dass der empfundene Mangel der einen Form zu einer um so stärkeren Bestrebung nach der Seite der anderen führt. Menschen, denen persönliche Freiheit in wichtigen Beziehungen versagt ist, entschädigen sich mit Vorliebe durch Bedrückung Anderer, wenn nur irgend dazu Gelegenheit ist.

Die Freiheitssphäre dehnt sich eben dahin aus, wo sie kann, und andere Menschen dem eigenen Willen zu unterwerfen ist auch nur ein Teil ihrer, dessen Erfüllung wegen der Gleichheit des Grundtriebes wohl dafür vikariieren kann, dass das eigene Handeln nicht dem eigenen Willen gehorchen darf.

In streng militärisch organisierten Staaten, in denen die Verfügung des einzelnen Bürgers über seinen Körper beschrankt ist, tritt an Stelle dieser die eingeräumte Omnipotenz als pater familias, also doch über den Willen Anderer.

Die Entschädigung für den äusseren Zwang kann auch nach der andern Richtung in der Freiheitsreihe (<258) erfolgen; bei manchen Naturen bemerkt man als Wirkung eines starken äusseren Zwanges, einer gewaltsamen Einschränkung ihrer Handlungssphäre gerade jenes Abschleifen der inneren Wollungen, jene ruhige Einfügung des einzelnen Impulses in die ganze Tendenz des Ich, die eben die innere Freiheit ausmacht.

Bei Personen mit beschränktem Besitz, mit geringer Extensität des Könnens und Dürfens findet sich oft eine innere Ausgeglichenheit, eine Anpassung des einzelnen Wollens an die Gesamtpersönlichkeit, die offenbar dafür eintritt, dass kein erheblicher Umfang äusserer Objekte durch den Willen dieser Person bestimmt wird.

Der Mangel an persönlichem Besitz, der manche Priesterschaften charakterisiert und ihnen also die Freiheitssphäre in einer wichtigen Hinsicht beschränkt, ist offenbar ein Motiv geworden, einerseits durch Demut und Resignation, also durch Herrschaft über sich selbst oder innere Freiheit, andrerseits durch Herrschaft über Andere diese Entbehrung auszugleichen.

Ferner, wo aus sozialen Gründen die persönliche Freiheit und der direkte Einfluss auf Andere eingeschränkt ist, da findet eine um so stärkere Tendenz auf äusseren Besitz statt; die Freigelassenen in Rom, die Hugenotten in Frankreich, die Juden in der ganzen Welt waren in demselben Masse um die in dem Gütererwerb liegende Freiheitsvermehrung bemüht, in dem entweder frühere Versklavung in ihnen nachwirkte oder ihre soziale Position - ihnen die übrige Freiheitssphäre beschränkte.

- Die Gleichheit des Prinzips, das der Verfügung über die eigene Person und der über andere Personen zum Grunde liegt, spricht sich auch darin aus, dass das öffentliche Interesse jener ersteren ebenso Grenzen setzt, wie der letzteren.

Das römische Recht erklärt es für ungültig, wenn die Teilhaber einer Handelsgesellschaft ihrem Recht entsagen, zu jeder Zeit die Auseinandersetzung zu verlangen; auch das heutige Recht verfährt so gegenüber Kaufverträgen, in denen ausdrücklich auf jeden Regress verzichtet wird, falls sich (<259) herausstellt, dass die eine Partei bei dem Kauf betrogen worden ist, oder gegenüber solchen, in denen sieh der Kontrahent zu unehrenhaften Handlungen verpflichtet; ich erwähnte schon oben, dass gewisse Bindungen der eigenen Freiheit auf die Zukunft hinaus manchmal direkt verboten werden.

Die äussere Möglichkeit des individuellen Willens, sich in Handlungen umzusetzen, ist offenbar von derartiger Wichtigkeit für die Gesamtheit, dass sie die Aufhebung derselben nicht nur dann beschränkt, wenn sie von dritten Personen, sondern auch, wenn sie von dem fraglichen Individuum selbst ausgeht.

Die Freiheitssphäre setzt sich von der Verfügung über die eigene Person auf die Verfügung über andere Personen fort; es ist begreiflich, dass die Eindämmung der Freiheit durch das öffentliche Interesse den umgekehrten Weg geht, dass sie die letztere Form der Freiheit früher und gründlicher beschränkt als die erstere; aber jedenfalls zeigt es sich auch von dieser Seite her, dass zwischen beiden nur ein gradueller Unterschied existiert.

Wie es das eigene liiter.3sse ist, das die Freiheit kontinuierlich und in einer Richtung fortschreitend ausdehnt, so ist es das soziale, (las sie von einem Zweckstandpunkt aus - mag man ihn nun den der sozialen Selbsterhaltung oder des Glücksmaximums oder wie sonst nennen - einschränkt.

Dass ein solcher teleologischer Standpunkt da ist, der die verschiedenen Arten der Freiheit und ihre Einschränkungen prinzipiell gleichartig unter sich subsumiert und nun seinerseits wesentliche Unterschiede zwischen ihnen stiftet, das zeigt sich an der Betrachtung der Sklaverei.

Auch der Vorsatz, das Versprechen, der Vertrag machen den zukünftigen Willen von dem gegenwärtigen abhängig; mit ihnen begibt sich der Wille freiwillig seiner Freiheit. Während der Staat diese Erklärung einer teilweisen Willensunfreiheit schützt, lässt er die Erklärung bleibender Willensunfreiheit, die Sklaverei, jetzt ungültig sein.

Dennoch ist diese nur quantitativ von jener unterschieden, auch sie (<260) realisiert sich doch nur in einer Summe einzelner Unfreiheiten; wenn ich mich zu einer Dienstleistung verpflichte, sie mag noch so andauernd und drückend sein, so erzwingt die Gesellschaft die Ausführung dieser Willensbeschränkung, die doch offenbar ein Teil der Sklaverei, der absoluten Willensbeschränkung, ist.

Die Unterschiede, die diese Unterschiede der Behandlung begründen, können nur teleologischer Art sein und zwar etwa die folgenden. Die Gesellschaft hat das lebhafteste Interesse an der Gerechtigkeit im Austausch der Leistungen; denn wenn diese Gerechtigkeit nicht bis zu einem gewissen Grade geschützt wäre, so würde es zu einem irgend erheblichen Masse von Austausch überhaupt nicht kommen.

Deshalb verbietet sie zum Teil Verträge, zum Teil duldet sie den Bruch von solchen, die die Leistungswerte gar zu ungerecht verteilen: sie gestattet die Auflösung von Kaufverträgen, bei denen die eine Partei, auch ohne betrogen zu sein, mehr als die Hälfte über den reellen Wert des Objekts bezahlt hat; sie lässt Geschenke unter Umständen rückforderbar sein; sie duldet nicht, dass dem Schuldner die allerletzten Habseligkeiten und das Handwerkszeug abgepfändet werden, weil der Erlös zu Gunsten des Gläubigers nicht im Verhältnis zu der Schädigung stehen würde, die der Schuldner dadurch erlitte; sie verbietet gewerbsmässige Hasardspiele, bei denen die Chance des Spielers gar zu gering gegenüber der des Unternehmers ist; sie strebt endlich sichtbar dahin, in den Verhältnissen der Lohnarbeiter wie in dem Verhältnis der Geschlechter Leistung und Gegenleistung zu grösserer Gleichmässigkeit zu bringen.

Kurz, es ist ein vitales Interesse der Gesellschaft, dass die Werte, die bei dein Verkehr der Individuen untereinander in Tausch gegeben werden, nur einen möglichst geringen Spielraum der Ungleichheit haben.

Bei einem Vertrage indes, in dem sich der eine Teil zum Sklaven des anderen erklärte, wäre die Gleichmässigkeit der Tauschobjekte von vornherein ausgeschlossen.(<261) Denn was der andere auch in den Tausch gäbe, es wäre immer nur eine endliche Einschränkung seiner Freiheitssphäre, - sei es nun Leistung oder Besitz, was er dahingibt während jener die seinige vollkommen aufopfert.

Wenigstens der Möglichkeit nach ist hier die ungeheuerlichste Ungleichmässigkeit zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben, und deshalb darf dasjenige Gemeinwesen, das durch möglichste Gerechtigkeit möglichste Lebhaftigkeit der individuellen Wechselwirkungen erzielen will, Sklaverei selbst bei grösster, aber jedenfalls endlicher Gegenleistung nicht dulden.

Wesentlicher aber ist folgender Gesichtspunkt. Wäre die Sklaverei wirklich nichts anderes und nicht mehr, als die Hingabe von individuellen Rechten, die Beschränkung der Freiheitssphäre, so könnte gerade ein abstrakter Liberalismus es anerkennen, dass man sie freiwillig auf sich nehme.

Indem er Jedem das Recht gibt, seine Freiheit zu brauchen, wie er will und kann, gibt er ihm auch das, sie freiwillig aufzugeben; und wenn dies mit jedem Versprechen einer Leistung oder Duldung partiell geschieht, so ist prinzipiell nicht abzusehen, weshalb es nicht zusammenfassend und ein für allemal in der Erklärung zum Sklaven geschehen dürfte; das Recht, ein Recht aufzugeben, liege eben im Begriffe des Rechtes selbst, wie es im Begriff des Besitzes liegt, dass man frei ist, ihn entweder zu behalten oder zu verschenken.

Tatsächlich scheint mir die freiwillige Erklärung in die Sklaverei, in dauernde persönliche Unfreiheit auch nur deshalb unzulässig, weil sie viel mehr bedeutet als die Aufgabe von Rechten und Freiheiten.

Auch der Sklave geniesst gewisse Vorteile daraus, dass er in dieser Gruppe lebt; deshalb braucht diese nicht zu gestatten, dass der Privatbesitz des Herrn den Sklaven von ihr abtrenne, und dass alle Leistungen desselben, die von jenen sozialen Benefizien bedingt sind, nur jenem und höchstens durch ihn hindurch der Gesamtheit zu Gute kommen.

Auch hat die Gesellschaft (<262) Ansprüche auf den Sklaven, weil er nur durch Abstammung von der Gesellschaft so geworden ist, wie er ist, weil er so gut wie jeder andere die Erbschaft der Gattung angetreten hat, für die die gegenwärtige Gesellschaft berechtigt ist, die Steuer zu erheben.

Die Unverhältnissmässigkeit davon, dass der Herr auch die ganze künftige Nachkommenschaft des Sklaven miterwirbt, liegt gleichermassen auch darin, dass er alle seine Vorfahren, soweit sie in ihm weiterleben, miterwirbt.

Mit einem Wort: weil die Bewahrung gewisser Rechte zugleich Verpflichtung gegen die Gesellschaft ist, deshalb ist die Aufgabe derselben nicht gestattet - was ihrem individualistischen Wortsinn nach nicht zu rechtfertigen wäre.

Und eben weil das öffentliche Interesse dies bewirkt, so konnte unter anderen Umständen auch das direkte Gegenteil erfordert sein: Augustus bestimmte durch Gesetz, dass niemand mehr als 100 Sklaven durch Testament freilassen sollte - damit die Bürgerschaft nicht zu sehr mit diesen schlechten Elementen überschwemmt würde.

Das Verhältnis zur Gesellschaft bestimmt also nicht nur überhaupt, wo die Grenze zwischen Rechten oder Freiheiten und Pflichten liegt; sondern sie bestimmt weiter die sekundäre Freiheit, auf jene zu verzichten oder nicht.

Diese Auflösung der individuellen Freiheit in eine soziale Pflicht hat freilich der Sklavereifrage gegenüber heute nur eine theoretische Bedeutung; sie wird aber eminent praktisch z. B. in den Fragen nach Erlaubtheit oder Verbot politischer Wahlbeeinflussung.

Wenn der Arbeitgeber seinem Arbeiter sagt: falls Du in einem mir entgegengesetzten Sinne wählst, so entlasse ich Dich - so macht er damit von seiner Freiheit im gewöhnlichen Sinne Gebrauch; denn er hat zweifellos das Recht, seine Arbeiter nach freier Wahl anzustellen oder zu entlassen.

Seine Handlungsweise erscheint um so erlaubter, als der Arbeiter in der Freiheit seiner Wahl doch nur ein Recht dahingibt, auf das (<263) ihm dem Wortsinne nach zu verzichten erlaubt sein muss.

So gut es ein "Recht" des Einzelnen ist, sich zu berauschen oder Vormittags spazieren zu gehen, und er dennoch auf dieses Recht verzichten muss, um von dem Unternehmer angestellt zu werden, so gut kann er auch das Recht, nach seiner Überzeugung zu wählen, gegen den Wert seiner Anstellung in Kauf geben.

Wenn trotzdem moderne Gesetze eine solche Hingabe der Wahlfreiheit verbieten und den Unternehmer mit Strafe bedrohen, der die Beschäftigung des Arbeiters von dieser Gegenleistung abhängig macht, so rechtfertigt sich dies nur so, dass die Wahlfreiheit keine blosse Freiheit ist, auf die man also auch verzichten könne, sondern eine Pflicht; die Allgemeinheit hat das höchste Interesse daran, dass jeder nach seiner eignen Überzeugung wähle und fordert dies als Pflicht von ihm.

Es wäre also ein Widerspruch von ihr gegen sich selbst, zu gestatten, dass jemand an derjenigen Handlung gehindert werde, die sie selbst von ihm verlangt.

Deshalb nimmt sie dem Arbeiter die Freiheit, auf diese Freiheit zu verzichten, aus dem ganz gleichen Grunde, aus dem sie jedem die Freiheit nimmt, auf seine persönliche Freiheit überhaupt zu verzichten, indem er sich zum Sklaven oder Leibeigenen erklärt.

Die Koordinierung der Bestimmung über sich selbst mit der Bestimmung über Andere zu erweisen, ist die Erörterung der Sklaverei deshalb besonders geeignet, weil, wie sie zeigt, das öffentliche Interesse die Freiheit sich selbst der Freiheit zu begeben, ganz ebenso beschränkt, wie die Freiheit einen Anderen gewaltsam zu versklaven.

Wie für das eigenste, innerlichste Ich, dessen Wille je nach der Möglichkeit seine Objekte zu gestalten empirisch frei oder unfrei erscheint, nur ein gradueller, sozusagen lokaler Unterschied zwischen dem eigenen Körper, dem äusseren Besitztum und den anderen Personen als solchen Objekten besteht - so besteht für das öffentliche, unsere "Freiheit" beschränkende Interesse nur der gleiche.

(<264) Es begrenzt, in umgekehrter Richtung fortschreitend, zuerst unsere Freiheit, soweit sie andere Menschen tangiert bez. verletzt, dann die Freiheit der Verfügung über den Besitz - Steuern, öffentliche Lasten positiver und prohibitiver Art - endlich die Verfügung über den eigenen Leib, manchmal sogar über die eigene Seele, wie bei dem Religionszwang.

Diese Ausdehnung der positiven Bedeutung der Freiheit rechtfertigt den Versuch, in ihren Begriff die gesamten Inhalte des Sollens zusammenzufassen.

Wenn Kant das Prinzip des Rechts in der Forderung erblickt, die Freiheit eines jeden solle so weit eingeschränkt werden, dass sie mit der Freiheit jedes Anderen zusammen bestehen kann, so ist dies eine negative Ausdrucksform, die dem Zwangscharakter des Rechts entspricht; durch positive Wendung kann man dies unmittelbar zu einem Moralprinzip des Freiheitsmaximums machen: handle so, dass die von dir geübte Freiheit zusammen mit der, die dein Handeln den Anderen lässt oder bereitet, ein Maximum ergibt.

Der Vorteil, den dieses Prinzip als Zusammenfassung der tatsächlichen Moralvorstellungen hat, ist die Vereinigung der beiden fundamentalen Ansprüche an eine solche: einmal eine objektive ideale Gestaltung der Dinge anzugeben, innerhalb deren der Handelnde, von dem Prinzip Bestimmte, allen Anderen koordiniert ist, eine Gestaltung, die an und für sich sein soll; der Ton und Wert liegt hierbei auf dem realen Effekte der Handlung, auf den allein und nicht auf das besondere Verhältnis es ankommt, in das der gerade Handelnde sich zu diesem objektiven Ideal setzt.

Zweitens aber hat ein Moralprinzip auch jene subjektive sittliche Tendenz einzuschliessen, die von jedem Einzelnen für sich eine besondere Entsagung zu Gunsten des objektiven Endzweckes fordert, die das Verdienst gerade in eine Ausnahmestellung setzt, derart, dass der Einzelne für sich selbst auf die Güter verzichtet, deren allgemeinen Genuss jener ideale (<265) Zustand enthält.

Die eine Schätzungsweise wird die grossen Kulturhelden, die sie nach den objektiven Erfolgen ihres Tuns beurteilt, in der Wertskala obenan stellen, die andere den niederen Söldner, der sich auf einem verlorenen, nutzlos behaupteten Posten in der Treue zu seiner Fahne niedermachen lässt; die eine die grossartige Wohltätigkeit amerikanischer Millionäre, deren Segnungen die ganze Kultur ihres Landes neben tausend Einzelnen empfindet; die andere das Scherflein der Witwe.

Die Doppelheit dieser sittlichen Wertkriterien ist etwa jener ästhetischen zu vergleichen: wir unterscheiden die Leistung, die objektiven, von der Persönlichkeit des Schaffenden relativ gelösten Wert hat, sehr deutlich von derjenigen, die zwar die persönliche Genialität des Künstlers beweist, indem sie eigenartig und sozusagen persönlich interessant ist, aber an und für sich und ohne dass wir den Schluss auf die dahinter stehende Persönlichkeit zögen, unbedeutend ist.

Gewiss kann sich beides vereinigen, im ästhetischen Falle freilich noch durchsichtiger als im ethischen; aber auch in der tatsächlichen Vereinigung ist die Zweiheit der Werte ebenso erkennbar, wie in ihrem getrennten Vorkommen. Nur je einen von beiden tatsächlich empfundenen Werten pflegen die Moralprinzipien darzustellen.

Sie lehren z. B. ein Maximum von Glückseligkeit zu realisieren - einen objektiven Zustand, den zu erstreben freilich sittlich ist, ohne dass aber jener andere sittliche Wert zu Worte kommt, der in dem Verzicht auf eigene Glückseligkeit zu Gunsten Anderer selbst dann liegt, wenn damit keine Steigerung der objektiven Glückssumme erreicht wird.

Oder es wird andrerseits der Ton nur auf die Gesinnung gelegt, auf die besondere Stellung, auf die hin man dem Individuum subjektives Verdienst zuspricht.

In diesem Falle kommt wieder der Inhalt des Handelns zu kurz, insoweit man ihm ein objektives, den Handelnden mit allen Anderen koordinierendes Ziel zumutet.

Den Dualismus zwischen dem (<266) sittlichen Werte des Strebens nach einem objektiven, zuständlichen Ideale, das Allen, also auch dem gerade Handelnden, in gleicher Weise zu gute kommt, und dem persönlichen Verdienste, das gerade nur den Anderen jenes Gute will zu gute kommen lassen, für sich aber darauf verzichten will - diesen Dualismus wissen wenige Moralprinzipien in eine Einheit zusammenzuführen. Ich glaube, dass dies der obigen Formel gelingt.

Was zunächst die objektiven Ziele angeht, so schreibt das Prinzip vor, nach einer Gestaltung der Dinge zu streben, bei der sich das Wollen jedes Einzelnen möglichst vollständig in ihnen ausprägen kann.

Die Freiheit, so hatten wir gesehen, besteht darin, dass ein Kreis von Objekten sich konform dem Willen des Individuums verhält.

Jedes Werkzeug, das die Materie äusseren Absichten gefügiger macht, jede Anordnung menschlicher und sachlicher Elemente, durch die unnütze Reibungen und schwächende Zersplitterungen vermieden werden, jede Freude, die unsere Kräfte zum Daseinskampfe belebt, jede Erkenntnis, mit der der Geist die äusseren Objekte seinen Kategorien oder praktischen Zwecken unterwirft - alles dies sind Ausdehnungen unserer Freiheit.

Denn das Mass unserer Freiheit ist das Mass, in dem die Konstitution der uns gegenüberstehenden Objekte auf Anregung von unserer Seite hin unsere gewollten Vorstellungen an sich realisiert.

Die Vermehrung der Freiheit in diesem weitesten und positiven Sinne ist der allgemeine, teleologische Begriff, in dem sich alle jene Kulturförderungen, jene aus den verschiedensten singulären Gründen erwünschten Vornahmen und Erzeugnisse begegnen. Auch das Ideal der Verteilung des Besitzes findet in diesem Begriff seinen Ausdruck.

Besitz, gemäss unsern Ausmachungen, ist Freiheit, denn dasjenige Objekt, das dem Wollen eines Subjekts folgt oder nachgibt, heisst in dem Masse der Unbeschränktheit dieses Nachgebens eben sein Besitz.

Wenn die Freiheit also mit dem Besitze wächst, so geschieht dies doch nur bis zu einer (<267) gewissen Grenze, von der an die Freiheit nicht mehr im Verhältnis der Besitzsteigerung zunimmt, ja wohl auch trotz dieser abnimmt.

Es gibt einen begrenzten Umfang des Besitzes, über den hinaus der Wille ihn sozusagen nicht mehr mit sich imprägnieren kann, nicht mehr dasjenige Verhältnis positiver Dirigierung zu ihm aufrecht erhalten kann, in dem eben seine Freiheit besteht - Wunsch und Habgier können natürlich darüber hinausführen, aber sie dokumentieren ihre Zwecklosigkeit in der Unbefriedigtheit, die selbst ihrer Erfüllung eigen ist.

Indem also ein derartig übermässiger Besitz in einer Hand vereinigt ist, während Anderen noch dasjenige Mass von Besitz versagt ist, an dein ihre Freiheit sich ausleben, sich erfüllen könnte, indem es ihn erfüllt - wird dein Ideal des Freiheitsmaximums widersprochen.

Dieses fordert vielmehr eine derartige Verteilung des Besitzes, dass das Mass, in dem die menschlichen Willen sich den Objekten einprägen, ein Maximum werde.

Obgleich es selbstverständlich scheint, dass ich Einbusse erleide, sobald ich äusseren Besitz aufgebe, so rückt diese äusserliche Tatsache doch in ein ganz anderes Licht, sobald man die rohe, mechanische Vorstellung des Besitzes verlässt und einsieht, dass alles, was den Besitz wertvoll macht und um dessentwillen überhaupt Besitz existiert und besessen wird, doch nur Gefühle sind; schliesslich ist auch der Besitz nur ein geistiges Band zwischen den Menschen und den Dingen, und ist für die praktische Behandlung gleichzusetzen der Summe der psychischen Reaktionen, die sieh an diese Beziehung knüpfen.

Wie nun unser physischer Organismus seine Reaktionen auf äussere Einflüsse keineswegs immer proportional der Grösse dieser entfaltet, so steht es auch nicht fest, dass die Gefühle, die das psychische und Wert-Korrelat des Besitzes bilden, immer durch die äussere Mehrung desselben steigen, durch Minderung sinken.

Wie vielmehr die Heilkunde immer mehr davon zurück (<268) kommt, dass, wenn ein gewisses Quantum chemischer oder physikalischer Eingriffe eine bestimmte Wirkung hat, eine Erhöhung desselben eine um so viel vermehrte, aber gleichartige Wirkung haben müsse, so wird wohl auch die Psychologie festzustellen haben, dass zwischen den Besitzgegenständen als blossen Äußerlichkeiten und dem Besitze als Wertgefühl keineswegs ein immer gleiches quantitatives Verhältnis besteht.

Ich erinnere an die Beobachtung der Elektrotherapie, dass die Wirkung gehäufter Elektrisationen oft in die Gegenteile umspringt, ferner an die eigenartigen Wirkungsunterschiede, die die Dosierungsunterschiede der Arzneien mit sich bringen, und vieles ähnliche.

Das Prinzip: viel hilft viel - wird immer mehr verlassen. Vielmehr sind diejenigen Abschnitte physiologischer und psychischer Gebiete, in welchen die Reaktionen genau nach ihren äusseren Veranlassungen abgestuft sind, offenbar sehr eng begrenzte; oberhalb und unterhalb derselben hören die proportional graduierten Skalen völlig auf.

Es ist mir wahrscheinlich, dass man vielfach bei gleichmässiger Steigerung des äusseren Faktors auf eine Alternierung zwischen positiven und negativen, steigenden und fallenden Reaktionen des inneren treffen wird.

Es liegt nahe, hier als Analogie jene allgemeinsten Materientheorien Boscovichs und Fechners heranzuziehen, denen zufolge alternierende Kraftsphären von Abstossung und Anziehung jedes Atom umgeben; nur innerhalb jeder Sphäre würde dann grössere Entfernung oder Annäherung eine Steigerung des Effektes hervorbringen, der den geringeren Quanten dieser Änderungen folgte; ist die Grenze dieser Sphäre einmal beschritten, so schlägt die gleiche äussere Modifikation in den entgegengesetzten Erfolg um.

Indem man dies nun von der extensiven in die intensive Wirkung überträgt, lässt sich denken, dass die Reize des Besitzes gewissermassen alternierende Sphären aufweisen, d. h. dass bei gleichbleibender Steigerung seines äusseren Quantums seine innere und wertbedeutende (<269) Seite bald in dem gleichen Verhältnis wächst, bald Stagnation oder in manchen Fällen Repulsion eintritt, bis von einem gewissen Masse dieser an wieder die entgegengesetzte Wirkungsart sichtbar wird.

Ob nun aber die Ungleichmässigkeit zwischen den Quantitäten des Besitzes und denen seiner inneren Folgen durch diese oder eine andere Norm bestimmt werde: dass sie besteht, scheint mir zweifellos; man kann auch von dem äusserlichsten Besitz nicht bestimmen, ob nicht ein geringeres Quantum seiner unter gewissen Umständen ein höheres Mass derjenigen Reaktionen aufruft, die seine psychische Realität bilden; auch hier kann der Fall vorkommen, dass die Hälfte mehr als das Ganze ist.

Schon weil nun der Punkt, an dem die Wirkung des Besitzes ihr Vorzeichen ändert, bei den verschiedenen Individuen zweifellos verschieden liegt, so führt die Unverhältnissmässigkeit zwischen der Grösse des Besitzes und der Fähigkeit, ihn wirklich zum Inhalt und Objekt der Freiheit zu haben, keineswegs zu einer schematischen Besitzgleichheit, und zwar gerade gemäss dem Prinzip des Freiheitsmaximums.

Und eben dieses schliesst die äussere Egalisierung von dem weiter ausgreifenden Gesichtspunkte her aus, dass es doch noch andere Verhältnisse, noch andere dem Ich gegenüberstehende Objekte, als den Sachbesitz, gibt, an denen sich die Freiheit verwirklicht; jedes Individuum hat nun für sich, indem es in sich selbst die Ausgleichungsforderung zwischen den verschiedenen Individuen wiederholt, diese mannigfaltigeren Sphären der Freiheit in ein derartiges quantitatives Verhältnis zu setzen, dass ein Maximum von Freiheit resultiert.

Je nach den inneren und äusseren Anlagen und Schicksalen werden sich dazu die Quanten dieser Sphären bei jedem verschieden mischen müssen; dem einen wird ein bestimmendes Verhältnis zu anderen Personen bei gleichzeitig geringerem Sachbesitz eine grössere Expansion der Freiheit gewähren, während sie sich bei dem andern mit grösserem (<270) Erfolge auf den Sachbesitz unter gleichzeitiger Geringfügigkeit des Einflusses auf Menschen richtet.

Wie sehr das Prinzip des Freiheitsmaximums auch den letzteren Einfluss begrenzt, ersieht man daraus, dass bei einer gewissen Grösse desselben auch er in sein Gegenteil umschlägt, und zwar sowohl, wenn seine Grösse nach der intensiven, wie wenn sie nach der extensiven Seite extrem wird; bei allzu unumschränkter Herrschaft über einen Menschen geht leicht das Gefühl verloren, dass man an ihm überhaupt etwas zu beherrschen hat, seine allzugrosse Nachgiebigkeit nimmt ihm diejenige Bedeutung, die ihm überhaupt als einem Objekt unseres Einflusses Wert gibt.

Und bei allzugrosser Extensität der Herrschaft über Menschen treten unvermeidlich rückwirkende Bindungen ein, die zu grosse Anzahl derer, die von einem Einzelnen abhängig sind, lähmt als Schwergewicht die Freiheit seiner Bewegung und er wird der Sklave seiner Sklaven.

Also auch hier beschneidet das Maximum der gesamten Freiheit zwar das Übermass einseitiger Freiheit, verlangt aber keineswegs allgemeine Gleichheit gegenseitigen Einflusses.

Nicht jeder Wille ist gleichmässig qualifiziert, eine dargebotene Sphäre von Einfluss auf Andere auch wirklich zu erfüllen, die Freiheit als Möglichkeit in die Freiheit als Wirklichkeit umzusetzen; deshalb würde die Einräumung einer äusserlichen Gleichheit in dieser Hinsicht dem einen geben, was er nicht brauchen kann, dem andern nehmen., was er braucht, und eben dadurch der Erreichung eines objektiven Freiheitsmaximums widersprechen.

Das Prinzip: Jeden für einen und keinen für mehr als einen zu zählen" - erweist sich angesichts der unendlichen Verschiedenheit der Naturen, die durch die Konstruktion eines mittleren "Einen" absolut nicht in ihrer Wirklichkeit zu fassen sind, hier so unzulänglich wie überall, wo durch Aufteilung von Soll und Haben zwischen den Einzelnen ein Ideal objektiv maximisiert werden soll.

Die zweite subjektive Seite des moralischen Interesses:(<271) das Verdienst, das in dein Verzicht des Einzelnen liegt, ganz gleichgültig dagegen, ob ein Ideal dadurch in seinem objektiven Quantum gehoben oder gemindert wird - wird nun vermöge des Begriffes der inneren Freiheit dem Prinzip des Freiheitsmaximums eingeordnet.

Der Goethesche Ausspruch: Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, Befreit der Mensch sich, der sich überwindet - enthält im Wesentlichen die sittliche Erfahrung, auf die es hier ankommt.

Der Begriff von Freiheit, der für uns resultiert war, gestattet es vollkommen, dass man ihn auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst anwendet, d. h. auf jene psychologischen Vorgänge, die wir Mangels einer genaueren Vorstellungsart als Verhältnis verschiedener Vorstellungsgruppen zu einander bezeichnen.

Indem verschiedene Vorstellungen gleichzeitig mit dem Willenston, dem Bestreben nach Realisierung ausserhalb des bloss ideellen Vorstellens auftreten, aber diese Realisierung nicht gleichzeitig erlangen können, tritt die Erscheinung ein, die wir symbolisch damit bezeichnen, dass die eine Wollung die andere überwindet.

Und da beide innerhalb eines und desselben Menschen liegen, kann man dieses so ausdrücken, dass er sich selbst überwindet, und zwar insbesondere dann, wenn die siegende Vorstellung aus Gründen, die ich Bd. 1 S. 290 andeutete, als die Repräsentantin des eigentlichen Ich erscheint.

Indem Tendenzen, die diesem eigentlichen Ich entgegengerichtet sind, überwunden werden, prägt dieses seine fundamentale Charakterqualität dem Willensinhalt ein. Jede solche Auswirkung des Ich in einem irgendwie gegenüberstehenden Objekt ist Freiheit; denn sie befreit jenes von dein Gegendruck, von den Hemmnissen, die sich der Verwirklichung seines Willens entgegenstellten ; sie befreit jedenfalls von, der bedrückenden Vorstellung, dass die Dinge anders sind, als wir sie wollen.

Deshalb empfinden wir alle Überwindung niederer Triebe, alle Zurückweisung von Versuchungen, jedes Durchsetzen innerer Werte gegen die (<272) psychologische Kraft der Sinnlichkeit auch als eine Befreiung, und deshalb ist der Verzicht auf alle angebbaren Güter zu Gunsten Anderer dennoch zugleich eine Bewährung der Freiheit, ein Sichauswirken innerlichster Kraft gegenüber den übrigen Inhalten der psychologischen Sphäre; gerade je mehr diese durch Aufopferung beschränkt wird, desto entschiedener tritt die Wirkung des als einheitlich empfundenen Ich hervor.

Hier kann wohl an die tiefsten Motive des Christentums, insbesondere in seinem sich Abheben von der heidnischen Welt erinnert werden. In ihm fand sich jener völlige Verzicht auf alles, was sonst als Wert und Inhalt der Persönlichkeit galt, doch mit einer bis dahin unbekannten Höhe und Konzentriertheit des Persönlichkeitsgefühles zusammen, aus der tiefsten Demut und Demütigung entsprang dem Christen doch eine unvergleichliche innere Freiheit; im freiwilligen Aufsichnehmen der ärgsten Sklavenlose, der Abtrennung von der Sphäre des Besitzes jeder Art, der dem Menschen sonst Unabhängigkeit gibt, empfanden sie jene Befreiung von der Macht des Irdischen, jene Losgelöstheit von der Gewalt, die sonst alle Wesen bindet.

So findet denn auch die rein subjektive Wendung der sittlichen Zielsetzung ihren Ausdruck im Freiheitsbegriff, jene Wendung, der es nicht auf eine objektive Gestaltung der Dinge ankommt, in die der Handelnde sich neben allen Anderen einfügt, sondern auf das persönliche Verdienst, das sich gerade in der besonderen, verzichtenden Stellung des Ich den Andern gegenüber zeigt (vgl. auch S. 48).

Die Erweiterung der Freiheit ist so das Gemeinsame, das ebenso von dem objektiven, Inhalte des sittlichen Strebens, wie von der subjektiven Verdienstlichkeit desselben getragen wird.

Beide Werte sind an sich betrachtet in hohem Masse von einander unabhängig, so dass sie sich, wenn jedes von ihnen als absolutes Prinzip betont wird, in ihren Anforderungen an das Individuum manchmal unversöhnlich bestreiten - wird nun aber erkannt, (<273) dass das eine der Steigerung der äusseren, das andere der der inneren Freiheit dient, zeigt sich also die Freiheit als das ihnen übergeordnete Prinzip, so wird in der Forderung, diese zu einem Maximum zu bringen, der Streit jener beiden geschlichtet: jede darf nur insoweit gesteigert werden, dass sie mit dem gleichzeitigen Realisierungsgrade der anderen ein Maximum an Freiheit ergibt.

Dadurch wird erstens alle übertriebene Aufopferung, alle subjektivistische und bloss auf die Vollendung der eigenen Seele gerichtete Sittlichkeit in ihrer Fehlerhaftigkeit aufgezeigt; denn man wird den Nachweis erbringen können, dass, wo der normale sittliche Instinkt solche Handlungsweise tadelt, sie trotz der inneren Freiheit, die sie auswirkt, die Erweiterung der anderen - eigenen oder fremden - Freiheitssphäre vernachlässigt, zu Gunsten der einen Freiheitsform die andere so beschneidet, dass die Summe der Freiheit darunter leidet.

Andrerseits wird durch unser Prinzip die Grenze bezeichnet, die das sittliche Interesse der Tendenz auf blosse objektive Kultur- und Besitzsteigerung zieht.

Denn so sicher die Überwindung natürlicher Hindernisse, das Indienstnehmen von äusseren Materien und Kräften, die Reibungsminderung in den Kulturbeziehungen der Menschen auch der Vermehrung der Freiheit dienen, so liegt doch die Gefahr vor, dass das Streben nach objektiven Errungenschaften und Institutionen jene persönlichste, innerlichste Seite des sittlichen Handelns lähme, die nicht sowohl fragt, was man tut, als wie man es tut, nicht nach der Grösse des Vollbrachten, sondern nach der Grösse und dem Schwange der Gesinnung, die seine Vollbringung erforderte.

Die Erfahrung zeigt, dass gerade diese subjektive Sittlichkeit ein unvergleichliches und durch nichts zu ersetzendes Gefühl innerer Freiheit zuwege bringt.

Wenn - also die allgemeine, wenngleich ihrer Gründe nicht bewusste Meinung jeder von beiden Tendenzen nur einen relativen, durch die andere beschränkten Raum gestatten will, also doch einen höheren, (<274) absoluten Gesichtspunkt voraussetzt, an dem sich die Quanten beider bestimmen: so wird man dies wohl so ausdrücken können, dass dasjenige, was beiden Seiten der Sittlichkeit gleichmässig eigen ist, die Tendenz zur Freiheit, eben durch sie und das richtige Verhältnis zwischen ihnen maximisiert werden soll.

Indem wir den Besitz - sowohl als Beherrschung von Objekten wie von Menschen - auf die realen psychologischen Ereignisse zurückführten, die er repräsentiert, zeigte sich eben in seinen psychologischen Folgen die Begründung davon, dass das Überschreiten einer gewissen Quantitätsgrenze seinen Wert zurückgehen lässt.

Etwas Entsprechendes lässt sich nun in dem Verhältnis des Ich zu sich selbst erkennen, das ich in der bisherigen Erörterung dem zu den äusseren Objekten und dem zu anderen Menschen koordiniert hatte.

Die Summe der Überzeugungen gehört zu dem Umfänge des Ich in einem Sinne, dem analog, in dem die Summe des Besitzes dazu gehört; ebenso wie der Besitz eine Art des Vorstellens ist, so ist das Vorstellen eine Art Besitz, und zwar unter Umständen ein so wertvoller, dass ihn aufzugeben unmittelbar eine Alterierung und Herabsetzung des Ich bedeutet, nicht anders wie der notgedrungene Verzicht auf Besitz oder Einfluss.

Das Zugeständnis: ich habe mich geirrt, hat zunächst die Bedeutung, dass aus dem bisherigen Umfang der Persönlichkeit irgend etwas ausgeschieden wird, ohne dass jedes Mal der Ersatz dieses Minus durch die neu angenommene Wahrheit sofort und ebenso klar wäre.

Ferner bedeutet das Aufgeben der bisherigen Meinung oft die Modifikation des schlechthin Individuellen zu Gunsten der allgemeinen Meinung und bringt damit unmittelbar eine Verringerung desjenigen Selbstgefühles mit sich, das gerade in der Eigenheit der Persönlichkeit und in ihrem Unterschiede gegen das liegt, was die Anderen meinen oder glauben.

Es liegt nahe, solcher Beeinträchtigung der Persönlichkeitssphäre wenigstens für (<275) das eigene Gefühl dadurch zu begegnen, dass man an dem einmal gewonnenen individuellen Überzeugungsinhalt um jeden Preis festhält.

Dies Phänomen des "Eigensinns" wird erstens vom ethisch-sozialen Standpunkt aus verurteilt, denn es bedeutet das Festhalten der eigenen Meinung, bloss weil es die eigene ist und trotzdem sie in Widerspruch zu den allgemein gültigen Normen steht, zweitens aber auch vom individualistischen, weil der Eigensinn, um nur den momentanen Besitzstand nicht aufgeben zu müssen, auf die definitive und haltbare Erweiterung desselben verzichtet, die in der Akzeptierung der richtigen Ansichten liegt.

Trotzdem liegt die Gefahr nahe, bei dem Vorwurf, den man an ein eigensinniges und widervernünftiges Festhalten von Meinungen knüpft, oberflächlich und ungerecht zu verfahren.

Es ist nicht immer unberechtigt, wenn man einmal gewonnene tiefste und allgemeinste Überzeugungen nicht ohne Weiteres einer scheinbar bündigen, logischen Deduktion des Gegners preisgibt.

Denn selten wird diese im strengen Sinne bloss logisch sein; bestimmte Bedeutungen der Begriffe, gewisse allgemeinste Sätze werden in der Regel dabei vorausgesetzt, deren Unverträglichkeit mit der eigenen Überzeugung man wohl fühlt, ohne dass dieselbe und damit der Grund, weshalb die lückenlose gegnerische Beweisführung uns doch nicht überzeugt, in deutliches und begriffsmässiges Bewusstsein gelangte.

Es kommt dazu, dass derartige Überzeugungen überhaupt selten von strengen Beweisen, als vielmehr von dem Wert abhängen, den man auf den einen möglichen Beweis einem anderen gegenüber legt, wobei sich denn die formale Deduktion überhaupt machtlos erweist.

Aber nicht nur dergleichen umfassende, sondern auch mehr singuläre Überzeugungen wurzeln sehr häufig nicht sowohl in ihren direkten Beweismomenten, als in den Verbindungsfäden mit anderen, abseits liegenden Teilen der Persönlichkeit, so dass man in der Regel, um Jemanden auch an einem einzelnen Punkte wirklich zu (<276) überzeugen, sehr tief in seine Gesamtüberzeugungen hinabsteigen müsste - eine Verpflichtung, von der man sich nur allzu gern durch die Erklärung, dass der andere eigensinnig wäre, dispensiert glaubt.

Das Gefühl von Demütigung, welches wir bei notgedrungenem Aufgeben einer Ansicht haben, entstammt offenbar den Assoziationen, welche diese mit unserem gesamten Gedankenkreise eingegangen ist, und die nun durch Erschütterung des einen Gliedes eine Unsicherheit unseres ganzen Seeleninhaltes drohen; der Selbsterhaltungstrieb der einzelnen Vorstellung wird von dein der ganzen Seele getragen.

Aber hier liegt auch der Punkt, wo der eigentliche Eigensinn mit seiner Schwäche einsetzt; es ist das Zeichen eines nicht hinreichend differenzierten Geistes, der seinen Inhalten nicht hinreichende Selbständigkeit und Sachlichkeit gegeben hat, dass die einzelne Vorstellung sachlich unberechtigte Assoziationen mit allen möglichen anderen, je nach psychologischer Zufälligkeit eingeht, und dadurch die Reinheit und Objektivität ihres Erkenntnisinhaltes einbüsst.

Durch diese Verschmelzungen wird also tatsächlich die Freiheit der geistigen Bewegung gehemmt; für den Eigensinnigen ist der momentane geistige Stand ein Präjudiz, das über das Ja oder Nein der neuen Anregung gegenüber entscheidet.

Indem durch das starre Festhalten an dem subjektiven Inhalt scheinbar gerade die Freiheit und Unabhängigkeit gewahrt wird, wird sie tatsächlich durch dasselbe eingeschränkt und zwar in der zweifachen Auffassung: einmal, weil die Unbeweglichkeit gewisser Vorstellungsmassen des Eigensinnigen ihn von eigenen Weiterentwicklungen so abschneidet, wie nur äussere Knechtung es tun kann, und weil andrerseits die Freiheit im Sinne des Besitzes, des Umfanges der Ichsphäre zwar für den Augenblick durch den Eigensinn ihre Selbsterhaltungskraft zeigt, aber nur auf Kosten derjenigen Erweiterung, die das Ich schliesslich doch gewinnen würde , wenn es seine schlechthin individuellen Überzeugungen durch die sachlich richtigen ersetzte.

Das (<277) Prinzip des Freiheitsmaximums deckt also auch in Bezug auf dieses Verhältnis des Ich zu sich selbst den anerkannten Bestand der ethischen Forderung.

Es ist hierbei das Folgende im Auge zu behalten. Die empirische Freiheit, so hatten wir gesehen, besteht in einem gewissen Verhältnis zwischen dem Willen und seinen Objekten. Der Wille ist frei, wenn die Objekte ihm nachgeben und seinen Inhalt in sich ausprägen.

Dass sie das aber tun, muss er erst erfahren und dies kann er nur durch eine Rückwirkung ihrer Beschaffenheit oder Funktionierung auf das Subjekt. Insofern ist er also mit dein Denken zu vergleichen.

Denn das blosse, rein logische Denken hat nur dann einen Sinn und Zweck, wenn es ausserhalb seiner noch einen psychischen Inhalt anderer Provenienz gibt: die Erfahrung - dessen inhaltliche Übereinstimmung mit den Resultaten des Denkens erst die Richtigkeit des letzteren erweist.

So würde auch der Wille eine völlig leere und sinnlose Funktion sein, wenn nicht die durch ihn eingetretenen Veränderungen in der äusseren oder inneren Welt erfahren oder gefühlt würden, damit durch die Vergleichung dieses rezeptiven psychischen Inhalts mit dein Inhalte des Willens festgestellt werde, ob dieser befriedigt ist oder nicht.

Wie die Vorstellung in erkenntnisstheoretischer Hinsicht zweimal vorhanden sein muss: einmal in der Form des blossen Denkens und dann in der Form der Erfahrung, so muss sie es auch im willens-theoretischen: zunächst in der Form des Gewolltwerdens und dann in der des Empfundenwerdens.

Nur in der Übereinstimmung dieser Zweiheit, nicht in sich selbst allein, kann das Denken wie das Wollen Sinn und Bedeutung haben.

Der Wille bedarf also eines Objekts, das nach seiner Bearbeitung durch das Subjekt auf dieses selbsttätig zurückwirkt, indem es in ihm die Vorstellung, die vorher unter der Kategorie des Gewollten bewusst wurde, nun mit dem Zeichen der Realität auslöst.

Diese Reflexion (<278) über die notwendige Selbständigkeit und Rückwirksamkeit der Willensobjekte soll hier die weitere fundamentieren: dass auch der freieste Wille, d. h. derjenige, der die geringste Hemmung an seinen Objekten findet, dennoch eines gewissen Widerstandes derselben bedarf.

Wie der Bildhauer sein Werk nicht in einem gasförmigen oder flüssigen Stoffe ausführen kann, dessen absolute Nachgiebigkeit keine Prägung seiner Form gestattet, wie er vielmehr einer Materie bedarf, in der der Zusammenhang der Teile zwar ihm selbst Widerstand entgegensetzt, dafür aber auch die Form bewahrt, die die Überwindung dieses Widerstandes ihm eingeprägt hat -gerade so steht der Wille seinen Objekten gegenüber.

Im Verhältnis zu einem absolut unselbständigen Objekt, das sich ihm fügte, ohne dass es irgend eines Einsatzes von Kraft bedürfte, würde es weder zu einem Bewusstsein noch zu einem Werte seiner Freiheit kommen, Am ersichtlichsten ist dies bei der inneren Freiheit, bei der die Triebe, von denen das bessere Ich sich zu befreien hat, von der gleichen psychischen Kraft wie dieses letztere selbst getragen werden, so dass der Widerstand, der sich dem Durchsetzen des definitiven Willens entgegenstellt, nicht nur auf der Seite des Überwindenden, sondern auch auf der des Überwundenen unmittelbar bewusst wird.

Aber auch in Hinsieht auf die äusseren Objekte, in deren Beherrschung und Überwindung sich gleichfalls Freiheit zeigt, ist es nicht anders.

Gerade die Struktur der Dinge, vermöge deren sie die eingeprägte Form bewahren und mit eigener Kraft auf das Subjekt zurückwirkend ihm die Erfülltheit seines Willens beweisen - gerade diese Struktur setzt zu einer Formung ihrer eine Anstrengung voraus; denn sie hat diese Form von vornherein nicht, und dass sie sie nicht hat, regt eben den Willen an.

Die Freiheit erscheint um so wertvoller, ja sie erscheint um so mehr als Freiheit, gegen je stärkere Widerstände sie sich durchgesetzt hat.

Darum wird die Freiheit, die die Form des äusseren (<279) Besitzes hat, entschiedener als solche empfunden, wenn der Besitz schweren Hindernissen entgegen erworben, als wenn er uns mühelos in den Schoss gefallen ist; darum ist die innere Freiheit verdienstlicher, wenn sie im Kampfe gegen die Fesselungen der Sinnlichkeit errungen wurde; darum ist das freie Ausleben der Persönlichkeit um so mehr wirkliche Freiheit, je mehr es sich im Verhältnis zu anderen freien Personen, als wenn es sich Sklaven gegenüber erweist.

Hierdurch erhält nun das Idealprinzip des Freiheitsmaximums eine wesentliche nähere Bestimmung.

Es wird nämlich klar, dass die Gestaltung äusserer Verhältnisse, die der menschlichen Freiheit einen maximalen Spielraum geben und deren Forderung insoweit eine grosse Zahl sittlicher Ideale einschliesst, diese Qualifikation der Objekte nicht zu einem Maximum treiben darf, ohne ihren Zweck selbst wieder zu annullieren.

Es ist allerdings sittliches Ideal, dass jeder in seinen Verhältnissen zu Menschen und Dingen möglichst viel Freiheit habe; damit es aber zu diesem Maximum komme, bedarf es doch noch gerade, äusserlich angesehen, einer gewissen Einschränkung der Freiheit.

Besteht die sittliche Aufgabe darin, die Objekte des Willens möglichst nachgiebig und in der Richtung des kleinsten Widerstandes zu gestalten, so würde die absolute Erfüllung derselben es zu der positiven Freiheit gar nicht kommen lassen, der die ganze Handlungsweise dienen sollte.

Hierdurch wird nicht nur die Freiheit des Libertinismus und der Gesetzlosigkeit ausgeschlossen; denn das geschieht schon unmittelbar durch den Begriff des Freiheitsmaximums., weil diese Formen der Freiheit in ihrem Revers oder in ihren Folgen um so stärkere Fesselungen mit sich führen.

Es liegt in dieser Bestimmung vielmehr noch dies, dass die privaten Verhältnisse wie die öffentlichen Einrichtungen die Freiheit im weiteren Sinne nur als Preis einer Arbeit zulassen sollen, dass sie einen gewissen mittleren Aggregatzustand zwischen Nachgiebigkeit und Widerstand einhalten; (<280 ) der Wille muss sozusagen genug Reibung an ihnen finden, um sieh daran seiner selbst bewusst zu werden und seinen Inhalt in dauernden und wirkenden Gestaltungen ausprägen zu können.

In Bezug auf die Freiheit gegenüber der äusseren Natur, d. h. auf die Beherrschung derselben, ergibt sich solche Begrenzung der Freiheit als Bedingung ihrer Maximisierung ganz von selbst.

Denn hier liegt ein unendliches Feld möglicher und unmittelbar zu ihrem Gewinn auffordernder Fortschritte vor uns, so dass jede erreichte Stufe, jedes gewonnene Mass von Freiheit sofort den Willen sich auf weiteres richten lässt, so dass die Arbeit an der Überwindung der Widerstände nie zu Ende kommt.

Denn der Sinn des Freiheitsmaximums ist doch nicht bloss der, dass der vorhandene Wille sich widerstandslos durchsetze, sondern, dass dieses Willensquantum seinerseits vermehrt werde; nur indem der Wille selbst sieh steigert, können auch seine Befriedigungen, d. h. das Quantum der Freiheit, gesteigert werden.

Auf dem Gebiet der Verhältnisse von Menschen untereinander, der sozialen und der singulären, ist es eine triviale Wahrheit, dass die Freiheit von einem gewissen Masse an schädlich wird, den sittlichen Zwecken widerstreitet.

Dies könnte man für den Ausdruck der Tatsache halten, dass die sittlichen Zwecke über der Freiheit stünden und diese oder ihr Gegenteil einfach als Mittel im Masse ihrer Angemessenheit für jene in Betracht kämen.

Ich meine aber, dass man es auch so ausdeuten kann: die partiellen Einschränkungen der Freiheit seien die Bedingung, unter der bei den gegebenen psychischen und sozialen Voraussetzungen allein das Maximum von Freiheit überhaupt erreicht werden könnte.

Wie es mit dem Streben nach einem Maximum des Glückes vereinbar ist, Zeiten des Leides, der Wehmut, der Gefühlsindifferenz gelten zu lassen, weil wir auf den Unterschied angewiesene Wesen sind, und darum das Glücksgefühl die Voraussetzung hat, dass es von Perioden anderer Empfindungen unterbrochen (<281) werde: so mag auch die Freiheit die Existenz eines "Gegenwurfes" voraussetzen, von dem sie sich abhebt, an dem sie überhaupt ihre eigene Existenz erst erringt und bewährt; und weiterhin mag das Durchsetzen eines Freiheitsmaximums unter den tatsächlichen Verhältnissen davon abhängen, dass man die Freiheit an manchen einzelnen Punkten beschneidet, wo sie wohl an und für sieh durchzusetzen wäre, durch ihre sekundären Wirkungen aber mehr Fesselungen herbe' führen würde, als sie primär aufhebt.

So gehört das Freiheitsmaximum unter jenen Typus von Idealen, den ich Bd. 1, S. 337 f. charakterisierte: letzte ideale Zielpunkte des Handelns, deren völlige Realisierung indessen diejenigen Werte wieder annullieren würde, die das Streben nach ihnen realisiert.

Von den empirischen Zuständen aus gesehen liegen die sittlichen Werte vielleicht alle in der Richtung auf das Freiheitsmaximum; eine absolute Verwirklichung desselben aber würde nichts desto weniger ein unausdenkbarer Zustand sein.

Alle derartigen Versuche, die Sittlichkeit, sowohl nach ihrer Tatsächlichkeit wie nach ihren Forderungen und Urteilskriterien, auf einen einheitlichen Begriff zu bringen, sind im Grunde nichts als Symbolisierungen des sittlichen Tatbestandes.

Sie erreichen im besten Falle die Feststellung, dass die sittlichen Taten so verlaufen, als ob sie von dem betreffenden Gedanken geleitet wären.

Dieser hat die Funktion einer Rechenmarke, deren Bedeutung in der stetigen Relation bestellt, die die von ihr vertretenen Werte zu ihr haben; vermöge dieses Umstandes kann man an ihr Verhältnisse und Gesetze berechnen, in deren Form man die realen Werte nur einzusetzen braucht, um die Wirklichkeit des Verhaltens dieser daraus abzulesen.

Der Trieb nach Einheitlichkeit der Prinzipien führt uns zu solchen höchsten Gesichtspunkten, denen sich alle Einzelheiten, sei es des Tuns, sei es des Sollens, unterordnen, und nur der naive Realismus, der unser Denken noch so vielfach beherrscht, (<282) verführt uns dazu, die bloss symbolische Bedeutung derselben für eine reale zu halten.

Der Realismus, den Kant aufgedeckt hat, ist nur ein Teil dieses allgemeinen Denkfehlers und nicht einmal der wichtigste, weil er die Gesamtheit des Vorstellens betrifft, also die Relationen unter den Einzelheiten des Vorstellens, die das Wesentliche des Lebens ausmachen, unberührt lässt. Unser Erkenntnisleben wird von Symbolik verschiedenster Stufen durchzogen.

Schon die Empfindungen hat man als Symbole der Realitäten bezeichnet, indem sie zwar nicht diese selbst zur Anschauung bringen, wohl aber deren chronologische Verhältnisse an ihrem ganz andersartigen Material so abspiegeln, dass man an jeder Stelle ihres Verlaufs den Schluss auf ein bestimmtes Verhalten jener ziehen darf.

Die Begriffe weiterhin sind Symbole der Anschauungen, die logischen Gesetze Symbole des empirischen Verhaltens der Dinge; indem wir mit den Begriffen logisch verfahren, sind wir sicher, das so erlangte Resultat an den Anschauungen, von denen wir uns inzwischen abgewendet hatten, anzutreffen.

Wir rechnen mit den logischen oder mathematischen Gebilden, als ob sie die Wirklichkeit wären, und können so an einem von der Erfahrung völlig verschiedenen psychischen Inhalt diejenigen Formen gewinnen, die für den Inhalt der Erfahrung selbst gelten.

Die einheitlichen Maximen endlich bilden in der oben geschilderten Weise die Symbole für Wollungen, Erkenntnisse und Gefühle; ohne inhaltliche Beziehung zu diesen, lassen sie sieh doch zu Konsequenzen entwickeln, die auch für die Entwicklung jener zutreffen.

Wenn z. B. ein Eudämonist behauptet, dass alles Handeln der Menschen in Wirklichkeit auf egoistische Glückssteigerung gerichtet sei, so kann dies weder bedeuten, dass dies das bewusste Motiv des Handelns sei - denn das wäre eine tatsächliche psychologische Unwahrheit - noch dass das Handeln in Wirklichkeit immer der Glückssteigerung dient - was kein geringerer Irrtum wäre.

(<283) Die Bedeutung jener Behauptung kann also nur eine symbolische sein, eine, die die Tatsächlichkeit der Handlung nicht unmittelbar ausdrückt, wohl aber das rechnerische Hilfsmittel ist, um diese Tatsächlichkeit festzustellen; sie kann nur besagen: man findet die wirklichen Handlungen jedes Individuums, indem man von jeder gegebenen Lage aus diejenige Handlung berechnet, die zu der Maximisierung seines Glückes führt.

Wählt man für diesen Eudämonismus ,etwa den Ausdruck: das Streben nach Glück sei das unbewusste Motiv alles Handelns, so ist das Unbewusste doch nur eine Hypostasierung oder Personifikation des Symbolcharakters der Behauptung: es ist ein Verlegenheitsausdruck, hervorgegangen aus der Vorstellung, dass diese Möglichkeit, die Willenserscheinungen in einem einheitlichen Ausdruck zusammenzufassen, doch eine reale Ursache haben muss.

Es ist der alte Irrtum des Kraftbegriffs; statt sich mit jenen Zusammenfassungen der Erscheinungen zu begnügen, die, wenngleich bloss subjektiv, doch für alles Operieren mit ihnen völlig ausreichen, glaubt man eine tiefere Erkenntnis zu gewinnen, wenn man den Erscheinungen "Kräfte" unterlegt, die näher angesehen nichts sind als Substanzialisierungen jener subjektiven Begriffe. Dieser Fehler wird hier sozusagen auf einer höheren Stufe wiederholt.

Da für die tatsächliche Möglichkeit, alle Handlungen als Mittel zu egoistischem Glück zu deuten, weder in dem Bewusstsein, aus dem sie hervorgehen, noch in dem Erfolge, in den sie auslaufen, eine reale Ursache zu finden ist, so verdichtet man eben jene blosse Möglichkeit der Deutung zu einer besonderen Kraft oder Wesenheit, die man das Unbewusste nennt, ohne dass dieser Name etwas für sich bedeutete.

Die Voraussetzung eines durchgehenden unbewussten Strebens nach Glück ist, besten Falls, nichts als der Ausdruck dafür, dass man unsere Handlungen in diesem Sinne deuten kann, sie gibt aber gar keinen Einblick in die realen Kräfte, die diese Handlungen nun im einzelnen Falle bestimmen. (<284)- Oder ein Theist mag behaupten: der Lauf der Welt ist von der absoluten göttlichen Weisheit geleitet.

Hier ist uns nun weder das vorausgesetzte göttliche Wesen unmittelbar zugängig, so dass wir durch Einblick in dasselbe die Kräfte erkannten, die alle Erscheinungen in die Bahn seiner Weisheit leiteten, noch ist den Erscheinungen selbst die Provenienz aus der göttlichen Weisheit unverkennbar eingeprägt.

Sie symbolisiert also nur das wirkliche Verhalten und es liegt methodisch nur das Recht - das sachliche untersuchen wir hier nicht - für die Behauptung vor: die irdischen Dinge verlaufen so, als ob eine Überlegene Weisheit sie beherrschte.

Es verhält sich damit gerade wie mit der Maxime, dass die Natur immer den kürzesten Weg zu ihren Zielen nehme.

Auch hiermit kann, ganz abgesehen von der sachlichen Zulässigkeit des Gedankens überhaupt, doch kein reales und wirksames Gesetz der Sparsamkeit gemeint sein, das etwa wie das Gravitationsgesetz die primäre, die Erscheinungen beherrschende Kraft bezeichnete - vielmehr unter völligem Beiseitesetzen der Frage, welches denn die wirklichen, erfahrbaren Triebkräfte des Naturgeschehens sind, wird hier nur behauptet, dass sie so angeordnet sind, als ob sie einem ihnen übergeordneten Gesetze der Sparsamkeit gehorchten.

Solche Maximen beziehen sieh in der Art auf das Verhalten der Dinge, dass dieses sozusagen gar nicht direkt von ihnen berührt, dass über sein Fürsichsein damit absolut nichts ausgesagt wird; sondern ihre Erscheinung allein wird damit im wirklichen Sinne des Wortes bezeichnet.

Es ist ein Gesichtspunkt, mit dem man für die Zwecke des Erkennens ebenso operieren kann wie mit einem, der die realen Ursachen des Geschehens ausspricht - gerade in dem Sinne, in dem man das Symbol der Sache anstatt der Sache selbst benutzt, sicher, dass das Resultat des Verfahrens mit jenem an jedem Punkte auch für diese gültig ist, ebenso als hätte man von vornherein mit ihr operiert.

(<285) Das Gleiche gilt ohne weiteres für Vereinheitlichungen der Sollensvorstellungen.

Die Wahrheit, welche man der Steigerung des Glückes, oder der Vervollkommnung der Persönlichkeit, oder der vernunftmässigen Harmonie der Handlungen als sittlicher Forderung wenigstens prinzipiell zusprechen mag, ruht keinesfalls in ihrer Erklärung des Sittlichen oder in der Beschreibung seiner psychischen Wirklichkeit, sondern darin, dass sie je einen zusammenfassenden Ausdruck für die sittlichen Inhalte bilden, einen Ausdruck, mit Hülfe dessen sich diese ebenso sicher konstruieren lassen, als wenn er den realen Quellpunkt derselben unmittelbar bezeichnete.

In diesem Sinne allein ist auch das Moralprinzip des Freiheitsmaximums zu verstehen.

Indem wir die Freiheit als ein ganz allgemeines Verhältnis zwischen dem Willen und seinen Objekten erkannten, erweiterte es sieh über seinen nächsten Sinn, der sich auf die Verfügung über den eigenen Leib bezog, zu der Gesamtheit der menschlichen und sachlichen Objekte, die mit dem Individuum in Beziehung stehen und deren Struktur und Verhältnis zu ihm seine Freiheit oder Unfreiheit ausmachen.

Daraufhin gewinnt der Freiheitsbegriff eine so hohe abstrakte Stellung über den gesamten Einzelheiten unserer Interessen, dass der Versuch nicht aussichtslos erscheint, ihn als Symbol einer durchgehenden Direktive oder Wertung derselben zu behandeln.

Nachdem uns die bisherigen Erörterungen den Inhalt wie den Umfang des Freiheitsbegriffes gezeigt und nach beiden Seiten hin die Einfachheit seiner logischen Bedeutung in eine Fülle empirischer Einzelheiten aufgelöst haben, bleiben nun noch einige Überlegungen anzustellen, die über die psychologischen Beziehungen des Begriffes hinaus nach deren sachlicher oder erkentnistheoretischer Fundamentierung fragen.

(<286) Als den Gegensatz der Freiheitslehre pflegt man die Annahme eines psychologischen Mechanismus zu bezeichnen.

Geht wirklich jeder Bewusstseinsakt aus seinen Antezedentien in derselben mechanischen Weise hervor, wie jeder physische aus den seinigen, so findet selbstverständlich innerhalb dieses Prozesses die Freiheit keinen Platz.

Soll diese Annahme das bedeuten, was die Assoziationspsychologie unter ihr zu verstehen pflegt: dass sich der Vorstellungszustand jedes Augenblicks aus dem des vorangegangenen berechnen lässt, so ist sie mit der Tatsache, dass wir überhaupt Empfindungen haben, nicht zu vereinigen.

Jede Empfindung tritt offenbar als ein neues Element in den Verlauf des psychischen Geschehens ein, als eines, das aus dem vorherigen Inhalt desselben nicht zu berechnen ist.

Mit den Elementen, die einmal in das Bewusstsein eingegangen sind, mögen psychologische Gesetze schalten, und ihre wechselnden Kombinationen als mechanische, aus einander zu berechnende Entwicklungen ihrer Spannkräfte erzeugen; aber diese immanente Kausalität des Seelenlebens versagt in dem Augenblick, wo leibliche Reize ihrem Ablauf neue Glieder einfügen, gerade wie es die Berechenbarkeit eines physischen Systems ausschliessen würde, wenn in jedem Augenblick neue Faktoren in dasselbe einströmten, die sich aus seinem bisherigen Status nicht ergeben.

Die Tatsache der von aussen hervorgerufenen Empfindung verhindert also jedenfalls die mechanische Bestimmtheit jeder psychischen Verfassung aus der vorhergehenden, bloss psychischen.

Allein die Schwierigkeit dieser Tatsache wendet sich auch nach der andern, nach der physischen Seite. Das Gesetz der Erhaltung der Kraft gestattet nicht, dass in den Wirkungen, die in einem gegebenen Moment zu Tage treten, mehr vorhanden ist, als die Kraftsumme, welche der verursachende Moment enthielt.

Wenn nun die äussere Veranlassung einer Empfindung stattfindet, z. B. ein Schlag auf die Hand, so bleibt die damit in den Körper übergegangene Kraftsumme (<287) quantitativ unverändert durch alle nervösen, kalorischen, chemischen Umsetzungen innerhalb des Körpers bez. des Gehirns hindurch erhalten, bis sie wieder aus dein letzteren irgendwann heraustritt.

In dieser lückenlosen physischen Kausalreihe ist für ein psychisches Moment, für die Empfindung, kein Platz. Denn das Gesetz der Erhaltung der Kraft fordert für den physischen Vorgang des Schlages weitere physische Vorgänge, in denen die in jenem enthaltene Kraft völlig kongruent aufgeht, so dass in den späteren absolut nichts gefunden werden kann, das nicht auch in dem ersteren, wenngleich in anderer Form, enthalten wäre.

Die Wirkung des Schlages erschöpft sich in ihren körperlichen Wirkungen, und wenn wir ihn als die Ursache der Empfindung, eines unkörperlichen, rein intensiven Vorganges ansprechen, so ist doch in ihm derjenige Teil, der eben diese Wirkung hätte, absolut nicht aufzufinden.

Die Empfindung also als eine in oder an der Kette physischer Vorgänge auftauchende Erscheinung ist eine Schöpfung aus dem Nichts.

Jenes Gesetz lässt ihr keinen Raum, es fordert alle Kraft eines physischen Vorganges für seine physischen Wirkungen und kann deshalb die Erklärung, dass der Schlag auf die Hand die Ursache des empfundenen Schmerzes ist, nicht zugeben.

Die letztere Schwierigkeit nun findet das Gesetz der Erhaltung der Kraft nicht weniger in der Tatsache der Willenshandlungen.

Wenn ein blosser Bewusstseinsvorgang, eine Absicht die wirkliche Ursache einer körperlichen Bewegung wäre, so wäre damit Kraft aus Nichts geschaffen; denn eben die Kraftsumme, die in der so entstandenen Bewegung enthalten ist, wäre vorher in der körperlichen Natur nicht vorhanden.

Gegen diese Konsequenz, dass das Geistige nicht Ursache körperlicher Vorgänge sein kann, ohne jenes Fundamentalgesetz zu durchbrechen, hilft kein Palliativmittel abschwächender Hypothesen: dass das Bewusstsein nicht die Kraft, sondern nur die Richtung der (<288) Kraft erzeugte, wie der, der die Schleuse aufzieht, die Wasserkraft nicht erzeugt, sondern nur formal bestimmt, oder wie nach dem Gleichnis Descartes, der Reiter die eigenen Bewegungen des Rosses lenkt.

Denn ein solches Bestimmen der Form und Richtung vorhandener Kräfte ist doch nur durch einen, wenn auch noch so minimalen, physischen Anstoss möglich; auch zur blossen Entfesselung einer Kraft bedarf es einer Kraft, ohne die Niemand eine Schleuse aufziehen oder ein Ross lenken kann.

Es ist und bleibt ein Wunder, eine Schöpfung aus dem Nichts, wenn aus dem bloss Geistigen, dem blossen Bewusstseinsvorgang eine Bewegung im Körperlichen hervorgehen soll.

Es liegt daraufhin freilich nahe, auf das Überspringen der Wirkung zu verzichten, die körperliche Handlung als physische Wirkung der physischen Gehirnvorgänge zu begreifen und den bewussten Willen nur als eine Mitschwebung mit den letzteren anzusehen, die auf eine übrigens unerklärte Weise mit ihm verbunden wäre.

Dann wäre der geistige Prozess ,ins der physischen Reihe ausgeschaltet und diese ihrer notwendigen Lückenlosigkeit wiederhergestellt.

Das gleiche Verhältnis gelte dann auch für die Empfindung; der Schlag auf die Hand verursacht einen blossen Gehirnvorgang und dieser verursacht seinerseits nicht die Schmerzempfindung denn damit eben wäre die, physische Reihe durchbrochen sondern diese ist mit dein physischen Vorgang in einer Weise verbunden, die nicht eine kausale ist, sondern die man sich in einer spinozistischer, okkasionalistischer, prästabilistischer oder sonstiger Denkrichtung näher bringen mag.

Diese Annahme über das Wesen der Empfindung dieser Ausschluss aller Verursachung des Psychischen durch physische Vorgänge ist die notwendige Voraussetzung der Berechtigung, auf Grund der Naturkausalität das Eingreifen eines ursachlosen Willens in den Ablauf der physischen Prozesse abzulehnen.

Denn wenn man von der Empfindung zugibt, dass physische Kraft sich (<289) hervorbringt, d. h. in ihr ins Unkörperliche verschwindet, so ist damit das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, also die Naturkausalität nicht weniger durchbrochen als durch das Schaffen von bewegender Kraft aus dem körperlosen Willen.

Die vulgäre Vorstellung der Freiheit, der zufolge wir als geistige Individuen beliebig in die äusseren Ereignisse eingreifen und ihnen eine in ihnen selbst nicht prädeterminierte Form verleihen können, wäre genau so möglich wie die viel weniger roh erscheinende Vorstellung vom Wesen der Empfindung, dass sie von einem körperlichen Vorgange nach Art der gewöhnlichen Kausalität hervorgebracht werde.

Nur die völlige Entfernung des Empfindens aus der Kausalreihe des physischen Geschehens gibt das Recht, die Geschlossenheit dieser gegen die Freiheit des willensmässigen Handelns ins Feld zu führen.

Allerdings könnte man gerade auf diese Korrelation des Empfindens und des Wollens die Berechtigung gründen wollen, beides in die physische Kausalreihe einzuschieben, und zwar so, dass die mit dein ersteren - für den physikalischen Standpunkt - ins Nichts verschwindende Kraft durch das letztere wieder aus diesem Nichts ersteht, und auf diese Weise die Gesamtsumme der Kraft so unverändert erhalten wird, wie das Naturgesetz es fordert.

Dann verhielte sich das Psychische in der physischen Reihe ungefähr wie irrationale Glieder in einer Rechnung, die von rationalen Grössen ausgehend, wieder in rationale mündet.

Sie werden eben wieder ausgeschaltet, ohne durch den Charakter, den sie an und für sich haben, das Resultat zu affizieren.

Auch manche andere Entwicklungen verhalten sich so- es werden Faktoren in sie eingeführt, die entweder aus einer ganz anderen Reihe stammend oder in sich von destruktiver oder ablenkender Tendenz, die Gesamtheit der Entwicklung zum Selbstwiderspruch führen würden, wenn nicht der weitere Verlauf derselben noch einmal dem gleichen Faktor, aber mit umgekehrtem Vorzeichen Raum gäbe, so dass er, den (<290) ersteren paralysierend, die Reihe schliesslich ungestört an dem Ziel münden lässt, auf das sie angelegt ist.

Bei unserem völligen Mangel an einer exakten Vorstellung über das Verhältnis von Geist und Körper, und bei dem Spielraum, den angesichts dessen die blossen Denkmöglichkeiten haben, scheint mir auch diese nicht ausgeschlossen.

Mit dem Eintreten der bewussten Empfindung, die von physischen Vorgängen verursacht ist., bricht die vom Gesetz der Krafterhaltung beherrschte Reihe der letzteren ab; die psychischen Vorgänge bilden ein jenseits aller messbaren Kräfte liegendes Reich, in das zwar physische Kräfte einmünden, in dem sie aber nicht wie in ihren sonstigen Effekten erhalten bleiben, sondern verschwinden.

Durch den Willen aber grenzt dieses Reich des Psychischen wieder an das Gebiet des Physischen und erstattet ihm die Kräfte wieder, die es ihm an der anderen Grenze, der Empfindung, entzogen hatte.

Diese Hypothese hätte das für sich, dass sie das Gesetz von der Erhaltung der Kraft mit der wirklichen Verursachung des Psychischen durch Physisches und umgekehrt zu vereinigen gestattet, eine Vereinigung, die so lange unmöglich scheint, als man nicht das in der Empfindung verlorene Kraftquantum durch den Willen wiedergewinnt.

Auch wird dieses Verhalten durch die Beobachtung nahegelegt, dass der Lebhaftigkeit und Energie des Empfindens der gleiche Charakter des Wollens zu entsprechen pflegt, während man umgekehrt die krankhafte Willensschwäche geradezu auf eine Schwäche des sinnlichen Empfindungsvermögens zurückgeführt hat.

Der Wille gibt danach in den von ihm ausgehenden Innervationen nur gerade dasjenige Quantum Kraft aus, das durch die Empfindungen in die Psyche geleitet worden ist.

Die Lücke, die auf diese Weise in die Reihe der physischen Bewegungen gerissen wird, ist weniger unerträglich, als es auf den ersten Blick scheint, wenn man bedenkt, dass überhaupt im Physischen die Frage, wie denn die Kraft sich von einem Teil (<291) der Materie dem anderen mitteile, ein grosses Geheimnis umschliesst.

Wir wissen nur, dass bei zwei an einander stossenden Billardkugeln sich das Bewegungsquantum, das die eine verlor, irgendwie an der anderen wiederfindet; wie diese Übertragung eigentlich zu Stande gekommen ist, davon wissen wir nichts.

Ja, die atomistische Hypothese, die zwischen die kleinsten Bestandteile der Körper leere Räume setzt, fordert geradezu ein Sich-Hindurchsetzen der Kraft durch ein Gebiet, auf dem sie keinen materiellen Träger hat.

Die Vermutung also, dass das die Empfindung hervorrufende Kraftquantum in einer nicht, physischen Form in ihr aufgehoben sei und vermittelst des Willens sich wieder in die physische Form umsetze, könnte als eine positive Ausfüllung einer Vorstellungslücke gelten, die die physikalischen Vorstellungen allenthalben lassen.

Durch diese Hypothese würde wenigstens der aus der mechanischen Naturkausalität geschöpfte Einwand gegen die Willensfreiheit ihr erspart bleiben. Das Eingreifen des Willens in die äussere Naturordnung wäre dann von ihr aus gesehen ursachlos, d. h. nicht in seiner Art und Richtung durch sie determiniert, würde aber dennoch wenigstens nicht die Kraftsumme alterieren, deren Erhaltung das Postulat jener Naturkausalität ist.

Es entstünde jetzt nur die Frage, ob die Bewusstseinsvorgänge etwa in sich eine Kausalität aufweisen, die die Willensakte determiniert.

Die Schwierigkeit der psychischen Mechanik, von der dieser Abschnitt ausging, gilt allerdings für den Willen nicht, Die Unberechenbarkeit des späteren psychischen Zustandes aus dem gegenwärtigen folgt aus dem fortwährenden Auftreten neuer Empfindungen, welche von der physischen Welt her angeregt werden und die immanente Entwicklung des bisherigen Seeleinhaltes unterbrechen.

Allein da der Wille nicht in diesen Inhalt hinein, sondern sozusagen aus ihm herausführt, da wenigstens seine ausgebildeteren, von der (<292) Freiheitsfrage betroffenen Formen am Ende der Entwicklungsreihe stehen, die von Empfindungen ausgeht, so kann er aus dem vorhandenen psychischen Bestande, in den die Empfindungen aufgenommen sind, mit mechanischer Gesetzmässigkeit hervorgehen.

Die Zufälligkeit, die die Empfindung vom Standpunkt der psychologischen Kausalität aus besitzt, braucht für den Willen nicht zu gelten.

Die Frage nach der psychologischen Gesetzmässigkeit ist im ganzen Gebiet des Erkennens vielleicht diejenige, bei der die allgemeinen erkenntnistheoretischen Forderungen noch am weitesten von ihrer Erfüllung durch empirische Erkenntnisse abstehen.

Der Voraussetzung der Kausalität steht die Tatsache gegenüber, dass ein psychologisches Gesetz im Sinne der Naturwissenschaft bis jetzt noch nicht gefunden worden ist; neben der tatsächlichen Zuverlässigkeit, etwa der Assoziationsregeln, auf die unser ganzes praktisches Leben und alle Beziehungen der Menschen untereinander gegründet sind, steht die Beobachtung, dass es überhaupt keine noch so entlegene positive oder negative Beziehung zwischen Vorstellungen gibt, die nicht Assoziation herbeiführen könnte, aber auch keine noch so nahe, die sie herbeiführen müsste; der Forderung einer Berechenbarkeit, selbst im weitesten Sinne, setzt sich die unüberwindlich scheinende Schwierigkeit entgegen, dass es im Seelenleben keine fest umschriebenen Einheiten gibt, so dass die Bezeichnung, unter der man eine solche in die Rechnung einführt, immer dasselbe bestimmte, von allen anderen unzweideutig geschiedene Objekt träfe.

Die Unberechenbarkeiten, welche das psychische Leben seinen Berechenbarkeiten untermischt, erscheinen nur teilweise als vorläufige, als solche, die der Fortschritt der Erkenntnis aufheben wird; teilweise tragen sie den Charakter des Definitiven, die, psychischen Vorgänge scheinen sich ihrem Wesen nach der durchgehenden Einordnung in die Kategorie mechanischer Kausalität zu entziehen.

Nun halte ich prinzipiell allerdings ein (<293) solches Zugeständnis für erforderlich. In die Formen, deren Erfüllung für uns exakte Erkenntnis bedeutet, passen die psychischen Vorgänge, wie sie sich in unserem Selbstbewusstsein spiegeln, nicht hinein.

Die nachträgliche Betrachtung verleiht den Bewusstseinsvorgängen gewisse Formen, Abgrenzungen, gegenseitige Beziehungen, die aber nur Symbole sind, nur ungefähre Hinweisungen auf einen Sachverhalt, der bei näherem Hinsehen fortwährend die Grenzen jener begrifflichen Formulierungen überschreitet; es ist eine blosse Konvention, wenn wir unsere Vorstellungen von den Bewusstseinsvorgängen als Erkenntnisse derselben akzeptieren.

Als Grund dieser Inkongruenz erscheint mir die Tatsache, dass das menschliche Bewusstsein in seinen früheren Entwicklungsstadien ausschliesslich auf das äussere Geschehen und seine intellektuelle Beherrschung gerichtet ist; an den äusseren Erscheinungen also haben sich die Kategorien des Erkennens gebildet, die längst fest geworden sein müssen, bevor sich das forschende Bewusstsein auf sich selbst, auf die Vorgänge in seinem Inneren richtete.

Als dies geschah, fand es nur jene Kategorien vor, die, für ganz andere Zwecke und Objekte gebildet, dennoch die einzigen verfügbaren Werkzeuge des Erkennens waren; die häufig betonte Tatsache, dass wir geistige Vorgänge sprachlich gar nicht anders ausdrücken können, als durch Worte, die für körperliche Erscheinungen geprägt sind, ist eine Folge, wie ein Symbol dieses Verhältnisses.

Da wir nun die Erfüllung jener Kategorien Erkenntnis nennen, die psychischen Ereignisse aber, auf die bei ihrer Bildung keine Rücksicht genommen ist, nicht vollkommen in sie passen, so können wir zu, einer eigentlichen Erkenntnis dieser letzteren allerdings vielleicht nicht gelangen.

Unter diesem Vorbehalt bemerke ich über den Mangel an innerer Kausalität unter den psychischen Ereignissen das Folgende, und zwar in Anlehnung an die Fragen der Assoziationspsychologie.

Ich setze hier voraus, dass, welches (<294) auch das nähere Verhältnis von Körper und Geist sein mag, in keinem Falle eine Vorstellung ohne einen Bewegungsvorgang im Gehirn zu Stande kommt.

Wenn ich also sage: die Vorstellung A tritt ins Bewusstsein, weil die mit ihr assoziierte Vorstellung B bewusst wird, so heisst dies von der physiologischen Seite angesehen: es geht eine Bewegung a im Zentralorgan vor sich und zwar ausgelöst durch die Bewegung b, wobei a der Vorstellung A und b B entsprechen soll.

Nun ist es aber sehr leicht möglich, dass b nicht die einzige und für sich zureichende Ursache von a ist, dass vielmehr noch eine weitere physiologische Bedingung g dazu gehört, um a und also auch A hervorzubringen, und dass dieses g keine Bewusstseinsseite hat.

Wir erkennen dann in und durch B nur einen Teil des Ursachenkomplexes von A; wir würden vergeblich mit den Mitteln der Psychologie des Bewusstseins nach den Ursachen suchen, weshalb in einem gegebenen Falle des Bewusstwerdens von B A nicht reproduziert wird, obgleich es sonst mit ihm verbunden war; es fehlt dann eben die Mitbedingung g, die nicht ins Bewusstsein fällt, ohne deren in früheren Fällen vorhandene Mitwirkung aber der Effekt a und also auch A nicht eintreten kann.

Bei diesem Verhalten der Dinge liesse sich verstehen, weshalb es nicht gelingt, eine Mechanik des Vorstellungswechsels aus bloss immanenten, psychischen Momenten zu Stande zu bringen: weil diejenigen Bedingungen für das Hervortreten einer Vorstellung, die psychischer Natur sind, nur einen Teil der dazu erforderlichen Ursachen repräsentieren und deshalb noch des relativ zufälligen Zusammentreffens mit den anderen, bloss physischen Bedingungen bedürfen, um zum zureichenden Grunde für das Entstehen jener Vorstellung zu werden.

Deshalb sind die sogenannten Assoziationsgesetze so unbestimmt und ausnahmsvoll, also eigentlich keine Gesetze, während andrerseits ebendaher klar ist, wieso sie in einer (<295) Anzahl von Fällen wirklich das Richtige treffen.

Ein Korrelat dieser Hypothese ist die Annahme, die Kultursteigerung bestehe darin, dass diejenigen Rindenprozesse, mit denen noch kein Bewusstsein verbunden ist, mehr und mehr solches erhalten; Steigerung des Bewusstseins, immer gründlichere Durchleuchtung des Unbewussten durch Bewusstes sei der Weg der organischen Evolution.

Wird dies als wahr angenommen, so verstehen wir aus unserer Hypothese von der Verursachung der bewussten Gehirnprozesse durch teils bewusste, teils unbewusste, wieso die tiefststehenden Rassen jenes unberechenbare, launische, sprunghafte Geisteswesen zeigen, von dem uns vielfach berichtet wird, und wieso entsprechend gerade die höchsten Menschen in gewissem Sinne die berechenbarsten sind: zuverlässig in den einmal eingeschlagenen Bahnen beharrend, kontinuierlich in Ideen und Entschlussreihen, am freiesten von plötzlichen Impulsen und unverständlichen Gedankensprüngen.

Bei solchen Individuen sind offenbar sehr viel mehr Gehirnprozesse mit Bewusstsein ausgestattet als bei dem Wilden, so dass der physischen Kausalkette, aus der der einzelne Akt hervorgeht, eine kontinuierliche Reihe von Vorstellungen entspricht; die einzelne erscheint dadurch von einem verständlichen Zusammenhänge psychischer Inhalte getragen, die blossen Ursachen, aus denen sie auftaucht, stellen sich als Gründe oder Motive dem Bewusstsein dar, während da, wo das Bewusstsein sich nur als zufällig aufzuckende, unzusammenhängende Lichterscheinung an die physischen Vorgänge heftet, sein einzelner Inhalt wie aus dem Nichts geboren, aus einer unzugänglichen Ordnung der Dinge hineingeschneit erscheint.

Wenn übrigens geniale Menschen vielfach launenhaft, ungleichmässig in ihrem Lebensrhythmus, unberechenbar in ihren Impulsen sind, so mag dies an der Einseitigkeit der Begabung liegen: die Durchgeistigung des Zentralorgans ist dann eben auf eine Provinz desselben besonders konzentriert und so entsteht teils ein wirklicher (<296) Mangel an innerem Gleichgewicht in der Psyche, teils eine grössere Auffälligkeit desselben als bei Durchschnittsmenschen.

Da dieser Prozess der allmählichen Vergeistigung, der wachsenden Ergänzung der psychischen Reihen, der bewussten Motivierung jedes Aktes durch vorangehende noch keineswegs zu Ende gekommen ist, so entspricht dem physischen Mechanismus eben noch kein ganz gleich vollständiger psychischer.

Wenn wir selbst von dem Durchbrechen des letzteren, das die fortwährend einströmenden Sinneseindrücke bewirken, ganz absehen, so bleibt dennoch keine Möglichkeit, die psychischen Prozesse in eine Reihe zu ordnen, innerhalb deren der spätere nach beständigen Gesetzen aus dem früheren hervorgehen müsste.

Die mit Bewusstsein versehenen Hirnprozesse sind offenbar nur ein gewisser durch den ganzen Umfang der Grosshirnrindenprozesse überhaupt hin verteilter Teil derselben und bilden deshalb keine Entwicklung, die aus sich allein verständlich wäre und nur den Gesetzen gehorchte, die ihren Inhalt allein beträfen - wie dies überhaupt bei keinem Komplex von Erscheinungen der Fall ist, der nur einen Ausschnitt aus einer umfassenden Totalität bildet.

So gibt es z. B. keine immanente Kunstgeschichte, d. h. keine, die eine künstlerische Erscheinung aus der anderen verständlich und gesetzmässig entwickelte, weil die politischen, sozialen, religiösen usw. Verhältnisse die nächsten Erscheinungen mitbestimmen und doch ihrerseits aus den vorigen künstlerischen nicht berechenbar sind.

Deshalb ist auch nicht einmal die Menschengeschichte aus ihr eigenen historischen Gesetzen zu entwickeln.

Denn auch sie verläuft nicht als ein in sich abgeschlossenes Kapitel, von dem etwa nur Anfang und Ende Beeinflussung und Zusammenhang mit den kosmischen Kräften hätten, sondern entwickelt sich in fortwährender Endosmose und Exosmose mit diesen und erfährt von ihnen Kraftwirkungen, deren Quellen ganz ausserhalb ihrer selbst fliessen und (<297) deshalb auch aus der genauesten Kenntnis des bisherigen Verlaufes nicht zu berechnen sind.

Einflüsse, die einem allem Bisherigen fremden Kräftekreis entstammen, unterbrechen ihre immanente Entwicklung und lassen die Gleichheit der Bedingungen, die diese selbst der Zukunft bietet, in ungeahnte Verschiedenheit der Erfolge auslaufen.

Nur wenn die Menschengeschichte wirklich Weltgeschichte wäre, würde jeder momentane Zustand derselben die zureichenden Bedingungen des nächsten und übernächsten in sich schliessen.

Aus demselben methodischen Grunde gibt es keine in sich zusammenhängende Kausalität des Psychischen; es bildet eben nur einen sehr variablen Ausschnitt aus dem Gesamtsystem des Menschen, und deshalb ist der einzelne psychische Akt nicht aus den vorangehenden psychischen Akten allein zu verstehen, da diese erst im Zusammentreffen mit anderen, ausserpsychischen Vorgängen die zureichende Ursache jenes bildeten.

Mit der psychologischen Notwendigkeit verhält es sich wie mit der "historischen Notwendigkeit"; das freilich ist bei beiden keine Frage, dass das einzelne Ereignis eintrat, weil es notwendig war; die häufige Kurzsichtigkeit in beiden Fällen ist nur die, dass man die wenigen, uns bewussten Ursachen für so zulänglich und abschliessend hält, dass man aus ihnen das Ereignis meint als notwendiges verstehen zu können.

Andrerseits erscheint nun der auf solchem Wege begreifliche Mangel einer psychologischen Kausalität als Stütze des Freiheitsbegriffes. Man hat schon lange behauptet, die Vorstellung der Freiheit stamme daher, dass wir die Ursachen unseres Willens nicht kannten.

Diese Vermutung erhält ihren Unterbau durch die hier vorgetragene von der gegenseitigen Durchkreuzung der zentralen Vorgänge mit und ohne psychischen Wert.

Für denjenigen, der die Aufhebung der Freiheit in inneren psychologischen Notwendigkeiten sucht, ist allerdings der psychische Vorgang frei, dem kein anderer, jenen nach psychologischen Regeln (<298) bestimmender vorangeht.

Gipfelt sich unsere physische Natur wirklich an verschiedenen Punkten, die in keinem notwendigen gegenseitigen Zusammenhänge stehen, zur Bewusstheit auf, werden die bewussten Vorgänge durch solche getragen? denen kein Bewusstsein entspricht, so sind die ersteren als bloss psychische Vorgänge tatsächlich ursachlos oder zufällig, und erfüllen also den Begriff der Freiheit im negativen Sinne.

Wenn wir bei den Empfindungen, welche am entschiedensten von allen psychologischen Verursachungen frei sind, dennoch die Vorstellung der Freiheit nicht haben, so liegt das wohl daran, dass für sie die physische Veranlassung zu Tage liegt, während sie sich bei den rein zentralen Prozessen verbirgt.

Andrerseits erscheinen auch die eigentlichen Denkvorgänge nicht unter der Kategorie der Freiheit, weil bei ihnen die psychologische Kontinuität schon in relativ hohem Masse vorhanden ist; oder vielmehr, es kommt eben nur da zu einem eigentlichen Denkprozess, oder wir nennen denjenigen Prozess einen vernunftmässigen, in dem ein Vorstellungsglied sich nach stetigen Gesetzen begreiflich aus dem anderen entwickelt, das Auftauchen des einen verständlicher Weise durch das andere verursacht wird.

Es sind allerdings gerade die Willenserscheinungen, die von diesem Gesichtspunkte aus als ursachlose auftreten werden; denn im Gegensatz zu den verstandesmässigen bewegen sie sich nach der Grenze des rein Physischen zu, und im Gegensatz zu den Empfindungen, die sich auch auf diesem Grenzgebiet halten, fehlt ihnen die kausale Anlehnung an das vorangehende physische Ereignis.

- Bezüglich der zentralen Vorgänge ist freilich zu bemerken, dass wiederum die höchsten Gipfel des geistigen Lebens, die Schöpfungen der Genialität, den Charakter psychologischer Unerklärbarkeit tragen; auch sie, die doch entschieden die ganze Fülle vorangegangenen geistigen Lebens zur Voraussetzung haben, erscheinen aus der psychologischen Vergangenheit ihres Schöpfers (<299) unableitbar, sie sind so unerwartet und spontan da, dass man von ihnen als von Genieblitzen spricht, und dass ihr Schöpfer selbst oft genug sie auf eine ihm jenseitige Macht schiebt, die sie ihm eingegeben habe, auf einen Gott oder einen Genius, weil sie aus den bisherigen Vorstellungen unerklärbar sind.

Daher denn auch der bei manchen Naturvölkern verbreitete Glaube, dass der Wahnsinnige, dessen Gedanken den geringsten begreiflichen Zusammenhang zeigen, von Gott erfüllt sei - und daher ferner, mit objektiver Wendung, die häufige Herleitung gerade des Sinnlosen und Unverständlichen von transzendenten Mächten, die wir in der Verehrung des Mystischen und solcher Gebräuche und Einrichtungen antreffen, deren eigentlicher Sinn längst verdunkelt und verloren ist.

Ich möchte dies so erklären, dass die höchsten und genialen Ideen ein Maximum psychisch-physischer Vorbedingungen haben; eine ausserordentlich reiche Zahl seelischer Inhalte ist in ihnen verdichtet, und wir werden uns das körperliche Korrelat dieser psychologischen Tatsache wohl so vorstellen können, dass in die einer solchen Idee entsprechende Hirnfunktion eine grösste Zahl anderer einmündet, dass sie die einheitliche Resultante sehr vieler ist.

Dass in einem derartigen weit verzweigten Komplex zerebraler Vorbedingungen auch eine grosse Anzahl von Bewegungen, die keinen psychischen Wert besitzen, eingegliedert und mitgetragen wird, ist höchst wahrscheinlich; von jenem Werte aber hängt die psychologische Begreiflichkeit ab.

Deshalb also werden gerade höchste Vorstellungen, zu denen sich das Seelenleben aufgipfelt, oft weniger begreiflich sein, als niedriger gelegene; wenn diese von einer kleineren Zahl von Faktoren getragen werden, so haben sie eben dadurch die grössere Chance, dass dieselben sämtlich bewusst sind.

Die Korrelation zwischen der ursächlichen Verlegung der Funktionen auf das Allerobjektivste und das Allersubjektivste zeigt sich auch hier; der Mangel an psychologischer (<300) Kausalität, den die Unbewusstheit der zerebralen Ursachen des bewussten Hirnvorganges bewirkt, ergänzt man einerseits, wie schon erwähnt, durch die Annahme einer objektiven Macht, die uns den Gedanken "eingegeben" oder uns zu dem Entschluss getrieben habe - wie Luther es im Hinblick auf seine Laufbahn ausdrückt: "es hat mich hinangezogen, wie einen blinden Gaul" - andrerseits durch das Zurückgreifen auf das Ich, dessen Freiheit eben das fragliche Resultat gezeitigt habe.

Gleichviel welche metaphysische Bedeutung diese Ergänzungen beanspruchen können: ihr Fundament, die Ursachlosigkeit des bewussten Vorganges, erhält eine anschauliche Deutung und Begründung - so anschaulich wie überhaupt Hypothesen dieses Gebietes sind - durch die Vorstellung von dem kausalen Durcheinandergehen der Gehirnvorgänge, denen Bewusstsein, und solcher, den keines verbunden ist. Ein verwandtes Moment wirkt in einer weiteren Veranlassung des Freiheitsbegriffes.

Nicht allein die Ursachlosigkeit schlechthin ist es, die, den negativen Sinn der Freiheit ausmachend, eine mystische Freiheitskraft als positive Ergänzung verlangt; auch jener relative oder partielle ,Mangel an Verursachung, der in der quantitativen Unverhältnismässigkeit von Ursache und Wirkung liegt, scheint oft genug eine gewisse mystische Kraft zu involvieren, irgend ein, in den "kleinen Ursachen" selbst nicht gelegenes Moment, das diese dennoch zu "grossen Wirkungen" entfaltet.

Eine Durchbrechung des Kausalnexus liegt wenigstens in abgeschwächtem Masse auch da vor, wo ein Geschehen zwar nicht aus Nichts, aber aus einer im Verhältnis zu ihm minimalen Ursache hervorgeht.

Wo etwa von dem wunderbaren Eingreifen Gottes in den Verlauf der natürlichen Ereignisse gesprochen wird, da besteht doch das unbegreifliche Ereignis meistens nicht in der Schöpfung eines absolut Neuen, zu dem sich in allem Vorangegangenen nicht der geringste Ansatzpunkt fände, (<301) sondern darin, dass irgend ein bisher unbeobachtetes, unbedeutendes Moment weit über dasjenige Mass seiner Wirksamkeit hinaus gesteigert wird, welches ihm der natürliche Verlauf der Dinge eintrüge, das "der verworfene Stein zum Eckstein gemacht wird".

Der Überschuss der Wirkung über das Quantum, das der Ursache nach gewöhnlicher Erfahrung zukommt, ebenso aber ein erhebliches Zurückbleiben hinter demselben erscheint ursachlos und also "frei". Beide Erscheinungen sind innerhalb des psychischen, insbesondere des Willenslebens in ausgedehntem Masse vorhanden.

Durch das Gehirn hindurch erfolgen Wirkungen, deren Grösse in keinem Verhältnis zu der zwar vorhandenen, aber oft unbedeutenden äusseren Ursache, ja selbst zu der psychologischen Veranlassung und ihren logischen Konsequenzen steht.

Und umgekehrt finden psychologische Einflüsse statt, deren Folgen zwar nicht verschwinden, aber weit unter derjenigen Grösse bleiben, auf die ihr Inhalt und die Erfahrung über sie Anweisung gibt.

Wo das Handeln eines Menschen uns gegenüber uns zu gewöhnlicher Reaktion reizt, wird die Vorstellung der Freiheit, des möglichen Anders-Handelnkönnens nicht so auftauchen, als wenn wir etwa einerseits weit über dies Mass hinausgehen, andrerseits uns weit diesseits desselben halten.

In beiden Fällen scheint eine entweder prohibitive oder produktive Kraft den Lauf der Dinge quantitativ zu modifizieren, der aus den in ihnen selbst gelegenen Kräften und gemäss gewöhnlicher Kausalität erfolgt wäre.

Ich erinnere an das berühmte Beispiel F. A. Langes: in einem Kaufmann, der sich soeben noch in phlegmatischer Ruhe befand, wird durch eine Depesche, die das Fallissement eines Geschäftsfreundes meldet, eine exzessiv erregte Tätigkeit, eine nach allen möglichen Seiten hin entfaltete Energie wachgerufen.

Die äussere und direkte Anregung zu diesem Handeln bestand ausschliesslich in dem sinnlichen Bilde der Buchstaben in der Depesche.

Tausendmal haben ganz ähnliche (<302) Sinnesreize ihn getroffen, ohne seinen Willen auch nur annähernd zu bewegen; diesmal entfesseln ein paar Buchstaben Willenskräfte in ihm, die er möglicherweise selbst gar nicht vermutete; derselbe Sinnesreiz würde dagegen jeden anderen Bürger der Stadt, der mit der falliten Firma nichts zu tun hat, vielleicht kaum zu einem Worte des Erstaunens bewegen.

Die quantitative Unverhältnismässigkeit, die in jenem Falle zwischen Ursache und Wirkung besteht, ist nur durch die ungeheure Fülle von Spannkräften erklärlich, die im Zentralorgan aufgehäuft und so angeordnet sind, dass die Erregung gewisser Teile, so schwach sie auch an und für sich sei, sich auf alle anderen fortsetzt und alle Kräfte aus dem Zustande der Latenz in den der Wirksamkeit überführt.

Lägen diese Punkte der höchsten Reizbarkeit nun bei allen Menschen an der gleichen Stelle des psychischen Organismus, so würde sich weiter keine auf die Freiheit bezügliche Reflexion daran knüpfen, die erscheinende Wirkung der Ursache wäre immer die gleiche und wir würden dann diese Proportion für die angemessene halten; denn ob Ursache und Wirkung oder überhaupt zwei psychische Grössen einander äquivalent sind, das können wir hier, wie überall, wo ein gemeinsamer objektiver Massstab, den physische Grössen besitzen, fehlt, nur an der Erfahrung über ihr tatsächliches durchschnittliches Verhältnis beurteilen.

Bei einigen derartigen Punkten verhält es sich auch annähernd so: die Vorstellung der Lebensgefahr, bei Müttern die an die Kinder anknüpfenden Sorgen, die Hoffnung auf aussergewöhnlichen Gewinn - dies sind Reizungen, deren äusserst lebhafte Willensfolgen ihnen durchaus proportional erscheinen, weil sie eben allenthalben mit ihnen verbunden sind.

Auf ein besonderes, die gewöhnlichen Proportionen von Ursachen und Willensfolgen durchbrechendes Prinzip gibt erst die grosse individuelle Verschiedenheit Anweisung, die wir in der Lage der reizbaren Punkte bemerken und infolge deren jeder (<303) Mensch nach irgend einer Seite den Durchschnitt des Massverhältnisses zwischen psychologischer Ursache und Wirkung überschreitet. Von verschiedenen Standpunkten aus erscheint dies als Inhalt oder als Beweis von Freiheit.

Zunächst, bloss negativ, wegen der Unabhängigkeit, welche in diesen Fällen die Willenshandlung gegenüber demjenigen Wirkungsquantum aufweist, das ihrer Ursache erfahrungsgemäss zukommt.

Die Wirkung tritt ein, ohne von der angebbaren Ursache in ihrem Quantum bestimmt zu sein; die Unberechenbarkeit in dem Masse und der Anordnung der latenten psychischen Kräfte, die die erscheinende Ursache aktualisiert, lassen die Folge als von dieser Ursache frei erscheinen.

Gerade weil die Unabhängigkeit hier in individuell verschiedener Weise, an individuell verschiedenen Punkten auftritt, erscheint sie überhaupt als Unabhängigkeit - was nach den obigen Ausmachungen nicht der Fall wäre, wenn das auffällige quantitative Verhältnis zwischen Reiz und Willenserfolg, immer nur in einer und derselben Richtung läge, weil es dann zu der Auffälligkeit desselben gar nicht käme.

Dies weist einerseits auf die positive Ergänzung des negativen Freiheitsbegriffes, auf eine innere, von allem Äusseren und Angebbaren nur angeregte, aber nicht bestimmte Kraft hin, die eben der eigentliche Träger unseres Handelns wäre; andrerseits verleiht es dieser Kraft den Charakter als Ich, womit wieder individuelle Fürsichbestehen besonders in dem Falle bezeichnen, wenn sich aus dem bisherigen Verhalten äusserlich gleicher Wesen kein bindender Schluss auf das in Frage stehende ziehen lässt.

So erhält die Vorstellung der Freiheit ein zweiseitiges Fundament in den realen physisch-psychischen Verhältnissen, die wir auszudeuten versuchten, einmal durch die Annahme, dass die bewussten oder psychisch qualifizierten Hirnvorgänge gekreuzt und mitveranlasst werden von nur physischen, des Bewusstseinswertes entbehrenden; und zweitens durch die Vorstellung, dass das Gehirn eine grosse Fülle von Spannkräften (<304) in sich birgt, und sie auf Veranlassungen hin entfaltet, deren Grösse in keinem Verhältnis zu dem schliesslich ausgelösten Willenseffekt steht; so dass durch diesen Überschuss der Wirkung über die Ursache die Vorstellung einer Unabhängigkeit jener von dieser entsteht, während zugleich die individuelle Verschiedenheit in der Lage der so reizbaren Punkte diese mehr negative Freiheit mit dem Hinweis auf ein individuelles Ich ausstattet, das eben zu der geringfügigen Ursache das an der Wirkung bemerkbare Plus hinzufügt.

Endlich ist noch ein dialektisches Moment zu erwähnen, das sämtliche Erörterungen über die Freiheit affiziert und auch seinerseits ihrer Annahme einen gewissen realen Boden bereitet.

Nach der vulgären Vorstellung von Freiheit sitzt in uns eine sozusagen richterliche Instanz, die zwischen den verschiedenen, mit selbständiger Kraft auftretenden Impulsen und Ansprüchen frei entscheidet; denn nicht die Kraft, welche das einzelne Element mitbringt, entscheide darüber, ob es verfolgt oder zurückgedrängt, bejaht oder verneint wird; sondern das sei die Sache der "Freiheit", die unabhängig von aller psychologischen Vehemenz oder Schwäche der einzelnen Vorstellung nur nach logischen, ethischen oder sonstigen Werten über ihre Weiterentwicklung bestimme.

So gewiss sich nun gegen dieses über dem psychischen Mechanismus thronende Ich von Neuem die Frage richtet, woher ihm denn die Kräfte zu seinen Entscheidungen kämen, so dass es nicht als eine Lösung, sondern als eine blosse Wiederholung der Schwierigkeiten in der Form der Hypostasierung erscheint - so tief begründet sind doch auch diese Schwierigkeiten und so berechtigt die Bedürfnisse, die sich in dem freien Ich eine freilich täuschende Befriedigung geschaffen haben.

Denn nicht nur uni die sittliche, sondern sozusagen auch um die logische Zurechnung handelt es sich. Die Annahme einer mechanisch zwingenden Notwendigkeit im Ablauf unserer (<305) Vorstellungen scheint den Wahrheitswert derselben in Frage zu stellen.

Denn über die unwillkürlich und dem psychologischen Mechanismus gemäss auftauchende Vorstellung von irgend einem Objekt erheben sich weitere Vorstellungen, welche prüfen, ob jene auch mit ihrem Objekt oder mit den logischen Forderungen übereinstimmt oder nicht; ist nun diese höhere und sachlich entscheidende Vorstellung selbst wieder eine psychologisch nezessitierte, tritt sie auf, weil sie das von jeher berechenbare Resultat

des Seelenzustandes ist und gar nicht anders sein kann, als sie ist, so steht doch auch ihr die Frage entgegen, ob sie denn neben ihrer psychologischen Ursache auch sachlich und logisch begründet sei.

Die Entscheidung darüber aber würde wieder eine Instanz und ein Kriterium voraussetzen, die beide über dem psychologischen Mechanismus stehen, um seine Resultate nach deren mehr als psychologischem Werte abzuwägen, usf. ins Unendliche.

Leugnen wir also die Freiheit, indem wir behaupten, dass jede Vorstellung in uns nach unweigerlichen Gesetzen auftaucht, dass sie, was nur ein anderer Ausdruck für dieselbe Überzeugung ist, das Bewusstsein nach dem Masse ihrer psychologischen Kraft, nicht nach dem ihres logischen Wertes beherrscht - und dass beides etwa von vornherein und immer zusammenfalle, wird niemand behaupten -: so gibt es keine Gewähr für die objektive Richtigkeit unserer Überzeugungen, weil jedes Kriterium auch wieder den gleichen psychologischen Bedingungen und damit dem gleichen Zweifel unterliegt.

Und dieser richtet sich notwendig zuallererst gegen die Behauptung von der Unfreiheit des psychischen Mechanismus, von der er ausgegangen ist.

Denn dass wir das Urteil fällen: wir sind unfrei, jede Vorstellung in uns ist psychologisch nezessitiert - das ist dem eigenen Inhalte dieses Urteils Dach selbst psychologisch notwendig; wer es fällt, kann überhaupt in (<306) diesem Augenblick gar kein anderes fällen, gleichviel ob die objektive Wirklichkeit damit übereinstimmt oder nicht.

Das Urteil: unser Geist ist unfrei, hebt sich demnach selber auf; wer es ausspricht, muss sich zunächst doch die Anwendung davon auf sich selbst gefallen lassen und damit zugleich auf die Möglichkeit eines objektiven Nachweises seiner Wahrheit verzichten.

 

Georg Simmel: Einleitung in die Moralwissenschaft
Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe

Cotta's Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1892/93

Vorworte

Band 1:
1. Kapitel: Das Sollen
2. Kapitel: Egoismus und Altruismus
3. Kapitel: Sittliches Verdienst und sittliche Schuld
4. Kapitel: Die Glückseligkeit

Band 2:
5. Kapitel: Der kategorische Imperativ
6. Kapitel: Die Freiheit
7. Kapitel: Einheit und Widerstreit der Zwecke

 


 

Editorial:

Prof. Hans Geser
Soziologisches Institut
der Universität Zürich
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Tel. ++41 55 2444012