Strafen, Erziehen und Wiedergutmachung

Die totale Institution Gefängnis und ihr Lösungsvermögen in bezug auf diese drei vom Strafgesetz geforderten Aufgaben

Karin Rykart

Zürich, 11. November 1999



Inhalt
 

1. Einleitung

2. Die gesetzlichen Grundlagen - Schweizerisches Strafgesetzbuch StGB
  
  2.1 Auftrag des Schweizerischen Strafgesetzbuches StGB
        2.1.1    bestehendes Recht / gültiges StGB
        2.1.2    Revision des StGB - was ist neu, was fehlt

3. Theorieteil
  
  3.1 Der Abolitionismus
    3.2 Der Symbolische Interaktionismus
         3.2.1    Herbert Blumer und Arnold M. Rose
         3.2.2    Die Position von Erving Goffman

    3.3 Electronic Monitoring (EM)
    3.4 Lernprogramme
    3.5 Aussergerichtlicher Tatausgleich

4. Fragestellung / Hypothesen
  
  4.1 Der Aspekt des Strafens
    4.2 Der Aspekt des Erziehens
    4.3 Der Aspekt der Wiedergutmachung

5. Ergebnisse

6. Zusammenfassung

7.  Bibliographie


1. Einleitung

„Dass es gefährlich und vielleicht sogar nutzlos ist“ so hat Michel Foucault totale Institutionen, wie das Gefängnis eine ist, in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ umschrieben (Foucault 1994, S. 296). Und trotzdem gäbe es keine nennenswerte Alternative. „Es ist die verabscheuungswürdige Lösung, um die man nicht herumkommt“ (ebd.). Vorteile der Gefängnisstrafen sieht Foucault parallel zur damalige Zeit (um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jh.) in der Egalität der Betroffenen in bezug auf den Freiheitsentzug, die exakte Quantifizierung der Strafe nach der Variable „Zeit“ sowie die Erfüllung seiner geforderten Rolle als Apparat zur Umformung der Individuen (ebd., S. 297). Die juristisch-ökonomische und die technisch-disziplinäre Begründung hat das Gefängnis als die einleuchtendste und zivilisierteste aller Strafformen erscheinen lassen (ebd.).

Auch im heute gültigen Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB) aus dem Jahre 1937 wird immer noch von Strafen, Erziehen und Wiedergutmachung gesprochen. Die Praxis sieht aber gemäss Aussage von Staatsanwalt Matthias Welter folgendermassen aus: Von allen Verurteilungen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe weisen 80% eine Dauer von weniger als 3 Monaten auf. Aber gerade im Bereich der Kurzstrafen (bis zu drei Monaten) kann grundsätzlich nur Art. 1 des Strafgesetzbuches erfüllt werden, derjenige, welcher eine Strafe für eine gesetzeswidrige Tat androht. Hier könnte man sich gemäss Helge Peters die Frage stellen „Muss Strafe sein?“ (Peters 1993, Titel). Diese provokative Frage rechtfertigt er damit, dass das Strafrecht und das staatliche Strafen Folgen haben, die mit ihren Programmen nicht übereinstimmen (Peters 1993, S. 9). Freiheitsstrafen können bestenfalls non-funktional sein. Haftstrafen, die einen folgenreichen Eingriff in das Leben des Betroffenen darstellen, schaffen durch ihren repressiven und stigmatisierenden Charakter oftmals gerade die Devianz, die sie eigentlich verhindern sollten (Lamnek 1997, S. 233). Verlust der Arbeitsstelle und / oder Wohnung sind Folgen, welche schwerwiegende Probleme für die straffällig gewordene Person selber aber auch für den Staat bringen, welcher für die Resozialisierung zuständig ist. Noch schlimmer und vielleicht länger andauernd ist die Stigmatisierung, welche einer Person nach einer Gefängnisstrafe droht. Goffman beschreibt die soziologischen Merkmale folgendermassen: Ein Individuum, das leicht in gewöhnlichen sozialen Verkehr hätte aufgenommen werden können, besitzt ein Merkmal, das sich der Aufmerksamkeit aufdrängen und bewirken kann, dass wir uns bei der Begegnung mit diesem Individuum von ihm abwenden, wodurch der Anspruch, den seine anderen Eigenschaften an uns stellen, gebrochen wird. [....] Von der Definition her glauben wir natürlich, dass eine Person mit einem Stigma nicht ganz menschlich ist (Goffman 1975, S. 13).

Der Aspekt des „Erziehens“ welcher in Art. 37 StGB gefordert wird, kann nur bedingt mit dem Vollzug einer Freiheitsstrafe erfüllt werden. Durch den Umstand, dass innerhalb des Gefängnisses die Insassen in „Blöcken“ bewegt werden, damit sie von einer möglichst kleinen Gruppe beaufsichtigt werden kann, lässt sich schliessen, dass die sogenannte „Erziehung“ nur in bezug auf den reibungslosen Ablauf innerhalb der Anstalt ausgerichtet ist. Auch Goffman weist darauf hin, dass Verhaltensformen in der totalen Institution erlernt werden müssen, welche dem Insassen im Gefängnis zwar von Nutzen sind, ausserhalb der Anstalt aber keine Anwendung mehr finden. Dazu Goffman:
 In erster Linie unterbinden oder entwerten totale Institutionen gerade diejenigen Handlungen, die in der bürgerlichen Gesellschaft die Funktion haben, dem Handelnden und seiner Umgebung zu bestätigen, dass er seine Welt einigermassen unter Kontrolle hat - dass er ein Mensch mit der Selbstbestimmung, Autonomie und Handlungsfreiheit eines „Erwachsenen“ ist (Goffman 1996, S. 49f.).

Bei Kurzstrafen, die in den Jahren 1991 bis 1995 immerhin 11’000 unbedingte Verurteilungen pro Jahr ausmachten, kann der Anspruch des Erziehens praktisch nicht erfüllt werden. Innerhalb dieser kurzen Zeitspanne kann keine seriöse Auseinandersetzung mit dem Verhalten stattfinden. Gemäss Rehberg soll dann auch die kurzfristige Freiheitsstrafe nur den Charakter einer Warnstrafe zukommen und eine erzieherische Einwirkung wird nicht vorgesehen (Rehberg 1994, S. 32). Angesichts der Tatsache, dass viele straffällig gewordene Menschen schon schwerwiegende psychosoziale Schwierigkeiten und in ihrem bisherigen Leben schon vielfache Erfahrungen mit Demütigungen gemacht haben, wirken sich die Deprivationen im Freiheitsentzug noch verstärkend aus. Die Abwehr gegen das schwache, machtlose und ohnmächtige Selbst wird noch aktiviert und kann sich in der Gefängnissituation extrem ausbilden. „Totale Institutionen sind verhängnisvoll für das bürgerliche Selbst des Insassen, auch wenn die Bindung des Insassen an sein bürgerliches Selbst recht unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann“ (Goffman 1996, S. 53). Diesen Mechanismus zu verhindern, wäre die Aufgabe von Alternativstrafen, welche den Schwerpunkt auf die Verhaltensformen in zivilen Gesellschaften legt. Wenn dies möglich sein sollte, kann sehr wahrscheinlich davon ausgegangen werden, dass die Rückfallgefahr vermindert wird, da man annimmt, dass Straftaten häufig aufgrund fehlenden sozialen Verhaltens, Übernahme von Verantwortung für sich selbst und andere sowie mangelnden Selbstwertgefühls ausgelöst werden. Diese Defizite versucht man heute in der Schweiz anhand von verschiedenen Modellversuchen zu korrigieren. In diesem Herbst startete in sechs Kantonen eine Versuchsphase mit der elektronischen Überwachung und im Kanton Zürich läuft ein Modellversuch mit „Lernprogrammen“.

Der auch in Artikel 37 des Strafgesetzbuches verankerte Anspruch auf „Wiedergutmachung“ ist mit einer Freiheitsstrafe ebenfalls nicht zu bewerkstelligen. Die Opferseite wird dabei  jedenfalls gänzlich vernachlässigt. Gemäss empirischen Befunden ist aber für die Opfer die Entschädigungsleistung wichtiger als die Bestrafung des Täters (Lamnek 1997, S. 374). Um diese Diskrepanz zu überwinden, wurde der „Aussergerichtliche Tatausgleich“, auch unter dem Begriff „Täter-Opfer-Ausgleich“ bekannt, geschaffen. Die Maxime lautet daher „Wieder-gutmachung statt Strafe“. Ziele des Täter-Opfer-Ausgleiches sind neben dem Einbezug der Opfer auch die Entkriminalisierung und Entpönalisierung des Täters im Sinne von Massnahmen der Diversion zu realisieren (Lamnek 1997, S. 364). Der Täter-Opfer-Ausgleich ist somit der Versuch einer Informalisierung und Funktionalisierung sozialer Konfliktregelung, deren Basis nicht notwendigerweise das formalisierte Strafrecht sein muss (ebd.).

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2. Die gesetzlichen Grundlagen

Die Aufgabe des Strafrechts wird heute utilitaristisch definiert. Das heisst, es soll für den einzelnen wie für die Gemeinschaft möglichst nützlich sein, wobei der massgebliche Gesichtspunkt für die Lösung des Konflikts zwischen individuellem und kollektivem Nutzen das grösste Glück der grössten Zahl von Menschen sein soll (Scheerer 1993, S. 79). Das Strafrecht soll also den Schutz der einzelnen Bürger/Innen sowie der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen gewährleisten.
 

2.1 Auftrag des Schweizerischen Strafgesetzbuches StGB

Anhand der schweizerischen Strafgesetzgebung können die Vollzugsziele und die Philosophie der strafrechtlichen Massnahmen aufgezeigt werden. Bereits im allerersten Artikel des Schweizerischen Strafgesetzbuches heisst es: „Strafbar ist nur, wer eine Tat begeht, die das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht“ (StGB 1996, S. 1). Daraus wird bereits ersichtlich, dass es um Bestrafung geht. „Die Strafe stellt ihrem Wesen nach einen Eingriff in die Rechtsgüter des Verurteilten dar, mit dem dessen tatbestandsmässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten öffentlich missbilligt wird“ (Rehberg 1994, S. 11). Neben dem Aspekt der Bestrafung wird der Aspekt der Besserung der Insassen und der Wiedergutmachung gegenüber den Geschädigten gesetzlich festgehalten. Artikel 37 sagt dazu: „Der Vollzug der Zuchthaus- und Gefängnisstrafen soll erziehend auf den Gefangenen einwirken und ihn auf den Wiedereintritt in das bürgerliche Leben vorbereiten. Er soll zudem darauf hinwirken, dass das Unrecht, das dem Geschädigten zugefüht wurde, wiedergutgemacht wird“ (StGB 1996, S. 8). Rehberg stellt aber fest, dass der Aspekt der „Erziehung“ nicht erfüllt werden kann, wenn man das Wort im eigentlichen Sinne versteht. Er legt es deshalb so aus, dass der Begriff in einem weiteren Sinne verstanden werden muss, so dass der Gedanken der „Ausbildung“ darin Platz hat (Rehberg 1994, S. 37). Es sind demnach die drei Elemente „Strafen“, „Erziehen“ und „Wiedergutmachung“ als staatliche Aufgabe gesetzlich verankert.

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2.1.1  bestehendes Recht / gültiges StGB

Im heute gültigen Schweizerischen Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 sind die Sanktionen durch ein sogenanntes dualistisches oder zweispuriges System gekennzeichnet (Stratenwerth 1989, S. 66ff.). Im Vordergrund stehen die Strafen in der Form von Freiheitsstrafen und Geldbussen. Sie dienen primär der Schuldvergeltung, stellen also eine staatliche Reaktion auf deliktisches Verhalten dar und bemessen sich wesentlich nach der Schwere des jeweiligen Tatverschuldens. Weil sich aber diese schuldgebundenen Strafen gegenüber der Rückfallgefahr als ungenügend erweisen, enthält das Gesetz in Ergänzung dazu als zweite Spur sichernde und bessernde Massnahmen. Diese sind für Täter vorgesehen, bei welchen man deliktische Rückfälle erwartet wie zum Beispiel bei geistig abnormen und alkohol- oder drogenabhängigen Delinquenten. Hier kann das Gericht mittels Behandlung in einer stationären oder ambulanten Therapie oder die Sicherung durch Verwahrung in einer Anstalt versuchen die Rückfallgefahr zu vermindern. Den Gerichten stehen demnach einerseits schuldvergeltende Strafen und andererseits individualpräventiv ausgerichtete Massnahmen zur Verfügung. Bemängelt wird dabei die offensichtliche Sanktionenarmut im Bereich der Kurzstrafen. Dieser Mangel soll durch die anstehende Revision des Schweizerischen Strafgesetzbuches behoben werden.

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2.1.2 Revision des StGB - was ist neu, was fehlt

Die Grundidee dieses Projektes war die Erweiterung der Sanktionen und die Substituierung der kurzen Freiheitsstrafen. Konkret heisst es in der Botschaft des Bundesrates an das Parlament vom 21. September 1998, dass neu ein Tagessatzsystem mit Geldstrafen, Gemeinnützige Arbeit und die Wiedergutmachung als neue Sanktionsformen möglich werden. Beim Tagessatzsystem wird das Verschulden des Täters vom Gericht in Anzahl Tagessätze bestimmt, wobei die Höhe des Tagessatzes sich nach dem durchschnittlichen täglichen Nettoeinkommen richtet. Für die Bemessung der Strafe sollten also die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters berücksichtigt werden. Als maximale Geldstrafe wird im bundesrätlichen Entwurf  die Summe auf  720’000.-- Franken festgesetzt.
Die Sanktion „Gemeinnützige Arbeit“ ist hingegen als Freizeitstrafe konzipiert worden. Sie soll die kurzfristigen Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten möglichst ersetzen und kann, falls vom Verurteilten erwünscht, auch anstelle von Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen angeordnet werden. Im bundesrätlichen Entwurf wird vorgeschlagen, dass ein Tag Haft mit 4 Stunden gemeinnütziger Arbeit abgegolten werden soll. Man fordert vom Verurteilten eine positive Leistung gegenüber der Gesellschaft und kann gleichzeitig an die soziale Verantwortung appellieren.

Bei der Wiedergutmachung kann die Strafbefreiung erfolgen, wenn eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr oder eine Geldstrafe in Frage kommen und der Täter zur Wiedergutmachung bereit ist. Vorstellbar wären materielle Leistungen oder immaterielle Anstrengungen zugunsten des Geschädigten oder aber der Allgemeinheit. Was bei dieser Sanktionsform von Nachteil ist, ist die ungerechte Pivilegierung der Reichen.

Nicht berücksichtigt im Entwurf zur Revision des Schweizerischen Strafgesetzbuches wurden im Ausland bereits bewährte Sanktions- oder Vollzugsformen wie Hausarrest mit elektronischer Kontrolle, Lernstrafen oder der Aussergerichtliche Tatausgleich.

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3. Theorieteil
 

Strafen, Erziehen und Wiedergutmachen sind gemäss dem gültigen Strafgesetzbuch die drei Massnahmen, mit welchen ein Straftäter bei einer Verurteilung zu rechnen hat. Ich möchte nun diese drei gesellschafts- und strafphilosophischen Gedanken anhand von den folgenden Theorieansätzen ausführen.
 

3.1 Der Abolitionismus

Im kriminalsoziologischen Sinne bedeutet der Abolitionismus den Verzicht auf die totale Institution des Gefängnisses bzw. in einem noch umfassenderen und extremeren Sinne die Abschaffung des Strafrechts. Sie würde es ermöglichen, soziale Konflikte ohne repressive Gesetze und Institutionen und ohne die damit verbundenen negativen und nicht intendierten Folgen von Kriminalisierung, Stigmatisierung etc. informell zu regeln (Lamnek 1997, S. 314). Die Abolitionisten sind grundsätzlich der Meinung, dass der Staat nicht das richtige Organ sein kann, um die Art und Weise der Bestrafung festzusetzen. Ihrer Ansicht nach sollten das nähere Umfeld eines Täters oder eines Opfers die Möglichkeit haben, eine geeignete Strafe festzusetzen. Es gilt also die Monopolstellung des Staates in Sachen „Straffestsetzung“ abzuschaffen und neue Lösungen zu suchen, welche flexibler gehandhabt werden und auf spezifische Gegebenheiten Rücksicht nehmen können.

Für die Abschaffung des Strafrechts spricht gemäss Hulsman (1988, S. 123f.), dass es nicht an der Lösung eines Problems orientiert ist, sondern an dem Gesetz, genauer an einem zentralen, zentralistischen Gesetz, das von der Profession und Struktur der Juristen entworfen worden ist. Die Orientierung läuft so, dass die Optik des späteren Gerichts zum Bezugspunkt gemacht wird. Das Opfer und sein sozialer Kontext wird dabei völlig ausser acht gelassen. Deshalb sollten sozialen Konflikte wieder vermehrt durch die Gesellschaft selber geregelt werden. Dazu müsste gemäss Christie (1995, S. 88ff.) ein grosses Wissen der Gesellschaftsmitglieder voneinander vorhanden sein. Dieses Wissen sollte die einseitige abstrakte strafrechtliche Definition von ungewöhnlichem Verhalten verhindern und eine Vielfalt an möglichen Definitionen und Behandlungen ermöglichen. Zudem sollte dieses Wissen zu einer grossen Toleranz gegenüber einzelnen Anders-Handelnden führen. Somit müsste den Bürgern eine weitgehende Autonomie hinsichtlich der Regelung von Konflikten zugestanden werden, welche ihnen ermöglichen soll, die jeweilige Lebenswelt zu berücksichtigen. Voraussetzung hierfür wäre, anstatt einer zentralen Organisation und eines zentralen Rechts, die Vielfalt der gesellschaftlichen Gruppen im Sinne von Stämmen (Smaus 1986, S. 5). Begründet wird diese Forderung damit, dass verschiedene Lebenswelten auch verschiedene Massnahme für eine Konfliktlösung erfordern und dass eine einheitliche Sanktionierung diese Unterschiede nicht berücksichtigen kann. Diese Hervorkehrung der Lebenswelt soll zu einer tendenziellen Befreiung der benachteiligten Klassen führen (Lamnek 1997, S. 336). Dies möchten aber diejenigen verhindern, welche gemäss Smaus (1986, S. 6ff.) die Eigentumsverhältnisse aufrechterhalten, die Mobilität zwischen den verschiedenen Schichten verhindern und Aussenseiter stigmatisieren wollen, damit die anderen sich gegen diese solidarisieren können. Dieses Aufrechterhalten von Klassenunterschieden unterstützt und fördert gleichzeitig den Zustand der Anomie, welcher Merton (1968, S. 292) folgendermassen umschrieben hat: Anomie ist ein Zustand, der durch eine Diskrepanz zwischen kulturell vorgegebenen Zielen und Normen und dem Zugang zu institutionalisierten Mitteln, um diese Ziele zu erreichen, entsteht. Dieses Auseinanderklaffen von Zielen und Mitteln führt zu Desorientierung einzelner Gesellschaftsmitglieder in deren Folge sich bestimmte Anpassungsformen an die Konfliktsituation entwickeln.

Voss (1993, S. 145f.) zeigt dann auch auf, dass bei kriminalisierungsfähig erkannten Schädigungen keineswegs reflexartig eine Strafanzeige erstattet wird, sondern ein Grossteil derartiger Ereignisse aus unterschiedlichen Gründen im „Dunkelfeld“ verbleibt. Dieses sogenannte „Dunkelfeld“ ist gemäss Befragungsbefunde der soziale Raum für die Geschädigten, welcher ihnen bekannt ist und den sie überschauen können und daher über durchaus erfolgreiche Strategien der Konfliktregelung verfügen. Es ist nicht die Regel, dass die Polizei oder Justiz um normativ vorgegebene Strafverfolgungsprogramme oder wegen einem Bestrafungswunsch herbeigerufen wird. Vielmehr werden sie bei akuten Not- oder Überforderungssituationen oder für Beweisdienste gebraucht. Dies könnte gemäss Lamnek (1996, S. 326) darauf zurückgeführt werden, dass das Strafrecht bei Regelung von Konflikten die vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten eher zerstört, als die alte Ordnung wieder herstellt. Wie weiter unten noch ausgeführt werden soll, kommen bei einem konventionellen Gerichtsverfahren dann auch Täter und Opfer nur während der Gerichtsverhandlung in Kontakt, wobei jeder nur seine Aussage machen kann und keine Möglichkeit besteht in einem Gespräch die Motive, Gefühle und weitere relevante Angaben zu machen, die vielleicht zu ein gegenseitigen Verständnis führen könnten.

Stehr (1993, S. 116) fasst diese Punkte in seinen drei Thesen zusammen:

  • Konfliktbearbeitungen sind auf höchst pragmatische Ziele ausgerichtet und das Interesse an Schadensgutmachung und Konfliktbegrenzung überwiegt. Die Polizei wird dafür instrumentalisiert und sie wird nicht mobilisiert, um Kontrahenten strafrechtlich verurteilt zu sehen.

  • Die Strafe als staatliche Sanktion ist keine geeignete Ressource, um soziale Ehre wiederherzustellen und Störungen in Beziehungen aufzuheben.

  • „Desinteressierte“ Dritte, welche durch Interventionen Teil einer Problemsituation geworden sind, verfolgen „nur“ pragmatisch-instrumentelle Ziele und versuchen nicht die Moral darzustellen oder durchzusetzen.

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3.2 Der Symbolische Interaktionismus

Die Theorie des Symbolischen Interaktionismusses geht davon aus, dass Handeln aufgrund allgemein anerkannter Symbole, welche für beide Partner den gleichen Bedeutungsgehalt haben, der aber nicht durch gleichförmige Reaktionen, sondern durch Erwartung das eigene Verhalten bezogenen Antwortverhaltens des Interaktionspartners definiert ist (Fuchs-Heinritz et al. 1994, S. 308f.). Innerhalb des Symbolischen Interaktionismusses gibt es verschiedene Richtungen, welche von Meltzer, Petras und Reynolds folgendermassen unterschieden wurden: die Chicago-Schule um Herbert Blumer, die Iowa-Schule um Manford H. Kuhn, den Ansatz von Erving Goffman sowie die Ethnomethodologie, welche massgeblich von Harold Garfinkel begründet wurde. In dieser Seminararbeit werde ich insofern auf Herbert Blumer eingehen, um die wichtigsten Punkte der Theorie zu erläutern. Arnold M. Rose wird zusätzlich angeführt, da er als Vertreter einer spezielleren Ausprägung gilt und sich im Zusammenhang mit dem Seminararbeitsthema gut eignet. Auf Erving Goffman werde ich in einem separaten Kapitel eingehen, wenn es darum geht, Verhalten innerhalb von totalen Institutionen zu erläutern und zu erklären. Ich werde mich daher ausschliesslich an sein Buch „Asyle“ halten, in welchem er die soziale Situation in totalen Institutionen beschreibt.

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3.2.1 Herbert Blumer und Arnold M. Rose

Herbert Blumer hat den Begriff „Symbolischer Interaktionismus“ für den Zugang zu Studien von Gruppenleben und menschlichem Verhalten als Kennzeichen entwickelt (1969, S. 1).
 Menschliches Handeln wird bestimmt durch die Bedeutung, die die jeweiligen Gegenstände, Personen, Einrichtungen, Normen oder Situationen für einen Menschen haben (Bockwoldt 1982, S. 129). Dabei haben die Kategorien „Bedeutungszuschreibung“ und „soziales Handeln“ gegebenermassen einen zentralen Stellenwert. Der Mensch antwortet durch Handeln bzw. durch Verhalten auf die Umwelt, welche er sich zuvor durch „Definitionen“ erschlossen hat (ebd.). Die Definitionen sind dabei nicht starr und können je nach Erlebtem sich ändern und angepasst werden. Dies geschieht parallel zu den sozialen Handlungsprozessen.

Blumer formuliert die drei wichtigsten Voraussetzungen ähnlich:

  • Die Menschen handeln „Objekten“ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutung, die diese Objekte für sie besitzen.

  • Unter Objekten kann man dabei alles, was von Menschen erfasst werden kann, verstehen; so zum Beispiel physische Gegenstände, soziale Objekte, abstrakte Objekte, moralische Prinzipien usw.

  • Die Bedeutung, die solche Objekte für jemanden haben, entsteht aus der sozialen Interaktion, die der Betreffende mit seinen Mitmenschen eingeht.

  • Die Bedeutungen werden in einem interpretativen Prozess gehandhabt und abgeändert. (Bockwoldt 1982, S. 135)

Wie aus diesen drei Prämissen hervorgeht, steht für Blumer und die Vertreter der Chicagoer Schule der Mensch einer Welt gegenüber, die er interpretieren muss, wenn er handeln will und nicht einer Umgebung, auf die er aufgrund seiner Disposition lediglich reagiert (Bockwoldt 1982, S. 136).

Ausführlicher zeigt ein Vertreter der spezielleren Ausprägung des Symbolischen Interaktionismusses in seinen drei Prämissen die Grundgedanken der Theorie: Für Rose (1962, S. 5ff.) stellen die folgenden Annahmen die zentralen Aspekte des Symbolischen Interaktionismusses dar:

  • Der Mensch lebt sowohl in einer symbolischen wie auch natürlichen Umwelt und kann mit seinem Handeln auf Symbole oder physische Reize reagieren (Rose 1962, S. 5). Rose definiert „Symbol“ als ein Reiz, der für den Menschen eine erlernte Wertbedeutung hat und primär Leitlinie für menschliche Reaktionen sei.

  • Durch Symbole hat der Mensch die Möglichkeit sowohl bei sich, wie auch bei den anderen Reize auszulösen (Rose 1962, S. 7). Die menschliche Kommunikation kann somit als beabsichtigte Hervorrufung von Meinungen und Wertvorstellungen vereinfacht dargestellt werden. Nach Mead könnte dies spontan oder durch die sogenannte „Rollenübernahme“ geschehen, das heisst durch den Prozess der Antizipation der Reaktionen des anderen (Bockwoldt 1982, S. 130).

  • Durch die Kommunikation von Symbolen kann der Mensch eine grosse Anzahl von Meinungen und Wertvorstellungen und daraus folgenden Verhaltensweisen anderer lernen (Bockwoldt 1982, S. 131).

Die Möglichkeit Verhaltens- und Handlungsabläufe zu lernen, wie dies Erving Goffman in seinem Buch über totale Institutionen aufgezeigt hat, hat zur Folge, dass im Gefängnis ein Zwang besteht, diejenigen Abläufe zu erlernen, welche es dem Gefängnispersonal möglich machen soll, mit dem geringsten Aufwand die grösstmögliche Zahl an Insassen unter Kontrolle zu haben. „Jede Organisation impliziert eine Disziplin des Handelns“ (Steinert 1973, S. 103). Für die Insassen ist dieses unfreiwillige Lernen eines dem Gefängnisalltag angepassten Verhaltens kein anzustrebendes Ziel, da ihnen im zivilen Leben diese Verhaltensabläufe  wenig nützen.

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3.2.2 Die Position von Erving Goffman

Goffman beschäftigt sich mit der Tatsache, dass die erwartete Aktivität in einer Organisation eine bestimmte Vorstellung von dem Handelnden impliziert und dass eine Organisation daher als eine Einrichtung gesehen werden kann, in der Annahmen über Identitäten geschaffen werden. Mit dem Überschreiten der Schwelle des Etablissements übernimmt man die Verpflichtung, sich auf die Situation einzustellen, in ihr gebührend orientiert und ihr verbunden zu sein. Indem man an den Aktivitäten der Einrichtung teilnimmt, ist man verpflichtet, an der jeweiligen Aktivität auch entsprechend engagiert zu sein. Durch diese Orientierung und den Aufwand an Mühe und Aufmerksamkeit legt man seine Einstellung zu der Einrichtung und der von ihr implizierten Auffassung der eigenen Person fest. Eine bestimmte Aktivität im vorgeschriebenen Geist auszuführen heisst zu akzeptieren, dass man eine bestimmte Art Mensch ist, der in einer bestimmten Art von Welt lebt. (Steinert 1973, S.101).

Falls sich nun eine Person unfreiwillig in einer Institution befindet, kann er die ihm vorgeschriebenen Aktivitäten versuchen zu vermeiden oder aber sie auf eine andere als die vorgegebene Weise oder mit anderen Zielen ausführen. Dabei wird er sich vom offiziellen Selbst und der Welt zurückziehen, welche ihm offiziell zur Verfügung steht. Dieses Verhalten nennt Goffman „sekundäre Anpassung“. Sekundäre Anpassungen sind somit Verhaltensarten, mit welchen sich der Insasse von der Rolle und dem Selbst löst, die in der Institution für ihn selbstverständlich sind. Er handelt und verhält sich dem Schein nach angepasst, hat aber in Wirklichkeit andere Pläne und Vorstellungen. Goffman erklärt sich dieses Verhalten als Ausweg für das vorgeschriebene Verhalten denn wie er weiter meint (ebd.): „Aktivität vorschreiben heisst eine Welt vorschreiben; eine Vorschrift zu umgehen kann bedeuten, eine Identität zu umgehen.“

Die sekundäre Anpassung kann anhand von Privilegiensystemen und den Demütigungsprozessen erklärt werden, welche gemäss Goffman jeder totalen Institution eigen ist. Goffman versteht unter dem Begriff der totalen Institution „eine Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen“ (1973, S. 11). Um dieses reglementierte Leben und Arbeiten in einer kleinen abgeschlossen Welt zu organisieren, braucht es ein System, welches Belohnungen und Bestrafungen je nach Bedarf bereitstellt. Dieses Privilegiensystem wird von Goffman (1973, S. 54ff.) in drei grundlegende Elemente aufgeteilt: Erstens die Hausordnung, welche Vorschriften und Verordnungen enthält, an die sich der Insasse zu halten hat. Um dieser Nachachtung zu verschaffen, können dem Insasse im Aufnahmeprozedere die persönliche Hilfsmittel weggenommen werden. Zweitens führt Goffman die kleine Anzahl von klar definierten Belohnungen oder Privilegien auf, welche als Gegenleistung für den Gehorsam gegenüber dem Stab als Mittel zur Verfügung stehen. Als drittes Element wird die Strafe aufgeführt, welche als Folge von Regel-Übertretungen vorgesehen ist. Typisch für ein Privilegiensystem ist, dass Strafen und Privilegien selbst Organisationsmodi in totalen Institutionen sind. Dieses Konditionierungsmodell des Verhaltens wird normalerweise nicht auf Erwachsene angewendet. Zudem sind Fragen bezüglich der Entlassung in das Privilegiensystem eingebaut und es besteht zusätzlich eine Koppelung von Strafen und Privilegien mit dem Arbeitsbereich der Institution.

Das Privilegiensystem, wie es im oberen Abschnitt beschrieben wurde, ist Bestandteil des Demütigungsprozesses, welcher ebenfalls als typisches Merkmal von totalen Institution angesehen werden kann. Im Gefängnis sind gewissen Demütigungen einzig und hauptsächlich um der Demütigung willen vorgesehen. Sie bezwecken eine Form der Rationalisierung, welche dazu dienen soll, den Tagesablauf von einer grossen Zahl von Insassen auf beschränktem Raum mit möglichst geringem Aufwand an Mitteln, sprich Personal, zu überwachen. Sie unterbinden und entwerten diejenigen Handlungen, welche ausserhalb der Anstalt die Funktion haben, dem Handelnden und seiner Umgebung zu bestätigen, dass er ein Mensch mit Selbstbestimmung, Autonomie und Handlungsfreiheit eines Erwachsenen ist (Goffman 1973, S. 49f.)

Wie bereits ausgeführt, ist Verhalten abhängig von gemachten Erfahrungen und wird dementsprechend beeinflusst, geändert und angepasst. Es ist demzufolge möglich, dass Verhalten eingeübt werden kann. Dies geschieht auch in totalen Institutionen. Goffman (1973, S. 65ff.) hat die verschiedenen Anpassungsformen folgendermassen beschrieben:

  • Strategie des Rückzugs aus der Situation: Bei dieser Art der Anpassung verliert der Insasse jegliches Interesse an seiner Umgebung und er unterlässt es gänzlich, sich an Interaktionsprozessen zu beteiligen. Dieser Anpassungsprozess wird als irreversibel eingestuft, da es vom Insassen eine grosse Anstrengung bedeutet seinen Status zu ändern und die Mittel dazu beschränkt sind.

  • Kompromissloser Standpunkt: Der Insasse verweigert offenkundig die Zusammenarbeit mit dem Anstaltspersonal. Verbunden mit einer hohen individuellen Moral, erfordert diese Anpassungsform eine dauernde Orientierung an der formalen Organisation und das heisst, ein starkes Interesse für die Anstalt. Diese Nicht-Anpassungsform des Insassen lässt das Interesse des Personals an dieser Person ebenfalls steigern und führt dazu, den Willen des Insasses brechen zu wollen. Der kompromisslose Standpunkt gilt als temporäre Anpassungsform und normalerweise sucht der Insasse später eine andere Form der Anpassung.

  • Kolonisierung: Die normale Spannung zwischen der Aussenwelt und der Welt innerhalb der Anstalt verringert sich, indem der Insasse eine möglichst stabile, relativ zufriedene Existenz innerhalb der Anstalt aufbaut. Dies kann dazu führen, dass das Motivationsschema ausser Kraft gesetzt wird. Der Insasse hat gar kein Interesse mehr, die Anstalt zu verlassen und er wird alles daran setzten, seine Entlassung hinauszuzögern.

  • Konversion: Der Insasse versucht die Rolle zu spielen, welche er glaubt anhand der Beurteilung seiner Person durch das Fachpersonal spielen zu müssen. Er verinnerlicht die Rolle des perfekten Insassen. Diese beinhaltet eine disziplinierte, moralistische und monochrome Haltung. Das Anstaltspersonal kann jederzeit auf die Unterstützung und Begeisterung der Insassen mit diesem Anpassungsverhalten zählen.

  • Ruhig-Blut-Bewahren: Der Insasse weicht allen möglichen Konflikten aus, um so die Wahrscheinlichkeit physischer und psychischer Schäden zu minimieren. Dabei wird er eine opportunistische Kombination aller vorher beschriebenen Anpassungsformen anwenden.

Den Verhaltensformen in Anstalten, welche Goffman beschrieben hat, die sich alle schwerpunktsmässig nach den Verhältnisse innerhalb einer totalen Institution richten, eignen sich wenig oder gar nicht für das Leben nach dem Strafvollzug. Aufgrund dessen möchten ich neuere Interventionsformen, welche sich speziell mit Verhalten im zivilen Leben auseinandersetzen, dem Freiheitsentzug entgegensetzen. Dies sind zwei Sanktionsformen, die sich als Alternativstrafen zum Freiheitsentzug verstehen und den Schwerpunkt auf das Verhalten bzw. die Verhaltensänderung ausserhalb einer totalen Institution setzen. In der Schweiz laufen dazu zur Zeit Modellversuche, um erste Erfahrungen zu sammeln.

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3.3 Electronic Monitoring (EM)

Für zuverlässige und gut integrierte und strukturierte Personen hat man am 1. September 1999 in sechs verschiedenen Kantonen den Modellversuch „Electronic Monitoring“, welcher drei Jahre dauern soll, gestartet.  Daran dürfen nur Personen teilnehmen, welche zu einer Kurzstrafe verurteilt wurden oder bei längeren Strafen am Ende der Halbfreiheit stehen. Die ausgewählten Personen müssen eine Wohnung, Arbeit und einen eigenen Telefonanschluss besitzen. Zusätzlich haben sie sich an den Vollzugs- und Telefonkosten zu beteiligen. Eine Zustimmung der Partner oder der Familie gilt ebenfalls zu den Voraussetzungen, welche erfüllt werden müssen.

Die Überwachung mittels eines Senders, welcher am Gelenk des Klienten festgemacht wird, erfolgt durch eine private Überwachungsfirma, die den Zeitplan der Klienten kontrolliert. Falls dieser nicht eingehalten wird, wird eine Meldung ausgelöst, welche an die Vollzugsstelle weitergeleitet wird.
Die wichtigste Disziplinierungsmassnahme beim elektronisch überwachten Strafvollzug ist die Einhaltung eines Zeitplans. Die Pünktlichkeit, welche auch innerhalb einer totalen Institution eine sehr grosse Wichtigkeit spielt, wird also nach Ausserhalb transportiert. Dies stellt hohe Anforderungen an die Betroffenen in bezug auf die Planung. Obwohl sie sich in Freiheit befinden, ist jedes spontane Verhalten ausserhalb des Zeitplans untersagt, was sehr viel Disziplin und Wille erfordert. Die Zuverlässigkeit, welche mit dieser Disziplinarmassnahme geübt wird, soll
 dem Betroffenen auch für das Leben nach dem Strafvollzug nützlich sein. Der grosse Vorteile dieses Strafvollzuges ist für die Betroffenen, dass sie nicht aus ihrem sozialen Umfeld gerissen werden. Die Folgen für die Gesellschaft sind indes ebenfalls zu berücksichtigen, da durch diese Massnahmen die Grenzen der sozialen Kontrolle immer mehr verwischt werden. Taylor (1999, S. 199) zitiert Cohen folgendermassen:

Whether prisons were built in the middle of cities, out in the remote countryside or on deserted islands, they had clear spatial boundaries which were reinforces by ceremonies of social exclusion, such as the criminal trial. Those outside could wonder about what went on behind the walls; those inside could think about the outside world. Inside/outside, guilty/innocent, voluntary/coercive, formal/informal - these distinctions more or less made sense.

Ebenfalls um Verhalten und Verhaltensänderungen geht es im folgenden Kapitel, in welchem ich die neue Sanktionsmassnahme in Form von „Lernprogrammen“ ausführen möchte.

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3.4 Lernprogramme

Bereits im Jahre 1956 wurde von Sutherland (1968, S. 396) die Behauptung aufgestellt, dass kriminelles Verhalten gelerntes Verhalten ist oder anders formuliert, dass kriminelles Verhalten nicht vererbt wird. Kriminelles Verhalten wird nach Sutherland in Interaktion mit anderen Personen in einem Kommunikationsprozess gelernt. Wenn dies so ist, kann auch ein deliktfreies Verhalten erlernt werden. Dies wird seit kurzen im Bewährungs- und Vollzugsdienst des Kantons Zürich in Form eines Modellversuches erprobt. Mit kognitiv-verhaltenso-rientierten Lernprogrammen, welche die Soziale Lerntheorie von Bandura, der Kognitiven Verhaltenstherapie von Beck und Ellis und der Theorie der Moralentwicklung von Kohlberg beinhalten, möchten Einstellungs- und Verhaltensänderungen bezweckt werden. Dabei wird angenommen, dass bei Personen mit einer längerdauernden kriminellen Laufbahn das soziale Netz häufig abgebaut oder inexistent ist. Freunde und Familien haben sich von ihnen distanziert oder sie selber haben die Kontakte abgebrochen. Zum persönlichen Umfeld gehören oft Menschen mit ähnlichen Schicksalen. Einhergehend mit dieser Entwicklung wurden auch soziale Fertigkeiten verlernt. Das Regeln von Geldangelegenheiten, Beziehungen und Freizeit wird vernachlässigt und die Fähigkeiten, sich darum zu kümmern, nehmen langsam ab. Die häufige Arbeitslosigkeit und damit die fehlende Tagesstruktur bei Straffälligen fördern die Delinquenz. Je später der Ausstieg aus dieser Karriere erfolgt, um so schwieriger wird ein Neueinstieg ins „bürgerliche Leben“. Integrationsbemühungen, welche sich „nur“ auf Sachhilfe, Wohnungs- und Arbeitssuche beschränken, reichen nicht aus, weil den Straffälligen die Ressourcen fehlen, diese Güter auch bewahren zu können. Lernprogramme in soziale Fertigkeiten befähigen die Straffälligen, wieder Verantwortung zu übernehmen, um auch in schwierigen Zeiten nicht delinquieren zu müssen (Modellversuch, 1999, S. 4).

Straffällig gewordene Menschen, welche Defizite in sozialen Fertigkeiten im Bereich soziale Beziehungen und Freizeitgestaltung haben, sollen an spezifischen Programmen teilnehmen müssen. Angeboten werden aber auch weitere Programme für Personen mit einem der folgenden Problemen: Alkohol, illegalen Drogen, im Umgang mit Gewalt, im Umgang mit Gewalt im familiären Nahraum und Eigentumsdelikte. Voraussetzung für die Teilnahme an den Programmen ist die Bereitschaft sich mit dem Delikt auseinanderzusetzen. Es gilt dann neue Verhaltensmuster zu lernen, wobei zuerst alte Verhaltensschemen bewusst gemacht und die persönlichen Ressourcen und Defizite offengelegt werden müssen. Dabei soll jeder Teilnehmer lernen persönliche Risikosituationen abzuschätzen, Handlungen bewusst vorbereiten und planen zu lernen, mögliche Folgen einer Handlung durchzudenken, Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen. Dies soll alles anhand von konkreten Beispielen eingeübt werden. Schwerpunktthemen bei allen Programmen sind „Arbeit“, „Geld“, „Freizeit“ und „Beziehungen“.

Bis heute wurden in den Massnahmen vor allem die mit der Straftat in Zusammenhang stehenden psychischen Probleme bearbeitet, das heisst sozialpädagogische, psychiatrische und psychologische Verfahren angewendet. Das Delikt selber war jedoch selten Gegenstand der Auseinandersetzung. Die Deliktorientierung sollte zu einem grösseren Lernerfolg führen und als Folge davon die Rückfallgefahr vermindern.

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3.5 Aussergerichtlicher Tatausgleich

Beim sogenannten aussergerichtlichen Tatausgleich, auch Mediation im Strafrecht oder Täter-Opfer-Ausgleich genannt, wird der Schwerpunkt auf das Bedürfnis der Wiedergutmachung gelegt. Die Maxime lautet: „Wiedergutmachung statt Strafe“. Ziel der Schlichtung soll es sein, eine Wiedergutmachung zu erreichen, sei es in Form einer Entschuldigung, von Schmerzensgeld oder Schadenersatz. Dabei hat die informelle Konfliktlösung den Vorteil, dass sie weit flexibler, konfliktnäher und kreativer gestaltet werden kann als dies die geltende Rechtsgrundlage ermöglicht. Es wird versucht mit Hilfe eines Vermittlers eine Straftat aussergerichtlich zu bewältigen, indem das Delikt sozusagen wieder privatisiert wird. Dem persönlichen Kontakt unter Aufsicht eines Vermittlers wird eine heilende Wirkung zugetraut. Die Mediation soll in der Lage sein, Furcht und Vorurteile des Opfers abzubauen und das Interesse an den Ursachen der eigenen Opferwerdung („warum ich?“) zu befriedigen (Sessar 1992, S. 79). Täter und Opfer erhalten dabei die Gelegenheit, das Geschehene ausführlich zu besprechen. Vorteilhaft wirkt sich dabei die Massnahme aus, dass das Opfer nicht als Zeuge vor das Gericht tritt, sondern als Betroffener dem Täter gegenüber auftreten und dadurch der emotionale Aspekt berücksichtigt werden kann. Somit kann eine gegenseitige Einsicht in die Denkweise des anderen stattfinden. Gerade bei Straftaten, welche innerhalb einer Familie oder im Bekanntenkreis verübt werden, ist diese gegenseitige Einsicht in die Denkweise des anderen wichtig und erleichtert ein eventuelles weiteres Zusammenleben.Voraussetzung für einen aussergerichtlichen Tatausgleich ist die Übernahme der Verantwortung für das Geschehene durch den Täter und die Bereitschaft sich mit der Tat und mit dem Opfer auseinanderzusetzen. Dabei hat der Täter zugleich die Möglichkeit einen Teil seiner „Schuld“ abtragen zu können und lernt gleichzeitig nicht-kriminelle Konfliktlösungsstrategien.
Neu daran ist, dass der Staat nicht mehr davon ausgeht, dass mit der strafrechtlichen Ahndung eines Deliktes die Bedürfnisse des Opfers automatisch mitgeregelt werden (Lamnek 1997, S. 365). Aus der selben Idee heraus, wurde in der Schweiz das Opferhilfegesetz im Jahre 1993 in Kraft gesetzt, welches seitens des Staates als Zeichen für die Nichterfüllung der Aufgaben, nämlich die Bürger und Bürgerinnen zu schützen, gewertet werden kann.

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4. Fragestellung / Hypothesen
 

Der Gesetzesauftrag, niedergeschrieben im Schweizerischen Strafgesetzbuch, ist klar. Strafen, Erziehen und Wiedergutmachung sind die eigentlichen Ziele des Staates. Ich möchte diese drei Aspekte und die Möglichkeiten des Gefängnisses, welches ihm für die Lösung dieser Aufgaben zu Verfügung stehen, in Zusammenhang stellen.

4.1 Der Aspekt des Strafens

Strafen als zentralen Aspekt in der Strafgesetzgebung, wie es das Wort schon aussagt, wird heute immer noch vorwiegend mit Freiheitsentzug in Zusammenhang gestellt. Wie sieht es nun aber mit anderen Strafformen aus? Welche Sanktionsformen, ausser dem Freiheitsentzug, sind sinnvoll? Und muss überhaupt Strafe sein?

Anbetracht dieser Fragen möchte ich folgende Hypothese aufstellen: Je weniger der einzelne Aspekt des Strafens im Vordergrund steht, desto eher kann eine Einsicht des Täters bezüglich seines deliktischen Verhaltens und die daraus folgenden Sanktionen erwartet werden.

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4.2 Der Aspekt der Erziehung

Erziehung als eine weitere vom Strafgesetzbuch festgelegte Aufgabe bedarf schon mehr Argumente, um einen Freiheitsentzug zu legitimieren. Es stellt sich die Frage, ob die Strafanstalten in der heutigen Form diese Bedingungen erfüllen können. Unter Berücksichtigung der heutigen Situation, welche sich in einem enormen Spardruck bemerkbar macht und dadurch einen akuten Personalmangel in den Gefängnissen zur Folge hat, ist die Erziehung der Insassen nebensächlich geworden. Oft muss eine einzige Person eine Gruppe von Häftlingen beaufsichtigen. Erziehung findet nur insofern statt, dass ein möglichst reibungsloser Ablauf eines Gefängnistages gewährleistet werden kann.

Ich möchte daher folgende Hypothese aufstellen: Je grösser der Spardruck auf die Gefängnisse ist und um so mehr Insassen dadurch aufgenommen werden, desto grösser ist die sekundäre Anpassung der Insassen und um so geringer wird der Aspekt der eigentlichen im Strafgesetzbuch vorgesehen Erziehung. Daher stellt sich folgende Frage: Welche Alternativsanktionen gibt es, um die Frage der Erziehung zu erfüllen?

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4.3 Der Aspekt der Wiedergutmachung

Wie sieht es nun mit der Beziehung zwischen Wiedergutmachung und der totalen Institution Gefängnis aus? Ist es überhaupt Sache des Gefängnisses die Frage der Wiedergutmachung anzugehen. Ich denke kaum. Einem Opfer kann nicht geholfen werden, wenn der Täter in eine totale Institution eingewiesen wird. Vielleicht gibt es ihm eine gewisse Genugtuung, aber dadurch wird der Konflikt, welcher zur Tat führte nicht behoben. Wie könnten Lösungen zu diesem Problem aussehen. Wie stellt man es an, dass eine Art Täter-Opfer-Ausgleich stattfindet? Es ergibt sich daraus die dritte und letzte Hypothese: Je länger eine Tat zurückliegt, desto schwieriger wird es einen Konsens zwischen dem Täter und dem Opfer herzustellen. Die Zeitspanne in einem Gefängnis müsste sich daher negativ auf eine Mediation im Strafrecht auswirken.

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5. Ergebnisse
 

Strafen als primäres Ziel vom Strafgesetzbuch und dies ist allgemein bekannt, kann nicht die Lösung sein, um Kriminalität zu bekämpfen. Trotzdem wird der Freiheitsentzug in Form einer Einweisung in das Gefängnis nach wie vor als Inbegriff von Strafen angesehen. Die Abschaffung der totalen Institution Gefängnis oder gar des Strafrechts hingegen, wie es die Abolitionisten fordern, scheint mir fraglich. Die Thematik bezüglich Gemeingefährlichkeit von Straftätern lassen diese Lösung nicht zu. Trotzdem sind die diesbezüglichen Diskussionen wichtig, da im Bereich von Bagatellkriminalität neue Alternativstrafen, welche den Aspekt des Bestrafens nicht mehr als zentralen Punkt betrachten, zur Sprache kommen. Hierin sehe ich den grossen Verdienst der Abolitionisten. Scheerer sieht denn ebenfalls als Aufgabe des Abolitionismuses, die verschiedensten Feldern gebräuchlichen Formen von Konfliktverarbeitung und Streitschlichtung als sinnvolle Alternativen einzubeziehen (Scheerer 1984, S. 104ff).

Meiner Ansicht nach ist es wenig sinnvoll, wenn Kurzstrafen in Gefängnissen absolviert werden, da die unzähligen Nachteile in keinem Verhältnis zum allfälligen Zweck, nämlich der Bestrafung, stehen. Jemanden für eine kurze Zeitdauer aus dem sozialen Umfeld herauszureissen, könnte einen Stellen- und / oder Wohnungsverlust zur Folge haben, welcher nur mit grossem Aufwand nach der Entlassung wieder behoben werden kann. Zudem besteht die Gefahr der Stigmatisierung, die in keinem Verhältnis zur Tat steht. Es ist daher verständlich, dass dem Betroffenen die Einsicht schwer fällt, wenn er aufgrund eines Bagatelldeliktes in eine totale Institution eingewiesen wird. Zudem wird die Tat nur bei der Gerichtsverhandlung zur Sprache kommen und eine Auseinandersetzung mit seinem deliktischen Verhalten findet offiziell nicht statt. Eine Alternativstrafe, wie zum Beispiel in Form von Lernprogrammen, hat den Vorteil, dass sie sich direkt mit dem Delikt auseinandersetzt und dadurch den „Sinn“ der Bestrafung dem Betroffenen eher einsichtig wird. Diese allfällige Einsicht hat den Vorteil, dass eine weitere Straftat eher verhindert werden kann, als bei einer herkömmlichen Bestrafung mittels eines Freiheitsentzuges.

Ein weiterer Nachteil des Freiheitsentzuges ist die Nichterfüllung des vom Strafgesetzbuch verlangten Erziehung. Wie Erving Goffman in „Asyle“ ausgeführt hat, findet in einer totalen Institution eine sekundäre Anpassung statt, welche einzig bezwecken will, die Zeit des Gefängnisaufenthaltes möglichst gut zu überstehen. Eine wirkliche Erziehung findet demnach nicht statt, da das Verhalten nicht im eigentlichen Sinne geändert, sondern nur vorübergehend den speziellen Umständen angepasst wird. Dies verhindern auch die Strukturen einer totalen Institution. Die Sparmassnahmen, welche auch im Bereich des Strafvollzuges spürbar sind, lassen eine individuelle Betreuung der Insassen nicht mehr zu. Ein Gruppe wird immer öfter von einer einzigen Person beaufsichtigt, was die Tendenz einer sekundären Anpassung verstärkt. Dadurch kann eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Verhalten, welche auch als Voraussetzung einer Erziehung angesehen werden kann, nicht stattfinden. Die Erziehung innerhalb des Gefängnisses kann deshalb nur als Anpassung an die Situation gelten, dass heisst einen möglichst reibungslosen Tagesablauf zu garantieren. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass der Insasse keinen Grund sieht, sein Verhalten nach der Entlassung von demjenigen vor dem Freiheitsentzug grundsätzlich zu ändern. Es wäre daher sinnvoller, eine Verhaltensänderung für das Leben nach dem Strafvollzug zu erlernen, als ein Verhalten, welches nur innerhalb einer totalen Institution nützlich ist. Denn in einem künstlichen Raum werden Abläufe, Regeln und Verhalten gelernt, die jegliches eigenständiges Handeln und jegliche Reflexion unterdrücken. Es besteht kein annäherndes Gleichgewicht zwischen den Zielen der totalen Institution und den Zielen der Insassen. Daher kann man davon ausgehen, dass je näher das erlernte Verhalten am Alltagsleben orientiert ist, desto einfacher die Sozialisierung bzw. Resozialisierung ist. Und genau hier hacken wiederum die Lernprogramme ein. Verhaltensformen werden gedanklich durchgegangen und später in der Praxis geübt. Es wird gelernt die persönlichen Risikosituationen abzuschätzen, Handlungen bewusst vorzubereiten und zu planen, mögliche Folgen einer Handlung durchzudenken und Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen. Dies scheint mir der eigentliche Sinn der „Erziehung“ zu sein, welche im Strafgesetzbuch gefordert wird.

Die Wiedergutmachung als dritter Aspekt kann mit einem Freiheitsentzug überhaupt nicht in Einklang gebracht werden. Zudem sind die gesetzlichen Voraussetzung in der Schweiz noch nicht geschaffen worden, um einen „Täter-Opfer-Ausgleich“ durchzuführen, welche als Alternative zu den gerichtlichen Abläufen angesehen werden kann. Während eines Gefängnisaufenthaltes können Täter und Opfer nicht in Kontakt treten. Dies wäre aber die grundsätzliche Voraussetzung, damit die beiden Parteien sich mit einer begangenen Tat und deren Gründe auseinandersetzen könnten. Der Gefängnisaufenthalt hat aber wie bereits im vorangehenden Abschnitt den negativen Aspekt, dass eine Verarbeitung des Verhaltens, welches zu einer Straftat geführt hat, nicht stattfindet. Die Dauer des Gefängnisaufenthaltes wirkt sich insofern negativ aus, dass die Emotionen und Beweggründe vergessen gehen. Es wird daher immer unwahrscheinlicher, dass eine Lösung gefunden werden kann, welche sowohl für das Opfer als auch dem Täter gerecht werden kann.

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6. Zusammenfassung
 

In meiner Seminararbeit habe ich versucht, die totale Institution Gefängnis mit dem Gesetzesauftrag in Zusammenhang zu bringen und das Lösungsvermögen der ersteren für die Aufgaben des letzteren zu untersuchen. Das Schweizerische Strafgesetzbuch führt drei Aspekte auf, welche bei einer Verurteilung berücksichtigt werden müssen: Strafen, Erziehen und Wiedergutmachung. Es galt festzustellen, ob sich die Form des Freiheitsentzuges dazu eignet. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass nur der Aspekt des Strafens von einer totalen Institution, wie das Gefängnis eine ist, erfüllt werden kann. Heute noch ist die Beraubung der Freiheit, welche in der Gesellschaft als höchstes Gut gilt, die Strafe par excellence (Foucault, 1994, S. 296). Es stellt sich sodann die Frage, ob Strafe überhaupt sein muss. Der Abolitionismus, welcher sich für eine Abschaffung der totalen Institution Gefängnis oder gar des ganzen Strafrechtes einsetzt, gibt aber keine realistische Anwort, wie dies konkret aussehen sollte. Hingegen ist es ein Verdienst der Abolitionisten, dass die Diskussion um Alternativstrafen nicht abbricht. Gerade in bezug auf die zwei weiteren Punkte, die Erziehung und die Wiedergutmachung, welche ebenfalls vom Strafgesetzbuch gefordert werden, sind diese neuen Sanktionsformen von grösster Wichtigkeit, da das Gefängnis diese nicht erfüllen kann.

Goffman hat zum Aspekt der Erziehung in totalen Institutionen festgestellt, dass anstelle einer Verhaltensänderung nur eine sekundäre Anpassung erfolgt. Die Insassen ändern ihr Verhalten nicht aus Einsicht, sondern nur um den Gefängnisaufenthalt möglichst gut zu überstehen. Von den Gefängnisangestellten wird nur insofern eine Verhaltensänderung gefordert, dass ein reibungsloser Ablauf des Gefängnisalltages gewährleistet ist. Dies ist um so wichtiger, als der Spardruck immer weiter zunimmt und dadurch ein Mangel an Personal verursacht wird. Um diesen Mangel an Angestellten zu kompensieren ohne den Sicherheitsfaktor zu vernachlässigen, braucht es von den Insassen immer mehr Anpassungswille, vor allem in organisatorischen Belangen. Diese Art von „Erziehung“ nützt dem Insassen aber wenig, da sie weder helfen, die Gründe für eine Begehung einer Straftat zu suchen und vielleicht zu finden, noch sich für eine Anwendung nach der Strafentlassung eignen.

Der dritte Aspekt, derjenige der Wiedergutmachung, kann der Freiheitsentzug ebenfalls nicht erfüllen und steht ihm eigentlich diametral gegenüber. Ausser vielleicht einer gewissen Genugtuung kann dem Opfer durch die Einweisung des Täters in eine totale Institution nicht geholfen werden. Nicht gelöst wird hingegen der Konflikt, welcher zur Ausübung einer Tat geführt hat. Gerade für Verbrechen im familiären Bereich wäre eine Darlegung der Motive und Gefühle wichtig, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Damit dies aber möglich ist, darf die Zeitspanne zwischen der Tat und der Wiedergutmachung nicht zu lang sein. Der Täter gerät sonst in Versuchung, sich eine eigene Darstellung des Tathergangs zu konstruieren, welche sich mit zunehmender Zeitdauer in seinem Erinnerungsvermögen festigen kann.

Es bleibt daher die Strafe als einzigen Aspekt der drei im Strafgesetzbuch geforderten Aufgaben, welcher das Gefängnis erfüllen kann. Nicht behandelt wurden die Frage, wie es mit gemeingefährlichen Tätern aussieht, welche aus Sicherheitsgründen eingesperrt werden. Dies war aber nicht Thema dieser Seminararbeit.

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Last update: 18 Okt 11

 

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