Gemeindereformen
-
zwischen
Handlungsfähigkeit und Legitimation
Kurzfassung
des Forschungsberichtes
Ein
Projekt des Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des
Schwerpunktprogramms
„Zukunft Schweiz“
Dr.
phil. Andreas Ladner (Projektleiter)
Dr.
Daniel Arn, Fürsprecher
Dr.
Ueli Friederich, Fürsprecher
Mag.
rer. pol. Reto Steiner
Fürsprecher
Jürg Wichtermann
1.
Ausgangslage
Die
Gemeindeorganisation hat sich in der Schweiz im Vergleich zu anderen Staaten als
äusserst stabil erwiesen. In den letzten 150 Jahren ist nie ernsthaft versucht
worden, durch Gemeindezusammenlegungen eine Vereinheitlichung der bezüglich
ihrer Grösse sehr stark variierenden Gemeinden zu schaffen. Seit
1848 ist die Zahl der Gemeinden lediglich um knapp 10 Prozent von 3203 auf 2903
gesunken. Dies erstaunt, ist doch die Mehrheit der Gemeinden sehr klein. Rund 60
Prozent der Gemeinden weisen heute weniger als 1000 Einwohner auf. In diesen
Gemeinden leben allerdings nur noch etwa 10 Prozent der Bevölkerung.
Es
drängt sich die Frage auf, wie weit die aus dem 19. Jahrhundert stammende
politische Feingliederung noch in der Lage ist, den sozialen und politischen
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden, denn in den letzten
Jahren und Jahrzehnten sind die Gemeinden verstärkt unter Druck geraten:
·-
Die Aufgaben der Gemeinden haben zugenommen und sind komplexer sowie
interdependenter geworden,
·-
mit der rezessiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sich auch die
Finanzlage der Gemeinden verschlechtert und
·-
das Anspruchsniveau der Einwohnerinnen und Einwohner wie auch ihre
Kritikbereitschaft sind gestiegen, während die Bereitschaft, sich für ein
politisches Amt zur Verfügung zu stellen, eher abgenommen hat.
In den Schweizer Gemeinden sind seit Beginn der
1990er-Jahre verschiedene Reformen eingeleitet worden, um die Leistungsfähigkeit
der Gemeinden zu steigern.
Die
Leistungsfähigkeit einer Gemeinde ist keine absolute Grösse. Sie wird gemessen
an konkreten politischen und gesellschaftlichen Zielvorgaben. Beispiele solcher
Zielvorgaben sind: effizienter Einsatz finanzieller Ressourcen,
Kundenorientierung und Responsivität von Verwaltung und Behörden, politische
Partizipation und demokratische Mitbestimmung, Rechtsstaatlichkeit und
Legitimation, Rechtsgleichheit u. a. m. Diese Zielvorgaben lassen sich auf zwei
Grundforderungen an staatliches Handeln zurückführen. Sie sind angesiedelt im
Spannungsfeld zwischen der Handlungsfähigkeit der Gemeinden und der
demokratischen Legitimation.
Im Forschungsprojekt wurden die wichtigsten kommunalen Reformprojekte (NPM, Kooperationen/Fusionen und Neuordnung der Aufgabenteilung) erstmals durch ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universität Bern (Institut für Organisation und Personal, Institut für Politikwissenschaften und Institut für öffentliches Recht) untersucht.
Da viele der
Reformvorhaben erst in Umsetzung sind, war es noch nicht möglich, die
Auswirkungen umfassend festzustellen. Es war vor allem das Ziel, die
Reformaktivitäten auf kommunaler Ebene in Raum und Zeit zu bestimmen und damit
eine Grundlage für eine umfassende und vergleichende Analyse von Reformen ganz
allgemein zu bilden.
2.
Datenbasis und
Projektorganisation
Der
empirische Teil des Forschungsprojektes bestand vor allem aus zwei Befragungen:
In einem ersten Schritt wurden im Dezember 1997 die Kantone über die
Reformaktivitäten ihrer Gemeinden befragt und in einem zweiten Schritt im
Herbst 1998 die Gemeinden selber im Rahmen einer Vollerhebung.
Die
Auswertung der Kantonsbefragung kam im August 1998 zum Abschluss. Die Rücklaufquote
betrug 100 Prozent. Im Rahmen von uni- und bivariaten Auswertungen wurde
untersucht, welche Reformen in den Gemeinden ergriffen werden (aus der Sicht des
Kantons) und welche Faktoren die Reformbereitschaft beeinflussen.
Im Herbst 1998 folgte die
Gesamterhebung in allen 2914 Schweizer Gemeinden. Ein 16-seitiger Fragebogen in
den Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch wurden an die
Gemeindeschreiber aller damals 2914 Gemeinden verschickt. 2465 Gemeinden haben
geantwortet, was einer Rücklaufquote von 84,6 Prozent entspricht. Der tiefste Rücklauf
wurde im Kanton Appenzell Innerrhoden mit 50 Prozent (3 von 6 Gemeinden) erzielt,
gefolgt von Genf mit 71,1 Prozent (32 von 45 Gemeinden), was immer noch verhältnismässig
hohe Werte sind. Von den Deutschschweizer Gemeinden antworteten 86,3 Prozent, in
der Westschweiz 82,8 Prozent und im Tessin 79,9 Prozent. Auch die Verteilung
nach Gemeindegrösse zeigt, dass in jeder erfassten Kategorie mindestens 82,5
Prozent der Gemeinden geantwortet haben.
Regional
und kantonal unterschiedliche Reformpräferenzen und Reformstrategien liessen
eine Beschränkung auf eine Stichprobe als wenig sinnvoll erscheinen. Zudem
konnte mit der Vollerhebung eine aussergewöhnliche Datenbasis geschaffen werden.
An der Universität Zürich waren nämlich bereits 1988 und 1994 alle Schweizer
Gemeindeschreiber befragt worden. Einige Items sind dabei in allen drei
Befragungen identisch. Dadurch wurde es möglich, Längsschnittanalysen durchzuführen
und den Wandel in den Gemeinden sorgfältig zu dokumentieren.
Neben
den wissenschaftlichen Auswertungen bildet das Datenmaterial auch eine Basis für
eine Reformdatenbank der öffentlichen Verwaltung, welche auf dem Internet frei
zugänglich ist (http://www.gemeindereformen.unibe.ch)
Zeitgleich mit den quantitativen Befragungen sind
ausgewählte Reformprojekte im Sinne von Fallstudien aus verschiedenen
Perspektiven (Bürgerinnen und Bürger, Verwaltung, Politik) untersucht worden.
Die Fallstudien wurden so gelegt, dass sie charakteristische Merkmale der
Gemeinden (z.B. Grösse der Gemeinden, Autonomiegrad, Finanzstärke usw.)
abdecken und die wichtigsten Reformen umfassen. Als NPM-Reformprojekte wurden
beispielsweise die NPM-Pilotgemeinden des Kantons Bern untersucht. Die Fusions-
und Kooperationsthematik sowie die Aufgabenteilung konnte an den Reformprojekten
der Kantone Luzern und Bern vertieft analysiert werden.
Das
Projekt war interdisziplinär angelegt. Die Projektleitung hatte Dr. Andreas
Ladner vom Institut für Politikwissenschaften der Universität Bern. Als
Betriebswirtschafter arbeitete mag. rer. pol. Reto Steiner vom Institut für
Organisation und Personal mit. Die staatsrechtliche Sicht vertraten Dr. Daniel
Arn, Fürsprecher, Dr. Ueli Friederich, Fürsprecher, und Jürg Wichtermann, Fürsprecher.
Sehr hilfreich war, dass einzelne der Beteiligten auf Grund ihrer praktischen Tätigkeit
Zugang zum Datenmaterial aus verschiedenen Reformprojekten hatten.
Mitgesuchsteller des Forschungsprojekts waren Prof. Dr. Norbert Thom vom Institut für Organisation und Personal und Prof. Dr. Ulrich Zimmerli vom Institut für öffentliches Recht.
3.
Wichtigste
Ergebnisse
3.1
Leistungsgrenzen
Die Leistungsfähigkeit der Schweizer Gemeinden wird - zumindest aus Sicht der Gemeindeschreiber - als verhältnismässig hoch eingestuft. Besonders hervorgehoben werden die Bürgernähe und Kundenfreundlichkeit, aber auch die Qualität der Leistungen wird in der Selbsteinschätzung als gut bezeichnet.
Ein relativ kleiner, aber nicht unbedeutender Anteil der Gemeinden stösst bei der Erfüllung gewisser Gemeindeaufgaben an Leistungsgrenzen. Das subjektive Empfinden von Leistungsgrenzen hat zwischen 1994 und 1998 zugenommen. Den Gemeinden machen dabei vor allem die Bereiche „Neue Armut/Fürsorge“ und „Arbeitslosigkeit“ zu schaffen. Hier gibt jede dritte Gemeinde an, die Leistungsgrenzen erreicht zu haben. Beide Bereiche sind verhältnismässig stark mit der wirtschaftlichen Konjunkturlage verknüpft, und es ist davon auszugehen, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung wieder für Entspannung sorgt.
Mit zunehmender Gemeindegrösse stossen die Gemeinden stärker an Leistungsgrenzen. Interessant ist, dass sich die Situation in den letzten Jahren etwas verschlechtert hat und 1998 in allen Grössenklassen etwas mehr Gemeinden als 1994 angeben, an Leistungsgrenzen zu stossen. Ansatzweise zeigt sich bei der Grössenkategorie „100-249 Einwohner“ ein etwas grösserer Anstieg der Leistungsgrenzen.
Was die Unterschiede zwischen den Sprachregionen anbelangt, so hat zwischen den deutsch- und französischsprachigen Gemeinden eine Angleichung stattgefunden. Heute bestehen keine Unterschiede hinsichtlich der Leistungsgrenzen mehr, während vor vier Jahren die französischsprachigen Gemeindeschreiber die Situation noch klar problematischer einschätzten als ihre deutschsprachigen Kollegen. Die italienischsprachigen Gemeinden scheinen demgegenüber deutlich häufiger an Leistungsgrenzen zu stossen.
In den Jahren 1995-1997
schlossen 32 Prozent aller Schweizer Gemeinden mit einem Defizit ab und 19
Prozent mussten den Steuerfuss seit 1994 erhöhen (Gemäss Selbstdeklaration der
Gemeinden). Trotzdem gibt es immer noch 68 Prozent Gemeinden, die einen Ertragsüberschuss
oder eine ausgeglichene Rechnung vorlegen konnten. In den Medien wird wohl vor
allem über Problemfälle und die schwierige finanzielle Lage vieler grösserer
Städte berichtet. Die Gemeinden insgesamt stehen deutlich besser da als der
Bund und die Kantone.
Ein
Vergleich der Rechnungsabschlüsse von 1995-1997 und 1991-1993 zeigt, dass knapp
die Hälfte aller Gemeinden, welche ihre Rechnung bereits zwischen 1991 und 1993
mit einem Aufwandüberschuss abschlossen, dies auch in den Jahren 1995-1997
taten. Es ist zu vermuten, dass es in der Schweiz eine Vielzahl von Gemeinden
gibt, deren finanziellen Probleme strukturellen Charakter haben.
3.2 Aufgabenteilung und Gemeindeautonomie
Die
Definition der Aufgaben der Gemeinden ist von grosser Bedeutung für Reformen
auf Gemeindeebene. In den meisten Kantonen (22 von 26) ist die Neuordnung der
Verteilung der Aufgaben zwischen den Gemeinden und den Kantonen ein Thema (Projekte
sind durchgeführt worden, geplant oder werden allenfalls diskutiert).
Zwischen
der Aufgabenzuweisung an die Gemeinden und Gemeindereformen besteht insofern ein
wechselseitiger Zusammenhang, als Aufgaben erst dann (sachgerechterweise) der
kommunalen Ebene zugewiesen werden, wenn diese genügend leistungsfähig ist.
Umgekehrt kann die Vorgabe, bestimmte Aufgaben erfüllen zu müssen, einen
gewissen Reformdruck in den Gemeinden auslösen.
Es
gibt verschiedene Möglichkeiten, auf kommunaler Ebene - sofern sie nicht
ohnehin vorhanden ist - eine ausreichende Leistungsfähigkeit für die Erfüllung
von Aufgaben zu erreichen. Interkommunale Kooperation, Gebietsreform (Fusionen)
oder Verwaltungsreorganisation stehen grundsätzlich gleichwertig nebeneinander.
Die Neuordnung der Aufgabenverteilung führt in der Regel nicht dazu, dass bestimmte Sachbereiche klar der kantonalen oder der kommunalen Ebene zugewiesen werden. Vielmehr werden auch in Zukunft viele wichtige Aufgaben im Verbund zwischen Kantonen und Gemeinden erfüllt. Allerdings ist eine Tendenz festzustellen, dass die Kantone eher die Regulierung (Bestellung) und Finanzierung einer Aufgabe übernehmen, während die Gemeinden eher die operative Erfüllung (Vollzug) übernehmen.
Die
Gemeinden wünschen sich im Grundsatz mehrheitlich mehr Autonomie, d. h. einen
grösseren Handlungsspielraum. Nach konkreten Sachbereichen befragt, äussern
die Gemeinden allerdings nur in einem Bereich (Hochbau) das klare Bedürfnis
nach mehr Autonomie.
Die
Gemeinden wünschen sich im Grundsatz ein stärkeres Engagement des Kantons bezüglich
der Erfüllung von Aufgaben. Insbesondere grosse Gemeinden und Städte äussern
ein entsprechendes Bedürfnis. Ein stärkeres Engagement wird namentlich in
sozialen Bereichen und beim öffentlichen Verkehr gewünscht.
Die Untersuchung zeigt insofern einen Widerspruch auf, als die Gemeinden einerseits mehrheitlich mehr Autonomie möchten, gleichzeitig aber auch ein stärkeres Engagement des Kantons wünschen. Der Begriff der Gemeindeautonomie erweist sich als recht diffus und konturlos.
Insgesamt sind die Gemeinden mit der Zusammenarbeit mit ihren Kantonen zufrieden. 30 Prozent bezeichnen das Verhältnis zum Kanton als gut, fast 38 Prozent als eher gut. Weniger als 5 Prozent erachten die Zusammenarbeit als eher schlecht oder schlecht.
3.3
Reformen
Nachfolgend
wird in Stichworten die Verbreitung der drei häufigsten Reformen in den
Schweizer Gemeinden dargestellt:
3.3.1
New Public Management
-
Jede vierte Gemeinde hat bereits erste NPM-Gehversuche unternommen.
-
Reformaktivitäten werden zum Teil schlechthin als NPM - in einem
weiteren Sinn -verstanden. Nur 20,6 Prozent aller Gemeinden, welche von sich
sagen, sie hätten NPM eingeführt, haben bereits Produkte definiert.
-
In kleineren Gemeinden unter 1000 Einwohnern ist NPM im engeren Sinn bis
heute kaum ein Thema, während sich grosse Gemeinden und Städte mit über 10000
Einwohnern zum Teil intensiv mit der NPM-Umsetzung befassen.
-
In den grösseren Kantonen haben vor allem Berner und Zürcher Gemeinden
mit NPM praktische Erfahrungen gesammelt; die NPM-Reformaktivitäten sind je
nach Kanton sehr unterschiedlich.
-
Die kommunale NPM-Diskussion findet vor allem in der deutschen Schweiz
statt.
-
Gemeinden mit einem grossen Leistungsangebot befassen sich deutlich
intensiver mit neuen Steuerungsmodellen, als dies bei Gemeinden mit einem eher
tiefen Leistungsangebot der Fall ist.
-
Je besser eine Gemeinde finanziell dasteht, desto häufiger befasst sie
sich mit dem Thema NPM.
-
Gemeinden mit ausgeglichener Rechnung befassen sich weniger häufig mit
NPM als Gemeinden mit Aufwand- resp. Ertragsüberschüssen.
-
Am meisten Interesse an NPM zeigen die Verwaltungen, gefolgt von den
Exekutiven. Das Interesse von Legislative und Bevölkerung an NPM-Fragen ist
nach Aussage der Gemeindeschreiber sehr gering.
-
Das neue Steuerungsmodell wird vor allem in den Bereichen „Allgemeine
Verwaltung“, „Fürsorge/Sozialwesen“, „Ver- und Entsorgung“ und „Tiefbau“
erprobt.
3.3.2
Interkommunale Kooperationen
-
Der interkommunalen Zusammenarbeit (IKZ) kommt wachsende Bedeutung zu.
62,5 Prozent, d. h. praktisch zwei Drittel der befragten Gemeinden geben an,
die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden habe innerhalb der letzten fünf Jahre
zugenommen. Für rund ein Drittel der Gemeinden (36,1 Prozent) ist das Ausmass
der Zusammenarbeit im gleichen Zeitraum gleich geblieben. Nur ein
verschwindend kleiner Teil der Gemeinden (0,6 Prozent) vermeldet eine Abnahme
der Zusammenarbeit.
-
Vor allem Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern haben die IKZ überdurchschnittlich
intensiviert.
-
Für alle Gemeindeaufgaben gibt es Beispiele interkommunaler
Zusammenarbeit. Am verbreitetsten ist die Zusammenarbeit aber in Schulfragen,
der medizinischen Versorgung, Abwasserfragen, beim Abfall und Zivilschutz mit über
60 Prozent der Gemeinden, welche in diesen Bereichen zusammenarbeiten.
-
Noch sehr wenig verbreitet mit Werten unter 20 Prozent ist die IKZ in den
verschiedenen Bereichen der allgemeinen Gemeindeverwaltung (Informatik,
Rechnungswesen, Einwohnerkontrolle, Kanzlei und beim Personalmanagement), bei
gemeindepolizeilichen Aufgaben, der Betreuung von Asylsuchenden, der Raum- und
Zonenplanung, Baugesuchen, öffentlichen Bauten, dem Landschafts- und
Ortsbildschutz, den Gemeindebehörden, dem Umweltschutz, dem privaten Verkehr
und der Integration von Ausländern.
- In den letzten fünf Jahren überdurchschnittlich zugenommen hat die Zusammenarbeit bei der Betreuung von Arbeitslosen, dem Zivilschutz, der Feuerwehr und der medizinischen Versorgung.
3.3.3
Fusionen
-
17,9 Prozent der Gemeinden haben schon die Möglichkeit einer Fusion
diskutiert.
-
Konkrete Fusionsabsichten haben 7,9 Prozent aller Schweizer Gemeinden. Es
handelt sich dabei überdurchschnittlich oft um Gemeinden mit weniger als 500
Einwohnern und Städte ab 25000 Einwohnern.
-
15 Kantonsverwaltungen messen Gemeindefusionen ein sehr grosses oder grosses
Gewicht bei. Dies ist vor allem in Kantonen mit vielen Gemeinden zu beobachten,
die zudem finanziell schlecht dastehen und Schwierigkeiten bei der Aufgabenerfüllung
haben. Es trifft auch auf Kantone zu, in denen die Gemeindeausgaben im Vergleich
zu den Kantonsausgaben hoch sind.
-
Am meisten Fusionsprojekte gibt es in den Kantonen Tessin und Freiburg.
In 14 weiteren Kantonen laufen ebenfalls vereinzelte Projekte in den Gemeinden.
-
Initianten für Territorialreformen sind etwa gleich oft der Gemeinderat,
der Gemeindepräsident und der Kanton. Die Rolle der Verwaltung, der Parteien
und anderer Gremien ist von unterdurchschnittlicher Bedeutung.
-
Gemeindeschreiber glauben, dass die Verwaltung am reformfreudigsten sei.
Sehr kritisch eingestellt sei die Bevölkerung. Vor allem in der Deutschschweiz
wird diese Vermutung geäussert. Die Behauptung konnte im Rahmen einer Bevölkerungsbefragung
nicht erhärtet werden.
-
Pro-Argumente für Fusionen sind Professionalisierung, Kostensenkung,
Qualitätssteigerung, mehr Gewicht gegenüber dem Kanton und die Schwierigkeiten
bei der Ämterbesetzung. Kontra-Argumente sind die verlorengehende Bürgernähe
und Identifikation mit der Gemeinde sowie der Verlust der Kernzelle der
Demokratie. Zudem genügen die bisherigen Formen der Zusammenarbeit.
-
Wer schon jetzt intensiv mit anderen Gemeinden kooperiert, ist gegenüber
Fusionen aufgeschlossener.
Die Schweizer
Gemeinden glauben, dass in Zukunft Kooperationen mit anderen Gemeinden (Mittelwert:
3,7 auf einer Skala von 1 bis 5) einen höheren Stellenwert haben werden als
Fusionen (Mittelwert: 2,3) und Kooperationen mit Privaten (Mittelwert: 2,4).
3.4
Auslöser für Reformen
Aus der Befragung der Gemeindeschreiber ergeben sich gewisse Hinweise dafür, wo und wie es zu den Reformen kommt. Analytisch wurden zwei grundsätzlich verschiedene Wege verfolgt. In einen ersten Schritt wurde geprüft, in welchen Gemeinden welche Reformen stattfinden respektive stattgefunden haben. Dies hat den Vorteil, dass man mit verhältnismässig harten Daten arbeitet und die verschiedensten Reformprojekte mit erklärenden Variablen korrelieren können.
In einem zweiten Schritt wurden die Gemeindeschreiber direkt gefragt, welches die Gründe für die Reformen in ihrer Gemeinde waren und welche Kräfte dazu den Anstoss gegeben haben.
Die Korrelationen sind in der Regel nicht besonders stark, was bei einer derart grossen Zahl an Untersuchungseinheiten auch nicht weiter erstaunt. Die stärksten Korrelationen finden sich bei den Sprachregionen. In der Deutschschweiz scheint es ganz allgemein häufiger zu Reformen zu kommen, wobei vor allem auch NPM viel häufiger ein Thema ist. Die Gemeindegrösse korreliert positiv mit der allgemeinen Reformfreudigkeit sowie mit New Public Management. Umgekehrt trifft es allerdings nicht zu, dass sich die kleinen Gemeinden besonders häufig mit der Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden respektive mit Fusionen auseinandersetzen. Beschäftigungsstruktur und Urbanität deuten schliesslich darauf hin, dass in den ruralen Gebieten Reformen seltener sind.
Erstaunen mag, dass die Variablen, welche etwas über die finanzielle Situation einer Gemeinde aussagen, nicht oder nur schwach mit Reformen korrelieren. Einzig bei der Einführung von Produktedefinitionen findet sich ein interpretationswürdiger Zusammenhang mit dem sinkenden realen Steuerertrag. In dieselbe Richtung weist auch der Leistungsgrenzenindex. Geben die Gemeinden besonders häufig an, dass sie an Leistungsgrenzen stossen, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie besonders reformfreudig sind. Dass NPM-Reformen mit einem hohen Anteil an SP-Sitzen in der Exekutive korrelieren, dürfte damit zusammenhängen, dass die SP vor allem in grösseren Gemeinden aktiv ist. Mit den FDP-Anteilen bestehen praktisch dieselben Korrelationen, was darauf hindeutet, dass Reformen nicht primär ein Ergebnis parteipolitischer Kräfteverhältnisse in der Exekutive sind.
Direkter auf die Ursachen für Reformen bezogen sind die Antworten der Gemeindeschreiber auf die Frage nach den Gründen respektive Auslösern von Reformen, wobei es sich hier allerdings um eine subjektive Einschätzung handelt. An erster Stelle rangiert mit einem grossen Vorsprung ein grundlegendes Bedürfnis nach Veränderung, gefolgt von den beiden Leistungsindikatoren „finanzielle Notlage“ und „Leistungsgrenzen“ sowie die guten Erfahrungen anderer Gemeinden. Auch diese Antworten deuten darauf hin, dass sich mit „Krisenhypothesen“ nicht alle Reformen erklären lassen, die finanzielle Situation ist aber deutlich wichtiger als auf aggregiertem Niveau. Dass rund 20 Prozent der Gemeinden, die Reformen durchgeführt haben, angeben, dass einer der Gründe die fehlende Anzahl Personen sei, die sich für ein Amt zur Verfügung stellen, mag erstaunen und deutet darauf hin, dass hier die Gemeinden effektiv an Leistungsgrenzen stossen.
Der abschliessende Versuch, ein Ranking der Kantone hinsichtlich der Reformfreudigkeit ihrer Gemeinden vorzunehmen, ist mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen, da die Quantität und nicht die Qualität der Reformaktivitäten erfasst wurde. Aus der Abbildung geht hervor, dass die Kanton Zürich, Bern, Zug, Freiburg, St. Gallen, Thurgau und Genf besonders zahlreiche Reformbestrebungen auf kommunaler Ebene kennen, während beispielsweise in den Kantonen Graubünden, Aargau oder Waadt kaum Reformen stattfinden (zur Herleitung siehe das Schlusskapitel im Forschungsbericht).
Der Reformindex kann zwischen 0 und 100 variieren. 100 würde eine maximal Reformfreudigkeit bedeuten
4.
Erste Schlussfolgerungen
Vieles erweckt den Eindruck, dass in der Schweiz - mit einer gewissen Verspätung - dieselben Reformbestrebungen angelaufen sind wie in anderen Ländern. Die Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Staatsebenen und Gebietsreformen standen in zahlreichen anderen Ländern schon in den 1970er- und 1980er-Jahren zur Diskussion und führten auch zu neuen Lösungen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass sich die Ansprüche an die kommunale Ebene in den letzten Jahren gewandelt haben. Ging es früher in erster Linie darum, die lokale Ebene den Bedürfnissen eines zusehends interventionistischeren (Zentral-) Staates anzupassen, was in der Folge vor allem von den Verfechtern der freien Marktwirtschaft kritisiert wurde, so finden die Reformen heute unter veränderten Bedingungen statt und werden wohl auch zu anderen Resultaten führen. Bei der Aufgabenteilungsdiskussion steht in den 1990er-Jahren zwar nach wie vor der Anspruch einer optimalen und eine gewisse Verteilungsgerechtigkeit garantierenden Steuerung im Vordergrund, man ist sich jedoch sowohl der Gefahr der Übersteuerung als auch der Vor- und Nachteile der Marktwirtschaft bewusster geworden. Bei der Diskussion über Gemeindefusionen ist beispielsweise zu bezweifeln, dass es zu Territorialreformen im grossen Stil kommen wird. Wahrscheinlich liegt die Zukunft in der verstärkten Zusammenarbeit auf der Basis einer variableren Geometrie des Staates.
Die
Herausforderungen an die traditionelle Staatsorganisation werfen eine Reihe von
Fragen auf: In welchem Raum soll Politik betrieben werden und welche Akteure
sind daran beteiligt? Wer übernimmt die politische Verantwortung und wie können
verbindliche Entscheide getroffen werden? Zur Zeit beschäftigen sich die
Reformer vor allem mit Zuständigkeitsproblemen respektive mit der Frage der
Steuerung und der Kontrolle. Die für eine demokratische Legitimation wichtigen
Entscheidungs- und Verteilungsprobleme gestalten sich ungleich kontroverser und
bleiben weitgehend ausgeklammert. In international vergleichender Perspektive
stellt sich die Frage, wie weit die Schweiz einen Sonderfall darstellt, aus dem
zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden können, oder ob sie sich in den
internationalen Kanon einreiht und somit den allgemeinen Trend bestätigt. Während
die gesellschaftlichen Ursachen für den Reformbedarf wohl ähnlich sind wie in
anderen Staaten, gibt es auch distinktiv andere Voraussetzungen:
Konsensdemokratie, Direkte Demokratie, Föderalismus, Gemeindeautonomie,
Milizsystem usw. führen dazu, dass hierzulande die Diskussionen auf einem
anderen Niveau stattfinden und teilweise auch in eine andere Richtung gehen.
In
international vergleichender Perspektive stellt sich die Frage, wie weit die
Schweiz einen Sonderfall darstellt, aus dem zusätzliche Erkenntnisse gewonnen
werden können, oder ob sie sich in den internationalen Trend einreiht und somit
den allgemeinen Trend bestätigt. Während die gesellschaftlichen Ursachen für
den Reformbedarf wohl ähnlich sind wie in anderen Staaten, gibt es auch
distinktiv andere Voraussetzungen: Konsensdemokratie, Direkte Demokratie, Föderalismus,
Gemeindeautonomie, Milizsystem usw. führen dazu, dass hierzulande die
Diskussionen auf einem anderen Niveau stattfinden und teilweise auch in eine
andere Richtung gehen.
Während
es beispielsweise in Deutschland darum geht, auf lokaler Ebene neue
Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen, sind in der Schweiz die
Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger relativ gut ausgebaut,
so dass eher eine Verwesentlichung der Partizipation in den Vordergrund rückt.
Die teilweise Abschaffung des fakultativen Referendums weist etwa in diese
Richtung. Auch bei den auf Interessenausgleich ausgerichteten
Verhandlungssystemen (Runde Tische, partizipative Planung, korporatistische
Systeme usw.) steht in der Schweiz nicht deren prinzipielle Einführung zur
Diskussion, sondern es stellt sich vielmehr die Frage, wie mit diesen
Instrumenten umgegangen werden muss, damit die damit verbundenen Nachteile wie
Schwerfälligkeit und tendenzielle Innovationsfeindlichkeit minimiert werden können.
Besonders deutlich wird die Bedeutung der Ausgangslage bei der Frage der
Dezentralisierung.
Während die Reformen in einem zentralisierten Staat wie Frankreich in Richtung Dezentralisierung laufen, finden in der Schweiz die Auseinandersetzungen auf einer anderen Ebene statt. Die Revisionen vieler kantonaler Gemeindegesetzgebungen in den letzten Jahren zeigen, dass die Stärkung der Gemeindeautonomie nach wie vor ein wichtiges Thema ist. Bei der Neuordnung der Aufgabenteilung Kanton-Gemeinden läuft die Tendenz demgegenüber eher in die entgegengesetzte Richtung. In zahlreichen wichtigen Aufgabenbereich (Fürsorge, Schule, Spitalversorgung) wird die Rolle des Kantons gestärkt. Die Schweizer Gemeinden erhalten zwar mehr Organisationsautonomie (operative Freiheiten), die materielle und aufgabenspezifische Autonomie geht aber zurück. Der Kanton konzentriert sich auf das Festlegen der strategischen Rahmenbedingungen, das Motto heisst: Zentral steuern und finanzieren, lokal handeln.
Dies verdeutlicht schliesslich, dass die Grundgedanken von NPM auch bei der Aufgabenteilung Kanton-Gemeinden und der interkommunalen Zusammenarbeit ihre Bedeutung haben. Auch hier stehen sich auf der einen Seite das Primat der Politik und die Frage nach einer möglichst effektiven politischen Steuerung und auf der anderen Seite die effiziente Leistungserbringung gegenüber.