Georg Simmel: Einleitung
in die Moralwissenschaft
Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe
Cotta's Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1892/93
Band 1:
Drittes Kapitel: Sittliches Verdienst (S. 213-292)
Der Kampf gegen die
Versuchung als Bedingung des Verdienstes
Die Askese
Die schöne Seele
Der Wert der Gesinnung
Die Umbildung des
Unsittlichen in Sittliches
Zurechenbarkeit der Gefühle
Der Übergang vom Triebe zur
Tat
Der Antrieb zum Guten als
Bedingung der Schuld
Gegenseitige Bedingtheit von
Verdienst und Schuld
Der Charakterbegriff
Substantialisierung des
Sittlichen und Unsittlichen
Folgerung für den
Freiheitsbegriff
(<213) Der Sprachgebrauch verbindet mit dem Begriff des Verdienens den der
Tätigkeit und der Bemühung.
Ein verdientes Geld ist von dem geschenkten, ererbten, zufällig
gewonnenen durch das Moment des Kraftaufwandes scharf unterschieden, für
den es das Äquivalent bildet.
Freilich scheint das Verdienen einen doppelten Sinn zu haben: man
verdient dasjenige, was man wirklich als Lohn erhält; man verdient aber
auch dasjenige, was man zu erhalten würdig wäre, wenn man es
tatsächlich auch nicht erhält.
Indessen ist diese letztere Bedeutung offenbar nur ein Abkömmling der
ersteren; indem in der Mehrzahl der Fälle der soziale Kreis auf eine
bestimmte Tat mit einem bestimmten Entgelt an Lust oder Schmerz
antwortete, heftet sich an die Hat an und für sich die Vorstellung einer
gewissen Dignität.
Wenn ich z. B. sage, dass ich meine Ehre noch besitze, wenngleich die
öffentliche Meinung sie mir abgesprochen hat, so bedeutet dies, dass in
anderen Fällen jemand, der das Gleiche wie ich (<214) getan hat, die
äussere Ehre nicht verloren habe oder dass, wenn mein Handeln
unverfälscht und durchsichtig aufgedeckt werden könnte, mir die
gesellschaftliche Ehre erhalten bliebe; immer ist es die Erfahrung von dem
wirklichen Sichentsprechen von Tat und Verdienst, welche auch für die
Fälle ihres tatsächlichen Auseinanderfallens die Beziehung zwischen
ihnen stiftet.
So ist das Verdienst gewissermassen die Rückseite, das Korrelativ des
Sollens, es bedeutet, dass Andere mir gegenüber etwas tun sollen,
bedeutet den Anspruch an die Ordnung der
Dinge, mir etwas zu gewähren, nachdem ich etwas zum Vorteil ihrer
getan habe.
Dies eben ist der Begriff des sittlichen Verdienstes; die reale
Entlohnung, die der sozial nützlichen Tat zu folgen pflegte, ist in ihm
vergeistigt.
Das sittliche, ideale Verdienst bedeutet, dass man des realen
Verdienstes würdig ist.
Aber weil doch das wirkliche Verdienst, d. h. das Erhalten einer
Entlohnung für die Tat es ist, woraus der Begriff des sittlichen
Verdienstes entsprang, so gilt für ihn das gleiche Charakteristikum, das
wir anfangs von jenem hervorhoben.
Schon das Wort Verdienst weist darauf hin, dass damit keine Eigenschaft
der Tat gemeint ist, welche sozusagen in ihr selbst verbleibt und sie ohne
Beziehung auf ein anderes, ohne Heraustreten aus ihr selbst
charakterisiert.
Es wird mit der Tat eben etwas anderes »verdient.« Auch dies gibt
Anweisung auf die Auffassung, dass die verdienstvolle Tat und ihr Lohn
nicht von einander unabhängige und erst in synthetische Verbindung zu
setzende Begriffe sind, sondern dass man gewisse Taten, auf die von Seiten
der Gesamtheit mit Lohn reagiert wurde, verdienstvolle nannte.
Ganz entsprechend hat man das Verbrechen juristisch definiert als eine
mit öffentlicher Strafe belegte oder strafgesetzwidrige Handlung.
Die tatsächlich eintretende soziale Reaktion schafft ursprünglich
diese Kategorien; erst später heften sie sich an die Qualitäten des
Handelns selbst, auf die hin jene eintraten, und bezeichnen die Tat, auch
wenn jene Reaktion tatsächlich nicht stattfindet.
(<215) Es gibt glückliche Lagen, in denen der unausweichliche Gang
der Dinge oder die Verfolgung eigenen Vorteils uns die Mühen der Tugend
abnehmen und die sittliche Handlung sich in höherem Masse als die Frucht
darstellt, die die Gunst harmonischer Verhältnisse uns in den Schoss
wirft, als dass es einer besonders auf sie gerichteten Bemühung bedurft
hätte.
In solchem Falle pflegen wir gerade hervorzuheben, dass es hier
»weiter kein Verdienst« gewesen sei, das Rechte zu tun.
ist demnach ein bestimmter Aufwand von Kraft erforderlich, damit es zum
Verdienst komme, so setzt dies einen Widerstand voraus.
Denn Kraft wird nur da aufgewendet, wo ein Widerstand zu überwinden
ist.
Wie wir ein kriegerisches Verdienst dann nicht zugestehen, wenn der
Feind schwach und kraftlos war, so sittliches nicht, wenn es keinen Feind
zu überwinden gab.
Dieser Feind kann aber offenbar nur die Versuchung zu der
entgegengesetzt gerichteten, zur unsittlichen Tat sein.
Denken wir uns den Zustand einer paradiesischen Idylle, in dem gar
keine unsittlichen Triebe, keine wilden Leidenschaften, keine Versuchungen
zu frevelndem Egoismus vorhanden sind - wer würde da von Verdienst
sprechen? Von Leuten geringerer Bildung, aber von tiefem sittlichem
Gefühl habe ich es aussprechen hören, die Sündenlosigkeit Jesu flösse
ihnen keine besondere Bewunderung ein, da er ja als Gott gar nicht in die
Versuchung zu sündigen gekommen sei.
Der feine Takt, der sich in der Mythenbildung der Völker ausspricht,
hat, um auch dies Wertmoment in ihrem sittlichen Ideal nicht zu vermissen,
die Versuchungsgeschichte Jesu konstruiert.
Die völlige Ergebung in seinen sittlichen Beruf erhebt sich erst über
einer Überwindung und Zurückweisung von Antrieben, die doch offenbar ein
Mass von Reiz, von Möglichkeit, ihn für sich zu gewinnen, nicht von
vornherein können von sich ausgeschlossen haben.
Auch die Buddhisten lassen ihrem Heiland einen Versucher nahen, der ihn
von seiner mühseligen Bekehrerlaufbahn in die selige Ruhe des Todes
(<216) locken will, ein Mythus, den die Gläubigen selbst als blosse
Symbolisierung eines inneren Vorgangs in seiner Seele deuten, wie sie denn
auch hervorheben, dass die Trennung von seinem Weibe und seinem Sohn, die
um seiner Mission willen nötig erschien, ein Opfer war, das ihm
keineswegs leicht wurde.
Von Zarathustra, an dessen Person sich sonst so gut wie keine Mythen
knüpfen, wird doch wenigstens diese überliefert, dass vor Beginn seiner
Laufbahn Ahriman sich ihm genähert und ihn versucht habe, statt der
reinen Lehre Ahuramazdas lieber irdisches Glück und die Herrschaft des
Landes zu gewinnen.
Und wenn Tertullian den Ruhm Gottes dadurch vermehrt glaubt, dass er
sich bei der Schöpfung der Welt gemüht und angestrengt habe, so
entspringt dies dem gleichen Gefühl.
Über den Ursprung desselben sind wir natürlich auf Hypothesen
angewiesen.
Da die Forderungen der Sittlichkeit, insbesondere die sozialen
Ansprüche an den Einzelnen sich nicht in durchgängiger Harmonie mit dem
persönlichen Interesse vollziehen, da tatsächlich die altruistische
Handlung unzählige Male nur durch Aufgeben und Niederkämpfen
egoistischer Antriebe möglich war, so ist es psychologisch sehr wohl
erklärlich, dass sich der Wert der positiven sittlichen Tat auch auf ihre
so häufige Begleiterscheinung der Aufopferung und des Niederkämpfens
entgegenstehender Unsittlichkeit übertragen hat, und dass diese
schliesslich die Vorstellung des wesentlichen sittlichen Wertes um so eher
auf sich ziehen konnte, als es gerade die grössten und bemerkenswertesten
sittlichen Taten waren, mit denen diese Art und Ursache von Wert in
hervorragendem Masse verbunden war.
Sehen wir, welche grausamen Opfer oft die wirkliche oder vermeintliche
öffentliche Wohlfahrt in roheren Epochen vom Einzelnen forderte, welche
Leiden der Despotismus oft grade da, wo er die Interessen des sozialen
Ganzen in sich repräsentierte, über die Einzelnen brachte; sehen wir
andrerseits, wie das Sittliche seinen Inhalt von dem Interesse der
Gesamtheit und den von ihm auferlegten Vorschriften entlehnte: so ist
(<217) es verständlich, wie sich an die Vorstellung des sittlichen
Tuns ein Schatten von Schmerz, Aufopferung und Überwindung heften konnte.
Das Lebensopfer Christi und die Märtyrerzeit der christlichen Kirche
müssen ganz besonders dazu beigetragen haben, solchen Handlungen, zu
denen persönliche Überwindung, schmerzensvoller Verzicht auf die
Reizungen des Lebens gehörte, den höchsten Grad der Anerkennung
einzutragen.
Christus selbst begründet die höhere Verdienstlichkeit, die das
Scherflein der Witwe gegenüber dem Opfer des Reichen hat, dadurch, dass
dieser von seinem Überfluss gebe, jene aber deswegen Entbehrung und Not
auf sich nehmen müsse.
Es war eine ganz neue Idee, die er durch seine Lehre und sein Leben in
die Welt setzte, dass das Leiden und die Erniedrigung notwendige
Durchgangspunkte für die Gewinnung der höchsten Ziele, ja sogar für die
Herstellung der Mittel wären, welche uns subjektiv erst zur Gewinnung
dieser Ziele dienen sollen.
Das Leiden wurde so die letzte auf Erden erklimmbare Staffel der
Leiter, welche zum Höchsten führte.
Weder der Stoizismus noch der Neuplatonismus hatten dem Leiden, das sie
doch auch als ein notwendiges erkannten, diese abschliessende Bedeutung
gegeben.
Es war ihnen entweder etwas schlechthin Gleichgültiges, das
durchgemacht werden musste, um eben seine Gleichgültigkeit oder um die
Seelenkraft des Ertragenden zu beweisen; oder es war ein Durchgangspunkt,
jenseits dessen man die Unzulänglichkeit des gewöhnlichen Lebens hinter
sich liess, über den hinaus aber in jedem Falle ein positives, noch im
Leben zu erreichendes Ideal lag.
Der Stoiker mochte hier und da mit dem Leiden kokettieren; zu jenem
ethischen Wert, zu dem es im Christentum auswuchs, hat er es nicht
erhoben.
Noch für die im Buche Hiob ausgedrückte Anschauung hat das Leiden
zwar einen sittlichen Wert, insofern es der Prüfstein ist für die
Unerschütterlichkeit des Glaubens an Gottes Macht und Gerechtigkeit; aber
nur darin, nicht in seiner nach innen gehenden Wirkung liegt seine
Bedeutung;(<218) nicht wegen seiner, sondern trotz seiner erhebt sich
Hiob zur ethischen Vollkommenheit.
Die Demut, das Verfolgtwerden, der Tod selbst erhielten durch das
Christentum eine ungeahnte ethische Weihe; indem es von vornherein die
irdische Glücksfolge des Glaubens von sich abwies, vermied es die Gefahr
der Kontrolle an der Erfahrung, die jeder Lehre einer diesseitigen
Harmonie von Tugend und Glückseligkeit droht.
Der psychologische Prozess geht dann in derselben Richtung weiter,
indem Selbstüberwindung und Schmerz im sittlichen Werte immer höher und
schliesslich so hoch steigen, dass die positive Handlung, für die die
Aufopferung ursprünglich nur Begleiterscheinung war, ganz zurücktritt
und die Entsagung und Schmerzzufügung als sittlicher Selbstzweck, als
für sich bestehendes Verdienst erscheint; dies ist der Standpunkt der
Askese.
Was aber die Kirche zu der Betonung gerade des Leidens Christi bewegte,
war wohl das Wissen um den viel tieferen Eindruck, den schmerzliche
Vorstellungen, allen andern gegenüber, machen.
Die unvergleichliche Intensität gerade der Schmerzempfindung liess
sogar zur bildlichen Einprägung des Christentums ausschliesslich Marter
und Tod Jesu geeignet erscheinen.
Was weiss der ungebildete Katholik auf dem Lande anderes von Christus,
als dass er der Kruzifixus ist, dessen Marterbild ihm an jeder
Wegekreuzung vorgehalten wird? Kein Moment seiner Lehre oder seines Lebens
macht einen so scharfen, in das Gefühl sich einbohrenden Eindruck, keines
ist von so entschiedener Wirkung auf Menschen, auf die nur sinnlich
einzuwirken ist, wie das Bild seiner Leiden.
Einen gleich feinen psychologischen Zug fügt die Kirche in der
Forderung des asketischen Opfers diesem Interessenkreise hinzu.
Denn die Aufopferung für eine Person oder ein Prinzip hat tatsächlich
die Folge, uns innerlich immer fester an eben dieses zu knüpfen.
Wenn die Mutterliebe die Veranlassung der unzähligen Mühen und Sorgen
ist, die die Mutter für das Kind auf sich nimmt, so gilt doch auch das
umgekehrte: diese Opfer fesseln die Mutter mehr (<219) und mehr an das
Kind.
Je mehr Opfer wir für eine Sache gebracht, ein je grösseres Kapital
sozusagen wir in sie gesteckt haben, desto grösser ist auch unser
Interesse an ihr; indem wir unser Persönliches ihr hingeben, schmelzen
wir uns gewissermaassen in sie ein, negieren die Schranke zwischen uns und
ihr.
Es ist eine der wichtigsten, für das Verständnis der ethischen
Vorgänge unentbehrlichsten Regeln: die Gefühle, welche Ursache gewisser
Handlungsweisen sind, werden umgekehrt ihrerseits durch diese
Handlungsweisen hervorgebracht, wenn diese letzteren durch irgend welche
anderweitigen Motive erzeugt worden sind - eine Regel, die
selbstverständlich der Bedingtheit jeder psychologischen Norm unterliegt,
indem in den Grenzfällen, in denen ein Element zu extremer Form
gesteigert ist, die entgegengesetzte Wirkung eintreten kann; ein
allzustarker äusserer Zwang zu Aufopferungen z. B., kann zu dem Gefühl
des Hasses führen.
Im Allgemeinen aber werden diejenigen Opfer, die aus äusserlicheren,
egoistischen, evolutionistischen Motiven dargebracht werden, den Opfernden
schliesslich auch in ein Gefühlsverhältnis zu dem, dem er sich hingibt,
setzen.
Je mehr das ursprüngliche Ich seine persönlichsten Interessen einer
Person oder einem Gott geopfert hat, desto geringeren Widerstand finden
die Gefühlsimpulse, die ebendemselben die Gesamtheit des innern Lebens
darbringen wollen.
Die Kirche handelt, wenigstens mit unbewusster Zweckmässigkeit, wie
aus der Erkenntnis heraus, dass wir nicht nur die asketisch religiösen
Opfer bringen, weil wir Gott lieben sondern dass wir ihn auch lieben,
unser Gefühl an ihn binden, weil wir ihm - aus dogmatischen,
eudämonistischen, welchen Gründen immer, - solche Opfer bringen.
Wie der Wert im wirtschaftlichen Sinne sich nach den beiden Momenten
der Brauchbarkeit des Dinges und des Widerstandes, der sich seiner
Erlangung entgegensetzt, bestimmt, ganz ebenso der Wert im sittlichen
Sinne nach der sozialen, religiösen etc. Nützlichkeit der Tat und der
subjektiven Mühsal und zu überwindenden Schwierigkeit.
Wie (<220) aber das Seltenheitsmoment eine psychologische, sachlich
ungerechtfertigte Selbständigkeit derart gewinnt, dass dem Seltenen,
schwer zu Erlangenden schon bloss als solchem oft ein übermässiges
Interesse entgegengebracht wird, so verselbständigt sich nach den
gleichen psychologischen Normen das Moment der Mühsal, des inneren
Widerstandes bei den sittlichen Handlungen zu der Vorstellung einer
besonderen Verdienstlichkeit.
Es hat hier nur wieder der unendlich häufige psychologische Prozess
stattgehabt, der den Wert eines Endzwecks auf das zu ihm erforderliche
Mittel überträgt.
Dies findet sowohl für die Werte der Lust wie für die Werte der
Sittlichkeit statt.
Das Überwinden der Hemmnisse, welche die Natur unseren Zwecken
entgegensetzt, ist zwar ursprünglich ein notwendiges Übel, wächst aber
wie jede Kraftübung zum Selbstzweck, sei es der Lust, sei es der
Sittlichkeit, aus.
Dies steigert sich z. B. bis zur Alpenleidenschaft, deren wesentlicher
Reiz in dem Überwinden der natürlichen Schwierigkeit, in dem Gewinnen
des eigentlich von der Natur uns Versagten auch dann liegt, wenn die
schliessliche ästhetische Ausbeute höchst gering ist.
Und neben diesem Reiz findet sich bei allen Verteidigern der Alpenmanie
der moralische Gesichtspunkt hervorgehoben: die Besiegung der natürlichen
Hemmnisse, die Unterwerfung des rohen Widerstandes der Materie durch den
Menschen sei sittlich wertvoll.
Weil sie es wirklich in andern Fällen vielfach ist, erwächst ihrer
Wertschätzung eine solche Selbständigkeit, dass die Unsittlichkeit,
welche in dem tollkühnen Lebensrisiko der grossen Alpenbesteigungen
liegt, darüber vollkommen übersehen wird.
In ansprechender Weise hat man den Ursprung des Fastens von den
religiösen Opfern hergeleitet, deren Umfang namentlich in primitiveren
Verhältnissen oft persönliche Entbehrungen mit sich bringen musste; so
dass durch die Assoziation zwischen diesen und dem Opfer der moralisch
religiöse Wert des letzteren sich auch auf sie übertrug.
Derselbe Prozess wiederholt sich auf einer höheren Stufe.
Das christliche Fasten hat ursprünglich den Sinn, den (<221)
Fastenden als den Herrscher über sein Irdisches erscheinen zu lassen, was
nach verschiedener Richtung hin seine gute Bedeutung hatte, sei es, dass
das Fasten die Folge der in sich versunkenen Stimmung war, welche einfach
die leiblichen Bedürfnisse überhörte, sei es, dass der Geist durch
solche Entsagung freier und den höheren Gütern empfänglicher gemacht
werden sollte.
Allein hieraus bildete sich schon in der Zeit Tertullians ein für sich
bestehender religiöser Wert des Fastens heraus.
Es wird zum unmittelbaren Gradmesser der Vollkommenheit und man
behauptet, Fasten und Essen verhielten sich wie Heil und Unheil.
Mit der christlichen Virginität ist es nicht viel anders.
Für die frühere Anschauung von Paulus bis zum 4.Jahrhundert ist die
Jungfrauschaft nicht an sich sittlicher oder verdienstlicher als der
Ehestand, sondern befähigt nur besser zum ungehinderten göttlichen
Dienste; sie erscheint nur als ein Mittel zu diesem Zweck, nicht als
sittlich asketischer Endzweck.
Dass die Befreiung vom Irdischen mit seinen Sorgen und Ablenkungen,
indem sie ein Vehikel der Erhebung zu Gott war, der Ehelosigkeit ihre
Würde verschaffte, nicht aber die Überwindung der Fleischeslust als
solche, scheint sich auch darin zu zeigen, dass die Abstinenz in der Ehe
mehrfach unter die vollkommene Ehelosigkeit gestellt wird, trotzdem jene
offenbar eine grössere Selbstüberwindung forderte als diese.
Es dauerte aber nicht lange, bis man über das Mittel völlig den Zweck
vergass und die geschlechtliche Enthaltsamkeit und die Abtötung des
Fleisches als ein Verdienst betrachtete, dessen selbständiger Wert recht
aus der berichteten Erscheinung hervorgeht, dass sich christliche
Jünglinge und Jungfrauen zusammen schlafen legten, ohne sich zu
berühren.
Und die Entsagung und Aufopferung mag zu einem für sich bestehenden
und besonderen Werte um so mehr ausgewachsen sein, als sie die gemeinsame
Begleiterin von vielen inhaltlich sehr verschiedenen Handlungen sittlichen
Charakters war.
Die Entäusserung von den Besitztümern und den Genüssen des Lebens
erschien schliesslich als selbständiges, (<222) sittliches Verdienst,
ohne dass gefragt wurde, zu wessen Gunsten und ob überhaupt zu irgend
jemandes Gunsten sie geschah.
Diese Entwicklung der Askese ist an der Geschichte des indischen
Pessimismus klar zu beobachten.
Lange vor dem Auftreten Buddhas hatte die indische Weltanschauung die
Vorstellung des Brahman als des ewigen, glanzvollen, guten Prinzips
ausgebildet.
Diesem strahlenden Phantasiegebilde gegenüber erschien alle
Wirklichkeit dunkel, nüchtern, leiderfüllt.
Daraus wird nun zunächst die praktische Konsequenz gezogen, dass die
Befreiung von einer solchen Wirklichkeit, der Verzicht auf sie
wünschenswert und nötig ist.
Dieses Stadium ist zu einer Zeit zu konstatieren, wo von positiver
Askese als absichtlicher Schmerzzufügung noch nicht die Rede ist.
Von einer solchen vernehmen wir erst später.
Der Übergang zu ihr aber war offenbar der, dass jenes blosse
Sichlösen von der Welt, wenn es auch in der Hauptsache ein Sichlösen vom
Schmerz zum Zweck hatte, doch zunächst auch viele Leiden, namentlich
körperliche Entbehrungen mit sich führen musste, und dass dieses
Akzidenz der Lebensnorm zu selbständiger Bedeutung emporwuchs, zu
demjenigen, worin man dann die Erlösung selbst schon sah, obgleich es
eigentlich doch nur eine Bedingung derselben und zwar negativen Charakters
war.
Macht man sich dies klar, dass das sittliche Verdienst, wenn es
überhaupt noch einen besonderen Sinn neben dem einfach Richtigen und
Sittlichen haben soll, von dem Masse der aufgewendeten Kraft und
Selbstüberwindung abhängig ist, so ist der Grund ersichtlich, aus dem
der Kantischen Ethik der Vorwurf eines asketischen Rigorismus erwachsen
ist.
Kant hat zwischen dem einfach Guten, Wünschenswerten, Sittlichen
einerseits und dem, was man Verdienst nennt, keine genügend scharfe
Grenze gezogen.
Indem er voranstellt, dass man niemandem dasjenige, was er schon selbst
gern tut, die egoistische Handlung, zu gebieten braucht und dies also aus
dem Gebiet der Sittenlehre als der Lehre von Geboten von (<223)
vornherein ausscheidet, so bleibt ihm für dieselbe nur das, was man
ungern und mit Selbstüberwindung tut.
Setzte er deshalb überall statt des einfach Sittlichen das
Verdienstliche ein, so wäre alles in Ordnung.
Wenn es in Schillers klassischem Epigramm den Gewissenhaften wurmt,
nicht tugendhaft zu sein, weil er den Freunden mit Neigung dient, so
hätte er vollkommen Recht, wenn er statt tugendhaft verdienstvoll sagte.
Denn sittlich richtig und wünschenswert ist es durchaus, den Freunden
mit Neigung zu dienen; aber ein sittliches Verdienst dabei würde in der
Tat nur eintreten, wenn die entsprechenden Taten eine Überwindung
entgegengesetzter Triebfedern, eine Mühsal forderten.
Und wenn Kant selbst sagt, dass sich die Macht des moralischen Gesetzes
nur durch Aufopferungen kenntlich macht, so ist dieses nur richtig, aber
dann auch zweifellos richtig, wenn es sich auf den Begriff des sittlichen
Verdienstes bezieht.
Es ist deshalb durchaus konsequent, wenn er dem eigentlichen Begriff
des sittlichen Verdienstes die Berechtigung abspricht, da das Höchste,
was man überhaupt tun könne, eben nur das Erfüllen von Pflicht und
Schuldigkeit sei, - weil er in den Begriff des einfach Sittlichen schon
das hineinlegt, was wir verdienstvoll nennen, bleibt ihm für diesen
Begriff kein spezifischer Inhalt mehr übrig.
Objektiv freilich können wir nicht mehr tun als höchstens unsere
Pflicht.
Alle Unterschiede, die ein Mehr oder Minder des Verdienstes bedeuten,
gründen sich auf den bei der sachlich gleichen Pflichterfüllung
wechselnden Grad der subjektiven Überwindung entgegengesetzter Antriebe.
In diesem Begriff, demgemäss der Sprachgebrauch das Verdienst nur als
Preis einer Mühsal zuerkennt, liegt vielleicht eine unbillige Anmassung,
ein besonderes Raffinement, dessen wir noch zur Steigerung unseres
Selbstgefühles zu bedürfen glauben, wie die übermässigste Anspannung
der Lust in die Wollust des Schmerzes endet.
Es mag sein, dass das Gefühl von Kraft, das uns aus der Überwindung
von Widerstand (<224) quillt, eine Steigerung der Persönlichkeit mit
sich bringt, deren Gefühl wir selbst um den Preis, nicht mehr kämpfen zu
brauchen, nicht missen möchten.
Das Hochgefühl, das in der Herrschaft über andere Menschen, ja für
manche Naturen in der Knechtung und Misshandlung derselben liegt,
überträgt sich hier auf das Verhältnis des Handelnden zu sich selbst.
Wie es die eigene Persönlichkeit als eine gesteigerte empfinden
lässt, wenn der eigene Wille den Willen Anderer bricht und so seine
Machtsphäre über diesen ausdehnt, und solche Empfindung um so
leidenschaftlicher und beseligender zu sein pflegt, als sie im Kampf und
gegen höchstgesteigerten Widerstand erzielt worden ist: so scheint das
Besiegen eines inneren Widerstandes ein Gefühl seelischer Erweiterung und
Machtstärkung mit sich zu bringen.
Nun wird dieses Gefühl freilich dadurch herabgestimmt, dass wir doch
zugleich selbst die Besiegten sind.
Allein nicht nur, dass dieser Abzug durch die Projizierung des
Unterlegenen in uns auf eine äussere Macht - der Versuchung, des bösen
Feindes, der Sinnlichkeit etc. -gemindert wird, sondern es ist ja die
gerade überragende Vorstellungsgruppe, d. h. diejenige, die als das
eigentliche Ich empfunden wird, durch welche diese Besiegung anderweitiger
Triebe erfolgt.
Stellen wir, wie es tatsächlich der Fall ist, die kompakte Majorität
unserer psychischen Inhalte als das Ich einzelnen divergierenden
Strebungen gegenüber, so werden auch die Gefühlsfolgen, die sich an
unsere Verhältnisse zu andern Persönlichkeiten knüpfen, sich leicht an
den gleich charakterisierten Beziehungen zwischen dem Ich und jenen
Einzelheiten wiederholen.
Daher auch die nicht seltene Erscheinung, dass die Askese, also die
Überwindung und Misshandlung seiner selbst, sich mit Herrschsucht und
Grausamkeit gegen Andere zusammenfindet; das gleiche Gefühl, um
dessentwillen diese gesucht werden, macht auch jene reizvoll, indem sie
das sonst nach Aussen gerichtete Verhältnis von Herrschaft und
Ausbreitung der Willenssphäre des Ich innerhalb des Ich selbst darstellt.
Auf diesem Umwege wird (225) dann auch das logisch Widersprechende
möglich, dass der Schmerz an und für sich gesucht wird; denn
schliesslich wird auch das Moment des sittlichen Verdienstes, dessen
Erwünschtheit den Wert des Schmerzes ursprünglich begründet,
ausgeschaltet und dieser Wert zu einem unmittelbaren Willen zum Leiden
verselbständigt.
Auch so mag dieser Wert des Schmerzes zu Stande gekommen sein, dass
jede Lebenserhaltung und Lebenserhöhung nur durch die unmittelbarsten und
ununterbrochenen Kämpfe gegen Wesen gleicher Art wie gegen die übrige
lebendige und tote Natur möglich war oder ist, und dass dadurch die
Vorstellung entstanden ist, nur das Erkämpfte, mühsam Errungene sei
wertvoll.
Und offenbar sind die Empfindungen, welche einen äusseren Kampf
begleiten, denjenigen ähnlich, welche bei jenem psychischen Prozesse, den
wir eben Kampf mit uns selbst und Selbstüberwindung nennen, auftreten; so
stark hat diese psychologische Ähnlichkeit der Gefühlsseiten beider
Vorgänge gewirkt, dass wir zur Beschreibung der einen völlig an die
Worte gefesselt sind, welche den Ausdruck für die andere bilden.
Es kommt hier vielleicht auch noch das folgende soziologische Moment in
Betracht.
Die Ethnologie lehrt uns, dass die abergläubischsten Vorstellungen,
die haarsträubendste Logik einerseits, andrerseits die schlimmste
sittliche Verworfenheit und Grausamkeit sich keineswegs bei den
allertiefststehenden Naturvölkern, sondern vielmehr bei beanlagteren und
solchen findet, die schon einen gewissen Grad geistiger und
gesellschaftlicher Ausbildung er reicht haben.
Gerade wo eine grössere und lebhafter bewegte Anzahl von Vorstellungen
auftreten, muss zunächst ein wirres Durcheinander, müssen die wildesten
und ausgefallensten Komplikationen sich finden, bevor Erfahrung und
Selektion einigermassen Licht und Ordnung in das Chaos gebracht haben.
Die ausschweifendsten Gedankenverzerrungen finden sich auch in der
Regel nicht in den leeren Köpfen von Bornierten und Dummen, sondern bei
begabteren Naturen, deren Vorstellungsfülle die tollsten
Gährungserscheinungen durchmachen muss, (<226) ehe sich das Licht von
der Finsternis geschieden hat.
Die Immoralität und Grausamkeitswollust jener Völker mag in
ähnlicher Weise entspringen.
Da diese ganz gewiss ursprünglich nur Mittel zur Befriedigung
natürlicher Bedürfnisse und Begleiterscheinungen von Kämpfen innerhalb
und ausserhalb des Stammes sind, die zu selbständiger Lust aufgewachsen
sind, so treten sie nur da auf, wo vielfache Kämpfe und namentlich solche
mit raffinierteren Mitteln zur Lebenserhaltung nötig sind.
Wenn unserer Empfindung nach der Einzelne den Weg zur Höhe seiner
sittlichen Entwicklung nur durch jene Tiefen hindurch findet, so
wiederholt er damit nur das Schicksal der Gattung, ungefähr wie in den
kindlichen Ungezogenheiten sich die Unsittlichkeiten und Brutalitäten der
vergangenen Entwicklungsstufe unserer Art wiederholen.
Es ist vielleicht eine sehr verdichtete Gattungserfahrung über den
Weg, der zu unserer Kulturhöhe nötig war, wenn wir Sünde und
Versunkenheit als die notwendigen Vorstufen der höchsten Sittlichkeit
ansehen, und die ganz entsprechende, wenn das Volk recht ungezogene und
unbändige Kinder für die hoffnungsvollsten hält.
Besteht nun die verdienstliche Seite des Sittlichen in der Überwindung
des Unsittlichen, so erhöht sie sich natürlich in dem Masse, in dem das
Unsittliche in uns schon an Umfang und Festigkeit gewonnen hat.
Von diesem Standpunkt aus verstehen wir auch rein ethisch den höheren
Wert, der dem reuigen Sünder gegenüber den neun und neunzig Gerechten
zugesprochen wird.
Für den Standpunkt des reinen Utilitarismus ist dieser Ausspruch
entweder unverständlich oder höchst pessimistisch.
Denn ist das Quantum von Lust und Leid, das für die Gesamtheit vom
Einzelnen ausgeht, das alleinige Mass seiner sittlichen Beschaffenheit, so
bedeutete der Wertüberschuss des reuigen Sünders über neun und neunzig
Gerechte, dass jener eine Sünder mehr Unheil über die Welt bringen kann,
als neun und neunzig Sittliche ihr Vorteil bringen können.
Zu dieser Höherschätzung eines (<227) Lebens, das sich aus den
Tiefen der Sünde zur Sittlichkeit emporgehoben hat, mag der Wert
beitragen, den wir einem schicksalsreichen, in sich differenzierten Dasein
gegenüber einem solchen beilegen, das bewegungsloser und ebener
hingebracht wurde.
Die Form lebhafter Bewegung, entschiedenerer Differenzierung, die uns
hier einen grösseren Wert zuerkennen lässt, bewirkt vielleicht das
Gleiche auch auf dem Gebiete des Moralischen.
Indes scheint die psychologische Tatsächlichkeit mit dieser
ausschliesslichen Abhängigkeit des sittlichen Verdienstes von Kampf und
Überwindung noch nicht ganz übereinzustimmen.
Denn wir finden auch umgekehrt, dass gerade die leicht und frei geübte
Sittlichkeit eine höchste Wertschätzung geniest, dass wir oft denjenigen
tiefer stellen, der zu einer bestimmten sittlichen Tat erst eine
Überwindung braucht, der seine Pflicht schwer und ungern erfüllt und in
jedem einzelnen Fall erst eines besonderen Aufraffens dazu bedarf.
Vielleicht aber ist auch dieser Widerspruch gegen unsern Begriff des
sittlichen Verdienstes nicht unauflöslich.
Wie nämlich der Musikvirtuose das einzelne Stück nicht mehr zu üben
braucht, aber nur weil er vorher so viel geübt hat, dass er nun jenes
leicht vom Blatt spielt; wie die Mühen und Betätigungen auf jedem Gebiet
des Handelns den Widerstand der Schwäche und Ungeschicklichkeit nicht nur
für den einzelnen Fall überwinden, sondern eine allgemeine Überwindung
derselben und wachsende Erleichterung für jeden künftigen Vollzug der
gleichen Prozesse bewirken; wie jede Anstrengung der Muskeln nicht nur
dazu dient, eine vorgesetzte Arbeit zu leisten, sondern überdies noch
eine Kräftigung der Muskeln selbst zur Folge hat, die sie zu späterer
Arbeit in um so höherem Masse befähigt: so hinterlässt jede sittliche
Selbstbeherrschung ausser ihrer sachlichen Folge noch eine Kräftigung
unseres moralischen Wesens gegenüber dem Verlangen nach dem Verbotenen,
so dass der einmal gewonnene Sieg über uns selbst dem zweiten den Boden
bereitet. (<228)
Psychologisch wirkt hier besonders das Vertrauen auf die eigene
sittliche Kraft, das nach jeder sittlichen Handlung wächst und dann
selbst wieder zum Steigerungsmomente dieser wird.
Man kann sehr vieles, wenn man nur glaubt, dass man es könne, auch den
eigenen Trieben gegenüber.
Im Moralischen gibt es keine Pyrrhussiege; wie Liebe sich stärkt, wenn
man um ihretwillen Opfer bringt, ganz ebenso Sittlichkeit.
Schliesslich bedarf die Überwindung des Bösen keines erheblichen
Kraftaufwandes im einzelnen Falle mehr, aber eben nur deshalb nicht mehr,
weil diese Überwindung so oft geübt worden ist, dass sich schliesslich
das Sittliche leicht und frei und wie von selbst vollzieht.
Und wie nun die Bewunderung für den Virtuosen die gleiche bleibt, auch
wenn wir wissen, dass die Ausführung des Einzelnen ihm ein Spiel ist, wie
sie aber gewiss nicht vorhanden wäre, wenn die Leistung überhaupt und
für jeden und von vornherein ein Spiel wäre, so ist unsere Bewunderung
für den ethischen Virtuosen offenbar nur deshalb keine geschwächte,
sondern eine gesteigerte, weil wir ahnen und wissen, welche Mühen und
Kämpfe allein zu dieser Höhe führen.
Darum haben höchste sittliche Taten und Charaktere so oft für unser
Gefühl einen leisen tragischen Zug.
Wie in jenem Falle die Kunst unmittelbar als Natur erscheint, aber nur,
weil Natur allmählich in Kunst umgebildet worden ist, so erscheint im
Ideale des Heiligen Sittlichkeit als Natur, erscheint so aber nur dadurch,
dass allmählich alles Unsittliche aus der Natur hinweggeläutert worden
ist.
Wir können dies Erwerben einer festen substantiellen Sittlichkeit
durch langdauernden Kampf um sie und fortwährendes Ausüben vergleichen
mit jener Veränderung der Gesichtszüge, die sich bei hässlichen
Personen schliesslich einstellt, wenn sie anmutig und Iiebenswürdig sind.
Die Form der Schönheit, welche die Bewegung ihrer Züge reguliert, -
denn Anmut ist fliessende Schönheit; die Linien, deren Zugleichsein
Schönheit ist, beschreibt die Anmut im Nacheinander der Bewegung -
festigt sich schliesslich zu einem dauernden Verhältnis (<229)
derselben untereinander, das nun für immer und auch in Ruhe den Charakter
zeigt, den ihnen ursprünglich nur die Bewegung gab.
Man könnte sagen, die einzelne Tat zwar sei sittlicher, wenn ein
Opfer, eine Überwindung ihr vorhergeht, der ganze Mensch aber, bei dem
dies noch erforderlich ist, sei unsittlicher.
Es liesse sich auch so ausdrücken, dass die Tat eine Sittlichkeit
erster Ordnung besitzt und doch eine Unsittlichkeit zweiter Ordnung
beweist.
Auch wirkt wohl das Seltenheitsmoment mit, das in allen
Wertbestimmungen, den materiellsten wie den geistigsten, nachweisbar ist:
wer oft oder stets sittlich handelt, bei dem hat die einzelne sittliche
Tat nicht mehr den Wert, den sie bei seltenerer Ausführung besitzt.
Und wie der einzelnen Vorstellung hier bei gleichem Inhalte ihr Wert
durch die Beschaffenheit anderer bestimmt wird, ebenso dem Individuum der
seinige durch die Verfassung der sozialen Gruppe, in der es lebt.
In einer Gesamtheit von niederer Sittlichkeit wird ebenderselbe Mensch
schon als verdienstvoll gelten und mehr als seine einfache Pflicht zu
erfüllen scheinen, dem bei höherem Durchschnittsniveau noch gar kein
besonderes Verdienst zugesprochen wird.
Wie sich im Leben des Individuums die einzelne Tat als besonders
sittlich heraushebt, aber nur auf Kosten seiner sittlichen
Gesamtbeschaffenheit, so beweist auch das Verdienst, das die
Persönlichkeit als ganze in ihrem sozialen Kreise erwirbt, eine
entsprechend tiefere Sittlichkeit dieses Kreises.
Und so können wir im Gesamtgeist von einer Sittlichkeit verschiedener
Ordnungen sprechen: es kann Individuen geben, die durch die Kraft, mit
weicher sie sich über die Unvollkommenheit der hergebrachten Sittlichkeit
erheben, besonders verdienstlich und damit gleichsam als ein Verdienst des
Gesamtgeistes, der sie hervorgebracht hat, erscheinen.
Zugleich aber erweist dies doch eine niedrigere Sittlichkeit jenes
Gesamtgeistes, der bei höherer Verfassung sittliche Individuen gleichsam
selbstverständlich und als normales Resultat der öffentlichen
Verhältnisse aus sich hervorgehen lässt. (<230)
Es kommt ein Moment sozialethischer Prophylaxis hinzu, um die
Schätzung derjenigen Sittlichkeit zu erhöhen, die ohne vorherigen und
jedesmaligen Widerstand unsittlicher Triebfedern geübt wird.
Das Vertrauen darauf, dass ein Mensch das Rechte selbst dann immer tun
wird, wenn sich die Lockungen des Egoismus dem entgegenstellen und der
fortwährenden Überwindung bedürfen, ist ein sehr begrenztes.
Wir wissen alle zu genau, wie unsicher der Ausgang eines Konflikts
zwischen Pflicht und Herzenswunsch ist, um nicht das Prädikat
vollkommener Zuverlässigkeit im Sittlichen dem zu verweigern, bei dem die
rechte Handlung von dem Ausgang eines so zweifelhaften Kampfes abhängig
ist.
Die soziale Nützlichkeit fordert deshalb eine möglichst konfliktfreie
Sittlichkeit.
Das prophylaktische Bewusstsein, das sich statt auf die Beseitigung des
Schlechten darauf richtet, dessen Ursache und höher aufsteigend die
Ursache seiner Ursache zu beseitigen, legt allmählich den Wert weniger
auf die einzelne Tat, deren Wiederholung im nächsten Falle zweifelhaft
bleibt, als auf den Impuls, aus dem sie wie von selbst hervorgeht, und
der, als die allgemeine und charakterologische Ursache jener, eine
grossere Gewähr für die ihm folgende Tat gibt.
So sehr auch die Sicherheit für die Gesamtheit der äusseren Taten den
einzigen vernünftigen Grund abgeben kann, aus dem die innere
psychologische Beschaffenheit eine soziale Wertung fordern darf, so wird
dieser Ursprung der letzteren doch völlig vergessen und der sittliche
Impuls als solcher, die Liebe zum Guten als blosse innere Beschaffenheit
steigt ohne bewusste Rücksicht auf ihre äusseren Folgen zum Range eines
höchsten Wertes auf.
Es verhält sich mit dem Werte dieser Versuchungslosigkeit, dieser
Einheitlichkeit im Guten, wie mit dem Werte der Gesinnung überhaupt.
Wenn uns die einzelne Handlung gleichgültig erscheint gegenüber der
Gesinnung, aus der sie hervorgegangen ist, so scheint mir dieser
überwiegende Wert der letzteren nur darauf zu beruhen, dass sie uns die
Garantie auch für alle andern Handlungen (<231) derselben Person gibt;
nur das Moment der Quantität scheidet in dieser Hinsicht die einzelne
Handlung von der Gesinnung, die sich doch als wertvolle schliesslich auch
nur in einzelnen Handlungen bewähren kann.
Jene verhält sich zu dieser wie das Einzelding zum Begriff, wie der
Einzelvorgang zum Gesetz, und ähnliche Reize, wie dem letzteren, haben
auch der Gesinnung ihren Vorzug verschafft.
Und dann lag es psychologisch nahe, der Gesinnung, dem guten Willen
einen von allen Handlungen überhaupt unabhängigen Wert zu geben, wie ihn
Plato dem Begriff jenseits der Einzeldinge gab.
Hierdurch scheinen wir aber in Verwandtschaft mit jener flachen
Aufklärung zu geraten, die ganz befriedigt ist, wenn sie einen höheren
Begriff auf einen niedrigeren zurückgeführt hat und nicht einsieht, dass
das Problem und seine Schwierigkeit nun an diesem letzteren ebenso haftet
wie an dem ersteren, jenem von Kant verspotteten Empirismus vergleichbar,
der seine Forschung unter Abweisung jeglicher Metaphysik ausschliesslich
auf das Einzelne richtete und nur nicht sah, dass er in diesen empirischen
Einzeluntersuchungen fortwährend von den höchsten metaphysischen
Prinzipien Gebrauch machte.
Deshalb muss allerdings anerkannt werden, dass der Wert, der auf die
innerliche seelische Verfassung gelegt wird, noch keineswegs völlig
erklärt ist, wenn man ihn auf den Wert der äusseren Taten zurückführt,
für die jenes Innerliche die Ursache bildet.
Denn dass diese äusseren Taten der Sittlichkeit einen Wert besitzen,
mag für die populäre Anschauungsweise kein Problem mehr sein, kann aber
der tieferen Prüfung keine andere Beglaubigung aufweisen, als die
Wertschätzung des Seelisch-Innerlichen sie besitzt.
Dass wir auf irgend etwas überhaupt Wert legen, ist im letzten Grunde
eine jenseits aller Deduktionen stehende, unverantwortbare Tatsache des
Willens und wenn sich dieselbe auf subjektiv seelische Vorgänge richtet,
so ist sie genau so erklärlich oder unerklärlich wie in Beziehung auf
äusserliche Handlungen.
Es ist das (<232) ganz gleiche Verhältnis wie in der berühmten
Frage: ob das Papiergeld definitiv an die Stelle des Metallgeldes treten
könne, die die meisten Volkswirtschaftslehrer verneinen, da ja das Papier
kein objektiver Wert sei und nur durch subjektive Übereinkunft, aber
nicht an und für sich einen solchen repräsentiere.
Sie vergessen dabei, dass Wert überhaupt nichts Objektives ist, dass
weder Gold noch Silber, weder Nahrung noch Kleidung an und für sich Wert
besitzen, sondern denselben erst im subjektiven Prozess ihrer Schätzung
erhalten, wie die Fälle beweisen, wo die Askese oder sonstige
psychologische und soziale Umstände sie tatsächlich als wertlos
erscheinen liessen oder genauer ausgedrückt, sie wertlos machten.
Es liegt deshalb kein logischer Grund vor, diese Schätzung nicht auch
gegenüber einem beliebigen Stück gestempelten Papiers vorzunehmen -
nicht als würde ihm damit die Eigenschaft objektiven Wertes verliehen,
die es nun andern, mit solchem begabten Gegenständen gleichstellte,
sondern weil auch diese durch keinen anderen Prozess als eben den des
menschlichen Willens zu Werten geworden sind.
In unserem Falle ist deshalb der Beweis, der Wert der Gesinnung stamme
aus dem Wert der Taten, die sie hervorruft, erstens insofern keine
völlige Erklärung, als die Wertschätzung dieser letzteren selbst eine
letzte ungeklärte Tatsache ist; und zweitens kein Gegenbeweis gegen die
Möglichkeit, dass das Innerliche den Rang eines an und für sich seienden
Wertes ebenso und zu gleichen oder besseren Rechten erhalte.
Hier sind wir allerdings an dem Punkt angelangt, wo jede historische
oder psychologische Deduktion ihre Grenze findet.
Von gegebenen Zuständen und Bestimmungen leitet sie zu andern über,
ohne dass der Inhalt, dessen Transformationen sie beschreibt, darum ein
Problem zu sein aufhörte.
Die Gesamtheit des Gebietes, innerhalb dessen die Vorgänge ihre
Träger und die Subjekte ihre Funktionen wechseln, ist für diese
Einzelheiten die allgemeine Voraussetzung, aber nicht Gegenstand (233)
einer Erklärung.
Darunter ist natürlich nicht die abstrakte Allgemeinheit verstanden,
als besässen die Allgemeinbegriffe noch eine zu berücksichtigende
Wirklichkeit jenseits der Einzeldinge; sondern nur etwa dies, dass das
Leben überhaupt vorausgesetzt wird, wenn über organische Evolution
gehandelt wird; oder die Möglichkeit eines Erkennens überhaupt, wenn
einzelne Gegenstände erkannt werden sollen, und ähnliches.
So geben psychologische Ausführungen im Ganzen nur die
Gelegenheitsursachen an, die gewisse vorhandene Kräfte entfesseln; sie
beschreiben das Auftauchen und Ineinanderübergehen psychischer
Funktionen, die aber ihrem Wesen nach schon vorausgesetzt werden; und die
Resultate und Vereinheitlichungen, die sie auf dem psychischen Gebiet
gewinnen, entstammen viel weniger zwingenden Kausalprozessen, als
methodischen Bedürfnissen und analogisierenden Übertragungen aus andern
Erkenntnissen.
Wenn wir deshalb die Schätzung der Gesinnung, die wir als unmittelbare
Bewusstseinstatsache vorfinden, auf die Schätzung ihrer äusseren Erfolge
zurückführen, obgleich diese in dem sittlichen Bewusstsein jener
gegenüber ganz zurücktritt, so ist dies auch nur eine Folgerung aus dem
allgemeinen methodischen und empirischen Prinzip, dass feinere,
allgemeinere und geistigere Ideen am besten aus greifbareren, einzelnen
und äusserlicheren Eindrücken hergeleitet werden, wenn dies auch den
eigentlichen ideellen Gehalt, der von der speziellen in die allgemeinere
Form übergeht, hier also das Gefühl des Wertes überhaupt, noch nicht
erklärt.
Für die historische Betrachtung hat aber bei dem Verhältnis des
Innern und des Äussern der Sittlichkeit die völligste Verschiebung des
Wertes stattgefunden; vielleicht in keinem
andern teleologischen Prozess hat die Bedingung eines Erfolges, die
noch dazu weder unbedingt nötig noch unbedingt sicher ist, den Erfolg
selbst zu so völliger Nichtigkeit und Gleichgültigkeit herabgedrückt.
Wenn Kant eine zweifellos sehr verbreitete Empfindung in den Ausdruck
fasst, dass nur diejenigen Taten (234) sittlichen Wert haben, bei denen
das Pflichtbewusstsein einzige Triebfeder war; wenn ihm die Tat selbst,
ihrem materialen Inhalte nach, sittlich ganz gleichgültig erscheint und
es ausschliesslich auf den Willen, mit ihr unsere Pflicht zu tun, ankommt
- so verhält sich dieses innerliche Wollen der Pflicht zum Wollen der
äusseren Tat auch nur wie das Allgemeine zum Einzelnen.
Wenn eine Reihe von Handlungen, die ursprünglich aus den
verschiedensten Motiven und Beziehungen hervorgegangen sind, eigne
sittliche Billigung erfährt, so wird es freilich das sicherste Mittel zur
Erzeugung durchgehendes sittlichen Handelns sein, dass man diese eigne
sittliche Billigung zum Motiv des Handelns macht, gerade wie wir am
sichersten sein können, dass unsere Hervorbringungen ästhetisch
befriedigend sein werden, wenn wir keine andere Eigenschaft der Produkte
als gerade nur die Schönheit uns zum psychologischen Motiv des
Hervorbringens überhaupt werden lassen.
Erklärlich aber wäre der Wert einer solchen rein ästhetischen
Motivierung unseres Handelns doch nur aus dem der einzelnen schönen
Produkte, die aus ihm hervorgehen.
Wenn man demnach dem »guten Willen«, sei es zum Ästhetischen oder
zum Sittlichen, seinen Wert selbst dann belässt, wenn er ein Hässliches
oder Schädliches produziert hat, so liegt das an der relativen Seltenheit
dieses Falles, grade wie das geltende Recht darum noch nicht seinen
idealen Wert verliert, weil es gelegentlich einmal einen ungerechten
Zustand provozieren kann.
Die Schätzung der Pflicht als innerlichen Motives, dem gegenüber die
äussere Tat wertlos sei, ist nur ein aufs Praktische übertragener
Begriffsrealismus.
Wie dieser eine Eigenschaft, die vielen Dingen gemeinsam war, zu einer
für sich seienden substantiellen Existenz emporhob, von der nun erst die
einzelnen Gegenstände wieder ihr Wesen empfingen, so hypostasiert jener
Idealismus eine Seite oder Beziehung der Handlungen zu dem allein
wertvollen Motiv ihrer Vollbringung, das dann jeder einzelnen Handlung
erst ihre sittliche Bedeutung verliebe.
Während aber der theoretische Begriffsrealismus aus (235) einer
Übertreibung der Nützlichkeit der Abstraktion hervorgeht, ist es höchst
zweckmässig, unser Handeln nur dann als wertvoll darzustellen, wenn seine
Pflichtseite sein einziges psychologisches Motiv bildet.
Die Sicherung der Sittlichkeit dadurch, dass die Sittlichkeit der Tat
zum Beweggrund ihrer Vollbringung wird, kann eben auf zweierlei Arten
geschehen: entweder indem das Handeln aus der blossen Achtung vor dem
moralischen Gesetz, aus der blossen Pflicht, weil sie Pflicht ist - als
höchste Würde des Menschen empfunden wird; oder so, dass alle sonstigen
Motive bis zur Übereinstimmung mit der Pflicht umgebildet werden, und die
Sittlichkeit, statt uns in einen Konflikt mit den eudämonistischen
Trieben zu bringen, zum einheitlichen ungestörten Herzenswunsch wird.
Der Sozialismus sucht diese letztere Verfassung so zu erreichen, dass
er dem Einzelnen die psychologische Möglichkeit nimmt, eine andere als
die ihm beschiedene Lebenslage zu erstreben; denn wo keiner vor dem andern
etwas voraus hat, werden die Bilder, die das Bewusstsein füllen, nicht
leicht zu Versuchungen, und wo die Einrichtungen des Ganzen dem Einzelnen
überhaupt keinen Raum gewähren, andres zu besitzen, als die einmal
bestimmte Laufbahn bietet, da wird auch das Darüberhinaus- und
Entgegenwünschen schliesslich absterben.
Insoweit ist der Sozialismus allerdings ein eminent kraftsparendes
Prinzip; die Kräfte, die durch die Reibung der verschiedenen Triebe
innerhalb des Individuums verloren gehen, macht er für andere Aufgaben
frei, indem er den antisozialen unter ihnen die aus der
Ungleichmässigkeit der Lebenslagen folgenden Versuchungen erspart und
damit ein individuelles Gegenbild jener öffentlichen Kraftersparniss
liefert, die das Aufhören der wirtschaftlichen Konkurrenz mit sich
bringt.
Ein völlig durchgeführter Sozialismus samt völliger Anpassung der
Einzelnen an ihn würde die grösste Gewähr dafür geben, dass das sozial
Erforderliche den geringsten persönlichen Widerstand findet; der Einzelne
würde (<236) dann völlig sittlich, aber völlig verdienstlos sein.
Daran, dass namentlich in den niedrigeren Beziehungen des Lebens für
den Einzelnen das als Pflicht gilt, was die Allgemeinheit tatsächlich
übt, sowie an der Unbedingtheit und Strenge der Pflicht haben wir schon
in jetzigen Verhältnissen ein psychologisches Hilfsmittel, das uns die
Möglichkeit abweichender Handlungsweise ferner und ferner rückt; wo die
Handlung durch unbedingte Verpflichtung und ausnahmslose Übung so fest
geworden ist, dass wir gar nicht auf den Gedanken kommen, anders zu
handeln, da ist ihre Vollbringung natürlich leichter und weniger
verdienstvoll, als wenn sie jenen unterstützenden Charakter noch nicht
angenommen hat.
So ist z. B. ausserordentliche Höflichkeit gegen die Frauen in
Nordamerika so unbedingte Verpflichtung, dass ihre Vernachlässigung
undenkbar ist und ihre Ausübung zu keinem Dank verpflichtet.
Bei uns erscheint diese Höflichkeit bei weniger strengem
Pflichtcharakter als etwas Freiwilligeres, das deshalb verdienstlicher und
dankenswerter ist.
Freilich nur für den Einzelnen auf Kosten der Qualität des Ganzen;
das ist die Tragik im Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtheit, dass der
Reiz und das Verdienst seiner Handlung, ganz das gleiche bleibend, in dem
Masse ihrer Verbreitung abnimmt.
Auch hier wird nur der Unterschied empfunden.
Die Umbildung des Naturells, in welchem ursprünglich der Trieb zum
Guten wie zum Bösen gleichzeitig und gleich kräftig wirken, in ein
solches, in dem das Gute schliesslich instinktiv und widerstandslos
geschieht, ist von grösster Wichtigkeit.
Der Ethik wird eines ihrer feineren Probleme durch die Tatsache
gestellt, dass wir oft gewisse Gefühle, Freudigkeit der Hingabe, Liebe
und Dankbarkeit usw. als sittliche Erfordernisse vorstellen, während es
doch scheint, als könnten Gefühle nicht sittlich anbefohlen werden; wir
empfinden das Gefühl wie ein Schicksal, das sich an uns auslebt, dessen
(<237)wir uns erst bewusst werden, wenn es wirklich da ist und das wir
deshalb so wenig wie die Sinnesempfindung eines realen Dinges spontan
hervorrufen können.
Das Widrigste zu tun kann mich sowohl ein äusserer wie ein innerer
Befehl zwingen; aber weder der eine noch der andere kann mich zwingen, es
gern zu tun und ein freiwillig dahin treibendes Gefühl in mir zu
empfinden.
Was aber so dem Willen, auf den allein der Befehl wirken kann,
unmittelbar nicht unterworfen ist, kann ihm doch mittelbar unterliegen.
Die einzelnen sittlichen Handlungen, mag sich auch ursprünglich ein
noch so starkes egoistisches Gefühl gegen sie sträuben, bringen
schliesslich doch eine Umgestaltung desselben mit sich.
Die durch den Willen eingeleitete Gewohnheit des sittlichen Handelns
führt zu einem Zustande, in dem es keiner besonders auf den Akt
gerichteten Willensenergie mehr bedarf, sondern derselbe schon auf jenen
inneren Vorgang hin, den wir Gefühl oder Trieb nennen, erfolgt.
Wenn wir uns demnach moralisch berechtigt glauben, gewisse Gefühle zu
verlangen, so verlangen wir damit nur einzelne, dem Willen unterworfene
innere und äussere Akte, von denen wir aber wissen, dass sie nach
psychologischer Gesetzmässigkeit jenes dauernde Gefühl zur Folge haben
müssen; der Vorwurf, ein gewisses Gefühl nicht zu haben, trifft
gerechtfertigter Weise gar nicht diesen Augenblick, sondern die
vorhergegangenen, in denen es allmählich hätte erzeugt werden müssen.
Nur die Sicherheit, mit der wir den psychologischen Mechanismus als
Brücke zwischen dem einzelnen, dem Gebot unterworfenen Willensakt und der
allgemeinen, ihm entzogenen Gefühls- und Triebesbeschaffenheit annehmen,
berechtigt uns, auch die letztere einer sittlichen Verantwortung zu
unterwerfen.
Es ist das Gleiche wie wenn wir jemandem einen Vorwurf darüber machen,
dass er vergessen habe, bei einer bestimmten Gelegenheit an etwas
Bestimmtes zu denken.
Offenbar kann sich auch dieser Vorwurf nicht gegen den Augenblick, in
dem die erforderte Erinnerung ausblieb, richten; denn immer kann nur
verlangt werden, dass (<238) man nach einer im Bewusstsein befindlichen
Vorstellung handle, aber nicht unmittelbar, dass man eine im Bewusstsein
habe, die man eben nicht hat.
Soll jener Vorwurf einen Sinn haben, so kann er sich nur auf den
früheren Augenblick richten, in dem die Vorstellung und die Pflicht, sich
ihrer später zu erinnern, im Bewusstsein war; je energischer man sich das
vornimmt, je tiefer man es sich einprägt, desto grösser ist die
Wahrscheinlichkeit, dass die eintretende Gelegenheit die nötige
Vorstellung gemäss dem psychischen Mechanismus reproduziert.
Dieser Erfahrungssatz allein rechtfertigt jenen Vorwurf, indem er
wahrscheinlich macht, dass bei ausbleibender Erinnerung auch der Vorsatz
nicht kräftig genug gewesen ist; würde aber nicht das Band des
Mechanismus zwischen beiden vorausgesetzt, so würde man aus dem späteren
Moment kein Recht zu dem Vorwürfe schöpfen können, der nur dem
früheren gelten kann.
Dieses Zurückliegen des Schuldmomentes hinter dem Augenblick der Tat,
an die sich die Schuld der Erscheinung nach heftet, ist ethisch überhaupt
von häufiger und wohl zu überlegender Wichtigkeit und erstreckt sich auf
weit ausgedehntere und kompliziertere Verhältnisse als in dem
angeführten einfachen Beispiel.
Manche zu verurteilende Tat ist unvermeidlich, wenn die Verhältnisse
einmal so liegen, wie sie eben liegen, und die Verurteilung kann mit Recht
nur frühere, an sich vielleicht harmloser erscheinende Handlungen
treffen, von denen man indes wissen musste, dass sie von dem
gesetzmässigen Verlauf der Dinge, von der Verkettung der Schicksale
aufgenommen und zu Zwangslagen weitergebildet würden, in denen dann
freilich die unsittliche Tat die einzig mögliche oder das geringere von
zwei Übeln ist; nachdem unser Wille erst einmal die Verhältnisse
gestaltet hat, gestalten dann die Verhältnisse unseren Willen.
Dies gilt ebenso für einzelne Ereignisse des Lebens wie für die
sittliche Gesamtverfassung desselben, von der hier zunächst die Rede ist.
Wir wissen, dass jede Handlung einer bestimmten Richtung (<239)
einen Zustand in uns zurücklässt, der ihre Wiederholung erleichtert.
Das öftere Erfolgen der gleichen Innervationsreihen bewirkt eine
Verbindung zwischen ihnen, in Folge deren die Erregung des Anfangsgliedes
die ganze Reihe schliesslich ablaufen lässt, ohne dass es eines auf jeden
einzelnen Punkt besonders gerichteten Wollens bedürfte.
Im subjektiven Bewusstsein spiegelt sich dies als Gefühl,
möglicherweise weil bei ausgedehnteren und festeren
Innervationsmechanismen schon auf eine leichtere Anregung hin eine
gleichsam präludirende Schwingung der ganzen Reihe eintritt, deren
zentripetale Wirkung wir Gefühl nennen; die Unbestimmtheit und die dunkle
Macht desselben gegenüber der einzelnen Empfindung oder Vorstellung
erklärt sich aus der Fülle, der Kleinheit und namentlich der
Gleichzeitigkeit der in ihm zum Knäuel involvierten
Innervationsempfindungen.
Wir nennen solche Gefühle auch Triebe und fassen sie hierdurch als
Ursachen der Handlung, machen uns aber dadurch einer Verwechslung des post
hoc mit dem propter hoc schuldig.
Das Wirkende ist allein der Innervationsmechanismus, der nach aussen in
Handlung, nach innen auf die angegebene Weise in Gefühl verläuft; da er
selbst aber ausserhalb des Bewusstseins vorgeht, so ist leicht
begreiflich, dass seine letztgenannte Seite als Ursache der erscheinenden
Bewegungen angesehen wird; aber um so weniger kann sie das sein, als das
Gefühl als solches sich mit seinem Empfundenwerden vollständig ausgelebt
hat; es kann nur die Begleiterscheinung, nur der subjektive Reflex und
Oberton der realen, aber nicht ins Bewusstsein tretenden Ursache der
Handlung sein.
jedenfalls wird durch diese Hypothese die Berechtigung klar, Gefühle
moralisch zu fordern: weil die einzelnen Handlungen den Mechanismus
gründen, der die Gefühlsfolge hat, so können wir mit demselben Rechte
wie jene auch diese fordern und auf ihr Ausbleiben den Vorwurf gründen,
den das Ausbleiben der unmittelbar dem Willen gehorchenden Handlungen
verdient.
Ginge das Gefühl immer erst demjenigen psychischen Akte voraus, an den
(<240) sich Verdienst und Schuld heften, so könnte man freilich
niemanden für dasselbe verantwortlich machen.
Dass dies doch allgemein geschieht, beweist, dass die Gattungserfahrung
sich eines tatsächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gefühl und dem
sittlich zuzurechnenden Willen bewusst ist.
Denn die Schärfe, mit der gewisse Gefühle dem Individuum zu
sittlichem Verdienst oder sittlicher Schuld angerechnet werden, ist doch
zu gross, um sie allein aus der oben erwähnten sozialen Prophylaxis zu
erklären.
Das Gefühl kann den niedrigsten und den höchsten Grad in der
ethischen Entwicklung bedeuten; mit sittlichen Instinkten, mit dem
Vorherrschen bloss gefühlsmässiger sittlicher Antriebe beginnt
überhaupt die eigentlich sittliche Entwicklung des Menschengeschlechts
und des Einzelnen; und dann wieder, wenn in unzähligen Versuchungen die
Sittlichkeit erstarkt ist, dann dürfen wir uns ruhig dem Gefühl und
Instinkt überlassen, sicher, dass diese die klare sittliche Überlegung
vollgültig vertreten, weil sie aus ihr hervorgegangen sind.
Übrigens geht diese Gefühlsbildung nicht nur ontogenetisch, sondern
auch phylogenetisch vor sich; im Nachkommen sind die Willensakte früherer
Generationen als angeborene, gefühlsmässige Disposition verdichtet,
gerade wie ihre Erfahrungen in ihm als apriorische Vorstellungen, ihre
Handlungen als fest gewordene Bewegungsmechanismen erscheinen; es ist der
Weg der Kultur, einerseits das früher mit extensivem Bewusstsein
Geschehene zu einem wie von selbst, durch das Gefühl vermittelt,
Ausgeführtem zu machen, wie andrerseits das früher aus dunklen Antrieben
Hervorgegangene in das klare Licht des Bewusstseins zu heben.
Ähnlich bei dem Erkennen; nach langer Bemühung auf einem Gebiet
ergeben sich schliesslich gewisse Resultate, indem unser Denken die
richtigen Prämissen so schnell zusammenstellt und aus ihnen die richtigen
Schlüsse zieht, dass diese mit der Unmittelbarkeit eines Gefühles
auftreten; so dass auch hier die Form des dunkeln Ahnens und Vorfühlens,
mit der jede Erkenntnistätigkeit als mit ihrer Wurzel anhebt,
schliesslich wieder (<241) in psychologischer Beziehung ihre Blüte
bildet.
Gerade was wir die Genialität des Denkens nennen, beruht auf dieser
Unbewusstheit, die der naiven Ursprünglichkeit eben so eigen ist wie
jener Durchbildung, die das Richtige schliesslich wieder wie von selbst
findet.
Wenn wir sehen, dass der Genius besonders in künstlerischer Hinsicht
Wahrheiten ausspricht und Wahres gestaltet, ohne doch persönlich die
Erfahrungen gesammelt zu haben, deren der Ungeniale zu gleicher Erkenntnis
bedürfte, so beruht dies vielleicht darauf, dass in dem Genius die
Vererbung der Gattungserfahrungen eine besonders starke und günstig
gestaltete ist.
Auch das Kind lebt ja im Wesentlichen geistig noch von den ihm als
Instinkt überlieferten Errungenschaften der Gattung, und diese Beziehung
mag es sein, auf Grund deren man den Genius so oft dem Kinde verglichen
hat; sie mag es auch sein, die dem Kinde manchmal sittliche Instinkte
gibt, die man sonst an Personen von genialer Sittlichkeit bewundert - und
zwar sowohl was das sittliche Urteil wie was das Handeln betrifft.
Leichter als die Schuld, die auf dem Ausbleiben gewisser Gefühle
haftet, ist diejenige zu erklären, die das Bestehen anderer begleitet.
Zunächst macht auch hier die Passivität des Gefühls und Triebes
Schwierigkeiten; weil wir uns erst seiner bewusst werden, wenn es wirklich
da ist, scheinen wir auch an seinem Auftreten keine Schuld haben zu
können, sondern höchstens daran, dass wir ihm in unserm Handeln Folge
geben; erst der Augenblick, in dem der Trieb sich in Handlung umsetzt,
scheint die Geburtsstätte der Schuld zu sein.
Indes ist zunächst klar, dass, wenn wir dem Willen die Möglichkeit
zusprechen, schliesslich einen Mechanismus hervorzubringen, der als
Gefühl zurückwirkt, er auch ebenso einen bestehenden Mechanismus und
damit auch dessen Gefühlsfolge unterbrechen und durch Wiederholung
hiervon ihn schliesslich lahm legen kann.
Es ist sofort einleuchtend, dass dieses in psychologischer Hinsicht
viel leichter ist als jenes.
Wir bemerken oft, dass ein starkes Gefühl durch eine einzige (242)
Vorstellung unterdrückt werden kann, während zu seiner Erzeugung
überhaupt eine grosse Anzahl von Faktoren erforderlich ist; um einen
Menschen lieb zu gewinnen, dazu bedarf es, welcher Art die Liebe auch sei,
einer grösseren Anzahl von Eigenschaften desselben; um aber ernüchtert
zu werden, oft nur einer einzigen Erfahrung, dem Hervortreten einer
einzigen Eigenschaft.
Das Gefühl ist immer das Ergebnis einer grossen Anzahl von Kräften
und Vorstellungen unseres Inneren, woher sein ebenso dunkler wie
mächtiger Einfluss stammt; und wenn nun schon im Allgemeinen das
Zerstören leichter ist wie das Aufbauen, so verschärft sich dies
Verhältnis in wachsenden Proportionen mit der Kompliziertheit der
Gebilde, um die es sich handelt; aus je mehren und feineren Teilen ein
Gebilde zusammengesetzt ist, um so schwerer ist es herzustellen, um so
leichter zu vernichten.
Andrerseits muss freilich auch bedacht werden, dass jene leicht
spielenden Bewegungsmechanismen sehr häufig nicht individuell, sondern
als vererbte Gattungserwerbungen erlangt werden, und dass es in demselben
Masse, wie sie als solche befestigter sind, dem Individuum schwerer fallen
muss, sie zu durchbrechen.
Der ganzen Voraussetzung unsrer Argumentation: dass ein allmählicher
Prozess der Läuterung zu jenem Zustand führe, in ~i dem auch die
Versuchung und das unsittliche Triebgefühl unterdrückt ist, scheinen die
Fälle jener »Erleuchtungen«,jener plötzlichen Umwandlung des Herzens
durch oder ohne himmlische Gnade zu widersprechen, von der uns so viele
Bekehrungsgeschichten erzählen; es kommt den Subjekten solcher Ereignisse
vor, als ob mit einem Male alle Versuchungen von ihnen abfielen, als ob
sie auf einmal eine innere Qualität erhalten hätten, die den
unsittlichen Reizen von vornherein alle Kraft nimmt.
Die Selbsttäuschung, die hierbei vorgeht, ist entweder eine totale,
die einen augenblicklichen Zustand für einen definitiven hält; oder sie
beruht darauf, dass für Wirkung eines Momentes gehalten wird, was auf
(<243) langer Vorbereitung beruht.
Das erstere findet hauptsächlich auf den Gebieten statt, die die
Angelegenheiten des Herzens im engeren Sinne umschliessen; das menschliche
Herz ist immer geneigt, seine augenblickliche Verfassung für die
definitive und nun für immer beharrende zu halten; namentlich im
Verhältnis zu den Frauen ist dies bemerkbar, wo eine augenblickliche
Gleichgültigkeit oder irgendwie hervorgerufene Abstinenz - ebenso wie
eine augenblickliche Leidenschaft - für das Subjekt selbst gar zu leicht
den mit grosser Entschiedenheit verteidigten Schein des Unveränderlichen
annimmt.
Was das zweite anbetrifft, so werden wir uns auch in der Psychologie
den Maximen der modernen Geologie und Biologie anschliessen müssen,
wonach das scheinbar Sprunghafte, Unvermittelte, mehr und mehr in langsame
unmerkliche Wirkungen aufgelöst wird.
Wie in der Natur uns die Veränderungen erst sichtbar werden, wenn sie
eine gewisse Grösse erreicht haben, so auch in unsrer eignen Seele.
Was die Veränderung ins Bewusstsein hebt, ist vielleicht nur ein ganz
geringes Moment, und dieses allein und der Augenblick seines Eintretens
erscheinen als Ursache und Zeit der Veränderung überhaupt.
So wird an dem beiderseits schwer belasteten Hebel ein kleines dazu
gefügtes Gewicht an dem einen Arm zum Emporheben des andern genügen und
als die Ursache desselben gelten; tatsächlich nimmt es den schon an dem
gleichen Arm ruhenden gegenüber keine besondere Stellung ein, jedes
gleiche Teilchen dieser übt die genau gleiche Wirkung und nur mit ihnen
zusammen und ihnen koordiniert übt es die Gesamtwirkung, deren sichtbare
Grösse sehr oberflächlich gerade ihm zugeschrieben wird.
Das kommt ebenso bei Veränderungen des erkennenden wie des praktischen
Seelenteiles vor.
Im Augenblick höchster geistiger Erregung gehen uns oft lange gesuchte
oder sogar noch gar nicht geahnte Erkenntnisse auf, die wir leicht geneigt
sind, für Produkte eben dieses Augenblickes zu halten, während doch kein
Zweifel ist, dass sie nur Vorstellungen zusammenziehen und ins Bewusstsein
(<244) heben, die längst vorhanden waren, nur Schlüsse aus längst
bereit liegenden Prämissen ziehen.
Anders wird es sich wohl auch bei jenen scheinbar in einem Moment
begonnenen und abgeschlossenen Umwandlungen der Gesinnung nicht verhalten.
Dies wird uns schon aus mancher Erzählung wahrscheinlich, wo das
plötzliche Ergreifen des Heils oder richtiger das Ergriffenwerden vom
Heil erst nach langem Streben und Suchen in Kasteiungen und Wüstenleben,
in tiefstem Sichversenken und Harren auf den erlösenden Augenblick
eintrat.
Der dafür häufige Ausdruck: Wiedergeburt, führt auf die richtige
Spur; auch die Geburt ist nur möglich, wenn das zu gebärende Wesen im
Mutterleibe Glied für Glied herangereift ist, worauf es dann allerdings
mit einem Male an das Licht der Welt, hier des Bewusstseins, tritt.
Es ist ein für die wahre Sittlichkeit tödlicher Irrtum, wenn man jene
Festigung des Inneren, die den Kampf gegen jede einzelne Versuchung
erspart, anders zu erlangen denkt als durch fortwährende
Selbstbeherrschung, die schliesslich die Reizempfänglichkeit für das
Unsittliche abstumpft.
Es ist indes unleugbar, dass, wenn so plötzlich auftretende
Umwandlungen auch ohne reale Einwirkung göttlicherseits stattfinden, doch
die Vorstellung, eine solche sei die Ursache, von stärkender und
festigender Wirkung für sie ist, wie denn überhaupt die Wirkung des
Glaubens an das Transzendente oft dieselbe ist, die wir von dessen
Realität erwarteten; dass uns der Glaube geholfen hat, kann ganz
unmittelbar, ohne den Umweg über eine durch ihn zum Helfen bestimmte
Macht wahr sein.
Was aber die Zurechenbarkeit des Gefühls und Triebes vor allem
begründet, ist der Umstand, dass beide sehr selten sogleich in
vollkommener Ausbildung und Stärke in's Bewusstsein treten, sondern von
geringen Anfängen aus ein verfolgbares, festzustellendes und oft
langsames Wachstum bis zu dem Augenblick, wo sie in Tat übergehen,
erfahren.
Spricht man nun überhaupt dem Willen die Möglichkeit zu, Triebe zu
unterdrücken, so kann er schon auf den frühesten Stufen (<245) ihrer
Entwicklung in sie eingreifen und auf diese Weise ihr Anwachsen zu einer
angebbaren Höhe verhindern.
Je feiner der sittliche Charakter durchgebildet ist, desto eher wird
der unsittliche Trieb schon in seinen Anfängen erkannt und unterdrückt.
Wenn wir also selbst jene höchste Versittlichung des ganzen Wesens
ausser Augen lassen, die dem unsittlichen Triebe überhaupt keine Stätte
gewährt, so wird doch verlangt werden können, dass der einzelne Trieb
auf immer früheren Entwicklungspunkten entdeckt und unterdrückt werde,
so dass, wenn schon nicht sein Entstehen, so doch jede zustande gekommene
Grösse und Macht desselben als Schuld zugerechnet werden muss.
Der unsittliche Trieb tritt in uns als »Versuchung« auf, und die
Meinung, dass sein Entstehen als Trieb der Verantwortung nicht unterliege,
ist identisch mit der häufig gehörten Vorstellung, dass die Versuchung
stärker als wir war, d. h. eine Übermacht besass, der zu unterliegen
einem nicht als Schuld angerechnet werden kann.
Hierin liegt zunächst jener selbstschmeichlerische Irrtum, der die
Versuchung als eine äussere Macht ansieht, die an uns herantritt, um ihre
Kraft an der unsrigen zu messen, und es übersieht, dass sie ja diese
ganze Kraft nur aus unsrem eigenen Inneren empfängt, erst in unsrem
Inneren zur Versuchung wird, da ebenderselbe äussere Reiz, der für den
einen die schwerste Versuchung bedeutet, den andern vollkommen kalt
lässt.
Man ist so leicht geneigt, das Ich als gute oder wenigstens unschuldige
Partei anzusehen, der der böse Feind, der Versucher, als eine zweite
gegenübersteht, und sich für das Unterliegen damit zu entschuldigen,
dass dieser eben der Stärkere war.
Wenn der Sprachgebrauch allerdings einen »Sieg über sich selbst«
enthält und damit das Selbst als die von vornherein unsittliche Partei
darstellt, so tut er es doch nur in diesem Zusammenhänge, in dem er
zugleich den sittlichen Teil unseres Ich als den überwiegenden und
siegreichen daneben setzt.
Projiziert man aber überhaupt (<246) derartige Vorgänge aus dem
Inneren heraus auf äussere Momente, so müsste man konsequenter Weise
auch die Tugend auf ein äusseres Wesen projizieren und im Falle
sittlichen Handelns sagen: »Die Tugend war stärker als ich.« Man würde
so schliesslich zu einer Anschauungsweise kommen, nach der die menschliche
Persönlichkeit, als verantwortliche ganz ausgeschaltet, nur als der
Kampfplatz erschiene, auf dem sich das gute und das böse Prinzip, Ormuzd
und Ahriman, Gott und Teufel, mit wechselndem Erfolge bekriegen.
Statt dessen aber identifizieren wir, um uns möglichst viel Verdienst
und möglichst wenig Schuld zuschreiben zu müssen, das eigentliche Ich
mit dem guten Prinzip und entschuldigen sein Unterliegen mit der Stärke
der Versuchung, als wenn sie ihre Stärke aus einer anderen Quelle als aus
unsrem eigensten Ich schöpfte.
Allenthalben begegnet man in den Vorstellungen sittlicher Verhältnisse
diesem Fehler, dass ein Teil der Willensakte von dem Ich losgetrennt und
in ein Verhältnis der Entgegensetzung zu ihm gebracht wird.
Wenn die religiöse Busslehre davon spricht, dass man den eigenen
Willen aufopfern müsse, um statt seiner dem Willen Gottes nachzuleben, so
verkennt sie, dass dieses letztere doch nur so stattfinden kann, dass der
vorgebliche Wille Gottes zum eigenen Willen des Menschen wird.
Über die Tatsache, dass nur der Wille des Ich die Handlungen des Ich
leitet, kommen wir nicht hinaus und es führt zu den grössten Irrtümern,
wenn man auf die Verschiedenheit und den Wechsel der Inhalte dieses
Willens hin verschiedene selbständige Willen aufstellt und dasjenige, was
nur ein Teil des eigenen Willens ist, diesem gegenüber zum Inhalt eines
anderen und für sich seienden Willens substantiiert, der sich mit jenem
nun in ein Verhältnis wie zwischen getrennten Parteien zu setzen hätte.
Abgesehen also von dieser volkstümlichen Auffassung, die die in der
Versuchung liegende Schuld von vornherein abweisen will; abgesehen von der
sozusagen technischen Schwierigkeit, deren Lösung ich schon andeutete:
wie man denn überhaupt dem Triebe, der Versuchung (<247) als
psychischer Tatsache beikommen könnte, abgesehen von all dem bleibt doch
noch die Frage nach dem Mass und dem Grunde der Schuld, die schon in der
blossen Versuchung liegt.
Sie löst sich durch die Überlegung, dass zwischen der Versuchung und
der Ausführung der Tat ein kontinuierlicher Übergang stattfindet, und
dass genauere Beobachtung es unmöglich macht, eine scharfe Scheidelinie
irgendwo innerhalb der Entwicklung zu ziehen, die von dem ersten, leisen
Aufsteigen der Versuchung bis zum festen Entschluss und der Ausführung
der Tat leitet.
Schon rein äusserlich bemerken wir oft, dass die auftauchende
Vorstellung eines Tuns den Anfang derjenigen Bewegung, welche jenes
realisiert, in reflektorischer Weise mit sich bringt.
Die Vorstellung einer leckeren Speise lässt das Wasser im Munde
zusammenlaufen, d. h. erzeugt die Speichelsekretion, die zum Verzehren
derselben nötig ist, beim Anblick eines hassenswürdigen Menschen ballt
sich die Faust - das Vorbereitungsstadium des Niederschlagens -, eine
lockende Tanzmusik lässt dem Tanzliebhaber buchstäblich die Beine
zucken, Vorstellungen sexueller Art erzeugen die den Geschlechtsakt selbst
einleitende Reizung vasomotorischer Nerven usw. Nur dann bleiben diese
Reflexe aus, wenn die betreffenden Vorstellungen als rein objektive Bilder
in uns aufsteigen.
Sie treten aber unweigerlich ein, wenn die Vorstellungen nur irgendwie
von einem Gefühl begleitet werden, das sie als Versuchungen bezeichnen
lässt.
Der erst uns versuchende Gedanke der Tat bedeutet also schon
äusserlich den ersten realen Schritt zu ihr, ganz abgesehen von der
Möglichkeit, dass der physische Innervationsvorgang vielleicht überhaupt
das Primäre ist, von dem das Triebgefühl erst eine Folge oder
Begleiterscheinung darstellt.
Finden auftauchende Triebe keinen Widerstand, so entwickelt sich aus
jenen ersten Reflexen die vollständige Tat in allmählichen Übergängen,
in denen zwischen unwillkürlicher und willkürlicher Handlung nirgends
scharf zu scheiden ist.
(<248) Wichtiger aber ist hier die innerliche Seite dieses Vorgangs,
auf die allein und nicht auf die äussere Tat es für die Frage der Schuld
ankommt.
Wenn wir auf den psychologischen Prozess achten, in dem der blosse
Gedanke der Tat zum fest entschlossenen Wollen ihrer Ausführung wird,
mögen nun die äusseren Verhältnisse es zu dieser kommen lassen oder
nicht, so ist auch hier zwischen dem ersten und dem letzten Gliede der
Reihe ein kontinuierlicher Übergang.
Und zwar ist das Wesentliche dabei dieses, dass, je weiter die
Reizvorstellung sich entwickelt, der erreichte Punkt nicht nur dem
Endwillen näher liegt, sondern schon ein um so viel grösseres Quantum
desselben in sich enthält.
Denn nicht so ist die Entwicklung zu denken, dass die Versuchung oder
der Trieb bis zu einer gewissen Grösse anwüchse, bei welcher er sich
dann mit einem Schlage, wie die Mutterlauge in den Kristall, in den von
ihm wesentlich verschiedenen Entschluss umsetzte oder einen solchen
auslöste; sondern zwischen beiden ist nur ein gradueller Unterschied
vorhanden, nur ein Mehr oder Minder ebenderselben seelischen Bewegung.
Zwischen dem Gedanken der Tat, der Versuchung zu ihr, dem noch nicht
ganz gefestigten Entschlüsse, dem schüchternen, gewissermaassen
probeweisen Anfang, dem schliesslichen energischen Willen, der das
psychische Korrelat der Tat bildet, herrscht nirgends generatio aequivoca
und sind scharfe Teilstriche so wenig zu erkennen wie zwischen der Wurzel
der Pflanze und ihrem Stamm.
Die Praxis des Lebens freilich muss aus selbstverständlichen Gründen
irgendwo die Grenze ziehen, von der an sie für Gesinnung und Tat
gesellschaftliche und rechtliche Sühne fordert.
Allein die Rechtsprechung versucht doch mehr und mehr über die
äussere Tat und den in ihr unmittelbar ersichtlichen Willen hinaus, schon
die Vorstadien desselben, den Versuch und den Dolus vor ihr Forum zu
ziehen.
Bei der Bestrafung des Versuches ist die Steigerung der Strafe mit der
Annäherung an das Gelingen, von dem Versuch mit völlig untauglichen
(<249) Mitteln an, nur so zu verstehen, dass man den durch sie
bewiesenen stärkeren Dolus als Strafgrund ansieht.
Die Tat kann, äusserlich betrachtet, nur vollbracht oder nicht
vollbracht, der Wille zu ihr nach der gewöhnlichen rohen Psychologie nur
vorhanden oder nicht vorhanden sein; bedeuten aber die Stufen der
Willensentwicklung, die zu der Tat führt, entsprechend gesteigerte
Strafbarkeit, so kann dies nur aus der Überzeugung hervorgehen, dass, je
näher der Wille an die wirkliche Tat herankommt, er in um so höherem
Masse ihren Charakter und dessen Folgen trägt.
Verbrecher wissen es manchmal mit ausserordentlicher Deutlichkeit zu
schildern, wie der Gedanke ihrer Tat allmählich Macht über sie gewann,
wie die blosse Idee, irgend eine Untat begehen zu können, sich als
Versuchung herausstellte, und die Versuchung immer unwiderstehlicher
wurde, bis sie schliesslich in Entschluss und Tat überging und zwar ohne
dass zu diesem Definitivum noch eine qualitative Wandlung des seelischen
Zustandes erforderlich gewesen wäre.
Ja, gerade die letzte Vornahme und das wirkliche Tun erfolgt oft
gewissermaassen mechanisch, wie in einer suggestiven Vergewaltigung durch
das Vergangene, als ein nicht mehr aufzuhaltendes Weiterrollen der einmal
entfesselten inneren Bewegung, die das Bewusstsein mehr mitansieht und
über sich ergehen lässt, als dass es sich jetzt noch als die bewegende
Kraft fühlte.
Und so fällt die Grenze auch nach der anderen Seite: schon das
Versuchtwerden ist ein partielles Wollen; wer eine Speise versucht, nimmt
eben etwas von ihr, und die Sünde, die uns versucht, nimmt schon einen
Teil von uns hin.
Ein Gegenstand, der nicht in irgend einer Weise unsern Willen erregt,
wird nicht zum Gegenstand der Versuchung, des Triebes, ihn zu erlangen.
Mit der allmählichen, ohne scharfes Absetzen erfolgenden Entwicklung
des Willensprozesses bis zu seinem Endglied hängt es zusammen, dass die
Lust, welche wir uns eigentlich aus der Tat folgend vorstellen, sich doch
nicht ausschliesslich (<250) an sie knüpft, sondern schon den Weg zu
ihr begleitet.
Im Streben und Versuchen findet eine psychologische Vorwegnahme des
Zieles statt, es ist genug des letzteren in ihm, um einen Teil der
eigentlich nur diesem zukommenden Lust zu erregen.
Hier gewinnen die Ausmachungen des ersten Kapitels wieder Bedeutung.
Die Vorstellung eines Objekts, so hatten wir gesehen, befindet sich
ursprünglich in einem Indifferenzzustande, der erst der Bestimmung
darüber harrt, ob sie eine reale oder eine nur phantastische ist.
Da Realität auch nur eine Form von Vorstellungen ist, so sind
unzählige Übergänge und Mittelstufen zwischen ihr und der irrealen
Vorstellung, die nur als Gedankengebilde at exochn gilt, möglich; und
deshalb kann sich begreiflich die Gefühlsfolge, mit abgestuften Graden,
auch an alle diese Zwischenzustände der Vorstellung, von ihrer bloss
psychologischen bis zu ihrer logischen Wirklichkeit, knüpfen.
Deshalb trifft uns auch die Erinnerung an ein Geschehnis mit einem
wesentlichen Teile des Affekts, der sich an die Wirklichkeit jenes
heftete; Freude und Schmerz, Schreck und Bewegungsimpulse sind die Folgen
auch der erinnerten Vorstellung, die doch gerade so irreal ist, gerade so
sehr nur in unsrem Bewusstsein da ist, wie ihr Gedanke es vor seinem
Aufsteigen in die Kategorie der Realität war.
So hört der Schmerz der Entbehrung in dem Masse auf, wie wir uns dem
Ziele nähern, wenngleich materiell betrachtet noch die letzte Sekunde vor
dem Haben ebensogut Nichthaben ist, wie die Momente jeder beliebigen
Entfernung vom Ziel.
Aber eben jener scharfe Schnitt, jenes absolute Entweder-Oder der
äusserlichen und logischen Betrachtung gilt psychologisch und für die
Gefühlsreflexe nicht; die Qual des Durstes schwindet schon in dem
Augenblick, wo wir den Becher an die Lippen setzen.
Und zwar ist dies dadurch erklärlich, dass doch auch das Haben,
insofern es Willenserfüllung ist, nur psychologische Bedeutung hat und
nur in einer gewissen Beziehung zwischen uns und den Dingen besteht.
So wenig im Erkennen die Dinge in (<251) mein Vorstellen
überwandern, so wenig tun sie es im Haben; wie jenes nur eine Beziehung
und Wirkung zwischen den Dingen und dem Geist ist, so auch dieses.
Die Beschränkung alles bewussten Lebens auf Vorstellungen, die
Unfähigkeit des Geistes, über sich selbst hinaus das Ansich der Dinge zu
ergreifen, harrt für das praktische Gebiet noch der Anerkennung und
Anwendung, die sie auf theoretischem gefunden hat.
Dass der Besitz der Dinge auch nichts anderes bedeutet, wie eine
gewisse Art sie vorzustellen, dass demnach auch jeder Wert einer Sache
für mich auch nur in dem Gefühl besteht, von dem jenes Besitz genannte
Vorstellen ihrer begleitet ist - dies ist eine Erkenntnis, die noch nicht
durchgedrungen und fruchtbar geworden ist gegenüber dem naiven Realismus,
der den Besitz und Genuss einer Sache in ein absolutes Haben, ein
äusserlich realistisches Insicheinziehen setzt; dieser Realismus ist
freilich ebenso unklar wie verbreitet, so dass man ihn nicht besser auf
einen unmittelbaren und eindeutigen Ausdruck bringen kann, als den
erkenntnisstheoretischen Realismus, für den Vorstellungen Dinge an sich
sind.
Wenn man Leuten gegenüber, die nach grossem Besitz an Geld oder
kostbaren Gegenständen streben, öfters den populären Ausdruck hört:
»sie können es doch schliesslich nicht essen« - so enthält dies eine
Ahnung, eine symbolische Vorstellung davon, dass bei dem Besitzen des
Objekts noch immer eine ebenso unaufhebbare Grenze zwischen ihm und dem
Ich existiert, wie beim Erkennen desselben.
Gerade wie wir das absolute Ich aufheben und an seiner Stelle nur einen
Komplex von Vorstellungen als unsre Seele anerkennen müssen, so muss auch
der absolute Besitz an Äusserlichem fallen und an seine Stelle ein
blosser Vorstellungs- und Empfindungsmodus treten.
Ich halte diese Erkenntnis, die allen Besitz auf ein bloss
psychologisches Phänomen, allen Wert einer Sache auf eine blosse
Gefühlsfolge gewisser Vorstellungen reduziert, für sehr folgenreich und
zwar nicht nur für das wissenschaftliche Verständnis, sondern auch für
die Praxis; ich erinnere nur daran, (<252) wie sich der rohe Egoismus
gerade an die Vorstellung des absoluten äusserlichen Besitzes heftet, und
dass der Übergang vom individuellen zum Kollektivbesitz in vielen Fällen
sehr erleichtert werden könnte, wenn die Einsicht erst durchgedrungen
wäre, dass alle Bedeutung eines Besitzes, und sei es der persönlichste
und eifersüchtig ausschliessendste, nur in dem seelischen Reflexe der
Sache besteht und deshalb unzählige Male ganz derselbe bleiben würde,
wenn die begleitende Vorstellung des ausschliesslichen Eigentums fortfiele
- wie der Spiegelreflex eines Gegenstandes nicht darunter leidet, dass
eben derselbe noch in andere Spiegel die gleichen Strahlen wirft.
Es bedarf hoffentlich nicht der Abwehr des groben Missverständnisses,
als wollte ich leugnen, dass ebenso oft gerade durch das, was wir eben
Besitz nennen, ganz besondere und besonders intensive Empfindungen
ausgelöst würden.
Es handelt sich hier nur um die Beseitigung jener Unklarheit, der die
Ausschliesslichkeit des Besitzes häufig ihren Reiz verdankt, als
enthielte der Besitz noch über seine psychologischen Wirkungen hinaus
oder abgesehen von ihnen irgend eine absolute Bereicherung, als könnte
man sozusagen noch etwas anderes und mehr von dem Gegenstände haben als
ihn empfinden.
Dadurch würde die Besitzfrage im Allgemeinen in jene höhere
reinlichere Sphäre gerückt, der sie sich heute schon bei idealen
Gegenständen nähert, z.B. bei Kunstwerken, deren Genuss kein wesentlich
anderer ist, ob man sie persönlich besitzt, oder sie in einem Museum
sieht; denn etwas anderes als ansehn kann man sie in keinem von beiden
Fällen.
Ohne in die Verzweigungen dieses Gedankens weiter einzutreten, betone
ich für unsern augenblicklichen Zweck nur seine Folge für den Prozess
der Erwerbung eines Wertes.
Weil auch der reellste und definitivste Besitz nur in einem
psychologischen Vorgang, einem Gefühl, seine Bedeutung und seinen Wert
hat, darum ist verständlich, wieso die psychologischen Reflexe nicht erst
bei dem äussersten Masse des Besitzes, sondern schon bei der Annäherung
an dieses (<253) eintreten.
Wie das Erstreben objektiv ein mittlerer Zustand zwischen Haben und
Nichthaben ist, so ist es ein mittlerer Zustand zwischen Freude und Leid.
Auch eudämonistisch leben wir auf Vorschuss und der Reiz jenes
Teilbesitzes der Sache, den unsere Phantasie noch während des Strebens
erwirbt, ist ebenso unleugbar wie dass die Lust des tatsächlich
erreichten Zieles sehr vielfach und gerade bei den tiefsten Genüssen
idealer wie sinnlicher Art die Vorstellung nicht entbehren kann, dass noch
immer ein Allerletztes zu gewinnen bleibt.
Der ideell antizipierte Besitz einer Sache, während wir sie erstreben,
erfüllt uns schon mit einem Teil der Freude, um derentwillen ihr realer
Besitz erstrebt wird und die Hoffnung der Lust enthält die Lust der
Hoffnung.
Auch einer der Reize des Spieles beruht darauf: die Handlung, welche
voraussichtlich zum Gewinn führt, bringt einen Teil von der Lust des
Gewinnes selbst mit sich.
Auf physiologischem Gebiet zeigt sich das Gleiche unter anderem in dem
Lustgefühl, welches die sexuelle Aufregung lange vor ihrer Befriedigung
begleitet, und das in seiner feinsten Zuspitzung und Vergeistigung
vielleicht den Hauptreiz der Koketterie bildet, indem diese die Gewährung
der Gunst nahe genug vor Augen rückt, um ein Teilchen der mit letzterer
verbundenen Lust hervorzurufen.
Schon im Tierreich finden sich deutliche Beweise für die Lust, die in
der Erwartung der Lust besteht und die stark genug ist, um den Genuss
freiwillig hinausschieben zu lassen, wenn dadurch eine Verlängerung jenes
Vorstadiums erreicht wird.
Ich erinnere an das Spiel der Katze mit der Maus, der Fischotter und
des Kormorans mit dem Fische, sowie daran, dass man die allenthalben
hervortretende Zurückhaltung und Weigerung des Weibchens gegenüber der
Werbung des Männchens mit grosser Wahrscheinlichkeit so erklärt hat,
dass dadurch eine Verlängerung des Vergnügens eintritt, das in dem
sinnlichen Genuss zwar gipfelt, aber keineswegs ausschliesslich besteht.
Der Reiz gefährlicher Schauspiele, die in Zirkussen von
Seiltänzern,(<254) Trapezturnern usw. der Menge mit so grossem Erfolge
dargeboten werden, ist wohl hauptsächlich aus einem Rudiment der
Grausamkeitswollust zu erklären.
Bei noch roherer Empfindung sättigte sich diese etwa an
Gladiatorenkämpfen, von denen die Stierkämpfe gewissermaassen einen
Übergang zu jenen feineren Formen des Spielens um das Leben darstellen.
Jetzt knüpft sich das Vergnügen schon an die Vorstadien des
eigentlichen Grausamkeitsmomentes, das an der Vernichtung eines Menschen
Wollust finden lässt, und es ist um so grösser, in je grösserer Nähe
dieses definitiven Momentes sich der Vorgang begibt.
Die Erregung und Fortgerissenheit des Publikums steigert sich in dem
Grade der grösseren Gefährlichkeit des Schauspiels, nimmt also mit der
Höhe über dem Boden, in der die halsbrechende Produktion stattfindet,
und mit dem Mangel an Sicherheitsvorrichtungen zu.
Die blosse Gefahr, die Andeutung des die Grausamkeitslust definitiv
befriedigenden Ausgangs hat für die Empfindung die Stelle dieses
letzteren eingenommen, und zwar mit derartiger Festigkeit, dass die Lust
bei diesem selbst jetzt versagen würde.
Von dem tödlichen Erfolge eines solchen Spieles würden sich die
Meisten unlustvoll abwenden, die durch die Steigerung ihres Interesses mit
der Annäherung an diesen Erfolg beweisen, dass dessen Vorempfindung doch
das eigentliche Lustmoment ausmacht.
- Die Vorstellung des Zieles repräsentiert also nach alledem nicht nur
überhaupt psychologisch die Wirklichkeit dieses letzteren noch vor seiner
Erreichtheit; sondern sie tut es so energisch, dass sie sogar diejenigen
Gefühlsreflexe vorwegnimmt, die eigentlich erst die Folge des wirklich
eingetretenen gewollten Ereignisses ausmachen.
Nun ist nicht zu leugnen, dass der Prozess der Willensentwicklung sich
schliesslich sehr verdichtet und oft nur seine Hauptstationen im
Bewusstsein kund gibt, so dass dasjenige, was eine geschärfte
Selbstbeobachtung als kontinuierlichen Verlauf, allmähliche Steigerung
der gleichen Energie zeigt, als Aufeinanderfolge diskontinuierlicher
psychischer Momente von ganz (<255) verschiedenem Wesen erscheint.
Auch verhindert die Kontinuität der Entwicklung vom Triebe zur Tat
nicht, dass die verschiedenen Strecken derselben mit sehr verschiedener
Geschwindigkeit ablaufen.
Oft bleibt der Wille lange Zeit in den ersten Stadien der Versuchung
stehen, um dann mit grösster Geschwindigkeit alle übrigen durchlaufend,
fast plötzlich am Entschlusse zu münden.
Dann erfolgt wieder die Entwicklung der Triebe sehr schnell bis zu dem
Moment unmittelbar vor dem Entschlusse, um hier Halt zu machen und lange
der Kraft für diesen zu entbehren.
Manchmal geht sie auch sozusagen unterirdisch vor sich, indem der rege
gewordene Trieb zum Verbotenen scheinbar von den entgegengesetzten
Triebfedern überboten und das Bewusstsein nur von diesen erfüllt ist;
plötzlich aber sehen wir gewissermaassen zu unsrem eigenen Erstaunen,
dass wir zu der verbotenen Handlung doch entschlossen sind; das ist
namentlich der Fall bei feigen und ethisch eitlen Naturen, die sich die
eigene Unsittlichkeit so lange wie möglich zu verbergen lieben.
Alles dies erschwert die Einsicht, dass das scheinbar Verschiedene, das
wir Versuchung, Trieb, Entschluss nennen, desselben Wesens ist; aber es
macht sie doch nicht unmöglich.
Die Versuchung ist immer ein wenn auch noch unvollkommenes Wollen und
unterscheidet sich durch kein Kennzeichen von dem, was wir Trieb nennen -
nur dass bei ihr mehr das äussere veranlassende Moment ins Auge gefasst
wird; und was den Trieb anlangt, so liegt keine Veranlassung vor, ihm ein
Ich oder einen sittlichen Willen gegenüberzustellen, von dem er erst
Kraft oder Erlaubnis erhielte, den zuzurechnenden Entschluss
hervorzurufen.
Es genügt die viel einfachere und deshalb schon methodisch
vorzuziehende Annahme, dass der Entschluss zum Unsittlichen nur ein Mehr
derjenigen seelischen Energie darstellt, die die Versuchung zu einer
solchen macht; die Herausbildung von jenem aus dieser erfolgt nicht durch
das Eingreifen eines Willens, der nun mit einem Schlage die Verantwortung
hinzubrächte, sondern ein kontinuierlicher Weg führt durch Entwicklung
(<256) latenter Kräfte oder durch Hinwegfallen entgegenstehender
Triebe von der Versuchung zum Entschluss, der sich rein psychisch
angesehen von jener nur quantitativ unterscheidet.
Von hier muss nun auch die Entscheidung zwischen den verschiedenen
Schuldbegriffen erfolgen, die sich typisch darstellen in der Frage des
Dichters, ob denn Liebe schon ein Verbrechen sein könne, die er mit Nein
beantwortet haben will, und in der entgegengesetzten Behauptung Jesu, dass
schon der begehrliche Blick nach dem Weibe des Nächsten das Verbrechen
des Ehebruchs in sich schliesse.
Mir scheint es in der Tat, als ob an dem Triebe, der als Versuchung in
uns aufsteigt, ein Teil der Schuld hafte, die dem Entschlusse zur Tat
zukommt, und zwar ein Teil, der nur durch quantitative Steigerung zum
Ganzen wird.
Nur wenn man die Begehrung vom Entschlusse durch einen scharfen Schnitt
unversöhnlich trennt, wenn statt des quantitativen Unterschieds der
Willensenergie ein qualitativer gesetzt wird, kann die zweiseitige
Übertreibung stattfinden, dass man die Begehrung entweder völlig von
Schuld befreit oder ihr die völlige Schuld des Entschlusses zuspricht.
Sind im Einzelnen Einflüsse auf den Willen vorhanden, die seine Schuld
mildern, so vermindern sie auch die Schuld des Entschlusses und der Tat.
Gibt es keine solche, so ist zweifellos auch die Versuchung und alle
weiteren Stadien der Begehrung in dem Masse schuldig, in dem eben ein
Wille in ihnen liegt, ohne den Versuchung nie Versuchung sein könnte.
Von Kindern, welche etwas Verbotenes getan haben, hört man oft als
Entschuldigung: »Ich wollte es doch aber so gern!« Die Stärke der
Versuchung soll hier als Rechtfertigung für die verbotene Tat gelten.
Und zwar mit vollem Recht, wenn der Trieb und das Verlangen
gewissermaassen als objektive Gegebenheiten angesehen werden, die der
verantwortbare Wille als eine besondere, aus ganz anderen Quellen als er
selbst fliessende Macht vorfindet; durch eine derartige Anschauung
(<257) freilich, die einen Menschen in den Menschen hineinsetzt, kann
dieser nicht dafür verantwortbar gemacht werden, wenn jene Kräfte
stärker sind, als er.
Erkennt man aber, dass auch schon in ihnen ein Quantum desselben
Willens steckt, der mit der Tat in die Erscheinung tritt, so steht man
jener Ausrede nicht mehr wehrlos gegenüber.
Nicht die Versuchung wird so gross, dass der Wille ihr nicht länger
widerstehen kann, sondern der Wille selbst wächst eben zu der Höhe des
Entschlusses an.
Der Bestrafte hält oft die Strafe für ungerecht, weil er, von
falscher Denkgewohnheit betrogen, zu fühlen glaubt, dass er der Stärke
seines Verlangens eben nicht widerstehen konnte.
Deshalb ist es für die ethische Pädagogik von höchster Wichtigkeit,
dem Schüler die Stationen ins Bewusstsein zu erheben, durch welche das
Verlangen gegangen ist, bevor es zu der verderblichen Grösse anwuchs und
ihm nachzuweisen, wieviel von dem, was man freien Willen nennt, sowohl in
der Entwicklung der einzelnen Tat wie der ganzen Seelenbeschaffenheit
schon bis zu demjenigen Punkte steckt, wo man nach der falschen populären
Substanziierung der Seelenkräfte erst den sittlichen Willen in das Spiel
der natürlichen Triebe und Versuchungen meint eingreifen zu sehen.
Die Freiheitsfrage, in deren gefährliche Nähe sich diese Erörterung
begibt, braucht doch in keiner Weise hineingemischt zu werden.
Das Mass von Freiheit, dessen man zu bedürfen meint, wenn man von
Schuld und Verdienst spricht, mag zugegeben werden oder nicht; hier
handelt es sich nur darum, wenn einmal Schuld und Verdienst zugestanden
wird und soweit es zugestanden wird, da einen Zusammenhang und eine
einheitliche Entwicklung aufzudecken, wo der Trieb nach Personifikation
der Seelenvorgänge zum Schaden des psychologischen und ethischen
Verständnisses eine Diskontinuität und Gegensätzlichkeit zwischen
Anfang und Zielpunkt der Willensentwicklung gesetzt hat.
Von ihm war auch jener ungerechtfertigte Rigorismus ausgegangen, der
die Stoiker behaupten liess, Sünde sei eben Sünde und Gradunterschiede
in ihr gäbe (<258) es nicht, und der das christliche: Wer nicht für
mich ist, der ist gegen mich - zur Devise der sittlichen Forderung
überhaupt macht.
Die ganze psychologische Unkenntnis, durch welche sich streng
dogmatische Standpunkte auszuzeichnen pflegen, spricht hieraus und schafft
vor allem auch in pädagogischer und praktischer Beziehung gerade das
Gegenteil der beabsichtigten ethischen Wirkung.
Denn wo das leichtere und das schwerere Vergehen auf die gleiche Stufe
gestellt werden, da bewirkt die aus dem grösseren Unrecht erwartete
grössere Lust, dass der Abscheu vor der grösseren Unsittlichkeit sich
herabmindert, ohne dass der vor der geringeren entsprechend wüchse - wie
überhaupt bei der Gleichstellung höherer und niederer Stufen die bessere
zu verlieren, aber die schlechtere nicht zu gewinnen pflegt.
Die unendlich kleinen Schritte, unter deren Annahme wir die reale
Entwicklung der Welt verstehen, müssen wir auch in der idealen Reihe
zwischen dem höchsten Gut und dem tiefsten Bösen anerkennen.
Wie sich die Individuen ihrer Sittlichkeit nach in eine Skala einordnen
lassen, innerhalb deren kein Unterschied der kleinste ist, sondern immer
noch feinere Vermittlungen auffindbar sind, so ordnen sich auch die
einzelnen moralischen Handlungen in eine Reihe, die einen scharfen
Grenzstrich nirgends erkennen lässt.
In Bezug auf sexuelle Sittlichkeit etwa führt von der züchtigsten
Frau bis zur Strassendirne herab eine Stufenleiter unendlich fein und
langsam abschattierter vermittelnder Erscheinungen; und dasselbe gilt für
die einzelnen Äusserungen dieses Gebiets von dem ersten keuschen Anblick
und Händedruck bis zum orgastischen Gewähren des Letzten.
Das starre Entweder-Oder im sittlichen Urteil entspringt der Furcht,
dass jene Allmählichkeit der Übergänge den Unterschied zwischen gut und
böse in seiner Bestimmtheit verwische.
Jener billige Skeptizismus, nach dem es nie zu einem Haufen Körner
kommen kann, weil man, von einem Korn zu zählen beginnend, nicht
anzugeben vermag, bei welcher Zahl sie zu einem Haufen werden, scheint es
auch zum (<259) Guten und Bösen nicht kommen zu lassen, da der
kontinuierliche Übergang zwischen ihnen nicht gestattet, dass man
irgendwo definitiv sage: Hier ist das eine und dort ist das andere.
Für unseren Begriff von Schuld und Verdienst ist dem vorgebeugt.
jener Skeptizismus kann nur da wirken, wo von einer Frage des blossen
Quantums die Anwendung eines bestimmten Begriffs abhängig ist.
Da allerdings wird durch die Stetigkeit bloss quantitativer
Verhältnisse die Grenze für die Berechtigung jenes leicht unsicher
werden.
Wäre also der oberflächliche Begriff des Verdienstes der richtige,
nach dem einfach die sittliche Güte von einem gewissen Masse an seine
Anwendung provoziert, so würde die Kontinuität in den Massbestimmungen
keinen festen Grenzstrich für den Beginn der Verdienstlichkeit zulassen,
der für uns unverkennbar da liegt, wo überhaupt die Überwindung
unsittlicher Triebfedern durch sittliche festzustellen ist.
Die Schuld ist das Gegenstück des Verdienstes, der entgegengesetzte
Pol der sittlichen Welt, oder anders betrachtet, die andere Hälfte
derselben.
Das System der Ethik als Kompendium der sittlich geforderten Handlungen
hat freilich mit Verdienst und Schuld nichts zu tun; es stellt objektiv
dar, was geschehen soll, gleichgültig, ob es geschieht und wie es
subjektiv geschieht.
Dieser ideale Kodex hat aber zu dem wirklichen Geschehen ein sehr
ungleichartiges und schwankendes Verhältnis, welches die Realität des
menschlichen Handelns bald als verdienstvoll, bald als schuldvoll
erscheinen lässt.
Liefen unsere Handlungen genau so streng nach der idealen Norm der
Ethik ab, wie nach der Norm der Naturgesetze, wäre der Gedanke einer
Abweichung von ihnen in derselben Weise ausgeschlossen, so würde uns der
Gedanke einer sittlichen Welt als Gegenstandes einer besonderen
Untersuchung vielleicht gar nicht kommen.
So paradox es klingt: die einfach gute, mit der ethischen Norm von
selbst übereinstimmende Tat, an der weder die Schuld einer
vorhergegangenen (<260) Versuchung noch das Verdienst an der
Überwindung derselben haftet, hat nur insofern ein Interesse für die
Ethik, als sie in irgendeinem Verhältnis zu Taten von Schuld oder
Verdienst steht; an sich ist sie ethisch ebenso gleichgültig wie die
Schönheit der Rose ethisch gleichgültig ist.
Wiese das Sein nicht wechselnde Verhältnisse zum Sollen auf, so würde
die Vorstellung einer besonderen Sittlichkeit so wenig entspringen, wie
die Idee eines Schönen, wenn alles Seiende die gleiche ästhetische
Vollendung besässe.
Es könnte nun scheinen, als ob sich klare Begriffe von Schuld und
Verdienst durch die Annahme ergeben würden, dass sich das Verdienst in
demselben Masse über die einfache Pflicht und Schuldigkeit erhebt, wie
die Schuld hinter dieser zurückbleibt.
Allein das ist unmöglich; kein Verdienst kann sich über die Pflicht
erheben, sondern es kann nur entstehen, indem die Pflicht sich
psychologisch gegen entgegenstehende Willensbewegungen siegreich
durchsetzt.
Damit aber scheint die Korrespondenz zwischen Verdienst und Schuld
aufgehoben.
Denn das erstere kann nie mehr tun als die Pflicht, während die
letztere entschieden weniger tut.
Nicht jede Pflichterfüllung enthält schon ein Verdienst, aber jede
Pflichtvergessenheit enthält eine Schuld -eine Bestimmung, die uns nun in
die letzten Tiefen der ethischen Fundamente führt.
So viel über diese noch unsicher und streitig sein mag, die eine
Erkenntnis kann man wohl als für immer gesicherte Errungenschaft ansehen:
dass von einer Verpflichtung in dem Sinne, dass ihre Verletzung eine
Schuld ist, nur insoweit die Rede sein kann, als jene Verpflichtung
bewusst psychologisch vorhanden ist.
Wer sich keiner Verpflichtung bewusst ist, kann sie auch nicht
schuldvoll verletzen.
Denn es gibt keine Verpflichtung, sich verpflichtet zu fühlen, kein
Sittengesetz, ein Sittengesetz anzuerkennen, genau so wenig wie es ein
Naturgesetz gibt, das bestimmte, dass es Naturgesetze geben müsse, oder
einen Beweis für die Wahrheit des Satzes, dass es eine Wahrheit gibt.
Beides, die Herrschaft von Naturgesetzen wie das (<261) Bewusstsein
von Sittengesetzen sind blosse Tatsachen, deren Notwendigkeit, dort die
reale, hier die moralische, nicht ohne einen logisch und sachlich
unmöglichen Zirkel aus demjenigen Muss oder Soll herzuleiten ist, das
sie, wenn sie einmal da sind, nun für ihre speziellen Inhalte
aussprechen.
Von jedem Menschen kann nur das Handeln gemäss seiner bewussten
Pflicht verlangt werden, aber nicht, dass ihm eine Pflicht bewusst sei,
die es nun einmal nicht ist.
Deshalb hat Jesus auch mit vollem Recht denen Vergebung sichern wollen,
welche nicht wissen, was sie tun; und dass Unkenntnis des Gesetzes nicht
vor Strafe schützt, wird in scharfer Durchführung dem sittlichen
Bewusstsein stets als eine Ungerechtigkeit erscheinen, die gegen den
Einzelnen begangen wird und freilich aus dem praktischen Gesichtspunkte
begangen werden muss, dass andernfalls dem Übeltäter ein höchst
dehnbarer und schwer widerlegbarer Vorwand gegeben wäre, und dass
vermittelst der durchgängigen Bestrafung und Tat dafür gesorgt wird, die
Kenntnis des Gesetzes möglichst allgemein zu machen; darum aber bleibt
die Ungerechtigkeit im einzelnen Falle nicht minder bestehen, die
übrigens das Strafrecht durch Modifikation der Strafe bei Annahme der
bona fides wenigstens gelegentlich aufzuheben sucht.
Es ist freilich eine oft gehörte und auch richtige sittliche
Vorschrift, dass man die sittliche Gesinnung in sich selbst stärken und
heben solle, wonach es als Pflicht erscheinen könnte, eine höhere
Pflicht anzuerkennen, als man sie tatsächlich anerkennt.
Allein hierin liegt eine Unklarheit; denn ich erkenne ja die höhere
Pflicht unmittelbar dadurch an, dass ich mir vorsetze, sie anzuerkennen.
Ich kann mir nur vornehmen und den Vorsatz in mir kräftigen, künftig
nach höheren Idealen zu handeln, als ich sie bis zu diesem Augenblick
gehegt habe, ein Vorsatz, bei dessen Ausführung ich nicht anders als bei
der Erziehung eines Dritten verfahre; aber höhere Ideale zu haben, kann
ich mir nicht vornehmen, weil ich sie ja im selben Augenblick schon habe.
Gehen wir von diesem Grundsatz ab, stellen wir eine (<262)
schlechthin objektive Moralforderung auf, deren Nichterfüllung in jedem
Falle, ganz abgesehen von dem persönlichen Bewusstsein über sie, Schuld
bedeutet, so ergeben sich eine Reihe der grössten Missstände.
Zunächst der schematische Rigorismus, der notwendig bei
Veräusserlichung und blosser Legalität des Handelns mündet; das
notwendige Widerspiel dazu, ein Subjektivismus, der die Vorstellung einer
absoluten Pflicht mit einem doch immerhin nur persönlich geglaubten
Inhalt erfüllt und diesen zum Massstab der moralischen Beschaffenheit
aller Andern macht; endlich die Gefahr, theoretische Irrtümer ins
Gewissen zu schieben, den Mangel an Erkenntnis der Pflicht für ebenso
schuldvoll zu halten wie den Mangel an Erfüllung der erkannten.
Wir müssen demnach scharf unterscheiden zwischen dem Kodex sittlicher
Gesetze, den wir uns als den Inhalt eines rein normativen Sollens denken,
und der Abspiegelung, welche derselbe mehr oder weniger verändert und
unvollkommen im individuellen Bewusstsein findet.
Nur das Abweichen von dieser letzteren kann eine Schuld begründen.
Von hier gewinnen wir nun den Parallelismus mit unserem Begriff des
Verdienstes wieder.
Wie die Erscheinung der Pflichterfüllung uns nicht nur, wie Kant
meinte, die Auskunft darüber verweigert, ob sie aus Gründen der
Moralität oder der blossen Legalität geschieht, sondern auch, ob sie
verdienstvoll ist oder nicht; wie Verdienst nur vorhanden ist, wenn sich
das Sittliche im Widerstreite gegen ein psychologisch vorhandenes
Unsittliches durchsetzt, so ist von Schuld nur da zu sprechen, wo das
Unsittliche entgegen einem psychologisch vorhandenen Sollen geschieht.
Dies apelliert freilich an die eigenste innere Erfahrung: die Begriffe
Verdienst und Schuld sind ihrem Sinne nach vorläufig so wenig durch eine
exakte Methode festzustellen, dass der Ethiker nicht viel mehr tun kann,
als das eigene Bewusstsein davon möglichst klar zu analysieren.
Denn so sicher es mir scheint, dass, wenn beide Begriffe einen,
eigenartigen Sinn haben und sich von (<263) den äusserlich legalen und
ohne spezifisch sittliches Bewusstsein vollbrachten Handlungen
unterscheiden sollen, es eben mir dieser Sinn sein kann, so lässt sich
doch kein Beweis dafür führen.
Ich will aber wenigstens darauf hinweisen, dass genau wie die Mythe dem
Heiligen die Versuchung unterlegt, um ihm Verdienst zusprechen zu können,
sie entsprechend den Schuldigsten, Luzifer, einen gefallenen Engel sein
lässt, um die Tiefe seiner Schuld an dem klarsten Bewusstsein des Rechten
zu zeigen, das dem Engel aus dem Anschauen Gottes quillen musste.
Nun bat allerdings unser Schuldbegriff eine Folge, die der
gewöhnlichen Auffassung widerstreitet. Gerade die grössten Scheusale und
Bluthunde, die uns die Geschichte zeigt, ein Kaligula, Ezzelino, Iwan der
Schreckliche, Danton sind danach In geringerem Masse schuldvoll als der
Schrecken und die Empörung, die sich an ihren Namen knüpfen, schliessen
lassen.
Denn in diesen Naturen war offenbar von vornherein ein so unklares
Bewusstsein des Guten vorhanden, es hatte eine so geringe Kraft, dass sich
das Böse sofort und ohne Widerstand zu finden ausbreiten konnte; das
subjektive Bewusstsein der Sünde, das die Bedingung der Schuld ist, war
bei ihnen wahrscheinlich nur in ganz unbedeutendem Masse vorhanden.
Dass wir tatsächlich dennoch einen äusserst starken moralischen
Abscheu vor ihnen empfinden, ist durch den positiven Schaden erklärlich,
der von solchen Persönlichkeiten ausgeht.
Äusserlich angestifteter Nutzen oder Schaden, wie er der Ursprung
aller moralischen Beurteilung ist, ist uns als Urteilsgrund zu fest
vererbt, die Menschheit ist zu egoistisch, um nicht mit dem Fluch
höchster Schuld diejenigen zu brandmarken, die ihr grossen Schaden
zufügen, -in vielen Fällen gewiss mit vollem Recht, in anderen mit
geringerem.
Zudem legen wir, an ein gewisses Durchschnittsmass von sittlichem
Bewusstsein gewöhnt, dasselbe von vornherein jeder Persönlichkeit unter,
und das Mass, in dem sich die Tat von diesem abhebt, erscheint uns als das
Mass ihrer Schuld.
Wenn wir Schuld wie Verdienst, die eine tiefere (<264) Analyse nur
in dem rein innerlichen Verhältnis psychologischer Faktoren zu erkennen
vermag, dennoch der Tat nach ihrer äusseren Erscheinungsseite zusprechen,
so geschieht es auf die Gattungserfahrung von dem Durchschnittsquantum
sittlicher und unsittlicher Antriebe hin.
Die populäre Vorstellung des Verdienstlichen (opera supererogativa,
consilia im Gegensatz zu praecepta), als bedeute es mehr als die
Erfüllung der Pflicht, beruht auf einer Verwechslung dieser letzteren als
einer absoluten Norm, über die hinaus es keine höhere gibt, mit dem
Grade ihrer durchschnittlichen Erfüllung, an welchen sich die populäre
sittliche Forderung angepasst hat, und den zu übertreffen nun als ein
Hinausragen über die Pflicht überhaupt erscheint.
Für unseren Begriff von Verdienst und Schuld aber rechtfertigt sich
diese ihre Abmessung am Verhältnis der äusseren Taten zu einem
Durchschnittsniveau derselben so, dass die mittlere Handlungsweise der
Menschen die Folge der durchschnittlich vorhandenen sittlichen und
unsittlichen Triebfedern ist, zwischen denen die Spannung nicht gross
genug ist, um ein Bewusstsein ihres Widerstreits zu erregen.
Wo nun die Tat ihrer Erscheinungsseite nach sich von jenem Niveau
entfernt, da schliessen wir, dass auch das Verhältnis der psychologischen
Motoren, die ihren sittlichen Wert bestimmen, ein anderes sein wird, und
können ohne Gefahr, die objektive Pflicht auf jenes Durchschnittsniveau
herunterzuschrauben, es dennoch als den Nullpunkt zwischen Verdienst und
Schuld ansehen.
Gewinnen wir so die Möglichkeit, unsere Abschätzung der Schuld nach
dem alleinigen Massstab des bewussten entgegengesetzten Sollens mit der
gewöhnlichen Auffassungsweise zu vereinigen, welche die äussere Tat und
ihre sozialen Folgen zum Massstab der Schuld macht, so bleiben doch die
folgenden Bedenken noch bestehen.
Wenn eine Handlung als Verdienst oder als Schuld zugerechnet werden
soll, so ist dies nach dem Bisherigen nur so möglich, dass zwei
Strebungen entgegengesetzten Charakters in der Seele vorhanden sind und
(<265) dass das Mass von Verdienst oder Schuld, das dem schliesslichen
Siege der einen zukommt, sich an der Kraft bestimmt, die die andere ihr
entgegengesetzt hat und die sie hat überwinden müssen.
Darin aber liegt ein Hindernis, überhaupt zu einem angebbaren Mass von
Schuld oder Verdienst zu kommen.
Denn beides kann sich offenbar nur an den Überschuss der einen
Bestrebung über die andere heften, weil, soweit sie sich äquivalent
sind, das Verdienst, das der einen zukommt, sittlich durch die Schuld
aufgewogen wird, die sich an die andere knüpft.
So weit Gutes und Böses noch mit gleicher Kraft in unserer Seele sich
gegenübersteht, ist unser Wille weder definitiv schuldvoll noch
verdienstvoll.
Erst in dem Augenblick, wo das eine das andere niedergerungen hat,
tritt eines von beiden ein.
Nun liegt aber auf der Hand, dass hierzu nur ein Minimum von
Übergewicht des schliesslich entscheidenden Antriebes erforderlich ist,
dass auch zu den besten Taten nur ein kleines Wenig von überwiegender
Sittlichkeit gehört, und dass deshalb das Verdienst an denselben, wenn es
sich ausschliesslich an diesem Überschuss messen soll, gar nicht als
endliche Grösse erkannt werden kann.
Und hier zeigt sich denn allerdings eine Schwierigkeit, die die ganzen
Begriffe von Verdienst und Schuld betrifft.
Wenn wir die falsche Hypostasierung aufheben, die Schuld und Verdienst
von einem ganz besonderen, in den Mechanismus der seelischen Strebungen
unverständlich eingreifenden Willen abhängig macht, welcher im einzelnen
Fall nur gut oder nur böse sein könne; wenn wir vielmehr auch diese
Begriffe auf Prozesse zurückführen müssen, deren Faktoren unter
gleichen Gesetzen und auf gleichem Boden stehen; wenn ferner die sittliche
Schätzung einer Bestrebung abhängig ist von dem Masse der Kraft, welches
die entgegengesetzte, überwundene besessen: so folgt notwendig, dass auch
diese letztere in der Bilanz von Schuld und Verdienst nicht einfach
übergangen und ausgelöscht werden kann; dass also mit einem Wort, wo ein
grosses Verdienst vorliegt, weil eine grosse Versuchung, (<266) eine
starke Bestrebung zum Bösen erst überwunden werden musste, da doch auch
eben deshalb eine grosse Schuld vorliegt; es ist eine sehr richtige
Symbolik, nach der die Erkenntnis des Guten und des Bösen an einem Baume
wächst.
Ist die Versuchung, wie ich erörterte, keine äusserlich an uns
herantretende Macht, sondern wird sie erst in unsrem Innern zur Versuchung
und ist sie deshalb in demselben Masse schuldvoll, in dem sie schon Macht
über unseren Willen besitzt, so mischt sich diese Schuld doch zu gleichen
Rechten in die Gesamtbeurteilung der sittlichen Persönlichkeit, wie die
entgegengesetzte Bestrebung, die im Endresultate jene freilich überragte.
Wir haben kein Recht, denjenigen Charakter, den die Handlung durch ein
vielleicht nur sehr geringes psychologisches Übergewicht des sittlichen
Antriebes trägt, allein zu betonen und den fast ebenso starken
unsittlichen zu vernachlässigen und nachträglich zu eliminieren.
Und ebenso umgekehrt: wenn wir angesichts der siegreichen Sittlichkeit
den Feind nicht vergessen dürfen, auf Kosten dessen sie triumphierte, der
aber doch als Teilinhaber derselben Persönlichkeit in deren Verdienst
eine seiner Kraft entsprechende Schuld mischt, so können wir auch die
sittlichen Impulse nicht übersehen, deren Bewusstsein die Schuld erst
wahrhaft zur Schuld macht und ihr das Mass bestimmt nach der Kraft, deren
es zu ihrer Überwindung bedurfte.
Aber eben diese sittlichen Impulse, wenn sie auch schliesslich in der
Minorität bleiben, dürfen doch für die sittliche Bilanz nicht
schlechthin ausgelöscht werden.
Wenn wir jemandem eine besonders hohe Schuld an seiner unsittlichen Tat
deshalb zurechnen, weil wir ein besonders scharfes Bewusstsein des Rechten
und besonders starke Triebe nach der guten Seite bei ihm voraussetzen, so
muss doch in dem Masse, wie die Versuchung zum Guten, wenn ich diesen
Ausdruck brauchen darf, seine Schuld erhöht, eben dies Moment der
Sittlichkeit ihm als solches angerechnet werden.
Auch ist dies nicht so zurückzuweisen, dass das Bewusstsein der
Pflicht und des Rechten (<267) in solchen Fällen ein rein
theoretisches sei, das keine praktische Sittlichkeit in sich schlösse;
denn wäre dies der Fall, so kann es der Verwirklichung des Bösen nicht
den Widerstand entgegensetzen, den es ihr tatsächlich entgegensetzt und
der die Grösse der Schuld begründet; mit Recht sagt der Sprachgebrauch
von einem sittlichen Menschen, er kenne seine Pflicht, und reduziert damit
den Unterschied zwischen dem Kennen und dem Ausüben derselben.
So wenig wir einen Gegenstand schön nennen können, der uns nicht
wirklich gefiele, wenn auch das Moment des Gefallens im schliesslichen
Gesamtgefühl gegenüber dem Gegenstand durch Momente des Missfallens
überwogen werden mag, so wenig können wir ein Handeln Pflicht nennen,
wenn wir nicht wirklich uns in derjenigen Weise daran gebunden fühlen,
die den Inhalt des Begriffes Pflicht bildet.
Wenn die Versuchung zum Bösen kein blosses Bild ist, das in uns
aufsteigt, sondern eine wirkliche Macht, die unser Handeln zu bestimmen
strebt, oder richtiger, die einen Teil unseres Willens wirklich bestimmt,
so können wir auch an dem Pflichtbewusstsein, selbst wenn es schliesslich
das Handeln nicht bestimmt, die reale Kraft nicht verkennen, mit der es in
unserem Seelenleben wirkt und die ihm unter anderen Umständen die
Bestimmung über unser Handeln verschafft oder wenigstens die Kraft der
unsittlichen Triebfedern zu schwächen hinreicht.
Die Umstände des Lebens stellen den Handelnden freilich oft genug vor
die scharfe Alternative, das Gute wie das Böse entweder ganz zu tun oder
ganz zu lassen, und in der einzelnen Tat verschwindet diejenige
Triebfeder, die sich nicht hat durchsetzen können, vollkommen.
Die Tat erscheint so, als ob diese von vornherein nicht dagewesen
wäre.
Wenn wir aber, unter die Oberfläche der Erscheinungen herabsteigend,
die Gesamtbeschaffenheit des sittlichen Charakters prüfen wollen, so
zwingt uns das Wechselverhältnis zwischen Verdienst und Schuld, indem
eines immer das andere zur Voraussetzung hat, auch dasjenige Moment
einzurechnen, das schliesslich zwar nicht äusserlich (<268) wirksam
geworden ist, aber doch durch sein Vorhandensein dem andren, die
Erscheinung hervorbringenden, das Mass seiner sittlichen Qualität
bestimmt.
Wer sich höchste Ideale steckt, wird dadurch um so verantwortlicher;
er unterstellt sich damit freiwillig einer höheren und strengeren
Gerichtsbarkeit.
Es ist aber eben schon sittlicher, dass er sich diese Ideale steckt;
die Schuld der Abweichung von ihnen wird so mehr oder weniger durch das
Verdienst ausgeglichen, sie überhaupt zu haben.
Es liegt deshalb ein Teil Gerechtigkeit, aber auch ein Teil
Ungerechtigkeit in der Tatsache, dass die Rache dessen, was man sittliche
Weltordnung nennt, für gelegentliche Verletzungen sich am strengsten an
den Menschen vollzieht, die im übrigen die sittlichsten sind - und zwar
sowohl in Bezug auf Ahndung durch die Gesellschaft, wie durch das eigene
Gewissen.
Durch diesen Begriff von Verdienst und Schuld, der jedes von ihnen nur
durch ein aktives Verhältnis zum andern entstehen lässt, gewinnt das
ganze Gebiet des Sittlichen eine ausserordentliche Bewegtheit und
Belebtheit.
Die zuzurechnende Sittlichkeit erscheint nicht mehr als eine ruhende
Qualität, sondern als ein Prozess; durch den Kampf der verschiedenartigen
Motive, der erst im Unendlichen in die Versuchungslosigkeit des Heiligen
mündet, wird sie aus dem Sein in das Werden übergeführt.
Das Gute wie das Böse hat so stets den Gegensatz bei sich, an dem es
sich erweist, und selbst bei relativer Festigkeit und eindeutiger
Bestimmtheit in einem derselben liegt das eigentlich sittliche Moment in
(<269) den Vorgängen zwischen beiden Kräften, deren Resultat erst
jene Alleinherrschaft der einen ist, wie sich denn allenthalben die
Qualität eines Menschen viel mehr im Erwerben als im Besitzen, rein als
solchem, zeigt.
Vielleicht wird es bei dieser Auffassung besonders klar, wie unnütz
der Gedanke vom Intelligiblen Charakter, von der ein für allemal
gesetzten sittlichen Bestimmtheit ist.
Das Einzige was gegeben ist, sind die einzelnen Handlungen des
Menschen; gewisse innere oder in den Beziehungen zu Anderen sich
herausstellende Eigenschaften derselben fassen wir zu dem Begriff des
Charakters dieses Menschen zusammen; allein das ist dann ein allgemeiner
Begriff, gezogen aus der Summe seiner Lebenselemente, aber nicht die
hervorbringende Ursache dieser.
Und wenn man darauf erwiedern wollte, dass die Gleichheit der an ihnen
hervortretenden Qualitäten doch auf eine gemeinsame einheitliche Ursache
hinweise und dass man eben diese Ursache den Charakter nenne, so wäre
damit zugestanden, dass Charakter nichts als der Name für etwas völlig
Unbekanntes sei, ein blosses Wort, ähnlich dem Dinge an sich, aus dem wir
nichts herleiten können, was wir nicht vorher aus dem empirisch
Gewonnenen hineingelegt haben.
Die Erklärung für die erscheinende Gleichmässigkeit im Handeln kann
doch unmöglich aus einem Begriff gewonnen werden, den man nur auf Grund
der gleichmässigen Erscheinungen des Handelns konstruiert hat.
Drei typische Fehler, die unsere Erkenntnisprozesse noch allenthalben
fälschen, begegnen sich in dem Charakterbegriff.
Zunächst die Neigung, die Bezeichnung für ein Problem mit seiner
Lösung zu verwechseln.
Für eine gewisse Erscheinung wird eine Ursache vorausgesetzt und
dieselbe, die vorläufig ein blosses x ist, mit einem Namen versehen;
dieser bezeichnet insoweit also nur eine leere Stelle unseres
Erkenntnisfeldes, ist nichts als ein Schema, das künftiger Ausfüllung
harrt.
Allein durch den Umstand, dass ein besonderes Wort dafür geschaffen
ist, wird die Vorstellung erregt, als ob der reale Inhalt dieser Ursache
damit gegeben, eine sachliche, hinter dem Worte liegende Erkenntnis des
Vorgangs gewonnen sei.
Das klassische Beispiel hierfür ist der Kraftbegriff.
Wenn die gegenseitige Annäherung zweier Stoffteilchen auf eine
Anziehungskraft, die Reproduktion der Vorstellungen auf die
Gedächtniskraft, die Lebenserscheinungen auf eine Lebenskraft als auf
ihre Ursache geschoben und damit für erklärt gehalten werden, so ist
dies genau derselbe Fehler, wie wenn man die Handlungen eines Menschen aus
seinem Charakter (<270) als ihrer zureichenden realen Ursache
herleitet.
Der Charakter ist nichts als die Hypostasierung der Annahme, dass diese
Handlungen ausser ihren äusseren Veranlassungen eine innere Ursache haben
müssten, nichts als die Verwechslung des Namens, den man dieser
angenommenen Ursache gibt, mit ihrer Wirklichkeit.
Man könnte nun, um die Setzung einer solchen problematischen Ursache
zu rechtfertigen, auf die Laplacesche Deduktion vom Ursprunge des
Planetensystems hinweisen: da alle Umlaufs- und Rotationsbewegungen
innerhalb unseres Sonnensystems in der gleichen Richtung, resp. fast in
der gleichen Ebene vor sich gehen, so ist mit einer Wahrscheinlichkeit von
vier Billionen gegen Eins anzunehmen, dass dies kein zufälliges
Zusammentreffen ist, d. h. dass nicht jede der planetarischen Bewegungen
eine besondere, von der andren unabhängige Ursache hat, sondern dass sie
sämtlich von einer gemeinsamen Ursache ausgehen, die indes durch diesen
Schluss nur gefordert, aber in keiner Weise erkannt ist.
Und das gleiche Recht scheint nun der Gedanke zu haben: da die
Handlungen jedes einzelnen Menschen eine grosse Ähnlichkeit unter
einander zeigen, so ist mit der höchsten Wahrscheinlichkeit anzunehmen,
dass ein solches Zusammentreffen kein zufälliges sei, sondern dass diese
Handlungen und ihre Ähnlichkeit aus einer gemeinsamen Ursache
hervorgegangen wären.
Und selbst wenn diese Ursache darum noch nicht in ihrem Ansich erkannt
würde, so sei doch die blosse Einsicht, dass ein solcher Zusammenhang der
persönlichen Handlungen vorhanden sei, wie wir ihn durch das Wort
Charakter bezeichnen, schon eine bedeutsame Erkenntnis.
Hiermit wird also ein zweites Moment eingeführt; statt der
Verursachung unserer Handlungen überhaupt wird die Einheitlichkeit
derselben betont.
Wie nicht die blosse Folge von Ereignissen überhaupt, sondern die
Folge von Gleichem auf Gleiches uns auf die Vorstellung einer gesetzlichen
Ursache und einer einheitlichen stets gleichwirkenden Kraft bringt, so
entsteht die Vorstellung des Charakters nicht nur (<271) dadurch, dass
jemand überhaupt handelt, sondern dadurch, dass alle seine Handlungen
eine gleiche Qualität tragen; darum ist auch jemand, bei dem dies nicht
der Fall ist, »charakterlos«.
Sehen wir aber näher zu, so bleibt von dieser bestechenden Analogie
mit den gleichgerichteten Planetenbewegungen nichts übrig.
Denn der Laplacesche Gedanke würde offenbar keinen Wert haben, wenn
nicht jene einheitliche Ursache auch auffindbar gewesen wäre; er wies auf
eine hypothetische Tatsache - die ursprüngliche Einheit aller
planetarischen Substanz in einem Nebelballen - hin, die im Weltbild eine
ganz andre Stelle einnimmt, als die zu erklärende Erscheinung und erst in
synthetische Verbindung mit dieser zu bringen ist.
Wäre es a priori unmöglich gewesen, eine solche mit selbständigem
Inhalt erfüllte Tatsache zu finden, so würde unsere Erkenntnis der
ganzen Angelegenheit sich doch darauf beschränken, dass jene einzelnen
gleichartigen Erscheinungen vorliegen, und die Forderung einer Ursache
dieser Gleichartigkeit würde ein blosses Wort bleiben.
Dagegen würde die Analogie einen realen Sinn haben, wenn etwa die
Lokalisation der Psyche im Gehirn jener rohen materialistischen Annahme
folgte, dass jeder inhaltlichen oder formalen Einheit seelischer Vorgänge
ein einheitliches Organ im Gehirn entspräche; denn dann würde der
Schluss aus einer entdeckten Einheit psychischer Erscheinungen auf eine
gemeinsame Ursache wirklich den Weg zu einer Erfüllung dieser Forderung
zeigen, und die Ursache bliebe, wenn nun wirklich der Herd für die
Einheitlichkeit unserer Willenshandlungen im Gehirn entdeckt wäre, kein
blosses Wort mehr, sondern wäre eine für sich bestehende Realität,
deren Verbindung mit jener etwas wirklich Neues und Aufklärendes
bedeutete.
In dem Falle der Planeten, mit einem Wort, weist die Gleichartigkeit
der Erscheinungen auf eine andre einzelne Erscheinung als Ursache hin, in
dem psychologischen Fall aber auf den Charakter, der nicht selbst einzelne
Erscheinung ist, sondern jeder solchen zu Grunde liegen soll und
(<272)deshalb nur durch falsche Hypostase einen realen, ausserhalb der
erscheinenden Gleichmässigkeit liegenden Sinn zu enthalten scheinen kann.
Und hier kommen wir auf den zweiten psychologischen Fehlertypus im
Charakterbegriff.
Dieser letztere kann als Beispiel für die Häufigkeit des
Vorkommnisses gelten, dass man eine Erscheinung dann für erklärt hält,
wenn sie mit sehr vielen andern gleichartig ist.
Das Rätsel, das eine fremdartige Erscheinung uns aufgibt, gilt den
meisten Menschen für gelöst, sobald sich diese Erscheinung als andren,
bekannten, homogen enthüllt, wobei es gleichgültig ist, oder richtiger,
ganz jenseits des Bewusstseins bleibt, ob diese andren denn ihrerseits
kein Rätsel mehr aufgeben.
Das Alltägliche ist für den durchschnittlichen Verstand kein Problem,
weil er daran angepasst ist, und jeder einzelne Inhalt weist auf die
Totalität der andren gewissermassen als auf einen Beruhigungsgrund für
den fragenden Geist hin.
Auch hier zeigt sich die Bedeutung der Unterschiedsempfindlichkeit: nur
der Abstand von dem Gewohnten und den bisherigen Anpassungen erregt das
Fragebedürfnis.
Eine sehr grosse Anzahl gleichartiger Einzelheiten verdichtet sich zu
einem logisch-psychologischen Gebilde, das nun jeder dazu gehörigen
Einzelheit als ein Wesen andrer Art und Dignität gegenübersteht,
ungefähr wie die menschliche Gattung dem einzelnen Menschen.
Dieser Zug unseres Geistes, das Einzelne durch seine Beziehung zu sehr
vielem gleichartigem andren für begründet zu halten, ist der letzte
Ursprung der platonischen Ideenlehre.
Es würde ganz unverständlich sein, was denn mit der Zurückführung
der Einzelheit auf die Idee gewonnen wäre, da die Idee nur der
substanziierte Allgemeinbegriff ist, der seinen Inhalt doch nur aus den
Einzelheiten gewinnt; wir würden vor einem psychologischen Rätsel
stehen, wieso Plato und so manche andre aus dem Begriffe, den sie erst aus
den Wirklichkeiten zusammengebracht haben, die Wirklichkeit zu gewinnen
meinten - wenn nicht dieses quantitative Moment (<273) seine Macht
übte, wenn nicht die Einzelheiten, in sehr grosser und verdichteter
Fülle betrachtet, wie der Begriff sie enthält, den Geist in völlig
anderer Weise affizierten, wie jede Einzelheit für sich betrachtet.
Und die Idee oder der Begriff in ihrer scheinbaren Losgelöstheit und
Selbständigkeit ist doch nur der Ausdruck für die psychologische
Qualität der Vielheit gegenüber der Einheit, und die Beruhigung, die der
Geist in der Einordnung der letzteren in die gewöhnte erstere findet,
gewinnt gewissermassen substanzielle Form in der Vorstellung, dass die
Idee der Ursprung und Urgrund der Einzelerscheinung wäre.
Wie nun für Plato die Idee des Schönen oder die Schönheit die
Ursache des einzelnen Schönen ist, wie das einzelne Gute sein Wesen von
der Idee des Guten zu Lehen trägt, obgleich diese Ideen nur die
psychologischen Konzentrationen alles einzelnen Schönen und Guten sind,
gerade so erscheint der Charakter als die Quelle, als Real- und
Erkenntnisgrund der einzelnen Handlung, wenn er auch nur die Summe der
gleichartigen einzelnen Handlungen in sich enthält, die der gerade
vorliegenden völlig koordiniert sind; die Eigenschaft unseres Geistes,
das Einzelne für erklärt zu halten, wenn es als Wiederholung eines
gewöhnten Falles vorgestellt wird, hat auch ihm, der nur die
Substanzialisierung des Gleichartigen in der Gesamtheit unserer Handlungen
ist, seine scheinbar superordinierte Stellung der einzelnen Handlung
gegenüber verschafft.
Dieser Mensch hat immer so gehandelt - folglich gilt die neue Handlung
als »aus seinem Charakter erklärt«, wenn wir zeigen, dass sie desselben
Wesens ist!
Es kommt endlich der folgende Fehler hinzu.
Die gewöhnliche Auffassung will die vermutete Beharrlichkeit einer
bestimmten Eigenschaft oft mit dem Satz erweisen, dass der Mensch seinen
Charakter nicht ändere - und bemerkt nicht, dass sie ja nur dasjenige am
Menschen, was sich bisher erfahrungsmässig nicht geändert hat, seinen
Charakter nennt, während die beobachtete Variabilität von Eigenschaften
diese sofort aus dem »Charakter« ausscheiden lässt.
Es müsste (<274) aber doch erst nachgewiesen werden, dass die
bisher bleibenden Seiten eines Menschen noch sonstige sachliche
Beziehungen und Unterscheidungsgründe haben, die sie berechtigen, als
sein Charakter oder seine Natur anderen Wesensäusserungen von ihm
gegenübergestellt zu werden; andernfalls erklärt es nicht das Geringste,
wenn wir die gleichartigen Handlungen zusammenfassen und sie auf einen
»Charakter« schieben, dem gegenüber die Ursachen der wechselnden
Handlungen zufällige seien.
Das ist der gleiche Fehler, wie ihn die Entwicklungslehre zu bekämpfen
hat, wenn man gegen sie einwendet, die erblichen Abänderungen beträfen
nur unwesentliche Teile.
Hier hat nun Darwin selbst auf den Zirkel aufmerksam gemacht, in dem
sich die Forscher meistens bewegen, indem sie diejenigen Organe, an denen
man bisher noch keine Veränderung wahrgenommen hat, für wichtige
erklären.
So hat man auch Arten von blossen Varietäten durch das Kennzeichen zu
unterscheiden gemeint, dass sich verschiedene Arten nicht fruchtbar mit
einander kreuzen, was unter Varietäten sehr wohl möglich sei; die Sache
ist nur die, dass, sobald zwei bisher als Varietäten angesehene Formen
sich einigermaassen steril mit einander zeigten, sie von den meisten
Naturforschern sogleich zu Arten erhoben wurden.
Aus diesem Zusammenhänge heraus wird es klar, dass die Behauptung, der
Mensch ändere seinen Charakter nicht, auch in ihrer häufigen Anwendung
auf den Menschen als Gattung ebenso gefährlich ist wie in der auf die
Individuen, denn sie verfestigt die bisher als unverändert beobachteten
menschlichen Wesenszüge in der Idee einer substanziellen, diese
Stabilität hervorbringenden Ursache, gerade wie man die anscheinende
Unveränderlichkeit der organischen Arten in der Vorstellung festbannte,
dass einer jeden je ein ewiger Schöpfungsgedanke Gottes zu Grunde läge.
Sowie man über die bisherige Empirie betreffs der Unveränderlichkeit
des menschlichen Wesens zu einem mystisch ewigen Grunde derselben
fortgeht, verliert man einerseits den Blick für die wirklich vorgehenden
Abänderungen, andrerseits (<275) unzählige Male den Mut und die
Freudigkeit in der Einleitung einer solchen.
So kommen wir von allen Seiten darauf, dass der Charakter als ein
jenseits der Flucht der einzelnen psychischen Erscheinungen stehender
Urgrund derselben eine blosse Illusion ist, ein Produkt des
hypostasierenden mythologischen Triebes, wie die Seele und die
Seelenvermögen.
jede Bewusstseinserscheinung muss nach Regeln des beobachteten
Zusammenhanges mit anderen erklärt werden, aber nicht durch
Zurückgreifen auf derartige mythische Wesen, die nur durch eine
täuschende Spiegelung die Willkürlichkeit, mit der sie aus dem Material
der Wirklichkeit gebildet sind, und die Hohlheit verbergen können, mit
der sie statt der Sache nur ein Wort geben.
Schliesslich ist die Lehre vom intelligibeln und unveränderlichen
Charakter eine Folge der Ausnahmestellung, die man den ethischen
gegenüber den psychologischen Vorgängen als solchen gab.
Die Ewigkeit und Unveränderlichkeit, durch die sich die sittlichen
Ideale auszeichnen sollten, schien auch dem Verhältnis, in dem das
Individuum zu ihnen stand, einen transzendenten, allem Wechsel entzogenen
Charakter zu verleihen.
Jene Zeitlosigkeit der Wahrheit und der Naturgesetze, jene
Gleichgültigkeit gegen die Zahl ihrer Verwirklichungen, kommt
gewissermassen auch der sittlichen Forderung zu, ja ausdrücklich wird ihr
zugesprochen, dass sie an ihrem Wesen und ihrer Würde nichts einbüsst,
auch wenn sie nie verwirklicht worden wäre.
Dieses sachliche und ideale Wesen des Sittlichen färbt sein
menschliches und reales Wesen ab und scheint deshalb in der Ruhelosigkeit
und der inneren Gegensätzlichkeit der bloss psychologischen Vorgänge
keine rechte Stätte zu finden.
Es fordert eine Heimat ausserhalb dieser, die man ihm in dem
»Charakter« des Menschen gewährte, welcher immer derselbe bleiben soll,
während die erscheinenden Verschiedenheiten des Handelns auf die Macht
äusserer Einflüsse und Zufälligkeiten geschoben werden.
Dieser Verwechslung zwischen der ideellen (<276)Geltung und der
Realität des Sittlichen, die wenigstens die Form der ersteren auch in der
letzteren sehen will, diesem unklaren Hineinragen eines Intelligiblen und
Ewigen in das Empirische und Fliessende arbeitet unser Begriff von
Verdienst und Schuld auf das Entschiedenste entgegen, indem er die
sittliche Qualität des Menschen in den fortwährenden Prozess zwischen
verschieden gerichteten psychologischen Kräften setzt; sie wird damit von
der Stabilität erlöst, die sie jenseits des Flusses der Dinge zu stellen
und ihr so den Charakter eines rein psychologischen Ereignisses zu nehmen
schien.
Ich will indes, gerade vom psychologischen Standpunkt aus, noch einen
allgemeineren Gedanken betonen, der die Zerlegung des sittlichen Prozesses
in mehrere Faktoren beleuchten und relativ einschränken mag.
Sehen wir einmal von der transzendentalen Wahrheit ab, dass im letzten
Grunde jeglicher Gedanke nur als Erscheinung in einem subjektiven
Bewusstsein lebt, so unterscheiden wir mit Recht zwischen dem relativ
objektiven Verhalten der Dinge und unserer relativ subjektiven Auffassung
derselben.
Als eine der häufigsten Diskrepanzen zwischen diesen beiden erscheint
nun die Zerlegung von Vorgängen in eine Anzahl von Ursachen, während sie
in Wirklichkeit durch viel einheitlichere Kräfte veranlasst sind.
Die vielfachen Momente, in die unser analysierender Verstand die
Ereignisse auseinanderlegt, erscheinen uns gar zu leicht als reale und
real getrennte Komponenten derselben; die Teile der Erscheinungen, in die
wir sie durch nachträglich gezogene Grenzen zerfallen, treten uns oft als
Kräfte und Wesen entgegen, die aus einem selbständigen Fürsichsein
heraus jenes Ganze erst zusammensetzten.
Der Irrtum kann dabei nach zwei Seiten stattfinden, indem bei
wirklichem Zusammengehen mannigfaltiger Selbständigkeiten zu einem
einheitlichen Ganzen die von uns gezogenen Teilstriche nicht das objektive
Gefüge der Dinge treffen, sondern dasselbe nach ihm fremden
Gesichtspunkten (<277) durchschneiden; andrerseits kann objektiv eine
Einheitlichkeit der Verursachung herrschen, der gegenüber die ganze
kausale Analyse willkürlich und subjektiv ist.
Ich erinnere nur an die psychologischen Raumtheorien, die durch ihre
Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit, von der grössten Einfachheit bis
zur grössten Komplikation der vorausgesetzten Ursachen, beweisen, wie
viel Freiheit sogar der besonnenere Geist in der Analyse der Erscheinungen
besitzt.
Auch die Sprache verführt uns in solchen Fällen leicht, z. B. bei der
Bezeichnung gewisser nur mit verfeinerter Kultur auftretender
Halbverhältnisse zwischen Menschen; denn sie ist im wesentlichen der
Kulturlage ihrer Schöpfungsperiode entsprechend nur für entschiedene
Verhältnisse gebildet und hat für jene ungewissen, schwebenden,
gleichsam nur aus Obertönen bestehenden Beziehungen so wenig einfache
Ausdrücke wie für die ihnen zu Grunde liegenden Gefühle.
Es bleibt uns nichts übrig, als sie als Mischungen zweier ganz
andersartiger zu bezeichnen.
So wenig das Grün, das wir sehen, immer aus einer Mischung von blau
und gelb hervorgegangen ist, obgleich wir es in diese Elemente zerlegen
können, so wenig bestehen unsere sogenannten gemischten Gefühle wirklich
immer aus den verschiedenartigen Elementen, in die sie unser
analysierender Verstand nachher zerlegt und zerlegen muss, um sie
einigermaassen sprachlich auszudrücken.
Ein Mischgefühl z. B. aus Freundschaft und Liebe, aus ästhetischem
Wohlgefallen und ethischer Verachtung, aus Pflicht und Neigung, aus
mütterlichem oder väterlichem und spezifisch erotischem Empfinden
braucht gar kein Mischgefühl in dem Sinn zu sein, dass die beiden
Elemente tatsächlich darin vorhanden und jedes für sich zu seiner
Bildung beigetragen hat; sondern es kann ein ganz selbständiges,
einheitliches Gefühl sein, ebenso wie jedes seiner scheinbaren Elemente,
und nur Sprache und Denkgewohnheit zwingen uns, ein Doppelwesen daraus zu
machen.
Die äusseren Ursachen können mehrfache sein, die Gefühlswirkung
ihres Zusammenseins braucht sich aber nicht aus den Gefühlen (<278)
zusammenzusetzen, die jeder ihrer Ursachen, wenn sie für sich allein
wirkte, entspräche, sondern kann völlig sui generis sein.
Es ist dies ähnlich wie die scheinbare Mischung zweier Dialekte oder
Sprachen zu einer dritten; tatsächlich beruht dies ebenso oft auf
selbständig organischer Entwicklung derselben wie auf äusserlicher
Mischung jener beiden, als deren Mittelglied sie sich darstellt.
Ich glaube nun, dass in der Auffassung des psychischen Prozesses, den
wir in schuld- und verdienstvolle Momente auseinanderlegen, die Gefahr
einer solchen Willkürlichkeit der Auffassung besonders nahe liegt.
Die sittliche Beurteilung unserer selbst wie anderer ist uns von
solcher Wichtigkeit, die Kategorien derselben sind uns so gewohnt, dass
wir gewiss IM nachträglich beurteilenden Bewusstsein oft solche
Willensprozesse in gute und böse Teilvorgänge auseinanderlegen, in denen
tatsächlich gar keine Differenzierung zwischen diesen Momenten
stattgefunden hat.
Wie uns die Tatsachen des Lebens oft als Kompromiss zwischen mehreren
verschieden gerichteten Maximen erscheinen, und wie wir uns dabei
gewissermaassen durch eine Spiegelung täuschen lassen, die die Momente,
in die man die Erscheinung nachträglich zerlegen kann, als ihre
vorhergehenden realen Erscheinungsgründe zeigt: so wird die Gesinnung
eines Menschen, die wir als aus Gutem und Bösem gemischt beurteilen,
gewiss oft tatsächlich nicht aus beidem gemischt sein, da dies eine
vorhergehende getrennte Existenz der gemischten Elemente voraussetzt,
sondern es ist ein einheitlicher Prozess, den wir nur analysierend unter
verschiedene Gesichtspunkte bringen.
Wie die Beurteilung des Guten und Bösen als solchen überhaupt erst
Sache eines differenzierteren Intellekts ist, so findet sich auch das
eigene Bewusstsein, in dem Schuld und Verdienst sich gründen, keineswegs
immer von dem einen oder dem andren entschieden erfüllt, sondern oft in
einem Zustande der Indifferenz, der nur Elemente und Material zu beidem
enthält.
Für solche Mischzustände, gegen die wir nicht selten ungerecht sind,
weil wir die Elemente, die eine nachträgliche (<279) Analyse ergibt,
mit den tatsächlich bewussten verwechseln, haben wir vielfache Beispiele
in der Lügenhaftigkeit.
Die Auffassung der Wirklichkeit ist bei Menschen niederer Bildung eine
so wenig scharfe, das Verhältnis zwischen dem Eindruck eines Vorgangs und
seiner begrifflichen Fixierung ein so lockeres, dass es selbst bei
einfacheren Vorstellungen schon objektiv nicht zu völliger Klarheit
darüber, was denn nun die wirkliche, vollkommene Wahrheit sei, zu kommen
pflegt.
Die bekannten oft masslosen Verschiedenheiten, die die Erzählung des
gleichen Vorgangs durch mehrere Augenzeugen aufweist, wiederholen sich
natürlich als Unsicherheiten im Kopfe jedes einzelnen.
Die Folge hiervon und anderer noch zu erwähnender psychologischer
Umstände ist, dass der Begriff der Wahrheit und der Pflicht, sich an sie
zu halten, vielfach in einer gewissen Verschwommenheit bleibt, dass die
Rede vieler Menschen, namentlich wenn ein persönliches Interesse ihnen
eine unbewusste Tendenz gibt, in einem Zwischenzustande zwischen Lüge und
Wahrheit bleibt, in dem sie sich selbst nicht recht darüber klar sind,
was eigentlich das eine und was das andere ist.
Der logische Unterschied zwischen beiden, wonach jeder Satz nur wahr
oder falsch sein kann, hat hier seine Schärfe verloren.
Es kommt hinzu, dass die Wahrheit uns doch schliesslich nur in der Form
einer bestimmten psychologischen Konstellation zugänglich ist und dass,
weil die Wirklichkeitsvorstellungen, das Logische, sich nur allmählich
aus dem bloss Psychologischen herausbilden, zwischen beidem nur ein
gradueller Übergang besteht, den das rohere Bewusstsein vielfach nicht
bis zu Ende vollzieht.
Es bleibt vielmehr zwischen den Vorstellungen, die ihm der Leichtsinn,
das Interesse, der Wunsch, dass es so sein möchte unterschieben,
einerseits, und der Wahrheitsvorstellung andrerseits gewissermassen in der
Mitte stehen.
Ein alter rabulistischer Advokat erwiderte, wie zuverlässig berichtet
wird, auf die vertrauliche Frage eines Kollegen, ob er denn wirklich an
die Argumente selber glaube, die er soeben mit so grosser Sicherheit
vorgebracht (<280) habe: »Wenn Sie erst wie ich 40 Jahre lang werden
Schwindelprozesse geführt haben, werden Sie selbst nicht mehr zwischen
Lüge und Wahrheit unterscheiden können.« Würde man in solchen Fällen
den psychischen Prozess in ein klares Bewusstsein der Wahrheit und
positiven Pflicht zu ihr und in ein eben solches der Lüge und der
entsprechenden negativen Pflicht auseinanderlegen und darauf Schuld und
Verdienst bauen, so würde man doppelt irren, weil der psychologische
Zustand für beides nicht genügend differenziert ist.
Auch die analysierende Beurteilung des eigenen Seelenlebens kann diesem
Irrtum leicht unterliegen; wo eine Tat aus dem unentschiedeneren
Seelenzustande heraus geschah, in dem die Ansätze von Schuld und
Verdienst noch nicht weit genug entwickelt sind, um das Licht des
Bewusstseins und damit erst ihr eigentliches Wesen zu empfangen - auch da
wird sich dem ethischen Hypochonder das nachträgliche Bewusstsein, dass
er hätte anders handeln sollen, als ein vorhergängiges spiegeln,
demzufolge sich ihm dann die Tat als eine an der Stärke dieses jetzigen
Bewusstseins gemessene Schuld darstellt.
Andrerseits wird ethischer Dünkel die Zufriedenheit mit einer Tat
dadurch erhöhen, dass er die Möglichkeit einer anderen Handlungsweise
als bewusste Versuchung vor die Tat verlegt, um dieser nachträglich ein
höheres Verdienst zuschreiben zu dürfen.
Gerade weil Schuld und Verdienst sich gegenseitig voraussetzen, weil
zur Schuld die Erkenntnis des Guten, zum Verdienst die Versuchung durch
das Böse gehört, wird es sehr oft zu beidem nicht kommen, sondern das
Bewusstsein wird in einem unklaren Zwischenzustande befangen bleiben, der
erst der nachträglichen Analyse beides zu enthalten scheint.
Die Erkenntnis des Guten und des Bösen in ihrer ganzen Schärfe und
als Grundlage der voll zuzurechnenden Schuld und Verdienstes ist erst der
Gipfel der ethischen Bewusstseinsentwicklung.
Schon deshalb ist die scharfe Einteilung in Böcke und Schafe für eine
tiefere ethische Betrachtung unzulässig.
Glaubt die Kirche dennoch aus dogmatischen (<281)Gründen einer
solchen zu bedürfen, so zeigt es einen durchaus richtigen Sinn, dieselbe
von so äusserlichen Tatsachen wie Taufe und Absolution ist, abhängig zu
machen.
Denn bei diesen ist ein entschiedenes ja oder Nein möglich, das sofort
abgeschnitten und in eine schwankungsvolle, des absoluten Resultates
entbehrende Diskussion hinabgezogen wird, sobald das Kriterium ein rein
innerlich ethisches ist.
Die Kluft zwischen der logischen und der psychologischen Gestaltung der
Dinge zeigt hier eine typische Wirkung auf das Ethische.
Die Verfestigung der ethischen Forderung in einem bestimmten Begriff
hat zur Fortsetzung oder zum Korrelat, dass jede zu beurteilende
Persönlichkeit ganz innerhalb oder ganz ausserhalb der sittlichen
Billigung steht.
Die Schärfe, mit der sich die Forderung als solche von allem
begrifflich Abweichenden scheidet, spiegelt sich in der Entschiedenheit,
mit der der Einzelne als ihr genügend oder nicht genügend beurteilt
wird.
Denn man fürchtet, dass die Reinheit des Prinzips darunter leiden
könnte, wenn die danach beurteilten Einzelwesen ein schwankendes,
gemischtes, halbes Verhältnis zu ihm hätten; die Einheit des Prinzips
einerseits, die Einheit der Persönlichkeit andrerseits scheint es mit
sich zu bringen, dass sich beide nur ganz oder gar nicht decken können
und ein wechselndes oder unvollständiges Mass dieser Deckung scheint die
Unzweideutigkeit und schwankungslose Sicherheit jenes Prinzips zu
bedrohen.
So bemerken wir, dass Frauen den Bruch der Sitte, namentlich durch
Frauen, mit äusserster Härte, auf die blosse äussere Tatsache der nicht
legitimierten Hingabe hin verurteilen, während sie andrerseits doch einen
solchen Bruch, so lange es angeht, nicht zugeben, sondern im Gefühl, dass
es die Ehre ihres Geschlechts gelte, die Handlungsweise anderer Frauen gut
auslegen.
Der Zusammenhang ist eben der, dass die Sitte dasjenige Lebenselement
ist, aus dem die sonst dem Egoismus des Stärkeren preisgegebene Frau
Schutz und Einfluss gewinnt, und das in seiner Reinheit und Wirksamkeit
(<282) am sichersten durch entschiedenen Einschluss oder entschiedenen
Ausschluss der Individuen erhalten wird.
In genau gleichem Sinne haben Religionsgesellschaften und politische
Parteien das Bestreben, Dissidenten noch so lange wie möglich als
eigentlich zu ihnen Gehörige zu behandeln, dahin zu wirken und so zu tun,
als ob sie noch in dem alten Kreise eingeschlossen wären - von dem
Augenblick an aber, wo das nicht mehr angeht, sie nun auch mit der
grössten Entschiedenheit auszustossen und zu perhorreszieren.
In diesen Erscheinungen geht der Begriffsdogmatismus in der Festsetzung
des Moralprinzips eine Allianz mit dem praktischen Dogmatismus ein; die
Schroffheit des letzteren, deren Folge und Symbol es ist, dass das
Verhältnis zu einer substanziellen Äusserlichkeit das ja oder Nein der
Sittlichkeit ein für allemal bestimmen soll, muss in dem Augenblick
fallen, in dem weder die moralischen Qualitäten noch die moralischen
Ideale als ruhender Bestand gefasst werden.
Wie der Mensch als Intellekt nur eine Summe von Vorstellungen ist, so
ist er als Charakter nur eine Summe von Handlungen.
Seine Qualität als solche reicht nicht über die einzelnen Handlungen
hinweg und darum ist sie immer von neuem als Resultante der mannigfaltigen
und divergenten Kräfte festzustellen, aus denen überhaupt das Handeln
zustande kommt.
Wie wir uns nun den Kampf und die Ausgleichung zwischen den
entgegengesetzten Trieben des Näheren zu denken haben, darüber haben wir
bei dem augenblicklichen Stande der Psychologie sehr wenige Anhaltspunkte.
Doch können wir jedenfalls hier und da eine jedenfalls falsche
Vorstellung darüber ausschliessen.
Zu einer solchen dürfte vor allem der gebräuchliche Ausdruck
verführen, die Sittlichkeit in uns kämpfte mit unserer Unsittlichkeit,
oder jeder sonstige, der die Sittlichkeit und die Unsittlichkeit als
Parteien ansehen lässt, deren dynamisches Verhältnis den sittlichen
Prozess entschiede.
Es wird dabei gar zu leicht übersehen, dass die Sittlichkeit oder
Unsittlichkeit nur in den seltensten Fällen (<283) den direkten Inhalt
des Willensaktes ausmacht.
Wenn von den entgegengesetzten Motiven in uns je eines sittlich, das
andere unsittlich ist, so sind dies Beziehungen oder Wertungen derselben,
die keineswegs immer als bewusste Kräfte in den Kampf eintreten.
Wenn ich mich z. B. in dem Konflikt befinde, entweder an einer
sozialisierenden Einrichtung mitzuarbeiten, die die Lebenslage der unteren
Stände heben soll, oder ihr entgegenzuarbeiten, um gewisse persönliche
Vorteile nicht aufzugeben, so ist freilich ein sittliches Motiv mit einem
unsittlichen im Kampfe, allein die Schwankungen, das wechselseitige
Sichverdrängen findet zwischen den sachlichen Vorstellungen dieses und
jenes Tuns statt, von denen die eine überwunden werden muss, damit die
andere denjenigen Grad von Intensität erreiche, den wir das wirkliche
Wollen nennen; und der Ausdruck: meine Sittlichkeit streite in diesem
Falle mit meiner Unsittlichkeit, macht wieder einmal aus einer
nachträglichen Abstraktion eine wirkende Realität.
Meine Sittlichkeit ist ein Allgemeinbegriff, der aus meinen einzelnen
sittlichen Handlungen gezogen ist, aber so wenig die hervorbringende
Ursache dieser, wie etwa das Tempo meiner Bewegungen aus meiner
Langsamkeit oder Schnelligkeit hervorgeht; diese letzteren sind vielmehr
auch nur substanzialisierte Eigenschaften jener Bewegungen, aber nicht
wirkende Kräfte.
Populärerweise wird die Sittlichkeit und die Unsittlichkeit als
Seelenvermögen vorgestellt, als Potenzen, die in einem gewissen Grade
vorhanden seien und aus denen dann die einzelnen entsprechenden Handlungen
quellen, wie einzelne Ausgaben aus einem in bestimmter Summe vorhandenen
Vermögen bestritten werden.
Ich glaube, dass der Trieb, unsere Abstraktionen zu selbständigen
Wesen zu hypostasieren, uns hier einen seiner täuschendsten Streiche
spielt.
Wir können die Unsittlichkeit nicht als eine Kraft ansehen, die den
sonstigen realen Kräften des Seelenlebens koordiniert wäre.
Von jedem gegebenen Zustand der Seele aus leiten Gesetze der
Verschmelzung und Trennung, der Erregung, der Übertragung (<284) und
des Verbrauches der Kraft zu jedem anderen, während die Unsittlichkeit
nie als eine dieser unmittelbaren Veranlassungen der Tat erscheint.
Es ist eine durchaus irreführende Vorstellung, dass ich gut handle,
weil ich ein sittlicher Mensch bin, oder weil ein gewisses Mass von
Sittlichkeit in mir ist; die Sittlichkeit ist so wenig vor der
Willenshandlung in mir und bringt dann die Handlungen zuwege, wie die
Eigenschaft vor der Substanz da ist, deren Attribut sie ist.
Und wenn man sagen wollte: es müsse doch eine Ursache, eine latente
Kraft zuvor da sein, damit überhaupt die Handlung geschehen könne, und
diese im Individuum ruhende, die sittliche Einzelheit gestaltende Ursache
nenne man eben die Sittlichkeit des Individuums - so ist dies eine
Selbsttäuschung.
Denn was die Sittlichkeit erst veranlasst, kann nicht selbst schon
Sittlichkeit sein, so wenig die angeborenen Spannkräfte, aus denen sich
später das Vorstellungsleben entwickelt, selbst schon Vorstellungen sind,
was freilich in der Diskussion über apriorische, angeborene und
unbewusste Vorstellungen oft genug übersehen worden ist.
Wir verstehen nach gewöhnlichem Sprach- und Denkgebrauche unter
Sittlichkeit genau die gleiche Kraft oder Eigenschaft, die in den
einzelnen sittlichen Handlungen als solchen erscheint, sie enthält
nichts, was erst der Umsetzung bedürfte, um sittliches Handeln zu
ergeben, sondern verhält sich zu diesem nur wie das Allgemeine zum
Einzelnen.
Ich bin doch erst in dem Augenblick sittlich oder unsittlich, in dem
ich etwas will, und bin es genau nur in dem Masse, in dem dieses aktuelle
Wollen jene Eigenschaften enthält.
Die unnütze Verdopplung der Dinge, die Erbschaft der
mythologisch-platonisierenden Epoche der Geistesgeschichte lässt uns die
Sittlichkeit als ein relativ für sich bestehendes Wesen in uns
erscheinen, als die höhere Kraft, die über den einzelnen, sozusagen
über den Atomkräften der Seele stünde, so dass der psychologische
Mechanismus nur das auszuführen hätte, was die dirigierende Sittlichkeit
oder Unsittlichkeit anordnete.
Allein das ist der (<285) gleiche Fehler, wie wenn man über die
einzelnen Wirkungen und Wechselwirkungen der organischen Zellen noch eine
besondere Lebenskraft setzt oder über die Beziehungen der Individuen in
einer Gemeinschaft noch eine besondere Volksseele, so dass diesen höheren
Potenzen gegenüber die Wirkungen der einzelnen Teile zu
Sekundärereignissen herabgedrückt würden.
Wie vielmehr Lebenskraft nichts ist, als die Summe der zwischen den
kleinsten organischen Teilen sich entwickelnden, aber nicht aus ihnen
heraustretenden Kräfte; wie die Volksseele ihren Inhalt nur an den
Vorgängen in den Individuen hat; so gibt es auch in der Seele keine
allgemeinen übergeordneten Kräfte, sondern alles Höhere, Allgemeinere
ist nur Summierung oder Abstraktion, schliesst nur die durch die primären
Kräfte hervorgebrachten Effekte in einem nachträglichen Begriff
zusammen.
Sittlichkeit und Unsittlichkeit sind so wenig vor oder ausserhalb der
einzelnen sittlichen oder unsittlichen Willensakte vorhanden, wie Hitze
oder Kälte ausserhalb der heissen oder kalten Dinge.
Wenn wir also den Akt, in dem sich Verdienst und Schuld realisieren,
verstehen wollen, so müssen wir die einzelnen psychischen Kräfte, die
einzelnen Vorstellungen und den Grad ihres Gewolltwerdens untersuchen,
während der Gedanke, dass die Sittlichkeit in uns als Ganzes in einen
Kampf mit unserer Unsittlichkeit trete, nur ein abstrakter und eigentlich
bildlicher Ausdruck ist.
Die Sittlichkeit mag ja nun zu einem solchen Einzelmotiv werden; dann
nämlich, wenn das sittliche Handeln, wie Kant verlangt, nicht um der
Sache willen, sondern ausschliesslich um der Pflicht willen eintritt;
allein nicht nur, dass in der Mehrzahl der Fälle dieses abstrakte Motiv
nicht wirkt, vielmehr ein einzelnes konkretes Ziel gewollt wird, sondern
das Gegenstück dazu findet auch so gut wie nie statt: dass die
Unsittlichkeit als solche den Inhalt des Willens bildet.
So viel unsittliche Dinge gewollt werden, sie werden doch nicht
gewollt, weil sie unsittlich sind, sondern dies ist ein Nebenerfolg und
oft ein bedauerter, der neben den psychologischen (<286) Triebkräften
dieses Wollens steht; und wir handeln nicht schlecht, weil die
Unsittlichkeit uns dazu bewegt, sondern das einzelne Gefühl, das wir uns
verschaffen möchten, der einzelne Zustand, von dem wir irgend eine
Befriedigung hoffen.
Die Unsittlichkeit aller dieser ist nur der Kollektivbegriff für eine
ihnen gemeinsame Eigenschaft.
- Mit alledem soll nur die Vorstellung abgeschnitten werden, als ob der
einzelne sittliche Akt die Wirkung einer Sittlichkeit als allgemeiner
Kraft in uns wäre und als ob demnach der Erwerb von Schuld und Verdienst
in einem Kampfe der Sittlichkeit als Gesamtpartei in uns mit der
Unsittlichkeit als ebensolcher bestünde.
Nur die abstrakte Reflexion, die das Verhältnis von Begriffen
feststellen will, darf sich der Kürze halber so ausdrücken.
Wo es auf die Erkenntnis der Wirklichkeiten ankommt, darf nur Einzelnes
aus Einzelnem, jeder Vorgang nur durch Zerlegung in die einfachsten
Triebkräfte erklärt werden, wie weit wir auch in der hier vorliegenden
Frage noch von der genauen Erfüllung dieser Forderung entfernt seien.
Die Willensfreiheit, nach der zu fragen wir vorhin ablehnten, hat zu
Erörterungen über Schuld und Verdienst vielleicht nicht die Beziehung
einer Grundlage, sondern eher einer Folge.
Während es scheint, als wäre Verdienst und Schuld nur möglich, wenn
wir die Freiheit voraussetzen, lässt sich wahrscheinlich machen, dass der
Freiheitsbegriff in einem Deszendenzverhältnis zu jenen steht und in
ihnen das Mass seiner relativen Berechtigung findet.
Alle Freiheitsvorstellung beruht darauf, dass neben dem Wirklichen noch
ein Mögliches denkbar ist.
Ginge unser Vorstellen dem unausweichlich bestimmenden Lauf der Dinge
einfach parallel, bewegte es sich nur in einer Abspiegelung oder ebenso
sicheren Berechnung der objektiven Ereignisse, so würde es zu dem
Freiheitsgedanken nicht kommen.
Allein die rein problematische Vorstellung eines anderen Geschehens,
(<287) eines anderen Handelns, als das wirkliche ist, reicht als solche
noch nicht zu; auch von dem Geschehen in der äusseren Natur können wir
uns denken, dass es auf andere Weise verlaufe als es tatsächlich
geschieht, ohne dass wir ihm doch die Freiheit, auf jene statt auf diese
Weise zu verlaufen, zugestehen.
Es bedarf dazu offenbar eines positiven Anhaltspunktes, einer auf die
nicht eintretende Handlung doch hinweisenden Kraft, damit sich über die
blosse Denkbarkeit derselben die Vorstellung erhebe, dass sie real
möglich und die tatsächlich geschehende nicht die allein mögliche und
absolut notwendige Handlung sei.
Dass wir wirklich das Gute statt des Bösen hätten tun können, dass
wir die Freiheit zu dem einen ebenso wie zu dem anderen besassen, würden
wir nicht glauben, wenn über unserer wirklichen Handlung die Vorstellung
der entgegengesetzten mit keiner grösseren Annäherung an Realität
schwebte, als etwa der Gedanke, dass sich die Weltkörper auch in anderen
Verhältnissen als im umgekehrten des Quadrats der Entfernungen anziehen
könnten; vielmehr trägt jene Möglichkeit psychologisch schon sozusagen
einen viel höheren Grad der Verwirklichung in sich.
Diesen aber erlangt sie dadurch, dass sich ausser demjenigen Antriebe,
der zur wirklichen Handlung führt, noch ein solcher zu der
entgegengesetzten im Bewusstsein findet, ein Ansatz zu ihr, der bis zu
einer gewissen Grenze, soweit seine Kraft eben reicht, sich von jenem
psychologisch so wenig unterscheidet, dass man bis dahin nicht weiss,
welcher von beiden obsiegen wird.
Gewiss wird es schliesslich nur der eine ganz und der andere gar nicht,
und gewiss hat die Gesetzmässigkeit des seelischen Geschehens
unausweichlich auf dieses Resultat geführt; allein es ist verständlich,
dass wir die logische Schärfe des Entweder-Oder psychologisch mindernd
und auch das am Ende zurückstehende Wollen in Gedanken weiter ausbauend,
auch diesem die Möglichkeit des Sieges zugestehen, zu deren
Verwirklichung ihm nicht jedes, sondern nur ein relatives Mass von Kraft
gefehlt hat; so sprechen wir doch (<288) auch von Wettbewerbern
demjenigen eine höhere Möglichkeit des Sieges zu, der dem schliesslichen
Sieger eine grössere Strecke lang keinen Vorsprung liess, als demjenigen,
der sich überhaupt nicht vom Flecke gerührt hat, obgleich wir sehr wohl
wissen, dass es nach der objektiven Bestimmtheit der Dinge dem ersteren
ebenso unmöglich war zu siegen wie dem letzteren.
Die Frage ist nun die, ob es, um der Freiheit ihren Sinn zu retten,
eines Ich bedarf, das zwischen den konkurrierenden Willensansätzen
entschiede, gleichsam eines dritten Willens, der beide lenkend und
schliesslich einem von ihnen definitiv beitretend ihm das Übergewicht
verliehe und der der eigentlich freie wäre.
In diesem Falle wäre das Bewusstsein eines neben dem definitiven
auftretenden Willensansatzes, dessen Sieg gleichfalls möglich erscheint,
nur die ratio cognoscendi der Freiheit, während diese die ratio essendi
für jenes Wechselspiel zwischen den streitenden Mächten und für seine
Entscheidung wäre.
Damit aber wäre nur wieder ein Mensch in den Menschen hineingesetzt
und die Unerklärtheit der erscheinenden Prozesse auf ebenso unerklärte
Vorgänge in einer nicht erscheinenden Substanz übergewälzt.
Vielleicht bedarf es dessen um so weniger, wenn wir uns einmal klar
machen, was denn eigentlich unter Freiheit verstanden werden kann.
Freiheit muss immer Freiheit von etwas sein; wenn ich mich frei nenne,
so habe ich immer einen Zwang im Auge, den ich entweder erlitten habe oder
erleiden könnte.
Wo die Freiheit nicht im Gegensatz zu einer möglichen Gebundenheit
gedacht wird, hat sie überhaupt keinen Sinn.
Daher ist denn auch die sittliche Freiheit so vielfach als Freiheit vom
Bösen, von der Sinnlichkeit, von unsittlichen Antrieben bezeichnet und
der freie Mensch mit dem sittlichen identifiziert worden.
In der Tat empfinden wir Freiheit, und mit dem ganzen Recht, das dieser
Begriff überhaupt beanspruchen kann, wenn ein besserer Trieb in uns sich
von der Gewalt befreit, die ein unsittlicherer ausüben will.
Die Freiheit, als Vermögen gedacht, hat freilich nicht viel Sinn; aber
als Prozess (<289) der Befreiung hat sie volle Bedeutung.
Sobald mehrere und entgegengesetzte Motive ihre antreibende Kraft
äussern, ist das schliessliche Verstummen des einen eine Befreiung des
anderen von ihm; dieses ist nun frei von dem Druck der Gegnerschaft, der
Beeinträchtigung, die bis dahin der Entfaltung seiner eigenen Kraft im
Wege stand.
Freiheit ist sowohl der ratio cognoscendi wie der ratio essendi nach
Befreiung von Etwas; überall, wo wir von Befreiung sprechen, bedarf es
einer vorhergegangenen Gegnerschaft, und daher ist es verständlich, wie
gerade in Bezug auf das sittliche Leben bei dem häufig auftauchenden und
oft schnell entschiedenen Widerstreit seiner Motive die Empfindung von
Freiheit so scharf ins Bewusstsein tritt.
Freilich zeigt sich hierbei auch die optimistische Einseitigkeit
derjenigen Ethiker, die die Freiheit mit der Sittlichkeit, also mit der
Überwindung der Unsittlichkeit identifizierten.
Denn auch das Umgekehrte, auch der Sieg des unsittlichen über das
sittliche Motiv ist eine Befreiung, er steht formal unter den ganz
gleichen Bedingungen und wir können ihm deshalb nicht auf Grund eines
späteren Werturteils die Einreihung in die gleiche Kategorie versagen.
Der Prozess nebst dem Gefühl, das seinen formalen Ablauf begleitet,
bleibt derselbe, auch wenn er in umgekehrter Richtung und mit
entgegengesetztem Erfolge verläuft.
Wie sich das erhebende Gefühl der Sittlichkeit psychologisch zugleich
als ein Gefühl der Freiheit darstellt, wenn wir uns bewusst sind, dass
wir uns aus den Versuchungen zum Gegenteil herausgerungen, uns von ihnen
befreit haben: so ist kein Zweifel, dass ein Gefühl von Freiheit auch
denjenigen erfüllt, der die Brücken zum Guten hinter sich abgebrochen,
sich mit seinem Gewissen abgefunden hat und nun unbeirrt und befreit von
allen Regungen von Weichheit, Rücksichten und Altruismus seinen Zielen
nachjagen kann.
Die Selbstüberwindung, die der Sprachgebrauch als Überwindung des
Bösen durch das Gute fasst, ist doch auch im umgekehrten Sinn die
Bedingung vieler Handlungen.
Das Gewissen, (<290) sittliche Bedenken, angeerbte Moraltendenzen
machen sich auch in der Seele des Bösen oft genug geltend und bedürfen
einer Überwindung, ehe seine Bahn frei vor ihm liegt.
Wir vermeiden auf diese Weise eine Schwierigkeit, die jeder
Identifizierung der Freiheit mit der Sittlichkeit droht.
Wenn nämlich nur der Sittliche frei ist, so ist nicht zu begreifen,
wieso man für die Unsittlichkeit in irgend einem Masse verantwortbar sein
könne, da doch Freiheit die Vorbedingung der Verantwortung ist.
Es scheint dann einer doppelten Freiheit zu bedürfen, einer, welche
jeder Bestimmung des sittlichen Wesens vorangeht, und einer erst
nachträglich als eine solche Bestimmung gewonnenen; alle jene Ethiker -
und es sind viele von Kant bis Steinthal, welche die Lösung des
Freiheitsproblems damit gewonnen zu haben glauben, dass sie die Freiheit
zugleich als Sittlichkeit fassen - verwickeln sich in den Zirkel, eine
Freiheit zu brauchen, um die Freiheit zu gewinnen, weil ihr eigentlicher
Freiheitsbegriff nicht die Freiheit zum Bösen einschliesst.
Behalten wir indes den richtigen Grundgedanken bei, dass Freiheit immer
Freiheit von etwas, von einem angebbaren Zwang, Druck oder Bedrohung sein
muss, und wenden ihn folgerichtig auch auf den Vorgang an, in dem das
Böse in uns das Gute überwindet, so bedarf es nicht mehr zweierlei
verschiedener Freiheiten, wie es der Fall ist, wenn man die
»eigentliche« Freiheit mit der Sittlichkeit identifiziert.
Wenn wir die Vorstellung eines wollenden Ich haben, welches die
Antriebe des Guten und des Bösen gleichmässig fühlend seine Freiheit
als Befreiung von einem dieser zeigte, so entsteht dieselbe nur dadurch,
dass der siegende, d. h. sich vom andren befreiende Teil die Hauptsumme
des Bewusstseins, also dasjenige, was wir unser Ich nennen, für sich
gewinnt und nach sich bestimmt; das Übergewicht des einen über den
andren kann ja eben nur stattfinden auf Grund der Gesamtlage der
psychischen Verhältnisse, deren Bestimmtheit in dieser Richtung freilich
erst nach dem entschiedenen Sieg und durch ihn ins Bewusstsein tritt.
Die siegreiche Partei (<291) erscheint uns dann als das eigentliche
Ich, aber dieses ist in Wirklichkeit keine über den Parteien schwebende
Macht, die die Entscheidung durch Geltendmachung einer in jenen selbst
nicht liegenden Kraft brächte, sondern ist das Gesamtbewusstsein, welches
durch das Übergewicht des einen Antriebes über den andren die Färbung
und Direktive jenes angenommen hat.
Dies ist um so natürlicher, als durch die Entfernung und Befreiung von
einer der herrschenden entgegengesetzten Strebung eine Einheitlichkeit in
der Seele gewonnen wird, die gerade für die Vorstellung des Ich
förderlich und erforderlich ist.
Nicht das freie Ich entscheidet über gut und böse, sondern der
psychische Mechanismus lässt das eine das andere aus dem Felde schlagen
und dies erscheint durch Identifizierung des Ich mit dem Sieger so, als ob
eben das Ich sich von dem andren Triebe befreit hätte.
Verdienst und Schuld enthalten auf diese Weise unmittelbar die Freiheit
in sich, statt sie vorauszusetzen.
In dem gleichen Prozess des Kampfes verschiedener Antriebe und des
Sieges des einen vollzieht sich einerseits Verdienst oder Schuld,
andrerseits die Befreiung vom andren.
Weder der Begriff von Freiheit noch der von Verdienst und Schuld wäre
in uns aufgetaucht, wenn unser ethisches Wesen sich kampflos und
gegensatzlos entwickelte.
So wenig wir der Blume Verdienst an ihrer Schönheit zusprechen oder
Freiheit, so oder anders zu sein, so wenig kann die schöne Seele beides
beanspruchen, in der sich das Gute so völlig selbstverständlich, durch
einen so einheitlichen und deshalb unwiderstehlichen Naturtrieb vollzieht,
dass der Gedanke und die Möglichkeit entgegengesetzten Handelns für sie
überhaupt nicht in Frage kommt.
Indem wir Verdienst und Schuld aus der Abhängigkeit von einem über
dem psychologischen Mechanismus schwebenden Ich gelöst und als ein
Verhältnis innerhalb des letzteren erkannt haben, wird zugleich klar,
dass das Wesen dieser Vorgänge dem Freiheitsbegriff hinreichenden Raum
gewährt.
Denn darin besteht ihr Wesen, dass von zwei zu entgegengesetzten
(<292) Handlungsweisen führenden Antrieben der eine sich Geltung
verschafft und sich von dem Einfluss, der Ablenkung und Schwächung, die
ihm seitens des andren drohte, befreit.
Sehr richtig ist schon lange erkannt, dass die Freiheit nicht ein
inhaltloses, jeder Bestimmtheit entbehrendes aequilibrium indifferentiae
ist; nur dies war die häufige optimistische Einseitigkeit, dass man ihr
den Inhalt der Sittlichkeit gab, ohne daran zu denken, dass zur
Unsittlichkeit und zur Schuld ebenderselbe Prozess, nur mit umgekehrtem
Vorzeichen gehört.
Wir sind nicht frei, bevor wir uns Schuld und Verdienst erwerben,
sondern indem wir es tun, gewährt uns der gleiche Akt das Gefühl der
Befreiung von dem entgegengesetzten Antrieb.
Dies ist der aufrecht zu erhaltende Sinn der Freiheit, der durch den
Reichtum der ins Spiel gesetzten Motive und durch die Kraft, welche ihr
Streben und Gegenstreben entfaltet, in der Tat das Gefühl von Würde und
Bedeutsamkeit rechtfertigt, das sich mit der Vorstellung der menschlichen
Freiheit verbindet.
Auch jene täuschende Freiheitsidee, die eine andre als die wirkliche
Handlung für möglich hält, entspringt wenigstens psychologisch aus der
gleichen Quelle: aus dem Drange, den wir zu dieser andren empfinden, ehe
es sich entschieden hat, welche die herrschende bleibt, und der gegenüber
wir die subjektive Ungewissheit über den Ausgang zu der objektiven
Möglichkeit eines abweichenden hypostasieren.
Georg Simmel: Einleitung
in die Moralwissenschaft
Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe
Cotta's Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1892/93
Vorworte
Band 1:
1.
Kapitel: Das Sollen
2.
Kapitel: Egoismus und Altruismus
3.
Kapitel: Sittliches Verdienst und sittliche Schuld
4.
Kapitel: Die Glückseligkeit
Band 2:
5.
Kapitel: Der kategorische Imperativ
6.
Kapitel: Die Freiheit
7.
Kapitel: Einheit und Widerstreit der Zwecke
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