Zur Wertekonzeption in den Sozialwissenschaften
Potenzial, fachliche Prägungen und mögliche Blockaden
eines strategisch benutzten Begriffes
Ernest Albert
April 2008
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Inhalt
1.
Einleitung mit Inhalts-
und Aufbauhinweisen
2.
Wertkonzeptionen aus drei
Sozialwissenschaften
2.1
Psychologische
Wertkonzeptionen
2.1.1
Tiefenpsychologische Wertkonzeptionen
2.1.2
Persönlichkeits- und entwicklungspsychologische
Wertkonzeptionen
2.1.3
Wertkonzeptionen der Motivationsforschung
2.1.4
Wertkonzeptionen der Sozialpsychologie und
Einstellungsforschung
2.1.5
Emotionspsychologische Wertkonzeptionen
2.1.6
Synopse
psychologischer Wertkonzeptionen
2.2
Kulturwissenschaftliche Wertkonzeptionen
2.2.1
Kluckhohns
ambivalenter Definitionsversuch 2.2.2
Rudolphs
kultureller Wertbegriff 2.2.3
Kultursemiotischer Wertbegriff 2.2.4
Synopse
kulturwissenschaftlicher Wertkonzeptionen
2.3
Soziologische
Wertkonzeptionen
2.3.1
Der Wert bei
Georg Simmel
2.3.2
Der
Wert bei Max Weber
2.3.3
Der
Wert in soziologischen Systemtheorien
2.3.4
Die
Trennung von Wert und Norm bei Habermas
2.3.5
Synopse
soziologischer Wertkonzeptionen
3.
Unterwegs zu einem
zukunftsfähigen Wertbegriff
3.1
Folgeprobleme von
Subjekt-Objekt-Konfusionen
3.2
Vorgeschlagener
Wertbegriff
4.
Quellen
1. Einleitung mit
Inhalts- und Aufbauhinweisen
Der Wert scheint die Grenzen zwischen
Fächern und sozialen Aggregationsebenen mit der Leichtigkeit eines
überall hochgradig relevanten Abstraktums zu überschreiten und
bietet sich so als integrierendes Konzept der Sozialwissenschaften
an. Dennoch hat ein oft konstatierter Mangel an Konsens zur
Wertkonzeption (vgl. Schorpp 1989: 9) die Umsetzung dieses
begrifflichen Potenzials bislang in engen Grenzen gehalten.
Nicht hilfreich dürfte es gewesen sein,
dass im Rahmen des grossen interdisziplinären Anlaufs der 1950er
Jahre in Richtung einer General Theory of Action ein wertdefinitiorischer Entwurf weit verbreitet wurde, der ein
zirkuläres Element (Kluckhohns berüchtigtes "desirable") enthalten
hat (Kluckhohn et al. 1965: 395). Dies, obwohl die Abhebung eines
"Wünschenswerten" vom nur "Gewünschten" mittels Annahmen zur
"Normalität" von Wünschen unter Philosophen schon lange als einer
der schwächst argumentierten Punkte beim Pragmatisten und Pädagogen
Dewey gilt (vgl. Clark 2002: 3). Was schon Dewey zu wenig bedacht
hatte, war, dass "a close look at such evaluation of a desire
reveals ... that it invariably takes place relative to some other
desire ..." (ebd.: 7; Hervorhebungen E.A.).
Der vorliegende theoretische Beitrag
versucht in seinem grösseren Teil (2.) zunächst einen nach
Fachrichtungen geordneten Überblick über einflussreiche
sozialwissenschaftliche Wertkonzeptionen auf Basis ihrer
strukturellen und funktionalen Aspekte zu geben. Dabei sollen –
nebst der berücksichtigten fachinternen Vielfalt – einige wichtige
Charakteristiken psychologischer (2.1.), kulturwissenschaftlicher
(2.2.) und soziologischer (2.3.) Begriffstradition in jeweils
fachspezifischen synoptischen Kapiteln (2.1.6., 2.2.4., 2.3.5.)
identifiziert werden. Der
Beitrag versucht dann auf Basis dieses Überblicks die immer wieder
auftauchenden Probleme und Ungereimtheiten der
Wertkonzeptualisierung als Spielarten einer Subjekt-Objekt-Konfusion
erkennbar zu machen (3.1.). Zwei wichtigste Spielarten werden
problematisiert.
Bei der ersten wird das
Wertfreiheitspostulat in der Wissenschaft dahingehend
missverstanden, dass der Wert als Objekt so weit als möglich zu
meiden sei und möglichst viele seiner plausiblen Funktionen in
jeweils fachtypische Nachbarbegriffe auszulagern seien – wodurch
gerade kein Instrument gewonnen wird, eigene Forschung auf ihren
Wertgehalt hin kritisch zu reflektieren.
Bei der zweiten wird versucht, den
Wert schon als Begriff normativ aufzuladen, respektive
Meta-Massstäbe auf ihn anzuwenden und damit mehr oder weniger
bewusst über den Begriff zu missionieren. Dies reduziert aber eher
die Tauglichkeit desselben zur Abbildung der normativen Potenziale
von Wertsystemen. Chancen der Begriffskompatibilität mit
postmetaphysisch begründeten Nachbardisziplinen werden eingebüsst
und die so gern den Begriff der Moderne auf sich beziehenden
Sozialwissenschaften drohen am Wertkonzept in einen prämodernen
Obskurantismus abzugleiten. Unter anderem werden aus dem
Personadiskurs bekannte Argumente der analytischen Philosophie
kritisch auf sie anwendbar.
Auf der anderen Seite scheint der
Rückzug auf eine Wertkonzeption als "blosse Präferenz" die
(empirische) Erklärbarkeit des Werts aus erfahrenem Vergangenem und
projektiertem Zukünftigem unnötig zu negieren, respektive eine
gewisse Selbstdispensierung des so vorgehenden Wissenschaftlers von
Interpretationsleistungen anzuzeigen. Im Rahmen einer den Beitrag
abschliessenden eigenen Konzeptionsempfehlung (3.2.) in der
besonders gut diskutierbaren Form zweier facettierter
Definitionssätze (Borg 1992: 134-136) wird denn auch eher die
ungebrochene wertspezifische Relevanz des Bedürfnisses
unterstrichen. Sie erweist sich als hartnäckige Überlebende der
ausführlichen vorangehenden Analysen und scheint besonders gut auf
ein genuin sozialwissenschaftliches Forschungsverständnis beziehbar,
das sich für Zusammenhänge, beobachtbaren Wandel und Vergleiche eher
als für nicht hinterfragbar vom Himmel Fallendes interessiert.
Inhalt
2.
Wertkonzeptionen aus drei Sozialwissenschaften
2.1 Psychologische Wertkonzeptionen
Da es unmöglich ist, hier alle Wertkonzeptionen zu erwähnen, die von
Psychologen vertreten werden oder wurden, seien im Folgenden
lediglich einige Konzeptionen vorgestellt, die das von der
Psychologie, im Kontrast zu anderen Sozialwissenschaften, ungefähr
abgedeckte Spektrum möglicher Auffassungen andeuten. Durch
Berücksichtigung verschiedener psychologischer Subdisziplinen mit
erhöhter Werteaffinität besteht die Hoffnung, dass das Spektrum
nicht allzu schmal erscheint und dass in einer Synopse (2.1.6.)
geeignete Ordnungsdimensionen für individuumszentrierte Wertbegriffe
identifizierbar werden. Von der so gewonnenen grösseren Klarheit
darüber, was Werte auf der sozialwissenschaftlichen Mikroebene sind,
dürften die späteren, auf die Makro- und Mesoebene ausgeweiteten
Abklärungen profitieren.
2.1.1 Tiefenpsychologische
Wertkonzeptionen In der
Psychoanalyse decken die Begriffe des Triebs, der Lust, des
Wunsches, des Motivs, des Über-Ichs, des Ichs, der Strebung sowie
des Unbewussten breite funktionale und strukturelle Aspekte der
Psyche ab, die für eine stärkere Etablierung des Wertbegriffs in
Frage gekommen wären (vgl. Baron et al. 1980: 462; Kmieciak 1976:
125). Wenige Ausführungen zu psychoanalytischen Standpunkten
scheinen hier dennoch sinnvoll, da die Psychoanalyse unter
Verwendung solcher Alternativbegriffe einige interessante Aussagen
zur in der Wertforschung so bedeutenden Interaktion von Gesellschaft
und Psyche gewagt und vereinzelt auch Varianten des Wertbegriffs
verwendet hat.
So in „Das Ich und das Es“ (Freud
1982c [1923]): Eine „soziale oder ethische Wertung“ wird dort als
vermutbare Ursache dafür eingeführt, dass manches im Bewusstsein des
Individuums, anderes in seinem Unbewussten vor sich geht. Da sich
Psychoanalyse weitgehend als durch die Existenz eines Unbewussten
notwendig werdende Wissenschaft versteht, bedeutet dies, dass es
Werte sind, die Psychoanalyse notwendig machen. Dabei zeigt sich
jedoch, dass keineswegs nur die nach Massstäben dieser Wertung
„niedrigen Leidenschaften“ ins Unbewusste abgedrängt werden, sondern
oft auch „das Höchste“, nämlich Selbstkritik und Leistungen des
Gewissens, respektive des Über-Ich (ebd.: 295). Individuen, die nach
ihren Handlungsgründen befragt werden, wäre somit vor allem ein
ethischer Mittelbereich bewusst, sie könnten den ethischen Gehalt
ihrer Handlungen über- und unterschätzen. Wenn unter den libidinösen
Typen, nach denen sich Individuen und ihre beobachtbaren Präferenzen
ordnen lassen, der narzisstische Zwangstypus als „kulturell
wertvollster“ generalisiert wird (Freud 1982a [1931]: 271), zeigt
sich, dass Kultur als etwas eher Statisches begriffen wird, das
immer den gleichen Typ (selbständig, aber „die“ Gewissensforderung
beachtend) bevorzugt. Dies, und eine tendenziell ebenso statische
„Natur des Menschen“, wird bei Konsultation von Freuds Werk mit der
vielleicht stärksten gesellschaftlichen Orientierung, „Das Unbehagen
in der Kultur“, bestätigt (Freud 1960 [1930]). Es gibt dort keine
Pluralität der Kulturen und entsprechend auch nur „den“
Kulturmenschen, verstanden als Gegensatz zum „Urmenschen“ (ebd.:
153). Während das menschliche Individuum primär egoistisch seinem
Glück durch Triebbefriedigung nachstrebt und sekundär altruisitische
Einschränkungen dieses Strebens in Kauf nimmt, zeigt das menschliche
Kollektiv die umgekehrte Priorität (ebd.: 183-184). Im Interesse des
Schutzes gegen die Natur und der Regelung der sonst stark von
Aggressivität geprägten menschlichen Beziehungen (ebd.: 122-123,
148-149) trachtet es nach Unterwerfung des Individuums unter
weitgehende Nichtbefriedigung, respektive zielverschiebende
Sublimierung seiner Triebe (ebd.: 109, 132-133), nach „Eintausch
eines Stücks Glücksmöglichkeit gegen ein Stück Sicherheit“ (ebd.:
153). Individuum und Kultur stehen damit in einem Grundkonflikt
gegeneinander (ebd.: 131), bei dem die auf individueller Ebene vom
Über-Ich wahrgenommenen, letzlich wenig „psychologisch“ informierten
Forderungen der Kultur oft die realen Möglichkeiten des Organismus
überfordern und diesen in die Neurose treiben können (ebd.:
187-189). Die Werturteile der Menschen sind für Freud von ihren
Glückswünschen geleitet und dabei ein „Versuch, ihre Illusionen mit
Argumenten zu stützen“ (ebd.: 190). Das Über-Ich wird auf der
Kollektivebene zu einem „Kultur-Über-Ich“ verlängert, das Freud in
mancher Hinsicht für leichter analysierbar hält (ebd.: 186), obwohl
die Makroebene nur einer gesehenen Kultur dem Psychologen die sonst
so bequeme Möglichkeit verweigert, einfach einen Mittelwert zur Norm
zu erheben (ebd.: 189).
Müsste trotz anderer
Begriffspräferenzen ein Wertbegriff auch in der klassischen
Psychoanalyse identifiziert werden, wäre sein strukturelles
Hauptmerkmal – ungeachtet der vielen Einzeltriebe und
Gewissensforderungen, die es zu identifizieren gäbe – eine
Zweiteilung in einander widerstrebende individuelle und kulturelle
Werte. Funktional bleibt die Vorstellung eines handlungsleitenden
individuellen Wertsystems durch den Begriff des Ich erübrigt, indem
das Ich bei Freud Kollisionsprodukt der es-stämmigen „Werte“
(nämlich Triebregungen), und ihren beschränkten (sozialen)
Realisierungsmöglichkeiten ist, respektive, nach Herausbildung eines
Über-Ich beim Kind, Aushandlungsinstanz zwischen den „Werten“, die
ursprünglich dem Es und denjenigen, die dem Über-Ich, also der
Kultur und der mentalen Repräsentation ihrer Autorität, entstammen.
Pikant ist dabei, dass auch das Es als überindividuell wirksame
Instanz gelten muss und somit eine genuin individuelle Quelle von
Werten inexistent scheint. Freuds „libidinöse Typen“ (1982a [1931])
konstituieren dabei einen womöglich zu wenig beachteten,
theoriegeleiteten Vorläufer der heutigen meist empirischen
Wertorientierungs-Typologien.
Alfred Adler erhebt das Minderwertigkeitsgefühl zum zentralen
Begriff seiner frühen, besonders mit neurotischer Überkompensation
befassten Individualpsychologie (Popp-Baier 2002: 112). Allgemein
schreibt er unterschiedlichen Persönlichkeiten unterschiedliche
Lebensstile zu, die jeweils als einmalige, bewusste Konfigurationen
von Motiven, Charakterzügen, Interessen und Werten erscheinen. Adler
sieht den (normalen) Menschen diesbezüglich nicht gleich stark wie
Freud im Konflikt mit entsprechenden kulturellen Werten: eine starke
soziale Orientierung ist für Adler dem Menschen angeboren und im
Allgemeinen mächtiger als sexuelle Triebe. Menschliche Strebungen
erklären sich nicht kausal aus der Vergangenheit des Menschen,
sondern teleologisch aus dem Fernziel einer vollkommenen Menschheit,
welche auf individueller Ebene durch das im Spätwerk idealisierte
kreative Selbst verfolgt wird (Hall & Lindzey 1970: 119-127).
Bei Adler konvergieren die von Freud
oppositionell verstandenen individuellen und sozialen Werte in einem
utopischen, gemeinsamen Fernziel, in dem zugleich ihre angebbare
Funktion liegt. Auf dem Weg dahin sind jedoch diese Werte –
respektive verwandte Begriffe – in einer maximalen Vielfalt
einmaliger Kombinationen in den jeweiligen individuellen
Persönlichkeiten anzutreffen (in welcher Form sie durchaus, etwa
unter pathologischem Gesichtspunkt, typisierbar sind).
Jungs Analytische Theorie weist dem
Wert eine quantifizierende Bedeutung im Kontext des Begriffs der
psychischen Energie zu. Diese wird, anders als bei Freud, neben der
Suche nach Lust auch auf die Sinnsuche verwendet. „Wert“ scheint
dabei dem von anderen Psychologen verwendeten Valenzbegriff verwandt
und ist die Menge psychischer Energie, die in ein Element der
Persönlichkeit und dessen typische Objektbezüge investiert wird. Die
Bevorzugung eines Elements gegenüber einem anderen kann, muss der
Person aber nicht bewusst sein, so dass es bei analytischer Absicht
notwendig sein kann, auf Verfahren jenseits der direkten Befragung
einschliesslich Messversuchen von Emotionsintensitäten zu
rekurrieren. Energetische Werte können im psychischen System
unterdrückt werden, was aufgrund des geltenden Äquivalenzprinzips
mit der Aufwertung eines oder mehrerer anderer psychischen Elemente
einhergeht. Aufgrund des ebenfalls wirksamen Entropieprinzips strebt
die Persönlichkeit sodann in ihrer Entwicklung zum vervollkommten Selbst einen Ausgleich zwischen Werten und damit ein quasi
meditatives Äquilibrium psychischer Energie an (Hall & Lindzey 1970:
92-97; Popp-Baier 2002: 112-115; Samuels, Shorter & Plaut 1989:
69-70).
Bei Jung erscheint der "Wert" nicht
als eigenständige handlungsleitende Kategorie, als welche vor allem
der Sinn (Samuels et al.: 1989: 203-204) herangezogen wird.
Stattdessen hat man es mit einer Variante der Freudschen
Libidobeträge respektive Besetzungen zu tun, für die ebenfalls
charakteristisch ist, dass sie bei Hindernissen auf dem Weg zu
bevorzugten Objekten systemintern verschoben und transformiert
(Freud 1960 [1930]: 109) werden können.
2.1.2 Persönlichkeits- und
entwicklungspsychologische Wertkonzeptionen
Gordon W. Allport pflegt, aufbauend auf Spranger, bereits in den
1930er Jahren einen in die Persönlichkeitsforschung eingebetteten
Wertbegriff (Kmieciak 1976: 72-78). Er nimmt die grosse empirische
Bedeutung von Typologien (Krech, Crutchfield & Livson 1974: 662-666)
in der späteren Wertforschung vorweg, indem er Sprangers 6
idealtypische, auf Instinkte (Holt 1970: 43) zurückgeführte
Lebensformen des theoretischen, des ökonomischen, des ästhetischen,
des sozialen, des politischen und des religiösen Menschen in
quantifizierende Persönlichkeitstests integriert. Diese werden
später vielfach wiederaufgelegt und abgewandelt – so schlägt Murray
alternativ eine Sammlung von 14 Werten vor (Murray 1965: 463). Als
Vorläufer späterer, stärker empirisch entwickelter
motivationspsychologischer Tests wie dem TAT (Puca & Langens 2002:
242-243) sollen sie jedenfalls die dominanten Lebensthemen (Cooper & McGaugh 1966: 30) von Probanden auf Basis ihrer Werte
identifizieren. So sehr solche frühe Persönlichkeitsforschung den
Wertbegriff bereits verwendet hat, so ungenügend hat sie ihn von
verwandten Begriffen wie Interesse, Motiv, Lebensform und
Einstellung abgegrenzt (Kmieciak 1976: 76-78). In Allports späterer
Persönlichkeitspsychologie scheint der Wertbegriff fast gänzlich
durch verschiedene Alternativen wie Trait, Disposition, Intention
und propriate strivings umgangen (Hall & Lindzey 1970: 264-269),
respektive der Soziologie (vgl. Allport 1966: 19) überlassen.
Persönlichkeitsdeskriptive
Bestrebungen der Komplexitätsreduktion auf wenige aussagekräftige
Orientierungsdimensionen haben auch immer wieder in der rein
rechnerischen Methode der Faktorenanalyse ein verführerisches
Instrument gesehen, so bei Cattell (Herber 1976: 124-135), der auf
diese Weise – ausgehend von ausgewählten Variablensätzen – eine je
Untersuchungsebene der Persönlichkeit jeweils begrenzte Anzahl von
Traits (Charakterzügen) identifiziert hat. Die grundlegenderen, der
direkten Beobachtung weniger zugänglichen source traits wurden dabei
von stärker veränderlichen surface traits unterschieden und in der
Variante der zwar angeborenen, aber in gewissen Grenzen dynamischen,
mit charakteristsichen bevorzugten Zielen assoziierten Charakterzüge
ergs genannt (Hall & Lindzey 1970: 385-398).
In der frühen Persönlichkeitsforschung
von Allport und anderen haben Werte die Funktion, als idealtypische
(in der Realität nur in Form von Mischorientierungen vertretene)
Eckpfeiler möglicher Persönlichkeitsorientierung zur Entwicklung
eines autonomen Propriums (Egos, Selbstes) beizutragen. Werte dienen
eher der herauszubildenden Persönlichkeit als umgekehrt.
Strukturell charakteristisch ist dabei
die Ergänzung, die sie gegenüber der geringen Zahl weiterer solcher,
hierarchisch grundsätzlich gleichberechtigter Werte darstellen. Da
die stärker überdauernden individuellen Motivationsstrukturen nach
verbreiteter Übereinkunft ein kraftvolles Persönlichkeitsmerkmal
darstellen, ist die Grenze zwischen Persönlichkeits- und
Motivationsforschung als besonders fliessende anzusehen:
Persönlichkeit hat stets einen starken motivational-wertbezogenen
Aspekt und Motivation eine starke Abhängigkeit von der
Persönlichkeit.
2.1.3 Wertkonzeptionen der
Motivationsforschung
E.C. Tolman (1965 [1951]: 279-364) erscheint gerade durch seine
behavioristische Verwurzelung und Methodologie als Wegbereiter
sowohl einer kognitiv-linguistischen als auch einer "sozialen" Wende
in der Psychologie (vgl. Herber 1976: 136), indem er sich stärker
als Skinner oder Hull von der Fixierung experimenteller Lern- und
Motivationsforschung auf beobachtbares Verhalten löst. Laut seinem
Beitrag in Towards a General Theory of Action entstammen Werte
primär, nämlich als Wertstandards, der umgebenden Kultur, auch wenn
Personen sich individuell mit ihnen auseinandersetzen und eine
simple soziale Handlungsdeterminierung nicht existiert (Tolman 1965:
343-346). Zwar sind Werte auch für Tolman eng mit dem
Bedürfnisbegriff (need) verknüpft, doch betont er vor jedem anderen
Bedürfnis das grundlegende kognitive Bedürfnis, die Objekte der Welt
in ihrem Verhältnis untereinander zu ordnen, das heisst an einem
sinnvollen Ort der mentalen Weltrepräsentation zu platzieren.
Ästhetische und moralische Platzierungsbedürfnisse unterscheidet Tolman dabei von den rein kognitiven, auf Wahrheit bezogenen. Die
Neigung von Individuen, Objekte in Übereinstimmung mit den kulturell
vorgegebenen, die wahrnehmungsleitende Kraft der Benennungen
nutzenden Standards zu platzieren, ist dabei gross und durch ein
hohes Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz gegebenenfalls noch
verstärkt. In den Namen, die sie für die Objekte der Welt verwendet,
suggeriert eine Kultur dem Individuum bereits was es an einem Objekt
wahrzunehmen und zum Kriterium für dessen Verortung zu erheben hat
(ebd.: 345) – ein Gedanke, der dann, mehr oder weniger abgewandelt,
besonders in den Framing-Konzepten der Kommunikations- und
sozialpsychologischen Persuasionsforschung (vgl. Nelson 1999)
Karriere macht.
Wichtigste Wertfunktion ist es somit
für Tolman, die Objekte der Welt in eine kognitive, ästhetische und
moralische Ordnung zu bringen, die sich mit derjenigen der
Umgebungskultur ausreichend deckt. Die handlungsleitende
Wertfunktion ist eher eine mittelbare, da sie die situativ-zweckmässige Aktivierung eines Werts zur Voraussetzung hat
(ebd.: 346). Wertstandards haben die Struktur einer
dreidimensionalen Platzierungsmatrix auf kultureller Ebene
einerseits, auf individueller Ebene anderseits. Diese drei (Meta-)Massstäbe
wirken bezüglich ihrer Herkunft zu wenig diskutiert, was aber zum
Teil am damit stärker befassten Beitrag von Parsons und Shils (vgl.
2.3.3.) im gleichen Sammelband liegen dürfte.
Die vom sozialpsychologischen Pionier
Kurt Lewin bekanntgemachte psychologische Feldtheorie (Hall &
Lindzey 1970: 209-257) erkennt im Gegensatz zu den Triebtheorien und
einfachen behavioristischen Stimulus-Response-Modellen ebenfalls,
dass die Art eines Objektes, menschliches Handeln zu motivieren
weder aus einer fixen Trieb-Objekt-Beziehung ableitbar ist, noch
eine inhärente, absolute Eigenschaft des Stimulusobjektes ist.
Umweltgegebenheiten und aktuelle Bedürfnisspannungen innerhalb des
Subjekts vermitteln diesem vielmehr eine aktuelle Valenz
(Wertigkeit) des Stimulusobjektes, das heisst eine anziehende oder
abstossende Qualität. Der Handlungsweg zum Ziel der aufgelösten
Bedürfnisspannung kann dabei aufgrund der Feldkräfte in der Umwelt
verschieden ausfallen: wo sich die Umwelt zum Beispiel einer
direkten Ansteuerung eines positiv besetzten Reizobjektes
entgegenstellt, kann das Handeln – ähnlich wie bei Freud und Jung –
zunächst ein ähnliches Ziel in einem benachbarten Bereich ansteuern
(Puca & Langens 2002: 230-233; Cooper & McGaugh 1966: 30). Der
weitere Gedanke Lewins, dass Motivation das Produkt der Valenz eines
Objektes und der Erwartung einer diesbezüglichen Zielerreichung ist,
hat einen grossen Einfluss auf die Motivationsforschung gehabt, so
auf das Risikowahlmodell von Atkinson und dessen Weiterentwicklungen
(Herber 1976: 64-93). Obwohl
die Feldtheorie in Form des Valenzbegriffes ein überdauerndes
wertähnliches Konzept in die Psychologie eingeführt hat und die
spätere überragende Rolle der Bedürfnisse (Fröhlich 1993: 72, 82-83)
in der Wertforschung vorwegnimmt, wird dabei die Gebundheit des
Konzepts an ein Einzelobjekt im Sinne des behavioristischen Stimulus
nicht überwunden. Die Feldkräfte, die vom Objekt ausgehen, bewirken
lediglich auch indirekte Wege hin zum und weg vom Objekt. Während
sich die Funktion der Valenz darin erschöpft, anzuziehen oder
abzustossen – so dass man für näheren Aufschluss auf den
Bedürfnisbegriff weiterverwiesen wird – kann sich ihre bipolare
Struktur an jedem beliebigen Objekt aktualisieren.
Für den humanistischen Psychologen
Maslow sind Werte Teil der genuin menschlichen "höheren Ebene", der
durch den Behaviorismus und die Psychoanalyse zu wenig Rechnung
getragen wurde. Sie werden in Maslows zentralem Werk Motivation and Personality oft gemeinsam mit einer Auswahl alternativer Begriffe
wie "Ideal", "Wunsch" oder "Ziel" aufgezählt (Maslow 1978 [1954]:
38, 97, 171), am engsten jedoch mit dem Bedürfnisbegriff verknüpft.
Die fachgeschichtlich weitgehende Freihaltung der Psychologie vom
Wertbegriff auf vermeintlicher Basis wissenschaftlicher
Objektivitätsideale kritisiert Maslow mit Hilfe der Aussage, dass
die Natur selbst Hinweise zur Abgrenzung "tieferer" von "höheren"
Bedürfnissen gibt. Nicht nur sind somit Bedürfnis und Wert für ihn
Quasi-Synonyme, auch der Wertmassstab zur Ordnung der Bedürfnisse
untereinander wird durch die Manifestationsformen derselben gleich
mitgegeben, sofern sich der Beobachter auf die entsprechenden
Hinweise einlässt (ebd.: 153-157). Es entsteht bei Beachtung von Maslows Kriterien eine Bedürfnispyramide mit physiologischen
Bedürfnissen an der Basis und darüber, als zweiter
Grundbedürfniskategorie, den Sicherheitsbedürfnissen; wiederum
darüber geschichtet liegen die höheren Bedürfnisse nach
Zugehörigkeit und Liebe, nach Achtung und schliesslich nach
Selbstverwirklichung (ebd.: 74-89).
Befriedigte Grundbedürfnisse sind
Voraussetzung für höhere Formen des Strebens, welche nach oben dafür
immer weniger eine natürliche Sättigungsgrenze kennen, das heisst im
Vergleich zu den zwar Priorität beanspruchenden Grundbedürfnissen
auf ihre eigene Weise anspruchsvoll sind. Das aufsteigende Muster
von tieferen zu höheren Bedürfnissen gilt für Maslow bezogen auf die
Entstehung im Rahmen der Gattungsentwicklung und bezogen auf die
typischen Bedürfnisprioritäten der verschiedenen Lebensalter des
Individuums (ebd.: 154). Letzteres evoziert Eriksons Weiterziehung
des psychoanalytischen Phasenmodells individueller Entwicklung bis
ins hohe Erwachsenenalter, bei welcher Befriedigung
charakteristischer Phasenbedürfnisse ebenfalls Voraussetzung für das
Inangriffnehmen einer jeweils nächsten Phase ist (Erikson 1973). Die
empirische Belegbarkeit von Maslows Bedürfnishierarchie scheint sich
nicht ganz auf der Höhe ihrer spontanen Plausibilität zu bewegen,
wie selbst ihr dezidierter Anhänger Inglehart einräumt (Inglehart
1977: 23; vgl. Kmieciak 1976: 163-164).
Maslows Bedürfnistheorie ist bereits
vor ihrer Heranziehung durch Inglehart so eng mit dem Wertbegriff
verknüpft, dass sie als Quasi-Wertkonzeption diskutiert werden kann.
Als solche würde sie vor allem klare strukturelle Aussagen zu Werten
machen: Werte sind untereinander von Natur aus
multidimensional-hierarchisch organisiert; wobei aber höher
rangierende Werte keine universell grössere Bedeutung haben, sondern
je nach Kriterium (z.B. Verwirklichungshorizont vs. Dringlichkeit,
Wachstumsermöglichung vs. Mangelbeseitigung) eine grössere oder
geringere. Funktion der Werte scheint es am ehesten zu sein,
menschliche Selbstverwirklichung in stufenweiser Hochführung zu
einer entsprechenden Persönlichkeitsreife zu ermöglichen.
Alderfers E.R.G.-Theorie (Wunderer &
Küpers 2003: 103-105; Furnham 2005: 289) verdichtet Maslows
Bedürfniskategorien in die nur drei Motivklassen Existence
(Grundbedürfnisse), Relatedness (soziale Bedürfnisse) und Growth
(Selbstwert- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse). Die Abfolge
ihrer Dringlichkeit ist anders als bei Maslow nicht vorgegeben,
sondern unter anderem das Produkt situativ erfahrener Befriedigungen
und Frustrationen. Sowohl hierarchisch höhere als tiefere Motive
können im Anschluss an solche in den Vordergrund treten und damit
auf eine aktuelle regressive oder progressive Dynamik verweisen.
In der experimentellen Motivationsforschung Vrooms werden zwei
Varianten von Valenz verwendet. Die eine bezieht sich auf das
Ausmass der Bevorzugung bestimmter Objekte oder Handlungen durch
eine Person. Die andere bezieht sich auf die Funktionalität einer
Handlung für einen Endzustand motivationalen Strebens. Multipliziert
mit den Faktoren der Erwartung und der Instrumentalität eines
Handlungsausgangs für ein Handlungsziel im Sinne des zweiten
Valenztyps, determiniert dieser den ersten Typ im Bezug auf ein
Objekt (Herber 1976: 93-95; Wunderer & Küpers 2003: 115-116).
Vrooms doppelter Valenzbegriff
veranschaulicht die Verlegenheit, in welche die
Motivationspsychologie durch das Fehlen eines früh etablierten,
starken Wertbegriffs geraten ist. Valenz des ersten Typs muss die
Tradition eines stets auf die Bewertung eines Objektes beschränkten,
ursprünglichen psychologischen Valenzbegriffes (siehe die
Ausführungen zu Lewins Feldtheorie) fortsetzen, während Valenz des
zweiten Typs auch den Anschluss an ausserpsychologische Wertkonzepte
ermöglicht, der sonst über das Motiv und neuerdings verstärkt über
das (End-)Ziel (Puca & Langens 2002: 235; Wunderer & Küpers 2003:
263) hergestellt werden muss. Auch diese Valenz bleibt jedoch ein
blosser Bezug auf einen Endzustand, ist also noch nicht der zum
Kriterium erhobene Endzustand selbst.
Insgesamt haben sich der Motiv- und
der Zielbegriff in der Motivationspsychologie eine weit prominentere
Stellung errungen als der Wertbegriff. Nach einer heute typischen
Definition ist ein Ziel "ein mental repräsentierter, wertgeladener
zukünftiger Zustand, der Verhalten reguliert und organisiert" (Puca
& Langens 2002: 262). Es wird dabei also auf den Deus ex machina des
Werts weiterverwiesen. Unter Motiv wird ebenso typischerweise die
"Eigenschaft von Personen, auf Zielzustände einer bestimmten
Thematik emotional anzusprechen" (ebd.) verstanden. Auch dies möchte
man mit einer behaglichen, für weitere Zusammenhänge in der Realität
unzuständigen Theaterbühne (auf der einige Themen einfach gegeben
sind) assoziieren.
Auf heutigen Manager-Seminaren kann
man dank der Motivationsforschung von McClelland (Wunderer & Küpers
2003: 108-110) und anderen jedenfalls erfahren, dass Menschen drei
bis vier hierarchisch gleichberechtigte (im thematischen
Apperzeptionstest ermittelbare) Motive (oder Motivklassen) wie
Leistung, Macht, Affiliation und Intimität (auch: Vermeidung) mit
individuell schwankender Ausprägungsstärke haben (Schultheiss &
Brunstein, 2002: 303; Puca & Langens, 2002: 239-245) und dass einem
davon besonders das Leistungsmotiv als thematisierenswert
(McClelland 1961; McClelland & Winter 1969; vgl. Kmieciak 1976: 158)
gelten muss. Man wird möglicherweise darüber erleichtert sein, wie
gut sich das mit den eigenen Lebensschwerpunkten Management und – am
Feierabend – Vereinsmitgliedschaft und Ehepartner deckt und sich
nächstentags hochmotiviert neuen, im Hinblick auf das Wozu nicht
weiter hinterfragten Leistungen – und Machtpositionen (vgl.
McClelland 1978) – entgegenstürzen. Bezüglich der vermeintlichen
Gleichwertigkeit (Wunderer & Küpers 2003: 108) im Organismus und der
angenommenen Unterstützung jedes Motivs durch ein spezifisches
Hormonsystem wird man übersehen, dass die Suche nach
neurophysiologischen Korrelaten (Hormonen, Transmittern) der
Motivanregung beim Leistungsmotiv bisher zu keinen Ergebnissen (Vasopressin?)
geführt hat, die mit dem Machtmotiv (Testosteron, Adrenalin),
besonders aber mit dem Intimitätsmotiv (Oxytozin, Endorphin, Dopamin
und weitere Korrelate) vergleichbar wären (Puca & Langens, 2002:
245-253). Dass Erwachsene mit starkem Leistungsmotiv typischerweise
in ihrer Kindheit für die frühe Meisterung von Regelanforderungen
des Alltags (Sauberkeit, feste Fütterungszeiten) durch Körperkontakt
belohnt worden sind (Schultheiss & Brunstein, 2002: 304) wird man
nicht als Hinweis auf die mögliche Ausdifferenzierung des
Leistungsmotivs aus einem folglich grundlegenderen Intimitätsmotiv
erkennen. Darauf, dass sich der Anteil an Intimitätszielen innerhalb
der gesamten Zielstruktur von Subjekten als positiver Prädiktor für
das Wohlbefinden der Subjekte erwiesen hat (Emmons 1996: 316-318;
Oettingen & Gollwitzer, 2003: 63-64) und folglich nicht alle
Zielstrukturen für den Organismus gleichwertig sein dürften, wird
man nicht herumreiten wollen. In der Seminarpause wird man aber
womöglich einen Witz darüber machen, um wievieles attraktiver eine
neue Mitarbeiterin der Abteilung x im Vergleich zur
Jahresbilanzrechnung dieser Abteilung erscheint und lachend eine
ganz erstaunliche Erleichterung des Organismus verspüren (Freud,
1982b [1905]: 9-219). So wenig man bezüglich eines "Nirvanaprinzips",
das selbst dem Lustprinzip und dem Mitarbeiterinnen-Witz
übergeordnet sein könnte (Freud, 1982c: 82, 343-345) nachfragen
wird, so sehr mag man ab einem gewissen Alter auch noch esoterische
Literatur in seiner Aktenmappe versteckt haben.
Aus all dem soll deutlich werden,
welchen Weg eine Erforschung menschlicher Strebungen noch
zurückzulegen hat, die primär am gegenwärtigen, stark von McClelland
geprägten Motivbegriff und an engen industriellen Rationalitäten
orientiert ist. Unterthematisierung von Werten (vgl. Kmieciak 1976:
161, 167-169) ist nur ein Grund für die offensichtlichen Defizite –
mangelnde Integrationsfähigkeit von Teilstrecken, die frühe
Psychologen bereits geleistet hatten, scheint ein anderer zu sein.
Eine verstärkte Nutzung des Zielbegriffs scheint schon
vielversprechender und diejenige des Bedürfnisbegriffs keineswegs so
hemmend, wie Kmieciak es auffasst (Kmieciak 1976: 158-172), zumal
dieser – nicht überall mit Motiv synonym gebrauchter – Begriff mit
Blick auf den aktuellen Sprachgebrauch die Möglichkeit
körperlich-elementarster ebenso wie höchster geistiger
Befriedigungen einschliesst. Keineswegs evoziert der
Bedürfnisbegriff (mehr) zwingend die Vorstellungen materialistischer
Schnellschuss-Befriedigungen (ebd.: 171), die einem wohlerzogenen
Erstsemestrigen zur Zeit der Studentenunruhen (ebd.: 170) der
Inbegriff eines mitläuferisch-neomarxistischen (ebd.: 167),
womöglich verrucht-ausschweifenden Studentendaseins gewesen sein
mochten. Eine Wertkonzeption, die in der Möglichkeit der
Befriedigung etwas prinzipiell Anrüchiges, Niederes empfindet (indem
es etwa als menschliche Bestimmung gesehen wird, "immerdar zu
streben" und das Streben so zum Selbstzweck zu erheben) evoziert vor
allem einen kantianischen, gegen Innen gerichteten Sadismus,
respektive das "schlimme Kind" Freuds, das sich durch obstipative
Herauszögerung eines gewissen alltäglichen Naturvorganges lediglich
eine perversere Lust daran verschafft (Freud 1982a: 93).
2.1.4
Wertkonzeptionen der Sozialpsychologie und Einstellungsforschung
In der Tradition T.M. Newcombs sind Werte dominante Referenzrahmen,
welche Einstellungen bündeln. Erfahrung und Verhalten werden mit
ihrer Hilfe im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit Lebenszielen
evaluiert. Werden die Lebensziele als Teil dieser Referenzrahmen
aufgefasst, lässt sich laut Cooper und McGaugh von Wertsystem
respektive einer Organisation von Einstellungen sprechen (Cooper &
McGaugh 1966: 30-31).
Newcombs Wertauffassung scheint den
sozialwissenschaftlichen Mainstream recht gut zu repräsentieren.
Hinsichtlich Wertstruktur (Bündel von Einstellungen) kommt die
Tendenz vieler Psychologen zum Ausdruck, auf den Einstellungsbegriff
weiterzuverweisen. Einstellung (attitude) wird nach verbreiteter
Auffassung (Giner-Sorolla 1999: 442-443; Bohner 2003: 267; Fröhlich
1993: 132) ihrerseits als relativ überdauernde Bewertungs- und
Handlungstendenz gegenüber einem Objekt, mit mindestens einer
emotionalen und kognitiven Komponente, verstanden, wobei der
Unterschied zur Haltung und zum Wert meist lediglich in einer
geringeren Persistenz gesehen wird.
Milton Rokeach, der ausser
Sozialpsychologie auch Soziologie lehrte, versteht Werte ebenfalls
vor allem als grundlegendere persönliche Disposition im Vergleich zu
Einstellungen (und beliefs), hält diese Begriffe aber ansonsten für
vergleichbar. Werte beziehen sich auf ideale Verhaltensweisen und
Endzustände und können bewusst oder unbewusst wirksam sein. Ihre
Zahl wird von Rokeach auf "einige Dutzend" im Vergleich zu
"tausenden" von Einstellungen und "zehn- bis hunderttausenden" von
beliefs geschätzt. Sie konstituieren mit anderen Werten ein
hierarchisches Wertsystem, in dem sie je nach Person höhere oder
tiefere relative Positionen einnehmen. Rokeach unterscheidet
terminale und – zahlreichere – instrumentelle Werte (Rokeach 1976:
124-125, 162), was durch die Forschung oft genutzte heuristische
Vorteile hat, obwohl es mit Luhmann (vgl. 2.3.3.) oder auch Bengston
(1975: 360) theoretisch nur begrenzt fundierbar scheint.
Nebst der handlungsleitenden Funktion
besitzt der Wert für Rokeach auch eine einstellungsdeterminierende
Funktion (ebd.: 157), die aus seiner vergleichsweise fundamentaleren
Natur herrührt.
Bei Kelman (1966) konkurrenzieren
sich Werte in einem persönlichen Wertsystem. Dieses hebt sich ab von
sozialen Rollenerwartungen, ist also nicht deren blosser Reflex im
Individuum. Das Wertsystem ist grundsätzlich irrational, ermöglicht
aber Handlungskongruenz. Neue Handlungsmuster werden vom Individuum
vorzugsweise internalisiert, wenn sie kongruent mit dem
präexistenten Wertsystem sind. Solche Kongruenz ist aber nicht mit
jederzeit gesicherter logischer Konsistenz gleichzusetzen: es
reicht, dass irgend eine Einpassung in das Wertsystem möglich ist –
Spannungsformen zu dessen übrigen Inhalten können verbleiben und
Grundlage für innere Wandlungsprozesse werden. Umgekehrt betrachtet
ist Internalisation der spezifische und handlungsbezogen "tiefste",
von blosser compliance und identification zu unterscheidende
Prozess, durch den Wertkongruenz (wieder)hergestellt wird.
Compliance erfolgt etwa lediglich, um einer aktuellen äusseren
Anforderung zu genügen, das psychische System "steht" dabei nicht
als ganzes hinter der entsprechenden Handlung. Die Bedeutung des
Internalisationsprozesses gegenüber den anderen beiden von Kelman
beschriebenen Prozessen nimmt zu, wenn die Macht des Individuums als
Akteur in einer Situation auf Glaubwürdigkeit eher als auf Kontrolle
der Mittel oder auf Attraktivität beruht. Internalisiertes,
wertkongruentes Handeln ist für Kelman potenziell unkonformistisch,
flexibel, komplex und differenziert weil es Teil eines inneren
Interaktions- und Aushandlungssystems und nicht reine, stereotype
Anpassung an situative oder an Rollenerwartungen ist.
Funktional scheint Kelmans
Wertbegriff vor allem ein handlungsstabilisierender. Die
strukturellen Annahmen – Wertkonkurrenz und Toleranz für
dynamisierende logische Inkonsistenzen im System – evozieren
deutlich die einstellungsbezogenen Dissonanztheorien (vgl. Festinger
1978; Frey & Gaska 1993). Ähnlich wie dort Einstellungsänderungen
selten, aber möglich sind, haben bei Kelman potenzielle Auslöser
persönlichen Wertewandels zwar die Haupttendenz der
Kongruenzbemühung im Individuum gegen sich, sind aber dennoch
mitunter erfolgreich, da das Individuum kein geschlossenes System
ist und ständig neue Information aus der Umwelt verarbeiten und
einordnen muss.
Sehr interssant ist der Begriff der sozialen Wertorientierung in der
sozialpsychologischen Interaktionsforschung. Soziale
Wertorientierungen lassen sich – so bei McClintock oder Pruitt &
Rubin – nach dem Verhältnis ordnen, in dem Berücksichtigung des
eigenen Nutzens und Berücksichtigung des Nutzens anderer bei einer
Handlung stehen (Van Lange & De Dreu 2003: 391-403). Die vielfach
angetroffene Annahme, "rationale" Individuen würden stets nur den
eigenen unmittelbaren Nutzen maximieren, wird in den resultierenden
Typologien als Spezialfall entlarvt, der empirisch keineswegs
"realistischer" ist als verschiedene alternative Kombinationen
egoistischen und altruistischen Verhaltens. Allerdings zeigt sich
experimentell, dass nichtkooperative Orientierungen einen starken
Charakter der selbsterfüllenden Prophezeiung haben: entsprechend
Orientierte lösen durch ihr Verhalten bedeutend wengier prosoziales
Verhalten anderer aus (Kuhlmann & Marshello 1975 nach Van Lange & De
Dreu 2003: 398) und werden dadurch in ihrer Weltsicht primär
eigensinnig orientierter Mitmenschen bestärkt.
Die soziale Wertorientierung lässt
sich gut an Freuds Betonung der Koexistenz inhaltlich verschiedener
individueller und kollektiver menschlicher Strebungen anschliessen –
auch wenn es nur die "anderen" innerhalb einer (Versuchs-)Gruppe,
anstelle eines kulturellen Ganzen, sein können, an deren
angenommenen Zielen eigenes Handeln mitorientiert wird. Funktion der
sozialen Wertorientierung scheint die Ermöglichung von Kooperation
in der Gesellschaft oder zumindest die Flexibilisierung des
Rationalitätshorizontes menschlicher Handlung zu sein. Während
alternative, ältere Ansätze nicht übersehen haben, dass menschliches
Handeln oft eine (kulturell erzwungene) altruistische Komponente
einschliesst (vgl. Freud 1960 [1930]), klingt im Konzept der
sozialen Wertorientierung eine weit grössere Freiwilligkeit dieser
Komponente an. Kritisch ist sicher anzumerken, dass die Orientierung
am Nutzen einer Bezugsgruppe oft von Beginn weg als ichbezogene
Nutzenmaximierung zweiter Ordnung (und dadurch sogar stärker
"berechnend" als diejenige erster Ordnung) verstanden werden dürfte,
zumal noch dem naivsten homo oeconomicus aufgefallen sein dürfte,
dass (besonders längerfristiger) individueller Nutzen durch
Kooperation gemehrt werden kann und dass es in vielen Situationen
jenseits des Labors gar nicht so leicht sein könnte, "rein
egoistisches" Verhalten zu definieren. [1]
Obwohl Peter Kmieciaks Wertforschung
stark interdisziplinär angelegt ist, soll im Hinblick auf die
Herkunft dieses Autors aus der Psychologie an dieser Stelle seine
Wertdefinition hinzugefügt werden. Er versteht unter Wert "ein
kulturell- und sozialdeterminiertes (und geltendes), dynamisches,
ichzentrales, selbstkonstitutives Ordnungskonzept als
Orientierungsleitlinie, die den Systeminput einer Person
(Wahrnehmung) selektiv organisiert und akzentuiert sowie ihren
Output (Verhalten) reguliert, mithin eine ichdirigierte aktive
Planung und Ausrichtung des Verhaltens über verschiedene Situationen
hinweg ermöglicht" (Kmieciak 1976: 150).
Eine kulturell-soziale Wertherkunft wird
also bei auffälliger Nichtthematisierung biologischer Bedürfnisse
betont. Mit der Ordnungs- und Handlungsleitungsfunktion werden die
auch bei anderen Autoren wichtigsten Hauptfunktionen des Werts –
personzentriert – genannt.
Eine eigenständige, methodologisch
besonders engagierte Wertforschungslinie von grosser
interdisziplinärer Relevanz hat sich gemeinsam mit der von Louis
Guttman geprägten Facettentheorie entwickelt (vgl. Guttman 1992;
Borg 1992). Deren augenfälligste Merkmale sind der
forschungsleitende Einsatz sogenannter Abbildungssätze (die
vereinfacht als Übergangsformen zwischen sprachlichen und
mathematischen Formalisierungen der untersuchten Phänomene entlang
ihrer wichtigsten Kontingenzen bezeichnet werden können) sowie des
multidimensionalen Skalierungsverfahrens SSA (Smallest Space
Analysis). Aus einer Implikation des Abbildungssatzes, dem
facettierten Definitionssatz, wird unter 3.2. noch Nutzen gezogen
werden. Besonders wichtige Beiträge hat die Facettentheorie bei der
Herausarbeitung überkulturell gültiger struktureller Eigenschaften
des menschlichen Werteraums geleistet. So haben Schwartz und
Mitarbeiter ein vielrezipiertes Zirkumplexmodell menschlicher Werte
entwickelt, welches nicht nur verschiedene "universelle" Grundwerte
oder Werttypen unterscheiden kann, sondern auch empirisch
wiederkehrende Regelmässigkeiten über die relative Affinität dieser
Werttypen untereinander aufzeigt, das heisst, Aussagen darüber
macht, ob zwei Werttypen etwa unmittelbar benachbart oder direkt
entgegengesetzt sind. Die in verschiedenen internationalen
Untersuchungen emergierte Werttypen-Anordnung ist, im Kreis herum:
Universalism, Benevolence, Conformity/Tradition, Security, Power,
Achievement, Hedonism, Stimulation und Self-Direction.
Paare wie Stimulation und Security oder Achievement
und Benevolence sind
einander demnach praktisch entgegengesetzt, während etwa bei
Universalism und Benevolence mit einer weltweit hohen Korreliertheit
zu rechnen ist (Schwartz & Bilsky 1987, 1990; Schwartz & Boehnke
2004; Wilson 2005).
Eine solche recht prägnante
Projizierbarkeit des Werteraums auf eine Kreisfläche stellt eine
auffällige Analogie zu vergleichbaren Kreismodellen der
Persönlichkeit (vgl. Rost 2002: 507-508) und der Emotionen (vgl.
Scherer 2003: 201) dar.
2.1.5 Emotionspsychologische Wertkonzeptionen
In der Emotionspsychologie besitzt der
Begriff der Bewertung einen enormen Stellenwert, erstaunlicherweise
aber nicht der Begriff des Werts. Besonders für
Forschungstraditionen, die der Kognition eine wichtige Rolle bei der
Emotion zuschreiben (Appraisal-Theorien) sind Emotionen nichts
anderes als Bewertungen von Ereignissen für das Wohlergehen des
Organismus, selbst dann, wenn der Bewertungsprozess sehr rasch und
unbewusst abläuft (Lazarus 1984; Smith & Kirby 2001). Dies verweist
auf die Frage nach jeweils aktiven genaueren Bewertungsmasstäben.
Klar ist, dass die Bewertung erfahrungsvermittelt ist, ansonsten es
kaum so grosse Unterschiede bei den Emotionen gäbe, die ein
Gegenstand bei verschiedenen Menschen auslöst. Ebenso klar ist aber,
dass der experimentelle Fokus auf Einzelstimuli als Auslösern von
Emotionen es nicht erforderlich scheinen lässt, den
Einstellungsbegriff hin zum Wertbegriff zu transzendieren. Insgesamt
erweisen sich die dominanten fachpsychologischen Definitionen von
Emotion und Einstellung (Giner-Sorolla 1999: 442-443; Bohner 2003:
267; Fröhlich 1993: 132) abhängig von einem in der "Bewertung"
versteckten Wertbegriff, der seinerseits meist unerklärt "vom Himmel
fällt". Besonders minimalistisch-fundamentale, eindimensionale
Emotionsbegriffe auf Basis der einzigen Unterscheidung Vorbereitung
zur Annäherung an ein Objekt vs. Vorbereitung zur Entfernung von
einem Objekt fallen mit dem Valenzbegriff zusammen und klären nicht
ohne weiteres, weshalb in den verschiedenen Fällen Annäherung oder
Entfernung folgen sollte. Es könnte theoretisiert werden, dass ein
Ereignis aus evolutionären Gründen stets als erstes auf Basis des
Wertes Sicherheit evaluiert wird und dann erst auf Basis eines
Wertes wie Schönheit, oder dass die Zahl der unmittelbar aktiven
Bewertungsmassstäbe eine geringe bleiben muss, ansonsten zu viele
Millisekunden vor der (hormonellen) Produktion einer zum Beispiel
überlebenssichernden Emotion verstreichen müssten. Kognitive Wende
und Überwindung eines reduktionistischen Behaviorismus dürften es
zwar kaum geändert haben, dass das kognitive System, auf das der
Mensch so stolz ist, am entwicklungsgeschichtlich älteren
emotionalen System „hängt“ (Zajonc 1984; Marcus 2003: 183-187;
Lavine, Thomsen, Zanna & Borgida 1998). Doch dürfte auch dieses
emotionale System bereits Grundwerte wie Sicherheit zur
Funktionsvoraussetzung haben, mögen diese in ihren
Manifestationsformen früher auch ausschliesslich "Instinkt" oder "(Überlebens-)Trieb"
genannt worden sein. Funktion
des Wertes aus emotionspsychologischer Sicht scheint zusammenfassend
die Leitung individueller Reaktionen auf Umweltereignisse (wobei
eine Wertpluralität aus der Beobachtung abgeleitet werden kann, dass
nicht jedes Umweltereignis gleichartige menschliche Reaktionen
auslöst). Die sehr enge Beziehung zwischen Wert und Emotion wird in
der Motivationsforschung (vgl. 2.1.3.), die den Wertbegriff
weitgehend durch den Motivbegriff substituiert, zu einer
entsprechend engen Beziehung zwischen Motiv und Emotion
(beziehungsweise Affekt), so bei D.C. McClelland (Herber 1976:
57-63; Wunderer & Küpers 2002: 108-110). Als Struktur des Wertes
oder Wertsystems kommen bei eindimensionalen Emotionsbegriffen die
simple Polarität der Valenz, bei mehrdimensionalen und "diskreten"
Emotionsbegriffen (vgl. Scherer 2003: 200-202, Nabi 2002)
entsprechend komplexere Strukturen in Frage.
2.1.6 Synopse
psychologischer Wertkonzeptionen
Betrachtet man die in 2.1.1. bis 2.1.5.
vorgestellten Wertkonzeptionen, bieten sich in struktureller und
funktionaler Hinsicht zunächst je eine grundsätzlichste
Ordnungsdimension an. Die Konzeptionen unterscheiden sich
strukturell hinsichtlich der Gebundenheit an Einzelobjekte, was
funktional der Unmittelbarkeit möglicher Handlungsbeeinflussung (im
Gegensatz zu primären Ordnungsfunktionen und eher
indirekt-hintergründiger Handlungsbeeinflussung) entspricht. Die
beiden grundsätzlichen Wertverständnisse Wert als Messung versus
Wert als Massstab zeichnen sich dabei ab (vgl. Abb. 1).
Man beachte, dass „Einstellung“ (attitude),
obwohl sie – bei sehr grosser Bedeutung in der Sozialpsychologie –
durch viele als dem Wert sehr nahes Konzept verstanden wird, klar
nur Wert als Messung ist. Zwar kann die Messung auf Unteraspekte
(wie einen emotionalen und kognitiven) verteilt werden und als
Objekt im Extremfall einen Massstab haben – doch bleibt sie dabei
eine Variante von „Valenz“, das heisst, das Produkt einer
themenneutral-standardisierten Massstabsanwendung („Affinität“,
„Wichtigkeit“, „+“, „–“) durch
sich im Hintergrund
konkurrenzierende, eigentliche Wertmassstäbe auf ein Objekt. Valenz
kann entsprechend als das Äquivalent des Geldes (vgl. 2.3.1.) im
psychischen Orientierungshaushalt gesehen werden. Idealiter „themenlos“,
erfordert sie in der Praxis eine minimale Hilfsvorstellung wie
„Anziehung“ durch ein Objekt, auch wenn eine entsprechende Tendenz
allein noch keine korresponierende reale Handlung bewirkt – zum
Beispiel weil äusserliche Hindernisse wahrgenommen werden.
Auf „Gemessenes“ zwischen der
„Messung“ und dem „Massstab“ scheint die Psychologie selten
Varianten des Wertbegriffs anzuwenden, weshalb die Abbildung 1 nicht
darauf eingeht. In der Ökonomie würde am Ehesten mit dem Begriff
„Gut“ darauf Bezug genommen werden, alternativ sowie
alltagsprachlich auch mit dem Begriff „Wert“. Ausprägungsbeispiele
für einen solchen Wert wären ein Sportwagen oder ein Eigenheim, die
als Privatbesitz im Dienst der Bedürfnisse „Macht“ oder „Status“
stehen könnten. Abb. 1:
Psychologische Wertkonzeption als Messung oder als Massstab
Zur Faszination, aber auch zur
Schwierigkeit beim Fassen des Wertbegriffs trägt das Problem bei,
dass Gemessenes und Massstab fliessend ineinander übergehen und die
Realität sich keineswegs einer künstlichen Abgrenzung fügt. Gegeben
sei ein Individuum als Liebhaber sowohl von Reisen als auch von
Kunst. Es kann einerseits eine Reisedestination am Massstab der
Vorhandenheit attraktiver Kunstmuseen messen – und anderseits ein
Kunstwerk am Masstab seiner Herkunft von einem geschätzten,
exotischen Reiseziel. Die beobachtbare Doppeldeutigkeit von Kunst
und Reisen hinsichtlich Instrumentalität/Terminalität profitiert vom
halbabstrakten Charakter beider Quasi-Objekte (der aber nicht
strenge Voraussetzung ist): Reisen sind keine Objekte im engen Sinn,
können aber gegen Geld gebucht werden; Kunst ist ein Abstraktum,
manifestiert sich aber stets mit Hilfe von Objekten. Beide
Quasi-Objekte können es im Prinzip in den Rang von Terminalwerten
schaffen: Leben für die Kunst, leben fürs Reisen. Durch ihre
Einzelobjekt-Emanzipiertheit und Bezogenheit auf Zustände als
Terminalwerte scheinbar qualifiziertere Abstrakta wie „Sicherheit“
oder „Freiheit“ können von den Quasiobjekten auf hintere
Prioritätsränge verdrängt werden ohne lediglich den Vorrang eines
anderen solchen „echten“ Terminalwerts anzuzeigen. Der dem Liebhaber
als solcher attraktiv scheinenden Reise durch ein Krisengebiet
können zugleich Überlegungen der Sicherheit, der Freiheit, der
Intimität, usw. geopfert werden und man darf von einem Selbstzweck
sprechen, respektive vom „Erheben“ einer Sache zum Massstab. Der auf
Unfähigkeit zur Abstraktion oder bewussten Verweigerung von
Abstraktion gründenden Obsession ist im Prinzip die Erhebung des
nebensächlichsten Objektes zum Terminalwert möglich, was eine enorme
Flexibilität des menschlichen Gehirns anzeigt. Im grössten Teil von
dessen Entwicklungsgeschichte hat es auch den Versuch noch nicht
gegeben, möglichst viele Objekte der Welt an einem gemeinsamen, von
allen genutzten Massstab (dem Geld) zu messen, so dass das Anlegen
stets anderer Massstäbe, respektive das Messen des einen Objekts am
anderen (Tausch-)Objekt für das Gehirn ausgesprochen natürlich sein
dürfte. So hat eine zeitgenössische Ikone der hochindividualisierten,
maximal „entfremdeten“ Gesellschaft zumindest in der virtuellen Welt
des Internets vorübergehend dadurch Bekanntheit erlangt, dass sie
jede an sie gerichtete Frage mit der Aussage „Ich mag Schildkröten“
beantwortet hat. Es scheint vor diesem Hintergrund eigentlich
aussichtslos, eine endliche Zahl möglicher (Terminal-)Werte für
Individuen angeben zu wollen. Mit einem systematisch-lexikalisch
gewonnen Wissen um häufigste hochrangige Werte in einer bestimmten
Population zu einem bestimmten Zeitpunkt im Geist Cattells (Hall &
Lindzey 1970: 389), womöglich mit überzeugender theoretischer
Begründung, schiene schon viel gewonnen.
In Abbildung 1 durch fette Einrahmung
hervorgehoben wurde die Konzeptions-Grundvariante des Werts als
Massstab, da es sich dabei fraglos um die Variante mit der grösseren
interdisziplinären Relevanz handelt. Ausschliesslich sie soll ab
hier weiterbeachtet werden. Zwei Kriterien mit guter
Differenzierungsleistung sind auf sie anwendbar (vgl. Tab. 1).
Tab. 1: Individueller Wert als
Massstab: Hierarchisierbarkeit und betonte Herkunft
Hierarchisierbarkeit
Herkunft |
nicht
hierarchisierbar |
hierarchisierbar |
betont
soziokulturell |
Tolman: 3 gleichberechtigte Massstäbe |
|
betont
soziokulturell mit Subdifferenzierung |
Rokeach: terminale und instrumentelle Werte
|
Adler: soziales Fernziel des Menschen |
ohne /
balancierte Subdifferenzierung |
Cattell: starke, balancierte
Subdifferenzierung |
|
betont
biologisch mit Subdifferenzierung |
Freud: Libido vs. Überich |
Maslow: natürliche Bedürfnis-Hierarchie |
betont
biologisch |
Spranger: von Instinkten zur Lebensform
McClelland: vom Hormonsystem zum Motiv |
|
Das Kriterium der
Hierarchisierbarkeit unterscheidet Wertbegriffe, bei denen für Werte
eine intersubjektiv gültige Hierarchie behauptet wird von
Wertbegriffen, auf die keine entsprechenden Meta-Werte mehr
angewandt werden, das heisst untereinander gleichwertige Behandlung
vorliegt. Das Kriterium der Herkunft unterscheidet Wertbegriffe
danach, ob eher ihre biologische oder soziokulturelle Herkunft
betont wird. Eine solche Betonung kann für Werte insgesamt, ohne
weitere Subdifferenzierung, erfolgen. Sie kann aber auch bei
durchaus gegebener Diskussion verschiedenartiger Werte –
einschliesslich stärker soziokulturell und stärker biologisch
begründeten – erfolgen (indem die einen als in irgend einer Weise
grundlegender oder charakteristischer für das Wertphänomen behandelt
werden). Schliesslich gibt es Wertkonzepte, die eine solche Betonung
(über die Totalität eventueller Subdifferenzierungen) wenig erkennen
lassen. Einige der unter 2.1.1.
bis 2.1.5. diskutierten Vertreter von individuellen Wertkonzeptionen
als Massstäben wurden in Tabelle 1 illustrativ platziert. Bei Tolman
stehen der kognitive, der ästhetische und der ethische
Bewertungsmassstab grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und
entstammen, ansonsten unerklärt, primär der sozialen Ebene. Bei
Rokeach, dessen Wertbeispiele stärker sozial und politisch als
biologisch geprägt sind, lässt sich argumentieren, dass die
Unterscheidung von terminalen und instrumentellen Werten noch kein
eigentliches hierarchisches Konzept bedeutet: auf die Ebene der
terminalen Werte wird kein Meta-Massstab mehr angewandt. Cattells
faktoranalytisch ermittelte Orientierungsdimensionen decken ein
weites Spektrum ab, das er durch eine beträchtliche Zahl von
Trait-Unterbezeichnungen gliedert, ohne einseitig biologische oder
soziokulturelle Herkunft zu betonen. Freud unterscheidet
triebbasierte individuelle Strebungen von Gewissensforderungen, die
im Individuum das kulturelle Interesse repräsentieren. Die
Triebforderung wird dabei als genuinere Vertretung des individuellen
Interesses betont, doch lässt sich von einer letzten
Hierarchisierung der Strebungen nicht sprechen, die Freud vielmehr
an Adler kritisiert hat. Spranger (an den G.W. Allport, Murray und
andere anschliessen) führt seine Lebensform-Typologie auf
biologische Instinkte zurück, obwohl sie anhand ihrer Begriffe
reichlich kulturell geprägt wirkt. McClelland versucht seine Motive
an spezifische neurophysiologische Botenstoffe zu knüpfen, ohne zu
hierarchisieren. Adler schwingt sich zu der in weiten
Wissenschaftskreisen verpönten Behauptung eines letzten (Meta-)Werts
auf, wenn er auf das Fernziel einer vollkommenen Gesellschaft
gerichtete individuelle Werte über andere Werte wie individuelles
Machtstreben stellt. Er hat damit in jedem Beurteilungsfall den Mut,
als Wissenschaftler einen spezifischen „Sinn des Lebens“ (Adler 1974
[1933]) zu verfechten. Die grosse Beachtung, die Maslows System
gefunden hat, dürfte sich schliesslich daraus miterklären, dass
seine Motivationstheorie ebenfalls einen solchen Lebenssinn
suggeriert, dabei aber besonders auf dessen Herleitung aus
natürlichen Beobachtbarkeiten achtet: das Streben nach
Selbstverwirklichung scheint unter anderem im Artenvergleich
spezifischer menschlich, charakterisiert spätere Stadien des
Lebensalters, scheint mit grösserem Wohlbefinden von Individuen zu
korrelieren und kann nicht einfach durch Zufuhr eines
Befriedigungsobjektes zum Verschwinden gebracht werden. Darüber
hinaus repräsentiert es als Betonung von Individualität stark einen
westlichen kulturellen Wert.
Eine evolutionspsychologische Überlegung muss nun aber bezüglich der
Vorstellung einer stärkeren biologischen Wertdeterminierung
respektive überhaupt eines gesehenen Gegensatzes zwischen „von unten
drängenden“ (biologischen) und „von oben geforderten“ (sozialen)
Werten anklingen. Sie besteht in der Frage, ob menschliche Gene
überhaupt primär am Erfolg des Individuums „interessiert“ sind und
nicht vielmehr am Erfolg des Kollektivs, auf den sie für ihren
Fortbestand weit stärker angewiesen sind (Hoffrage & Vitouch 2002:
740-742). Divergenzen zwischen „geforderten“ und „angeborenen“
Werten würden demnach keineswegs auf einem Grundkonflikt beruhen, in
dessen Rahmen nur die „geforderten“ Werte die kollektive Wohlfahrt
repräsentieren – sondern vor allem darauf, dass sich die
„angeborenen“ nicht rasch genug an die emergierte Umwelt der
modernen Industriegesellschaft haben anpassen können. Obwohl die
biologisch-soziale Herkunftsunterscheidung also ein praktisches
grobes Ordnungskriterium für psychologische Wertkonzeptionen
scheint, soll hier ein erster Zweifel anklingen, ob es sich auch bei
stärkerer analytischer Vertiefung wird halten können – etwa beim
noch ausstehenden Einbezug kulturwissenschaftlicher (2.2.)
Erkenntnisse.
Alternativen zu den
Ordnungsdimensionen Hierarchisierbarkeit und Herkunft könnten noch
die angenommene (ungefähre) Anzahl von Werten, der angenommene Grad
ihrer Stabilität im Lebensverlauf oder das Erfordernis eines Bezugs
auf (finale) Zustände anstelle blosser Objektklassen sein. Alle
diese Dimensionen schneiden jedoch bezüglich eindeutiger
Verortbarkeit der Konzeptionen (teils mangelnde Aussagen der
Autoren) oder Differenzierungsleistung (die meisten Autoren halten
den Bezug auf Zustände für werttypischer als den Bezug auf blosse
Objektklasssen) schlechter ab als Hierarchisierbarkeit und Herkunft.
Folgende summarische Aussagen zu
psychologischen Wertkonzeptionen zeichnen sich als vertretbar ab:
(1)
Die im Hinblick auf weitere Verwendung in der interdisziplinären
Wertforschung relevante Grundvariante psychologischer
Wertkonzeptionen ist der Wert als Massstab, nicht der Wert als
Messung (Valenz). Anwendungen des Wertbegriffs auf Gemessenes
(Güter) scheinen in der Psychologie kaum vorzukommen.
(2)
Auch unter den Bezugnehmenden auf ein Wertkonzept als Massstab
haben sich viele für Quasi-Synonyme des Wertbegriffs wie
„Bedürfnis“, „(End-)Ziel“ oder „Motiv“ entschieden, vermutlich
um dem wissenschaftlichen Postulat der „Wertungsfreiheit“ (vgl.
2.3.2.) vordergründig-begrifflich, bei einer gewissen
Gleichsetzung von Subjekt und Objekt, zu genügen.
(3)
In der Psychologie kommt die stärkere Betonung der sozialen
respektive kulturellen Herkunft von Werten ebenso vor wie die
stärkere Betonung ihrer biologischen Herkunft. Sie erfolgt
erwartungsgemäss allerdings häufiger durch Sozialpsychologen und
Wegbereiter, respektive Repräsentanten einer „kognitiven Wende“
seit den 1960er Jahren, die sich zugleich als Wende zur sozialen
sowie sprachlichen Sphäre in der Psychologie auffassen lässt.
Die explizite Verwendung des Wortes „Wert“ (value) scheint unter
den Betonenenden einer sozialen Herkunft prävalenter.
(4)
Mitunter wurde das wissenschaftliche Reputationsrisiko
eingegangen, Werte ihrerseits nach letzten oder Meta-Werten
hierarchisch zu ordnen, was in etwa der Behauptung eines
intersubjektiv gültigen Lebenssinnes entspricht. Im Fall von
Maslow, der sich stark um Herleitung seiner Selbstverwirklichung
aus empirischen Beobachtbarkeiten bemüht und primär den
Bedürfnisbegriff genutzt hat, hat ein solcher Versuch grösste
Beachtung (und Einfluss auf die spätere Wertewandelsforschung)
gefunden – auch wenn sich dieser „letzte Wert“ als vage
(bestenfalls mit einem okzidental-individualistischen Bias)
versehene Kategorie kritisieren lässt, die mit praktisch jedem
konkreten Inhalt gefüllt werden kann.
Inhalt
2.2 Kulturwissenschaftliche
Wertkonzeptionen 2.2.1
Kluckhohns ambivalenter Definitionsversuch
Der handlungstheoretische
Wert-Definitionsversuch des Kulturanthropologen Kluckhohn hat vor
dem Hintergrund der unzähligen konkurrierenden Konzeptionen eine
recht weit gehende interdisziplinäre Akzeptanz erfahren. Dies ist
allerdings nicht auf eine unangefochtene Gelungenheit dieses
Versuchs (vgl. Jessen 1988: 176; Kmieciak 1976: 148; Rudolph 1959:
62) zurückzuführen, sondern womöglich eher auf eine hohe Visibilität
durch die Präsenz des entsprechenden Beitrags im vielbeachteten,
interdisziplinär "hochkarätig besetzten" 1951er Sammelband von
Parsons und Shils Towards a General Theory of Action.
Für Kluckhohn (1965 [1951]: 395) ist ein Wert "... a conception,
explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic
of a group, of the desirable which influences the selection from
available modes, means, and ends of action."
Der Hinweis auf eine implizite oder
explizite Natur des Werts ist in dieser Definition sicher
zweckmässig. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass besonders
grundlegende Kategorien menschlicher Handlungsleitung leicht auf
unbewussten, halbbewussten oder "selbverständlichen" Ebenen der
Systemorganisation wirksam sein können. Implizitheit bedeutet
keineswegs relative Wirkungsschwäche. Vielmehr sind die Kategorien
gerade dann als effektiv zu veranschlagen, wenn die Reflexions- oder
Verbalisierungsfähigkeit im Bezug auf sie zweifelhaft ist.
Verbalisation ist für Kluckhohn nicht Voraussetzung des Vorliegens
einer handlungswirksamen Konzeption, so sehr der an einer impliziten
Werthaltung Orientierte einem Verbalisierungsvorschlag durch den
Beobachter sollte zustimmen oder nicht zustimmen können. Lediglich
Verbalisierbarkeit ist demnach Bedingung des Werts und soll diesen
in der Vorstellung Kluckholms mit seiner grösseren Abstraktheit vom
instinktiven Verhalten und von Bedürfnissen abgrenzen. Da allerdings
evident ist, dass auch Bedürfnisse verbalisierbar sind, überzeugt
dieses Kriterium nicht besonders und erklärt sich wohl die Vagheit
von Kluckholms Bestimmung, dass "solche Dinge" (wie Bedürfnisse)
nicht "direkt" Teil des Wert-Bereichs seien (ebd.: 397).
Kluckhohn sieht als festen
Bestandteil des Werts affektive, kognitive und konative "Elemente",
was einer Übernahme der entsprechenden Untergliederungstradition von
Einstellung (Bohner 2003: 268) und anderen Konzepten aus der
Psychologie entspricht. Obwohl er Kulturen und Individuen als
Wertträger nennt, betont er die kulturelle Herkunft stärker.
Individuen interpretieren die "meistenteils" der Kultur
entstammenden Werte lediglich in einer Weise, die sie "manchmal"
persönlich distinktiv werden lässt. In diesen Formulierungen ist
erneut viel Vagheit gegeben und unmittelbar anschliessend lässt
Kluckhohn auch offen, ob die von "einigen" Werten gespielte Rolle im
Selbst des Individuums sich nun auf ein solches inklusive oder
exklusive Überich bezw. Ichideal beziehen soll (Kluckhohn 1965
[1951]: 395, 398). Wohl am
Problematischsten ist Kluckhohns Bedingung, es müsse sich bei einem
Wert nicht nur um ein Gewünschtes (desired), sondern um ein – auch
individuell – als wünschenswert (desirable) Wahrgenommenes handeln.
Auf den ersten Blick scheint damit eine sinnvolle Unterscheidung
blosser, objektförmiger Nahziele von "letzten" Zielzuständen
gegeben. Kluckhohns Erläuterungen machen jedoch deutlich, dass er
unter Wünschenswertem ein nach moralischen, rationalen und/oder
ästhetischen Kriterien als solches Klassifizierbares versteht. Damit
ist ein zirkuläres Element gegeben, dass sich durch die blosse
Übersetzung ins Deutsche (vgl. Rudolph 1959: 62) von selbst
offenlegt: das Bestimmungsproblem des Werts wird in eines des
Wünschenswerten umgewandelt, wobei unerklärt bleibt, weshalb genau
ein ethischer, ein ästhetischer und ein rationaler Inhalt
unterschieden werden sollen. Bleiben das Gute, Schöne und Wahre
durch ihre Herangezogenheit als wertbestimmende Massstäbe nicht als
einzige eigentliche Werte übrig? Oder sind sie als Meta-Werte zu
verstehen? Kluckhohn bleibt die Antwort schuldig und bemüht sich
(aufbauend auf Dewey) um fernere Illustration der Unterscheidung des
Wünschenswerten vom bloss Gewünschten damit, dass das Wünschenswerte
die Vorstellung einschliesst, ein Gewünschtes solle auch gewünscht
werden. Das "Soll" repräsentiert dabei nicht einfach die Forderung
der Kultur an ihre Individuen oder Subgruppen (wie bei Freud),
sondern bleibt eine (unerklärte) individuelle oder
Gruppenüberzeugung, die als solche (belief) ein kognitives Element
immer einschliesse und so zum Begriff der Konzeption in seinem
Definitionsversuch geführt habe (obwohl laut früherer Stelle
emotionale und konative Elemente ebenfalls als fest zugehörig zu
betrachten seien; Kluckhohn 1965 [1951]: 395-396). Am ähnlich schon
bei Dewey vielkritisierten Problem (Clark 2002), einfach eine
Meta-Ebene über dem Gewünschten eingeführt zu haben, ohne sie
überzeugend erklären zu können, scheitert Kluckhohn vollends durch
schliessliche Heranziehung des psychoanalytischen
Besetzungs-Begriffs ("... cathexis and value are ... somehow
interrelated"; ebd.: 398). Cathexis (Besetzung) ist nichts anderes
als ein begrifflicher Vorläufer derselben Valenz, von der in 2.1.6.
deutlich wurde, dass sie als blosse Messung eben auf den angewandten
Massstab weiterverweist. Es erstaunt daher nicht, dass Kluckhohns
auf den ersten Blick straff wirkende Definition im Verlauf ihres
Explizierungsversuchs all ihre erzielte Komplexitätsreduktion wieder
einbüsst und in den Unterscheidungsbedarf einer kaum überblickbaren,
kontingent wirkenden Vielfalt der Ordnungsdimensionen für Werte und
der Unterarten von Werten mündet (ebd.: 412-421).
2.2.2 Rudolphs
kultureller Wertbegriff
Wolfgang Rudolph hat in seinem hervorragenden Beitrag über die
Kulturanthropologie und das Wertproblem (1959) Schwächen der
Kluckhohnschen Exploration (vgl. 2.2.1.) vermieden und seinem
kulturellen Wertbegriff eine eingehende Analyse entsprechender
Theorie der amerikanischen Variante von Ethnologie seit A.L. Kroeber
(Rudolph 1959: 19-75) sowie einschlägiger Empirie (ebd.: 76-123)
vorgeschaltet.
Auf Kroeber aufbauend, sind Werte in
ihrer Abhängigkeit von und ihrer Wirkung auf eine als Naturphänomen
verstandene Kultur zu untersuchen (Rudolph 1959: 17). Wert ist für
Kroeber das kulturell Bedeutsame (ebd.: 22-23) und Kultur für die
Kulturanthropologie im Allgemeinen die bedeutsamere Kategorie im
Vergleich zur Gesellschaft. Dies, indem vor allem Kultur mit
Bewusstsein, Tradition und Sprache anstelle der blossen, auch bei
Tieren beobachtbaren Herausbildung von Sozialstrukturen assoziiert
wird (ebd.: 54). Für stärker linguistisch orientierte
Kulturanthropologen (vgl. 2.2.3.) ist das Symbolsystem der Sprache
selbst eine Wertorientierung: wie sich etwa beim Vergleich
verschiedener nordamerikanischer Ureinwohnerstämme zeigt, kann es
die erkannte Realität mit ganz verschiedenen betonten Bedeutungen
ausstatten, die diesbezüglich der kritischen Reflexion durch den
Sprecher weitgehend entzogen sind (ebd.: 138-142).
Werte werden in der
Kulturanthropologie teilweise, so bei Lee (ebd.: 125-126), als etwas
aufgefasst, das von reiner Befriedigung (angeborener) Bedürfnisse
grundsätzlich zu unterscheiden ist (ebd.: 34, 38). Rudolph selbst
relativiert allerdings diese Praxis: die in die
Persönlichkeitsstrktur integrierten kulturellen Werte werden zu
einer "neuen Kategorie von 'Bedürfnissen'" und "als Bedürfnis
empfunden" (ebd.: 166). Für die ursprünglich zumeist abgegrenzten
Bedürfnisse "von unten" werden damit Spezifikationen wie "organische
Bedürfnisse" (ebd.: 166) und "reine Grundbedürfnisse" (ebd.: 167)
notwendig. Für den psychoanalytisch beeinflussten Linton dient
Kultur sogar dazu, biologische, soziale und psychische Bedürfnisse
komplexartig, also nicht nur separat voneinander, befriedigen zu
können (ebd.: 38). Insgesamt identifziert Rudolph eine eigene
kulturanthropologische Kontroverse um das Verhältnis Wert zu
Bedürfnis (ebd.: 124-126), die allerdings nur brisant scheint,
solange unter Bedürfnissen definitorisch ausschliesslich angeborene
verstanden werden, denen der erlernte kulturelle Wert dann
gegenübergestellt werden kann. Dies erscheint umso fragwürdiger, als
im Einklang mit den bereits unter 2.1.6. angedeuteten
evolutionspsychologischen Überlegungen auch etwa für Linton nicht
das Individuum, sondern die menschliche Gesellschaft "die
eigentliche Einheit des biologischen Existenzkampfes" (ebd.:
127-128) ist und der Mensch biologisch, in Form seiner starken
Lernorientierung, zur Aufnahme einer Kultur vorbereitet ist (ebd.:
129, 160-163). Dass soziogene Werte ausschliesslich auf Zwang
aufbauen können, ohne biogene Bedürfnisse zumindest ein Stückweit zu
integrieren, wird allgemein bezweifelt (ebd.: 128).
Allgemein wichtig für
Kulturanthropologen ist die Annahme, dass Kultur von ihren
Angehörigen zwar "nur" erlernt ist, dass der Mensch aber aufgrund
"fast vollständigen Fehlens von Instinkten" das lernende Tier
schlechthin ist (Rudolph 1959: 35). Hallowell wird mit der Aussage
zitiert, dass Werte dabei Werkzeuge menschlicher Anpassung sind wie
materielle Hilfsmittel auch (ebd.: 36) und für Northrop sind Werte
die Früchte der zentralen Lebenserfahrungen eines Volkes (ebd.:
145). Die Beeinflussung der Werte durch "Realfaktoren" geht nach
weitgehender Übereinstimmung im Fach aber keinesfalls bis zur
Behauptbarkeit eines technologischen Determinismus. Die empirische
Evidenz spricht vielmehr dafür, dass spezifisch die westliche
Zivilisation zur Übergeneralisierung ihrer eigenen
materialistisch-opportunistischen Tendenz auf "den Menschen" neigt,
während andere Kulturangehörige mitunter bei Inkaufnahme des
Hungertods tradierte wertabgeleitete Normen aufrechterhalten (ebd.:
148-152). (Der Preis der hohen Realitätsangepasstheit der westlichen
Kultur ist für Rudolph die in ihr stets latente Aufhebungsgefahr der
Verbindlichkeit des kulturellen Werts überhaupt – obwohl ihm das
Paradox nicht entgeht, dass Individualismus auch ein kultureller
Wert sein kann; ebd.: 171).
Rudolph gelangt nach der umfassenden Rezeption der genannten und
weiterer Kulturanthropologen zu folgender eigener Definition:
"Ein
kultureller Wert ist ein sozial sanktionierter, kulturell
typisierter und psychisch internalisierter Standard selektiver
Orientierung für Richtung, Intensität, Ziel und Mittel des
Verhaltens von Angehörigen des betreffenden soziokulturellen
Bereichs. Sein objektives Kriterium ist Bedeutsamkeit im kulturellen
Wertsystem, sein subjektives Kriterium ist Bedeutung in der
individuellen Persönlichkeitsstruktur (Rudolph 1959: 164)."
Werte
sind damit die "entscheidenden Elemente einer Kultur, ihr
funktionaler Befehlsstand" – obwohl sie für die zugehörigen
Individuen rollenabhängig variieren können (ebd.: 164-165). Sie
bewirken, dass Individuen über zwei Anpassungsstufen von ihrer
natürlichen Umwelt getrennt sind: durch ihre Anpassung an eine
soziale Umwelt und durch deren Anpassung an die objektiv-reale
Umwelt (ebd.: 168). Scheiternde Individuen sind aufgrund dieser
Schwierigkeit häufig, doch ermöglichen gerade kulturelle
Nonkonformisten bei Bedarf Anpassungsleistungen der Gesamtkultur an
veränderte reale Umwelten (ebd.: 168).
An Rudolphs Definition scheint besonders
ergiebig, dass sie die wertbezogene Determinationskraft der Kultur
anzeigt, ohne dass, im Hinblick auf die kulturanthropologische
Tradition, an eine Abgekoppeltheit solcher Kultur von Anforderungen
der Natur auch nur zu denken ist. Kulturen und ihre Wertsysteme
können vielmehr sowohl an den Anpassungserfordernissen einer sehr
realen Umwelt scheitern, als auch, vor lauter Flexibilitätsbemühung,
ihre überindividuelle Integrationskraft gefährden. Bezüglich der
handlungsorientierenden Funktion des Werts nicht von der
interdisziplinären Mehrzahl der Wertkonzeptionen abweichend,
verzichtet Rudolph auf das Aufrichten einer komplexen
Binnenklassifizierung der Werte, die womöglich zu geringe
interkulturelle Gültigkeit hätte. Ob unter den werthierarchischen
psychologischen Versuchen eher Adlers gesellschaftsperfektionierende
oder Maslows selbstverwirklichende "Lebenssinne"
kulturanthropologische Unterstützung als interkulturelle menschliche
Universalien erfahren, ist bereits auf Basis der geografisch
unmittelbar benachbarten drei Beispielkulturen der Hopi (hochintegriert),
der Navahos (individualistischer) und der westlichen Zivilisation
(hochindividualistisch) nicht zu entscheiden.
2.2.3
Kultursemiotischer Wertbegriff
Während auf den Kluckhohnschen
Wertbegriff aus Gründen seiner breiten interdisziplinären
Rezipiertheit und auf den Rudolphschen wegen seiner gründlichen
kulturanthropologischen Herleitung eingegangen wurde, soll ein
drittes Schlaglicht im Rahmen der kulturwissenschaftlichen
Konzeptionen exemplarisch auf einen Bereich fallen, in dem sich
neuere Tendenzen seit dem linguistic turn ausdrücken können: die
Kultursemiotik. Alternativ könnte ein solches Schlaglicht auch auf
die Ansätze der Cultural Studies oder des Kollektiven Gedächtnisses
fallen, doch scheint die Kultursemiotik, wie Posner (2003) sie
vorstellt, ein besonders reiner und theoretisch entwicklungsfähiger
Repräsentant der gemeinten neueren Tendenzen.
Die Kultursemiotik untersucht – im
Anschluss an Ernst Cassirers These, dass die symbolischen Formen
einer Gesellschaft ihre Kultur ausmachen – die Zeichensysteme einer
Kultur und Kultur als Zeichensysteme, wobei sie, eindeutig
zukunftsträchtig, Tier- und Maschinenpopulationen nicht
grundsätzlich vom Kulturphänomen ausschliesst (Posner 2003: 39-40).
Werte konstituieren dabei zusammen mit den Ideen und den auf beide
bezogenen Verwendungs- und Darstellungskonventionen die Mentefakte
einer Kultur, die ihrerseits den – materiellen – Artefakten
gegenüberstehen und verhaltensbestimmend wirken. Zwischen den
Individuen und Gesamtgesellschaften als Verfügenden über Mentefakte
und Artefakte wird besonders auch die Mesoebene der Gruppen
berücksichtigt (deren Beschreibung in der heutigen globalisierten
Welt und ihren multikulturellen Zentrumsgesellschaften viel
bedeutender geworden sein dürfte, als traditionell-ethnologische
Konzentrationen auf "exotische" Stammeskulturen in Reservaten.
Die werthaltigen Mentefakte sind in der
Kultur zu einem System von Zeichenkonventionen (Codes) geordnet, das
die Mitglieder einer Gesellschaft gemeinsam haben und mit deren
Hilfe sie die Texte ihrer Zivilisation verstehen. Das Austauschen
von Botschaften auf dieser Basis ermöglicht den Zeichenbenutzern die
Bewältigung ihrer Probleme. Das gesamtkulturelle Zeichensystem lässt
sich in verschiedene untergeordnete Zeichensysteme aufgliedern, über
deren relatives Gewicht es eine Auseinandersetzung gibt, die als
dynamische Voraussetzung kulturellen Wandels funktioniert (ebd.:
49-55. Eine Kultur, in der alle Texte gleichwertig wären,
entspräche gerade ihrer Liquidierung als Kultur (ebd.: 56).
Identitätsbestimmende Texte einer Kultur gelten als wertvoll, werden
im prestigeträchtigsten Medium dieser Kultur übermittelt, sind
wirklichkeitskonstitutiv, setzen Massstäbe, welche die Bedingungen
ihrer Entstehung überdauern, müssen aufgrund der so entstehenden
Text-Welt-Diskrepanzen und ihrer zunehmenden Unverständlichkeit
ausgelegt und übersetzt werden und schliesslich hinsichtlich ihrer
Entstehung mit Hilfe von Mythen (wie demjenigen göttlich-offenbarten
Ursprungs) der Kritik entzogen werden (ebd.: 56-57). Sie gehören der
semiosischen Sphäre des zentral Kulturellen an, welche von
derjenigen des peripher Kulturellen, dann des Gegenkulturellen und
schliesslich des Ausserkulturellen (den Kulturmitgliedern völlig
Unbekannten) umgeben ist.
Adaptiv funktionaler kultureller
Wandel kann beispielsweise durch das Ins-Zentrum-Wandern eines
peripheren Codes (und späteres Wiederhinauswandern) stattfinden,
doch gibt es auch Kulturverschmutzung, zum Beispiel "... wenn zu
einem früher wohlstrukturierten Weltsegment die alten Codes durch
prestigereichere, aber nur unzureichend beherrschte Codes überlagert
werden: Weder die alten noch die neuen Zeichen können zur Gliederung
des Bereichs eingesetzt werden. Es entsteht eine Situation, in der
die Signifikate der alten Codes nicht mehr ernst genommen und die
neuen Codes noch nicht verstanden werden ... Die Folge ist
Kulturschutt ... (Posner 2003: 60-61)"
In seiner Variabilität entlang der
Dimension kultureller Zentralität ist der Wert als Mentefakt
verhaltensbestimmend und hilft er der Kultur, ihre biologische
Funktion als (kollektive) "Überlebensmaschine" (Posner 2003: 65)
wahrzunehmen. Er nimmt dabei die Struktur eines Signifikats, also
einer Bedeutung, im Rahmen einer Hierarchie von Codes
(Zeichensystemen) sowie einer Hierarchie von mit diesen verstandenen
Texten, an.
Es wird deutlich, wie wenig sich
funktional und strukturell an einer Wertkonzeption zu ändern
braucht, wenn sie, statt aus dem Kontext sich physisch
manifestierender Kulturen, eher aus deren symbolischen
Repräsentiertheit in einer globalen Semiosphäre gewonnen wird.
Wertkonzeptionen sind offensichtlich in der hochgradigen Abstraktion
zu Hause und bieten sich damit durchaus als Grundbausteine einer
qualitativen Entsprechung in den Sozial- und Kulturwissenschaften zu
dem an, was in den Naturwissenschaften die reine Mathematik leistet
(vgl. Rudolph 1959: 165). Für den Empiriker deutet sich dabei an,
dass inhaltsanalytische Methoden – etwa angewandt auf vergleichbare
Medientext-Samples verschiedener Zeitpunkte, aber auch
identitätsbestimmende Texte wie die Bibel – eine noch viel zu wenig
ausgeschöpfte Erforschungsmöglichkeit von kulturellem Wertsystem und
Wertewandel darstellen. Sie lassen sich direkt auf hinsichtlich
ihrer kulturellen Zentralität klar verortbare Texte anwenden, die
auch ohne den Stimulus einer stattfindenden Untersuchung existieren
würden und würden sich besonders von einer neuen Generation von
Publizistik- und Kommunikationsforschern erhoffen lassen, welche die
heutige kolossale Bedeutung von Medientexten als implizite
Aufforderung zu vermehrten sozialwissenschaftlichen
Grundlagenbeiträgen erkennen würde.
2.2.4 Synopse
kulturwissenschaftlicher Wertkonzeptionen
Obwohl in 2.2.1. bis 2.2.3. nur wenige
Schlaglichter auf kulturwissenschaftliche Wertkonzeptionen geworfen
werden konnten, scheinen für diese im Vergleich zu den
psychologischen einige Tendenzen als charakteristisch benennbar:
(1)
Hierarchisierungsversuche von Wertorientierungen im Sinne
überindividuell oder überkulturell behauptbarer "letzter Ziele"
werden eher nicht angetroffen – wohl hauptsächlich, weil in den
fraglichen Disziplinen ein zu grosses Bewusstsein der
Kulturabhängigkeit solcher Aussagen gegeben ist. Allerdings wird
aufgezeigt, dass gewisse kulturelle Wertsysteme zumindest
temporär grössere Anpassungserfolge einer Kultur an die
umgebende natürliche Umwelt begünstigen, während andere
Wertsysteme grössere Integrationserfolge begünstigen.
(2)
Auf die Werte bezogene Herkunftszuschreibungen sind entlang dem
Kontinuum biologisch-soziokulturell (vgl. Tab. 1) insofern
ausgewogen, als eine dominant kulturelle Herkunft zwar die
naheliegende kulturwissenschaftliche Prämisse ist, Kultur
ihrerseits aber nie losgelöst vom Adaptionsbedarf an ihre
natürliche Umwelt respektive von biologischen Bedürfnissen
gedacht wird. Zentrale Gedanken der relativ jungen
Kulturanthropologie sind, dass der "instinktarme", aber
besonders leicht lernende menschliche Organismus bereits
biologisch zur Internalisierung einer Kultur (und damit auch von
Werten) vorbereitet ist und die menschliche Gesellschaft eher
als das Individuum die eigentliche Einheit des biologischen
Existenzkampfes darstellt. Der individuell-soziale Antagonismus
wird damit erheblich entschärft.
(3)
Als werttragende Subjekte werden, ausser dem Individuum,
mindestens so stark das Kollektiv und seine Sprache,
einschliesslich subkulturellen Phänomenen, thematisiert.
Inhalt
2.3 Soziologische
Wertkonzeptionen 2.3.1
Der Wert bei Georg Simmel
Georg Simmel setzt sich in seiner klassischen phänomenologischen
Abhandlung "Philosophie des Geldes" (2001 [1920]) intensiv mit dem
Wertphänomen auseinander. Er verwendet den Wertbegriff dabei sowohl
im Sinne einer objektbezogenen Valenz ("Grad des Wertes"; Simmel
2001 [1920]: 7) als auch zur direkten Bezeichnung eines begehrten
Objektes (ebd.: 12) sowie schliesslich im Sinne einer zwischen
Subjekt und Objekt liegenden, unabhängigen metaphysischen Kategorie
(ebd.: 15-16). Der Wert ist dabei zunächst als hochgradig subjektiv
und – als Folge eines Wertungsprozesses – situationsabhängig (ebd.:
7-8) zu verstehen. Was den Wert grundsätzlich hervorruft, ist die
Distanz zwischen begehrendem Subjekt und begehrtem Objekt –
wohingegen der Augenblick des Genusses den Wert gleichsam konsumiert
(ebd.: 11-12).
Für den modernen Menschen in seiner
Kultur hat der Wert aber darüber hinaus einen Objektivationsprozess
durchlaufen (Simmel 2001 [1920]: 23-25). Grosse Distanz zwischen
Subjekt und einer immer grösseren Vielfalt an begehrenswerten
Objekten, von denen das Subjekt, zum Beispiel durch Medien, Kenntnis
hat, ist zum Regelfall geworden. Die vielfältigen Begehrungsaffekte
sind jeweils für sich genommen in ihrer Intensität und Dringlichkeit
reduziert. Das Ich des Kulturmenschen bildet sich erst an den
Hindernissen heraus, die zwischen den zahlreichen begehrbaren
Objekten und dem Subjekt liegen, etwa in Form von Warte- und
Arbeitszeit. Teil eines auf diese Weise immer stärker sublimierten
Wertbegriffs ist, dass der Wert bereits genossener Objekte sich
nicht einfach verliert, sondern mittels der Erinnerung an und die
positive Assoziation mit dem früheren Genuss verselbständigt
weiterleben kann. Insgesamt entschiedenste Folge der kulturellen
Distanzierungstendenz der Gegenstände vom begehrenden Subjekt ist,
dass sie Teil eines Mechanismus werden, in dem sie ihren Wert – als
Tauschwert – scheinbar im gegenseitigen, von Personen unabhängigen
Bezug bestimmen; in dem sie eigens produziert werden, um von
unbekannten anderen konsumiert zu werden; und in dem sie,
paradoxerweise, als immer grössere Vielfalt des grundsätzlich
Geniessbaren auch eine nicht dagewesene Nähe zum Subjekt
realisieren, nämlich in Form ihrer fast jederzeitigen Wählbarkeit –
um den Preis eines Verzichts auf jeweils andere Genüsse,
beziehungsweise Tauschgüter (ebd.: 15-29).
Simmel nutzt zur näheren Erläuterung
dieses Modernisierungseffektes auf den Wert den Begriff der
Zweckreihe oder teleologischen Reihe (Simmel 2001 [1920]: 220-230).
Der Kulturprozess produziert demnach immer längere, an
vorgeschalteten Zielen immer reichere Zweckreihen, die zwischen den
Menschen und ihren Endzwecken liegen. Erreichte Endzwecke des
Handelns neigen aber ohnehin dazu, augenblicklich durch neue ersetzt
zu werden und scheinen somit per se mit dem Makel der Relativität
behaftet (ebd.: 238-239). Damit erhöht sich die Bedeutung
eigentlicher blosser Mittel (ebd.: 233) zu Endzwecken – wie des für
sich charakterlosen Geldes und, mit Einschränkungen (ebd.: 456-479),
auch der Arbeit. Für Simmel bleiben sich moderne Kulturmenschen
dadurch oft letzter Lebensziele unbewusst (ebd.: 234). Gerade in der
monotheistisch geprägten Kultur erliegen sie stattdessen leicht
einer – im Diesseitsbezug naheliegenden – Gleichsetzung von Geld mit
Gott (ebd.: 241).
Simmels Wertkonzeption besitzt
innerhalb der in diesem Beitrag explizit berücksichtigten
Sozialwissenschaften eine beträchtliche Originalität. Der bis zur
Gleichsetzung mit konsumierbaren Objekten reichende, starke
Objektbezug, welcher nur im Fall des Geldes als quasiuniversellem
Tauschmittel in eine dann gleich radikale Objektemanzipation
überführt wird, nähert sie strukturell am ehesten ökonomischen
Wertbegriffen an. Eine handlungsleitende Funktion des Wertes wird
auch durch Simmel gestützt, doch ist in der Kultur die Vernichtung
der Distanz zwischen handelndem Subjekt und angestrebtem Objekt
nicht mehr die alleinausschlaggebende Strebung. Stattdessen lebt der
Wert – und mit ihm die Kultur – ebenso durch diese Distanz wie durch
die motivierenden Objekte und erreicht durch sie seine abstraktesten
und verfeinertsten Manifestationsformen.
2.3.2 Der Wert
bei Max Weber
Der Name Max Webers ist über die
Grenzen der Sozialwissenschaften hinaus mit seiner berühmten
Forderung der "Wertfreiheit" an die Wissenschaft (vgl. Weber 1976:
578, 658) verknüpft. Wo diese so verstanden wurde, dass das
Wertphänomen als wissenschaftliches Objekt zu meiden oder in
wissenschaftlichen Texten vom Wertbegriff wenn irgend möglich auf
Nachbarbegriffe auszuweichen sei, wurde sie missverstanden. Während
völlige "Wertfreiheit" in der Wissenschaft nur bei oberflächlicher
Betrachtung – die zum Beispiel die wertgeleitete Auswahl
untersuchungswürdiger Objekte übersieht – überhaupt realisierbar
scheint, ist ihre zumindest relativ verbesserte Umsetzung sicher
daran geknüpft, dass man überhaupt über einen Wertbegriff verfügt
und mit seiner Hilfe (im Idealfall auch eigene) wissenschaftliche
Aussagen auf ihren Wertgehalt hin reflektieren kann
Wertung als möglicher Makel des
Wissenschaft betreibenden Subjektes ist somit vom Wert und seinen
begrifflichen Derivaten als wissenschaftlichen Objekten zu trennen.
Einigen Aufschluss über den letzteren liefert bei Max Weber das
Kapitel "Soziologische Grundbegriffe" aus dem posthum erschienenen
Werk "Wirtschaft und Gesellschaft" (1976 [1922]). Der Wert taucht
dort in Form seiner Prägung des zweiten von vier Idealtypen sozialen
Handelns auf. Wertrationales Handeln ist bestimmt "durch bewussten
Glauben an den – ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer
sonst zu deutenden – unbedingten Eigenwert eines bestimmten
Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg (Weber
1976: 12)." Es erscheint als solches auf einer höheren
Rationalitätsstufe als das affektuelle und erst recht traditionale
Handeln, nicht aber als das zweckrationale Handeln. Dieses ist
bestimmt "durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der
Aussenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser
Erwartungen als 'Bedingungen' oder als 'Mittel' für rational, als
Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke (ebd.)".
Die handlungsleitende Funktion des
Werts scheint damit auf den ersten Blick beschränkt. Sie scheint
zunächst nur bei Akteuren gegeben, die zwar gegenüber einem stumpfen
Ausführen traditionsdiktierter Routinen oder einem reinen
Affekthandeln emanzipiert sind, aber gezwungen bleiben, in der
gegenwärtigen Handlung selbst inneren "Geboten" jeglicher Art zum
unmittelbaren Ausdruck zu verhelfen. Dies wäre etwa beim
Prinzipienreiter gegeben, der auch in solchen Situationen konsequent
seine Überzeugungen ausdrückt, in denen er damit der Sache, für die
seine Überzeugungen stehen, eher Schaden zufügt. Etwa kann er sich
durch sein wertrationales Handeln das Wohlwollen eines insgesamt
nützlichen, gemässigten Allianzpartners mit grosser Finanzkraft
verscherzen. Der zweckrational Handelnde vermeidet dergleichen durch
seinen weiter in die Zukunft reichenden, auch indirekte Wege zum
Ziel akzeptierenden Handlungshorizont.
Auf den zweiten Blick verbinden sich
mit Max Webers Grobtypisierung einige Schwierigkeiten, die unter
anderem für zahlreiche Relativerungen des Schemas durch Weber selbst
verantwortlich sind (vgl. Weber 1976: 12-13). So dürfte etwa die
Handlungsorientierung an Werten kaum je emotional neutral sein –
sondern unter anderem als "bewusste Entladung der Gefühlslage"
(ebd.: 12) auftreten. Traditionen losgelöst von einem Wertmuster zu
denken, ist sodann unmöglich geworden, seit alle unmittelbar mit
Kultur befassten Teilwissenschaften Tradition ganz massgeblich an
Kultur knüpfen und ins Zentrum derselben charakteristische
Wertmuster stellen (vgl. 2.2.). Dafür liefert Webers eigene
Religionssoziologie, wo sie sich auf die religiöse Lebensführung
(ebd.: 320-321), respektive die protestantische Ethik bezieht (Weber
1988; 1993), deutliche Anhaltspunkte. Schliesslich räumt Weber beim
zweckrationalen Handeln ein, dass es seinerseits "wertrational
orientiert" sein kann und dann "nur in seinen Mitteln zweckrational"
(Weber 1976: 13) ist. Um die verbleibenden Fälle rein
zweckrationalen Handelns von jenen Fällen abzugrenzen, führt Weber
die "subjektiven Bedürfnisregungen" (ebd.) ein. Exakt an den
Bedürfnisbegriff knüpft indessen die jüngere Wertforschung zumeist
ihre Wertbegriffe, während die "Regung" wiederum auf Affekt
verweist. Die wertcharakterisierende Aussagekraft von Webers vier
Idealtypen sozialen Handelns ist somit nicht dadurch beschränkt,
dass reales Handeln stets nur eine Mischung des idealtypischen ist
(dies ist keine Beschränkung, sondern eine zu akzeptierende
Voraussetzung bei der Arbeit mit Weberschen Idealtypen). Sondern es
ist dadurch beschränkt, dass die Idealtypen selbst auf Begriffen
aufbauen, die untereinander ausgedehnteste inhaltliche
Deckungsbereiche aufweisen, das heisst gerade die Erwartung an
Idealtypen, scharf voneinander trennbar zu sein, nicht erfüllen.
Niklas Luhmann vermeidet es denn auch ein halbes Jahrhundert nach
Max Weber, "Wert" und "Zweck" auf einer Rationalitätsskala
gegeneinander auszuspielen und zeigt gerade mit Hilfe des von Weber
privilegierten Zweckbegriffes die Grenzen der sich in modernem Sinn
teleologisch verstehenden Handlungsrationalität auf. Ebenso zeigt er
auf, dass die von Weber vorgenommene Zweck-Mittel-Unterscheidung,
die das zweckrationale Handeln auszeichnen soll, analytisch nicht
durchzuhalten ist (vgl. 2.3.3.).
Die begrifflichen Anregungen der
"Kolossalfigur" Max Weber lassen sich auf keinem Gebiet der
Soziologie ignorieren und sind etwa in die Systemtheorien deutlich
eingeflossen. Die Sozialwissenschaften sind Weber jedoch überwiegend
nicht darin gefolgt, einen teleologischen, in die Zukunft schauenden
Charakter der Zweckrationalität gegenüber der Wertrationalität zu
betonen. Stattdessen ist (auch) der Wert für viele ein über
mannigfaltige Zwischenstationen anstrebbares Endziel des Handelns
(das freilich so weit in der Zukunft und im Ideel-Hypothetischen
liegen kann, dass sein vollständiges Eintreffen, in Übereinstimmung
mit Max Weber, nicht beobachtbar werden muss – auch, weil es durch
andere Werte konkurrenziert wird).
2.3.3 Der Wert
in soziologischen Systemtheorien
Zu den soziologischen Klassikern, die
den Wert explizit und ausführlich abhandeln, gehört auch der
Strukturfunktionalist und Systemtheoretiker Talcott Parsons. Während
Simmels Begriffe einige Anschlussfähigkeit an Philosophie, Ökonomie
(und frühe Psychologie) zeigen, hat Parsons zur interdisziplinären
Fundierung seiner Wertkonzeption auf psychologische und vor allem
auch kulturanthropologische Vor- und Mitarbeitende zurückgegriffen.
Entsprechend konnte er in seinen Arbeiten eine individuelle,
kulturelle und soziale Systemebene voneinander getrennt untersuchen,
dabei aber auch Ordnungsvariablen benennen, deren Relevanz sich
durch all diese Ebenen hindurchziehen. Parsons definiert:
“An
element of a shared symbolic system which serves as a criterion or
standard for selection among the alternatives of orientation which
are intrinsically open in a situation may be called a value” (Parsons
1951: 12).
Über weite Strecken seiner
Ausführungen zur Wertrolle im Rahmen von Handlungssystemen nutzt
Parsons allerdings das Begriffsderivat der value-orientation, das
ebenso wie die genutzten value standards nicht völlig befriedigend
von value abgegrenzt wird (vgl. Parsons 1951: 12; Parsons & Shils
1951: 116), wenn man das feingliedrige und entsprechend feine
Differenzierungen erfordernde handlungstheoretische Kategoriensystem
bedenkt, das vor allem der Beitrag „Values, Motives, and Systems of
Action“ aufzurichten versucht hat (vgl. Parsons & Shils 1951: 49-51,
247-275). Dieser nimmt im bereits erwähnten interdisziplinären
Sammelband Toward a general theory of action und dem damit
verbundenen, später nicht weitergeführten Versuch einer
einheitlichen Handlungstheorie für die Sozialwissenschaften (vgl.
Rudolph 1959: 54-57) eine zentrale und ansatzweise koordinierende
Stellung ein. Er ist praktisch zeitgleich mit Parsons eigenem Werk
The Social System erschienen.
Ungeachtet dieser definitorischen Unschärfen hat Parsons jedoch
breit nachwirkende Sichtweisen der Funktionen und
Manifestationsarten von Wert(standard) respektive Wertorientierung
auf den verschiedenen soziokulturellen Aggregationsebenen
ausgearbeitet. Die Grossangelegtheit seines handlungs- und
werttheoretischen Entwurfs erzwingt auch einen etwas grösseren
Umfang dieses Unterkapitels.
Als wichtigste einzelne
Einflussfiguren auf den genannten Entwurf werden Durkheim, Freud und
Max Weber deklariert (Parsons & Shils 1951: 52). Im Rahmen von
Handlungssystemen der sozialen Realität orientiert sich für Parsons
und Shils Handeln keineswegs direkt an Überlebenszielen, sondern
hauptsächlich an internalisierten kulturellen Werten (ebd.: 63).
Akteure sind dabei – unter anderem – Muster der Wertorientierung,
statt dass sie solche nur „haben“ (ebd.: 66). Für einen konkreten
Handlungsausgang mit relevant ist jedoch immer eine Situation, die
darin gegebenen (breit definierten) Objekte und eine Motivation
(ebd.: 54-56). Eine Gegenüberstellung individueller und sozialer
Interessen, wie bei Freud, wird im Wertkontext durchaus als
grundlegend mitgetragen, wenn auch unter geringerer Konfliktbetonung
(vgl. Korte 2000: 183). Während need dispositions die allokativen
foci des persönlichen (psychischen) Systems reflektieren,
repräsentieren role expectations diejenigen des sozialen Systems
(ebd.: 91) – wobei auch die letzteren auf needs (Bedürfnisse),
allerdings soziale, verweisen (ebd.: 92).
Einen charakteristischen Mehrwert auf
grundsätzlicher Ebene realisiert Parsons’ Theoriebildung dadurch,
dass individuelle egos nicht nur als an äusseren Objekten
orientierte Subjekte konzipiert werden, sondern sich jederzeit
selbst zum Objekt von Handlung machen können, beziehungsweise müssen
– etwa wenn sie soziale Normen mittels Identifikation
internalisieren (ebd.: 100). Identifikation mit einem significant
other ist der wertbezogen wichtigste individuelle Lernmechanismus im
Rahmen der Sozialisation, die bereits im Kindesalter die Wahrnehmung
von Rollen und daran geknüpfte Erwartungen voraussetzt, das heisst
bei einfacher Manipulation noch nicht gegeben ist (Parsons 1951:
207-226). In Form der Sentiments erhalten auch ausschliesslich
gelernte, aus organischen Bedürfnissen allein nicht erklärbare Werte
ihre affektive Basis im Individuum (ebd.: 42). Aus der
Innenperspektive des personalen Systems strebt dieses (mit Hilfe von
Werten) nach der Optimierung von Gratifikation – aus einer
wissenschaftlichen Aussenperspektive nach Erhalt seiner Integrität
als abgegrenztem System (Parsons & Shils 1951: 120). Es ändert sich
dabei konstant durch Lernen (ebd.: 123), respektive durch die auch
im Erwachsenenalter fortschreitende Sozialisation. Innere Konflikte
aufgrund der Koexistenz verschiedener individueller Subsysteme
werden durch die zahlreichen Varianten psychischer Abwehr gemässigt,
Konflikte mit einer veränderten Aussenwelt durch Anpassung (ebd.:
133). Aufgrund der Vielfalt wahrgenommener Rollen verfügt das
personale System über mehrere Über-Ichs (ebd.: 144-146). Mit
sozialen Systemen hat das personale die Selbsterhaltungs- und
Abgrenzungstendenz gemeinsam und die zwingende gegenseitige
Interpenetration (ebd.: 109). Bis zu einem gewissen Grad muss das
Individuum sich so sehen lernen, wie andere es sehen (ebd.: 147),
was auch heisst, ihre rollenspezifischen – etwa
geschlechtsgebundenen – Werte bis zu einem gewissen Grad zu teilen.
Bei anspruchsvoller instrumenteller Aktivität, etwa in planenden
Arbeitsrollen, ist die Fähigkeit, ein hohes Mass an Disziplin
aufrechtzuerhalten, respektive Verzicht auf manche direkte
Befriedigungsmöglichkeit von need dispositions, ebenso wie eine
gewisse Orientierungsflexibilität, unerlässlich (ebd.: 149).
Ungenügende Passung personaler und rollenspezifisch erwarteter Wert-
und Handlungsorientierung können unter anderem zur Entfremdung und
dem Einsatz negativer Sanktionen des Kollektivs gegenüber dem
Individuum führen (ebd.: 151-158).
Nebst der Interpenetration des
personalen und des sozialen Systems ist auch diejenige des
kulturellen und des sozialen Systems untrennbar mit dem Wertbegriff
verknüpft. Das soziale System, bestehend aus Kollektiven
interagierender Menschen, Rollen und Normen, importiert und
institutionalisiert ein dominierendes Wertmuster (ein Ethos) aus dem
kulturellen System, und spezifiziert dieses für seine Vielfalt von
Subkollektiven und Rollen zu – teilweise rechtlich-verbindlichen,
etwa konstitutionellen – Normen. (Parsons 1967: 145-146; Parsons &
Shils 1951: 177-178).
Das kulturelle System ist um die
Bedeutung von Objekten und deren symbolischem Ausdruck organisiert.
Statt, wie personale oder soziale Handlungssysteme, von der
Knappheit von (Handlungs-) Möglichkeiten und von
Funktionsanforderungen (an Organismen) geprägt zu sein, ist es,
weniger materiell gebunden, von logischen Kohärenzanforderungen
geprägt (Parsons & Shils 1951: 173). Es kann ein Wertmuster aufgrund
der Transferierbarkeit von Symbolen – ihrer Überlebensfähigkeit auch
ausserhalb unmittelbar gegebener Handlungssysteme – exportieren (Parsons
1967: 141-142; Parsons & Shils 1951: 159-160). Das Wertmuster zeigt
dabei eine starke Interdependenz mit anderen Komponenten des
kulturellen Systems, so (1) den anerkannten Wissensbeständen und
Ideen, (2) den anerkannten Stilen und Geschmäckern und (3) den
anerkannten (religiösen, ideologischen) Deutungen von Werten: „Because
values are always problematical with respect to their legitimation,
societies institutionalize patterns of meaning in terms of which
their values ‚make sense’ (Parsons 1967: 144)“. Gesellschaften sind
auf solche Deutungen vor allem wegen des Problems real beobachtbarer
Handlungsausgänge angewiesen, die stark von dem aufgrund der
institutionalisierten Wertmuster als gerecht Erachteten abweichen
und damit dessen Gültigkeit in Frage stellen (Parsons 1967: 164).
Durch diesen nicht nur auf das
kulturelle System analytisch angewendeten Überbauversuch der
Wertorientierungen mit "Modi" oder Meta-Massstäben (des
Kognitiv-Wahren, Expressiv-Schönen und Evaluativ-Guten) begegnet
auch bei Parsons das bereits bei Tolman und Kluckhohn thematisierte
und somit spezifisch mit den Forschern der General Theory of Action
zu assoziierende Problem wieder, dass es sich ja auch bei diesen um
Werte, jedenfalls nicht „wertneutrale“ Massstäbe handelt. Sie
scheinen auch bei Parsons & Shils als solche „vom Himmel zu fallen“,
solange sich ihre nähere Erklärung darauf beschränkt, „that these
lines offer great convenience for the analysis of action (Parsons &
Shils 1951: 72).“ An späterer Stelle des Werks erfolgt allerdings
doch noch eine Funktionszuschreibung an jeden der drei
Meta-Massstäbe. Erwähnt sei nur die Funktion moralischer (respektive
"evaluativer") Standards: sie wird als Förderung von Handlungen
erkennbar, welche in einem System (wie dem personalen) die
Integrations- und Stabilitätsbedürfnisse eines (jeweils)
übergeordneten Systems (wie dem sozialen) wahrnehmen (ebd.:
164-172). Die (Über-)Komplexität
von Parsons’ und Shils’ handlungs- und werttheoretischem
Klassifikationsschema (vor allem resultierend aus einem den
Ritualismus berührenden „Durchkonjugierungszwang“ aller Subschemata
anhand jeweils aller anderen Subschemata und Analyseebenen; vgl.
Parsons & Shils 1951: 205) braucht hier nicht wiedergegeben zu
werden – doch wird die Unterscheidung eines kognitiven, expressiven
und evaluativen Aspekts unter anderem auch auf konkrete Handlungen
angewendet. Dominieren kognitive Überzeugungen den Bezug zum
Handlungsziel, sprechen die Autoren von instrumentellem Handeln, bei
dem das Ziel bereits gegeben ist und seine möglichst effziente
Erreichung in den Vordergrund rückt. Dominieren expressive Symbole,
ist expressives Handeln, zur unmittelbaren Erreichung eines positiv
besetzten Nahzieles, gegeben. Dominieren schliesslich evaluative
Standards, ist moralisches Handeln mit seiner typischen Orientierung
an den Zielen anderer, respektive des Kollektivs, gegeben (Parsons &
Shils 1951: 165).
Mit Hilfe eines Ordnungsrasters aus
fünf dichotomen pattern variables beschreiben Parsons und Shils
unter anderem die theoretisch möglichen Hauptvarianten personaler
und kultureller Wertorientierungen, von denen empirisch allerdings
nicht alle bedeutend sind. Es handelt sich bei den Dichotomien (1)
um Affektivität-Affektive Neutralität, (2)
Selbstorientierung-Kollektivorientierung, (3)
Universalismus-Partikularismus, (4) Zuschreibung-Erreichung (Achievement)
und (5) Spezifizität-Diffusheit. Der dominierende US-amerikanische
Ethos ist beispielsweise für die Autoren mit Hilfe der dritten und
vierten Variable als Kombination Universalismus-Achievement grob
klassifizierbar, während für das Subkollektiv der US-Hispanics mit
ihrer hohen Bewertung der (leistungsunabhängigen)
Familienzugehörigkeit und der partikulär aufeinander bezogenen
Positionen von ego und alter die Kombination
Partikularismus-Zuschreibung herangezogen wird. Ferner gibt es
Gesellschaften mit insgesamt grösserer oder geringerer
Kollektivorientierung (vgl. 2.2.4.; Parsons & Shils 1951: 184-185;
76-91). Die Koexistenz verschiedener subkultureller Wertmuster
bedeutet für jedes soziale System eine besondere integrative
Herausforderung. Konflikte wie derjenige zwischen
Verwandtschaftswerten und Werten der Individualleistung können
bereits innerhalb eines dominierenden Ethos (wie dem
US-amerikanischen) angelegt sein und stellen von dort aus die
Funktionsfähigkeit des sozialen Systems permanent auf die Probe
(ebd.: 172-175).
Problematisch wäre sicher die strenge
Anwendung der pattern variables auf das Handeln personaler Systeme
nach Parsons und Shils. Als Voraussetzung allen Handelns in einer –
ansonsten für den Akteur bedeutungslosen – Situation geben die
Autoren das Treffen von fünf nicht abstufbaren Entscheidungen an,
die jeweils einem durch eine pattern variable repräsentierten
Orientierungsdilemma entsprechen (Parsons & Shils 1951: 76-91).
Realweltliche Akteure könnten ihren Alltag aber wohl kaum
bewältigen, wenn sie diese kognitive Staffette tatsächlich in jeder
neuen Situation (und nicht höchstens in jeder erstmalig
angetroffenen, groben Kategorie ähnlicher Situationen, ab welcher
Routinehandeln dominieren würde), durchlaufen müssten.
Die als Wertmuster handelnde
Grundeinheit sozialer Systeme ist nicht das Individuum, sondern die
Rolle. Manche Rollen sind dabei stärker institutionalisiert als
andere, was einer reineren Repräsentation des dominierenden Ethos
entspricht. Von gemeinsamem Handeln kann erst bei Gegebenheit eines
solidarischen, Wertmuster teilenden Kollektivs ausgegangen werden –
die nichtsolidarischen Aggregationsformen der soziodemografischen
Personenkategorie oder der blossen Pluralität sind dafür nicht
ausreichend. Da soziale Systeme unter den realweltlichen Bedingungen
der Knappheit gratifikatorischer Objekte operieren müssen, ist die
Organisation der Allokation von direkten Belohnungen,
Humanressourcen und facilities (Instrumenten zur leichteren
Rollenerfüllung, mithin indirekten Belohnungen) eins ihrer
zentralsten Probleme. Es kann nicht allein durch Wertsozialisation
gelöst werden und erfordert unter anderem die mit Durchsetzungsmacht
ausgestattete, soziale Ordnung aufrechterhaltende Autorität.
Diskrepanzen (misfits) zwischen dem Angebot an individuellen
Begabungen und den zu einem gegebenen Zeitpunkt zu füllenden Rollen
belasten das soziale System ebenso wie das Wecken von
Gratifikationserwartungen in Individuen, die dann überwiegend nicht
eingelöst werden können (Parsons & Shils 1951: 190-229). Eins der
Hilfsmittel gegen diese Belastungen sprechen Parsons und Shils
folgendermassen an:
„What is, from the viewpoint of the individual
personality, conscious or unconscious psychotherapy, is from the
viewpoint of the social system a mechanism of social control” (ebd.:
230.) [2]
Während die diversen Imperfektionen
des Systems auch Anpassungschancen desselben an veränderte
Umweltbedingungen darstellen, verwahrt sich Parsons’ Systemtheorie
gegen eine Gleichsetzung sozialen Handelns mit sozialem Wandel:
ersteres findet auch in für sich stabilen Sozialsystemen statt. Ein
Sozialsystem löst sich zudem auch bei übermässigen Belastungen in
der Realität nie bis zu einem Hobbesschen „Naturzustand“ auf – es
zerfällt höchstens in Teilsysteme, wird von einem anderen
Sozialsystem absorbiert oder verändert sich radikal (ebd.: 231-233,
204).
Mit der Frage, was geschehen kann,
wenn eine steigende Zahl Menschen den Ethos ihres Sozialsystems
inhaltlich ernster nimmt, als zu dessen blossen Integration nötig
oder als zu dessen aktuellen allokativen Mitteln passend, hat sich
vor allem Parsons' Schüler R.K. Merton befasst.
"[...] All this
would not require emphasis except for the widespread assumption that
nonconforming behavior is necessarily dysfunctional to a social
system [...]. [...] frequently the nonconforming minority in a
society represents its ultimate values and interests more fully than
the conforming majority. This is not a moral but a functional
judgement [...]. [...] For the accumulation of dysfunctions in a
social system is often the prelude to concerted social change toward
a system that better serves the ultimate values of a society (Merton
1976: 40."
Zusammenfassend begegnet Parsons der
Frage nach den strukturellen Eigenschaften von Wertorientierungen
mit dem Vorschlag mehrerer (Kreuz-)Klassifikationsmöglichkeiten
(unter anderem three modes of value-orientation und five pattern
variables; Parsons & Shils 1951: 205). Sie können dank ausreichender
Abstraktion sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene
angewandt werden und machen bei aller Kontingenz deutlich, dass eine
Akzentverschiebung von der individuellen auf die soziale Systemebene
im Wertbereich einerseits eine Akzentverschiebung von direkten
Bedürfnisbefriedigungen auf indirekt-instrumentelle Befriedigungen
bedeutet (vgl. 2.3.1.). Anderseits gibt es eine Verschiebung auf die
Frage nach den Modalitäten, anhand derer Gratifikationen überhaupt
verteilt werden sollen. Parsons weckt Zweifel, ob es auf Ebene
dieser Modalitäten um ein freies Gegeneinanderabwägen alternativer
Zielzustände gehen kann. Für das Sozialsystem bereits festzustehen
scheint vielmehr eine Priorität systemerhaltender Integration unter
Bedingungen der Knappheit gratifikatorischer Objekte. Das
Sozialsystem würde demnach kaum als Ganzes irgendwo "hin" wollen und
die eine integrationsfähige Ordnung wäre ihm, pointiert gesagt, so
gut wie eine andere. Wichtigste Funktion des Wertes wäre auf
sozialer Systemebene entsprechend die integrative, im Sinne einer
für Kollektive nicht leicht zu erfüllenden Voraussetzung übriger
Handlungsleitung.
Parsons Schüler Merton folgt dieser Zuschreibungstendenz, zugunsten
einer stärker inhaltlich-teleologischen Wertbedeutung, nur bedingt.
Ein anderer Schüler Parsons', Niklas
Luhmann, hat dessen Wertkonzeption hingegen noch funktionalistisch
radikalisiert, innerhalb seiner Systemtheorie bedeutungsvermindert
und – wie es unter dem Eindruck der 1960er Jahre kaum vermeidlich
war – dynamisiert.
Bei Luhmanns Betrachtung der Werte
(und Normen) geht es kaum mehr um handlungsleitende Inhalte oder
offene Zielzustände. Im Vordergrund steht die Funktionalität im
Rahmen einer bereits feststehenden, an Selbsterhalt (respektive
Umweltabgrenzung), Komplexitätsreduktion sowie fortschreitender
Ausdifferenzierung interessierten Logik sozialer Systeme (vgl.
Luhmann 1984). Die gegenüber
Parsons verringerte Bedeutung des Wertbegriffs wird bei Luhmann aber
auch dadurch möglich, dass er Eigenschaften, die andere Theoretiker
häufig dem Wert zuschreiben, in den Sinnbegriff einerseits (Luhmann
1984: 92-147) und den Zweckbegriff anderseits (Luhmann 1973)
auslagert. Dies wird durch den hohen Stellenwert des Zwecks in der
deutschen Handlungssoziologie seit Max Weber durchaus begünstigt.
Und die Universalität des Sinnbegriffs (Luhmann 1984: 97, 111)
absorbiert viel Beunruhigungspotenzial (Luhmann 1984: 435) des
andernorts ja nicht nur als komplexitätsreduzierendes
Selektionsprinzip aufzufassenden, sondern solche Selektion vor allem
als verantwortete, artikulierte Präferenz von reflexiven Systemen
verlangenden Wertes. In jedem
Fall ist es nach diesen "Auslagerungen" für Luhmann ohne Weiteres
möglich, im dritten Band seiner "Soziologischen Aufklärung"
Grundwerte als Zivilreligion eher skeptisch-konservativ, unter
Verweis auf den modischen Charakter öffentlich diskutierter
Grundwerte, abzuhandeln (Luhmann 2005: 336-354). Anstelle einer
ausführlicheren Thematisierung von Grundwerten versucht Luhmann dort
anhand einer Geschichte der Zivilreligions-Idee die Angewiesenheit
dieser Idee auf die fortgesetzte Koexistenz eines kirchlich
organisierten religiösen Subsystems samt ihrer Dogmatik zu
begründen, wobei religiöse Kommunikation mit kirchlicher
gleichgesetzt wird (ebd.: 350). Politische Parteien, die sich in
ihren Programmen auf Grundwerte beziehen, setzen sich dem Vorwurf
von Überheblichkeit und Deplatziertheit, von fraglichem
Realitätsbezug und einer Missachtung der Grenzen des politischen
Systems aus (ebd.: 349-350).
Der Erläuterung des interessanten
Wert-Dynamisierungsaspektes bei Luhmann muss zunächst das
Wertverständnis des Theoretikers gemäss dem Kapitel "Struktur und
Zeit" seines zentralen Werkes "Soziale Systeme" vorangestellt werden
(Luhmann 1984: 426-436).
Der Wert ist demnach eine von vier
Identitäten, die Erwartungen bündeln, nämlich, bei aufsteigendem
Abstraktionsgrad: (1) Person, (2) Rolle, (3) Programm und (4) Wert.
Die Person bündelt mit Hilfe ihres psychischen Systems und ihres
Körpers Erwartungen an sich. Bei der Rolle ist diese Bündelung
bereits abstrakter. Sie ist zwar dem Umfang nach auf das
zugeschnitten, was ein Einzelmensch leisten kann, ist aber sowohl
spezieller als auch allgemeiner als die Person: es geht immer nur um
einen Ausschnitt menschlichen Verhaltens, der dafür von vielen
auswechselbaren Menschen wahrgenommen werden kann, etwa in der
Berufsrolle. Die Differenz zwischen Person und Rolle ist mit
zunehmender Komplexität der Gesellschaft immer wichtiger geworden,
besonders innerhalb formaler Organisationen, wo für optimale
Wirkungsmöglichkeiten beide Kontaktnetze erforderlich sind.
Programme sind noch abstraktere Bündelungen von
Erwartungszusammenhängen, indem sie nicht mehr an die
Verhaltensmöglichkeiten eines einzelnen Menschen gebunden sind. Sie
sind ein Komplex von Bedingungen der Richtigkeit oder sozialen
Annehmbarkeit des Verhaltens. Die Programmebene verselbständigt sich
gegenüber der Rollenebene, wenn das Verhalten von mehr als einer
Person erwartbar gemacht werden muss. Die abstrakteste Bündelung von
Erwartungszusammenhängen sind schliesslich die Werte. Man muss bei
ihnen auch noch auf Richtigkeitsfeststellungen für bestimmtes
Verhalten verzichten. Sie sind allgemeine, einzeln symbolisierte
Gesichtspunkte des Vorziehens von Zuständen oder Ereignissen. Um aus
Werten Information über richtiges Verhalten zu gewinnen, muss man
sie in eine Rangordnung bringen (Luhmann 1984: 428-434). (Falls es
neben dem standardisierten psychologischen Konstrukt need to
evaluate – vgl. Jarvis & Petty 1996 nach v. Collani 2006 – auch eine
fear to evaluate geben sollte, liesse sich dieser mit der
alternativen Formulierung begegnen: "man kann aus Werten Information
über richtiges Verhalten gewinnen, indem man sie in eine Rangordnung
bringt".) Bei gemeinsamer Betrachtung aller vier Abstraktionsebenen wird für
Luhmann eine grosse Entwicklungstendenz erkennbar. Die blosse
Gegenüberstellung faktischen Verhaltens mit moralischen Regeln
richtigen Verhaltens in älteren Gesellschaften wird erweitert.
Rollen und Programme tragen immer mehr die Komplexität der
Gesellschaft. Das Persönliche wird dabei immer freier für
Individualisierung, Werte werden immer freier für Ideologisierung
und gemeinsam suchen sie neue Arten von Symbiosen, die in
Wertewandel und Individualisierung sichtbar werden. An der grossen
Bedeutung der Rollen und Programme in modernen Gesellschaften können
sie dabei kaum etwas ändern (Luhmann 1984: 434-435).
Werte sind in der Gegenwart somit
beweglicher geworden, weil der Ernst einer essentiellen Funktion für
das Sozialsystem weniger auf ihnen lastet als auch schon.
Wenn oben Luhmanns zurückhaltende
Position gegenüber einem öffentlichen „Modethema“ Grundwerte (in
Kombination mit seiner geringen Hinterfragung der sozialen
Funktionalität und Ansprüche eines traditionell-kirchlichen
religiösen Subsystems) als konservativ gekennzeichnet wurde, dann
kann das genaue Gegenteil über die zentralen Aussagen zum
Zweckbegriff behauptet werden, die Luhmann bereits in den 1960er
Jahren herausgearbeitet hat: diese waren gemessen am
sozialwissenschaftlichen Hauptstrom äusserst innovativ.
Zunächst einmal hat Luhmann in
„Zweckbegriff und Systemrationalität“ (1973 [1968]) den analytischen
Fokus auf die Mesoebene der sozialen Subsysteme und Organisationen
gerichtet: die Bedeutung organisationalen Handelns hat in modernen
Gesellschaften stetig zugenommen. Sodann verlässt er die
Vorstellung, dass grösstmögliche Harmonie und Kompatibilität
individueller und kollektiver Zwecksetzungen ein Grunderfordernis
des Sozialen und von Systemleistungen sei. Eine solche Harmonie sei
vielmehr nicht nur atypisch, sondern auch weitgehend unerforderlich
(Luhmann 1973: 129-134, 138-139). An der Basis einer insgesamt
überschätzten Bedeutung des Zweck- oder Zielprinzips beim sozialen
Handeln ortet Luhmann eine spezifische Art des Kausaldenkens, an das
sich der moderne Mensch zwar gewöhnt hat, das aber weder die einzig
mögliche noch einzig richtige Art der Konzeption von Handlung
darstellt. Stattdessen wird dieses gerade der Operationsweise
komplexer sozialer Handlungssysteme wenig gerecht (ebd.: 24-33,
46-54, 129-130, 141).
Luhmanns Zweckbegriff ist ein enger
Nachbar seines Wertbegriffs (Luhmann 1973: 33, 35). Es handelt sich
bei Zwecken um vorgestellte wertvolle Wirkungen, deren
Verwirklichung problematisch ist (ebd.: 155). Werte und Zwecke will
Luhmann nicht erklären – er will verstehen, „was sie leisten“ (ebd.:
35). Im Kern besteht die Leistung aus einer Reduktion von
Unendlichkeit, einer Strukturierung des Handlungshorizontes. Dabei
können sie freilich die volle Sinnbedeutung eines Ereignisses nicht
ausschöpfen und erfordern eine Kausalauslegung des Handelns (ebd.:
36), das heisst eine Vorstellung von Handeln als Bewirken von
(einzelnen, bestimmten) Wirkungen. Eine solche Vorstellung sieht
Luhmann beim Telos der alten Griechen nicht in gleicher Weise
gegeben: dieser habe den Zweck der Handlung in ihrem Vollzug
belassen, indem dieser als Teil eines Kreislaufs, und nicht im
heutigen Sinne als zielgerichtet, aufgefasst wurde (ebd.: 10; vgl.
dagegen Habermas 1991: 81).
Werte erheben zwar den Anspruch,
unabhängig vom faktischen Ergebnis der durch sie motivierten
Handlungen zu gelten, ermöglichen aber nur mit Hilfe zusätzlicher
Entscheidungshilfen die Selektion einer Handlungsvariante gegenüber
den Handlungsalternativen. Eine dieser Hilfen ist ihre transitive
Ordnung, also das Rangordnen der Werte untereinander. Die nahe
verwandte, aber nicht identische andere Hilfe ist das Heranziehen
eines Zweck-Mittel-Schemas (vgl. 2.3.2.), welches einen Zweck als
erwünschte wertvolle Wirkung in der Zukunft von dafür in Kauf zu
nehmenden Mitteln unterscheidet. Für Luhmann erweist sich die
Unzulänglichkeit der ersten Hilfe dadurch, dass sich
Wertrangordnungen – aufgrund ihrer Abhängigkeit vom aktuellen
Befriedigungsstand jedes Wertes – ständig ändern; und die
Unzulänglichkeit der zweiten Hilfe dadurch, dass sich eine strenge
Unterscheidung von Zweck und Mittel als unmöglich erweist, das
heisst in der Praxis ein Akt opportunistischer Willkür ist (vgl.
auch das Kunst-versus-Reisen-Beispiel aus 2.1.6.). Es ist so gesehen
effektiv die Funktion von „Zwecken“, ihre „Mittel“ zu heiligen
(Luhmann 1973: 36-47). Aufgrund
dieser Defizite der Zweckrationalität gilt es für Luhmann, die
Realität einer alternierenden Wertbedienung zu akzeptieren, sich
anstelle der Suche nach einer allgemeinen Ordnung der Werte die
Elastizität des Handelns zu bewahren und von der Vorstellung
Abschied zu nehmen, der Bestand sozialer Systeme sei nur „Mittel“ zu
einem Systemzweck. Tatsächlich müssen etwa Organisationen einer
Vielzahl von Wertrichtungen genügen (Luhmann 1973: 47-63). Der Zweck
muss nach dieser Logik Variable und Programmform sowie das Produkt
statt nur die Prämisse von Entscheidungsprozessen werden können
(ebd.: 126-128).
Dass Organisationen mit Hilfe der
Motivationspsychologie (vgl. 2.1.3.) unabhängig von einem konstanten
wozu Mitarbeiter motivieren lernen, ist für Luhmann ein
unproblematisches respektive systemadäquates Ergebnis der
zunehmenden Differenzierung des Motivs vom Zweck. Organisationaler
Konsens wird oft leichter über die Mittel hergestellt als über
Endzwecke, welche sich allerdings als flexible Kompromissformeln der
Koalition nutzen lassen. Exzessive Zweckloyalität von Mitgliedern
kann ihre Organisationsloyalität tangieren und den Systemzweck
immobilisieren. Ebenso kann zuviel Zweckreinheit im Handeln und im
Ausdruck die Zweckerreichung hemmen. Verpflichtetheit der Mitglieder
auf eine Dienstideologie oder stark verallgemeinerte professionelle
Ethik (die einen Konsens der „Mittel“ fördert), trägt hingegen zur
inneren Differenzierungsfähigkeit und äusseren Adaptivität der
Organisation bei (Luhmann 1973: 129-141, 150). Die „alte [...]
Koppelung der Rationalfunktion und der Motivationsfunktion im Zweck
bezeugt [...], im System wie in der Umwelt, relativ einfache
Zustände“ (ebd.: 141) – wie sie auf Organisationsebene etwa im
Vereinswesen herrschen.
Luhmanns Umkehrung eingeschliffener
Zuordnungsroutinen zu den Kategorien Zweck und Mittel (vgl. Luhmann
1973: 223) kann die Moral des Lesers reizen, aber gerade dadurch die
Frage zu einem auch emotionalen Erlebnis machen, ob wir das, was wir
aus der Anschauung „einfacher“ Handlungssysteme als (zynischen)
Opportunismus abzuurteilen gewohnt sind, auch auf der Ebene
komplexer Kollektive noch so betrachten können. Zwar ist der reine
Opportunismus „ein praktisch kaum erreichbares Ideal“ (Luhmann 1973:
200), da er Anforderungen der Systembildung widerspricht. Aber
Luhmann suggeriert, dass die „Bestandesformel“ – bei welcher der
reine, respektive in weitere Ausdifferenzierung mündende Fortbestand
eines Systems ausreichender „Endzweck“ seines Operierens ist –
komplexen Sozialsystemen adäquater ist als die „Zweckformel“, wonach
das System einem bestimmten Fernziel zustreben soll (das womöglich
den Zielen einer Mehrheit seiner Mitglieder analog ist; vgl. Luhmann
1973: 149). Entsprechend fortschrittlich seien die mit der
Bestandesformel arbeitenden soziologischen Systemtheorien im
Vergleich zu Faktortheorien (ebd.: 151). Es eröffnen sich
Berührungsbereiche zwischen Soziologie und der Kybernetik, für die
der Zweck ein Regelungsziel ist (ebd.: 157-165).
Insgesamt wird die Funktionalität der
Werte und Zwecke von Luhmann keineswegs geleugnet: ihre
Hauptfunktion der Komplexitätsreduktion wird im Fall des Zwecks
sogar in mehrfache Unterfunktionen aufgeschlüsselt, um sie gegenüber
anderen Funktionselementen, die im Dienst der Komplexitätsreduktion
stehen, zu qualifizieren (Luhmann 1973: 179-201). Auf Ebene der
sozialen Systeme werden sie jedoch der Bestandesfunktion
untergeordnet. Bezüglich struktureller Charakteristika gewinnt
Luhmann gerade durch die „Profanisierung“ von Wert und Zweck eine
ausreichende Distanz, um den Wert als lediglich am stärksten
generalisierenden Endpunkt in einem Kontinuum auch anderer
Bündelungen von Erwartungszusammenhängen (wie Person, Rolle und
Programm) vorzuschlagen. Die Position am Generalisierungs-Endpunkt
fällt dabei nicht mit maximaler Bedeutung in modernen Gesellschaften
zusammen (die eher der Rolle und dem Programm zukommt). Rangordnung
der Werte ist auch für Luhmann Voraussetzung ihres
verhaltensleitenden Potenzials, doch sieht er die Instabilität
dieser Rangordnung im Strom der eintretenden Gratifikationen als
Einschränkung dieses Potenzials.
In dieser Einschätzung muss Luhmann
gerade beim Aufgreifen einer kybernetisch inspirierten Sichtweise
vielleicht nicht gefolgt werden. Ist diese Sichtweise nämlich
ausreichend ganzheitlich (keine Reduktion auf simple „Servomechanismen“;
vgl. Luhmann 1973: 163), kann es vielmehr als Erweiterung des
handlungsleitenden Potenzials gesehen werden, dass einer
Wertrangordnung eine gewisse Trägheit einerseits (sie wird nicht
durch jede eintreffende Alltagsgratifikation auf den Kopf gestellt)
und eine gewisse Flexibilität anderseits (grosse Gratifikationen
erwirken gewisse Verschiebungen), das heisst eine in wohl
eigentümlich organischer Weise funktionale "Zähflüssigkeit"
innewohnt.
Dass soziale Systeme in Krisen wie
dem weitgehenden Zusammenbruch nach einem totalen Krieg Generationen
hervorbringen, die den reinen Fortbestand von Dingen mehr oder
weniger bewusst als sehr hochrangigen, seiner Natur nach nicht
konsumierbaren und eigenständigen Wert verinnerlicht haben (Niklas
Luhmanns Jahrgang: 1927; vgl. Treibel 2000: 22-24), muss selbst als
Teil eines kybernetischen Prozesses erkannt werden, der zum
Wiederaufbau und seiner Konsolidierung beiträgt. (Die Realisierung
des Wiederaufbaupotenzials in Form eines „Wirtschaftswunders“ mag
als weitere zentrale Lebenserfahrung nach dem Verlust des Systems,
in das man hineinsozialisiert wurde zum weiteren hochrangigen Wert
einer „Ausdifferenzierung“, respektive eines Wachstums um seiner
selbst willen, beitragen.) Da dieser Prozess achtlos über
individuelle Tragödien wie irreparabel beschädigte emotionale
Systeme unter den Angehörigen der betreffenden Generationen
hinwegschreitet, respektive ein nur benutzendes Verhältnis zu ihnen
hat, verdringlicht sich die Frage, ob sein Ablaufenmüssen in dieser
Form nicht Merkmal einer noch vergleichsweise wenig entwickelten
Selbststeuerungsfähigkeit der Gesellschaft ist, die auf ihre weiter
vorausschauenden Kybernetiker wartet. [3]
2.3.4 Die
Trennung von Wert und Norm bei Habermas
Aus Jürgen Habermas’ umfangreichen Werk
soll hier lediglich ein Themenbereich berücksichtigt werden, der
näheren Aufschluss zum eminenten soziologischen Problem des
Verhältnisses von Wert und Norm verspricht. Es handelt sich um den
Bereich der Diskursethik (Habermas 1991), respektive der
Diskurstheorie des Rechts (Habermas 1992). Habermas präsentiert
darin keineswegs einen als solchen unkonventionellen Wertbegriff:
grundlegende Zuschreibungen wie die Transitivität der Werte
(Habermas 1992: 315) decken sich mit denjenigen Luhmanns; Werte
werden übereinstimmend mit kulturwissenschaftlichen Konzeptionen mit
überlieferter Tradition sowie übereinstimmend mit psychologischen
Konzeptionen mit dem Streben nach Selbstverwirklichung (Habermas
1991: 109) assoziiert. Die von Parsons beschriebene Übersetzung
eines dominanten kulturellen Wertmusters oder Ethos in konkrete,
rechtsverbindliche Normen wird hingegen problematisiert. Solche
Übersetzungsversuche, insbesondere auf Ebene des Verfassungsrechts,
sind für Habermas weder kompatibel mit dem Rechts- und Normbegriff,
noch wünschenswert. Habermas lässt sich damit als Radikalisierer
einer soziologischen Tradition sehen, die einen vom Wert zumindest
stark emanzipierten, eigenständigen sozialintegrativen Nutzen in der
(moralischen) Norm oder Regel (vgl. Durkheim 1967 [1893]: 391-406)
erblickt.
Während die
Verfassungsgerichtsbarkeit in den USA und Deutschland auf die
besonders grundlegenden und durch historische
Gesellschaftsveränderungen gewachsenen Entscheidungsprobleme dieser
höchsten juristischen Ebene teils mit Hilfe von „Hintergrundnormen“,
respektive der Vorstellung vom Grundgesetz als einer „konkreten
Wertordnung“ reagiert hat, beharrt Habermas darauf, dass Rechte
nicht an Werte assimiliert werden dürfen (Habermas 1992: 307-310).
Normen und Werte unterscheiden sich nämlich „erstens durch ihre
Bezüge zu obligatorischem bzw. teleologischem Handeln; zweitens
durch die binäre bzw. graduelle Kodierung ihres Geltungsanspruchs;
drittens durch ihre absolute bzw. relative Verbindlichkeit und
viertens durch die Kriterien, denen der Zusammenhang von Norm- bzw.
Wertsystemen genügen muss (ebd.: 311)“. Entsprechend deutlich sind
auch „Grundrechte“ von „Grundwerten“ zu trennen (ebd.: 312-313). Ein
Verfassungsgericht, das sich als Wertejudikatur begreift, verwandelt
sich aufgrund der Interpretationsspielräume, die es nutzen kann, in
eine autoritäre, potenziell mehrheitsoppositionelle Instanz (ebd.:
314-315). Stattdessen sollte sich auch die höchste juristische Ebene
an der Norm orientieren, die ihre Gültigkeit einem
Verallgemeinerungstest verdankt – könnten alle in der Gesellschaft
ihre Befolgung wollen? (vgl. ebd.: 200) – und ihre Hauptaufgabe in
der Überprüfung der Normgenese unter den Bedingungen einer
massenmedial vermachteten Öffentlichkeit sehen, also im Prozeduralen
der demokratischen Rechtsschöpfung (ebd.: 315, 322).
Wer womöglich unter den Bedingungen
eines öffentlich spürbaren, massiven Wertewandels aufgewachsen ist,
muss eine wichtige Konnotation der Habermas’schen Wertkonzeption zur
Kenntnis nehmen: die, dass es zumindest in der Justizelite des
späten zwanzigsten Jahrhunderts offenbar überwiegend
Beharrungskräfte sind, die sich erfolgreich auf Werte berufen
(Habermas 1992: 313; vgl. 1991: 91). Habermas scheint den
entsprechenden konservativen Unterton des Wertbegriffs im Grunde zu
akzeptieren: der Wert ist Ergründungshilfe dessen, was man ist und
sein möchte (Habermas 1991: 103), wird von einer historischen
Gemeinschaft in der Bewusstwerdeung ihrer authentischen Lebensweise
(Habermas 1992: 201) bemüht und heisst ein spontanes Verständnis
seines teleologischen Charakters als "Zukunftsgerichtetheit" naiv,
indem er primär in die Vergangenheit weist.
Die Spielräume der Wertejudikatur
werden von den Beharrungskräften typischerweise zu nutzenabwägenden
Urteilen im Rahmen einer materialen Güterethik und zu Verweisen auf
Tradition oder eingebürgerte Gewohnheit genutzt, während rechtliche
Verallgemeinerungstests im Interesse von Minderheiten ausbleiben.
Auch Habermas’ Sorge um die Rechte von Minderheiten wächst sich
allerdings nicht zu Illusionen darüber aus, dass es bei allen
Verbindungsmöglichkeiten zwischen Wert und Bedürfnis die
vergleichsweise „Unbedürftigen“ sind, auf die sich nicht allein die
Wertejudikatur, sondern auch die Diskursethik mit ihrem
Rechtsbegriff am besten stützen kann:
„Wer immer in einer halbwegs
ungestörten Familie aufgewachsen ist [...] muss eine Art von
moralischen Intuitionen erworben haben [...] (Habermas 1991: 78;
Hervorhebungen E.A.).“
Während Habermas zu Recht auf die Gefahr
eines konservativen Bias der Wertejudikatur verweist, mag er den
Anteil dieses Konservativismus unterschätzen, welcher etwa in der
heute für ihre Käuflichkeit berüchtigten Justiz der USA auf die
„moralischen Intuitionen“ derer zurückzuführen ist, die durchaus in
einer „halbwegs ungestörten Familie“ aufgewachsen sind, dieses
Privileg aber auch in der nächsten Generation vor allem dem eigenen
Nachwuchs sichern möchten (indem es die Überindividualität aller
Moral nicht überall gleich weit über das kleine Universum der
erweiterten Familie oder der kinship hinausschafft, vgl. Parsons &
Shils 1951: 172-175).
Hinter Habermas’ Trennungsgebot von
Norm und Wert steht die deontologische Tradition in der
Moraltheorie, welche moralische Gebote von vornherein einer
teleologischen Deutung entzieht (Habermas 1992: 190). Kants
kategorischer Imperativ ist Teil dieser Tradition, während die
klassische aristotelische Ethik insofern teleologisch war, als sie
das Gute in der Perspektive eines damit verbesserten Lebens zu
erfassen versucht hat (Habermas 1991: 81; Baechli & Graeser 2000:
104-108). Habermas räumt ein, dass auch moralische Normen Werte oder
Interessen verkörpern, „aber nur solche, die in Anbetracht der
jeweiligen Materie verallgemeinerungsfähig sind (Habermas 1992:
190)“. Konstitutiv für solche Normen ist damit der absolute
Geltungsanspruch der Gerechtigkeit (ebd.).
Indem bei Habermas der eigentliche Akt
der Rechtsschöpfung im rationalen Diskurs liegt, gilt es, den
Unterschied zwischen Wert (, Zweck) und Norm auch bei den Fragen zu
berücksichtigen, mit denen sich Diskurse überhaupt beschäftigen
können. Die Unterschiede lassen sich den Schwerpunkten dreier
moralphilosophischer Traditionen, dem Utilitarismus, der
aristotelischen Ethik und der kantischen Moraltheorie analog
verstehen. Pragmatische Fragen sind solche der geeigneten Mittelwahl
bei bereits gegebenen Zielen. Sie werden zum Beispiel unter
Gesichtspunkten der Effizienz entschieden. Ethische Fragen befassen
sich mit dem, was auf lange Sicht „gut für uns“ ist. Sie werden vor
allem unter dem Gesichtspunkt überlieferungsgestützter
Rekonstruktionen dessen, was wir sind und in Zukunft sein möchten,
entschieden. Moralische Fragen befassen sich hingegen damit, wie wir
unser Zusammenleben im gleichmässigen Interesse aller regeln können.
Sie werden unter dem Gesichtspunkt der Verallgemeinerungsfähigkeit
entschieden und verbieten es kategorisch, Gerechtigkeit nur als Wert
neben anderen Werten zu sehen. Allerdings sind solche Fragen der
Verallgemeinerungsfähigkeit in der Praxis so schwer zu klären, dass
sie einen separaten Anwendungsdiskurs erfordern (Habermas 1992:
196-200; 1991: 100-118, 137-142). Sache des juristischen Diskurses
ist schliesslich vor allem die Prüfung neuen Rechts auf Kohärenz mit
dem bestehenden (Habermas 1992: 207). Alle genannten Diskurse sind
für die Rechtsschöpfung relevant.
Habermas’ Diskursethik befasst sich
nicht so sehr mit einer weiteren Klärung des soziologischen
Wertbegriffs an sich, als mit der Klärung von dessen
Aussenbeziehungen und Anwendungsgrenzen unter eindeutig normativem
statt nur deskriptivem Gesichtspunkt. Zentrales Gebot wird ihr
dabei, anders als bei Parsons, die Nichtassimilierung moderner
rechtsstaatlicher Normen an Werte. Wie sein mehr deskriptiv
argumentierender „Widersacher“ unter den tonangebenden deutschen
Theoretikern des späten zwanzigsten Jahrhunderts, Luhmann (vgl.
2.3.3.), möchte Habermas damit der Wertrationalität bei der weiteren
Ausformung der Kerninstitutionen moderner Gesellschaften Schranken
setzen. Worum es geht, ist eine Funktionsbegrenzung des Wertes:
dieser soll soziales Handeln nur anleiten dürfen, soweit der (nebst
Autonomie) einzig relevante, von ihm separat zu denkende moralische
Imperativ der Gerechtigkeit, das heisst der Verallgemeinerbarkeit
des Rechts, nicht tangiert oder relativiert wird.
An eine grundsätzliche Schwierigkeit,
die dieser Konzeption innewohnt, soll hier kurz erinnert werden (auf
eine Vielfalt möglicher Einwände hat Habermas im sechsten Teil
seiner Erläuterungen zur Diskursethik zu reagieren versucht;
Habermas 1991: 119-226). Wir können als Menschen sicher wünschen,
dass unsere Moral eine absolute, universell gültige Setzung sei und
sie einfach entsprechend definieren. Es bleibt aber dann auffällig,
dass alles mit ihrer Hilfe gesetzte Recht sich problemlos auch
teleologisch erklären lässt, zum Beispiel: „das neue Eherecht soll
alle Minderheiteninteressen mitberücksichtigen damit es keine
destabilisierende Gruppenkonflikte in der Gesellschaft
heraufbeschwört.“ Alle Moral könnte somit auch aus Werten, nicht
aber umgekehrt jeder Wert aus einer Moral erklärt werden. Die
Trennung und bevorzugende Abhebung des Richtigen vom Guten durch die
Deontologie (Habermas 1991: 83) sollte somit nicht als tiefere
Ergründung der Natur von Moral und Wert missverstanden werden (vgl.
auch Joas 1997: 286-288). Als Willensakt, der das natürliche
genealogische Verhältnis der beiden im Gegenteil zu maskieren und
umzukehren versucht, hofft sie vielmehr eine bessere Bewältigung der
im Vergesellschaftungsprozess gewachsenen Herausforderung
menschlichen Zusammenlebens zu erzwingen. Im Hinblick auf dieses
auch bei Nichtthematisierung vorgegebene Ziel ist sie denn auch
ungeachtet ihres möglichen metaphysischen, universalistischen oder
absolutistischen Begründungspathos’ "nichts weiter" als
zweckrational.
2.3.5 Synopse
soziologischer Wertkonzeptionen
Werden die dargestellten Beispiele
soziologischer Wertkonzeptionen auf ihre – im Vergleich zu den
psychologischen und kulturwissenschaftlichen Konzeptionen –
exklusiven Charakteristika hin geprüft, lassen sich mindestens
folgende spezifisch soziologischen Verständnisse und Tendenzen
feststellen:
(1)
Selbst auf desaggregierter Ebene interessieren oft nicht
menschliche Individuen als Träger von Wertmustern. Letztere
werden vielmehr an Rollen, an Subkollektive oder soziale
Subsysteme gekoppelt. Neben einer vor allem
systemtheoretisch-funktionalen Begründbarkeit deckt sich dies
unter anderem mit der Alltagserfahrung, dass man am
Arbeitsplatz, auf dem Sportplatz oder zu Hause "einfach ein
anderer Mensch" ist. Die unzähligen Realisationsvarianten von
Wertmustern hängen offensichtlich nicht (nur) am Organismus oder
einer repräsentierten Kultur. Damit zusammenhängend, nutzt ein
Teil der Soziologen eine aus der Erwartung abgeleitete
Wertdefinition. (2)
Die Akzentverschiebung von der individuellen auf die soziale
Ebene bedeutet im Wertebereich eine Akzentverschiebung von
direkten Bedürfnisbefriedigungen auf indirekt-instrumentelle
Befriedigungen. Ein grosser Teil der als Gesellschaftsmitglied
erfahrbaren Gratifikationen erscheint damit abhängig von
kollektiv gestalteten und gestaltbaren Verteilungsmodalitäten.
Der weitaus grössere Teil alltäglicher individueller Handlungen
erscheint als Produkt von Internalisationen – und wird damit aus
dem Überlebensziel des Sozialsystems besser erklärbar als direkt
aus individuellen Überlebenszielen. In radikaler Sichtweise ist
nicht einmal eine besondere Harmonie oder Rücksichtnahme
zwischen Systemwerten und individuellen Werten vonnöten, um zum
Beispiel die Funktionsfähigkeit von Organisationen zu
gewährleisten.
(3)
Die aus der Erfahrung mit einfachen (individuellen)
Handlungssystemen genährte Vorstellung "erhabener Zwecke" und zu
deren Erreichung notwendiger "blosser Mittel" wird bei der
Betrachtung komplexer Sozialsysteme relativiert. Zunehmende
soziale Komplexität erhöht die Eigenbedeutung von Mitteln, von
instrumentellen gegenüber terminalen Werten. An Stelle eines nur
zur Erreichung eines Systemzwecks gesicherten Systemfortbestands
tritt der nur dem Systemfortbestand dienende, auswechselbar
gesetzte Systemzweck. Organisationen lernen
Motivierungstechniken für ihre Mitglieder losgelöst von fixen
Motiven. Die sozialintegrative Wertfunktion gewinnt gegenüber
der handlungsleitenden Wertfunktion an Bedeutung. Darüber hinaus
zeichnet sich das kybernetische Funktionspotenzial von
Wertmustern ab: sie scheinen immer stärker als (bewusst
veränderbares) Instrument zur Erreichung von Regelungszielen,
respektive optimaler Umweltanpassung, in Frage zu kommen –
obschon ein perfekter Opportunismus Prinzipien der Systembildung
widersprechen würde und insofern unmöglich ist.
(4)
Soziologische Versuche, häufig dem Wert zugeschriebene
Funktionen und Eigenschaften definitorisch auf Nachbarbegriffe
zu verschieben, haben unter anderem die Norm, die Regel, den
Zweck, den Sinn, das Recht und die Moral samt ihren
begrifflichen Derivaten bevorzugt – wobei letztere drei
besonders bei stärkerem Anknüpfen an traditionelle Philosophie
und Ethik genutzt werden. Eine durch einflussreiche Soziologen
wie Luhmann und Habermas konstatierte, respektive geforderte
Bedeutungsverminderung des Werts in modernen Gesellschaften
lässt sich nicht völlig losgelöst von solchen bewussten
Verschiebungen verstehen. Als problematisch für die soziale
Handlungsorganisation mittels Werten wird vor allem die
Transitivität der Wertordnungen gesehen. Allerdings haben sich
die bisherigen soziologischen Versuche, den Wert analytisch und
definitorisch-normativ in engere begriffliche Schranken zu
verweisen, als mässig erfolgreich erwiesen. So war Max Webers
Versuch, nur einen von vier Idealtypen sozialen Handelns
unmittelbar an den Wertbegriff zu knüpfen von der Verwendung von
Begriffen bei den anderen drei Idealtypen begleitet, die sich in
der seitherigen Geschichte der Sozialwissenschaften als mit
Werten aufs engste verbunden (u.a. Tradition, Affekt) oder in
ihrer behaupteten Beziehung als analytisch nicht durchzuhalten
(strenge Zweck-Mittel-Unterscheidung) erwiesen haben.
Inhalt
3. Unterwegs zu
einem zukunftsfähigen Wertbegriff
3.1 Folgeprobleme von
Subjekt-Objekt-Konfusionen
Die vielfältigen unter 2.1. bis 2.3. besprochenen Wertkonzeptionen
müssten es ermöglichen, die wichtigsten bei diesen Konzeptionen
immer wieder auftauchenden Probleme und Ungereimtheiten zu
identifizieren und auf dem fortzusetzenden Weg der
Sozialwissenschaften zu einem zukunftsfähigen Wertbegriff zu
vermeiden.
Im Folgenden wird argumentiert, dass
sich diese wichtigsten Probleme und Ungereimtheiten als Spielarten
einer Subjekt-Objekt-Konfusion begreifen lassen. Ihr Hauptgrund ist
der, dass sich das allgemeine Subjektivitätsproblem in der
Wissenschaft – erwünscht sind möglichst objektive Erkenntnisse, doch
gewonnen werden können diese nur mit Hilfe forschender Subjekte –
bei der Erforschung von Wert und Wertsystem in eigentümlich
verschärfter und diesbezüglich leicht unterschätzter Weise stellt.
Insofern Subjekt nämlich Identität bedeutet, fällt zumindest ein zu
erfassendes Objekt Wertmuster der Art nach mit ihm zusammen:
Wertmuster sind selbst Identitäten – individuelle oder kollektive.
Als erste Variante lässt sich die
Subjekt-Objekt-Konfusion beim Berücksichtigungsversuch eines
wissenschaftlichen "Gebotes der Wertfreiheit" im Anschluss an Max
Weber problematisieren. Die dem forschenden Subjekt nahegelegte
Maxime der Wertfreiheit (realistisch scheint nur ihre näherungsweise
Realisierung) wird in diesem Fall auf die Seite der
Untersuchungsobjekte projiziert und als Aufforderung verstanden,
Werte und Wertsysteme als solche Objekte zu meiden. Intuitiv dem
Wert zuschreibbare Funktionen und Eigenschaften werden so weit als
möglich in jeweils fachtypische Nachbarbegriffe ausgelagert, wodurch
gerade kein Instrument gewonnen wird, eigene Erkenntnisse auf ihren
Wertgehalt hin kritisch zu reflektieren. Zu den fachspezifischeren
Folgen zählen eine von vielen als ungenügend empfundene Abhandlung
des Wertes durch die Psychologie und wahrscheinlich auch seine erst
ungenügende Enttabuisierung als mögliches freiheitlich-rationales
Steuerungsmedium durch die Soziologie (Hillmann 2001: 37; Luhmann
1973: 126-128).
Diese erste Variante der
Subjekt-Objekt-Konfusion wäre eigentlich deutlich von den
Kernproblemen zu trennen, die im Rahmen der beiden Auflagen des
Werturteilsstreits in der Soziologiegeschichte diskutiert wurden:
inwieweit Werturteile in der Wissenschaft durchaus erlaubt,
respektive unvermeidlich sind. Doch wurde durch den angeheizten
Eifer der Distanzierungsversuche vom Werturteil die beschriebene
Verwechslung des subjektiven Werts und des Werts als Objekt offenbar
gefördert, beziehungsweise die nicht wirkliche Tangiertheit des
Werts als Objekt durch das Wertfreiheitspostulat gern übersehen
(vgl. Kmieciak 1976: 28, 32).
Eine zweite Variante der
Subjekt-Objekt-Konfusion dürfte vorliegen, wo Theoretiker sich
gezwungen zeigen, den Wert bei Inkaufnahme von Zirkularität,
Beliebigkeit und unterschiedlichen Schweregraden des metaphysischen
Obskurantismus an die Bedingung gegebener "höherer Ebenen" der
Wunsch- oder Bedürfnisreflexion zu knüpfen.
Die schon beim Pragmatisten Dewey
unbefriedigende Abhebung eines für wünschenswert Erkannten von
lediglich Gewünschtem (vgl. Clark 2002), die von Kluckhohn et al.
(1951) wieder aufgenommen wird, ist ein vergleichsweise harmloses,
dafür jahrzehntelang viel zu breit und wohlwollend rezipiertes
Beispiel der lediglichen Verschiebung des Wert-Bestimmungsproblems
auf eine nächste Ebene. Andere geraten auf ihrer Queste nach einem
über einfache Bedürfnisse maximal erhabenen (vgl. Kmieciak 1976:
161-162), normativen Wertbegriff in eine immer noch höher
geschraubte Spirale um higher order volitions (vgl. Joas 1997:
200-203, 167-171), Stufen der Rationalität und – im Übergang zum
Rechtsdiskurs – der Moraliät (vgl. Habermas 1991: 49-53), dass vor
allem subjektive Präferenzen, Ideologien und wiederbelebte religiöse
Traditionen Raum bekommen, sich in den komplexen resultierenden
Bedingungsgebäuden einzunisten. Da der Drang auf vermeintlich immer
höhere Ebenen eine notgedrungene Spezialität stärker triebgehemmter
Zeitalter war – in denen auch das okzidentale Vorhaben, sich die
Erde untertan zu machen, technologisch noch in einem mittleren
Stadium steckte und eine Überlegenheit des Menschen über „den
Mechanismus der Natur“ (Kant 1980 [1788]: 140) ohne Unterlass
affirmiert werden musste – wird es für die zeitgenössischen
Projektoren solcher Normvorstellungen in den Wertbegriff
naheliegend, auf viel angejahrte, aber kaum klassische Philosophie
(vgl. Joas 1997: 58-85, 133-161) zu verweisen. Bleibt dann von dem
bemühten moralphilosophischen Diskursbombast lediglich eine
Kernbehauptung übrig, das Gefühl enthülle die Objektivität unserer
Wertmassstäbe (Joas 1997: 204), wirkt das etwas kleinlaut. Denn die
Emotion ist eigentlich das, was wir mit einfacheren Lebewesen ganz
bestimmt gemeinsam haben. Werden als wertobjektivierende Gefühle nur
Varianten des moralischen Sentiments anerkannt, steigt der Verdacht
auf, man begebe sich damit nur in die nächste Spirale der normativen
Anspruchsüberlastung des Wertbegriffs, diesmal über vorgestellte
Stufen der Emotionalität, um über jeden Preis so etwas wie eine
Strukturlüge (schonend formuliert: einen identitätsbestimmenden
Text) in den Wertbegriff zu zwingen.
Eine zur Bestimmung des Wertbegriffs
einmal herangezogene Unterscheidung von Reflexivitätsgraden straft
die so Vorgehenden dadurch ab, dass sie als Prinzip sofort
unersättlich wird. Erklärungsbedürftig wird, weshalb gerade eine
Bedürfnisreflexivität oder Volition erster und nicht zweiter,
dritter oder vierter Ebene (vgl. Joas 1997: 202), oder aller Ebenen
ausser der nullten, oder einer sonstigen bestimmten Ebene,
wertkonstitutiv sein soll. Anstelle des vermeintlich besonders
ergründeten wird gerade ein besonders beliebig wirkender Wertbegriff
gewonnen. Wird unter "der" höheren Ebene fix die Reflektiertheit
einer Strebung auf ihren gesellschaftlichen statt nur individuellen
Nutzen verstanden, wären alle Werte moralische Werte. Die Vielzahl
möglicher Zwischenaggregationsebenen zwischen Individuum und
Gesamtgesellschaft würde aber das Problem aufwerfen, ab wann
Bedürfnisse ausreichend gesellschaftlich wären, um Wert heissen zu
dürfen. Kann "die" höhere Ebene eine beliebige Reflexionsstufe über
einem spontan Gewünschten sein, dürfte auch eine bestimmte
Süssspeise Wert heissen, nachdem ihr Verzehr auf seine
Kompatibilität mit einem individuellen Diätprogramm geprüft und also
unter einem Aspekt des Sollens oder Dürfens reflektiert worden wäre.
Ob solche Zuordnungsergebnisse wirklich die Konstipation von
Wertkonzeptionen mit "Wollungen" (Joas 1997: 201) und ähnlichem
Mehrebenen-Ballast lohnen, ist zweifelhaft (vgl. Habermas 1991:
50-51).
Inwiefern sind diese kritisierten
Metaebenen-Versuche das Produkt einer Subjekt-Objekt-Konfusion? Es
wird vorgeschlagen, sie als Projektion einer gegenüber spontanen
oder einfachen Bedürfnissen besonders stark gehemmten eigenen
Identität in das seinerseits identitätsstiftende und deshalb mit der
eigenen Identität leicht verwechselte Bestimmungsobjekt "Wert" zu
betrachten. Der Frage, was es denn für typische Persönlichkeiten
sind, denen wir weltweit beachtete wissenschaftliche Theorie
verdanken, sollte im fraglichen Zusammenhang nicht ausgewichen
werden. Es sind ohne Zweifel Persönlichkeiten mit einer zumeist
starken "Gewissensforderung" (vgl. Freud 1982a [1931]: 269-272) als
typische Vorbedingung grossen, schwerpunktmässig
gemeinwohlorientierten Arbeits- und Publikationsfleisses, sowie mit
erheblichem Abstraktionsvermögen, der mitunter zum Abstraktionszwang
gesteigert sein kann. Innerhalb der Gruppe erfolgreicher
Wissenschaftler könnten die mit ethischen und moralphilosophischen
Fragen besonders befassten Disziplinen eine nochmalige positive
Selektion "überich-dominierter" (ebd.: 270) Forscherpersönlichkeiten
bedeuten. Solche Persönlichkeiten dürften erstens ihre
überdurchschnittliche Abstraktionstendenz und ihr hohes normatives
Anspruchsniveau im Wertebereich ein Stück weit verzerrend (vgl.
Friedlander 1965: 17) in ihre Modellierungen realer Wertfunktionen
und -strukturen projizieren (über diese Tendenz in der kantianischen,
leider nicht auch christlichen Tradition vgl. Joas 1997: 40), wobei
der Übergang zu bewusstem Missionieren "über den Begriff" (als gute
gesellschaftliche Absicht, aber wohl wissenschaftlich verfehltes
Mittel), fliessend sein dürfte. Zweitens zeigt die Konsultation des
Symptomkatalogs von Neurotikern, bei denen der Gewissens- oder
Zwangstypus ins Pathologische gesteigert ist, auch ein
überdurchschnittliches Vorkommen der steten Wiederholung, des
ritualistischen Ordnens und Säuberns sowie Erniedrigungsbedürfnisse
anderer unter das Eigene (WHO 2005: 231, 164), die ohne Zweifel
Grausamkeitstendenzen gegenüber dem Kreatürlich-Einfachen (Freud
1982a: 99) einschliessen. Der Zusammenhang zwischen der strengen
Erziehung englischer Aristokraten und ihrer Präferenz für
quälerischen Pferde- und Jagdsport, und so weiter, ist in seiner
Aufdeckung längst triviale Hommage an die (Kultur-)Psychoanalyse
geworden – weniger thematisiert wird hingegen der Zwang vieler stark
mit Moralfragen befasster Wissenschaftler (insbesondere, wie bereits
in der Bezeichnung anklingt, mancher Metaphysiker), jede Frage unter
dem primären Ziel einer Erhebung des Menschen über eine ihm
äusserlich gedachte Natur, Tierwelt und Körperlichkeit abzuhandeln
(vgl. Joas 1997: 30-31, 200-201; Bahrdt 2000: 51). Was
wissenschaftlich damit gewonnen wird, ist oft schleierhaft, aber die
Praxis selbst liesse sich auch in etwas bedeutungsverschiebendem
Aufgriff des Ressentiments aus Nietzsches Genealogie der Moral
(Nietzsche 1921: 283-480) erklären. Gemeint wäre hier nicht
unbedingt ein spezifisch aufs Christentum gemünztes Ressentiment,
sondern einfach das Ressentiment dessen, der immer noch primär (und
uneingestanden) aus Zwang und Furcht vor Strafe sowie nach
detaillierter Fremdanleitung gut und vor allem recht handelt –
gegenüber allen Wesen, die er für frei von solch quälender Pflicht
hält.
In Joas’ höchst lehrreichem Versuch
über die Entstehung der Werte wird auf Nietzsches im
Christentumsbezug eingeführte Ressentiment-These mit dem Hinweis
(Max Schelers) reagiert, es gebe als christlichen Moralgrund auch
die überfliessende Liebe und das Sichherabneigen des Edlen zum
Unedlen, des Guten zum Schlechten, usw. (Joas 1997: 45-46). Die
Alternative zur Missgunst gegenüber dem Starken und Freien wäre
somit eine Liebesform, die eine Welt aus Edlen und Unedlen, Guten
und Schlechten, Reichen und Armen, und die richtige Positionierung
des Liebenden in derselben, um sich herabneigen zu können,
voraussetzt. Damit wird, unfreiwillig, genau das oben angedeutete
Doppelbedürfnis des Moralisten bürgerlich-abendländischer Prägung
bestätigt: Selbsterhebung über andere und Ressentiment. Für das
Bürgertum als historische soziale Klasse war eine hierzu optimale
Position über dem gemeinen Volk einerseits und unter dem Adel
andererseits gegeben. Beim Geistesheroen (vgl. Hillmann 2001:36),
den Joas als grosse Alternative zu Nietzsches Moralkritik einführt,
William James, erweist sich dann folgende fragwürdige Überwundenheit
des Ressentiments einerseits und des Wunsches nach Selbsterhebung
andererseits: „’... und wenn wir selbst anstelle der Gottheit wären,
würde es uns wahrscheinlich ganz besonderes Vergnügen machen,
Gläubigen dieses Schlags ihre ewige Belohnung zu versalzen’ (Joas
1997: 69)“.
Am bedauerlichsten scheint angesichts
solcher Evidenzen nicht einmal der Versuch eines
Wiederhineinzwängelns mühsamst überwundener Normativität
christlicher Vorprägung in moderne wissenschaftliche
Wertkonzeptionen – sondern ein bizarr tief scheinendes Niveau gerade
der religiös-ethischen Empfindsamkeit, die bei Joas als
Objektivationsinstanz für Werte propagiert wird. Selbst im „nichtversalzenen“
Fall wäre im obigen Zitat von James das Himmelreich noch explizit
als ewige Belohnung, also als Auszahlung einer Prämie durch Gott für
frommes Leben, empfunden. Auch abgesehen von der Anbetung eines als
Sadist verstandenen Gottes und der genüsslichen Denunzierung anderer
Menschen Glaubensform scheint somit gerade einmal die Sensibilität
einer Krämermoral erreicht. Wie kann man sich die
Nichtproblematisierung einer augenscheinlich so hämisch-infantilen,
mitgefühllosen Theologie ausgerechnet bei einem Fürsprecher der
(religiösen) Wertempfindungen als Gewissheit gebenden Quellen
objektiv existierender Werte erklären? (Über die theologischen
Probleme, mit denen sich zum Vergleich der hochbegabte Pastorssohn
Nietzsche als 10- bis 14jähriger auseinandergesetzt hat, siehe
Nietzsche Absconditus von Schmidt 1991.) Ein Pauschalurteil wäre
hierzu sicher verfehlt und würde der im Ganzen stark
differenzierenden Hermeneutik in Joas’ Werk nicht gerecht. Jedoch
soll aus der bescheidenen Sphäre quantifizierender Sozialforschung
zumindest ein interessanter Hinweis erwähnt werden. In einer
empirischen Studie an der Universität Zürich mit über 600 Befragten
hat sich gezeigt, dass die höchste Akzeptanz von Gefühlsurteilen zu
einem die Gemeinschaft betreffenden Thema bei Probanden gegeben war,
in denen das Thema in Tat und Wahrheit gar keine Gefühle auslöste
(Albert 2005: 140-143).
Ein naheliegendes Heimterritorium des
metaphysischen Speziesismus – bei welchem zentrale philosophische
Begriffe primär in den Dienst einer grösstmöglichen Erhebung der
Spezies Mensch über andere Wesen gestellt sind – und seiner
Bezugnahme auf höhere Ebenen der Handlungsreflexion ist der Persona-Diskurs (vgl. Joas 1997: 200; Spaemann 1996). Die
vorherrschende antike Sichtweise war noch, dass Persona analog der
bloss aufgesetzten Maske (prosopón) eines Schauspielers rasch ab-
und der Mensch dadurch wieder in seine ehrliche Natur zurückfalle
(vgl. Brasser 1999: 29-32; Spaemann 1996: 26-32). Mit der
christlichen Instrumentalisierung des ursprünglichen Theaterbegriffs
Persona zur Bewältigung von Auslegungsschwierigkeiten des Neuen
Testaments seit Tertullian (vgl. Brasser 1999: 33-39; Spaemann 1996:
32-38) wurden die normativen Forderungen an Personen (vor allem
hinsichtlich Rationalität und sozialer Kommunikativität) dann
zunehmend als auch empirisch exklusiv menschliche Gegebenheiten
behauptet und behandelt. Jedoch sind bei Spaemanns neuerem Versuch
dieser Tendenz keine der über 250 Seiten ausgebreiteten
Personeneigenschaften mit Sicherheit nur beim Menschen gegeben.
Mensch-Tier und Mensch-Maschinen-Vergleiche werden ritualistisch
statt analytisch zur Reproduktion und Affirmation speziesistischer
Vorurteile (inklusive völligem Ignorieren der sozialen Existenz von
Herdentieren) herangezogen und von der einen ungenügenden
Persona-Bedingung wird jeweils auf die nächste verwiesen (vgl.
Spaemann 1996). Entsprechend anwendbar auf Spaemann ist die Kritik
Dennetts (1983) an normativen Personbegriffen. Sechs bekannte
"notwendige Bedingungen" der Personalität erweisen sich in der
philosophischen Analyse weder gemeinsam noch einzeln als auch
hinreichende Bedingung. Sie verweisen lediglich in folgender
Reihenfolge aufeinander weiter: (1) Personen sind vernünftige Wesen.
(2) Personen handeln intentional. (3) Personen werden von anderen
als solche behandelt. (4) Personen behandeln andere als solche. (5)
Personen sind kommunikationsfähig. (6) Personen sind selbstbewusst (Dennett
1983: 23-25). Besonders aufschlussreich ist bezüglich
Wertorientierung des Handelns die Analyse der
Intentionalitätsbedingung. Es lässt sich mit Beispielen zeigen, dass
auch Tiere über Intentionalität zweiter Ordnung verfügen
(Intentionen im Bezug auf Intentionen). Weicht der Mensch nun im
Selbstprivilegierungsbedürfnis auf die Bedingung einer
Intentionalität dritter Ordnung aus, zeigt sich wiederum mit
Beispielen, dass diese nicht bei allen Menschen in Normalsituationen
vorausgesetzt werden kann (ebd.: 25-33). Dennett zeigt korrekt, dass
die Zuschreibung der Eigenschaft Person an gewisse Wesen oder
Systeme unter Ausschluss anderer Wesen oder Systeme
nicht über die
entsprechenden Privilegierungswünsche hinaus begründbar ist. Von
dieser Tatsache lässt sich nur ablenken, indem von einer allein
unzureichenden oder nicht sicher erfüllten Bedingung auf eine
nächste solche (und letztlich im Kreis herum) verwiesen wird. Höchst
verdächtig macht sich daher jede Elaboration des Personabegriffs mit
Hilfe vieler angesprochener Bedingungen. Unter der Voraussetzung
normativer Personenbegriffe (die, wie Luhmann zeigt, immerhin nicht
die einzigmöglichen sind; vgl. Luhmann 1995: 142-154) zeichnet sich
ab, dass bisher noch niemand sicher - oder ganz - Person war (Dennett
1983: 42).
Zusammenfassend sollten die Versuche,
den Wert normativ an die Bedingung gegebener "höherer Ebenen" der
Wunsch- oder Bedürfnisreflexion zu knüpfen, als eine latente
speziesistische Metaphysik erkannt werden, die auf einem ihrer
Heimterritorien, dem philosophischen Personadiskurs, keineswegs
besser zu überzeugen vermag als an den Berührungsstellen
sozialwissenschaftlicher Wertforschung und geisteswissenschaftlicher
Ethik. Bereits über den Begriff realisierte normative Spannungen
mögen "erzieherisch" oder "motivierend" wirken, doch passen sie
nicht mehr in das heutige Wissenschaftsgebäude, welches seine
soziokulturellen Interventionsversuche gegenüber einer
legitimierungsberechtigten Öffentlichkeit wenn schon als Programm
deklariert, vor einer Intervention aber mit Vorteil auf in sich
nicht moralisch aufgeladene Begriffe zugreift, die entsprechend
kompatibler mit (insbesondere postmetaphysisch begründeten)
wissenschaflichen Nachbardisziplinen kommunizieren. Ein
existierendes Reich der Geltung neben demjenigen der Faktizität
(vgl. Habermas 1992) darf nicht Ausrede sein, bei seiner
Beschreibung gleich mitzubestimmen, was gelten soll. Um
Wertsystem-Realisationen als normative Potenziale optimal abbilden
zu können, sollte der Wertbegriff selbst so wenig wie möglich
normativ aufgeladen sein – dies ist die hier vertretene zentrale
Idee. Sicherlich hat sie – wie schon Max Webers leicht
missverstandene Forderung der „Wertfreiheit“ – ihrerseits normativen
Charakter, doch was vertreten wird, ist eine konstitutive Forderung
des wissenschaftlichen Subsystems selbst, nicht dessen Kolonisierung
durch ihm äusserliche Ethiken. Ebenso wird nicht einfach die
positivistische Position im wissenschaftshistorischen
"Werturteilsstreit" vertreten: Werturteile in der Wissenschaft
werden als unvermeidlich und erlaubt betrachtet – sie erfordern
lediglich ein geeignetes begriffliches Instrumentarium zu ihrer
Reflexion und Deklaration.
Selbstverständlich darf es nicht verboten sein, mögliche "natürliche
Werthierarchien" auf empirischer Basis zu entdecken und zu
beschreiben, wie das Maslow oder – unter Verwendung des Zielbegriffs
– zum Beispiel ein neuerer Beitrag von Emmons (1996) versuchen. Als
normative Verzerrung soll hier nur gelten, was bereits den
Wertbegriff unter normative Spannung setzen möchte und damit
antideliberativ wirken muss, indem Deliberation breit anerkennbare
Begriffe voraussetzt. Maslow handelt wissenschaftlich, indem er vom
einfachen physiologischen Bedürfnis (aber in wiefern ist dieses
eigentlich "einfach"?) bis zu Bedürfnissen der Selbstverwirklichung
und der überindividuellen Wohlfahrt allen Strebungen zunächst den
gleichen begrifflichen Status zuerkennt und eine – nicht
simplizistisch-spekulativ auf Reflexionsebenen reduzierbare –
Ordnung erst später, so gut es geht empirisch, über graduelle
Unterschiede, begründet. Seine Werthierarchie wurde immer wieder
falsifiziert, doch erfüllt sie eben das Gebot der
Falsifizierbarkeit. Damit soll keinem naiven Empirizismus das Wort
geredet werden. Normativ überladene Wertbegriffe haben zu wohlfeil
von der analytischen Bequemlichkeit ihrer vermeintlich
einzigmöglichen Alternative, einer (utilitaristisch fundierten)
Wertkonzeption als „blosser Präferenz“, (vgl. Dose 1997: 220)
profitiert. Die Nichtunterwerfung des Wertbegriffs unter vorgegebene
Moralsysteme mag bei der Bezeichnung als blosser Präferenz ein
Nutzen sein, doch werden durch diese Wortwahl zu stark prinzipielle
Nichterklärbarkeit des Wertes und behavioristische
Selbstdispensierung von Interpretationsleistungen evoziert.
Für die Soziologie ist die
Berücksichtigung „höherer Ebenen“ im Rahmen der Unterscheidung von
Mikro-, Meso- und Makroebenen des Handelns, respektive der
Berücksichtigung einer jeweils anderen solchen Ebene auf der einen
Ebene unverzichtbar und charakteristisch. Eine Auffassung
moralischen Handelns als individuelles Handeln, welches kollektive
Wohlfahrt – habitualisiert, überzeugungs- und affektfundiert, auch
ohne aktuelle Belohungsaussicht – einbezieht (und umgekehrt als
kollektives Handeln, das individuelle und Minderheitenbedürfnisse
mitberücksichtigt), ist nur ein Beispiel für die berechtigte
Unterscheidung verschiedener Ebenen im Wertkontext. Gerade diese
notwendigen Unterscheidungen entfalten ihren analytischen Nutzen
jedoch am ungestörtesten und interdisziplinär kompatibelsten bei
weitestmöglicher Freihaltung des Wertbegriffes selbst von
eingebauter normativer Spannung in Folge von
Subjekt-Objekt-Konfusionen des zweiten hier vorgestellten Typs.
Inhalt
3.2 Vorgeschlagener
Wertbegriff
Nachdem beschrieben wurde, welche Manifestationsformen von
Subjekt-Objekt-Konfusionen von einem zukunftsfähigen
sozialwissenschaftlichen Wertbegriff möglichst fernzuhalten sind,
soll nun unter dem Eindruck der konsultierten Vielzahl von
Konzeptionen aus mehreren Fachbereichen ein empfehlbarer solcher
positiv bestimmt werden.
Bezüglich Erkenntnissen aus dem
Vergleich psychologischer Konzeptionen interessiert der Wert sicher
als Massstab, nicht als Messung. Als Gemessenes oder Gut
interessiert er nur insofern ein solches zum Massstab der
Beurteilung anderer Güter erhoben werden kann, das heisst, insofern
Gemessenes und Massstab fliessend ineinander übergehen. Aussagen zur
Hierarchisierbarkeit der Werte kommen als Gegenstand
empiriegestützter Begründungsversuche in Frage, doch seien sie nicht
bereits Teil der eigentlichen Wertbegriffsbildung. Aussagen zur
stärker "sozialen" oder "biologischen" Herkunft der Werte oder eines
Wertes mögen nützliche heuristische Funktionen erfüllen, doch legt
die vertiefende Reflexion offen, dass die eine Herkunft nicht strikt
von der anderen geschieden werden kann. Hinter der vermeintlich rein
egoistischen Verfolgung einer individuellen Triebbefriedigung stehen
die überindividuelle Natur dieser Triebe, ihre auch kollektiven
Funktionen und ihre vermutlich überwiegend über den Erfolg des
Kollektivs erfolgte genetische Selektion; hinter der vermeintlich
rein sozialen Herkunft eines moralischen Wertes stehen umgekehrt
dessen mögliche Ableitbarkeit aus individuellen Sicherheits-,
Affiliations-, Intimitäts- oder Spezialisierungsbedürfnissen. Soll
wenigstens heuristisch an „biologischen“ und „sozialen“
Wertursprüngen festgehalten werden, könnte ihnen noch ein
"synthetischer" Wertursprung hinzugefügt werden. Dieser könnte auf
die Prozesse der Ausdifferenzierung neuer Bedürfniskombinationen
oder Bedürfnisse durch die lernenden Handlungssysteme oder auch auf
künstliches Hervorrufen von Bedürfnissen in Zielgruppen (etwa mit
Mitteln der Werbung) verweisen. Auch dieser Bedürfnisursprung lässt
sich aber nicht strikt abtrennen, schon weil wohl alle neue
Bedürfnisse auf bestehenden (und ihren Gratifikationsstrukturen)
aufbauen müssen.
Der Einbezug kulturwissenschaftlicher
Wertkonzeptionen unterstreicht die nicht scharfe Trennbarkeit
angeborener und sozial erlernter Werte in Form des klassischen
kulturanthropologischen Befundes, dass der Mensch als besonders
leicht lernender Organismus bereits biologisch zur Internalisierung
einer Kultur vorbereitet und kaum mit unabänderlichen "Instinkten"
ausgestattet ist. Dies entspricht nicht einer metaphysischen
Mystifizierung der menschlichen Spezies, sondern vielmehr ihrer
Charakterisierung über graduelle Differenzen zu selbst im Hinblick
auf ihren Gebrauch einer wertvermittelnden Sprache grundsätzlich
vergleichbaren anderen Wesen und Systemen.
Die Berücksichtigung soziologischer
Wertkonzeptionen unterstreicht den bereits kulturwissenschaftlichen
Befund, dass besonders auf kollektiver Ebene neben der handlungsleitenden Funktion des Wertes eine integrierende und eine
umweltadaptive Funktion bedeutsam wird. Ausser Individuen und ganzen
Gesellschaften oder Kulturen erweisen sich auch etwa Rollen und
Subkollektive wie Organisationen als Träger von Wertsystemen. Eine
scharfe Abgrenzung blosser Mittel von damit verfolgten Endzwecken
erweist sich mit zunehmender Komplexität von Handlungssystemen als
desto weniger möglich, respektive: die Bedeutung der in Anlehnung an
einfache Systeme angenommenen "blossen Mittel" wächst tendenziell
mit dieser Komplexität. Ein interdisziplinär informierter sozialwissenschaftlicher
Wertbegriff, der nicht a priori unter normative, deliberationshemmende Spannung zum Beispiel religiöser Provenienz
gesetzt werden soll, liesse sich in Form des Wertes als "blosser
Präferenz" gewinnen. Diese im Utilitarismus fussende Praxis würde
jedoch der nahezu überall erkannten, ausgeprägt temporalen oder
teleologischen Natur des Wertes nicht gerecht. Suggeriert würde
seine nicht weitere Erklärbarkeit über erfahrenes Vergangenes und
projektiertes Zukünftiges. Eine solche scheint aber gar nicht zu
beklagen und entspräche im behaupteten Fall eher selbstverordneter
Blindheit seitens des Forschers.
Vielversprechender scheint daher ein
definitorischer Zugang über das Bedürfnis, in dem eine temporale
Spannung bereits angelegt, aber eine normative Spannung noch
vermieden ist.
Verfehlt wäre es, Wert und Bedürfnis
direkt gleichzusetzen. Jedoch lässt sich der Wert dem Bedürfnis als
„sein“ Objekt gegenüberstellen. Objekt muss hierzu ausreichend
breit, nämlich als etwas Vorstellbares beliebiger Abstraktionsstufe
und –art konzipiert werden. Insofern jedes Bedürfnis Defizit
gegenüber seiner Befriedigung ist und der Vorgang der Befriedigung
ein Minimum an Zeit verbraucht, ist der Wert teleologisch. Insofern
er als Objekt vorgestellt werden muss – sei es auch diffus – und die
Vorstellung Erfahrung voraussetzt, ist er erfahrungsabhängig. Im
Hinblick auf Simmel und die Ökonomie scheint es durchaus sinnvoll,
wenn mit einem Begriff des Werts als Objekt im weitesten Sinn
(ausnahmsweise) auch physische Gegenstände erfasst werden können –
schliesslich kann alles Gemessene zum Massstab erhoben werden.
Vorstellbarkeit des Objekts bedeutet allerdings noch nicht
Vorgestelltheit in jedem Fall von Wertaktivität. Mit dem Einschluss
auch unbewusster, vom werttragenden System nicht jederzeit
artikulierbaren Werten wird etwa Klages' Beschreibung Rechnung
getragen, dass Werte „bis zur Impulshaftigkeit entformt und
entdifferenziert“ sein können (Klages 2002). Eine neben der
affektiven stets angenommene kognitive Komponente des Wertes ist
denn auch nicht zwingend mit Wertbewusstheit gleichzusetzen, sondern
kann jeglichen Einfluss des Wertes auf kognitive Prozesse meinen.
Gegner des Verweises auf Bedürfnisse
haben über dessen vermeintliche Evokation ausschliesslich
"niederer", physiologisch-homöostatisch oder sonst "reinbiologisch"
bedingter, schnelle Befriedigung suchender, beziehungsweise nicht
kognitiv reflektierter Strebungen argumentiert (vgl. Kmieciak 1976:
158-172). Dafür scheint nach heutigem Sprachgebrauch keinerlei
Anlass mehr gegeben. Bedürfnisse scheinen sich vielmehr als
gemeinsame Kategorie "einfachster" und (moralisch) "erhabenster"
individueller oder kollektiver Strebungen anzubieten. Sie
berücksichtigen exakt jene auszuhaltende, potenziell beunruhigende
und realistische Eigenschaft von Werten, sich in einem
kontinuierlich verändernden Nebeneinander mit anderen, thematisch
und moralisch unterschiedlichsten Werten um die aktuelle
Handlungsdeterminierung zu konkurrenzieren – ihre Fähigkeit, vom
hungrigen Herfallen über eine Speise bis zur "selbstlosen" Spende
für den Schutz von Kunstdenkmälern in einem fernen Land an allen
erdenklichen Handlungsvorbereitungen beteiligt zu sein. Bedürfnisse
scheinen die Möglichkeit einer Befriedigung zu implizieren, doch
scheint es – gerade im Hinblick auf die intensive Wertkonkurrenz –
nicht im mindesten notwendig, dass eine spezifische solche je
vollständig oder dauerhaft erreicht wird. Kollektive können
selbstverständlich Bedürfnisse haben – es wäre sonst schwerlich zu
beobachten, dass sie solche, zum Beispiel an Demonstrationen,
einhellig artikulieren. Vielleicht am Aussagekräftigsten ist aber
das stete, hartnäckige Wiederauftauchen des Bedürfnisses (need) in
allen hier berücksichtigten Fachrichtungen, wo sie sich um den
Wertbegriff bemühen – namentlich auch dort, wo angestrengt versucht
wird, vom Bedürfnis nur auszugehen und rasch zu erhabeneren
Wertmetaphern vorzudringen. Äusserst bezeichnend sind die
Abschnitte, wo Parsons und Shils den personalen need-dispositions
die sozialen role-expectations gegenüberstellen. Bei der näheren
Erläuterung der role-expecations erweist sich, dass "each of these
assures that some need [sic!] of the social system will be met" (Parsons
& Shils 1951: 92). Die Heranziehung des needs erweist sich in diesem
Beispiel als gar nicht geeignet, eine individuelle und soziale
Handlungsebene voneinander abzugrenzen, weil es auch auf der
sozialen Ebene offenbar um Bedürfnisse geht. Ähnlich argumentiert
Kmieciak zunächst leidenschaftlich für die Trennung von Wert und
Bedürfnis, um dann gegen Ende des entsprechenden Kapitels selbst die
Möglichkeit einer Konvergenz der Wert- und Bedürfnisforschung
einzuräumen, respektive Prioritätssetzungen zwischen den beiden als
durch einen ideologisch-philosophischen Hintergrund mitdeterminiert
zuzugeben (Kmieciak 1976: 169). Zu Auffassungen, wonach Werte etwas
von Bedürfnissen grundsätzlich zu Unterscheidendes seien, merkt
Rudolph an, dass die in die Persönlichkeitsstruktur integrierten
kulturellen Werte zu einer "neuen Kategorie von 'Bedürfnissen'" und
"als Bedürfnis empfunden" werden (Rudolph 1959: 166). Lediglich die
bekannteste Konzipierung des Wertes als Quasi-Synonym des
Bedürfnisses scheint daher diejenige Maslows und, an ihn
anschliessend, Ingleharts zu sein.
Soll der Wertbegriff selbst nicht
unter normativer Spannung stehen, wie ist dann sein Verhältnis zur
Moral und zur Norm? Moralität als durch verschiedene Werte
unterschiedlich stark verkörperte Eigenschaft, in einem System die
Integrations- und Stabilitätsbedürfnisse eines übergeordneten
Systems wahrzunehmen, wirkt bei Parsons als recht gelungene
Auffassung. In ihrer Abstraktion und relativen Sterilität tritt sie
der Gefahr eines durch spezifische kulturelle Moralen verzerrten
Verständnisses entschlossen entgegen. Sie könnte eventuell durch den
Zusatz ergänzt werden, dass ein Kollektiv umgekehrt besonders
moralisch orientiert ist, wenn es die Bedürfnisse von Individuen,
beziehungsweise Minderheiten berücksichtigt. Es liesse sich dann
generalisieren, dass moralische Werte solche sind, die System- oder
soziale Aggreagtionsebenen – in beide Richtungen – mit dem Effekt
harmonischerer Interaktion dieser Ebenen transzendieren. Diese
Eigenschaft ist bei kaum einem Wert überhaupt nicht gegeben (sogar
das krude individuelle Sexualbedürfnis hilft durch Sicherung von
Nachkommenschaft das soziale System stabilisieren), aber auch nur
bei einigen Werten in ganz hohem Mass. Allerdings dürfte auch schon
die Berücksichtigung von Bedürfnissen anderer Systeme gleicher Ebene
Moralität bedeuten – einfach mit horizontaler statt vertikaler
Integrationsleistung.
„Normative Werte“ wären hingegen (im Gegensatz zu den oben
kritisierten normativen Wertbegriffen) eine unglückliche
Formulierung, weil Norm und Recht eher Werte in verfestigter Form
sind. Statt eine geeignete thematische Zuordnungsvariable für Werte
darzustellen, scheint Normativität gleichsam ein anderer
„physikalischer Aggregatszustand“ derselben. Dies ist jedoch nicht
einfach als grössere Starrheit oder für einen längeren Zeitraum
gültig erklärte „Momentaufnahme“ eines Wertsystems zu verstehen.
Vielmehr ist in Anlehnung an Habermas’ Diskursethik festzustellen,
dass der verfestigte Zustand die Eigenschaften von Normen und
Rechten gegenüber Werten fundamental verändert – ähnlich wie ein
gefrorener Fluss, der chemisch auch nur aus Wasser besteht, aber als
Ganzes durch sein Gefrorensein einen weitgehenden Austausch seiner
nutzbaren Eigenschaften erfahren hat (er wird etwa zu Fuss überquerbar, aber ist nicht mehr schiffbar). In Hans Joas'
treffenden mündlichen Vortragsworten (15.9.06) sind Normen
restriktiv, Werte attraktiv. Gesatztes Recht ist immer auf Werte
rückführbar, doch kann es in einer aktuellen Auflage
Wertvorstellungen aus verschiedenen Jahrtausenden kombinieren. Dass
es aufgrund seiner Rückführbarkeit auf „flüssige“ Werte selbst in
seinem Kernbereich auch anders verfasst sein könnte, wird
traditionell als ausreichend beunruhigend empfunden, um, etwa bei
religiösen Kodizes, strukturelle Maskierungen dieser Rückführbarkeit
auf Werte in Kulturen zu fördern. Mythen wie die göttliche Herkunft
der zehn Gebote vom Berg Sinai oder eigens praktizierte
Auslegungswissenschaften belegen die halbbewusste Sorge von Eliten,
dass die Kontingenz identitätsbestimmender normativer Texte zu
vielen Kulturmitgliedern evident, respektive die
Trägheitsstabilisierung von Gesellschaften aus ihrem Rechtsnukleus
heraus bedroht werden könnte. Die Geisteswissenschaften gruppieren
sich möglicherweise insgesamt um diese Maskierungsfunktion und damit
um den Personabegriff, weshalb der gesellschaftliche Umgang mit
Geisteswissenschaftern die bekannte eigentümliche Mischung von
wissenschaftlicher Geringschätzung und einer gewissen Ehrfurcht
zeigt. (Ihre Forschung wird nicht in gleicher Weise ernst genommen
wie "exakte", technisch-naturwissenschaftlich orientierte, doch ihre
Position in den altehrwürdigsten Räumlichkeiten der Universitäten
ist meist unantastbar, indem Verharren, Trägheit und Stabilität ihre
zentrale, als unabdingbar befürchtete Funktion selbst zu sein
scheint). Zwar ist die Notwendigkeit, überhaupt Recht zu setzen,
Folge von Problemen des Zusammenlebens, was zu vielen
interkulturellen Ähnlichkeiten grundlegender Rechtsinhalte führt.
Doch ist die letzte Eigenschaft von Recht (im Vergleich zu den
Werten), dass es gesatzt ist, nicht einer seiner Inhalte.
Wertsysteme könnten aufgrund ihrer im Allgemeinen erheblichen
Trägheit und so vielleicht doch etwas grösseren Nähe zu gesatztem
Recht als zu purer Opportunität auch anschaulich als "zähflüssig"
beschrieben werden.
Als ethisch kann der Wert per se
gelten. Es wird aufgrund der kulturellen Dominanz eines spezifischen
Wertsystems lediglich kontraintuitiv, manche Werte als „ethisch“ zu
denken.
So weit sei den antiken Bearbeitungen
charakteristischer Probleme der Wertforschung im Rahmen der Ethiken
– vor allem Aristoteles' nikomachischen –, Rechnung getragen.
Konform ist die Annahme aber auch mit Aristoteles' konkreter, von
Platon, den Stoikern und Epikureern abweichenden Erkenntnis, dass es
keine universale, sondern nur eine wesensabhängige Idee des Guten
gibt, und dass alle Werte oder Dinge in ihrer jeweils eigenen Weise
gut sind (vgl. Bächli & Graeser 2000: 100-110).
Somit kann es sinnvoll sein, von moralischen, nicht aber von
normativen oder ethischen Werten zu sprechen. Werden, wie bei den
Pionieren der General Theory of Action, den moralischen Werten die
ästhetischen und kognitiven zur Seite gestellt, sollte bedacht
werden, dass hinter diesen angenommenen Modi nichts anderes als ein
jeweiliger grundlegendster Wert steht, also das Moralisch-Gute,
Schöne oder Wahre. Die Auffassbarkeit als Modi hat lediglich damit
zu tun, dass die betreffenden Werte so breit, abstrakt und
"seinsnah" sind, dass massive Bedeutungsüberlagerung zwischen ihnen
gegeben ist und auch ihre alltagsprachliche Trennung entsprechend
unscharf ausfällt: der (grundsätzlich ästhetisch orientierte)
Geniesser eines musikalischen Werks mag ein besonders gelungenes als
"das Wahre" deklarieren, während der Gutachter einer
wissenschaflichen (grundsätzlich aufs Wahre zielenden) Studie mit
methodisch sauber gewonnenen und eindeutigen Ergebnissen beim
Durchlesen vielleicht "schön" murmelt. Noch universeller scheint
fast nur noch der Sinn, der sich hier grob und ohne weitere Elaboration als Summe aller Werte, als höchstrangiger Wert oder als
der teleologische Gehalt jegliches Seienden erwägen lässt.
Wenn der Wert bei vielen Theoretikern
unbeliebt ist, von ihnen gern aus dem Gesichtsfeld gewischt wird und
trotzdem als kaum ersetzlicher Begriff immer wieder aus demselben
hervor- sowie aus allen Richtungen in dasselbe hineinragt, muss er
etwas Fundamentales mit der Realität zu tun haben – nicht zuletzt
wohl seine beunruhigende Mobilität und Relativität im Wertmuster.
Dieses Fundamentale dürfte spätestens auf neurophysiologischer Ebene
– dem menschlichen Gehirn als eher flexiblem, im Lebensverlauf
konstruierten, stark mit direkten potenziellen Verbindungen von
allem zu allem arbeitenden (statt mit lauter vordefinierten
Hierarchien strukturiertem) Netzwerk – beginnen, wenn nicht bereits
auf kosmischer Ebene eines materiellen Orientierungsraums ohne
erkennbares, göttlich vorgeschriebenes "Oben" und "Unten". Eher als
eine anspruchsvolle Metaphysik rettet vielleicht die krude Empirie
die Vorstellung generell wichtigerer und unwichtigerer Werte, da
befragte Mitglieder einer Gesellschaft durchaus ein gewisses Mass an
übereinstimmender Zuordnung zu solchen Kategorien bezeugen können
(freilich auch als Spätwirkung früherer, von Eliten zum Kanon
erhobener Metaphysiken). Doch bedeutet die erwähnte Wertmobilität
und -relativität womöglich eine Art "vierte grosse Kränkung" der
naiven Eigenliebe der Menschheit. Erstens hatte sich die Erde
bereits nicht als Mitte des Alls erwiesen (Kopernikus), zweitens der
Mensch als vom Tier abstammend (Darwin) und drittens das Ich nicht
als Herr im eigenen Haus (Freud) seines Seelenlebens (vgl. Kramer
2003: 235). Die vierte Kränkung würde darin bestehen, dass der
Mensch auch bei Aufgabe der Vorstellung eigener Wichtigkeit und
Suche des Erhabenen ausserhalb seiner selbst ein unzweifelhaftes
solches dortselbst nicht zu seiner Orientierung und einmütigen
Inspiration vorbereitet findet. Die schon recht indirekte Form von
Wichtigkeit, das unzweifelhaft Vorbildliche und Richtungsweisende
erblicken zu dürfen, scheint ihm also ebenfalls nicht gegeben, so
sehr sich dies in die positive Formulierung abändern liesse, wonach
es sein Auftrag ist, es noch zu finden, bescheidener: sich darüber
zu einigen.
Die umrissenen Ingredienzen des hier
empfohlenen allgemeinen Wertbegriffs lassen sich in je einem
struktur- und funktionsbetonenden facettierten Definitionssatz (Borg
1992: 134-136) verdichten. (Mit der Aufteilung in zwei Sätze wird
eine nützlich erachtete analytische Leitunterscheidung bis in diese
Verdichtungsform verlängert.) Definitionsbestandteile grösster
Wichtigkeit wurden unterstrichen (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Auf zwei facettierte
Definitionssätze verteilter empfohlener Wertbegriff
[Schwerpunkt
Struktur:]
Wert ist das Objekt beliebiger Abstraktionsstufe
und -art
(physischer Gegenstand / Zustand / Eigenschaft /
Ereignis usw.),
Generalisationsstufe
(Einzelobjekt bis Objektkategorie)
und Bewusstseinsstufe
(unbewusst internalisiert bis vollbewusst-artikuliert)
eines sich kognitiv und affektiv manifestierenden
(individuellen / rollenspezifischen / organisationalen /
kollektiven / kulturellen usw.)
Bedürfnisses
gleich welchen überwiegenden
("biologischen" / "sozialen" / "synthetischen")
Ursprungs
sowie gleich welcher Dringlichkeit, Stillbarkeit und
assoziierten Stillungserwartung.
[Schwerpunkt Funktion:]
Wert bildet als Massstab mit wandelbarer
Einflussstärke unter beliebigen anderen solchen
Massstäben mit diesen ein Wertmuster,
das mit einer mittleren bis grossen, "zähflüssigen"
Kontinuität
für die Bedürfnisträger Komplexität reduziert
(Wahrnehmung steuert / Welt ordnet / Einstellungen
bündelt / Erfahrung integriert),
Identität stiftet,
Handlung im Rahmen situativer Möglichkeiten
unterschiedlich direkt
(unmittelbar / durch instrumentelle Zwischenstufen
vermittelt) determiniert
sowie transsituativ stabilisiert,
Systemgrenzen und -ebenen unterschiedlich stark
integrativ transzendiert,
Normierungsprozesse alimentiert
sowie eine unperfekte fortbestandssichernde Adaptation
an eine veränderliche Umwelt vornimmt.
|
Inhalt
4.
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Inhalt
Fussnoten
[1]
Schon in frühen, enthusiastischen Anhängerkreisen des "Umwerters
aller Werte", Nietzsche, respektive einer von ihm inspirierten
europäischen Bohème um 1900 (vgl. Kolbe 1987: 168-193) erneuerte
sich immer wieder die tragikomische Situation, dass die aus
ästhetischer Bejahung eines ursprünglichen "starken" Lebens
herrührenden Verweigerungen vorherrschender Moral und der
Versuch, trotz tiefsitzender Wohlerzogenheit Wildheit,
Rücksichtslosigkeit und aristokratische Herrlichkeit ins Werk zu
setzen, überwiegend auf Nachteile und öffentliche Lächerlichkeit
für die Berauschten hinausliefen und diesen gewissermassen den
Status heroischer Immoralisten verliehen, die etwas vom Charme
des macchiavellinischen Florenz oder des Dschungels in das auf
ganz andere Weise "gnadenlose", stahlharte Gesellschaftsgehäuse
der Neuzeit (Weber 1993[1905]: 153) zu retten versuchten.
Stellvertretend für so manches zivilisationsüberdrüssige
Mitglied der Moderne blickt etwa die einst vom Münchner Kreis um
Stefan George angebetete Franziska zu Reventlow zurück: „Was
hab’ ich davon, wenn ich abends dionysisch herumrase, und mir
wie ein Halbgott vorkomme, und am nächsten Morgen doch wieder
mit der Trambahn ins Büro fahren muss (Kolbe 1987: 183)“.
[2]
Je mehr PsychotherapeutInnen sich in einer Gesellschaft somit
verständnisvoll unsere individuellen Leidensgeschichten anhören,
desto unangebrachter dürfte deren mitunter gepflegter
professioneller Gestus einer wissend-überlegenen Repräsentation
von Gesundheit und Ausgewogenheit nach universellen Massstäben
sein – da das System, als dessen VertreterInnen sie in der
Therapiesituation wirken, offenbar gerade ein besonders
integrations- und sozialisationsunfähiges ist, das nicht selten
parallel ein übermässig ausgebautes Heer polizeilichen und
privaten Sicherheitspersonals hervorbringen dürfte.
[3]
Die Institutionalisierung der Rolle des Sozialtechnologen könnte
dabei mit einer von Luhmann erkannten, latenten zivilen
Religiosität der Soziologie, die allerdings auf ganz andere
Niveaus als derzeit erkennbar, zu heben wäre, brauchbare
Symbiosen eingehen. Mögliche Inspirationsquellen aus der Zone
wissenschaftskompatibler Hochreligionen wie dem Buddhismus
scheinen gegenwärtig im Schalldruck eines neuen globalen
Trivialschemas, dem christlich-islamischen Antagonismus (der vor
allem eine gegenseitige Amplifizierung gemeinsamer kultureller
Schwachpunkte bedeuten könnte) unterzugehen.
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