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Am Ende der bürgerlichen Gemeinsamkeiten? Aktuelle
Entfremdungssymptome zwischen der FDP und der SVP Hans
Geser Zürich,
März 2003 Ungeachtet ihrer oft prononcierten Konflikte in der Bundes-
und Kantonspolitik erscheinen FDP und SVP in ihren politischen Positionierungen
nach wie vor als durchaus ähnlich, wenn man das Einstellungsprofil ihrer
lokalen Anhängerschaften und Parteisektionen betrachtet Die politische Szene auf Bundesebene und in manchen
Kantonen ist momentan geprägt durch zunehmend schrillere Zwistigkeiten
zwischen der FDP und der SVP. Der Kern des Konflikts besteht in den wechselseitigen
Zuweisungen der beiden Bruderparteien, die Fortführung der traditionellen
bürgerlichen Gemeinsamkeiten durch zunehmende Abdrift in unakzeptable
ideologische und sachpolitische Positionen aufs Spiel zu setzen oder
unmöglich zu machen. Die FDP bezichtigt ihre Konkurrentin, in
rechtsextremen Populismus abzugleiten und beansprucht für sich selbst, die
Fahne der Liberalität hochzuhalten. Vom entgegengesetzten Lager aus
betrachtet erscheint die FDP als Partei der „Weichsinnigen" und „Halblinken",
die mit ihren etatistischen, feministischen und internationalistischen
Neigungen der Sozialdemokratie immer ähnlicher wird, während die SVP in
Anspruch nimmt, treu zu konservativen und nationalen Werten zu stehen, die
vor 20 Jahren noch zum Allgemeingut aller bürgerlichen Parteien gehörten. Die Frage, ob derart eskalierende Streitigkeiten
einen parallel verlaufenden Prozess ideologischer und sachpolitischer
Divergenz anzeigen (bzw. von ihm verursacht werden), muss aber mit grosser
Vorsicht beantwortet werden. Auf der einen Seite wird mit Recht auf die
vielen offen zu Tage liegenden sachlichen Konvergenzpunkte hingewiesen, die
aller rhetorischen Schaumschlägereien im konkreten Politikalltag immer wieder
zwanglos zu geeinten Frontstellungen gegen linke Parteigruppierungen führen
(Dreher/Textor 2003). Andererseits zeigt sich zumindest auf Bundesebene, dass
die FDP bei der Parolenfassung zu Volksabstimmungen überwiegend mit der CVP
einig geht und damit zu SVP und SP eine gewisse Aequidistanz aufrechterhält,
die noch vor zehn Jahren kaum denkbar gewesen wäre (Longchamp 2003).-. Viele dieser Auseinandersetzungen wirken als
künstliche Aufgeregtheiten, die sich überwiegend Selbstlauf rhetorischer
Zuspitzung und medienwirksamer Dramatisierung verdanken: so dass relativ
geringe Meinungsverschiedenheiten zu unüberbrückbaren Gegensätzen
hochstilisiert werden. Aus der Parteiensoziologie ist hinlänglich bekannt,
dass heftigster Streit auch, ja gerade zwischen Parteien mit sehr ähnlichen
ideologischen Profilen aufbrechen kann: weil diese viel intensiver als
ideologisch entgegengesetzte Gruppierungen im dieselben Wähler- und
Anhängergruppen konkurrieren (und sich deshalb viel direkteren Schaden
zufügen können). Und schliesslich muss immer damit gerechnet werden, dass
solche Divergenzen überwiegend oder ausschliesslich im Interaktionsfeld
zwischen den Führungsspitzen (bzw. aktiven Eliten) der Parteien entstehen,
während die Anhängerbasen relativ unberührt davon bleiben und ihre
Standpunkte evtl. viel weniger gar nicht (oder gar in entgegengesetzte
Richtung) verändern. Zur Klärung der Sachlage erscheint es besonders
dringend, die Konvergenzen und Divergenzen innerhalb der aktiven
Parteianhängerschaften unter die Lupe zu nehmen: weil diese Aktivisten
einerseits dank der demokratischen Binnenorganisation aller Parteien
längerfristig in der Lage sein dürften, ihre Positionen über
Delegiertenversammlungen und
andere Kanäle innerhalb der Gesamtpartei zum Tragen zu bringen, und weil sie
andererseits das Rekrutierungsfeld für zukünftige parteiinterne Amtsinhaber
und politische Mandatsträger bilden. Da sie aber im Gegensatz zu den Führungseliten über
keine öffentlichkeitswirksamen Medienplattformen verfügen, bleibt ihr
Meinungsbild oft unterbelichtet, wenn es nicht mittels umfangreicher sozialwissenschaftlicher
Untersuchungen gelingt, sie empirisch zu erfassen. In
diesem Zusammenhang erweisen sich die beiden gesamtschweizerischen
Lokalparteiensurvey von Bedeutung, die 1989 und 2002 in praktisch identischer
Form stattgefunden haben, und an denen sich jeweils mehrere hundert Vorsteher
kommunaler FDP und SVP-Parteien mitbeteiligt haben.
Zu beiden Zeitpunkten wurden die Präsidentinnen und
Präsidenten aller (ca. 5000) kommunalen Parteisektionen in einem
schriftlichen Fragebogen gebeten So wird es möglich, auf die Frage nach dem innerhalb
der vergangenen dreizehn Jahre stattgefundenen Positionswandel der
Anhängerschaften eine objektive, nicht von dramatisierender Rhetorik oder gar
paranoiden Wahrnehmungsverzerrungen beeinflusste Antwort zu geben: d. h. eine
Antwort, die in der Innenansicht gut informierter Parteimitglieder begründet
ist, und nicht in der gängigen Aussenansicht, die so sehr parteitaktischen
Einflüssen unterliegt. Vergleicht man die durchschnittlichen parteiinternen
Selbstrangierungen der beiden Zeitpunkte, so wird deutlich, dass innerhalb
der SVP tatsächlich eine Rechtsverschiebung stattgefunden hat, während die
FDP eine gegenläufige Verschiebung zur politischen Mitte hin vollzog. Weitaus
am deutlichsten lässt sich diese wechselseitige Distanzierung wie erwartet
bei den Bundesparteien konstatieren, wo 1989 die FDP noch rechts von der SVP
gestanden hat, während heute eindeutig das Umgelehrte gilt.
Nur rund halb so gross sind die Veränderungen durchschnittlich
auf der kantonalen Ebene - als Folge der allseits bekannten Tatsache, dass
die in ihren regionalen Traditionen stark verwurzelten Kantonsparteien
teilweise sehr unterschiedliche, mit der Bundespolitik kaum im Zusammenhang
stehende Entwicklungen vollzogen haben. Am geringsten waren in beiden
Parteien die Lokalsektionen von diesem Wandel erfasst: ein deutlicher Hinweis
darauf, dass selbst Parteien, die an der Spitze einen dynamischen Kurswechsel
betreiben, in der Regel in einer stabilen Mitgliederbasis verankert sind, die
sich nur langsam und kontinuierlich, (z. B. aufgrund
intergenerationell-demographischer Prozesse) wandelt.
Interessant ist allerdings die Beobachtung, dass die FDP Schweiz
jetzt ungefähr dieselbe (relativ "linke") Position besetzt, die
ihre Gemeindeparteien bereits 1989 eingenommen haben: als ob es der
kommunalen Parteiebene in dieser Zeit gelungen wäre, in einem
"bottom-up-Prozess die Gesamtpartei auf ihre Linie zu bringen und eine
homogenisierte Partei zu erzeugen, in denen sich die drei Organisationsebenen
kaum mehr voneinander unterscheiden. Diametral entgegengesetzt ist die SVP heute vertikal
stärker differenziert als vor dreizehn Jahren, weil die prononcierte
Rechtswendung ihrer Bundespartei von dr kommunalen Basis (die schon immer
etwas weiter links gestanden hat) nur in schwachem Umfang nachvollzogen
wurde. Möglicherweise werden auch in der SVP zukünftig demokratische
Bottom-up-Prozesse stattfinden, in deren Verlauf die sich momentan etwas zu
autonom gebärdende Führung wieder auf gemässigtere Positionen zurückgebunden
wird. Tabelle 1: Links-Rechts-Einstufungen der FDP und SVP
Parteien auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene 1989 und 2002*:
* Durchschnittliche Einstufung
durch den Sektionspräsidenten auf einer Skala von 1 (extrem links) bis 10
(extrem rechts). Eine getrennte Analyse verschiedener
Gemeindegrössenklassen zeigt, dass die ideologische Distanzierung der beiden Parteien
eine sehr generelle Erscheinung darstellt, sich ländlichen ebenso wie
städtischen Kontexten vollzog. Allerdings haben die bedeutsamsten Änderungen
erwartungsgemäss in den Städten stattgefunden, von denen ja erwartet werden
muss, dass sie sich gegenüber Veränderungen auf kantons- und Bundesebene
besonders empfänglich sind. Tabelle 2: Links-Rechts-Einstufungen der FDP und
SVP-Lokalsektionen 1989 und 2002: nach Gemeindegrösse*
* Durchschnittliche
Einstufung durch den Sektionspräsidenten auf einer Skala von 1 (extrem links)
bis 10 (extrem rechts). Ein interkantonaler Vergleich muss sich leider auf
die relativ wenigen Kantone beschränken, in denen die SVP bereits 1989 mit
einer relativ umfangreichen Zahl von Ortssektionen gegenwärtig war. Auch hier
zeigt sich, dass die ideologische Polarisierung zwischen FDP und SVP ein
generelles Phänomen darstellt, das zwar in Basel-Land und in Zürich besonders
dramatische Ausmasse angenommen hat, im Prinzip aber landesweit alle Regionen
betraf. Überraschend ist der Befund, dass diese wachsende
Divergenz nur in Basel-Land, Schaffhausen, Aargau und Thurgau vorrangig auf
die Rechtsbewegung der SVP zurückzuführen ist, überall sonst eher auf "Liberalisierungstrends"
innerhalb der FDP. Dies gilt in besonderem Masse für Bern und Waadt, wo
die SVP - gegenläufig zum gesamtschweizerischen Trend - heute weniger stark
rechts als vor dreizehn Jahren steht. Tabelle 3: Links-Rechts-Einstufungen der FDP und
SVP-Kantonalparteien 1989 und 2002*:
* Durchschnittliche
Einstufung durch den Sektionspräsidenten auf einer Skala von 1 (extrem links)
bis 10 (extrem rechts). Mit der Einstufung auf der Links-rechts-Skala wird
eine äusserst weitgehende Zusammenfassung aller parteipolitischen
Meinungsartikulationen und Aktivitäten auf eine einzige ordinale Zahl
vollzogen - ohne dass daraus hervorgeht, welchen sachpolitischen Positionen
dabei welches Gewicht eingeräumt wird - ja an welche konkreten
Entscheidungsthemen man bei einer derartigen Rangierung überhaupt denkt.
Noch schwieriger zu interpretieren sind Skaleneinstufungen, die
zu verschiedenen Zeitpunkten durch unterschiedliche Informanten vorgenommen
werden. Wie kann man wissen, dass verschiedene Befragte unter
"links" und "rechts" dasselbe verstehen, und dass die
politische Semantik der beiden Pole über den Untersuchungszeitraum hinweg
relativ konstant geblieben sind, obwohl man weiss, wie sehr sie sich seit
ihrer Initiierung (zur Zeit der Französischen Revolution) und im Zuge ihrer
interkulturellen Diffusion verändert hat. So
ist es unverzichtbar, auch die sachpolitischen Positionen der Lokalsektionen
einem diachronen Vergleich zu unterziehen und dabei zu fragen, inwiefern der
abstrakten Verschiebung ideologischer Skalenpositionen eine analoge
Meinungsverschiebung zu verschiedenen (ideologisch präformierten) Sachthemen
und politischen Entscheidungsfragen entspricht. Wie aus Tabelle hervorgeht, wäre die Annahme weit
verfehlt, die beiden Parteien würden heute in allen politischen Sachbereichen
generell linkere oder rechtere Ansichten vertreten.
Während der Kampf gegen staatliche Reglementierungen beide
Parteilager nach wie vor eint, haben anderswo entgegen der Divergenzen auf
Skalenebene auch mannigfache sachpolitische Annährungen stattgefunden: vor
allem in der Steuer- und Wirtschaftspolitik, wo die SVP erst seit kurzer Zeit
relativ geschlossen hinter Positionen steht, die die FDP bereits 1989 relativ
kompromisslos vertrat So haben ökonomische Rezession und wachsende
Arbeitslosigkeit wohl dazu beigetragen, dass hinsichtlich der Förderung des
Schweizerischen Finanzplatzes wie auch des kommunalen Wirtschaftswachstums
(wieder) starke Einigkeit besteht. (Logischerweise sind Postulate des
Ortsbild- und Landschaftsschutzes dementsprechend etwas in den Hintergrund
gerückt). Ebenfalls angenähert haben sich die beiden Parteien in ihrer
Ablehnung von Mieterschutzanliegen, wo umgekehrt die FDP ihre Bruderpartei
rechts überholte. In zahlreichen anderen Bereichen haben sich statt
dessen relativ geringfügige Annäherungen vollzogen: so bei der Asyl- Sozial-
und Kulturpolitik, wo beide Parteien - die SVP aber etwas ausgeprägter -
heute konservativere Positionen als 1989 vertreten, sowie in der
Kernenergiefrage, wo sich die Quote befürwortender Sektionen leicht gegenläufig
entwickelt hat. Stärkere Divergenzen finden sich demgegenüber bei
Anliegen der geschlechtlichen Gleichstellung, der Verkehrsberuhigung und des
öffentlichen Verkehrs, denen die SVP-Sektionen heute erheblich distanzierter
als die Ortsparteien der FDP gegenüberstehen. Aus
genau entgegengesetzten Gründen hat sich zu Arbeitnehmeranliegen eine gewisse
Kluft gebildet: wo sich die ablehnende Haltung in der SVP etwas
zurückgebildet hat. Tabelle 4: Durchschnittliche Einstellung der lokalen FDP- und
SVP-Sektionen zu allgemeinen politischen Themen: 1989 und 2002*
* Arithmetische
Mittelwerte der Selbsteinstufung der Partei durch ihren Präsidenten
(Zustimmung= +100; geteilte Meinungen = 0; Ablehnung= -100) Ungeachtet ihrer oft prononcierten Konflikte in der
Bundes- und Kantonspolitik erscheinen FDP und SVP in ihren politischen
Positionierungen nach wie vor als durchaus ähnlich, wenn man das
Einstellungsprofil ihrer lokalen Anhängerschaften und Parteisektionen
betrachtet. Dieser Widerspruch mag daraus entstehen, dass auf Bundesebene oft
Entscheidungsfragen aus mit aussenpolitischen Implikationen (UNO-Beitritt,
Asylpolitik u.a.) sowie moralisch-wertorientierte Themen (Fristenlösung,
Solidaritätsstiftung u.a.) anstehen, zu denen sich die SVP sehr ausgeprägte
abweichende Meinungen hat, während im lokalen Raum der „Courant normal"
konventioneller Interessen- und Verteilungsfragen (z. B. in der Steuer-
Finanz, Sozial- und Umweltpolitik) vorherrscht, wo altbewährte bürgerliche
Gemeinsamkeiten zum Tragen kommen. Die Zukunft wird zeigen, ob auch die lokale Ebene
zunehmend durch bundespolitische Polarisierungen durchdrungen wird, (was z.
B. im Asylbereich sehr leicht geschehen kann), oder ob umgekehrt in der
nationalen Politik wieder jene Themen traditioneller Interessenpolitik
Vorrang erhalten, die einer Vereinigung bürgerlicher Kräfte gegen die
„Linke" immer so förderlich waren. |
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