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Die Demontage der
Führungsstrukturen in lokalen Parteisektionen [1] Soziologisches Institut der Universität
Zürich (August 2004) 1. Einleitung 2. Methodologie
und Datenbasis 1. Einleitung Mit ihren weit über 5000 Lokalsektionen ist die kommunale Ebene
des Schweizerischen Parteiensystems darauf ausgerichtet, dass sich hohe
Prozentanteile der Bevölkerung nicht nur für kommunalpolitische Belange
interessieren, sondern auch bereit sind, sich langfristig in formelle
politische Strukturen einbinden zu lassen. Denn nur unter diesen Bedingungen
kann es gelingen, eine kontinuierliche Versammlungsaktivität und Präsenz in
der Gemeindepolitik zu entfalten und sowohl die parteiinternen Aemter wie die der Parteizustehenden politischen Mandate
in den Gemeindegremien regelmässig zu besetzen. Vielerlei Ergebnisse unserer diachronen empirischen
Untersuchungen weisen darauf hin, dass seit Ende der 80er Jahre eine überaus
generelle Erosion dieser Rekrutierungsfelder und Partizipationspotentiale
stattgefunden hat, die sich auf Gemeinden aller Grössenklassen und Sprachregionen
erstreckt. So haben die meisten Lokalsektionen ein Schrumpfen ihrer
Mitgliederbasis (Geser 2003) und ihrer Besucherzahl
an Parteiversammlungen hinnehmen müssen, und viele haben als Folge davon auch
die Frequenz ihrer Versammlungen reduziert (vgl. Geser
2004). Die Vermutung liegt
nahe, dass mit diesem quantitativen Abbau auch ein Verlust an qualitativen
Leistungskapazitäten einhergehen könnte: etwa in dem Sinne, dass
Lokalsektionen aufgrund des sinkenden Bestands an amtswilligen
Aktivmitgliedern genötigt sein könnten, den Differenzierungsgrad ihrer
formellen Organisationsstruktur zu reduzieren. Im Falle politischer Parteien
manifestiert sich dieser Differenzierungsgrad nicht primär - wie z. B. bei
Firmen oder Verwaltungen - in der Vielfalt arbeitsteilig differenzierter
Rollen, sondern im Ausbau all jener Elemente der Führungsstruktur, die es der
Gruppierung ermöglichen, kollektiv verbindliche Meinungspositionen zu
erarbeiten und Entscheidungen zu treffen. Und sowohl im politischen Kontext
wie auch innerhalb der Mutterpartei als tatkräftige kollektive Einheit zu
agieren. Im Falle der Schweizer Lokalparteien, von denen mehr als die
Hälfte weniger als 80 Anhänger (und weniger als 25 Aktivmitglieder) aufweisen
und in Kleingemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern operieren, stellt sich
natürlich die Frage, ob nicht in den meisten Fällen der Parteipräsident als
Einzelperson in der Lage sei, allen Führungsbelangen seiner Gruppierung
Rechnung zu tragen. Darauf ist zu antworten, dass selbst kleinste Parteigruppierungen
dem Prinzip der "kollegialen Entscheidungsfindung" unterliegen:
d.h. jener obersten Prämisse des Schweizerischen politischen Systems, das
auch die Funktionsweise aller anderen politischen Akteure (von Gemeinderäten
und Schulkommissionen bis zu kantonalen Regierungsräten und dem Bundesrat)
sowie die Machtverteilung innerhalb privatrechtlicher Vereine und Verbände
konstituiert. Es verlangt, dass formelle Vorsitzende bloss als „primi inter pares" innerhalb sie umgebender
Ratsgremien fungieren, in denen sich die demographischen und politischen
Kräfteverhältnisse der sie wählenden Basis repräsentieren. Zwar entfällt bei
zahlreichen lokalen Sektionen die formelle Verpflichtung zu
kollektiven Leitungsgremien, weil sie - als unselbständige Teile der Kantonalpartei
- keinen Vereinsstatus besitzen. Die meisten aber halten sich aus informellen
Gründen an dieses System: mit Ausnahme mancher Tessiner Gruppierungen, wo
sich - de jure und de facto - alle Aktivitäten und Kompetenzen beim Präsidium
konzentrieren. Manche anderen Kleingruppierungen verzichten auf ein
Leitungsgremium, weil sie dank geringer Sitzungszahl und Mitgliederzahl in
der Lage sind, alle an Parteiversammlungen Anwesenden ohne weiteres in alle
Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Die meisten Gruppierungen distanzieren
sich allerdings von derart direktdemokratischen Modellen, indem sie einen "Parteivorstand"
konstituieren, der alle wichtigen Kräfte der Partei repräsentieren soll und
in allen Aktivitätsbereichen als Entscheidungs- Ausführungs- und Aufsichtsorgan
fungiert. In grösseren und besonders aktiven Parteien kommt noch eine - als
Ausschuss des Vorstandes konstituierte - "Geschäftsleitung"
hinzu, die - als kollektives Präsidium - besser als der schwerfällige
Vorstand in der Lage ist, eine kontinuierliche Aktivität zu entfalten und vor
allem den kurzfristigen Reaktionserfordernissen (z. B. gegenüber Medien), wie
sie eine lebendige Kommunalpolitik mit sich bringt, Rechnung zu tragen. In der nachfolgenden empirischen Analyse geht es um die Frage,
in welchem Ausmass sich einerseits die Verbreitung und Ausgestaltung von
Parteiführungsgremien, andererseits aber auch die kausalen Determinanten, von
denen ihre Ausdifferenzierung abhängt, seit Ende der 80er-Jahre verändert
haben. 2. Methodologie und Datenbasis Im Herbst 1989 und im Herbst 2002 wurden am Soziologischen
Institut der Universität Zürich zwei praktisch identische empirische
Untersuchungen durchgeführt, in die alle (ca. 5000) Ortsparteien in den
Gemeinden der Schweiz einbezogen worden sind. Allen Präsidentinnen und Präsidenten dieser lokalen
Gruppierungen wurde ein umfangreicher Fragebogen zugeschickt, in dem sie
aufgefordert wurden, über die Anhängerbasis und Organisationsstruktur, die
ideologischen und sachpolitischen Positionen, die inneren Prozesse und die
externen politischen Aktivitäten der Partei detaillierte Auskünfte zu geben.
Bei beiden Surveys wurden jeweils rund 2550
Fragebogen ausgefüllt zurückgesandt (d. h. ca. 50%). Bei rund 80% dieser
Gruppierungen handelt es sich um die Lokalsektionen der vier landesweit
tätigen grossen Bundesratsparteien (FDP, CVP, SVP und SP); bei weiteren 8% um
die örtlichen Filialen kleinerer Parteien, und bei den restlichen 12% um
autonome lokale Gruppierungen ohne Einbindung in kantonale oder nationale
Organisationen. 3. Empirische Ergebnisse 3.1 Der Parteivorstand Während der Parteiversammlung die oberste
"legislative" Entscheidungskompetenz (z. B. bei Aenderung
der Statuten, Festlegung von Mitgliederbeiträgen u.a.)
zukommt, so bildet der Parteivorstand formell das höchste Ausführungs- und
Aufsichtsorgan, das auch de facto die sachpolitischen und personalpolitischen
Belange der Partei stärker als alle anderen Organe bestimmt (vgl. Geser et. al.1994). In seine
Zuständigkeit fällt es beispielsweise, strategische politische Zielsetzungen
und Programme festzulegen, die Kandidaten für kommunale Aemter
und die Delegierten für kantonale Parteikongresse zu bestimmen, parteiinterne
Arbeitsgruppen und Kommissionen zu konstituieren, Reglemente zu genehmigen,
kommunalpolitische Stellungnahmen zu erarbeiten und zuhanden der
Parteiversammlung das Jahresprogramm und Jahresbudget vorzubreiten. Gerade bei kleineren
Parteien mit prekärer Mitgliederbasis kann es besonders wichtig sein, durch
Konstitution eines Vorstands einen stabilen Kreis von Kernmitgliedern zu
schaffen, die in formell verbindlicher Weise verpflichtet sind, alle
anfallenden Aufgaben (vor allem auch dann, wenn sie an niemand anders
delegiert werden können) zu übernehmen. Während ausnahmslos alle Parteigruppierungen ein
"Präsidium" aufweisen, kommen zahlreiche unter ihnen ohne ein
formelles kollektives Führungsgremium aus. Bei einem Teil von ihnen handelt
es sich um - vor allem im italienischen Landesteil beheimatete -
"präsidiale Parteien", die auch kaum jemals eine Parteiversammlung
abhalten, sondern ausschliesslich von ihrem Vorsitzenden administriert
werden, der sowohl für die Mutterpartei wie für die Gemeinde als
"Anlaufstelle" (und sei es auch nur in der minimalen Form einer
Briefkastenadresse) fungiert. Die übrigen können als "basisdemokratische" Parteien
betrachtet werden, bei denen die allgemeine Parteiversammlung - an denen alle
Aktiven auf eigenen Wunsch auch an den Entscheidungsgeschäften teilnehmen
können: in dem Sinne, dass die allgemeine Parteiversammlung (die
durchschnittlich kaum mehr als zehn Teilnehmer umfasst) gleichzeitig als
"Vorstandssitzung" fungiert. Generell lässt feststellen, dass vorstandslose Gremien im
Zeitintervall zwischen beiden Erhebungen in der Gesamtschweiz um über 50%
zugenommen haben. Allerdings sind die Zuwächse im deutschen Sprachraum viel
bescheidener geblieben als in der Romandie und im Tessin, wo - ausgehend von
einem bereits hohen Niveau 1989 - praktisch eine Verdoppelung ihrer
Prozentanteile stattgefunden hat (Tab. 1). Tabelle 1:
Prozentsatz der Lokalparteien ohne Vorstandsgremium 1989 und 2002: nach
Sprachregionen
In dieser Entwicklung widerspiegelt sich aber keineswegs ein
Trend zu informeller Basisdemokratie, sondern ganz im Gegenteil eine
verstärkte Hinwendung zu zentralistisch geführten Gruppierungen, in denen
allein das Präsidium alle wichtigen Entscheidungen trifft. Dies zeigt sich
deutlich im empirischen Befund, dass sich der Anteil vorstandsloser Gremien,
die im Jahr höchstens eine Generalversammlung abhalten, von 20% auf über 50%
zugenommen hat, während der Anteil derjenigen, deren Mitglieder häufiger als
viermal im Jahr zusammenkommen, von 43% auf unter 18% sank (Tab. 2). Tabelle 2:
Häufigkeit von Parteiversammlungen bei Lokalparteien ohne Vorstandsgremium
1989 und 2002
Beim Vergleich
der politischen Parteien zeigt sich, dass Sektionen ohne Vorstand sowohl bei
bürgerlichen wie - besonders ausgeprägt - bei linken politischen
Gruppierungen eine Zunahme erfahren haben. Ausnahmen bilden allerdings die
SVP und die EVP, die heute hinsichtlich der Verbreitung kollektiver
Führungsstrukturen an vorderster Stelle rangieren (Tab. 3). Tabelle 3:
Prozentsatz von Lokalsektionen ohne Vorstandsgremium 1989 und 2002: nach
Parteirichtung
Es stellt sich
die Frage, ob der häufigere Verzicht auf Vorstandsgremien eine aktuelle
Erscheinung darstellt, die als Reaktion auf ein geringeres Angebot an amtswilligen Mitgliedern zurückgeführt werden muss, oder
ob sich in diesem Trend längerfristigere Entwicklungen widerspiegeln. Eine zumindest partielle
Antwort auf diese Frage erhält man, indem man Parteien jüngeren und älteren
Gründungsdatums miteinander vergleicht: geleitet von der bekannten Annahme Stinchcombes, dass formale Organisationen tendenziell
lebenslänglich die in ihrer Entstehungsphase erworbenen Merkmale
beizubehalten pflegen (vgl. Stinchcombe 1965). Die Vergleichszahlen
weisen darauf hin, dass erst in der Periode der "Neuen Sozialen
Bewegungen" (die generell durch einen Aufschwung informellerer
politischer Partizipations- und Kollektivierungsformen geprägt war) in
wesentlichem Umfang Lokalparteien ohne Führungsgremium entstanden sind, und
dass Gruppierungen früheren Entstehungsdatums diesen Schritt zum Abbau
formaler Organisation im Zeitraum 1989 bis 2002 nur in relativ geringem
Umfang nachvollzogen haben (Tab. 4). Tabelle 4:
Prozentanteile der Lokalsektionen ohne Vorstandsgremium 1989 und 2002: nach
Gründungsperiode
Als alternative Interpretation dieses selben Datenmusters liesse
sich allerdings auch vermuten, (a) dass die früh gegründeten Parteien sich meist in grösseren
Gemeinden befinden, in denen sich ein formales Führungsgremium als
unerlässlich erweist; und/oder (b) dass die älteren Parteien überwiegend aus Gruppierungen
bestehen, die sich gerade dank ihres Führungsgremiums als langfristig
überlebensfähig erwiesen haben; während sich bei den jüngeren auch zahlreiche
ephemere Vereinigungen finden, die zukünftig vielleicht nur weiterbestehen
können, wenn sie sich zur Ausbildung eines Vorstandsgremiums entschliessen. Während das schiere Bestehen eines Vorstandsgremiums für
über 90% der Gemeindeparteien eine unbefragte Selbstverständlichkeit
darstellt, ist seine Grösse eine durchaus manipulierbare Variable, in
der sich die Ausdifferenzierung der organisatorischen Führungsstruktur in
quantitativer Weise manifestiert. Die Mitgliederzahl des Parteivorstands bestimmt
sich durch ein Parallelogramm verschiedener Kräfte, weil gleichzeitig
poltisch-repräsentativen und sachlich-funktionalen Gesichtspunkten Rechnung
getragen werden muss. In politisch-repräsentativer Hinsicht geht es darum, ein
Gremium zu schaffen, das die unterschiedlichen Segmente der Mitgliederbasis
einerseits und die verschiedenen politischen Mandats- und Aktivitätsbereiche
der Partei andererseits adäquat widerspiegelt. So wird es heute im Normalfall nötig sein, neben dem
konventionell dominierenden Segment der "mittelalterlichen Männer"
auch den Frauen, den Jugendlichen und den Senioren regelmässige Sitze
einzuräumen, den unterschiedlichen Quartieren Rechnung zu tragen, und für ein
ausgeglichenes Verhältnis "konservativer" und "progressiver"
Kräfte zu sorgen. In funktional-sachlogischer Perspektive bestimmt sich die
Grösse des Parteivorstands
Hinzu kommt das Erfordernis, durch Einbezug politischer
Mandatsträger zu allen wichtigen politischen Instanzen nützliche
Kommunikationskanäle zu gewinnen, damit die Partei auf den Gang der
Kommunalpolitik optimal Einfluss nehmen kann. Wie z. B. am Falle der FDP der Stadt Luzern sichtbar wird, kann
aus einer solchen Vielzahl gleichzeitig geltender Repräsentationsregeln ein
umfangreiches Gesamtgremium resultieren: "Dem Parteivorstand
gehören von Amtes wegen an: ·
Die Mitglieder der
Geschäftsleitung; ·
Die amtierenden
Parteimitglieder des Stadtrates, des Regierungsrates und der Bundesversammlung aus dem Wahlkreis
Luzern-Stadt; ·
Ein oder zwei Mitglieder
der Fraktion des Grossen Stadtrates; ·
Ein oder zwei
Mitglieder der Fraktion des Grossen Rates (Wahlkreis LU-Stadt); ·
Die
Kreispräsidenten/innen; ·
Ein Parteimitglied der
Schulpflege; ·
Eine Vertreterin der
FDP-Frauen der Stadt Luzern; ·
Ein Mitglied der Società Liberale Fratellanza Ticinese a Lucerna; ·
Ein Mitglied der
Jungfreisinnigen der Stadt Luzern; ·
Ein/Eine Vertreter/in
aus dem Ressort Senioren/Seniorinnen. Dem Parteivorstand
gehören ferner zehn bis zwanzig weitere Mitglieder an, welche auf Vorschlag
der Geschäftsleitung von der Parteiversammlung für eine Amtsdauer von vier
Jahren gewählt werden (freie Vorstandsmitglieder).“ [2] All diese Erwägungen führen zur Hypothese, dass die
Mitgliederzahl des Vorstands positiv mit den folgenden Variablen korreliert: 1) Einwohnerzahl der Gemeinde: Je grösser eine
Gemeinde, desto wahrscheinlicher ist es, dass einerseits Mitglieder aus
verschiedenen Quartieren und sozialen Gruppen sowie verschiedensten
politischen Gremien repräsentiert werden müssen, und dass die Partei
andererseits ein hohes Aktivitätsniveau aufrechterhalten muss, um all den
sach- und personalpolitischen Fragen, die in der Kommunalpolitik auftreten,
Rechnung zu tragen. 2) Grösse der gesamten Parteianhängerschaf: tMit der Zahl der Anhänger wächst auch die
Heterogenität der Mitgliederbasis: so dass für ihre adäquate Repräsentation
zahlreichere Sitze eingerichtet werden müssen. Gleichzeitig steigt auch in jeder Hinsicht das Aktionspotential, das
die Parteisektion innerhalb der Gemeinde und innerhalb ihrer kantonalen
Mutterpartei entfalten kann - und damit auch das Arbeitsvolumen, das vom
Vorstand bewältigt werden muss. 3) Zahl der aktiven Parteimitglieder: Je höher die Zahl
engagierter, regelmässig partizipierender Mitglieder, desto eher werden auch
für zahlreiche Vorstandssitze immer genügend Kandidaten zur Verfügung stehen,
und desto umfangreicher wird der Fluss von Kommunikationen, und inneren und
äusseren Aktivitäten, die der Lenkung durch ein Führungsgremium bedürfen. 4) Zahl politischer Mandate: Je grösser die Zahl der Mandate, die die
Partei (z. B. aufgrund ihres Stimmenanteils) in den kommunalen Gremien
(Exekutive und Kommissionen) besetzt, desto mehr wird sie einerseits genötigt
sein, für diese Parteivertreter Vorstandssitze einzurichten, und desto
grösser muss - auch unabhängig davon - das Vorstandsgremium sein, um
allerseits adäquate Kommunikations- und Einflussbeziehungen zu pflegen. 5) Höhe des Jahresbudgets: Je grösser die Geldsumme, die die Partei
(z. B. aufgrund von regelmässigen Mitgliederbeiträgen oder freiwilligen
Spenden) verwaltet, desto zahlreicher und bedeutsamer die Entscheidungen, die
hinsichtlich der Allokation dieser Mittel getroffen werden müssen - und desto
höher infolgedessen das Bedürfnis, die Legitimation solcher Beschlüsse auf
ein relativ umfangreiches Gremium abzustützen. Angesichts dieser komplexen Einflussverhältnisse müssen von der
empirischen Analyse zwei Fragen beantwortet werden:
Als Ausgangspunkt für die Beantwortung der ersten Frage zeigt
Tabelle 5, dass sich die durchschnittliche Mitgliederzahl der
Vorstandsgremien in allen drei Sprachregionen verringert hat. Allerdings hat
sich diese Reduktion in der deutschen und italienischen Schweiz erheblich
deutlicher vollzogen als in der Romandie, wo die Differenz (0.5 Mitglieder)
nicht die statistische Signifikanzschwelle überschreitet. Tabelle 5:
Durchschnittliche Grösse des Parteivorstands 1989 und 2002: nach Sprachregion
Deutlicher als
die Zunahme vorstandsloser Parteien (vgl. Tab. 3) erweist sich der Abbau der
Vorstandsgrösse als ein universeller, alle bürgerlichen und linken Parteien
in ähnlicher Weise einbegreifender Trend. Tabelle 6:
Durchschnittliche Grösse des Parteivorstands 1989 und 2002: nach
Parteirichtung
Besonders ausgeprägt hat er sich allerdings in den beiden etabliertesten, auf der kommunalen Ebene besonders stark
vertretenen Parteien (FDP und CVP) vollzogen, die ihre Vorstände um
durchschnittlich zwei Sitze verringert (und sich dadurch den Verhältnissen in
der SVP und der SP angenähert) haben (Tab. 6). Es stellt sich die Frage, ob die Bevorzugung geringerer
Vorstandsgrössen - ähnlich wie der völlige Verzicht auf ein Vorstandsgremium
- eine aktuelle Entwicklung darstellt, die in kürzlichen
Wandlungen (wie z. B. der Verringerung der Anhängerschaften und
Parteiaktiven) ihre Ursache hat, oder ob sich darin längerfristigere
Wandlungsprozesse widerspiegeln. Die Zahlen der Tabelle 7 legen eher die
zweite Hypothese nahe, denn sie zeigen, dass die ältesten Sektionen das
grösste Vorstandsgremium besitzen, und dass die Mitgliederzahl im Gremium mit
abnehmendem Parteialter kontinuierlich sinkt. Andererseits aber scheint
dieser langfristige Trend in den letzten Jahren dadurch verstärkt worden zu
sein, dass auch Parteien älteren Gründungsdatums eine Reduktion ihrer
Vorstandsgrösse vollzogen haben. Besonders ausgeprägt zeigt sich dies bei den
zwischen 1922 und 1951 gegründeten Sektionen, deren Vorstände sich im
Durchschnitt um nicht weniger als 1.3 Mitglieder verkleinert haben. Tabelle 7:
Durchschnittliche Grösse der Vorstandsgremien 1989 und 2002: nach Gründungsperiode
Man könnte einwenden, dass diese Reduktion der
Durchschnittswerte dadurch verursacht wird, dass die Parteien im Zuge der
flächendeckenden Erweiterung ihres lokalen "Filialnetzes" vor allem
in kleinen und kleinsten Gemeinden zahlreiche Neugründungen vollzogen haben. Wie aber aus Figur 1
hervorgeht, haben sich die dramatischsten Veränderungen genau umgekehrt in
den Gemeinden mit bereits lange bestehenden Lokalsektionen vollzogen, vor
allem in den Städten mit über 20000 Einwohnern, wo durchschnittlich Verluste
von über drei (!) Mitgliedern zu verzeichnen sind. Ganz offensichtlich ist
die kausale Bedeutung der Bevölkerungsgrösse seit 1989 geringer geworden:
denn zumindest unterhalb einer Schwelle von 50000 Ew. scheint über alle
Grössenklassen hinweg eine Nivellierung der Vorstandsgrösse stattgefunden zu
haben. In analoger Weise hat sich auch der Zusammenhang mit dem Umfang
der Parteianhängerschaft verringert: indem die kleinsten Gruppierungen ihre
Vorstandsgrösse beibehalten und die mitgliederreichsten Gruppierungen die
weitaus grössten Reduktionen vorgenommen haben (Figur 2). Dabei wird
deutlich, dass Gemeindegrösse und Parteigrösse als zwei unabhängige
Kausalkräfte betrachtet werden müssen, deren Wirkungen sich einerseits
addieren, andererseits aber auch in einem wechselseitig konditionierenden
Verhältnis zueinander stehen. So sind es die grösseren Parteien, in denen die
Wirkungen der Gemeindegrösse am stärksten zum Ausdruck kommen, und die in den
Städten beheimateten Gruppierungen, bei denen zwischen Anhängerzahl und
Vorstandsgrösse der engste Zusammenhang besteht. Wäre die Verkleinerung des Vorstandes durch die mangelnde
Verfügbarkeit amtswilliger Kandidaten bestimmt,
müsste sie sich wohl in erster Linie in den Gruppierungen mit einer (absolut)
geringen Anzahl aktiver Mitglieder vollziehen. Im diametralen Gegensatz zu dieser Vermutung zeigt sich, dass
Sektionen mit über 50 Parteiaktiven weitaus die grössten Reduktionen
vollzogen haben. Dies gilt ganz besonders für die Parteien in den grösseren
Gemeinden, in denen die Vorstandsgrösse um durchschnittlich nicht weniger als
vier Sitze sank (Figur 3). Vielleicht liegt der Grund darin, dass
Parteiaktive heute weniger als früher für formelle Parteiämter zur Verfügung
stehen, da sie informellere Weisen aktiver Partizipation bevorzugen und - vor
allem in städtischen Sektionen, in denen viele Aktivitäten anfallen - nicht
mehr bereit sind, die umfangreichen Verpflichtungen, die ein Vorstandsmandat
mit sich bringt, zu akzeptieren. Aus Figur 4 geht hervor, dass sich die Reduktion der
Vorstandsgrösse unabhängig vom Umfang der jährlich verfügbaren Finanzmittel
vollzog. Allerdings waren es auch in diesem Falle die Parteien mit den
reichsten Ressourcen, die die weitgehendsten Strukturveränderungen vorgenommen haben. Besonders in
kleineren Gemeinden hat sich deshalb heute ein Zustand eingestellt, dass die
Vorstandsgrösse nur noch sehr geringfügig mit der Höhe des Jahresbudgets
korreliert. Interessant ist die Beobachtung, dass Effekte der Bevölkerungsgrösse
bei Kontrolle der Budgethöhe fast völlig verschwinden. Dies weist darauf hin,
dass die mit der Einwohnerzahl korrelierte Höhe der Einnahmen (und Ausgaben)
der (hauptsächliche) Grund ist, warum man in grösseren Gemeinden
umfangreichere Vorstandsgremien findet. In
Übereinstimmung mit unseren Hypothesen ist auch die Zahl der von einer Partei
besetzten kommunalpolitischen Aemter - unabhängig
von der Gemeindegrösse - positiv mit der Sitzzahl im Parteivorstand
verknüpft; und erwartungsgemäss haben Parteien mit sehr unterschiedlicher
Zahl von Mandaten ihre Vorstandsgrösse in ähnlichem Umfang reduziert. Eine
Ausnahme bilden bloss die kommunalpolitisch besonders prominenten,
wählerstarken Gruppierungen, die in Exekutive und Kommissionen insgesamt über
25 Sitze innehaben. Sie haben ihre Vorstandsgrösse sowohl in kleineren wie in
grösseren Gemeinden völlig auf demselben Niveau gehalten (Figur 5).
Offensichtlich sind die kommunalpolitisch besonders dominierenden Parteien
heute wie früher darauf verwiesen, ein besonders umfangreiches
Vorstandsgremium aufrechtzuerhalten: indem sie dafür besorgt sind, zu allen
Parteiexponenten in Behörden und Kommissionen kommunikative Beziehungen
aufrechtzuerhalten, oder sie gar (wie im oben zitierten Beispiel der Stadt-Luzerner FDP) direkt in den Vorstand einzubeziehen. Mit Hilfe multivariater linearer
Regressionsmodelle soll im folgenden versucht
werden, die unabhängigen statistischen Erklärungsbeiträge der verschiedenen diskutierten
Einflussfaktoren zu ermitteln und in einer synoptischen Darstellung zu
fokussieren. Eine Gegenüberstellung der zu beiden Zeitpunkten berechneten
Koeffizienten bietet überdies Gelegenheit zur Beantwortung unserer zweiten
Frage: inwiefern sich die relativen Gewichte der verschiedenen
Kausaleinflüsse im Zeitintervall zwischen beiden Untersuchungen verändert
haben. Tabelle 8:
Erklärungsmodelle für die Grösse des Parteivorstands 1989 und 2002: multivariate Regressionen (alle Gemeinden)
* rechts= hohe Werte ** in Nichtwahljahren *** Gemeindeexekutive und Kommissionen Aus einem Zeitvergleich der Regressionsgleichungen (vgl. Tab. 8)
lassen sich die folgenden Schlussfolgerungen ziehen:
3.2 Die Geschäftsleitung Im Gegensatz zu den Bundes- und Kantonalparteien, wo dieses
Organ generell üblich ist, haben nur relativ wenige lokale Parteisektionen
eine "Geschäftsleitung" institutionalisiert. Darunter versteht man
ein im Regelfall als Ausschuss des Parteivorstands konzipiertes und vom
Präsidenten geleitetes Führungsgremium, das mindestens drei Mitglieder
umfasst und die Hauptaufgabe hat, die operative Leitung der Partei kontinuierlich
(d.h. auch zwischen den Sitzungsterminen des oft schwerfälligen Vorstands)
sicherzustellen. Nur in grösseren Städten fungiert sie gleichzeitig auch als
Vorgesetztenstelle für teil- oder vollamtlich angestellte Parteifunktionäre,
die - da sie zur normalen Büroarbeitszeit tätig sind - der Partei jene
"Betriebsförmigkeit" verleihen, wie man sie von allen anderen
bürokratischen Organisationen (Firmen, Verwaltungsstellen u.a.)
kennt. Im Regelfall hingegen obliegt es des Geschäftsleitungsmitgliedern
selber, im Rahmen ihres Ehrenamts die anfallende administrative Alltagsarbeit
zu erledigen, die Vorstandsitzungen und Parteiversammlungen vorzubereiten und
durchzuführen, die laufende Kasse zu führen, Partei gegenüber den Medien und
der allgemeinen Öffentlic hkeit
zu vertreten, bei Vernehmlassungen und Eingaben an die Behörden
Stellungnahmen zu verfassen, die Jahresberichte zu erstellen, Wahl- und
Abstimmungskampagnen zu organisieren und die Kontakte mit anderen
kommunalpolitischen Akteuren zu unterhalten. In Gemeinden mit Parlament kommt
noch die Aufgabe hinzu, als Verbindungsglied zwischen der Partei und ihrer
Fraktion in der Legislative zu dienen. Parteien ohne Geschäftsleitung müssen auf einem wesentlich
niedrigeren Niveau innerer Organisations- und Planungsfähigkeit sowie
externer Handlungsfähigkeit operieren, da sie die reinen Vollzugsgeschäfte
normalerweise dem Präsidenten überlassen müssen, der als Einzelperson erstens
meist zuwenig Arbeitszeit erübrigen kann und zweitens ohne Rücksprache mit
dem Gesamtvorstand normalerweise nicht befugt ist, substantiellere
Entscheidungen zu treffen. Dadurch leidet vor allem die kurzfristige
Reaktionsfähigkeit, da der Vorstand meist nur alle zwei Monate tagt. Aus Tabelle 9 wird ersichtlich, dass 1989 im
gesamtschweizerischen Durchschnitt noch jede fünfte, 2002 aber nunmehr jeder siebente Lokalsektion über ein
Geschäftsleitungsgremium verfügte. Dieser Abbau hat zwar überall in
paralleler Weise stattgefunden, ist aber in seinem quantitativen Umfang vor
allem auf die deutsche Schweiz zurückzuführen, die schon zum ersten
Erhebungszeitpunkt unterdurchschnittliche Werte verzeichnete, ihren Abstand
zu den romanischen Sprachregionen inzwischen aber noch weiter vergrössert
hat. In diesen regionalen Diskrepanzen widerspiegeln sich mit Sicherheit
nicht nur Unterschiede in den personellen Rekrutierungsmöglichkeiten, sondern
auch Verschiedenheiten der politischen Kultur. Vor allem stehen sie im
Einklang mit der hohen deutsch-schweizerischen Gewichtung der direkten
Demokratie, die es auch in grösseren Parteien verbietet, die Schwerpunkte der
Aktivität allzu weitgehend auf repräsentative Gremien zu verschieben.
Umgekehrt mag die universelle Verbreitung von Gemeindeparlamente in den
Kantonen der Westschweiz zur Folge haben, dass selbst in kleineren Gemeinden
ein Bedürfnis nach einem besonders handlungsfähigen Führungsgremium entsteht;
und in manchen Tessiner Parteien, die kaum Mitgliederversammlungen
durchführen (und auch öfters auf einen Vorstand verzichten), mag die
Geschäftsleitung die einzige Garantie dafür sein, dass Parteibeschlüsse
überhaupt auf einem repräsentativen Gremium (anstatt bloss auf dem
Präsidenten als Einzelperson) basieren. Tabelle 9:
Prozentanteil der Lokalsektionen mit einer "Geschäftsleitung" 1989
und 2002: nach Sprachregionen
Tabelle 10 zeigt, dass sich die Erosionstendenz der
Geschäftsleitungsgremien in erstaunlichem Masse mit der Position der Partei
auf der Links-Rechts-Achse korreliert. Am deutlichsten zeigt sie sich bei der
SVP und der FDP, in denen die Häufigkeit von Leitungsgremien um ca. 40% sank.
Weniger ausgeprägt hat sie sich bei der CVP (mit ca. 30% Rückgang) vollzogen,
und überhaupt nicht erkennbar ist sie bei den Sozialdemokraten und den
Grünen, die ihre - vergleichsweise niedrigen - Prozentwerte weitgehend
beibehalten haben. Dank dieser unterschiedlichen Entwicklungen haben sich die
Werte über die politischen Lager hinweg erheblich nivelliert: mit Ausnahme
der EVP, wo 2002 nur in vier von 60 Lokalsektionen ein
Geschäftsleitungsgremium bestand. Tabelle 10:
Prozentanteil der Lokalsektionen mit einer "Geschäftsleitung" 1989
und 2002: nach Parteirichtung
Wie schon im
Falle des Vorstands (vgl. Tab. 4) und seiner Mitgliederzahl (Tab. 7) stellt
sich auch hier die Frage, inwiefern der Verzicht auf ein
Geschäftsleitungsgremium eine neuere (evtl. ebenfalls durch das Schrumpfen
der aktiven Mitgliederbasis bedingte) Erscheinung darstellt, oder eine
längerfristige Entwicklung, die bereits vor dem ersten Erhebungszeitpunkt
eingesetzt hat. Die Zahlen in Tabelle 11 legen die Vermutung nahe, dass eine
kumulative Überlagerung lang- und kurzfristiger Entwicklungen besteht. Denn
auf der einen Seite lässt sich aus der positiven Korrelation zwischen dem
Alter der Partei und der Häufigkeit von Geschäftsleitungsgremien schliessen,
dass in früheren Epochen (insbesondere vor 1972) eine deutlich höhere
Präferenz für die Einrichtung kollektiver Führungsorgane bestand.
Andererseits zeigt sich ebenso deutlich, dass in Gruppierungen aller
Altersgruppen zwischen 1989 und 2002 Geschäftsleitungen seltener geworden
sind - eine Entwicklung, die offensichtlich weitgehend parallel zur Reduktion
der Vorstandsgrösse (vgl. Tab. 7) verlief. Tabelle 11:
Prozentanteile der Lokalsektionen mit einer Geschäftsleitung 1989 und 2002:
nach Gründungsperiode
Ähnlich wie die Verkleinerung des Vorstandsgremiums (vgl. Figur
1) hat sich auch der Abbau von Geschäftsleitungsgremien in Gemeinden aller
Grössenklassen vollzogen - allerdings mit der Ausnahme, dass Städte mit über
50 000 Ew. nicht am stärksten, sondern in wenigsten davon betroffen worden
sind (Figur 6). Dies weist darauf hin, dass die oberhalb dieser
Grössenschwelle bestehenden komplexen Strukturen und Aktivitäten kommunaler
Politik nach wie vor zumindest etwa die Hälfte aller Parteisektionen zur
Ausdifferenzierung eines kollektiven Leitungs- und Verwaltungsgremiums
zwingen. Umgekehrt scheint - auch wieder analog zur Vorstandsgrösse - die
Grösse der Parteianhängerschaft im Untersuchungsintervall an kausaler
Bedeutung zu verlieren: insbesondere in den kleineren Gemeinden, wo die
Häufigkeit von Geschäftsleitungsgremien neuerdings auch dann nicht mehr
zunimmt, wenn - was nur bei wenigen Prozent aller Sektionen der Fall ist -
die Gesamtheit der Anhänger die Zahl 300 und Gruppe der Parteiaktiven die
Grösse von 50 überschreitet (Figur 7 und Figur 8). Ähnliche Wandlungen haben
sich beim Kausaleinfluss der Parteifinanzen vollzogen. War 1989 noch ein
hohes Jahresbudget eine hinreichende Bedingung, um die Wahrscheinlichkeit für
das Bestehen einer Geschäftsleitung anschwellen zu lassen, so tritt dieser
Effekt heute nur noch ein, wenn sich ein hohes Ausgabenvolumen mit einer
grossen Gemeindeeinwohnerzahl verbindet (Figur 9). Anders verhält es sich mit dem Einfluss, der von der Zahl der
von der Partei mandatierten kommunalen Amtsträger
(in Exekutive und Kommissionen) ausgeht. Zumindest in den grösseren Gemeinden
steigt hier - gleich wie bei der Vorstandsgrösse - die Prävalenz
von Leitungsgremien sogar stärker als noch 1989 an, wenn über 25 Amtsträger
zu bestellen und zu betreuen sind (Figur 10). Die Ergebnisse
der multivariaten logistischen Analysen (Tab. 12)
geben Auskunft über die unabhängigen kausalen Erklärungsbeiträge der
verschiedenen Prädiktoren, und für deren
Veränderung im Zeitintervall zwischen beiden Erhebungen. Tabelle 12:
Erklärungsmodelle für das Bestehen eines Geschäftsleitungsgremiums 1989 und
2002: multivariate logistische Regressionen (alle
Gemeinden)
* rechts= hohe Werte ** in Nichtwahljahren *** Gemeindeexekutive und Kommissionen In weitgehender Parallele zu den kausalen Bedingtheiten der
Vorstandsgrösse (vgl. Tab 8) zeigt es sich, dass die 1989 noch sehr
ausgeprägte Erklärungskraft der Parteigrösse (=Zahl der Anhänger und der
Aktiven) erheblich abgenommen hat, während umgekehrt die Höhe des
Jahresbudgets und die Mandatszahl in kommunalen Gremien in den Vordergrund
getreten sind - zusammen mit den sprachregionalen Determinanten, die eher
noch an Bedeutung hinzugewonnen haben. Die oben konstatierte Nivellierung
zwischen den Parteirichtungen (vgl. Tab.10) kommt
darin zum Ausdruck, dass der zum ersten Untersuchungszeitpunkt noch
signifikante Einfluss der Links-Rechts-Position völlig verschwindet. Als ebenfalls
kausal irrelevant erweist sich wiederum auch die Bevölkerungsgrösse, wenn man
die von ihr determinierten direkten Kausalfaktoren (Umfang der Mitglieder,
des Budgets und der Mandate) statistisch kontrolliert. 4. Schlussfolgerungen Die präsentierten Ergebnisse machen deutlich, dass die lokale
Organisationsebene der Schweizer Parteien seit Ende der 80er-Jahre einem
Erosionsprozess unterliegt, der nicht nur in abnehmenden Mitgliederzahlen und
politischen Aktivitäten, sondern auch in einer Rückbildung formaler
Strukturdifferenzierungen ihren Ausdruck findet. Dabei sind drei
Entwicklungstrends zu unterscheiden, die alle in dem Sinne umfassend sind,
dass sie sich auf lokale Gruppierungen aller Parteirichtungen und Landesteile
erstrecken. Erstens gibt es bei kleineren und kleinsten Parteisektionen (auch in
städtischen Milieus) eine Tendenz, auf ein kollektives Führungsgremium völlig
zu verzichten: so dass sich die gesamte Parteiaktivität im polaren
Spannungsfeld zwischen Parteipräsident und Parteiversammlung vollzieht. In den meisten Fällen -
besonders ausgeprägt im Kanton Tessin, wo Parteiversammlungen fast unbekannt
sind - ist dadurch eine Zentralisierung des Einflusses an der präsidialen
Spitze verbunden, die dem kollegialen Entscheidungsprinzip, das bei
politischen Gremien der Schweiz sonst überall Beachtung findet, scharf
widerspricht. De jure ist dies möglich, weil die meisten
Parteisektionen nicht im formellen Sinne "Vereine" sind (die
zivilrechtlich zur Ausbildung eines Vorstandsgremiums verpflichtet werden);
und de facto bleiben die politischen Auswirkungen begrenzt, weil die
relevanten politischen Entscheidungen ohnehin auf der Ebene der Kantons- oder
Bundespartei fallen, wo genügend Möglichkeiten der Repräsentation bestehen. Zweitens lässt sich eine breite Tendenz zur personellen Verkleinerung der
Vorstandsgremien konstatieren: insbesondere bei grösseren Parteien
städtischer Gemeinden, die ihre Führungsgremien um durchschnittlich 3-4
Mitglieder reduzieren. Die Vermutung, dass dieser Abbau aus Personalmangel
erfolgt, findet keine Unterstützung, denn die Vorstandsgrösse wird immer
weniger durch die endogenen personellen Ressourcen (Zahl der Anhänger und
Aktiven) determiniert. Stattdessen wird der Ausbau
des Führungsgremiums immer mehr durch exogene Aktivitätsfordernisse
bestimmt, wie sie sich aus dem Umfang der Finanzausgaben und der Vielfalt
kommunalpolitischer Engagements (=Zahl der Amtsmandate)
ergeben. Drittens findet man im oberen Segment besonders grosser und aktiver
Parteien eine wachsende Tendenz, auf die Ausbildung eines - den Präsidenten
unterstützenden - "Geschäftsleitungsgremiums" zu verzichten, das
den Vorstand von laufender Führungs- und Administrationsarbeit entlastet.
Abgesehen davon, dass in grossen Städten kein Abbau festzustellen ist,
scheinen dieselben Kausalkräfte wie beim Abbau des Vorstandsgremiums zu
wirken. Auch hier sind es die Gruppierungen mit den umfangreichsten
Mitgliederbeständen, die diesen Entdifferenzierungsschritt
am häufigsten vorgenommen haben, und die Sektionen mit den höchsten Budgets
und reichhaltigsten politischen Mandaten, die am stärksten an einem
kollektiven Präsidium festzuhalten pflegen. Alle drei Entwicklungen kommen dadurch zustande, dass einerseits
neugegründete Sektionen im Vergleich zu älteren eine weniger ausgebaute
Führungsorganisation aufweisen, und dass ältere Gruppierungen ihre bisherigen
Leitungsstrukturen reduzieren. Diese kumulative Überlagerung beider Trends
macht es wahrscheinlich, dass sich die beobachteten Entwicklungen auch in
Zukunft fortsetzen werden. Geser, Hans, Andreas Ladner, Roland
Schaller und Than-Huyen Ballmer-Cao
(1994): Die Schweizer Lokalparteien. Zürich, Seismo. Geser, Hans (2004): Der
Krebsgang parteiinterner Sitzungs- und Versammlungsaktivitäten. Zürich, Mai. http://socio.ch/par/ges_09.pdf Geser, Hans (2003): Die
erodierende Basis der Zürcher Parteien. Zürich, April. http://geser.net/par/ges_02.pdf Stinchcombe, Arthur L. (1965): Social Structure and Organizations.
(In: March, James D. (ed.) Handbook of Organizations. Rand McNally, Chicago,
S. 142- 193). 1) Diese Arbeit ist im Rahmen
des Projekts "Aktuelle Entwicklungstrends der Kommunalparteien und
Kommunalpolitik" entstanden, das vom
Schweiz. Nationalfonds vom Mai 2002 bis August 2004 gefördert wurde (Projekt-Nr. 1214-064857). 2) Art. 15 der Statuten der FDP
der Stadt Luzern. http://www.fdp-stadtluzern.ch/files/content/element/19587/Statuten03FDPSTADTE.pdf |